1893 / 283 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 27 Nov 1893 18:00:01 GMT) scan diff

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Deutscher Reichstag. 5. Sißzung vom Sonnabend, 25. November, 1 Uhr.

Die erste Berathung der Handelsverträge mit Ru- mänien, Spanien und Sérbien wird fortgeseßt.

Ueber die Rede des Abg. Freiherrn von Hammerstein, der zunächst das Wort haite, ist bereits in der Nummer vom Sonnabend berichtet worden. Darauf nimmt das Wort der

Staatssecretär Freiherr von Marschall:

Die Ausführungen des Herrn Vorredners haben mir insofern eine gewisse Enttäushung geb aht, als ich nah dem alien Saß „Ende gut, Alles gut“ die bestimite Zuversicht hatte, daß nun er als vierter aus der Reihe der Gegner der Verträge nun endlich das bringen würde, was ich seit drei Tagen erwarte, nämlich den Nach- weis, daß wirklih diese Handelsverträge der Landwirthschaft einen \dweren Schaden bringen und daß sie die Existenz der Landwirthschaft bedrohen. Der Herr Vorredner hat das nicht gethan. Jch setze nunmehr meine ganze Hoffnung auf die Berathungen dex Com- mission (Heiterkeit links); und wenn auch da dieser Beweis nicht angetreten wird, so hoffe ih, daß es in zweiter oder dritter Lesung im Plenum geschehen roird.

Der geehrte Herr Vorredner hat Zweifel darüber ausgedrüdt, ob der Herx Neichskanzler mit seiner gestrigen Nede eine Absage an die conservative Partei habe richten wollen. Ich glaube, die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers haben in dieser Bezichung keinen Zweifel gelassen. Wir bekämpfen die agrarische Bewegung in der Art und Weise, wie sie im Gange if}, niht deshalb, weil fie Ver- bindung mit derx conservativen Partei hat; wir bekämpfen sie in den Punkten, wo sie thut, was nit conservativ ist. (Widerspruch rechts.) Meine Herren, ih bin weit davon entfernt, die conservative Partei zu identificiren mit dieser Bewegung. Ich weiß sehr wohl, daß es viele Männer mit wahrhaft conservativer Gesinnung giebt, die alles thun, was in ihren Kräften steht, um Auswüchse von dieser Bewegung fern zu halten. Ih weiß auch, daß in der conservativen Partei dieses hohen Hauses manches tief bedauert wird, was heute draußen geschicht, und hoffe auch, den Herrn Vor- redner zu dieser Gruppe zählen zu können. Er selbst wird ja Gelegenheit haben, in dieser Nichtung zu wirken.

Der Herr Vorredner sprah von der Stimmung in der Land- wirthschaft; gewiß wird die Regierung die Pflicht haben, Stimmungen und Verstimmungen zu beobachten ; allein als Grundlage für eine ztel- bewußte Handelspolitik kann doch die wechselnde Stimmung in den erwerbenden Kreisen niht gelten. (Widerspruch rets.) Mit der Stimmung ist es ein eigenes Ding. Als ih vor bald 15 Jahren als einer der Ersten in Süddeutschland für einen Getreidezoll von 1 M cintrat, galt ich als ein extremer Agrarier. Das war zur Zeit, als in der conservativen Partei die Meinungen außerordentlich ver- schieden darüber waren, ob ein Getreidezoll für die Landwirthschaft nüßlich oder {chädlich fei. (Hört, hört! links.) Und als vor fsechs Iahren der Getreidezoll von 3 auf 5 4 erhöht werden follte, waren es die Delegirten aus Ostpreußen, die sih gegen diese Erhöhung aussprachen und wünschten, man folle ihnen lieber die Aufhebung des Jdentitätsnachweises geben. (Hört! hört! links.) Und wenn wir heute für einen 3,590 Mark-Zoll eintreten, heißt es: Das sind Menschen, die von der Landwirthschaft überhaupt garnichts Venteben, (Detertell lin) J behaupte: wenn ich die Rede, die ih vorgestern gehalten habe wit der Schlußfolgerung, daß 3,50 ein angemessener Getreidezoll sind, vor zehn SJahren gehalten hätte, würde mir die confservative Partei Beifall gerufen haben; denn damals war ein 3,50 Mark-Zoll. etwas, was man wünsdhte, was man für unerreichbar hielt. (Sehr richtig! links.) Die Behauptung, die ih neulich aufstellte, daß diese Stimmung, die heute in landwirthscchastlihen Kreisen herrsht, nicht eine ganz natürliche sei, daß auch vieles geschehe, um die Verstimmung zu \chüren, halte ih voll und ganz aufrecht. Was wird nicht alles den Land- wirthen heute erzählt von der unfähigen Regierung, die die Handels- verträge abgeschlossen hat, die {weren Schaden der Landwirthschaft brachten, die Existenz der Landwirthe betrohten! Man s\pricht von Tribut an Desterreih und Jtalien, man spriht fogar von unge- zählten Millionen, die wir den beiden Ländern \chenken auf Kosten des erwerbenden deutshen Volkes. Meine Herren, wer in diesem Augenblick solhe Dinge in die Massen des Volkes hineinwirft, der hat entweder die Pflicht, die Behauptungen zu beweisen, oder er muß den Vorwurf tragen, daß er cine Agitation unterstüßt, die keine andere Wirkung haben kann, als Verwirrung und Mißstimmung in weiten Kreifen der landwirthschaftlichen Bevölkerung zu erregen : und das ist der Vorwurf, den ih der agrarishen Bewegung mache.

Ja, meine Herren, das ist das punctum saliens, und darauf kommt es an, daß die Herren einmal den Beweis antreten, ob wirkli die Handelêverträge der Landwirthschaft den Schaden zugefügt haben, den sie behaupten. Ih habe neulich auf Grund eines um- fassenden Materials die Behauptung aufgestellt: es is nicht richtig ; ih sage heute nochmals: diese Behauptung ist falsch, und ih erwarte, daß Sie endlich irgend? einen Beweis tarüber vorbringen.

Die Ermäßigung eines Zolles kann an sich eine Production in doppelter Weise s{ädigen: einmal durch Ermäßigung des Preises. Ich habe Ihnen den Beweis geliefert, daß die heutige Preis- conjunctur in gar keinem Zusammenhange \leht mit den Handels- verträgen, und daß die Preise heute niht höher wären, wenn wir den 5 Mark-Zoll statt des 3,50 Mark-Zolles hätten.

