1893 / 281 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 24 Nov 1893 18:00:01 GMT) scan diff

bayerishe Regierur nicht enthalten. Allerdings stehe dem nichts entgegen, day Angelegenheiten des Reichs in dem Landtag besprochen und die Haltung von Bundesrathsmitgliedern kriti- sirt würde. So gern aber die Negierung den Wünschen des Hauses entgegenkommen möchte, so wenig vermöge sie auf die ihr verfassungsmäßig zukommende Selbständigkeit und Freiheit der Entschließung im Bundesrath zu verzichten. Der Finanz- Minister Dr. Freiherr von Riedel bezeichnete die finanziellen Ausführungen des Abg. von Vollmar als auf falshen Jnfor- mationen beruhend. Mit der Tabacksteuer greife man zu einem Steuerobjecte, das in Frankreih, England, Oesterreich, Jtalien 2c. doppelt und dreifah höher besteuert sei als in Deutschland. Während in Frankreih auf den Kopf der Be- völkerung 6,47 6, Tabacksteuer kämen, entfalle in Deutschland gegenwärtig auf den Kopf eine Steuer von 1 H, und dieser Saß würde nah Einführung der beabsichtigten Erhöhung auf 2 6. steigen. Die verbündeten Regierungen seien bestrebt, die Tabaksteuer derart zu gestalten, daß sie das Weiterbestehen des Kleinbetriebs und der Hausindustrie ermöglihe. Ent- lassungen von Arbeitern in dem von dem Abg. von Vollmar angegebenen Umfange seien keineswegs zu erwarten. Ebenso unzutreffend seien dessen Schilderungen von der künftigen Controle der Weinbauern; die Weinsteuer strebe vielmehr die Beschüßung des Weinbauers gegen die jegigen unehrlihen Mani- pulationen an. Obstwein und Becrenwein blieben steuerfrei; die Frachtbriefsteuer lasse 80 Procent aller Postsendungen sowie den gesammten Localverkehr frei. Die Abgg. von Vollmar und Geiger (clerical) beantragten darauf eine motivirte Tages- ordnung. Die Weiterberathung wurde auf heute vertagt, nachdem die Abgg. Freiherr von Stauffenberg und Orterer das Recht des Landtags betont hatten, das Neich angehende Sachen zu discutiren, und die Abgg. Naßinger und Beck anstatt der Belastung des Volks die Einführung von Luxussteuern, Sportssteuern und einer Wehrsteuer empfohlen hatten.

Sachsen.

Die Besserung im Befinden Seiner Majestät des Königs macht nach dem „Dr. J.“ erfreuliche Fortschritie. Das Fieber ist nicht wiedergekehrt. Dic Kräfte heben ih und der Katarrh ist wesentlich geringer. :

Baden.

Am Mittwoch Vormittag ist in Karlsruhe der Landtag auf Befehl Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs durch den Präsidenten des Staats-Ministeriums, Staats- Minister Dr. N okfk mit folgender Ansprache eröffnet worden:

„Seine Königliche Hoheit fenden Ihnen, Durchlauchtigste, Hoch-

geehrteste Herren, Seinen freundlichen Gruß und lassen gerne der Hoffnung Ausdruck geben, daß dieser Landtag bei allseitiger treuer Mitarbeit seine wihtige Aufgabe zum Wohle unserer geliebten Heimath erfüllen werde. Der Voranschlag für den Staatshaushalt der Budgetpertode 1894/95 ift fertiggestellt und wird Ihnen, nebst den Nachweisen über die finanziellen Ergebnisse der leßten Jahre, in den nächsten Tagen vorgelegt werden. Wenn es auch gelungen ist, den Fehlbetrag, den das Budget für 1892/93 aufwies, um etwa die Hälfte herabzumindern, wobei überdies die als nothwendig betrachteten erhöhten Bedürfnisse in fast sêmmtlichen Zweigen der Staatsverwaltung Berücksichtigung gefunden haben, so stellt sich die Lage des Staatshaushalts, da immer noch ein erhebliher Fehlbetrag geblieben ist und die Ueberschüsse der Vorjahre sehr zusammengeshmolzen sind, do wesentli ungünstiger dar als in einer Anzahl vorausgegangener Budgetperioden.

Die finanzielle Lage würde sich schwieriger gestalten, falls die ge- plante Finanzreform im Reich nicht zu stande kommen und der seit vorigem Jahre eingetretene nothwendige Mehraufwand im Reich auch nur vorübergehend den Einzelstaaten zur Last bleiben würde.

Entsprechend den auf dem letzten Landtage ertheilten Zusagen wird Ihnen die Greßherzoglihe Negierung demnächst eine Vorlage zugehen lassen, die eine umfassende Revision des Gehaltstarifs, und zwar vor- wiegend zum Zweck der Erhöhung des Einkommens der Beamten i; mittleren Gehaltsabtheilungen, zum Gegenstande bat und die weiterhin einen angemessenen Uebergang aus dem bisherigen in den neuen Zustand anstrebt. Die Großherzog- liche Negierung hat geglaubt, mit diefer Vorlage, uneracd)tet der augenblidcklih s{wierigen Lage des Staatéehaushalts, aus Nücksicht für

ie in Nede stehenden Angehörigen des Beamtenstandes und im Hin- f r Volksvertretung selbs laut gewordenen Wünsche, zuwarten zu follen; sie erachtet aber, angesihts des sehr beträct- 1 Mehraufwands infolge dieser allgemeinen Aufbesserung in ten en und mittleren Abtheilungen des Gehaltstarifs, in Betracht des i ndes unserer Finanzen, eine Erhöhung der Einkommen-

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g mit der Gehaltstarifvorlage Steuer in Auésiht nehmender

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Mißständen, die infolge der andavernden Dürre der Landwirtbschaft drohten, suchte die Regierung durch besondere durch Gewährung sehr nam-

sie hofft, daß ibre Bemühungen von ung der Stände finden werden.

der Tommenden Budgetperiode dur griffenen Linien Graben—Röshwoog und

n eine erhebliche Erweiterung erfahren. Für

teren Linien, die zur Vervollständigung des

n sollen, sind Mittel vorgesehen.

