1894 / 33 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Wenn der Herr Abg. Dr. Schönlank im Eingang feiner Aus- führungen darüber geklagt hat, daß die Enquêten, wie wir sie an- ftellen, nicht dem Muster der englischen Enquêten entsprechen und daß sie u. a. um deswillen mangelhaft sind und bleiben, weil sie nicht wie diese Enquêten unter voller Oeffentlichkeit vor- genommen werden, so möchte ich ihm darauf doch er- widern, daß man eine Enquête zu einem bestimmten . Zwecke vornimmt, und zwar zu dem Zweck, daß man die realen Zustände auf einem Gebiet, das man fklarstellen will, feststellt. Dazu kann man ganz gewiß ein fehr verschiedenartiges Verfahren eins{lagen : man kann sie öffentlißh vornehmen, man fann sie binter vers{lossenen Thüren vornehmen. Die Hauptsache dabei ist aber immer die, daß der Zweck erreiht wird, daß man eine vollständige Kenntniß der be- stehenden Zustände erlangt; und in dieser Beziehung, glaube i, baben die Enquêten, die wir angestellt haben, auch ohne daß fie unter Oeffentlichkeit stattfanden, alles erfüllt, was man billiger Weise von ihnen erwarten fann. Es ist nah keiner Richtung hin der Nahweis geführt worden oder au nur zu führen, daß um deswillen, weil sie nicht nah dem englishen Muster vorgenommen sind, unsere Enquêten in ihrem Ergebniß mangelhaft geblieben seien.

Die beiden Herren Vorredner haben nun eine ganze Reihe von Wünschen bezüglich der Statistik ausgesprochen, und find u. a. übereinstimmend der Meinung, daß die Reichs - Statistik durch die Aufnahme von Gebieten, die bisher der Landes - Statistik anbeimgefallen sind, erweitert werden müsse. Meine Herren, ih glaube, der Grundgedanke bei der Abgrenzung der Be- fugnifse der statistishen Reichsbehörde ist der gewesen, daß man in den Kreis ibrer Thätigkeit alle diejenigen Gebiete gezogen hat, welhe einmal überbaupt fstatistisher Erörterung bedürfen und statistisher Erörterung fähig sind und welche sodann nah der Ver- faffung der Reichskompetenz unterliegen. Nun ift ja damit durchaus nit ausgeschlossen, daß man unter Festhaltung dieses Grundsatzes solche ftatistishe Fragen, deren Behandlung den partikularen statistishen Organen anbeimfällt, auch von Reichswegen bearbeitet. Aber ih glaube, man wird das berehtigter Weise doch immer nur dann thun können, wenn man mit einer folchen Zentralisierung einen Reichszweck verfolgt. Stelle ih mich beispielsweise vor eine Reichsfinanzfrage, und kann ih sie nit anders lösen als dadurch, daß ih die Finanzstatistik der Einzelstaaten vor Augen habe und fie einer Bearbeitung unterziehbe, so ift es unzweifelhaft, daß das Statistishe Reichsamt auch diese Aufgabe zu lösen hat, obwobl die Finanzstatistik, soweit sie si auf dem Gebiete der Einzelstaaten bewegt, niht der Reichskompetenz unterliegt. Ganz klar wird die Sache, wenn wir die Unterrichts- statistik betrahten. Das Unterrichtêwesen gehört nicht dem Reich an, es ist Landesfahe. Es ift also a priori Aufgabe des Kaiserlichen Statistischen Amts, eine Unterrichtestatistik für das Gebiet des Reichs aufzumachen. Damit wird aber keineswegs ausges{lossen sein, für einen bestimmten reisgeseßgeberishen Zweck, bei dem man eine Kenntniß des Unterrichtswesens im Reich haben muß, die Arbeit des Kaiserlichen Statistishen Amts in Anspruch zu nehmen. In dieser Beziehung, glaube ich aber, müfsen wir uns an ganz konkrete Fragen halten. Wir müssen untersuhen: liegt Hier ein Reichsinteresse oder Reihs83weck vor? und wenn wir das finden, ftebt nichts im Wege, das Statistishe Amt mit solen Auf- gaben zu befassen.