Eine Ermäßigung des Zolles kann zweitens die Production \{hädigen dadur, daß sie den inneren Markt bedroht, die speculative Einfuhr fördert. Ich habe wiederum auf Grund eines umfassenden Materials den Béèweis geliefert, daß das inländishe Korn im Augenblick den inländishen Markt in einer Weise beherrsht, wie es in den lezten 20 Jahren noch niemals geschehen is, und daß von einer speculativen Einfuhr um so weniger gesprolzen werden kann, weil zur Zeit die Einfuhr so niedrig ist, wie sie seit Ein- führung der Getreidezölle niht gewesen ift.

Nun, meine Herren, gestatten Sie mir, do den Herren gegen- über, die neulich so entrüftet waren, daß ih von „Vecstimmung erregen“ sprach, cinige Beispiele zu geben. Jh habe hier einen ganzen Pak von Zeitungsausschnitten, dessen Inhalt ih nicht über Sie ergießen will. Jch brauche nur einen Griff in die agrarische Literatur der lehten 48 Stunden zu machen, um genügendes Material zum Berwocise meiner Behauptung zu haben.

Ich komme zunächst zurück auf das Correspondenzblatt des Bundes der Landwirthe, welches gestern {hon der Herr Abg. Dr.

Paasche treffend beleuchtet hat. Ueber den Ton, in dem dieses Schrift- stück gehalten ist, will ih nicht \sprehen; man sagt : Der Ton macht die Musik. Ob diese Musik \{chön ist, das ist Geshmacksahe. Da wird nun zunächst behauptet, die verbündeten Regierungen trieben dur ihre Handelsverträge eine „{chwächlihe Freihandelspolitik“, indem sie den guten {ußzöllnerischen Tarif vom Jahre 1879 noch ermäßigt haben. Der biedere Landwirth, der das liest, denkt natürli: also waren 1879 die Getreidezölle höher. In Wahrheit aber waren damals die Getreidezölle eine Mark, und jeßt sind sie 3,50 M

Dann geht der Verfasser über auf die Frage der spanischen Spritzölle. Er erwähnt, die verbündeten Regierungen hätten da eine Denkschrift gemacht, daß die \panische Weinausfuhr nah Frankreich zurügegangen sei. Nun führt er die Statistik an der spanischen Weinausfuhr nah Frankreißh vom Jahre 1889, 1890 und 1891, zeigt, daß in diesem Jahre die Ausfuhr von Wein aus Spanien nach Frankreich dieselbe war, und kommt zu der Conclusion: „sona ist die Weinausfuhr Spaniens nach Frankreich nicht zurückgegangen.“" Der einfache Landwirth weiß natürlicherweise niht, daß das, was in der Denkschrift steht, sich auf das Jahr 1892 bezieht; denn am 1. Februar 1892 ift der spanisch-französishe Handelsvertrag zu Ende gegangen, und von dem Augenblick an ift infolge der Erhöhung der französiscen Zölle die Spritausfuhr von Spanien nach Frankreich unmöglich gemacht. Auch hier denkt der Landwirth: das ist die thörichte, unfähige Negierung, die wieder eine Behauptung aufgestellt hat, die absolut nicht wahr ist, und die unsere Leute vom Bunde der Landwirthe sofort erkannt und widerlegt haben.

Dänn wird gesprohen von den Concessionen, die wir in Spanien erreiht haben, und da sagt der Verfasser: wir hätten garnihts erreicht; und um das zu beweisen, wird eine Gegenübcr- stellung gemaht von den spanischen Zöllen auf unfere Exportartikel und von den deutschen Zöllen auf dieselben Exportartikel, und da natürlicherweise kommt das Resultat, daß die svanischen Zölle höher sind als die unseren. Ja, es wäre wunderbar, wenn das anders läge; denn für die Artikel, in denen Deutschland eine kräftige, blühende Cxportindustrie hat, erheben natürlich wir geringe Zölle und die anderen Länder, die sih gegen unseren Export {hüten wollen, sehr hohe Zölle. Daß man gerade umgekehrt argumentiren muß, nämlih die spanischen Arttkel für unsere Exportartikel und die deutschen Zölle für die spanischen Erportartikel zusammenzuhalten, das ist dem Verfasser nicht eingefallen, oder es ist ihm vielleicht ein- gefallen, er hat aber geglaubt, baß es fo mehr Wirkung bei den Land- wirthen macht.

Und nun kommt sein Urtheil über den rumänischen Handels- vertrag; es ist noch ungünstiger als dasjenige des Herrn Abg. von Hammerstein. Er sagt:

„Rumänien hat für einen dreifach so hohen Werthbetrag Zu- geständnisse erhalten und es hat einen dreimal so hohen Zolltarif erhalten. Rumäniens Vortheil ist somit demjenigen Deutschlands mehr als fechsfach überlegen.“

(Heiterkeit.) Der rumänische Zolltarif soll dreimal so hoch sein wie der deutsche! Der Vergleich ist an sich unmögli; denn Zolltarife verschiedener Länder find incommensurable Größen: gleiche Zahlen geben vershiedenen Schuß, verschiedene Zahlen geben gleichen Schuß. Und wenn wirkli} unfer Zolltarif, angesihts unserer hochentwidelten Industrie, niedriger wäre als in Rumänien, einem Lande, wo die Industrie erst im Beginnen ist, so wäre das niht wunderbar. Ich habe mir eine Zusammenstellung machen lassen, eine Vergleichung zwischen dên rumänischen und deutschen Zöllen, und daraus ergiebt sich, daß für alle die Produkte, die jeßt in Rumänien producirt werden, also namentlih die ordinären Pro- ducte der Textilindustrie, Shuhwaaren u. \. w,, allerdings der rumä- nische Tarif sehr hoh ist, daß er aber für andere Producte vielfach Wee gender I ale Der Deut Zan, Cs E vou für eine ganze Reihe von Objecten in Rumänien Zollfreiheit eingeführt,

wo wir hohe Zölle haben, und namentlich in der feineren Textil- industrie haben die Numänen vielfa geringere Zölle als wir.

Auch die Behauptung ist fals, daß die Rumänen für cine dreifach größere Summe von Export Vortheile gezogen hätten. Wir haben von 25 Millionen Franken Ermäßigungen, wir haben für 10 bis 30 Millionen Bindungen der Zollfreiheit, und wir haben für den Rest unserer - Exporte werthvolle Bindungen erhalten; es wird sich also ungefähr die Sache gleihstehen. Das, meine Herren, ift die Art und Weise, wie man die Landwirthe belehrt über die Wir- Tung der Zollverträge. (Sehr richtig! links.)