5) ung beabsichtigt auch ferner, der Ausführung von

unte ngen durch Gewährung auëêreichender staatlicher Unterstüßung, wo dies vom Gesichtspunkt der örtlichen und allgemeinen Interessen gerechtfertigt erscheint, eine wirksame Förderung zu theil

[afi Mehrere Gesetzentwürfe über Herstellung folcher

zur verfassungsmäßigen Prüfung und Ent-

1g vorgelegt werden. ußerdem wird Ihnen die Regierung einige Geseßentwürfe unter-

n, welche auf verschiedenen Gebicten der Staatsverwaltung Ver-

ungen anfstreben.“

Hierauf wurden die anwesenden neu eingetretenen Mit- glieder beider Kammern zur verfassungsmäßigen Eidesleistung aufgerufen, und sodann erklärte der Präsident des Staats- Ministeriums im Namen Seiner Königlichen Hoheit des G r oß- herzogs den Landtag für eröffnet.

Mit cinem dreimaligen Hoc der Versammlung auf den Großherzog fand die Feierlichkeit ihrenYAbschluß.

eingreifende Maßregeln, 11 L E c P s

5,

Oefterreich-Ungarn.

In dem gestern nah der Vertagung und dem inzwischen erfolgten Regierungswechsel zum ersten Mal wicder zusammen- getretenen Abgeordnetenhause gab, dem „W. T. n zufolge, der Minister - Präsident Fürst Windischgräß fol- gende Erklärung ab: i R

„Seine Majestät der Kaiser baben mich zu Ihrem Minister- Prôsidenten Allergnädigst zu ernennen geruht; ih habe die Ehre, mich alé folen sowie bas neue Ministerium Seiner Majestät dem hohen Hause hiermit vorzustellen. Die neue Regierung wurde eingeseßt infolge der gemeinsamen politishen Action der drei großen Parteien des Abgeordnetenhauses; sie wendet sich daher in nächster Linie

an diese Parteien und spri(t die Erivartung aus, daß diese ihre Thâtigkeit mit Vertrauen begleiten und auch einander gegenüber gute parlamentarische Beziehungen erhalten werden. Die Regierung erklärt, daß sie es als ihre erste und wichtigste politishe Aufgabe betrahtet , im Einvernehmen mit diesen Parteien eine umfassende Wablreform zu schaffen, welche mit Auf- redterhaltung der derzeit bestehenden verfassungsmäßigen Vertretung der Interessengruppen und mit genauer Berücksichtigung der Verhältnisse der vereinigten Königreiche und Länder eine wesentlihe Ausdehnung des Wahlrechts unter Heranziehung der bisher vom Stimmreht ausgeshlossenen Volksschihten, ins- besondere der Arbeiter, herbeiführen und zugleich das bis- herige Schwergewicht der politischen Nechte des Bürger- und Bauernstandes sichern soll, und welche voraussihtlih eine Vermehrung der Mitgliederzahl des Abgeordnetenhauses zur Folge haben wird, fowie eine Revision der Wahlbezirkseintheilung erfordern dürfte. Bis zum Zustandekommen der Wahlreform hält die Regierung es für an- gemessen, alle anderen großen politischen Fragen ruhen zu lassen, und will sih in dieser Zeit, unter gleichzeitiger steter Bedachtnahme auf die Erhaltung der Machtstelung und Wehrkraft der Monarchie, mit aller Thatkraft wirthschaftlihen und finanziellen Aufgaben zuwenden. Die neue Regierung übernimmt das mit Ungarn verein- barte Werk zur Herstellung der metallislhen Währung und wird be- strebt sein, daéselbe mit Ernst und Umsicht weiterzuführen. Ebenso wird die Regierung großen Werth darauf legen, daß im Wege des parlamentarischen ŒEinvernehmens die Reform der directen Steuern zum Abschluß gebraht werde. In Erkenntniß der großen Bedeutung der Socialpolitik in der heutigen Verwaltung und der Nothwendigkeit der Fürsorge für die arbeitenden Klassen wird die Regierung diesem in unserer Zeit so überaus wichtigen Gebiete staatlicher Thätigkeit thr besonderes Augenmerk zuwenden und behält sich vor, hierüber seiner Beit bestimmte Vorschläge zu machen. Das Gelingen der . Justizreformen, welche zum großen Theile die Interessen des rechtsuchenden Publikums und der Be- völkerung überhaupt direct berühren, wird die Regierung si dringend angelegen sein lassen. Nüßliche Reformen zur Hebung der sittlichen und materiellen Verhältnisse und somit der Bildung und des Wohl- standes liegen im Interesse des ganzen Bolks und darum auch sämmt- lihen Parteien des Hauses gleihmäßig am Herzen. Die Ne- gierun I Und en Wenn Mer die Parteischeidungen uri U O Mle in gemeinsamer Pattiotisder Arbeit zusammenfinden wollen. Offenheit und Wahrheit im öffentlichen Leben, volle Anerkennung der Bedeutung der yarlamentarischen Institutionen, die wirksame Förderung aller bereckch- tigten wirthschaftlihen Interessen, eine kräftige, auf der ohe der Zeit stehende Verwaltung, eine entschiedene Abwehr aller den Frieden des Staats und die allgemeine Wohlfahrt störenden Elemente, dies find die Gesichtêpunkte, von welchen sich die Negierung bei der Führung der offentlichen Geschäfte leiten lassen will ; fie hofft in ihrer schwierigen Aufgabe auf das Vertrauen und die Unterstüßung aller Wobldenkenden, welche für ihr Volk warm empfinden und denen das Ansehen Oesterreichs theuer ift.