Was nun die Bemerkungen des Herrn Abg. Dr. Schönlank darüber anlangt, daß die Bevölkerungsstatistik von seiten des Statistishen Amts zu summarish behandelt werde, fo is mir eigent- lih niht recht klar geworden, welche Wünsche er in dieser Beziehung eigentlih hat; denn wenn ih die Arbeiten des Statistishen Amts auf diesem Gebiet perlustriere, so finde ih, daß billigen Ansprüchen durchaus genügt ift. Aber ih bin bereit, alles das, was in dieser Beziehung noch an Wünschen übrig sein follte, der Erwägung des Statistischen Amts zu unterstellen; und wenn man \ich von einer weiteren Spezialisierung, als bisher bei diesen Arbeiten beliebt worden ift, irgendwelchen Nutzen verspriht, so wird das Statistishe Amt es nicht fehlen laffen, den Wünschen zu entsprechen.

Was die Beruféstatiftik anlangt, so haben auch wir das Be- dürfniß empfunden, daß eine neue Berufsaufnahme gemacht werden müfse. Es hat {on vor der beutigen Verbandlung im Reichsamt des Innern eine Berathung darüber stattgefunden, bei der wir, wenn sie auch noch nicht abgeschlossen ist, doch zu dem vorläufigen Er- gebniß getfommen sind, welhes der Herr Vorredner bereits berührte, daß man diese Berufsstatiftikk mit der nälhsten Volkszählung wird verbinden müfsen.

Allerdings, meinz Herren und diese Bemerkung, die ih jeßt bier mache, bezicht sih auch auf das, worauf uns der Herr Abg. Dr. Hafse binwies bezügli der Erweiterung des Fragebogens, den wir bei der leßten Volkszählung Hherauêëgegeben haben —, wir stoßen dabei immer auf einen gewissen Widerspru der Auffassung zwischen den Herren vom Fach, den Statistikern, und zwischen den Herren der Verwaltung, der Administration, und auch ¿wishen den Organen im Lande, deren wir uns ja nothwendiger Weise bedienen müssen, wenn wir überhaupt zu einem Resultat kommen wollen. Die Neigung darüber dürfen wir uns nicht täuschen sftatistische Aufnahmen zu erweitern, ist im Lande ershrecklich gering; und man pflegt in der Regel, wenn es sich um neue statistishe Aufnahmen handelt, bei denen die ganze Bevölkerung betheiligt if, darüber zu flagen, daß schon wieder. der Bevölkerung eine neue statistishe Aufnahme zugemuthet wird, von der sie den Zweck nicht einsehen fann. Noch mehr aber als der Staatsbürger, der ja erst in leßter Stelle bei einer fiatistishen Aufnahme zu leiden hat, pflegen in der Negel die untersten Organe der Landesverwaltung zu flagen, besonders die Ortsvorsteher auf dem Lande und die Beamten, die bei solchen Aufnahmen Hilfe zu leisten haben. Das sind auch Stimmungen, mit denen wir renen müfsen, und die uns bei der Frage, wie ein solher Fragebogen für die Bevölkerungéstatistik aufzustellen ist, doch auh dazu führen müssen, die Fragebogen möglichst zu beshränken, und neue Fragen nur dann aufzunehmen, wenn wir uns davon überzeugt haben, daß es im Interesse irgend welchen öffentlihen Zwecks erforderlich ist.

Ich werde aber auch diese Anregung demnächst es wird ja in diesem Jahre oder im Anfang des nächsten Jahres zu der Feststellung des Fragebogens übergegangen werden der Erörterung unterziehen.

