1913 / 15 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Jan 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Hintergrund getreten. Ich bemerke aber ausdrücklih: ich habe sie nit ad acta gelegt, ih werde bei den bevorstehenden Beratungen die Frage crneut zur Erörterung stellen. Jh möchte hier bloß darauf aufmerksam machen, daß der Versuch, meinerseits mit den Beteiligten zu einer Lösung zu kommen, nicht daran gescheitert ist, daß mir der gute Wille gefehlt hat, hier zum Ziele zu kommen, fondern daran gescheitert ist, daß die Beteiligten selbst nicht haben {lüssig werden fönnen, in welher Form denn das Problem endgültig gelöst werden sollte und könnte.

Nun ift aber nit auf allen Gebieten ergebnislos gearbeitet worden. Der Herr Abg. Irl hat fi gestern eingehend mit der Frage des Submission8wesens beschäftigt. Auch hierüber habe ih im vergangenen Jahre gesprochen. Ich habe allerdings darauf auf- merfsam machen müssen, daß ih es für undurchführbar halte, auf - dem Gebiete des Submissionswesens mit einer reihs- gescßlihen Negelung zum Ziele zu kommen. Die Gründe find auch nicht widerlegt worden. Ich habe den Eindruck, daß man si davon überzeugt hat, daß ih hier Reht gchabt habe, und daß man sich auch davon überzeugt hat, daß au die Forderung, unter gewissen Voraussetzungen cinen klagbaren Anspruch auf Erteilung des Zuschlags zu geben, weit über das Ziel hinausging. Aber ih habe bereits im vergangenen Jahre die Ehre gehabt, darauf hinzuweisen, daß diese Frage in den Bundesstaaten im Verwaltungswege aïilerdings geregelt werden kann, und daß hier mit Erfolg bessere Verhältnisse herbei- geführt werden können. Da bin ih nun in der erfreulichen Lage, darauf hinzuweisen, daß inzwischen für Preußen durch? zwei Gr- lasse des Herrn Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 4. Sep- tember und vom 22. Oktober 1912 eine solche Regelung erfolgt ist. Ich darf wohl annehmen, daß diese Erlasse, die ja veröffentlicht find, der Mehrzahl der Herren oder wenigslens denen, die sih für diese Frage interessieren, bekannt sind.

Ih möthte aber de auf folgende, besonders interessante An- ordnungen dieser Erlasse hinweisen. In dem Erlaß vom 4. Scp- tember ist den Behörden vorgeschrieben, bei der Vorbereitung von Verdingungen namentli für handwerkêmäßige Arbeiten, ebenso bei den Erwägungen über die Erteilung des Zuschlags und bei der Ab- nabme der Arbeiten, soweit es nah den Umständen des einzelnen Fallez zweckmäßig erscheint, Personen, die außerhalb der Verwaltung stehen, als Sachverständige heranzuzichen. Es ist ferner bestimmt worden, daß zu einem den Umständen nach an sich zu niedrig erscheinenden Preise der Zuschlag nur unter ganz besonderen Verhältnissen erteilt werden darf, die eine Verallgemeinerung aus\{chließen, und deren Gründe in jedem einzelnen Fall aktenkundig gemaht werden müssen. Der Wunsch des Herrn Abg. Irl, daß das Verhalten der nach- geordneten Behörden durch die Zentralstellen nachgeprüft werden Ffönnte, ist also in diesem Falle erfüllt. Ausdrücklich ist dann noch hinzugefügt, daß als ein besonderer Grund, zu auffallend niedrigen Preisen den Zuschlag zu erteilen, niht lediglich die Häusung un- gewöhnlich niedriger Angebote angesehen werden darf. Der Erlaß hat ferner angeordnet, daß die Heranziehung von Handwerker- vereinigungen zur Ausführung von Arbeiten von den Behörden tun- lichst gefördert werden foll. In dem Erlaß vom 22. Oktober 1912 ist angeordnet, daß für handwerksmäßige Unterhaltungsarbeiten bei staatlihen Hochbauten allgemeine Zusammenstellungen von Preisen von den Handwerklskammern eingefordert werden sollen. Diese Zusammenstellungen follen den Behörden bei der Vergebung laufenter handwerksmäßiger Unterhaltungs- arbeiten bei Hochbauten je nach der Art der Aufstellung auch bei Neubauarbeiten in den geeigneten Fällen zum Anhalt dienen, wobei allerdings die Beurteilung der Angemessenheit der Preise lezten Endes den Behörden vorbehalten bleiben muß. Ich persönli habe die Auffassung, daß in diesen Grlassen sehr viel - er- reiht ist und daß darin jedenfalls die Grundlage für eine ziweck- entsprechende Entwicklung unseres Submissionswesens unter Heran- ziehung der beteiligten Handwerkerkreise gewonnen ist. Ich habe dur) Erlaß vom 18. November vorigen Jahres die mir nachgeordneten Behörden angewtesen, nah diesen Erlassen zu verfahren, „und habe gleidzeitig den übrigen Neichsressorts davon Kenntnis gégeben. Ich nehme an, daß auch diese Ressorts bereits in dem gleichen Sinne Entscheidung getroffen haben werden wie ih selbst.

Die Forderungen gehen ja nun weiter. Man wünscht beispiels- weise die Einrichtung von Submissionsämtern. Im Abge- ordnetenhause hat, so viel ih weiß, der Herr Abg. Malkewißz einen entsprehenden Antrag gestellt. Es unterliegt wohl feinem Zweifel, vaß diese Einrichtung in einzelnen Fällen Erfolge aufgewiesen hat. Die Frage aber ist nah meiner Ansicht niht so weit geklärt, daß man etwa {on sagen könnte, ob und unter welchen Verhältnissen eine solde Einrichtung unter allen Umständen zu empfehlen fei. ebenfalls wird man eine reichsgeseßlihe Regelung dieser Frage nicht in Aussicht nehmen können, fondern auch hier den Landeszentral behörden überlassen müssen, im Wege der Verwaltung das Erforder- liche zu schaffen.