ÎZn der Erklärung des Minister-Präsidenten wurden be- sonders die Stellen mit lebhaftem Beifall aufgenommen, die die Ankündigung der Wahlreform, die Aufrechterhaltung der finanziellen Aufgaben und der Steuerreform, die Anerkennung der parlamentarishen Jnstitutionen und die entschiedene Ah- wehr aller friedenstorenden Elemente enthalten. Einen stürmischen Charakter nahm der Beifall bei der Stelle an, die Offenheit und Wahrheit im öffentlihen Leben ver- spricht. Nah dem Schluß der Erklärung erhob sich anhaltender und immer sih erneuernder Beifall. Hierauf verlangte der Jungczeche Herold unter Unruhe und Zwisthenrufen das Wort. Auf eine von dem Präsidenten von Chlumecky an das Haus gerichtete Anfrage beschloß dieses mit sehr großer Majorität, dem Abg. Herold das Wort nicht zu ertheilen. (Unruhe, lebhafte Zwischenrufe.) Für Ertheilung des Wortes stimmten die Jung- czehen, Altczechen, Slovenen, Croaten, Antisemiten und Deutschnationalen. Eingegangen sind Negierungsvorlagen über den Bau der Eisenbahn Halicz-Ostrow mit zwei Abzweigungen, die Erwerbung der Linien der Local-Eisenbahngesellschafi durch den Staat, die Herstellung der Jbbsthalbahn, der Meirerer Localbahnen auf Staatskojten und die Verlängerung der Ge- bührenerleihterungen bei den Conversionen der Eisenbahn- Prioritäten. Nach der Verlesung der Vorlagen stellten die Abgg. Herold und Genossen einen Dringlichkeitsantrag auf Er- offnung ver Besprehung über die Erklärungen des Mini- steriums. Herold begründete den Antrag und erklärte, das Regierungsprogramm schweige über das wichtigste, nämlich über die nationale Frage. Das böhmische Volk habe zu dieser Regierung, deren Zusammenseßung selbst ein Programm sei, kein Vertrauen. Die beantragte Dringlichkeit der Be- sprehung der Negierungserklärung befürworteten die Abgeord- elen Vazl, Fanderlit, Lagtnia, Lueger, Vascaty und Bankini. Der Abg. Lueger fragte, wen die Regierungs- ertlärung unter den friedenstörenden Elementen meine. Gegen die Dringlichkeit sprachen die Abgg. Abrahamowicz und Heilsberg ; leßterer wies darauf hin, daß die bevorstehende Debatte über das Budgetprovisoriuum ausreihenden Anlaß zu einer wünschenswerthen Erörterung der Regierungserklärung Be Die Ouinglite wiirde fodann m [l gegen 87 Stimmen abgelehnt. Dafür stimmten die Czechen, die Südslaven, die Antisemiten und die Deutschnationalen. Das Haus ging hierauf zur Tagesordnung über, insbesondere zur Fortseßung der vor der Vertagung des Reichsraths be- gonnenen Wahlreformdebatte. Nachdem sämmtliche gegen die Vorlage vorgemerkten Nedner auf das Wort verzichtet hatten, wurde die vor der Vertagung eingebrachte Regierungsvorlage sammt den dazu vorliegenden Jnitiativanträgen dem Wahl- reformausschuß überwiesen, die Sißung sodann geschlossen.

Jm Herrenhause verlas der Minister-Präsident Fürst Windischgräß ebenfalls die Programm-Erklärung, die mit vielem Beifall aufgenommen wurde, und hielt sodann folgend2e Ansprache: :

„Mit dieser Erklärung ist Seiner Majestät Regierung vor das Adgeordnetenhaus getreten, und, indem sie die Ehre hatte, dieselbe zur Kenntnißnahme des Herrenhauses zu bringen, erlaubt sie sich, der Erwartung Auédruck zu geben, daß das Herrenhaus, das mit Recht als Hort des österreichishen Patriotismus bezeihnet und als diejenige Körperschaft angesehen wird, in der die zwischen den Parteien be- stehenden Gegensäße gemildert werden, geneigt sein wird, der Regie- rung in Erfüllung ihrer {weren Aufgabe seine wohlwollende Unter- stüßung angedeihen zu lassen.“

Der Club der Conservativen und der Club der vereinigten deutschen Linken traten gestern nah der Sißung zusammen. Jm Club der Conservativen theilte der Obmann Graf Hohenwart mit, daß die Abgg. Klaic, Dorcis/ Dalal, SUpPUl Férfancic, Küusar, Gregovec, Graf Alfred Coronini, Gregoric, Nabergey und Zal- linger ihm brieflich angezeigt hätten, daß sie mit Rücksicht auf die politische Lage aus dem conservativen Club austräten. Der Club nahm hierauf cinstimmig eine Resolution di Pauli’s an, daß er an allen seinen religiösen, politischen, natio- nalen und wirthschaftlihen Grundsäßen unentwegt festhalte und nur in diesem Sinne die Regierung zu unterstüßen bereit sei. Ebenso wurde eine Resolution Sulklje's angenommen,

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worin der Club erklärt, fest entschlossen zu sein, an den Grundsägzen * der Gleichberehtigung aller österreichischen Volksstämme festzuhalten und diesen zum Durchbruch “e verhelfen. Die ausgetretenen Slovenen constituirten sich einem selbständigen Club, der Klaic zum Obma und Ferjancic zu dessen Stellvertreter wählte. l der vereinigten deutschen Linken nahm unter stürmischem Beifall einstimmig eine Resolution Heilsberg's an, dahin gehend, daß der Club von der Erklärung des Ministeriums mit Befriedigung Kenntniß nehme. Jn zuversichtlicher Erwartung daß die Regierung die angekündigten Grundsäße aufrecht- halten und verwirklichen werde, sprehe der Club seine Bereit- willigkeit aus, das Ministerium zu unterstüßen und mit allen Parteien, die ihr Verhalten ähnlich einrichteten, das für cine gielbewußte Arbeit des Parlaments ersprießlihe Einvernehmen zu pflegen. Der Club beschloß ferner, den Club des liberalen Centrums (Coronini-Club) zu begrüßen und einzuladen, dis neue Gruppirung zu unterstüßen.

