und Heiterkeit links) — ; im übrigen will ih nur sagen, es ist das ein Vorschlag, der aus den angegebenen Gründen für die verbündeten Ne- gierungen durchaus unannehmbar ist.
Der Herr Vorredner hat denn auch auf die hohen Zolltarife Bezug genommen, welche andere Staaten vom 1. Februar 1892 eingeführt haben, und dabei angedeutet, das seien alles eigentlich nur Schreck- mittel gewefen, und das hätten die Staaten nur deshalb gethan, weil sie gewußt hätten, daß wir Vertragsverhandkungen mit ihnen führen wollen. Wenn das zuträfe, dann müßten die anderen Staaten eine ganz merkwürdige Divinationsgabe gehabt haben, denn die Zolltarife der anderen Staaten waren fertig oder nahezu fertig gestellt, viele Monate, bevor wir unsere Commissäre nah Oesterreih-Ungarn gesendet haben. Der Zolltarif von Numänien ist bereits im Jahre 1889 in einer Commission durhberathen worden ; dasselbe war der Fall mit dem Zolltarif in Spanien, und der neue Zolltarif in der Schweiz ift bereits am 2. Mai 1890 in der Bundeêsversammlung vorgelegt worden, also wenige Wochen, nachdem der sogenannte „neue Curs" ins Leben getreten war, und monatelang, bevor überhaupt in der Oeffentlichkeit bekannt wurde, daß die verbündeten Negierungen Tarifverträge ab- schließen wollten. Und dieser s{chweizer Zolltarif, der heute noh, wie ih aus Zwischenrufen entnchme, ein Popanz genant wurde, wurde von der Bundesregierung mit folgenden Worten motivirt:
Umgeben von großen Staaten mit ausnahmslos \{utzöll-
e Umg groî e s nerisher Geseßgebung, wird die Schweiz Schritt für Schritt zu Maßnahmen gezwungen, welche mit den freihändlerishen Traditionen niht mehr übereinstimmen.“
Und zu den großen Staaten, auf die hier Bezug genommen wird, gehören Oesterreih-Ungarn, Jtalien und au) Deutschland. Die Sache verhält sich genau umgekehrt: nicht die anderen Staaten haben die Zolltarife erhöht, weil sie wußten, daß wir den Weg von Tarif- verträgen beschreiten wollten ; sondern umgekehrt, die verbündeten Regierungen haben nach sorgfältiger Erwägung den Weg von Tarifverträgen für den richtigen gehalten, nachdem es unwider- ruflih fesfistand, daß am 1. Februar 1892 nicht nur alle Tarifverträge außer Kraft traten, sondern an Stelle der bisherigen freihändlerischen Auffassungen die hohen, theilweise prohibitiven Zolltarife treten würden, welche seit längerer Zeit die anderen Staaten sich vorbereitet hatten.
Der Herr Vorredner hai dann auch von der Valuta in Numänien gesprochen und gesagt, es habe vor kurzem noch ein Disagio bestanden. Das i} nicht richtig. Seitdem in Rumänien die reine Goldwährung eingeführt worden ist, seitdem ist ein Agio in Numänien nicht mehr vorhanden.
Der Herr Borredner hat es sich nicht versagen können, auf den russischen Vertrag hinzuweisen, in derselben Weise, wie es vor einigen Tagen der Herr Abg. Graf von Limburg-Stirum gethan hat. Jch habe mich darüber einigermaßen gewundert; denn s\eit zwei Jahren wird man in der Presse, die dem Herrn Vorredner nahe steht, nicht müde, es als den größter Fehler zu bezeihnen, den die verbündeten Regierungen jemals machen konnten, daß sie überhaupt Politik und Handelspolitik vermisht haben, und einer der entschiedensten Vertreter dieser Ansicht war der Herr Graf von Limburg- Stirum, der mit puritanischer Strenge jede solhe Verquickung verdammte. Und doch konnte er, als er vorgestern auf die Nedner- tribüne trat, der Versuchung niht widerstehen, von der verbotenen Frucht zu kosten. Er hat, genau wie es der Herr Abg. Graf von Bismarck gethan hat, den russischen Vertrag oder vielmehr unser politishes Verhältniß mit Rußland als Schreckgespenst gegenüber dem rumänischen ins Feld geführt. Jch kann nur daéselbe sagen, was ih wiederholt hier ausgesprochen habe. Jch bitte Sie, die vorliegenden Verträge lediglih aus sih zu beurtheilen und sih nicht darum zu kümmern, wie eiwa die Vertragsverhandlungen mit andern Ländern von statten gehen.
Bei der vorgerückten Zeit will ich mich auf diese Worte be- s{chränken. Man hat {hon zu wiederholtem Male der Vorlage der verbündeten Regierungen den alten Spruch entgegengeseßt: Hat der Bauer Geld, fo hats die ganze Welt. Der Say is} ja ganz richtig, und ich begreife, daß der Bund der Landwirthe gern damit opecrirt ; denn man kann damit eigentlih alles beweisen (Heiterkeit), und trog- dem gerade in diesem Falle fallirt er; denn wenn Sie die Handels- verträge verwerfen, so bekommt der deutshe Bauer kein Geld, aber der deutsche Arbeiter verliert sein Geld, und dann haben beide ein {lechtes Geschäft gemaht: quod erat demonstrandum. (Bravo links und in der Mitte.)