Eine andere Frage ist es, inwieweit etwa unter besonderen Um- ständen bestimmte Zwecke dieser Submissionsämter aus Neichsmitteln unterstützt werden könnten. Ih werde gern bereit sein, dies zu ver- suchen, wenn geeignete Anträge an mich gelangen. Ich beabsichtige aber, au diese Frage bei einer demnächst von mir einzuberufenden Konferenz von Handwerkervertrétern zu Erörterung zu stellen. Bei dieser Gelegenheit wird auch zu prüfen fein, ob und inwieweit fich cine stärkere Berüsichtigung von Handwerkervereinigungen bei Ver- bvíngungen ermöglichen läßt, als es bis jegt geschieht, und inwieweit bei der Vergebung von Arbeiten den Heimarbeitern besondere Be- rüdsichtigung zuteil werden kann. Endlich wird auch die Frage der Berücksichtigung von Tarifverträgen geprüft werden.

Fh möchte auf weitere Einzelheiten in der Frage des Sub- mtssionswesens nicht eingehen. Ich habe die Absicht, hierüber wie liber eine Neike anderer Fragen mich zunächst mit den Beteiligten zu verständigen, und in dieser Beziehung handelt es fich in erster Linie um die Frage, ob speziell die in der Gewerbeordnung und insbesondere im V1. Titel der Gewerbeordnung enthaltene Handwerkerges eßh- gebung weni ih mich so ausdrücken darf einer Revision und einer Ergänzung bedürftig ist. Ich bin geneigt, diese Frage zu be- jahen, und beabsichtige, eine Reihe von Fragen zur Erörterung zu steller, die neuerdings besonders präzisiert und in dankenswerter Weise formuliert sind in der Denkschrift des Ausschusses des beutschen Handwerks- und Gewerbekammertages.

Während wir im Reichsamt des Innern dabei waren, die aus Fnteressentenkreisen, aus diesem hohen Hause, in der Presse und

fonstwie an uns herangetretenen Anregungen zu prüfen und zu sichten, ist diese Denkschrift in meine Hände gelangt mit der ausdrücklichen Bitte, daß man den Vertretern des Handwerks- und Gewerbekammer- tages Gelegenheit geben möchte, diese Denkschrift mündli zu erläutern. F kann von diesem Anerbieten nur dankend Gebrauh machen und werde, sobald die Arbeit hier im Reichstage es gestattet, die Herren vom Handwerks- und und Gewerbekammertage bitten, si zu einer Beratung im Reichsamt des Innern einzufinden. Selbstverständlich werde ich nit unterlassen, bei gegebener Gelegenheit auh andere Ver- treter des Handwerks noch zu hören.

Es handelt si für die in Vorbereitung begriffene Vorlage im wesentlihen um folgende Fragen: Abgrenzung von Fabrik und Handwerk, Zugebörigkeit vershiedener Berufsgruppen zum Handwerk, die historisch nicht dazu gerechnet wurden ich glaube, es gehören dahin die Köche und eine Reihe weibliher Berufe —, ferner die Zu- gehörigkeit juristisher Personen zu den Handwerksorganisationen, dke Stellung der Frau in den Innungsämtern, die Aufgaben der SFnnungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Interessenförderung ihrer Mitglieder, und dabei wird auch die Frage des § 100 q der Gewerbeordnung einer erneuten Erörterung unterzogen werden. Es wird dann zu prüfen sein, inwieweit Erleichterungen in der Beseßung der Gesellenaus\{hüse durch eine Aenderung des § 100r der Gewerbeordnung eintreten können, und eine Nethe anderer s\pezifisher VSnnungéfragen. Es wird auch zu prüfen sein, ob das Wahlrecht für die Handwerkskammern anderweit auszugestalten ist. Es wird die Stellung der Handwerkskammern zu den Innungen einer Neuprüfung zu unterziehen sein. Es wird der Schutz des Gefellentitels zu erörtern sein, und es wird die Frage der Lebrlingshaltung, der Gesellenprüfung und der Meisterprüfung erneut zu erörtern sein.

Meine Herren, Sie sehen, das ist immerhin ein ganz ausreihendes Programm. Ich will hoffen, daß die Verhandlungen, die nunmehr bevorstehen, erfolgreicher sind als diejenigen, die ih bisher gepflogen habe. Sie wissen ja, daß an mir die Schuld nicht liegt, wenn die bisherigen Verhandlungen zu einem positiven Ergebnis nicht geführt haben, sondern daß die Schwierigkeiten in allererster Linie in den Materien selbst beruhen.

Meine Herren, wenn ich dann noch eins erwähnen kann, damit ih Ihnen wenigstens sagen darf, daß ih in einem Punkt Ihre vor- jährigen Wünsche erfüllt habe, so wissen Sie, daß das „Deutsche Handwerkerblatt aus meinem Etat unterstützt wird. Jch habe im vorigen Jahre die Subvention von 6000 auf 8000 4/6 erhöhen fönnen, und ih bin heute dank der Uberalität des Herrn Schaß- fefretärs in der Lage, die von ihnen gewünschten 10 000 46 für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. (Bravo! bei den Nationalliberalen und links.) 6

Nun, meine Herren, ih kann damit die Erörterungen der Mittel- standsfragen verlassen und möchte nur mit Bezug auf die . Aus- führungen des Herrn Abg. von Graefe bemerken, daß der von ihm und einigen anderen Herren ausgesprochene Wunsch, daß in Sachen der Wanderlager ein Wandel eintreten möge, hoffentlih der baldigen Grfüllung entgegengeht. Es soll, zusammen mit einer Rethe von Bestimmungen über den Hausierhandel, über die ich mich in allen Einzelheiten mit den verbündeten Regterungen noch nit habe einigen Éönnen, die Regelung des Wanderlagerwesens dahin erfolgen, daß dur Ortsstatut vorgeschrieben werden kann, daß die Abhaltung von Wanderlagern abhängig sein soll von der Erteilung einer Genehmigung, die im Falle mangelnden Bedürfnisses zu versagen is. JIch nehme an, daß auf diesem Wege die Wünsche erfüllt werden könnnen, die die Herren vom Mittelstand und ihre Freunde hier wiederholt aus- gesprochen haben. (Bravo!)