In der gestrigen Sißung des ungarischen Unter-

hauses erklärte im Verlauf der Debatte über das Cultus-“

budget der Minister des Unterrichts Graf Csäky, er er- lenne die Nothwendigkeit einer Vermehrung der Universitäten bis auf fünf an, fügte jedoh hinzu, die Frage sei nicht akut, da noh dringendere zu lösen seien. Hinsichtlih der Congrua-Frage und der Frage der Kirchen-Autonomie, sagte der Minijter, müsse die Stellungnahme des Episkopats ah- gewartet werden. Schließlich erklärte der Minister unter dem lebhaftesten Beifall des Hauses, er wolle keine Confession ver- legen, aber auch keiner einzigen Confession die Jnteressen des ungarischen Staats ausliefern.

Der österreichish-ungarishe Botschafter in Berlin von Szögyény ist gestern aus Stuhlweißenburg in Wien ein- getroffen.

Wie die „Politische Correspondenz“ aus Graz meldet, soll die Ueberführung der Leiche des Grafen Hartenau na Sofia in aller Stille am Jahrestage der Schlacht von Pirot stattfinden. Die Einholung der sterblihen Reste des ersten Herrschers von Bulgarien werde mit gebührenden Ehren er- folgen; in Belgrad werde eine Ehrenwache aufgestellt sein.

Großbritannien und JFrland.

In der gestrigen Sizung des Unterhauses erklärte. wie „W. T. B.“ berichtet, der Präsident des Handelsamts Mundella, daß, soweit bis gestern Mittag bekannt gewesen sei, der Verlust an Menschenleben durch den leßten Orkan 237 betrage; jedoch sei zu befürchten, daß er sich noch größer erweisen werde. Die Zahl der Geretteten betrage 506. Der Abg. Dal ziel fragte an, ob die Regierung, als sie das Verbleiben des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha in feiner Stellung als Mitglied des Geheimen Naths empfohlen habe, obwohl er ein deutscher Fürst geworden sei, die Worte des Geheimrath eides in Betracht gezogen habe, und ob der Herzog als Fürst einer fremden Macht durch die Worte des Eides gebunden sein werde. Der Premicr - Minister Gladstone erklärte darauf, daß mehrere Punkte von großem Interesse und von großer Wichtigkeit im Zusammenhang mit der neuen Stellung des Herzogs entstanden seien; es empfehle sich jedoch, zu einer Aeußerung hierüber dann Gelegenheit zu nehmen, sobald alle Punkte im Zusammenhang erklärt werden könnten, anstatt sie stückweise zu behandeln. Was aber den specifischen Punkt in der Anfrage betreffe, so könne er sagen, daß dic Mitglieder der Königlichen Familie den Eid nicht leisteten Im weiteren Verlauf der Sizung gab der Parlaments- secretär des Auswärtigen Sir E. Grey die Erklärung ab, er habe über die Vorgänge in Brasilien keine neuen Nach- richten außer den ‘in den Zeitungen bereits veröffentlichten empfangen. Der Regierung sei keine Bestätigung des in Umlauf befindlichen Gerüchts zugegangen, daß die Beschießung von Nio bevorstehe. Es sei leider wahr, daß jeden Augenbli Verhältnisse eintreten könnten, die eine solhe Maßregel, un- geachtet. der Bemühungen der ausländischen Vertreter und der Commandanten der ausländischen Kriegsschiffe, herbeiführen würden. England habe vor Rio drei Kriegsschiffe, Frank- reich, Deutschland, Jtalien, die Niederlande, Portugal und die Vereinigten Staaten von Nord - Amerika hätten jeßt auch Kriegsschiffe dort. Der englishe Geshwader-Commandant und der englische Gesandte seien in Uebereinstimmung mit den übrigen Vertretern der fremden Mächte und den Schiffs: Commandanten dafür thätig, die Fremden und deren Eigen- thum zu s{hüßen. Nach achtstündiger Debatte wurde sodann ohne besondere Abstimmung die Haftpflichtbill in dritter Lesung angenommen.

Das „Reuter sche Bureau“ meldet nah Mittheilungen eines hohen Beamten der Sicherheitspolizei, daß die Hand- lungen der fremden Anarchisten in London streng überwacht würden. Falls eine Explosion oder ein sonstiges Attenta! stattfinden sollte, werde ein energishes Vorgehen, eventuell ein Ausweisungsbefehl gegen sämmtliche Anarchisten in London erfolgen.

Frankreich.

Die gestrige Sißung der Deputirtenkammer war nah einer Meldung des „W. T. B.“ wieder stark besucht. Bei der Fortseßung der Debatte über die Juterpellation Jaurès tadelte Lo ckro y die ministerielle Erklärung, welche die vom Lande verlangten Reformen nicht enthalte, und warf dem Finanz-Minister vor, das Einkommensteuerproject, über das dic Erklärung sih ausshweige, aufgegeben zu haben. Der Finanz- Minister Peytral erwiderte, dies sei ein Jrrthum. Lockroy {loß seine Rede mit der Erklärung, er sei weder Collectivi|! noch ein Feind des Vaterlandes. (Beifall auf der äußersten Linken.) Barthou (gemäßigter Republikaner) bekämpfte dic socialistishen Theorien, erklärte aber, seine Partei werde dahin wirken, berehtigte Forderungen des Volks zu erfüllen und praktishe Reformen zur Reife kommen zu lassen. S rufe bei dén Socialisten, Beifall auf der Linken.) Chau- temps sprah zu Gunsten des Zusammengehens alle! Republikaner, um die ersehnten Reformen ins Werk zu schen und den socialen Frieden herbeizuführen. Deschanel (ge- mäßigter Republikaner) wies t: die Nothwendigkeit einer Beständigkeit des Ministeriums hin und hob hervor, es 6! unmöglih, unter den Radicalen und unter den Socialisten regierungsfähige Elemente zu finden. Die weitere Berathung wurde sodann auf morgen vertagt. : ;

Die heutigen Morgenblätter constatiren eine vollständige Spaltung zwischen den Gemäßigten und Radicalen,

«

halten aber einen schließlichen Erfolg der Regierung für sicher. Rußland.