De 2) Der Abg: Graf Bismarck wollte eigentlih neue Gesichtspunkte in die Debatte werfen. Jch babe in seiner Rede fehr wenig neue Gedanken gefunden, sondern nur einige Bilder. Von der reten Seite haben wir immer nur das Interesse der Landwirthschaft vertreten hören, niemals die Interessen der In- dustrie. Von der Nothlage der Landwirthjhaft merkt man nicht viel. Redner verweist auf die Schilderung einer märkischen Hochzeit, bei welcher es hoh berging: 3 Rinder, 8 Schweine, 12 Kälber u. st#. w. und 1200 Butterkuchen sind verzehrt worden! Wenn von der allge- meinen Nothlage der Landwirthschaft gesprochen wird, so muß ich auf das Entschiedenste dagegen protestiren. Der Abg. Graf Bismark behauptet, daß die deutsche Landwirthschaft im stande sei, das nothwendige Getreide allein zu bauen. Wissenschaft und Praxis haben bisher immer das Gegentheil bewiesen. Die Verträge sollen der Weg zum Freihandel fein und der Abg. Graf Bismarck will nur ein Provisorium einführen; das ist doch nicht besonders logis{ch, denn hier sollen die Zölle auf zehn Jahre fest- gelegt werden, während bei einem Provisorium in jedem Jahre eine Aenderung möglih wäre. Von den angeblih verleßten Interessen der Landwirthschaft hat man, wie an den vorigen Tagen, auch heute nihts nahgewiesen; es sind immer nur die allgemeinen Redensarten vorgebracht worden ; man hat \sih gegen alle Handelsverträge erklärt. Cn 2 2 : c + F 5 Die Reichsregierung foll einfach dem Commando folgen, das von Ihrer Seite (rechts) ausgebt. Es is nachgewiesen, daß durch die Verträge an der Sachlage gar nichts geändert wird. Sie werfen den Socialdemokraten vor, daß sie nur die Arbeiterinteressen vertreten ; das ist begreiflich, wenn Sie ¡mit einem solchen Beispiele voran- gehen. Ich hörte neulich von einigen Herren der Rechten folgende Worte: Was hätten wir denn machen wollen, wenn wir feinen rumänischen Mais gehabt hätten; wir hätten unsere Brenne- reien s{ließen müssen. Die Breslauer Handelskammer sagt ganz richtig, daß durch den rumänischen Vertrag der Landwirth-
schaft unentbehrlihe Producte zugeführt werden. Auch die Wäh- rungéfrage ist besprochen worden und man hat sogar gesagt, daß der Bauer die Sache sehr gut versteht. Der Bauer, der von der russishen Valuta spriht, denkt daran, ob er baar Geld oder Dee bekommt, von der Währungsfrage versteht er nichts. Daß ayerishe Vertreter besonders Gegner des Vertrages sind, wundert mich; denn bei uns is von der Nothlage nihts zu merken, Daß Donau aufwärts viel rumänishes Getreide geführt wird, ist durchaus nicht richtig. Man hat berehnet, daß das seewärts aus- geführte Getreide Rhein aufwärts nah Deutschland viel billiger kommt
als das auf der Donau tranêportirte. Gegen den russischen Handels- vertrag haben sich die Bauernversammlungen ausgesprochen, aber von dem rumänischen Vertrage war niemals die Rede. Alle die Schauer- geschihten, die man sich von den rumänishen Schmuggeleien erzählt hat, sind doch niht geeignet, gegen einen Handelsvertrag Stimmung zu machen, der uns so erbeblibe Vortheile bietet. Welchen
haden die Versperrung von Absaßgebieten z. B. in Sonneberg gebraht hat, wo man den. Absaß nach Rumänien verlor, ist ja allgemein bekannt. Wohin würde cs führen, wenn nun wieder ver- schiedene Absatzgebiete verloren gehen? Die Arbeitslosigkeit würde einen unerträglihen Umfang annehmen. Die Tivoli-Versammlung hat die Nothlage der Landwirthschaft nicht bewiesen; im Gegentheil. Man hat in Berlin gewünscht, daß recht oft folche Versammlungen stattfinden, weil dadurch der Umsaß in Berlin gefördert wird. Als Robert Peel die Kornzölle in England abschaffte, wozu die Ab- geordneten contre cœur ihre Zustimmung geben mußten angesichts des hungernden Volkes, da haben fie nachher bei einem unbedeutenden Antrag den Minister in die Minorität gesezt und dadurch seinen Abgang bewirkt. Das wollen Sie (rechts) wohl jeßt vorher be- sorgen, ehe der russishe Handelsvertrag kommt. Handeläverträge festen und kitten die Freundschaft; haben wir nicht auch ein Jüteresse daran, mit Numänien in guten Beziehungen zu leben? Wenn wir auch niht so interessirt find an der orientalischen Fiage, so haben wir doch so viel Interesse daran, daß wir Rumänien stützen müssen. Ob aber dadurh das Interesse des Staats richtig ge- wahrt is, will ih dahingestellt sein lassen. Das Ansehen des Neichstags ist in den siebziger Jahren theilweise dadurch vermindert worden, daß eine so gewaltige Perfönlihkeit wie der Fürst Bismark dem|elben entgegentrat und der Reichstag die Kraft nicht besaß, dagegen aufzutreten. Damals hätte man sih eben rühren sollen. Die große Nachgiebigkeit des Neichstags ist daran {uld, daß fein Ansehen sih gemindert hat. Der Prinz Ludwig von Bayern, der Chren-Präsfident des General-Comités der bayerischen landwirth- schaftlichen Vereine, hat die Landwirthe ermahnt, nit bloß das Wohl der Landwirthschaft, sondern das der ganzen Volkswirthschaft im Auge zu behalten.
Abg. Graf Kaniß (deons.): Der Staatsfsecretär Freiherr ven Marschall hat gemeint, daß 1887 die Getreidezölle als Compensations- object für Handelsvertragsverhandlungen erhöht worden find. Das hat kein Landwirth gedacht, und das geht auh aus der Thronrede, mit welher damals der Reichstag eröffnet wurde, nicht hervor. Kaiser Wilhelm 1. machte solche Zollerhöhungen nicht zu Nego- ciationsobjecten. Ich möchte fragen: was wird, wenn diese Verträge angenommen und der russische Vertrag abgelehnt wird ? Unsere politishe Situation is sehr bedenklich, und cs würde für die Regierung vielleiht besser sein, wenn sie das Provisorium mit Spanien und Rumänien verlängern und dann alle Verträge zusammen mit dem russischen vorlegen würde. Werden die Ver- träge angenommen, dann werden die russishen Unterhändler noch zurückhaltender werden. Die Haltung der polnischen Abgeordneten hat mich etwas überrasht. Sind denn die landwirthschaftlichen Ver- hältnisse in Posen so verschieden von denen in Ostpreußen, West- preußen und Pommern? "Ich glaube nein, ih frage niht nah Motiven, aber cs scheint die Vermuthung berechtigt, daß