Nun, meine Herren, Sie sind mih noch nicht los. (Heiterkeit.) Ih habe im vorigen Jahre eine eigene lange Rede darauf ver- wandt, um die Lage und Ziele unserer Wirtschaftspolitik und meine Absihten auf dem Gebiete der Wirtschaftspolitik flarzulegen. Ich befinde mih heute in der erfreulichßen Lage, fesistellen zu können, daß zu einer derartig autgleblgen Rede eigentli} die Veranlassung fehlt. Erfreuliß nenne ih das, niht weil ich mich nit gern mit Ihnen über diese Fragen unter- hielte oder weil ih die Mühen einer Nede \{eute, sondern die Tat- sache ist für mich um deswillen erfreulich, weil ih den Eindruck habe, daß bei dem ‘weitaus größten Teil dieses Hauses eine absolute Eintg- Feit über die allgemeinen Ziele unserer Wirtschaftspolitik und über das, was hier in der nähsten Zeit zu geschehen hat, besteht. Ich bé- rufe mich auf meine eingehenden Ausführungen vom vorigen Jahre. Ich möchte auch diesen Ausführungen nkchts hinzuseßen, weil die Klarheit und Bestimmtheit dessen, was ih damals gesagt habe, durch neue Ausführungen vielleicht verwisht werden könnte.

Meine Herren, ih habe alljährlich in der Regel zweimal einmal aus Anlaß der Teuerungsinterpellationen und einmal bet der Gelegenheit meines Etats darauf hingewiesen, welche glänzende Entwicklung unser gesamtes Wirtschaftsleben genommen hat. Jch habe andererseits an der Hand eines ausgtiebigen Materials nachweisen können, R die Schwierigkeiten wirtschaft- licher Natur, die uns in diesem. und jenem Punkte erwachsen sind, ihren Grund niht in unserer Wirtschaftspolitik haben ; daß insbesondere die Teuerung, die uns das Leben fo sauer macht, in der Hauptsache jedenfalls internationalen Ursprungs ist. Fch habe daraus den Schluß gezogen, daß unser Bestreben nur sein kann, auf dem Wege unserer bisherigen Wirtschaftspolitik ohne Schwanken weiterzugehen. (Sehr richtig! rechts.) Jh habe fest- gestellt, daß unser bisheriger Zoll\chuyß genügt, aber auch aufrecht erhalten werden muß. Ich habe festgestellt, daß auch die Ziele unserer Vertragspolitik im wesentlichen dieselben bleiben müssen, und daß hödhstens Zweifel entstehen können, ob das wirtschaftspolitische Nüst- zeug, das in unserer bisherigen Gesetzgebung liegt, in allen Punkten ausreicht oder vervollständigt werden muß. Diese Fragen find noch Gegenstand der Erörterung; ich kann mich darüber im einzelnen nicht aussprechen; ich kann nur wiederholen: das Ziel meines Strebens wird sein, für das Jahr 1917, in dem die Mehrzahl unserer Handels- verträge ablaufen, die Grundlage zu schaffen, um die blsherige Wirtschaftspolitik in den alten Bahnen weiter zu führen. (Bravo!) Die Einigung, die in dieser Beziehung besteht, hat sih au in den wenigen Spezialfragen wirtschaftspolitischer Natur geäußert, die im Laufe der diesjährigen Etatsverhandlungen und auch in den- Verhand- lungen der Budgetkommission zutage getreten sind.

Im Vordergrunde des Interesses steht die Bankpolitik, und zwar die Politik der Reichsbank in erster Unie und die Politik der

Privatbanken bezw. unsere Politik gegenüber den Privatbanken. Ih fann wohl feslstellen, daß die Politik der Neichsbank namentli in den leßten s{chweren Zeiten des Jahres 1912 und des Herbskes 1911 die allgemeine Billigung des Reichstags gefunden hat. Die Gold« politik, das Streben der Neichsbank, ihre Bestände an Gold zu er- höhen, hat allseitige Zustimmung gefunden; ich brauche also den Aus- führungen, die in dieser Beziehung aus dem Hause heraus gekommen find, meinerseits nichts hinzuzufügen.

Man hat von der Politik der Privatbanken respektive von der Tätigkeit der Privatbanken unter besonderer Bezugnahme auf die Krisen der leßten Zeit gesprochen und hat auf die vielfah mangelnde Liquidität unserer großen Banken hingewiesen. Meine Herren, audh darin besteht zwishen der Reichsleitung und Ihnen Einverständnis, daß, soweit der unerwünschte Zustand mangelnder Liquidität besteht, unter allen Umständen die bessernde Hand angelegt werden muß. Es ift aber auch von Ihrer Seite anerkannt worden, daß in dieser Beziehung die Leitung der Reichsbank mit Entschlossenheit, mit Umsicht und auch mit Erfolg vorgegangen ist, und ih möchte dem nur hinzufügen, daß ih es nicht für zweckmäßig halten würde, in diese Entwicklung, wie sie aus der persönlihen Initiative unseres Reichs- bankpräsidenten heraus entstanden ist, im Wege der Geseßgebung ecin- zugreifen, solange die Möglichkeit besteht, einen folhen immerhin hödst bedenklihen Eingriff zu vermeiden (fehr richtig! Unks), und folange der Reichsbankpräsident selbst, ter die Verhältnisse am zuverlässigsten zu beurteilen in der Lage is, annimmt, ohne einen gesehz geberis{hen Eingriff auskommen zu können.

Meine Herren, damit sind eigentlich auch alle Fragen beantwortet, die etwa im Anschluß an die krisenhasten Vorgänge an unseren Börsen im Herbst 1911 und ganz besonders im Herbst 1912 auf- geworfen werden könnten. Diese Krisen sind, wie ih kurz bemerken möchte ich will heute auf die Einzelheiten nicht eingehen —, weniger Börsenfragen als Fragen der Bankpolitik und hängen eng zusammen mit der ganzen Finanzgebarung, mit der Kreditgewährung unserer Banken, aus denen die Spekulationen der Masse, die im wesentlichen die viel beahteten Zustände an der Börse im Herbst 1912 hervorriefen, ihre Kraft ges{chöpft haben. (Sehr richtig! rechts.) Es wird auch hier zunähst Sache der MNeichsbank sein, durch eine geeignete Beeinflussung der Banken dahin zu wirken, das Kreditgeben auf diesen Gebieten, das einmal unsere ganze wirtshaftliche Lage gefährden kann, aber auch für die Liquidität der Bank fehr unerwünscht ist, in angemessener Weise ein- zushränken.