Der Ober - Hofschenk Graf Boleslaw Potocki if, wit „W. T. B.“ aus St. Petersburg erfährt, gestorben.

Jtalien.

Die Deputirtenkammer hat gestern ihre Sißzungen wieder aufgenommen. Das Haus sowie die Galerien waren voll beseßt, die Minister alle zugegen. Unter den Deputirten waren auch die ehemaligen Minister Crispi, Nicotera und di Rudini anwesend. Nach Eröffnung der Sizung wurde Jmbriani vereidigt und ergriff alsbald das Wort. Er protestirte, wie „W. T. B,“ meldet, gegen das Ver- bleiben des derzeitigen Cabinets, das Jtalien auf die Bahn des Verderbens - gebraht habe, und erklärte, er werde sih dem Verlangen anschließen, das Ministerium in Anklagezustand zu versezen. (Anhaltender Lärm.) Jm weiteren Verlauf der Sizung legte der Minister des Auswärtigen Brin ein Grünbuch über die Vorfälle in Aigues- Mortes vor. Unter den eingebrachten Vorlagen befinden si Gesezentwürfe über die Einführung einer progressiven Einkommensteuer, über eine Reform der Erbschaft s- teuer Und Uber die Nbaänderung dexr Alkohol- teuer. Der Prasident theille mit, daß das Comité der parlamentarischen Bank-Enquête ihm einen ver- siegelten Bericht nebst Anlagen“ übergeben habe. Bei der Berathung über die Veröffentlihung dieses Berichts ent- spann sich eine Debatte, worin beantragt wurde, den Bericht sofort zu verlesen. Der Minister-Präsident Giolitti erklärte, daß die Regierung niht in die Debatte eingreifen werde : persönlih als Deputirter wünshe er die Verlesung. Diese wurde hierauf beschlossen und unter großer Aufmerksamkeit begonnen. Der Bericht besagt, daß fich keinerlei Beweis jur elne poutishe Simome in dem Verkehr zwischen der Negierung und den Banken ergeben habe, und erwähnt, daß eine systematische Sorglosigkeit in dem Benehmen der Regierung gegenüber den Banken von 1880 bis jeßt gewaltet habe. Die Commission mißbilligt, daß man den wesentlichen Theil des Berichts Biagini's über die Banca Romana ver- tusht habe, und erklärt, daß niht alle bei Bernardo Tanlongo beschlagnahmten Papiere den Behörden zurückgegeben worden seien. Der Bericht {ließt mit der Erklärung, daß Ztalien eine schwierige Periode durhlebt habe, aber unversehrt und ruhmvoll aus derselben hervorgegangen sei. Die Anlagen zu dem Bericht, die gleichfalls verlesen wurden, behandeln einige Acte der Deputirten Amadei, Delvecchio, San- donato, Elia, Maffei, Montagna, Mazzino, Simonetti und Miceli. Von Grimaldi wird gesagt: er habe nur für gericht- liche Angelegenheiten als Advocat eine Summe Geldes cr- halten; die Commission erachte es für ausgeschlossen, daß er noh eine andere Summe Geldes empfangen habe. Jn Bezug auf Nicotera wird erklärt, cs habe sih nicht herausgestellt, daß er irgend eine Summe erhalten habe, die er für sih ver- wendet habe. Der Bericht beklagt die Jntervention des Ünter- Staatssfecretärs San Giuliano in der Angelegenheit Faro. Die Commission tadelt ferner die Beziehungen von einigen Journalisten und sechs Staatsbeamten zu der Banca Nomana. Sie erachtet die Beschuldigung, daß Giolitti im November 1892 von der Banca Romana einen Betrag für Wahlzwecke erhalten habe, für nicht erwiesen, Die Commission hält es für ausgeschlossen, daß der Minister Lacava Geld für die Wahlen empfangen habe, bedauert jedoch, daß Lacava die Escomptirung zu Gunsten eines Privaten befürwortet habe. Bezüglich der Haussuchungen bei Tanlongo sei cs gewiß, daß nicht alle beschlagnahmten Documente den Gerichtsbehörden zugestellt seien: allein es habe sih nicht ergeben, daß öffentlihe Beamte die Docu- mente beseitigt hätten. Was die Ernennung Tanlongo's zum Senator betreffe, so mißbillige die Commission, daß Giolitti vor der Ernennung nicht die Ergebnisse des Enquêteberichts Biagini’'s zu Rathe gezogen habe. Nach Verlesung des Be- rihts und der Anlagen entstand eine große Bewegung. Viele Deputirte der äußersten Linken verlangten das Wort. Der Präsident hob unter großem Lärm und Pfeifen um 9 Uhr 20 Minuten die Sißung auf. Die Aufregung dauerte noch einige Zeit fort.

n der gestrigen Sißung des Senats wurde der Antrag der Senatoren Pierantoni und Parenzo, das Decret über Zahlung der Zölle in Gold den Ausschüssen zu über- weisen, angenommen.

Heute Vormittag trat der Ministerrath zu einer Be- rathung über die Lage zusammen. Wie die „Ag. Stefani“ meldet, beschlossen die Minister ihre Demission einzureichen.

Der öfterreichisch - ungarishe Minister des Auswärtigen Graf Kälnoky ist gestern Abend von Florenz nah Venedig abgereist.

Spanien.

Heute Vormittag findet, wie „W. T. B.“ aus Madrid berichtet, in Melilla eine Zusammenkunft des Generals Macias mit dem Bruder des Sultans statt. Abends wird der Ministerrath zusammentreten, um das Resultat der Zusammenkunft zur Kenntniß zu nehmen.

Nach einer Mittheilung aus Barcelona sind dort mehrere fremde Anarchisten ausgewiesen worden und sollen heute über die französishe Grenze gebracht werden.

Velgien.