es weniger wirtbschaftlihe als politishe Motive gewesen sind, welche die Haltung der Polen bestimmt haben. In der „Freisinnigen Zeitung“ wird von der Wiedereinführung des polnischen Unterrichts berichtet. Eine folhe Notiz sollte nicht in die Presse kommen, ohne sofort widerrufen zu werden. Ich fordere die Vertreter der Regierung auf, zu erklären, daß diese Notiz vollständig aus der Luft gegriffen is, denn dieselbe steht im Widerspruch mit den Erklärungen des preußischen Cultus-Ministers vom Januar d. F. Ich bin neugierig, ob die Berichtigung kommen wird. Dem Abg. Nickert bemerke ich, daß ih ganz consequent gewesen bin, daß ih den österreihishen Vertrag abgelehnt, das Provisorium füc Numänien angenommen habe. Ich bin der Meinung gewesen, daß Oesterreich um so weniger Vortheil von dem Handelsvertrag hat, je weiter derselbe auf andere Staaten ausgedehnt wird. Aber ih wollte nicht gleih Verträge mit zehnjähriger Dauer haben. Die Regierung hat den Conventionaltarif der Nordamerikanishen Union eingeräumt ohne jede Gegenleistung. Der Staatssecretär Freiherr von Marschall hat von der Zollerhöhung von 1887 gesvrohen. Er hat ja damals dem Bundesrath angehört und hätte uns warnen können vor den höheren Zöllen, weil dieselben der Landwirthschaft nihts nüßen. Wie die Vertragsverhandlungen einwirken, das zeigen die Börsenberichte: die Stimmung wird als flau gemeldet, weil die Aus- sichten des russischen Handelsvertrags sich steigern. Zu den Handels- vcertragsverhandlungen wird der Wirkliche Geheime Legations-Rath Hellwig vom Auswärtigen Amt, der die russishen Verhältnisse kennt, nicht gewählt, sondern der Regierungs-Rath Hofmann, der als enragirter Freihändler bekannt ift. Der Reichskanzler hat gesagt, er wäre vor die Lage gestellt gewesen, Menschen oder Waaren zu eyxportiren. Ist dem Reichskanzler nihts bekannt von dem Menschenerport vom Osten nach den Industriestädten? Gerade diejenigen Altersklassen, welche die meisten arbeitskräftigen Leute stellen, find im Osten erheblich zurückgegangen. Nach Vollziehung der Verträge wird diefer Nück- gang noch verstärkt werden, denn die Landwirthschaft wird noch mehr zurückgehen. Dem Reichskanzler wird neben 1einem Vorgänger ein ehrenvoller Play gewahrt bleiben. Beide haben für die Wehr- kraft des Reiches gesorgt, aber Fürst Bismark hat nicht bloß mit Zahlen, fondern auch mit der Qualität operirt. Redner erzählt eine Geschichte aus dem Kriege von 1870, wo Herr von Friesen zuerst ein fehr gut ausgestattetes säd;sishes Bataillon führte, das aber bald infolge der Strapazen ins Lazareth wanderte. Dann führte er ein ostpreußishes Bataillon, welches alle Strapazen aus- hielt. Das waren ostpreußishe Bauernsöhne und Knechte. Die giebt es aber jeßt niht mehr. Das wird noch \{lechter werden, wenn die Handelsverträge durchgeführt sind. Der Aufruf des Herrn Ruprecht fand großen Anklang im Volke. Es wurde in dem Aufruf getadelt, daß er die Bauern aufforderte, unter die Socialdemokraten zu gehen. Daß trotzdem dieser Aufruf Anklang fand, ist erklärlih. Wenn der Reichskanzler eine Provinzial-Zeitung zur Hand nehmen wollte, würde er auf der vierten Seite die Sub- hastationganzeigen finden. Dahinter birgt \ih vieles Leid; es ift traurig, wenn der Bauer seine Scholle verlassen muß, wenn ‘er sich fagen. muß, daß er sein Unglück nicht verschuldet hat, sondern daß er troy der größten Anstrengung die Wirthschaftskosten nicht auf- bringen kann. Diese Leute gehen in die Stadt und werden die eifrigjten Socialdemokraten. Es is nur eine Frage der Zeit, ob ein Theil der ländlihen Bevölkerung früher oder später der Social- demokratie verfällt. Die Aussichten werden immer trüber, wenn wir auf zehn Jahre Verträge annehmen. Deshalb habe ich den Antrag gestellt, die Verträge nur auf ein Jahr zu bewilligen. Der Antrag E O U Sa, af Le Veiliaad Tat ean er niht gekündigt wird; es sollen also niht jeoesmal Vertrags- verhandlungen stattfinden. Solche Verträge bestehen mehrfach, und ih sehe niht ein, warum wir diesem Beispiel nicht folgen sollen. Denn es ist eine sehr gewagte Speculation, daß wir unsere Tarife auf 10 Jahre binden follen, denn das Schußz- bedürfniß ist ein fehr variables. Der Abg. Meyer hat neulih auf den Vertrag von Methuen verwiesen; Portugal ist dadurch verarmt, England reich geworden. Adam Smith ad den Abschluß all- jähriger Handelsverträge verurtheilt. Schließt denn England einen Tarifvertrag mit Rumänien ab? Fällt ihm gar niht ein. Warum haben wir dên Differenzialzoll durch den österreichischen Vertrag erst eingeführt? Frankreih {ließt auch keinen Tarifvertrag mit Spanien ab, es behält seinen autonomen Tarif. Wir Haben unsere Zollsäße und können uns niht wehren gegen Tarifmaßregeln und andere Maßregeln auf dem Gebiete des Verkehrs. Warum wollen wir klüger sein als die Franzosen, Engländer und Amerikaner ? Ich weiß, daß der Staatssecretär {Freiherr von Marschall meinen Antrag verurtheilt hat, ehe er die Gründe kannte. Das hält mich aber nicht ab, meine Meinung auszusprehen. Jch empfehle Jhnen den Antrag, niht um die Verträge zu Fall zu bringen, sondern um sie zu verbessern, damit die Regierung die Möglichkeit hat, innerhalb
der nächsten zehn Jahre für üs: Erwerbsleben, s für diæ Land wirthschaft zu sorgen. Den Reichskanzler bitte ih, diesen Antrag woblwollend aufzunehmen im Interesse der Landwirthschaft, damit der Nothstand derselben niht in Permanenz erklärt, fondern noch ein Hoffnungsfchimmer gelassen wes:
Abg. Schulze-Henne (nl.) bestreitet, daß die nationalliberale Partei die Landwirthschaft nit berücfsichtige, er sei praktischer Landwirth und sei Schußzöllner;; er halte au cinen Zoll von 5 M, für nothwendig, deshalb sei der österreichische Handelsvertrag von ihm als ein s{hwerer Fehler bezeihnet worden. Aber für diese Grundlage der Vertragspolitik hat der Abg. Freiherr von Manteuffel felbst gestimmt. Nach reiflicher Erwägung bin ih zur Veber- zeugung gekommen, daß die Wundwirthschaft von dem rumänischen Vertrage keinen Schaven hat. Wäre dieser vorhanden. so würde die Schuld diejenigen Herren treffen, welche das Provisorium mit Rumänien gebilligt haben. Der Abg. Rickert hat davon gesprochen daß der Bund der Landwirthe durch. die Landräthe und Regierungs- Präsidenten gehalten werde. Ju wesentlihen gehören gerade die Bauern dem Bunde der Landwirthe an, und es ist durchaus nicht richtig, daß der Bund demagogish auftritt. :