Also, meine Herren, ih glaube, ih kann mich auf diese Aus- führungen beshränken und glaube, ohne Widerspruch zu finden, sagen zu dürfen, daß ich mich zum erstenmal, so lange ich vor den Parla- menten zu reden die Ehre habe, in der angenehmen Lage befinde, daß man eigentli allerseits mit mir einverstanden ist. (Heiterkeit)

Meine Herren, noch einen Augenblick! (Heiterkeit!) Jch habe eincn Punkt vergessen zu erörtern: es ist eine ganz neben- sächlihe Frage, die mir aber doch von Bedeutung zu sein \{eint. Es ist gestern seitens des Herrn Abg. von Gamp moniert worden, daß das Reich mit der Ausprägung von Silbergeld nicht den Bedürfnissen des Verkehrs Nechnung getragen hätte. Jn dieser Be- ziehung möchte ih folgendes feststellen: Die Ausprägung der Silber- münzen ist an gewisse Schranken geknüpft: wir sind aber noch nit in der Lage gewesen, bis an die Grenze des Möglichen zu gehen, weil der Verkehr tatsählich nicht all das Silber festhalten kann, das durh unsere Kassen und durch die Reichsbank in den Verkehr kommt. Der Herr Abg. Oertel scheint diese meine Ausführungen in Zweifel zu ziehen, und ih möchte ihm darauf folgendes erwidern: Es ift riltig, daß aus einzelnen Teilen des Reichs, namentlich aus dem Osten, Klage darüber geführt ist, daß das nötige Silbergeld gefehlt hätte, und es ist mir aus einem westpreußishen Kreise speziell be- richtet, daß das so weit gegangen sei, daß man Hundertmarknoten nur gegen hohes Aufgeld in Münze habe einwechseln können. (Hört, hört! rechts.) Ih bin diesen Klagen auf den Grund gegangen. Man hat zurzeit in einem Falle durch das Zeugnis eines Kauf- manns beweisen wollen, es sei tatsählich ein solcher Mangel dort vorhanden gewesen, daß selbst die Neichsbank nicht in der Lage gewesen s\ci, das Bedürfnis nah Silber zu befriedigen. Ich habe festgestellt, daß in diesem Falle die Reichsbank überhaupt nicht um die Herausgabe von Silbermünzen angegangen ift, und daher der bc- treffende Kaufmann sich mit der Auskunft etner Privatbank, die tak- \ählich kein Silber hatte, beruhigt hat. (Hört ! hört! bei den Sozial- demokraten.) Ich kann die Versicherung geben, daß die Reichsbank stets in der Lage sein wird und bisher stets in der Lage gewesen ist, den Kassen, Bank- und Zahlstellen in der Provinz die erforderlichen Silbermünzen zur Verfügung zu stellcn, wenn sie rechtzeitig darum angegangen wird. :

Meine Herren, wenn tatsächlich sich Mangel an Silbergeld be- merkbar macht, dann bitte ih Vorsorge zu treffen, daß da, wo Bedarf an Silber ist, die Neichsbank über die Termine, an denen der Silber- bedarf eintritt, rechtzeitig informiert wird. Wenn also beispielsweise

landwirtschaftliche Kreise das Interesse daran haben, für bestimmte ( }

Zwecke Silbergeld zu bestimmten Terminen zur Verfügung zu haben, {

wirts{haftskammern, an die nächstgelegene Neichsbankstelle wenden, und | es wird unter allen Umständen Vorsorge getroffen werden, daß das erforderlihe Silbergeld zur Stelle ist. Das Gleiche gilt für dole- jenigen kaufmännishen und industriellen Kreise, die über einen Mangel an Silbergeld zu klagen gehabt haben.

Meine Herren, ih wiederhole: nah den Feststellungen des Reichs- bankpräsidenten, die meine Ermittlungen bestätigen, ist das erforder: lie Silbergeld vorhanden; es strömt sogar dauernd ein erheblicher Posten des Silbers aus dem Verkehr zurück. Wenn an einzelnen Stellen im Verkehr das Silber gefehlt hat, so liegt es daran, daß da, wo Silbergeld benötigt worden ist, man es nicht fertiggebracht hat, das Silbergeld in der richtigen Welse und zur richtigen Zelt von der berufenen Stelle abzulangen. Sollten sich dennoch Schwierig? |

keiten ergeben, meine Herren, so bitte id), sch direkt an mich zu wenten (

(Schluß în dor Zweiten Beilage.)

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E dann mögen sich die Interessenten, vielleiht die Vorstände der Land: | F

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(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ih werde Vorsorge treffen, daß den etwaigen Mängeln, soweit sie bestehen, Abhilfe geschieht. Bemerken möchte i nur, daß an den Orten, aus denen be- sonders Klagen gekommen sind, festgestellt ist, daß dort gewissenlose Kauf- leute umbergezogen sind (aha! im Zentrum) und unter der Behauptung, daß die Reichsbank Metallgeld zurückhalte, das Publikum veranlaßt haben, ihnen Banknoten gegen Aufgeld umzuwe(seln. (Hört! hört! im Zentrum.) Das ist leider eine unzweifelhaft festgestellte Tatsache,

die aber daran nichts ändert, daß auf dem Gebiete der Versorgung '

mit Silbergeld Ihren Wünschen bisher Rehnung getragen worden ist und auch in Zukunft stets Nechnung getragen werden wird.