Aber freilich, meine Herren, es kommt noch besser. Ich habe beispielsweise gestern in der „Kreuzzeitung“ einen Artikel gelesen. (Hört, hört! links.) Jch komme erst später auf das, was der Herr Abg. Rickert meint. (Große Heiterkeit.) Der Artikel handelt über die öôsterreihische Statistik und über die Schlußfolgerungen, die nh hiernah ergäben auf unseren Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn. Es werden merkwürdiger Weise in dieser Mittheilung keine Zahlen angegeben; cs wird nur im allgemeinen eine Schilderung mitgetheilt über die Wirkung des Handelsvertrages im vorigen Jahre und am Schluß die übliche Conclusion gezogen: daß man sehe, wie unglaublich ungeschickt die Regierung dabei gehandelt habe. (Zuruf rechts.) Ich kann unmögli alle die Sachen vorlesen; ih glaube, der Herr Abg. von Hammerstein is vollkommen über das orientirt, was in der «Kreuzzeitung" steht. (Heiterkeit.)

Ich habe mir darauf die Statistik geben lassen; daraus ergiebt sich, daß im vorigen Jahre nah der österreichishen Statistik die Ausfuhr Desterreihs nah Deutschland abgenommen und die Ausfuhr nach Desterreih zugenommen hat. Der Betrag is nit gerade sehr bedeutend: es hat sich unsere Handelsbilanz nach der österreichischen Statistik um etwa 185 Millionen Gulden verbessert, d. h., wir haben im vorigen Jahre an Oesterreich-Ungarn für bezogene Waaren 185 Millionen Gulden weniger gezahlt als im Jahre vorher, 1891 das ist wohl das, was man unter dem „Tribut“ an Vesterreich-ÜUngarn versteht. (Heiterkeit links.)

Und nun, meine Herren, habe ih gestern ein Stimmungsbild gelesen, ebenfalls in der „Kreuzzeitung". Ih muß sagen, daß bei einer Kritik dieses Stimmungsbildes in der That der parlamentarische Ausdruck einigermaßen versagt. (Heiterkeit links.) Nicht nur, dáß eine große Menge von Behauptungen aufgestellt wird, die absolut fal\ch sind, und bei denen es ganz unbegreiflih ist, wie der Verfasser überhaupt auf dieselben kommen konnte, es heißt im Beginne, daß „unter den Augen der Negierung troß des Zollkrieges wir mit russishemn Getreide überschwemmt werden.“ (Hört, hört! links.) FIch fann hier die bestimmte Versicherung abgeben, daß das

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System der Ursprungszeugniffe dermaßen correkt fungirt, daß aus Rußland kein anderes Getreide hereinkommt als das, was mit 7,50 H. verzollt wird. (Bewegung.) Aber, meine Herren was im übrigen darin steht, das ist ich kann nicht anders E das Maßloseste an Aufreizung, was ih seit vielen Jahren ge- lesen habe. (Hört! hört! links, Bewegung.) Was darin steht, diese Verquickung des 5 Mark-Zolles mit der Königstreue, dieser Gedanke, daß wir mit unseren Verbündeten Krieg anfangen sollen, um den 5 Mark-Zoll wieder einzuführen ja, da kann ih nur sagen: wer sole Dinge als Stimmungsbild der Landwirth\chaft bezeihnet, der beleidigt aufs fs{chwerfte die ganze Landwirthschaft. Denn solche Gedanlen zu haben, dazu find unsere Landwirthe zu klug und zu patriotish. (Lebhafter Beifall links und im Centrum.)

Der Herr Vorredner hat dann seine principielle Auffassung über die richtige Zollpolitik der meinigen entgegengestellt und gesagt, er stimme überhaupt für keine Tarifverlräge. Das ist eine Ansicht wie eine andere. Ich erkläre, daß damit der Herr Vorredner den Boden der Zollreform vom Jahre 1879 vollkommen verläßt. Der Herr Abg. Freiherr von Slumm hat gesiern {hon mit vollem Necht darauf hingewiesen, daß damals bei der Berathung der Zollreform mit keinem Worte davon die Nede gewesen is, daß Tarifvertröge nicht mehr abges{chlossen werden follen, daß im Gegentheil in amt- lichen Aktenstücken vom Megierungstisch und auch aus dem Hause von Anhängern der Zollreform hervorgehoben wurde gegenüber den Frei- bändlern, daß das mit eincs der großen Verdienste dieser Zollreform sci, daß man durxh Einführung solcher Zölle fi einen Com- pensationsfactor s{hasfe, auf den man verzichten könne gegen- über denjenigen Staaten, die Gleiches mit Gleihßem ver- gelten, und ten man aufrechterhalten müsse gegenüber denjenigen Staaten, die unseren Export erschweren. Ich gehe noh weiter, ih sage: für ein Land, welches, wie Deutschland, weil der innere Markt der Production nicht genügt, cxportiren muß, ist der Abschluß von Tarifverträgen die nothwendige und logishe Consequenz eines jeden ‘ationellen SchutzzoUsystems. (Sehr richtig! links.) Denn erst durch Abschluß von Tarifverträgen gelangt der richtige Gedanke des Schutzes der nationalen Arbeit zum Ausdruck, indem dann alle Theile der nationalen Arbeit der staatlichen Fürsorge theilhaftig werden. Man könnte viel eher den Ausführungen des Herrn Vorredners gegen- über die Frage aufwerfen: ob wohl der Zolltarif vom Jahre 1879 die Mehrheit des Reichstags auf si vereinigt haben würde, wenn dos zustimmende Botum irgend eine moralishe Verpflichtung enthalten hâtte, der handelspolitishen Fahne zu folgen, welche gegenwärtig der Bund der Landwirthe aufrollt. (Hört! hört! links.)

Der Herr Vorredner ist dann auf Einzelheiten des rumänischen Vertrages übergegangen, hat aber sofort einen Grundirrthum be- gangen, indem er den rumänischen Zolltarif einen Kampfzolltarif nennt. Wenn irgend ein Zolltarif diefen Namen nit verdient, so ist es dieser. Der rumänische Zolltarif beruht auf Beschlüssen einer Com- mission, die im Jahre 1889 eingeseßt wurde unter dem Vorsitz des späteren Ministers Carp mit dem ausdrücklihen Auftrage, einen Zoll- tarif zu entwerfen, der mindestens auf fünf Jahre ohne jede Verände- rung durch Berctrag in Geltung bleiben solle, um auf Grund der Erfahrungen zu sehen, wie denn nah fünf Jahren der Tarif revidirt werden könne; und es ist ein Verdienst der deutschen Negierung ge- wesen, daß es gelungen ist, dort überhaupt dem Gedanken Eingang zu verschaffen, jeßt {on Abänderungen dieses Tarifs zuzugestehen.