Abg. von Kardorff Np.): Der Abg. Dr. von Bennigsen hat uns vorgeworfen, daß wir eine Kraftprobe machen wollten, wo das Wohl und Wehe so vieler Arbeiter auf der Tagesordnung \teht. Ich möchte doch den Abg. Dr. von Bennigfen bitten, es uns zu überlassen, die Tragweite unserer parlamentari}chen Taktik und Entschlüsse zu beurtheilen. Jch möchte doch daran erinnern, daß der Abg. Dr. von Bennigsen durch den variablen Kaffeezoll uns gezwungen hat, die schr bedenkliche clausula Franfenstein anzunehmen. Die Abgg. Fret- herr von Stumm und Dr. von Beunigfen haben von der Entlassung so vieler Arbeiter gesprochen. Jh möchte die Herren doch bitten, sih an die Brust zu klopfen; etwas Uebertreibung ist doch dabei. Der Export hört dur die Ablehnung des Handelsvertrages nicht auf; es würde doch ein testimonium paupertatis sein, wenn die Diplo- matie es nicht fertig brächte, nah Ablehnung des Vertrages ein Provisorium herbeizuführen. Die landwirthschaftlichen Arbeiter find doch auch existenzberehtigt. Sie find brotlos und gehen in die Großstädte, wo fie Socialdemokraten werden. Der lebhafte Beifall der Sccialdemokraten bei der Rede des Reichskanzlers zeigte mir, daß wir uns auf einer falschen Bahn hefinden. Die Getreidezölle sind aller- dings nach oben hin feftgelegt, aber nah unten hin besteht die Möglichkeit, sie zu ermäßigen. So kam 1872 ein Provisorium zut lande, die Eifenzölle zu ermäßigen, um Nuhe und Stabilität zu schaffen. Gin Iahr später wurden die Eisenzölle aufgehoben von derselben Negierung, und wie wird es erst werden, wenn einmal die Freisinnigen an die Regierung kommen! Man bestreitet, daß die deutshe Landwirthfchaft das für den Consum nöthige Getreide allein produciren kann. Wenn Sie die Autorität des Abg. Dr. Sculz- Lupiß so hoch stellen, so erkennen Sie die Autorität auch bei diesem Punkte an. Der Reichskanzler hat von der Competenz des Reichs in Bezug auf die Landwirthschaft gesprohen. Als er uns aus- cinandersette, daß das Reich nux für Veterinärgeseße, das Bürgerliche Geseßbuch u. f. w. competent sei, nahm ih das nicht ganz ernsthaft. Ich hielt das für eine Deduction, die man im Laufe des parla- mentarishen Gefehts so unterbringt. Da er sie wiederholt hat, muß ich annehmen, daß cs ihm damit Ernst ist. (Nedner zitink die Aeußerung des Reichskanzlers, wie er bemerkt, nah dem Oldenberg’chen Bericht.) Dieser Standpunkt {eint mir sehr verschieden zu: sein von dem des Reichskanzlers Fürsten BismarE. Jch verweise auf die Auslaffung des Fürsten Biêmarck, wie er sih der Verantroortung vor dem Volke und den verbündeten Regierungen bewußt war. Wenn der jeßige Reichskanzler auf die Einzelstaaten und ihre Landtage hin- weist, fo ist das kein guter Zustand; denn die Einzelstaaten werden dadurch gezwungen, sich weit mehr mit deu Reichstagsangelegenheiten zu befassen, als gut ist. Werden nicht die Hauptfragen: die Zoll- frage, alle wirthschaftlihen Fragen, die Militärfrage, die alle die Land- wirthe berühren, hier im Reichstag entschieden? Auf die Währungs- frage will ih nit eingehen. Aber in einem Punkte möchte ih den Reichskanzler bitten, uns niht Unreht zu thun. Er meinte, wir trieben mit der Währungsfrage demagogische Agitation. Ich führe den Kampf seit 1880; seit dieser Zeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt; aber doch nur so, daß ih an diejenigen Kreise und Leute, welche Verständniß dafür haben, Broschüren ver- theilte, daß ih in gebildeten Gesellschaften einen Vortrag halte. Wie man in einer Volksversammlung demagogish nit der Währungs- frage operiren kann, das foll mir erft einer vormahen. Jch habe die internationale Doppelwährung empfohlen, aber immer hinzugefügt, daß eine solhe Reform Jahre erfordert, daß wir während der Zei Schutzölle brauhen. Das Verleßende war, daß der Neichskanzler den Antisemitismus und die Doppelwährung zusammenbrachte. Der Antifemitismus ist eine Frage, die demagogisch behandelt werden kann : die Währungsfrage aber kann nicht demagogisch behandelt werden. Der Reichskanzler hat dem Bund der Landwirthe wilde Agitation vorgeworfen. Ohne diese Agitation wäre es sehr {wer möglich gewesen, die Armeevorlage durchzuführen. Wenn unfere Bestrebungen gegen ihn gerichtet gewesen wären, was ih durchaus bestreite, hätten wir nichts Besseres thun können, als die Dinge gehen zu lassen und uns niht in den Kampf einzumischen. Die Agitation des Bundes ist dur die Reden des Reichskanzlers hervorgerufen und wenn seine leßten Neden durh das ganze Deutsche Reich verbreitet werden, so werden sie die Agitation noch erheblich steigern. Ich kann dem Handelsvertrag principiell nicht zustimmen. Die rumä- nische Regierung hat sih vorbehalten, die Niederlassung in der Dobrudscha Ausländern zu untersagen. Ist ein: ähnlicher Vorbehalt für Deutschland gemacht worden? Das ist doch eine Anomalie. Ich freue mi, daß der Reichskanzler sich mit der Währungsfrage ernsthaft beshäftigt hat. Gr ist auf den Kernpunkt der Frage ge- kommen, nämlich ob Gold noch im Werthe steigen wird oder nicht. Darüber ist gar kein Streit mehr vorhanden, darüber sind Alle einig, das ist durch statistishe Tabellen nachgewiesen, welche angeben, daß die Waarenpreise feit Ausdehnung der Goldwährung herunter gegangen sind. Es kann alfo vielleiht eine Versöhnung herbci- geführt werden. Wir sind gern geneigt, die Schutzölle herabzuseßen, wenn die Währungsfrage international geregelt wird. Der Neichs- kanzler meint, ohne England sei das nicht möglih. Jch glaube doch. Soetbeer ist dafür eingetreten, daß alle anderen Staaten sich einigen sollen. Jch gebe mich der Hoffnung hin, daß damit der s{charfe Gegen“ saß zwischen Schußzöllnern und Freihändlern, zwischen den Agrariern und den anderen Herren gelöst werden kann.