__ Abg. Dr. Pieper (Zentr.): Das Kinematographenwesen hat sich in den leßten Jahren im Deutschen Neiche in ganz ungeahnter Weise entwickelt. Viele Hunderte von Millionen sind in dieser neuen Geschäftsbranhe investiert. Während die Shmuy- und Zchundliteratur erfreuliherweise zurückgeht, hat si dafür ein Kino- {und bemerkbar gemacht, der durchaus eingedämmt werden muß. Die Jetchsverwaltung will hier im Zusammenhang mit dem Erlaß eines Neichstheatergeseßes Abhilfe hafen. Die Zensur der Films follte nicht polizeilich, sondern durch landesgeseßliche Vorschriften ae- regelt werden. Ferner verlangen wir einen geistigen Fugendschutz durch Unterdrückung des Schmutzes und Schundes in den Reklame- bildern. Das lebende Bild müßte in den Dienst wahrer sittlicher und ästhetisher Bildung gestellt werden. Diese Zwecke verfolgen ja auch die bis jeßt eingerichteten Gemeindefinos ; fie sind eine Ergänzung der Schule. Die Regelung des Verhältnisses der technischen Ange- stellten ist dringend erforderlih. Die Arbeitsverhältnisse der Angestellten in den Bureaus ter Nechtsanwalte sind zum Gegenstand ciner Umfrage gemacht worden. Wenn die Crgebnisse dieser Prüfung nicht fo trübe sind, wie sie früher geschildert worden sind, so bestehen do noch viele Mißstände, die geseßlih beseitigt werden sollen. Dasselbe gilt von der Konfektionsindustrie. Für die Heim- arbeiter t die Einrichtung von Schutkomitees notwendig. Am |. April ist die kleine Gewerbeordnungsnovelle über die Heimarbeiter in Kraft getreten. Damit wachien die Aufgaben der Gewerbeaufsihßts- beamten. Jch möchte den Wunsch wiederholen, daß den Gewerbe- beamten auch das Recht zum Erlassen von polizeilichen Verfügungen wieder gegeben wird. Dies Recht zu gewähren, ist um fo unbedenk- licher, als die Ausbildung dieser Beamten inzwischen vervollkommnet worden ist. Diese Maßregel würde " den ganzen Apparat ver- einfachen. Tatsächlih machen die Gewerbeaufsichtsbeamten {hon die Verfügungen, fie werden nur von der Polizei ausgeführt. Die Einzelstaaten follten also die jegt bestehenden Beschränkungen der Vefugnisse der Gewerbeaufsihhtsbeamten fallen lassen. Von Zeit zu Zeit sollten uns die Verordnungen der Wndesbehörden in einer Zufalnnmenstellung zugänglih gemaht werden. Erfreulich ist, daß durch Bundesratsverordnung die Nachtarbeit Jugendlicher in mehreren Betrieben eingeschränkt worden ist. Im allgemeinen tragen die Gntschließungen des Bundesrats zu den Wünschen des Reichs- tages ein etwas freundlicheres Gesicht als in früheren Jahren. Was das Streikyostenstehen betrifft, so werden meine politischen Freunde aus den {on früher angegebenen Gründen gegen den konservativen Antrag stimmen. Day die Arbeiter, wenn sie zu einem Streik gezwungen find, sich über die Lage des Streiks ortentieren müssen und ihre Genossen informieren und. an die Solidarität appellieren, ist zu billigen. Drohungen sind selbst- verständlich verwerflih. Aber um sie zurückzudrängen, bedarf es keiner besonderen geseylihen Bestimmungen, sie würden auch nur auf dem Papter stehen. Was Graf Westarp als bedenklich angeführt hat, das Stehen auf den Straßen usw., ist kein Streikpostenstehen. Gegen diese Ansammlungen würde ein Verbot des Sttreikpostenstehens keine Handhabe bieten. Durchgreifen würde höchstens ein Verbot des Streikens. Das aber wäre unberechtigt und unzweckmäßig. Cin Streikpostenverbotsgeseß wäre ledigli ein Klassenge]eß. Nach wie vor halten wir die Errichtung. eines Tarifamtes im Retchs- amt des Innern für notwendig. Dieses Amt soll zur rechten Zeit vorbeugend eingreifen, wenn die Gefahr entsteht, daß die Verhand- lungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ins Stocken ge- raten. Eine derartige Einrichtung besteht auch in England und in anderen Ländern. Ich habe das Vertrauen zu dem Staatssekretär, daß er die Erfüllung dieses Wunsches nicht ausschließt. Er wird gewiß alles tun, was erreiht werden kann. Jch möchte aber namens meiner Freunde ausdrüdcklich den Wunsh aussprechen, daß \sich der Bundesrat recht bald mit der Frage beschäftigt. Ueber die Schaffung eines Neich8wohnungsgeseßes [chweben ja bereits Ver- handlungen mit den Bundesstaaten, die hoffentlih bald zum Ab- {luß fommen. Für dringend notwendig halte ih es, daß eine Denk- shrift ausygearbeitet wicd über die Wüikungen der Arbeitergeseße auf Grund der Berichte der Fabrikinspektoren. Wir werden dann ein wertvolles Material bekommen, das es dem Reichstag ermöglicht, das große soziale Werk der Arbeitergeseße in der erforderlihen Weise auszubauen.

_ Abg. Lütel (nl.): Gegen die von den Bundesrat - be: \chlossene Bäckereiverordnung hatten die Handwerker an sih nichts einzuwenden, aber sie geht viel zu weit. Es wäre wohl an- gebraht, wenn man die Handhabung der Bälereiverordnung in Bayern auf preußisde Verhältnisse übertragen würde. Unser ganzes Bildungswesen muß einer eingehenden Revision unter- zogen werden. Das geschäftliche Leben ist so kompliziert, daß die Handwerker und Arbeiter thre ganze Kraft aufwenden müssen, um den gesteigerten Anforderungen zu entsprehen. In den Handwerker- fursen, die immer weiter ausgedehnt werden müssen, muß durch den Unterricht geeigneter Fachkreise Gelegenheit zu einer um- fassenden Ausbildung gegebèn werden. Nur durch eine geeignete Neform in dieser Hinsiht kann der Mittelstand aufreht erhalten werden. Diese Neform des Bildungswesens wird den Handwerker in die Lage seßen, die Chancen seines Betriebes auch kaufmännisch besser auszunußen. Unter den berechtigten Wünschen des Mittel- standes steht mit in erster Reihe das Verlangen der InkraftseBung des zweiten Teils des Neichs8geseßes wegen der Sicherung der Bau- forderungen. In dieser Richtung muß unbedingt endlich etwas ge- schehen. Gbenso dringlich sind die Forderungen der Heranziehung der Industrie zu den Kosten der Lehrlingsausbildung und bezüglich des Submissi nswesens. Die Frage, wie Handwerk und Fabrik begriff lich zu trennen sind, harrt leider auch noch immer der Entscheidung. Was die Aufhebung des § 100 q betrifft, fo hat sich gezeigt, daß doch vielfah die Festseßung von Mindestpreisen tin der Praxis umgangen wird. Für alle meiné politishen Freunde kann ih erklären, daß wir durchaus bereit sind, dem Mittelstand zu helfen und daß wir auch hoffen, daß dieses Jahr nicht vorübergehen wtrd, ohne daß den vielen

Worten auch eine Tat folgt.

Abg. Dr. Oertel (dkons.): Der Abg. Hoh hat aus den Aeußérungen des Staatssekretärs in der Budgetkommission schließen zu dürfen oder zu sollen geglaubt, daß der Staatssekretär und die Staatsfekretäre des MNeiches überhaupt unter dem Kommando des preußischen Staatsministeriums stünden. Nach den eben gehörten Ausführungen des Staatssekretärs wird er

das wohl nit aufrecht erhalten. Meines Erachtens war das,

Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

12 05.