Der Herr Vorredner bemängelt, daß wir nicht genug Zoll- ermäßigungon crhalten haben. Wenn er dabei unter Anderem auf die ordinären Filze, auf Schuhwaaren kam, so hat tas seinen natür- lien Grund darin , daß gerade diese ordinären Waaren der Textil- industrie, der Lederindustrie u. \. w., Erzeugnisse gerade derjenigen Industrie sind, die in Numänien im Werden is, und daß die rumänische Negierung die natürliche Pfliht hat, diese Industrie gegenüber dem übermächtigen Auslande zu {üßen. Und was die Textilindustrie betrifft, fo ist ja richtig, daß in dieser Beziehung nicht Alles erreicht ist, was vielleiht wünschenswerth gewesen. Was die Wollgewebe betrifft, die von 150 auf 135 Fr. zurückgeseßt wurden, so ist dies nah der Anschauung der Industriellen in Deutschland eine recht erhebliche Concession. Und ih will dem Herrn Vorredner auch sagen, warum es niht möglich war, noch mehr zu erreichen. Der Grund lag darin, daß die rumänischen Delegirten in der Lage waren, den deutschen Zolltarif aufzushlagen und zu sagen: ihr erhebt ja felbst 135—220 #4 für denselben Artikel. (Hört! hört!) Vielleicht wird der Herr Vorredner zugeben, daß das doch etwas beweist; denn Deutschland ist doch jedenfalls in der Textilindustrie etwas weiter als Numänien.

Im übrigen haben mich die Ausführungen des Herrn Freiherrn von Hammerstein insofern einigermaßen erstaunt, als ih jezt sehe: wie es die verbündeten Regierungen au anstellen, dem Herrn Vor- redner ist es nie recht. Vor zwei Jahren ist ein großes Geschrei gewesen : Scht nur, die Negierung {ließt Handelsverträge ab, ohne die Industriellen zu hören; die Handelsverträge müssen ja {let ausfallen ! Und nun haben wir die Industriellen bezügliß Rumäniens gehört, die Industriellen haben erklärt, daß im großen ganzen das, was erreicht sei, genügend fei, und nun kommt Herr von Hammerstein und weiß alles das besser. (Heiterkeit.) Er wird verzeihen, daß ich bei aller Anerkennung seiner großen Kenntnisse hier doch auf die Urtheile der Industrie einen größeren Werth lege als auf das, was er sagt.

Der Herr Vorredner sggt dann weiter, die Rumänier würden natürlich alles das, was sie uns gewährt haben, nun auch allen anderen Staaten gewähren, Davon ist mir bis jeßt nichts bekannt. Die Rumänier haben mit einigen Staaten Meistbegünstigungsverträge ab- geschlossen, aber kündbar auf ein Jahr. Bis jeßt ist Deutsch- land der einzige Staat, der mit Numänien einen Vertrag auf zehn Jahre abgeschlossen hat, also gesichert ist, daß in den nächsten zehn Jahren eine Aenderung in den Zöllen Rumäniens nicht eintreten kann. Und was die Verhältnisse zwischen Besterreih-Ungarn und Rumänien betrifft, so ist bis jeßt ein Vertrag überhaupt nod niht zu stande gekommen. Ih weiß nicht, ob das- der Fall sein ( wird und was in dem Vertrage stehen wird,

j Ueber die anderen Details, die der Herr Vorredner vorgebracht hat, werden wir uns ja in der Commission unterhalten können. Der Herr Vorcedner hat, wie das auch Herr von Ploetz gethan hat, sehr sharf hervorgehoben die Gemeinschaftlihkeit der Interessen der Industrie und der Landwirthschaft. Die verbündeten Regierungen stehen voll und ganz auf diesem Grundsatz ; ih bedauere nur lebhaft, daß ich bei allerbestem Willen in den Bestrebungen, wie sie heute

\ außerhalb dieses Hauses zu Tage treten, diesen richtigen Grund-

gevanken niht in dem Maße zur Geltung kommen sehe, wie ih es wünschte; daß im Gegentheil bei der agrarischen Bewegung und bei dem Verlangen, daß diefer rumänische Handelsvertrag abgelehnt werde, eine einseitige Vertretung agrarisher Interessen und eine Verkennung jenes Grundsfaßes zu Tage tritt. Wenn der Vertrag mit Numänien, wie es der Herr Vorredner beantragt hat, von dem hohen Hause ver- worfen werden sollte, fo wird kein Landwirth im ganzen Deutschen Reich einen Pfennig Gewinn davon haben, wohl aber werden Sie wichtige Theile unserer Industrie und eine große Menge von Arbeitern schädigen, und diese Schädigung wird, deß bin ih gewiß, indirect auch die Landwirthschaft treffen. (Sehr richtig! links.)

Abg. Dr. Hammacher (nl,) erklärt zunächst, daß nit alle seine politischen Freunde die Ansichten des Abg. Dr. Paasche, mit dem er für die Handelsverträge eintrete, theilen. Einige haben grundsäßliche Bedenken gegen die Verträge, und verlangen, in Gemeinschaft mit der Mehrheit der Partei, eine gründliche Prüfung der Verträge. Die Schutzzollpolitik ist ohne Abschluß von Handelêverträgen nicht denkbar. Die Schußzölle follen der Regierung den festen Boden für die Ver- tragsverhandlungen abgeben ; das hat au der Abg. von Kardorff bei früheren Verhandlungen vielfa ausgeführt und auch Fürst Bismarck hat sich in ähnlichem Sinne ausgesprochen. Wenn alle Staaten auto- nome Zolltarife hâtten, dann wäre ein ZoUkrieg entstanden; die Z2oll- mauern wären immer höher gemacht worden; der deutshe Gewerbefleiß hätte fih auf den heimischen Markt beschränken müssen, der nicht die ganze Production aufnehmen kann; Tausende von Arbeitern würden brotlos geweorten sein. Wie ist es denn in Numänter fommen? Desterreih dachte: Ich bin groß und Numänien ist klein : es stellte Bedingungen für einen Vertragsabschluß, auf welccke die Numänier nicht eingehen wollten, weil sie ih {on als Staat fühlten. Es fam zum Zollfrieg und Oesterreihs Auétfuhr u Rumänien verschwand fast vollständig. Gerade solche kleinen Länder leisten in einem Zeollkrieg den allergrößten Widerstand. Sehen Ste auf die Schweiz und ihr Verhältniß zu Frankreih. Ner niemand in, den Rethen meiner Partci würde den Verträgen zustimmen, sobald er überzeugt wäre, daß irgend einex ErwerbsgruÞbpe ein Nachtheil daraus erwüchse. Denn das Getreide, das niht aus Numänien eingeführt wird, wird von anderer Seite ein- geführt, sodaß der Landwirthschaft kein Schaden geschieht, und die industriellen Sachverständigen sind ‘mit dem Vertrage zufrieden. Deutschland hat erhebliche Berluste im Auslande erlitten, deshalb ift es dringend nothwendtg, daß es seine Handelsbeziehungen möglichf|t aufrecht erhalte. Gerade die Herrcn vom Bunde der Landwirthe sollten sih hüten, die Verheßzung in die Massen zu tragen: fie soll dafür sorgen, daß die Fundamente unserer bürgerlichen Gesellschaft nicht ersœüttert werden. Was jeßt draußen getrieben werde, das sei socialistishe und antisemitishe Agitation. Die Conservativen foll die Handelsverträge annehmen, damit würden fie Consérvalive Politif ebn : i