In einer gestern Vormittag in Brüssel abgehaltenen Ver- sammlung der Mitglieder der Rechten, woran 87 Abgeordnete theilnahmen, erklärte dem „W. T. B.“ zufolge der Minister- Präsident Beernaert: alle Mitglieder der Rechten hätten sich in der Frage der proportionellen Vertretung für die Wahlen Actionsfreiheit gewahrt ; allein wenn die Nechte niht minde- stens der Aufnahme des Princips der proportionellen Ver- tretung in das neue Wahlgeseß zustimmen sollte, so werde er zurücktreten.

Amerika, _ Von der brasilianishen Gesandtschaft in Berlin ist dem „W. T. B.“ ein amtliches Telegramm aus Rio de Janeiro von gestern Vormittag 8 Uhr zugegangen, das folgendermaßen lautet: „Die Festung von S. Joao hat am Mittwoch den Moniteur „Javary“/, der sih in der Gewalt der Jnsurgenten befand, beschossen und am Nachmittag desselben ‘Tages auf der Rhede von Rio in den Grund gebohrt.“ Der Präsident von Brasilien Peixoto hat an den „New - York Herald“ ein Telegramm gerichtet, das besagt, die Regierung habe den Abgesandten José Mariano verhaften lassen. Dieser habe Depeschen für die Aufständischen Überbracht, die Mittheilungen über eine in Pernambuco bestehende Verschwörung zur Herbeiführung eines Aufstandes ent- hielten. Jnfolge dessen habe die Regierung den Belagerungs- zustand über Pernambuco verhängt und die Leiter der Verschwörung verhaftet. Die Colonnen der Nord- Armee, welhe in Santa Catarina operirten, hätten die Rebellen geschlagen. Eine große Zahl der- elben sei verwundet oder getödtet worden. Nach

einer Depesche desselben Blattes aus Montevideo fahre Peixoto neuerdings auf den Höhen der Stadt E auf. Eine allgemeine Beschießung Rios scheine bevorzustehen : fortwährendes Feuer werde gegen das Handelsviertel gerichtet, viele Personen seien verwundet worden, das diplomatische Corps werde seinen Sig nach Petropolis verlegen.

Afrika.

Das „Reutershe Bureau“ meldet aus Kairo, daß im Budget für 1894 die Einnahmen auf 10 075 009, die Aus- gaben auf 9 540 000 egyptishe Pfund veranschlagt worden seien.

Nach einer Meldung desselben Bureaus aus Kapstadt von gestern habe eine englische Recognoscirung festgestellt, daß die Armee Lobengula's zersprengt und Lobengula selbst, nur in Begleitung einiger treuer Detachements, in die Wälder entflohen sei. Major -Forbes seße die Verfolgung des Königs fort, dessen Gefangennahme sicher sein solle. Der Krieg gelte für beendigt.

Parlamentarische Nachrichten. Deutscher Reichstag.

Der Bericht über die gestrige Sißzung befindet si in der

Ersten Beilage. 4. Sißung vom Freitag, 24. November, 1 Uhr.

__ Der Sigung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssecretäre Dr. von Boetticher und Freiherr von Marschall, sowie der Königlich preußische Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten von Den

Die erste Berathung der Handelsverträge mit Nu- mänien, Spanien und Serbien wird fortgeseßt.

Abg. Dr. Paasche (nl.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß die Verträge in eine Commission verwiesen werden follen; es werde dort vielleicht gelingen, die Bedenken zu beseitigen, welche auch bei einzelnen seiner Parteigenofssen gegen die Verträge noch vor- lägen. Auch er wünsche niht, daß ein Vertrag angenommen werde, der die Landwirthschaft shädige, ohne der Industrie Nutzen zu bringen; er glaube aber gerade, daß die vorliegenden Verträge der Landwirthschaft keine neuen Lasten auferlegen, dagegen der Industrie Vortheil bringen. Was den vielfach getadelten Vertrag mit Oesterrei betreffe, so sei er au jeßt noh der An- sicht, daß man bei ähnlichen Verhältnissen einen olchen Bertrag wieder annehmen würde. VJeßt erscheine vielleicht der Vertrag als ein Fehler; aber damals hatte Rußland seine Grenzen durch ein Ausfuhrverbot gesperrt; wir hatten hohe Getreidepreise, und wenn nicht durch die Verträge die Zollermäßigung erfolgt wäre, fo bâtte man wahrscheinlich auch ohne Verträge die Zölle herabgeseßt zum Schaden der Landwirthschaft. Die Denkschrift, welche den jeßt zur Berathung stehenden Handelsverträgen beigegeben ist, ent- hält nur ein fnappes ftatistishes Material: hätten wir das Material g?habt, welches der Staatsfecretär gestern vorgetragen hat, so würden manche Bedenken nicht entstanden sein. Redner wendet sih dann gegen das Flugblatt des Bundes der Land- wirthe, über welches gestern {hon mehrfach gesprochen ist. Es sei unrecht, wenn behauptet werde, daß diejenigen, welche für die Handels- verträge seien, kein Herz für die Landwirthschaft hätten. Er babe durch feine Schriften das Gegentheil bewiesen und stehe dech auf dem Boden der Handelsverträge. Wenn ein vershuldeter Großgrundbesißer von seinem Besißthum gehen müsse, so fei das kein nationales Ún- glück, wenn der Betreffende seine landwirthschaftlihen Vorstudien vielleicht nur durhgemaht habe auf der Reitshule in Han- nover, auch dann nicht, wenn er ein erfahrener Land- wirth sei. Aber es handele sich nicht um die ‘Großgrund- besißer allein, sondern um die gesammte Landwirthschaft, für die er nicht ein Necht auf Rente, aber ein Reht auf Existenz überhaupt verlange. Der Bauernstand sei das Rückgrat des Staatslebens uyd bei ihm könne man nit sagen, daß irgend ein anderer an seine Stelle treten Tônne, wie bei den Großgrundbesißern. Diese kleinen Landwirthe müßten geschüßt werden. Aber die Ueber- treibungen des Bundes der Landwirthe mit den über- mäßigen Angriffen auf die Regierung, mit ihrem Miß- brauh der statistishen Zahlen könne er niht billigen. Es werde von einer Zunahme der spanischen Ausfuhr nach Deutschland gesprochen, aber dabei vergessen, daß die Einfuhr zum größten Theil aus spanischen Cisenerzen bestehe, welhe der Abg. Freiherr von Stumm dringend nothwendig brauche, um seine Arbeiter zu beshäf- tigen. Wenn man diese abrehne, dann ergebe sich keine Steigerung