Berlin, Freitag, den 17. Januar

wäs der Staatssekretär sagte, cinmwandsfrei. (Eins möchte ih dahingestellt fein lassen, ob es zweckmäßig gewesen ist, überhaupt der- artige Ausführungen zu machen, da die üblihen Mißverständnisse sehr l-iht entstehen fonnten, die, wie tigura Hoch zeigt, au tat- fählih entstanden find. Der Abg. Hoch ist noch“ weiter gegangen, er hat hinzugefügt, das ist nicht neu, aber doch interessant, der Staats- sekretär stehe unter dem Kommando des preußischen Staatsministeriums, und dieses unter dem Kommando der Junker. Wenn ih nur von diefer Kommandierungstätigkeit oder diesen Befugnissen der Junker und Konservativen etwas gemerkt hätte! Ich wäre sehr zufrieden damit. Wenn wir wirkli das Oberkommando hätten, dann würde manche Sache ganz anders aussehen, das fann ih der äußersten Linken jagen. Der Abg. Hoch hat weiter die preußishen Junker und Kon- servativen verantwortlih gemacht für einen Vorgang im Jahre 1808. Damals gab es noch keine konservative Partei, die Partei als solche kann also niht verantwortlich gemaht werden. Junker gab es, äber és gibt verschiedene Junker, Junker haben auch auf der anderen Seite gesessen und haben eine sehr lebhafte Neigung für jene Seite empfunden. Was das Jahr 1808 anlangt, so wäre es mir als altem Olstoriker fehr interessant, wenn ich darauf näher eingehen fönnte. Ich werde an anderer Stelle beweisen, daß der Abg. Hoch aud in dieser Ausführung vollständig Unrecht hat. Kein Junker hatte damals mit dem etwas zu tun, was er im Auge hatte. Das war ein Bürgerliher, ein Professor. Eine Deßbe gegen Marschall wurde veranstaltet, aber niht von den Junkern. Und den einen, von Lüßow, der dabei beteiligt war, haben die echten Junker von ihren RNokshößen abgeshüttelt. Wir haben uns an dieser Hete nicht beteiligt. Herr von Marschall ruht im Grabe. Gr hatte anderere Personen hinter dieser Heye vermutet. Aber diese Vermutung wurde getäuscht. Die konservative Partei für diese Hete verantwortlih zu machzn, sollte auch einem Herrn von so bewußtem politishen Empfinden wie dem Abg. Hoch \{ließlich unmöglich sein. Endlich hat er uns verantwortlich gemacht für einen Artikel der „Post“, der gegen den Kaiser geritet war. Ver Abg. Hoch, der die Sache studiert hat, wird mir zugeben müssen, daß die konservative Presse sich gegen diesen meines Erachtens nicht angebrachten Artikel in der schärfsten Weise gewandt hat, und daß die esreifonservativen, die diesem Blatt nahestehen, die Aeußerungen nicht gebilligt und aus dieser Tatsache kein Hehl gemacht haben. Der Abg. Doch hat dann weiter gefragt, ‘weshalb die fonservative Partei mit

ibrem Antrage diesen Vorstoß unternommen habe. Es war kein Vor- Itoß, es war ein Nückzug, im vorigen Jahre haben wir eine viel weiter gehende Resolution eingebracht. Wir sind zurückgetreten, weil wir immer Politiker sind, die mit den gegebenen Faktoren rechnen. Wir hofften, daß man für diese abgemilderte Streikpostenresolution mehr Berständnis haben werde, allerdings vergeblih. Wir haben fie ein- gebracht, weil in der fortschrittlihen, in der nationalliberalen und in der Zentrumspresse, in der Presse der christlihen Gewerkschaften, überall gesagt wurde: Cs muß etwas geschehen, der Terrorismus ist geradezu himmelschreiend, es fann nicht so fortgehen. Daraus haben wir die selbstverständliche Konsequenz gezogen. Jst das etwa wunder- bar, haben Sie étwas anderes érwvartet? Daß wir unsere vorjährige Resolution fang- und flanglos unter den Tisch fallen lassen würden, werden Sie doch nicht glauben. Der Abg. Hoch hat dann dem Abg. Grafen Westarp persönlich einige angebliche Ursachen feines Vorgehens in die Schuhe geschoben. Der Abg. Graf Westarp wird mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, daß diese Andeutungen auf einem folden Standpunkt stehen, daß man darauf nicht hinabzusteigen braucht. Der Abg. Hoch hat der konservativen Partei für ihr Vor- geben untergeschoben, wahltaktishe Absichten zu verfolgen. Das ver- stehe ih niht recht. Er hat gesagt, daß wir uns mit diesem Vorgehen in die Nesseln seßen würden. Es wäre also nicht gerade geshickt, wenn mir folhe Absichten verfolgten. Er meinte weiter, wir wollten uns bei der nationalliberalen Partei insinuieren. Das war wohl ‘nur ein lapsus linguae, er hat die Großindustrie gemeint, die niht identisch ist mit der nationalliberalen Partei.