Abg. Schippel (Soc.) erklärt sih gegen den Antrag Kaniß. Ein einjähriger Zollvertrag würde {chlimmer sein, als gar keiner. Redner erklärt fih auch gegen die vorgeshlagene Resolution. Redner wendet sih dann gegen die Auslassungen des Abg. Pr. Bennigsen über das Pariser Attentat. Er hätte in seinen Aeuße- rungen vorsichtig sein sollen, denn es wurde früher oft gesagt, daß hinter dein Nationalverein die Anarchie wäre. Der „Vorwärts“ hat nur die Sensationsnachricht kritisirt, aber nicht sein Bedauern ausgesprochen, daß die Sache nicht {lim genug ausgefallen. Nedner erinnert daran, daß man in der agrarishen Presse den Attentäter Nobiling den Parteien an die Rockshöße gehängt habe, die sich gegen den Schuyzoll erklärt haben. Abex alle diese Mittel helfen nicht mehr. In der agrarischen Presse war von den chwachen Karolingern, von den grünen Jungen die Rede, welche die. Wirthschaftspolitik des Fürsten Bismark corrigiren. Die Zeitung, welche diese Dinge brachte, war die „Deutsche landwirthschaftlihe Zeitung“, das Organ des Congresses deutscher Volkswirthe, der Steuer- und Wirthschasts- refortner, der deutschen Landwirthschaftspartei und des Bundes. Diese Verträge betrachten wir als cine Abschlagszahlung, wir halten es für nothwendig, weiter einzutreten für die Verbilligung der landwirth- schaftlichen Zölle,
Abg. Graf zu Inn- und Knyphausen (decons.): Jch habe keinen dirccten Auftrag, gegen die Verträge zu stimmen ; aber ich glaube die Interessen meiner ländlihen Wähler richtig zu vertreten, wenn i gegen die Verträge stimme. Der Abg. Freiherr von Stumm hat zugegeben, daß die Landwirthschaft sich in einer {chlimmeren Lage befinde als die Industrie. Dann sollte man uns helfen. Ih frage den Abg. Dr, von
Bennigsen: Würde er heute auch noh bei der gegenwärtigen Preis-
lage der landwirthschaftlilßen Producte die Festlegung eines Ver-
trages auf zwölf Jahre für gut halten? Die Verständigung mit
Oesterreich Maben wir mit Freuden begrüßt, aber warum mußte die
Landwirthschaft die Kosten tragen? Man kann diesen rumänischen
Vertrag niht für fi allein betrachten, sondern muß die Verträge
alle zusammen betrahten. Wohin führt es, wenn wir die drei
Verträge annehmen und den russishen niht! Das Schutzollsystem
wird auf diese Weise zerbröckelt. Gegenüber dem russischen Vertrag
ist doch der rumänische nit als etwas Kleineres zu betrachten, denn bei offener Grenze zwischen Rußland und Rumänien kann man den einen nicht annehmen und den andern - ablehnen. Daß die Zuckerprämien aufrecht erhalten werden follen, acceptire ih ern. Es giebt auch noch manche andere Wünsche dcr Landwirth- aft, die wohl Erfüllung verdieuten. Holland zieht eine chinesische
Mauer gegenüber der deutschen Einfubr von Vieh: aber wir werden
nicht durch einen höheren Viehzoll gegen Holland ges{chützt. Wie {wer
ist die Controle gegenüber dem ehrlichen Holland bei der Einfuhr!
Was wird man da erst in Rumänien erleben! Auf die Ursprungs-
atteste glaube ih also keinen großen Werth legen zu dürfen. Ein
Stück Bieh kann man wohl wiedererkennen; aber bei dem Korn
hôrt das auf. Ich bin nicht zweifelhaft, daß der Satz von 3,90 6
uns auf alle Fâlle s{ädigt; denn wir können nicht nah oben gehen,
sondern nur nah unten. Die deutshe Börse wird es nicht ver- säumen, von den Importen Gebrauch zu machen und die Preise zu bestimmen. Wir Landwirthe werden dadur keinen Vortheil haben.
Die Staaten aber, welche autonome Tarife haben, werden Vortheil
haben. Ih wünsche der Industrie allen Schuß, aber das muß
Hand in Hand gehen mit der Förderung der landwirthschaftlichen
Interessen. Die Herren auf der Nechten haben so viel Gerechtig-
keitsgefühl, daß sie der Industrie ihre Wünsche gern erfüllen.
Die nationalliberale „Kölnische Zeitung" schreibt, daß die Negierung
alles Interesse habe, den radicalen Ansturm gegen die Getreide-
zölle zurüclzuweisen. Jch habe kleine gebundene Marschroute, meine
Wähler besiehen aus Bauern und Arbeitern; ih will ihre Interessen
wahrnehmen; das kann ich aber mit gutem Gewissen thun, indem ih
gegen den Bertrag stimme.
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Finanz-Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Jh will bei der vorgerückten Zeit nit in den Gegenstand der Debatte weiter eindringen, ih möchte nur einer Be- merkung des Herrn Vorredners w!dersprehen. Er hat seine Bedenken ausgedrückt, ob es überhaupt möglich sei, durch eine zweckmäßige Orga- nisation der Zollcontrolen Differentialtarife wirklich zu handhaben, und er hat gemeint, namentlih au der holländisGen Grenze geschehe dies niht. Nun will ih darauf lediglich erwidern, daß der offenbare Wunsch derjenigen Negierungen, die unter ter Thatsache einer differentiellen Behandlung stehen oder in Gefahr gerathen, differentiell behandelt zu werden, beim Scheitern der Vertragsverhandlungen doch genügend beweist, daß allerdings die Zollverwaltung im großen Ganzen do in der Lage ist, durch zweckmäßige Controlen diese differentielle Be- handlung verschiedener Staaten durchzuführen, und ih glaube, wenn der Herr Graf Knyphausen anderer Meinung wäre, dann würde feine Conclusion, mit der er geschlossen hat, gegen die Handelsverträge zu stimmen, nicht {lüssig sein.
Meine Herren, ih benutze diese Gelegenheit, um einer Bemer- kung des Herrn Abg. Schippel entgegenzutreten. Er hat sih sehr lebhaft darüber beklagt, daß man seiner Partei Verbindungen mit anderen Parteien, mit den Anarchisten u. f. w. untersMöbe, die er gänzlich ablehnen müßte. Nun, meine Herren, hier im Reichstag sind die Mitglieder seiner Partei gegen andere nicht so \krupulös. Ich habe aus der stenographischen Aufnahme entnommen, daß der Herr Abg. Schoenklank behauptet hat, ih häite in einem wissenschaftlichen Vortrag in Frankfurt im Jahre 1887 mich dahin ausgesprochen, daß nicht der Individualismus, sondern die Gemeinschaft gewinnen würde, und ih hätte mi dahin erklärt, daß das gemeine Eigenthum an die Stelle des privaten treten werde. Wie ich das gelesen habe, war ih im höchsten Grade erstaunt, und ih habe nun glücklicherweise diesen wissenschast- lihen Vortrag wiedergefunden und daraus entnommen, daß ich für jeden Menschen, der überhaupt einen Vortrag verstehen kann und einigermaßen wissenschaftlih zu denken versteht, genau das Gegentheil gesagt habe. (Heiterteit.) Meine Herren, ih werde diesen Vortrag hier auf den Tisch des Hauses niederlegen, um doch auch an die Herren dort drüben dieselbe Mahnung zu knüpfen, die der Herr Abg. Schivpel anderen Parteien gegenüber eben auszusprehen für nôthig bielt.