(bg. v. Kardorff (Np.): Ziffern sind allerdings {wer an- zuführen für die Schädigung der Landwirthschaft. Jch will nur Gines ansühren: Rumänien hat feinen Getreidezoll gegen Nußland : russishes Getreide geht unkehindert nach Rumänien und kommt von dort nach) Deutschland; mit den Ursyrungéattesten wird dort niczt fo sorgfältig verfahren. Das hat man auh anderwärts gesehen; von Holland ist z. B. viel mehr Getreide importirt worden, als dort überhaupt wächst. Der Staatssecretär Freiherr von Marschall hat dem Bunde der Landwirthe Agitation vorgeworfen: wenn die Großgrundbesißer untergehen, so will ich davon gar niht sprechen; aber wenn die Bauern immer mehr ver- schulden und s{licßlich zur Verzweiflungs getrieben werden, \o ift es kein Wunder, daß sie ihrer Mißstimmung scharfen Ausdruck geben. Befonders sollten die Regierungen bedenken, daß wir auf dem Lande zu Tampfen haben gegen Soctaldemckratie und Freisinn, die beide in der s{chlimmsten Weise das Volk verhezen. Da müssen wir zu sharfen Waffen greifen, wenn wir bestehen wollen als eine Partei, welche die Negterung unterstüßen kann. Aber der Ton der Polemik fällt s{liclio auf die Partei zurück, welche ihn vers{hlechtert. Das zeigt am besten der Rückgang der freisinnigen Partei unter dem Abg. Nichter. Ich möchte deshalb den Bund der Landwirthe warnen. Jch bedaure sehr, daß z. B. ter Abg. Dr. Schult-Lupiß dem Bunde den Rücken gekehrt hat, troßdem er eigentlich mit zu den Gründern der andwirthschaftlißen Bewegung gehört, aber der Ton des Bundes der Landwirthe war daran \{uld. Die

O | S Gefeßgebung

er leßten Jahre hat die Landwirtbschaft geschädigt. Die Zucker- E : L

erportpramt!en 2

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sind aufgehoben, so daß Deutschland überflügelt wird on Frankreih und Oesterreich; die amerikanischen Trichinen wurden freigegeben, die Grenzen wurden geöffnet, so daß die Viehseuchen ein- dringen konnten, während früher bei allen Biehkrankheiten eine volle Grenzsperre stattfand. Die Maul- und Klauenseuche habe ih felbs in meinem Stalle gehabt und habe den Schaden gefühlt, ter da- durch eintritt; er betrug für mi 11 000 Dann folgte die Herab- seßung der Getreidezölle auf 3,50 1, die der Abg. Freiherr von Stumm als eine Schädigung der Landwirthschaft bezeichnet hat. Er meinte freilich : wäre der Handelsvertrag nicht zustande gekommen, fo wären die Zölle beseitigt worden. Das glaube ich durchaus nit. Das ift allerdings nicht zu verkennen: der Zoll allein macht es nit: die Währung thut dabci sehr viel. Nachdem jeßt die amerikanische Regierung die Sherman- und die Bland - Bill aufgehoben hat, wird ein Krach eintreten, bei welhem nicht bloß die Landwirthschast, wie bisher, allein, sondern au die Indus strie und die Finanz einen gigantishen Krach erleben werden, wie cs in Australien der Fall war. Sehen Sie doch das Goldagio in Portugal, Spanien, Italien u. |st. w. Der Reichskanzler hat Recht, daß die von ihm citirten Artikel des Correspondenzblattes des Bundes der Landwirthe nicht auf einem sehr hohen geistigen Niveau tehen. Aber wenn ich mir einige Artikel aus einem fo geistreih ge- shriebenen Blatte, wie der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ her- ausnehmen würde, so würde sich da au manches Ünzulängliche finden. Wenn sich Uebel im Staatsleben fühlbar machen, dann ist es doch Sache des leitenden Staatsmannes, die Abhilfmittel anzu- geben. Der Abg. Freiherr von Hammerstein hat {hon einige Dinge angeführt; ich habe oft genug auf die Währungsfrage hingewiesen, aber erst jeßt haben wir eine fo entgegenkommende Erklärung wie die vorgestrige des Staatsfecretärs Freiherrn von Marschall erhalten. Viel- leicht erkennt die Regierung bald, daß die Währungsfrage die einzige ist, wo der Landwirthschaft geholfen werden kann. Der Reichskanzler hat cine Wendung falsch aufgefaßt. Ich habe ihm nicht gewünscht, daß er ein vershuldetes Grundstück besißen soll, sondern ih war der Meinung, die Beamten müßten wie früher einen Theil ihrer Revenüen aus landwirths{aftlihen Grundstücken beziehen. Man macht uns den Vorwurf, daß wir egoistishe Interessen vertreten. Wir vertreten aber nur die Interessen des Bauernstandes, der sich jeßt in einer {weren Nothlage befindet; der Bauernstand ist aber das Nückgrat des Staats. Fn meinem Kreise wohne ih jeßt seit 40 Jahren, und jeßt zum ersten Mal sind bäuerliche Besitzer nicht mehr gekommen und haben mich gefragt, wohin sie wohl ziehen soll- len, um vorwärts zu kommen. Ich halte den Handelsvertrag mit Dejterreich für einen wirthshaftlihen Fehler, und ih kann diesen Fehler niht nachträglih dadurch janctioniren, daß ih jeßt die Berträge billige, welhe eine Folge der früheren Verträge sind. Wir gerathen auf die \{iefe Ebene, auf welche die englishe Land- wirthschaft gekommen ist, die auch die englische Großindustrie hinter sich hatte und doch zu Grunde gegangen ist. Die englishen Bauern sind verschwunden und die Zahl der irischen Bevölkerung ist um die Vâlfte zurückgegangen. Wenn diese Verträge. durhgebracht werden, dann ist es ganz unmögli, den russishen Vertrag abzuleßnen. Der Abg. Dr. Paasche meinte, das sei etwas Anderes. Aber ic) bezweifle die Festigkeit des Willens nicht des Abg. Dr, Paasche, aber vieler Reichstagsmitglieder in dieser Beziehung. Die Verluste, welche die Industrie erlitten hat, find nicht zu vergleichen mit denen der Land- wirthschaft. In Frankreich ist der Verlust ausgeglichen dur eine Cürsorge für die Landwirthschaft, gegen die wir reine Kinder find,