zut sein über unsere Resolution. Was die Großindustrie anlangt, deren Bedeutung wir durchaus kennen, so wissen wir blindwütigen Agrarier, wir engherzigen einseitigen Agrarier in Gänsefüßchen, daß fie unter dem Terrorismus, den wtr bekämpfen, außerordentlich \{chwer leidet. Aber wir sind zu kluge Nechner, um aus Wahltaktik der (Sroßindustrie Zugeständnisse zu machen. Die Großindustrie verfügt nich! über zahlreiche Wählerstimmen, deshalb hat fie auch wohl 1n diesem Hause die meisten Sympathien auf den Seiten, wo man am wenigsten mit wahltaktishen Dingen operiert. Also auch dieser Vor wurf fallt durchaus ins Wasser. Der Abg. Hoch verstieg sich zu der Bemerkung, daß infolge der Nede des Abg. Grafen Westarp bei den nächsten MNeichstagswahlen noch einmal 110 Sozialdemokraten in dieses Haus einziehen würden. Dann wären wir doch ziemlich törichte Leute, wenn wir Absichten durchführen wollten, von denen er sprach. Wir überlegen uns jehr wohl, was wir tun, und wissen genau, daß der Sozialdemokratie unsere Resolution sehr unbequem is. Der Abg. Hoch würde sonst mcht seine Stimmzettel gegen uns ins Feld geführt haben. Jch glaube, die Hoffnung des Abg. Hoch wird ih mcht erfüllen. Sollte sie sih erfüllen, dann würde wieder der Beweis geliefert sein, wie notwendig diese unsere Resolution war. (Ftwas hat uns sehr gefreut, daß der Abg. Hoch uns eine Söldner- truppe des Großkapitals genannt hat, ausgerehnet uns Konservative und Bündler! In der Presse gewisser anderer Parteien dieses Hauses werden wir als Gegner des Großfkapitalismus bezeichnet, wirft man uns demagogische Neigungen vor. Die Herren von der Sozialdemo- kfratie erinnern sfih vielleiht, daß der „Vorwärts“ einem Artikel der „Deutschen Tageszeitung“ gegen den Großkapitalismus nachgesagt hat, er könnte ebenjogut im „Vorwärts“ gestanden haben, was mich aller- dings sehr stußig machte. Aber Soldnertruppe des Großkapitals? Mein, 1h fühle mich in dieser Nolle völlig unbehaglih und vollig un \chuldig. Jch gehöre zu denen, die die Auswüchse des Großkapitalis- mus lebhaft bekämpfen, z. B. im Börsengeseß, und da fehlt mir leider die Gefolgschaft der Herren, die sih in diesem Punkte wirkli als Söldnertruppe des Großkapitalismus erweisen. Nun lassen Sie mich übergehen zu dem Abg. Dr. Müller-Meiningen. Der Abg. Dr. Müller-Meiningen hat bezüglich seiner Kritik an der konservativen Partei eine sehr gute Zensur bekommen. Der „Vorwärts“ hat ihm das Zeugnis ausgestellt, er habe bei feiner Nede glücklihe Momente gehabt. Jh gönne dem Abg. Dr. Müller-Meimngen diese warme Anerkennung von seiten seines hohen Gönners von ganzem Herzen, aber sie beweist mir, daß denn doch die Begriffe des Glückes verschieden gefaßt werden. Wenn der Abg. Dr. Müller-Meiningen anerkennt, daß er vorgestern solche glücklihen Momente gehabt hätte, dann würde ich ihn um diese Art des Glückes nicht beneiden können, sondern be- dauern müssen. Glücklich war das, was er sagte, für ihn selbst und seine Parteigenossen. Der Abg Müller-Meinin en hat viel und warmen Herzens geredet. Aber er hat eins unterlassen, nämlich was der Abg. Graf Westarp über die Dämpfung sagte, zu widerlegen oder zu erganzen. Das erste haben wir nicht von 1hm erwartet, weil es nicht möglich war, aber das zweite. Es wäre doch interessant gewesen, wenn wir aus seinem Munde gehört hätten, wer nun bei der Dämpfung dex erste Anreger gewesen sei. Ob dies die Herren bier oder die Herren da gewesen sind, das haben wir bisher mckcht erfahren. (Zuruf: Neugierde!) Die Neugierde - ist manchmal eine sehr gute mensch{liche Gigenschaft. Gs wäre interessant, zu erfahren, wer zuerst auf den guten Damp en gekommen ist. Vielleicht find fich beide Teile auf halbem Wege entgegengekommen. Die Liebe wird vielleicht nicht allzu lange dauern. Ver Abg. Dr. Müller-Meiningen bat mit dem Vrustton der Ueberzeugung, der ihn so gut kleidet, gesagt, man

Aber diese konnte gar nicht ent-.

1903.