Worauf bezog fih der Vortrag? Jch will es ganz kurz sagen, um Sie in dieser Stunde nicht zu lange aufzuhalten, und will daran noch eine allgemeine Bemerkung knüpfen. Jn diesem Vortrag gebe ih in großen Umrissen die Entwickelung des Privateigenthums in Deutschland aus dem Gesammteigenthum durch cin ganzes Jahr- tausend. Ich setzte auseinander, wie aus dem Gesamznteigenthum die wechselnde Nußung, aus der wechselnden Nußung der feste Besiß, aus dem festen Besiß das beschränkte Eigenthum, aus dem beschränkten Eigenthum durch Auflösung der alten Gemarkungs8gemeinschaften an der Hand der Separation und Verkoppelung das rein privative Eigenthum entstanden sei. Meine Herren, ich that dies in Frankfurt ganz absichtlih. Jch wollte damit zeigen, wie irrig es ist, solche große volkswirthschaftliche und fociale Entwickelungen künst- lih machen zu wollen, wie dazu eine Jahrhunderte lange Ent- widelung gehört, an der niemand im großen und ganzen etwas ändern kann, die ihren festen Lauf in einer gegebenen Verbindung von Urfache und Wirkung hat. Nun, sage ich am Schluß: sind wir nun zum reinen, vollen, unbes{ränkten Privateigenthum ge- kommen? Wird sich dies auch in der Zukunft in dieser vollen Un - gebundenheit erhalten? Ist dies das leßte Ideal? Da sage ih: Nein; denn das Zusammenwohnen der Menschen, das Näheraufeinander- rücken der Interessen, die intimeren Beziehungen von Nachbar zu Nachbar (das städtishe Eigenthum lehrt uns das s{on) werden andere und weitere Beschränkungen herbeiführen. Es wird #0 wohl noth- wendig fein, auch dieses absolut freie Eigenthum mit Schranken zu versehen, wie das im römischen Neht sih auch schon entwickelt hat. Dann weise ih hin auf die genossenschaftlißen Verbände und sage, der kleine Bauer fei genöthigt, sih die modernen Hilfsmittel durch genossenschaftlihe Verbände zu sichern. Jch weise hin
auf die Bildung von Ankaufs- und Verkaufêgenosscnschaften, von Genossenschaften zur Anshaffung von Pflug-e, Dresch- und Mähsz maschinen, die Bildung von Molkerei-, Obstdörr-Genossenschaften und taufend anderen, und sage, daß die Entwickelung dahin führen könne, durch neue Rechtsinstitutionen das absolut ungeschmälerte individuelle Eigenthum zu beschränken.
Und nun in unmittelbarem Anschluß "an diesen Saß sage ich: was aus diesen Genossenschaften und ihrem gemeinsamen Betriebe für das Wesen des Eigenthums in der Zukunft hervorgeht, kann keiner von uns überschen. Aber das Gefühl habe ih doch, wenn
wir auch die alten Beschränkungen abgestreift haben, in der Zukunft heißt es nicht: Individualismus gewinnt, sondern: Gemeinschaft gewinnt!
Bei dem Sage bleibe ih vollständig steben, in dem Zusammen- hange, in dem ih ihn bier aussprah. (Sehr richtig ) Ich stelle nicht das gemeine Eigenthum, die Gemeinschaft des Eigenthums gegen das individuelle Eigenthum, fondern den Individualismus gegen die Vereinigung und gegen die Gemeinschaft. (Sehr gut!) Wer das nur noch hätte mißverstehen können, den würde ih dur den nädsten Sag vollständig belehrt haben, da heißt es:
Welche Formen diese Gemeinschaften annehmen und welche Beschränkungen sie wohlthätiger Weise mit \ich bringen, weiß niemand von uns. Eine solche Entwickelung kann auch niemand fünstliß machen, sie ist das Product einer nothwendigen Kette von Ursachen und Wirkungen. Daran kann man nichts ändern; man fann sie staatlicherseits wohl in gewisser Weise vor schiefen Nichtungen bewahren, au innerhalb der gegebenen Entwicklung fördern, aber sie zu hindern sind wir gänzlih außer Stande...
Wir fragen uns heute oft, was aus dem Eigenthum werden soll. Die Frage is} verkehrt. Man thue jedesmal, was die Gegen- wart als Bedürfniß zeigt, und warte ruhig ab, was aus der Ent- wicklung wird. Würde das Privateigenthum in Zukunft ähnli gebundene Form annehmen, wie sie bereits dagewesen, so würde das nur beweisen, daß es dem Interesse der Menschheit, der Ge- sammtheit, wie des Einzelnen entspricht. Entspricht es diesem Interesse nicht, so wird diese Entwicklung auch nicht kommen.
Nun, ich stelle also hier nicht die Alternative hin, ob Gemein- eigenthum eder Privateigenthum, s\ondern ih stelle das gebundene Cigenthum gegen das abfolute freie Eigenthum, gegen das jus utendi vel abutendi dominii des rômishen Rechts. In diesem ganzen Bor- trag habe ih den langwierigen Kampf des römischen Nechts mit dem deutschen Hecht entwickelt ; ih habe auszeführt, wo das deutsche Recht hier siegreich, wo es dort das römische Necht geblieben ist. Jch habe die‘ große Verschiedenheit der Nechtsentwickelung, die noh heute praktisch ift, aus diesen alten Ansiedelungsverhältanissen entwickelt ; den Gegensaß zwishen den Colonialländern Deutschlands und ten Üransiedelungsbezirken des germanishen Nechts dargelegt. Daraus ziehe ih die Conclusion, daß das absolut ungebundene Grundeigen- thum an Grund und Boden nicht nothwendig das Ideal der Zukunft zu fein brauche. Ich bin noch heute der Meinung, daß, wenn der Herr Graf von Knyphausen, um auf den Ausgangspunkt wieder zurück- zukommen, uns aufgefordert hat, doch die Lage der Landwirthschaft in Erwägung zu ziehen und alles zu thun, was möglich ift seitens des Staats, um der so sèhr s{chwierigen Lage der Landwirthschaft zu Hilfe zu kommen, fo kann dies mögliher Weise auch auf diesem Gebiete geschehen, daß wir die bestehenden Nechts- verhältnisse in Erwägung nehmen und fragen, was auf dem Gebiet der Nechtsinstitution für das Grundeigenthum auf die Dauer ge- schehen kann. (Bravo!) Ich werde jeßt diesen Vortrag hier auf den Tisch des Hauses niederlegen, es wird so Jeder, der überhaupt In- teresse für diese Frage hat, in der Lage sein, ihn einzusehen und zu beurtheilen, ob ih Recht hatte, das Citat des Herrn Dr. Schoenlank, wie geschehen, zu charakterisiren. (Zuruf links.)