sondern cine Abnahme der Ausfuhr von Spanien nah Deutschland;”

dagegen fei die Ausfuhr Deutschlands nach Spanien erheb- lid gestiegen. Auh die Zahlen, die über Numänien angeführt seien, hätten keine Bedeutung, denn die Einfuhr aus Nu- mânien fei nur gestiegen, weil wir Futtermittel aus Rumänien ge- braucht hätten. Aus Argentinien sei viel mehr eingeführt nah Deutsch- land, ohne daß man diese Einfuhr als einen Nagel zum Sarge der deutschen Landwirthschaft betrachtet habe. An Brotgetreide habe Ru- mänien nur einen kleinen Bruchtheil nah Deutschland eingeführt : die Hauptmenge sei nah England gegangen. Spanien habe einmal im Jahre 1892 Noggen importirt und zwar 232 000 t; aber in den ersten neun Monaten dieses Jahres nur 53 t, d. h. fo viel wie ein Groß- grundbesißer über seinen Hof führe. Deswegen brauche man keine Angst um die Landwirthschaft zu baben. Wie die Handels8verträge vorlägen, hätte er auch manches anders gewünscht; aber einen Schaden für die Landwirthschaft könne er davon nicht befürchten. (Schluß des Blattes.)

Die Abgg. Luß, Dr. Freiherr Heereman von Zuydwyk, von Ploeyß, Dr. Bachem, Graf von Dönhoff-Friedrichstein und Dr. Hahn haben den {on früher eingebrahten Antrag auf Erlaß eines Heim- stättengesepes für das Deutsche Neich von neuem im Reichs- tag eingebracht.

Den Einzellandtagen hat es bisher an einem fo instructiven Handbuch gefehlt, wie es Professor Joseph Kürschner für den Deutschen Neichstag geschaffen hat. Das kleine schwarz-weiß-rothe Büchlein Hat eine gute Aufnahme gefunden, aber au den Wunsch rege e für die Einzellandtage ähnlihe Bücher zu be- sien. Für den bayerischen Landtag ist Kürschner bereits diesem Wunsche nachgekommen und jeßt damit beschäftigt, im Verlage seines Neichstagsbuches (Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart) ein ent- sprehendes Werkchen über das neue preußishe Abgeordneten- haus herauszugeben. Das Buch wird fich in jeder Beziehung genau an das in feiner Form und Anordnung bewährte Reichstagsbüchlein anschließen, dieses aber naturgemäß in der Zahl der Porträts noch übertreffen. Das neue Wah geseß gelangt in dem Buche zum Ab- druck. Wir werden seiner Zeit beim Erscheinen unsere Leser von der vollzogenen Ausgabe unterrichten.

Nr. 46 A des „Centralblatts der Bauverwaltung“, herausgegeben imMinisteriumder dffentlihenArbeiten, vom 22. November, hat folgenden Inhalt: Preisbewerbung um ein Kinderhospital in Riga. Preisbewerbung um ein Krankenhaus. in Gothenburg. Wettbewerb um ein neues Stadttheater in Rosto. E Preisaus\chreiben für Aufsäße aus dem Gebiet des Eisenbahn- wesens.

Statistik und Volkswirthschaft.

i Zur Arbeiterbewegung.

In Leipzig lehnte der „Lpz. Z.*“ zufolge eine \socialdemo- fratische Versammlung eine P gg ee s ab, die sih gegen die Parteiführer Bebel und Auer wegen ihres Vorgehens gegen die gewerkshaftliche Bewegung richtete.

Aus Straßburg wird dem „Vorwärts“ berichtet, daß der Ausstand der Sattler in der dortigen Militäreffecten-Fabrik von Jan sen beendet ist. Es wurde eine kleine Aufbesserung der Löhne und ahttägige Lohnzahlung erzielt. (Vergl. Nr. 249 d. Bl.) Der „Köln. Ztg.“ wird aus Straßburg geschrieben: „Die Straßburger Social- demokratie hat einen empfindlihen Verlust erlitten. Der geistig alle anderen überragende bisherige Genosse Maler Albert Hufenbeck erklärte öffentlih seinen Austritt aus der focialdemokratishen Partei. Auf Grund ernsten Studiums ist er, wié er sagt, zu der Ueberzeugung von der Unhaltbarkeit der socialdemokratishen Bestrebungen ge- kommen und hat nit gesäumt, seiner Ueberzeugung auch durch die That Folge zu geben. E M

__ Hier in Berlin wollen, einer Mittheilung der Berliner „Volks- zeitung“ zufolge, die Lackirer der Lampenbranche in eine Lohn- bewegung eintreten. Ihre Hauptforderungen sind Grhöhung der Accordsäße, Verkürzung der Arbeitszeit und Abstellung einer Reihe von gesundheitlihen Mißständen in den Werkstätten. Zur Aus- arbeitung der Forderungen ist eine Commission gewählt worden, die au mit den Kleinmeistern in Fühlung treten will.

In Budapest soll, wie dem „Vorwärts“ gemeldet wird, eine Lohnbewegung der Goldschläger wegen 25 procentiger Lohnkürzung in Aussicht stehen.

_ Veber den Ausstand der Beamten der Lehighthalbahn liefen bei der Londoner „A. C.* widersprehende Nachrichten ein. Während die Behörden das bevorstehende Ende des Ausstandes ankündigen, seßen die Ausständigen Vertrauen auf den Erfolg ihrer Sache. In Savre herrschte große Erregung, weil die Leute entschlossen schienen, das Ablaufen von Zügen zu verhindern (vgl. Nr. 278 d. Bl.).