Es kommt kein Hammel mehr nah Frankrei hinein und die Getreide- zölle find von einer guten Höhe. Fch wünsche, daß wir au bald fagen Tönnen, daß unsere Regierung für eine Hebung ‘der Landwirth- schaft gesorgt hat.

Abg. Pr. Meyer - Halle (fr. Ver.) : Mir scheint cher eine Absage des Bundes der Landwirthe an den Reichskanzler vorgelegen zu haben, als eine Absage des Reichskanzlers an die Conservativen. Der mehrfah erwähnte Artikel der „Kreuzzeitung“ {ließt mit folgenden Worten: Wir müssen den Vertrag mit Oesterreih und Italien zer- reißen, und wenn es mit dem Schwert in der Faust sein muß; besser einen chrlihen Kampf auf Tod und Leben, als diefes Verhungern bei lebendigem Leibe. Gegenüber solchen Angriffen war mir die Absage vom Bundesrathstishe niht rund genug; aber die Regierung ift da- na) ents{lossen, den extremen Forderungen der Agrarier mit aller Kraft entgegenzutreten. Wenn die Regierungen das nicht thâten, fo würde allerdings das Niveau der Regierungen berabgedrüt werden, wie es bisher niemals in Preußen geschehen is. Was der Abg. Freiherr von Hammerstein vorgebracht hat an Beschwerden, datirt nicht erst von gestern und heute, sondern stammt noch aus der Zeit des Fürsten Bismark. Wenn weder Fürst Bismarck noch der Reichskanzler Graf Cayprivi die Wünsche der Agrarier erfüllen können, fo sind diese für kein Ministerium erfüllbar. Das bezicht #ch auch auf die Schafzucht, deren Rückgang bereits unter dem Fürsten Bismark eingetreten ist. Für diefe Handeléverträge {chwärme ih ebensowenig wie der Abg. ésreiherr von Stumm, aber besser diefe Handelsverträge als gar keine. In der Politik muß man immer das geringere Uebel wählen. Hâtten wir den Vertrag mit Oesterreich nicht abgeschlossen, so wären etwa hundert andere Handeléverträge zu Grabe getragen worden und das wâre für Deutschland das größte Uebel gewesen, weil es weniger gerüstet ist für handelspolitisce Kämpfe als andere Staaten. Deutsch- land bedarf des Erports und muß ctne Menge von Nohfstoffen einführen, die es nit selbst erzeugt, die es mit seinen Fabrikaten be- zahlt. Wenn diefer Export sih während der leßten zehn Fahre ver- ringert hat, so war es Pflicht der YNegierung, die Exportfähigkeit wieder zu heleben. Auf die Theorie der Handelsbilanz lege ih feinen Werth; in den ersten Jahren des Schutzolles war die Handelsbilanz günstig; mit der Dauer des Schußzolls i} sie \hlechter geworden als zur Zeit des Freißandels. Ein Zollkrieg ift {chlimmer als jeder andere Krieg, weil es nicht einen Bestegten giebt, fondern alle Betheiligten Schaden leiden. Die Handelsverträge von 1892 haben si) fo bewährt, wie man es in kurzen Zeiträumen nur erwarten tann. Auch der Weinzoll hat sich bewährt. Deutscher und italienischer Landwein entsprehen dem berrschenden Geschmack nit : der cine ist zu herb, der andere ist zu süß. Durch die Bermishung gewinnen beide Weine an Werth. Es ist eine seltsame Auffassung, wenn man sein höchstes Ziel in dem Bewußtsein sucht, daß ein anderer nod)

inehr leidet als wir. Der Abg. Graf Limburg spricht von Subsidien, die wir an Oesterreich zahlen; der Abg. Graf Kaniß dagegen meint, die Oesterreicher wären der Handelsverträge son so überdrüssig, daß sie sie am l'ebsten aufheben würden. Eins {eint nur möglih zu sein. Ich kalte beide Herren für vorzüglich unterrihtet und möchte nicht annehmen, daß einer von Beiden \{lecht unterrihtet ist. Ich kann daher nur folgende Gedankenharmonie finden: Oesterrei hat uns bei diesem Vertrage so über das Ohr gehauen, daß es ihm jeßt selbst leid thut. Daß es nachtheilig für Oesterrei ist, wenn wir einen Handelsvertrag mit Nußland abschließen, darauf können wir keine Nücksiht nehmen; das wäre keine nationale Handels- politik. Eine Commissionsberathung halte ih nicht für nöthig.