Abg. Nichter (fr. Vp.): Dem Reichskanzler wird die Ver- antwortung für Alles zugeshoben, was für die Landwirthschaft ge- schehen foll, während er sih auf die Competenz der Reichsverfassung beschränkt. Man vergißt dabei, daß Fürst Biemarck zu gleicher Zeit preußisher Minister-Präsident war und das Staats-Ministerium in der Tasche hatte; während jeßt die Agrarier selbs erklären, daß sie sih mit der preußischen Negierung gut stehen, aber niht mit der Neichsregierung. Es wäre besser gewesen, wenn die preußische Ne- gierung energischer für die Sache eingetreten wäre, wenn der preußische ¿Finanz-Minister Dr. Miquel hier den Vertrag vertheidigt bätte. Die Polen follen den Ausschlag gegeben haben, damit wird die Mehrheit discreditirt. Aber haben die Polen niht auch für die Militär- vorlage gestimmt? Die „Freisinnige Zeitung“ hat die Concession in Bezug auf den polnishen Sprachunterriht niht in Bezug gebracht zur Abstimmung der Polen. Jch halte diese Concession für berechtigt. In einer zweisprachigen Provinz müssen die Deutschen auch polnisch lernen, wenn sie die Concurrenz aushalten wollen. Ueber den Antrag dcs Abg. Grafen Kaniß, den Vertrag auf ein
Iahr abzuschließen , fann man ernsthaft kaum reden. Es giebt kaum ein Beispiel dafür. Aber freilid, wenn der Ver- trag auf länger als ein Jahr abgeschlossen wird, dann ist ja der Bund der Landwirthe niht mehr möglih, dann bezahlt keiner mehr einen Beitrag dafür. Auf ein Jahr wird doch kein Industrieller sih auf einen Export nah Rumänien einrichten; es wird höchstens alles ein- gerichtet auf die Einfuhr für ein Jahr, dadurch wird der Zustand noch vershlimmert. Die Rede des Abg. Grafen Bismarck war \o all- gemein, daß fie zu jedem Handelsvertrage paßt; man könnte sie halten, ohne den Vertrag mit Rumänien gelesen zu haben. Der Abg. Graf Bismarck hat den Reichskanzler als einen gelehrigen Schüler des eerethandels bezeihnet. Wenn das nur wahr wäre! Einen radikalen Freihändler habe ih 1875 hier gesehen, der war der Vater des Abg. Grafen Bismarck, der alle Zölle bis auf 15 Finanzzölle abschaffen wollte. Das war uns selbst zu unheimlich. — Der Reichskanzler Graf Caprivi is ja noch s{ußzöllnerisher als Fürst Bismarck vor 1885; er hat sih ja gefürhtet, den Zoll auf 3 46 herabzusetzen. Die Schutzollpolitik hat keinen Segen gebracht, sondern nur die Zerrissenheit der Parteien gefördert. Als die Interessenpolitik begann, da lehnte es Herr von Hoverbeck ab, als Abgeordneter einer be- stimmten Klasse zu gelten, dazu sei er zu vornehm; er set Vertreter des ganzen Volkes, nicht einer Klasse. Mac Kinley hat selbst ge- standen, daß er durch die Autorität des Fürsten Bismarck auf seinen Gedanken gekommen fei. Durch diese Abschließung unserer Absat- gebiete sind wir geschädigt worden. Schließlich begann die Umkehr zu der besseren Politik. “Cs wird so dargestellt, als ob die Industrie durch den Abg. Freiherrn von Stumm vertreten ist, daß die ganze Industrie shußzöllnerish ist. Es giebt große Industriezweige, welche keinen Schuß gegenüber dem Auslande wollen. Weil die Eisenzölle beständen, ist die Eisenindustrie ausgedehnt worden, \odaß nachher während der Gründungsperiode Hochöfen ausgeblasen werden mußten. Die Annahme des Handelsvertrags mit Nußland wird eine Ermäßigung der Preise nicht herbeiführen. In der vom Abg. Grafen Kaniy mitgetheilten Börsennotiz ist auch nur vom Hafer die Nede, und wäre es auch nicht im Interesse der Landwirthschaft und des Handels wünschenswerth, wenn die unnatürlih hohen Haferpreise ermäßigt würden! Wenn es wirklich keinen Verdienst bei der Land- wirthschaft mehr gäbe, dann müßten doch die Güter keinen Preis mehr haben. Es hat aber, wie ih gelesen habe, cin Herr ein Gut zekauft und etwa 400 000 Thaler baar bezahlt, er muß also ein besseres Vertrauen zur Landwirthschaft haben, als die Agrarier. Es handelt si ja, wie der Abg. von Ploeß verrathen hat, um die Steigerung der Nente. Wo finden si denn in den Reihen der Con- servativen die Bauern? Würden Sie denn für die Steuern, be- sonders für die Tabacksteuer eintreten, wenn Bauern in Ibren Reihen wären? In England befindet si die Landwirthschaft sehr gut, der Wohlstand nimmt zu, und wenn England für die Flotte mehr Geld aufwenden kann, fo dankt es das dem Freihandel. Die Auswanderung in England i} gering, die Auswanderung aus Irland ist eine Folge der s{hlechten AÄgrargesezgebung. Bei uns giebt es eine Aus-
wanderung gerade aus den Gegenden des Großgrundbesißes. Wer Bauern legt, um Fideicommißgüter anzulegen, der ist kein Freund der Landwirthe. Der Abg. Graf Bismarck hat sich auf seine Wahl bezogen. Er is gewählt mit der {chwachen Mehrheit von 226 Stimmen und liegt ein sharfer Protest dagegen vor, weil die Wahl ein Product der Arbeit des Landraths ist. (Präsident von Leveßow bittet den Redner, nicht von der Sache abzuschweifen.) Man hat doch auf der rechten Seite von den Wahlen gesprochen und sih auf den Appell an das Volk berufen. (Präsident von Leveßow ruft den Nedner zur Sache.) Dann bedauere ich, daß ih das nicht sagen darf, was andere Redner gesagt haben. Der Abg. Graf Bismarck hat von dem Anfehen der Regierung gesprochen ; es wäre niemals mehr geschädigt worden, als durch die Verwerfung dieses Vertrags. Wer gegen den österreihishen Handelsvertfag stimmte, mußte gegen alle Vollmachten stimmen, welche die Regierung in den Stand seßten, Provisorien abzuschließen. „Der Abg. Graf Kani meint, er habe sih nicht engagirt für Verträge mit zu ge- ringen Gegenleistungen. Die Landwirthschaft hat Numänien nichts zu erportiren; es fann sich also nur um die Industrie handeln und die
ist zufrieden. Warum wollen Sie kÉlüger sein, als die Industrie! .