kenne niht behaupten, daß die foriscrittlihe Volkspartei von der Sozialdemokratie abhängig wäre, fie habe doch für die Wehrvorlagen * gestimmt. Das hätte ih an seiner Stelle nicht gejagt. Das kann umlßverstanden werden. Ich glaube nicht, daß es irgend jemand der fortscrittlihen Volkspartei zugetraut hat, daß sie ihre Dankbarkeit so weit treiben lassen würde, das Vaterland im Stiche zu n. Solche Dinge soll man nicht erwähnen. (Es könnten peinlihe Miß- verstandnisse entstehen. Wir haben jeßt einmal den Spieß umge- dreht. Darin it font der Abg. Dr. Müller-Meiningen Meister. Nur nicht mit der Lungenkraft, die ihm zur Verfügung steht, wie fast mir selbst. Nur pflege ich seinen Fingerzeig nicht anzuwenden. Man fann Sie (zu Dr. Müller-Meiningen gewendet) deswegen leiht für einen Antisemiten halten. Sie sind {hon deswegen in einen folchen Berdacht gekommen. Das ist gefährlih. Der Abg. Dr. Müller- Meiningen hat dann die ollen Kamellen hier wieder hervorgeholt, däß tonservative Abgeordnete mit Sozialdemokraten ein Techtelmechtel gehabt hätten, sie unterstüßt oder von diesen Hilfe angenommen hätten. Der Abg. von Bolko hat {on den einen Fall ridtiggestellt. Der Abg. Dr. Cobn hat in dankenswerter Weise das Fahnenband in den Bereich des Märchens verwiesen. Auch der Generalsekretär Dade ist herangezogen worden, und der Abg. Müller-Meiningen hat ein Flug- blatt von ihm hier verwertet. Er hat aber übersehen, taß die Partelleitung und fsowohl die Organisation der Konservativen wie die des Bundes der Landwirte dieses Flugblatt unzweideutig ge- mißbilligt hat. Das wird auch später geschehen. (Zuruf des Abg. Dr. Müller-Meiningen.) Zu unterscheiden, welche Vor- würfe zulässig find, liegt in der Hand des Präsidenten. Wie er darin vorgeht, das hat er in den leßten Tagen bewiesen. In Zukunft wie in der Vergangenheit wird die fkon- servative Partei jeden abs{ütteln und tein Vorgehen mißbilligen, der irgendwie mit der Sozialdemokratie sich einläßt,. Wer das in Zukunft tun sollte, ih bin der Erste, der mit größter Entschiedenheit einen Strich zöge zwishen einem derartigen Vorgehen und unsern Grundsäßen. Die konservative Partei wird niemals mit den Sozial- demokraten paftieren. (s ist mir schon nicht angenehm, wenn wir hier mit ihnen verhandeln 1nüssen (Zuruf) ; glauben Sie, daß dies mir an- genehm ist ? Ich kenne viel angenehmere Dinge. Die konservative Partei und die Sozialdemokraten sind auch gar nicht geeignet, irgend- wie zusammenzukommen. Der Stktaatssetretär Dr. Delbrück, den ih leider niht an seincm Plate sehe, hat gemeint, die Sozial- demokratie sei in den leßten 20 Jahren milder geworden. 9 habe von folher Milde nie etwas verspürt. Vor 20 Fahren sollen die Herren noch weniger milde gewesen sein? Das wäre doch cine Beleidigung. Das konnten fie ja gar nit fein. Wir können mit der Sozialdemokiatie {hon deswegen nicht zusammen: fommen, weil fie eine antimonar{is{he, republikani\ckc Partei ist, die vermöge dieses Grundsaßes und des Gegensatzes zur Monarchie nicht auf dem Boden der Verfassung steht. Das Deutsdbe Reich ist insofern monarhisch, als der preußische Köntg, ein Monarch, auf Grund der Verfassung an seiner Spiße steht. Gegen diese Logik kann niemand etwas einwenden. Wenn einer so auf dem Boden der Verfassung niht steht, so gibt es für vertassungstreue Leute keine Art der Verständigung, sondern nur einen Kampf bis zum äußersten. Es gibt aber auch noch andere Dinge, die uns von der Sozialdemokratie völlig trennen. Sie haben Graf Westarp vorgeworfen, daß er auf alte Dinge zurückgegriffen hat. Er mußte aber darauf zurückfommen, um zu beweijen, daß nach seiner Auf- fassung keine bürgerliche Partei eigentlih mit der Sozialdemokratie paktieren könne. Deshalb hat er auch auf die Haltung dieser Partei im Falle eines Krieges hingewiesen. Dtese Haltung ist meines Er- achtens klar. Alle Sozialdemokraten, vom radikaliten herab bis zum fonntäglih pomadisierten Nevisionisten, sind si einig darüber, daß sie den Krieg mit allen Mitteln verhindern müssen. Wenn man neu- gierig fragt, welhe Mittel sie anwenden wollen, dann s{chw-cigt des Sängers Höflichkeit. Und wenn einer sih hervorwägt und auf den Massenstreik hinweist, dann heißt es: Schweig still, mein Herz, 10vaS sat Man nt V. i man L ubel hat hier einmal gesagt, daß er selbst noch die Flinte auf den Buckel nehmen würde, wenn es gilt, das Vaterland zua verteidigen. Jeut wird er folhes nicht mehr sagen können. Maurenbrecher hat vor wenigen Tagen etwas Aehnliches gesagt. Er hat gesagt, die modernen soztalistisch erzogenen Arbeiter würden ih wie ein Mann erheben, um einen tin das Land einfallenden Feind zu ver- treiben. Er hat aber hinzugefügt (Zurufe bei den Sozialdemo- kraten.) Sie glauben, ih will die Fortsezung unter shlagen, das ist nicht meine Art. Er hat hinzugefügt, daß gerade vom demokratischen Standpunkte aus ein Krieg ver- hindert werden müßte, wenn er für fremde Interessen geführt wird. Sie werden nicht leugnen können, daß manchmal ein Ver- teidigungskricg notwendiger als ein Angriffskriea ist. Mauren- breher erklärte ferner, daß unter folhen Umständen auch die Proletarier für das Vaterland die Waffen in die Hand nehmen würden. Nach diesem Artikel stieg ihm das „Ham- burger Cho“ auf das Dach und jagte, der Mann müsse fliegen, er müsse ausgeschieden werden, wenn er niht selbst gehe. Diese Meinungsäußerung ist Jhnen niht ganz angenehm. Wenn man über den Krieg so_denkt wie dieses Blatt, dann folgt daraus mit einer zwingenden SWhlüssigkeit, daß zwischen keiner bürgerlichen Partei und zwischen der Sozialdemokratie irgendwelhe Vereinbarungen stattfinden können. Gegen diesé Logik wird auch der Abg. Müller - Meiningen nichts einzuwenden haben. Ich freue mich, er macht ein tindifferentes Gesicht. Das ist in diesem Falle {hon sehr viel. (Zuruf.) Sie meinen. Sie langwetlen fi, aber ich vergelte Gleiches mit Gleichem, Wenn Sie mihch weiter mit Fingern durchstechen und mich weiter unterbrechen, dann dauert die Sache noch viel länger, und der Abg. Müller-Meiningen muß entweder hinausgehen oder sich weiter lang- weilen. Der Abg. Ledebour bezweifelt, daß wir es nicht verstehen können, wie die Sozialdemokratie über die Revolution denkt. Das ist auh niht so leiht zu verstehen; denn mit der NRedensart von der Cntwicklung kommen wir niht weiter. Diese wird doch von Ihnen nah Ihrem Gusto gemacht, und da nehmen Sie es uns do nicht übel, wenn wir sie nah unserem Gusto machen wollen. Gewiß, Sie wollen jeßt kcine Revolution machen. Heute haben Sie das ja viel bequemer, hier im hohen Hause zu sigen, als Revolution auf der Straße zu machen. Sie wollen bei diesem Entschluß bleiben und uns \o die Haut über die Ohren ziehen. Dabei wird es Ihnen vielleiht aub möglich sein, au diese Haut mir über das Ohr zu ziehen. Es muß nur einer da sein, der zieht, und der es si gefallen läßt. Sie geben mir zu, daß, wenn wir es uns nicht gefallen lassen, dann {ließli eine Revolution kommen wird, und Sie haben dann die Güte, die Schuld uns zuzuschieben. Der Abg. Hägy hat die Angelegenheit Wetterlé behandelt. Jh gebe zu, daß die Art, wie er gesprochen hat, auh uns sympathisch war. Seine Verurteilung des Auftretens Wetterléss war nur etwas sehr zaghaft. Er meinte, er könne nicht darüber urteilen. Das könne man erst, wenn der Wortlaut der Rede bekannt fei. Aber er hat Wetterlé nicht bestimmt, den Wortlaut bekanntzugeben. Die Nachricht über die Nede soll aus einem \{chlecht unterrihteten französischen Blatte stammen. Aber dieselbe Meldung haben mehrere Blätter überein- stimmend gebracht. Dte Entrüstung des hohen Hauses in allen Parteien bis zu den Sozialdemokyaten war berechtigt. Wenn Wetterlé sih so oder ähnlich. geäußert haben soll, dann muß er auch dafür sorgen, daß richtige Berichte in die Oeffentlichkeit ge- langen. Er hat ja die Rede vorher aufgeshriebèn. Der Abg.