Abg. Dr. Boeckel (Nef.-P.): Wir werden die Verträge ab- lehnen, wie wir st. Z. geschlossen als einzige Partei gegen den öster- eichishen Vertrag gestimmt haben. Wenn die Verträge nicht abge- lehnt werden, wünsche ih, daß mindestens eine imposantere Minder- heit gegen dieselben herausfommt als bei den früheren Verträgen. Das Centrum hat die Folge seiner Zustimmung in Bayern gefühlt an der Agitation des Bundes der Landwirthe; es wird sich hoffentlich befehrt haben. In Bayern kann man sehen, daß die agrarische Bewegung spontan aus demn Volke entstanden ist. Ein warmes Herz für die Landwirthschaft zeigt der Reichskanzler nicht, wenn er die Deckbung der Militärkosten turch die Weinsteuer bewirken will, welche ledigli die Landwirthschast trifft. Für die Industrie hat der Reichskanzler auch ein warmes Herz, vielleicht ein zu warmes. Wie kann. ex dann aber die blühende Tabackindustrie an den Rand des Abgrundes bringen? Wenn die Heilung der Schäden der Zeit überlassen bleiben soll, dann brauchen wir kein Parlament und keine Regierung, Im Staate haben nur Grund und Boden einen bleibenden Werth: der Bauer ift der Urproducent, und gerade die Noth der Landwirthe in diesem Jahre hat cinen [{chweren Geldmangel zur Folge gehabt. Noth thut die Abschaffung des Nömischen Rechts, welches kein Bauernrecht, sondern ein Latifundienrecht ist. Das Uebel liegt auch in unserer Bureau- fratie. Geseggeber und Beamte haben meist eine theoretische Bildung, stehen dem Leben fern und gehen niht unter das Volk. Sie sollten einmal incognito unter die Bauern gehen und die Stimmung beobachten. Aber welcher Landrath rerkehrt denn mit den Bauern? Sie geben Diners und verkehren mit ihren Collegen und Tmmern sih nicht um die Bauern. Sie wissen nicht, wie er Bauer geschunden wird vom Landrath, vom Gendarmen und vom Bürgermeister. (Präsident von Leveßow: Ich rufe Sie zur Ordnung, weil Sie von Beamten gesagt haben, sie s{hinden die Bauern!) Ich habe uur von den Bureaukraten gesprochen. (Prä- sident von Leveßow: Sie haben es gesagt vom Landrath, Gen- darmen und Bürgermeister.) Jch halte die Agitation innerhalb der geseßlihen Grenzen für wünschenswerth, denn jeder Stand wehrt fich gegen die Steuer, die ihm auferlegt wird; das thut die Börse auch! Was soll die Landwirthschaft machen ohne Agitation! Die bisherigen Handelsverträge haben uns benachtheiligt. Man muß au in die Zukunft s{auen. Länder, die jeßt landwirthschaftliche Producte aus- führen, entwickeln sih zu Industriestaaten und können uns dann nicht mehr landwirthschaftlihe Producte liefern; unsere Landwirthschaft ift dann ruinirt und wir haben keinen Brotstoff. Wenn der Bauernstand einmal ruinirt ist, dann kann er dur die Beamten nicht wieder künstlih ins Leben gerufen werden. Aus den Markt- berichten geht hervor, daß in Mitteldeutshland die Gerste kaum placirbar is; fie is verdrängt durch ungarische und rumänische Waare. Dasselbe gilt vom Weizen, den die Bauern an das Vieh zu verfüttern beginnen. Die Preise sind fo niedrig, daß sie die Productionskosten nicht decken. Auch mit dem Zukerrübenbau ist nichts mehr anzufangen; die Brennerei ist fast zu Grunde gerichtet. Man wirft uns Antisemiten vor, wir seien die Vorfrucht der Social- demokratie. Als die antifemitishe Bewegung hoh ging, haben Sie (zu den Socialdemokraten) gezittert. Wenn unsere Ziele nit er- reiht werden, dann kommt Ihre Zeit. Aber das ist nit unsere Sqchald, sondern die Schuld der Herren vom Negierungstishe. Jch spreche nicht für mich allein, sondern für das arbeitende Volk în Deutschland. Wir werden ges{lossen gegen die vorliegenden Verträge stimmen.

Abg. Dr. von Dziembowski (Pole) hebt hervor, daß die östlichen Landestheile gelitten haben dur den Arbeitermangel, der ver- stärkt wurde durch die Ausweisung von 40 000 polnischen Arbeitern ; ferner durch die mangelnden Mai rebedäclegenbeitén, Mit dem Bunde der Landwirthe stimmen die Polen in ihren Zielen überein, aber nicht in den Wegen, die eingeschlagen werden sollen. Denn wenn der Bund der Landwirthe gegen einen Polen einen antiagrarischen Can- didaten vorzieht, so können wir das nicht billigen. Wir wünschen

eine gan Prüfung und werden deshalb für die Commissions-

berathung stimmen.

Abg. Dr. Schult -Lupiß (Rp.): Der . Abg. von Ploch hat unter Nennung meines Namens auf eine Unterredung verwiesen, die id mit ihm gehabt; er hat aber nicht den vollen Inhalt derselben an- gegeben. Ich habe ihn gebeten, die Arbeitsgebiete der Landwirth- schaftlichen Gesellschaft und des Bundes der Landwirthe streng aus- einander zu halten: aber ih habe ihm auch warm ans Herz gelegt, daß er eine große Verantwortung übernommen hat dur die agitatorische Bewegung. Er hätte die praktishe Frage der Ver- besserung der Arbeiterverhältnisse ins Programm des Bundes der

Landwirthe übernehmen sollen und einige andere Fragen. Man bätte nit nur die Preise nah oben erhöhen, fondern auch die Productions- kosten herabdrücken sollen. Alle diese Dinge habe ich dem Abg. von Ploeß gesagt. Der Bund der Landwirthe hat es dur{hgeseßt, daß ih niht wieder ins preußishe Abgeordnetenhaus gekommen bin; ferner hat man auch einige andere Abgeordnete verdrängt : die Herren Simon und Sombart, ersterer eine Autorität auf dem Gebiet des Eifen- bahnwesens, leßterer ein bewährter Landwirth (Präsident von Leveßow erklärt, daß dies keinen Zusammenhang mit den Handels- verträgen habe.) Ich habe ein großes Interesse für die Bewegung der Landwirthe, so lange sie sih nicht gegen die Regierung wendet. Aufgabe der confervativen Partei ist es aber, die nationale Fahne, die Fahne der Hohenzollern und ihrer Regierung aufrecht zu erhalten. Königstreue im Munde führen und dagegen handeln , das ist etwas, was ih niht kann. Ich stehe auf dem Boden, daß die Vorwürfe gegen die Handelspolitik der Regierung vollständig unberectigt sind; daß es ebenfo unberechtigt ist, zu glauben, daß die jeßige Regierung der Landwirth- schaft niht wohlwollend gesinnt sei. Als vor zwei Jahren Turz vor Schluß des Abgeordnetenhauses der Abg. Nichter den Antrag auf Beseitigung der Getreidezölle stellte, da hat der Reichskanzler die Zölle vertreten. Ich bin mit der Negierung zufrieden und ih werde deshalb angegriffen von Männern in machtvoller Stellung, die ‘es wahrlich nit nöthig hatten. Freilich, wenn man jemand sagt, er könne es noch besser haben, fo glaubt er es. Aber ist eine solche Agitation nothwendig? Die Thätigkeit des Bundes der Landwirthe, der ich einen nationalen Jahalt gewünscht hätte, hat sich gerichtet auf die kleinliGen materiellen Interessen. Ich wünsche, daß der Bund fich mit patriotischen Gedanken erfüllen möge. Den Herren, die jeßt auf mich selten, die dort im Osten vershuldete Güter auf leihtem Boden haben und auf die Staatsunterstützung bei der Einführung von Rentengütern rechnen, denen will ich sagen: Ohne die Lebens- arbeit von Schult-Lupitz könnte kein Bauer auf dem dortigen leichten Boden bestehen. Redner erklärt sich \hließlih für die Handelsverträge.