Das Proviforium mit Rumänien haben die Abgg. Graf Kaniß und Dr. von Frege gebilligt ; sie verwahrten sich nur dagegen, daß es auch auf Nußland ausgedehnt würde. Damals hätte man \prehen müssen ; aber Sie haben geshwiegen und dadurch die Regierung in dem Glauben gestärkt, daß Sie cinen folhén Vertrag billigen. Der Abg. Graf Bismarck hat herausgefühlt, daß das die {wache Seite ist, er hat gemeint, es sei jegt ein neuer Neichstag gewählt. Wenn jeder Parlamentatier von Wahl ¿zu Wahl feine Stimmung ändern wollte, dann wäre überhaupt keine Regierung mehr möglich ; dann würde man niht nach Grundsäßen, sondern nach Launen regieren müssen. Niemals is eine Regierung fo |{lecht behandelt worden, wie die jeßige Neichsregierung von der conservativen Partei. Ein parla- mentarisches Negierungsfystem würde eine folhe Haltung der Partei nicht gestatten. Jede Opposition ist erlaubt. Aber wenn man die Regierung in den guten Glauben verseßt, daß sie berechtigt ist, Verträge abzuschließen, und dann der Regierung aus taktischen Rücksichten in die Arme fällt, dann s{hädigt man das Ansehen nicht bloß der jeßigen, sondern jeder Regierung ja Deutschlands überhaupt. Deshalb ift es nothwendig, daß wir uns auf dieser Seite des Hauses zusammenschließen zu einer großen Ordnungspartei, die Staatsauto- rität, die Autorität der Negierung, das Ansehen Deutschlands zu \{chüßen gegen die Untergrabungen, welche von den Conservativen aus- gehen. Der Abg. Graf Bismarck sagte: Ans Vaterland, ans theure s{ließ" dich an. Das wollen wir, deshalb verwahren wir uns gegen jede Sonderpolitik, gegen die einseitige Begünstigung einer Interessengruppe.
Abg. Klose (Centr.) erklärt sich aegen die Handelsverträge. Er sei kein Großgrundbesißer, auh niht Mitglied des Bundes der Land- wirthe, aber er habe sih sagen müssen, daß die Landwirthschaft s{hut- bedürftiger sei als die Industrie. Die Hilfe soll man nit suchen bei der Zuckerindustrie und bei der Branntweinbrennerei, denn damit helfe man nur Einzelnen. Redner empfiehlt s{ließlich au eine Regelung der Währungsfrage.
Damit schließt die Debatte.
__ Abg. Dr. von Bennigsen (nl.) (persönlih): Ich habe den Anarchismus nicht der Socialdemokratie in die Schuhe schieben wollen. Ich weiß sehr wohl, daß dèr erstere sih in Theorie und Praxis von der leßteren unterscheidet. Meine Ausführungen über die Stellung des „Borwärts“ zum Pariser Attentat waren sehr begründet. Ich habe meiner Verwunderung, heute muß ih sagen, meiner Indignation darüber Ausdruck gegeben, weil die Auffassung des Verbrechens derartig frivol war, daß wohl ein Fanatiker fih so äußern kann, aber die ehrlichen Arbeiter werden meinen Abscheu theilen. MNedner will sich auf einen weiteren Artikel des „Vorwärts" berufen, wird aber vom Präsidenten daran verhindert.
Nach einigen weiteren persönlichen Bemerkungen der Abgg. Luß, Dr. Paasche und Graf Bismarck-Schönhausen wird der Handelsvertrag mit Spanien in den einzelnen Artikeln und shließlih im ganzen genehmigt, nachdem der Antrag des Abg. Grafen Kaniß wegen der einjährigen Dauer desselben abgelehnt war.
Es folgt die Specialberathung des rumänischen Handels- vertrages. Beim Artikel 1 bemerkt der
Abg. Fürst Radziwill (Pole): Der Abg. Graf Kani hat unserer Abstimmung Motive untergeshoben, die mit der Sache selbst in keinem Zusammenhange stehen. Soweit darin etwa die Insinua- tion enthalten sein sollte, daß wir eine bessere Ueberzeugung zur Erreichung von Nebenzwecken geopfert hätten, muß ih dieselbe als eine willtürlihe und unberechtigte auf das Entschiedenste zurückweisen. (Beifall.) Im übrigen muß ih für meine parlamentarische Partei wie für jede andere das Neht in Anspruch nehmen, bei der Ab- wägung der Entscheidung über große politishe Fragen dasjenige Maß von Vertrauen mit in Rechnung zu stellen, welches man dem Verständniß und dem Gerechtigkeits\sinn der jeweiligen Regierungs entgegenbringen kann. (Zustimmung.) Beide Eigenschaften muß id leider in dem ganz unmotivirten Vorstoß des Abg. Grafen Kanitz egen unsere Nationalität und unsere Fraction vermissen, und i kann nur wünschen, daß er in dieser Beziehung au in feiner eigenen Partei möglich wenig Beifall ernten möge.
Abg. Graf Kant (deons.: Jch habe vorhin ausdrü@&li erklärt, daß ih es vermeide, nah Motiven für die Abstimmung Finze zu fuchen ; ih habe nur citirt, was in der freisinn über gestanden hat, und daran meine Bemerkung ge
Artikel 1 sowie die übrigen Artikel des rumänij Vertrages und der Vertrag im ganzen werden selben Mehrheit wie am Mittwoh angenommen.
Der Vertrag mit Serbien gelangt ohne Annahme. Die Besprechung der vorgeschlagenen R wird von der Tagesordnung abgeseßt.
Schluß 5 Uhr. Nächste Sißzung Dienstag,
1894, 2 Uhr. (Kleinere Vorlagen.)
Nr. 50 der „Veröffentlihungen d Gesundheitsamts" vom 13. Dezember hat | Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankbeiter
fluenza 2c.). — Sterbefälle in deutschen Städten mit Einwohnern. — Desgl. in größeren Städten des Auslandes krankungen in Krankenhäusern deutsher Großstädte. — deutshen Stadt- und Landbezirken. — Witterung. —
Maßregeln gegen Cholera 2c. — Gesundheitszustand im belai 1891. — Erkrankungen in Kopenhagen 1892. — Gese n (Preußen). Centralheizungs- und Lüftungsanlagen. — (L Schwerin). Arbeiter-Unterkünfte. — (Oesterreich. Galizien.) Confinirungs8anstalten. — Gang der Thierseuchen in Serbien,
bis 3. Oktober. — Desgl. in Bulgarien, 3. Vierteljahr.
weilige Maßregeln gegen Thierseuhen (Oldenburg, Oefterrei&). — Rechtsprehung. (Landgericht Köln und Reichsgericht.) Bartmudgs mittel. — Verhandlungen von geseßgebenden Körperschaften. (Deutätes Reich.) Internationale Sanitätsconferenz zu Dreéden. — S: iee — (Sachsen.) Bezirkshebammen. — Ge!cenkklifte.
rihtlihe Entscheidungen zum Nabrungsmittelge®et 5
würmer ?c., Leberegel ., Wassersudbt, Erkrankunzen
Trächtigkeit und des Gebärens, Verdauungskrankdeiten
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