Kunst und Wissenschaft.

Jm magnetishen Observatorium zu Potsdam sind am 5. November d. J. die Magnetnadeln in zwar schr Éleine aber lebhafte Shwingungen gerathen, wie es bereits mehrfach der Fall gewesen is, wenn die Erschütterungs- welle eines fernen Erdbebens das Observatorium erreicht. Die Vermuthung, daß eine solhe Ursache die Bewegungen verursacht hatte, ist als zutreffend anzunehmen, nachdem aus den Comptes-rendnus der Afademie zu Paris (6. November 1893) bekannt geworden ist, daß in Grenoble fast zur selben Zeit ein Erdbeben vom Seismographen registrirt wurde: nach Privat- nachrichten ist die Erdershütterung auch im Observatorium der Kaiserlichen Marine zu Wilhelmshaven aufgezeihnet worden.

Wie wir bereits bei einer früheren Gelegenheit hervor- gehoben haben, geschehen die ständigen Aufzeichnungen der Bewegungen der Magnetnadeln auf photographischem ege in Gestalt von Curven. Die zu Potsdam erhaltenen Registri- rungen zeigen an, daß von den drei magnetishen Instrumenten der im magnetishen Meridian unifilar aufgehängte Magnet nah einem kurzen ersten Stoß in ziemli lange, fast 20 Mi- nuten andauernde Schwingungen gerathen war: der bifilare Magnet zeigte nur cine s{chwahe Andeutung, während die in der magnetischen Ost-Westrihtung um eine horizontale Are shwingende Waage deutlich zwei kürzere Stöße, sodann einen länger dauernden (circa vier Minuten) erkennen läßt.

Die genauere Zeitbestimmung ergiebt, daß die von etwa Südwest kommende Welle das Observatorium zuerst um 5 Uhr 4 Minuten 50 Secunden Morgens erreichte ; eine zweite Er- shütterung: ist zu bemerken um 5 Uhr 7 Minuten 15 Secunden.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrung®- Maßregeln.

Cholera.

ODesterreih-Ungarn. Dem „Oesterr. San.-Wes.“ zufolge wurden in Galizien vom 7. bis 14. November Morgens in 16 zu 7 politishen Bezirken gehörenden Gemeinden 41 Cholera-Erkrankungen mit 23 Sterbesällen gemeldet. In der Gemeinde Doroszoußz (Bukowina) erkrankten am 10. bezw. 13. November 2 Personen, davon ist 1 gestorben. In Ungarn wurden vom 4. bis 10. No- vember 62 Erkrankungen und 41 Todesfälle gemeldet, darunter 4 bezw. 3 in Budapest. Im Kreise Dolnja Tuzla (Bosnien) wurden vom 16. bis 22. Oktober 169 Erkrankungen (mit 85 Todesfällen) amtlih nachgewiesen.

Türkei. Vom 31. Oktober bis 6. November wurden für Kon- stantinopel und Umgebung folgende Cholera-Erkrankungen (und Sterbefälle) amtlih gemeldet: in Skutari 12 (5), davon §8 in der Kaserne Selimié, im Hospital Haidar Pascha 5 (8), zu Stambul 2 (3), zu Galata 2 (2), Pera 2 (1), Tophané 1 (2), im Arsenalhospital 9 (1), zu Hasföi 4 (4), am Bosporus zu Kuzgundscuk 1 (1) und in dem Bujuk Liman-Hospital 1 (—). Die Gesammtzahl der seit dem 10. September angezeigten Erkrankungen (und Sterbefälle) beziffert ih auf 344 (202).

Persien. Vom 23. Oktober bis 1. November wurden aus Sari 60, Barfrusch 40, Rescht 50, Mez inan 60, S habru d 70, Asterabad 90, Sebzevar 30, Mesched 150, Kum 50, Teheran 450 Todesfälle an Cholera gemeldet. Seit Ende Oktober ist die Seuche îin Bender-Abbas am persishen Golf erschienen.

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Der Gesundheitsstand in Berlin war in der Woche vom d. bis 11, November ein der Vorwoche ähnlicher, und auch die Sterblichkeit blieb die gleihe mäßig hohe (17,3 pro Mille und Jahr). Unter den Krankheitsformen kamen zumeist acute entzündlihe Prozesse der Athmungs organe in größerer Zahl zum Vorschein und führten au in gesteigerter Zahl zum Tode; au Erkrankungen an Grippe wurden häufig beobachtet; aus der der Berichtswoche vorher- gegangenen Woche wurden d Todesfälle an Grippe mitgetheilt. Dagegen zeigten sih acute Darmkrankheiten feltener und führten auch nur in 33 Fällen zum Tode. Die Theilnahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit war die gleih niedrige wie in der Vorwoche; von je 10 000 Lebenden ftarben, auf’'s Jahr berehnet, 45 Säuglinge. In der Berichtswoche ist keine weitere Erkrankung an Cholera vorgekommen. Von den anderen Infectionskrankheiten kamen Erkrankungen an Masern und Diphtherie etwas zahlreiher, an Scharlach ein wenig seltener als in der Vorwoche zur Anzeige. Erkrankungen an Masern waren besonders in der Rosenthaler Vorstadt, Er- krankungen an Diphtherie in der Friedrihstadt und in der Rosenthaler Vorstadt häufig. Erkrankungen an Unterleibs- typhus wurden nur wenig bekannt. Dagegen kamen wieder Erkran- kungen an Kindbettfieber häufiger zur Kenntniß; au rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut waren nicht selten. Erkran- fungen an Keuchhusten waren gleifalls häufig, doch war der Verlau ein milderer. Rheumatishe Beschwerden aller Art, velmwi Muskelrheumati8men, wurden in gesteigerter Zahl zur ärztlihen Be- handlung gebracht.

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Nuhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 23. d. M. gestellt 12 289, nit rechtzeitig gestellt keine Wagen. “In Oberschlesien sind am 21. d. M. gestellt 5036, nicht redht- ¡eitig gestellt keine Wagen.