Nach einer Reihe persönlicher Bemerkungen {ließt die Debatte; die Verträge werden eincr Commission von 21 Mit- gliedern, überwiesen.

Der Präsident von Leveßow s{chlägt vor, am Montag die erste Berathung des Etats in Verbindung mit dem Geseßz- entwurf, betreffend die anderweite Regelung des Reichs- Finanziwesens, vorzunehmen.

Abg. Graf Hom pee ch (Centr.) bezeichnet es als ungewöhnlich, daß die erste Etatsberathung mit einem andern Gegenstand verquickt werde, und ersucht den Präsidenten, das Finanzreformgeseß nicht mit auf die Tagesordnung zu setzen.

Abg. Richter (fr. Vksp.): Jn meinem langen yarlamentarischen Leben hat mich noch niemals ein ges{äftsordnungêmäßiger Borschlag fo überrascht wie der eben gehörte, der ohne Präcedenzfall ist. Die erste Etatsberathung ist die einzige Gelegenheit nah dem Brauch des Hauses, um die ganze innere und äußere politische Lage einer generellen Be- sprehung zu unterziehen. Diese Besprehung würde durch die Ver- quickung mit einem anderen Gesetz eingeschränkt werden. Auch der Senioren- convent hat sich in Abwesenheit des Präsidenten gegen eine solche Ver- quickung ausgesprochen. Wir werden jedes geschäftsordnungsmäßige Mittel anwenden, um eine solche Verkuppelung zu- verhindern.

Abg. Dr. von Frege (dcons.) schließt fich dem Vorschlag des Präsidenten an.

Nachdem auch die Abgg. Rickert (fr. Ver.), Singer (Soc.) und Dr. von Marquardsen (nl.) sih für die alleinige Etatsberathung ausgesprochen, zieht der Präsident seinen Vor- \chlag zurü. Er begreife nicht, wie der Abg. Richter durch seine Proposition überrasht werden konnte. Er, der Präsident, habe ja vor aht Tagen sogar von der Möglichkeit gesprochen, das allgemeine Finanzgeseß vor dem Etat zu berathen. Er wolle aber vor einem niht beshlußfähigen Haufe seinen Vor- schlag nicht zur Abstimmung bringen und schlage deshalb vor, am Montag nur den Etat zu berathen.

Damit ist das Haus einverstanden.

Schluß 5!/5 Uhr.

N 4 D fentlichungen des Kaiserlihen Gesundheitsamts 22. November hat folgenden Inhalt: Personalnachrichht. Ge jeitéstand und Gang der Volkskrank- heiten (Cholera 2c.). Skerbefälle in deutshen Städten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutshen Stadt- und Landbezirken. Witterung. Grund- wasserstand und Bodenwärme in Berlin und München, Oktober. Zeitweilige Maßregeln gegèn Cholera 2e. Detgl. gegen Gelbfieber. Sanitätsverwaltung in Bayern 1890. Gesetzgebung u. \. w. (Preußen). Cholerakoiten. (Baden.) Schulbesuh epileptischer Kinder. (Oesterreich.) Verunreinigte Knochen. Gang der Thier- feuchen in Großbritannien, 2. Juli bis 30. September. Desgl. in Belgien, 3. Vierteljahr. Desgl. in Dänemark. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen (Deutsches Reich, Preußen, Frankreich, Schweden). Rechtsprehung. (Landgericht T Berlin). Widerrecht- liche Waarenbezeichnung u. st. w. (Landgericht Köln). Parai’sche Heilmittel. Verhandlungen von geseßgebenden Körperschaften. (Großbritannien). Margarine. Berauschende Getränke. Ver- mischtes. (Preußen.) Oeffentlihe Schlachthäuser 1892/93. (Preußen-Desterreih). Geheimmittel u. st. w. (Sachsen). Inva- liditätsversiherung 1892. (Hamburg). Chemisches Staats-Labo- ratorium 1892. (Rußland). Volkëzählung in St. Petersburg. Geschenkliste. Beilage. Gerichtliche Entsheidungen zum Nahrungs- mittelgeses (Milzbrand, Maul- und Klauenseuche, Blutzerseßung, E Lähme u. st. w., Eiterungen und Geshwüre, Trichinen und Finnen).

Nr. 47 des „Centralblatts der Bauverwaltung“, herausgegeben im Ministerium der öffentlihenArbeiten, vom 25. November, hat folgenden Inhalt: Nunderlaß vom 11. No- vember - 1893, betreffend den Nachrichtendienst über Hochwasser und CGisgang. Nichtamtliches: Miethshaus in der Tauenzienstraße in. Berlin. Johann August Nahl. Der Bau des zweiten Gleises der Gotthardbahn. Aus dem Neichshaushalt für 1894/95. (Schluß. Ueber Mánganstahl. Vermischtes: Weitere Entwickelung des Germanischen Museums in Nürnberg. Aus\s{chmückung des Reichs tagéhauses in Berlin. Denkmal für Kaiser Wilhelm I. in Berlin. Preisbewerbung der Gesellshaft der Wasserfreunde in Berlin. Sißung des Auêschusses für die Denkmalpflege in der Provinz Brandenburg. —— Feier des 25 jährigen Bestehens der Königlich teh- nischen Hochschule in München. Erhaltung des „Stern“ in Braunschweig.

Entscheidungen des Neichsgerichts,

Der Wechselgläubiger kann zwar, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, 1. Civilsenats, vom 25. September 1893, die Forderung aus dem Wechsel nur unter Vorlegung“ der Wechselurkunde einklagen, ‘auch ist nah rechtskräftiger Verurtheilung des Wedcsel- \{uldners fein Anspru auf Zahlung stets dur den Besiß des Wechsels bedingt ; jedo wird das Klageverfahren und die rehtskräftige Berurtheilung dadurch nicht aufgehalten, daß nach der Klageerhebung dem Kläger der Wechsel zeitweise entzogen wird, beispielsweise auf Grund eines Beschlagnahme Bel Ela eines Unter-

fuchungsrichters, welher den Wechsel als A

die gegen eine dritte Person gerichtete Unterfuhung für erheb

Ì erachtet. Y

Bei Klagen, bei welhen der Klageantrag ih ledigli auf die Art und Weise bezieht, in welcher eine an sich unbestrittene