Abg. Schönlank (Soz.): Die Statistiker und die National- ófonomen aller Parteien sind über die Mustergültigkeit der englischen Enquêten einig. Eine parlamentarische Enquête unterscheidet sich von

einer d amtlihen Enquête wie das öffentlihe von dem geheimen Mili Cie hren. Eine Enquête ohne kontradiktorishes Ver- ahren ift ein Unsinn. Wenn in einer deutshen Enquête der Abg. iherr von Stumm und seine Arbeiter zusammensißen, so wird der Arbeiter des Abg. Freiherrn von Stumm mit feiner Meinun nit O, Die Rene Form der Statistik is die mit Frage- en arbeitende; die beabfihtigte Ausdehnung diefer Form der Auf- ahme können wir daber nit gutheißen. Die Bevölkerungsstatistik wünsche ih allerdings zentralifiert; bisher muß fich das Reichsamt mit dem von den Landesbehörden ermittelten Ergebnisse des von ihnen verarbeiteten Urmaterials begnügen. Daß in Deutschland eine gewisse Zahlenscheu herrscht, erklärt sich doch ganz einfah daraus, daß sich zwischen Regierung und Volk eine Mandarinen-Bureaukratenwirthschaft eingedrängt hat, die dem Volk alle Luft zu eigener Arbeit benimmt ; schaffen Sie diefe weg, dann werden Sie nicht nur eine bessere Sta-

tistik, sondern au bessere soziale und politishe Zuftände haben. Abg. Dr. Hasse e) glaubt auch nit, daß die Bevölkerung durch die statistishen Aufnahmen {sich belästigf fühlt oder später

fühlen werde. E f Bei der Position für die Bureaubeamten des Statistischen

Amts verlangt der :

Abg. Dr. Förster - Neustettin (d. Rfp.) ein gleihmäßigeres Aufrücken der Beamten in den Dienstaltersstufen durch die ge- sammten Verwaltungsressorts.

Die Ausgaben für das Statistishe Amt werden genehmigt. Beim Kapitel „Normal-Aichungs-Kommission“ lenkt der

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) die Aufmerksamkeit des Hauses auf die bei dieser Behörde, wie beim Gesundbeits- und Neichs- Versicherungsamt, sowie bei der Physikalish-tehnishen Reichsanstalt angestellten tehnishen Hilfsarbeiter, die troß ihres Charakters als Höbe Beamte de jure und de facto nach wie vor als Subaltern- beamte behandelt werden. Bei der leßten Kaiser - Geburtstagsfeier habe man ihnen nur gestattet, die Feier im Verein mit den anderen Sukbalternbeamten, den Sekretären und Kanzlisten, zu begehen. Die Betreffenden seien durchweg akademisch gebildet und verdienten eine NRangerhöhung unbedingt.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Meine Herren! In der Anerkennung für die Leistungen der technishen Hilfsarbeiter im Ressort des Neichésamts des Innern kann ih dem Herrn Vorredner nur beitreten; und mir als dem Chef des Ressorts liegt es gewiß fern, einen Anlaß zu berechtigter Kränkung dieser Beamten zu geben. Allein so sehr ih mir auch den Kopf darüber zerbrohen habe, worin eigentlich der Grund liegt, daß die Herren sich verleßt fühlen über die Rangierung, die sie im Etat gefunden haken, so habe ich doch diesen Grund niht entdecken können; und auch aus den Ausführungen des Herrn Vorredners ist mir die Ueberzeugung geworden, daß es eine unberechtigte Empfind- lichkeit ist, von der die Herren bei ihrer Petition ausgegangen sind. Es find übrigens keineswegs alle technischen Hilfsarbeiter, die meinem Nefsort angehören, dazu übergegangen, sih zu beschweren; die te- nischen Hilfsarbeiter einzelner Behörden haben \sih davon durchaus fern gehalten.

Als im vergangenen Jahre diese Frage in der Budgetkommission zur Sprache kam, habe ih geglaubt, daß man jedem Schein einer Berechtigung zur Empfindlichkeit vorbeugen könne, wenn man für diese tehnischen Hilfsarbeiter, wie jeßt gesehen, eine besondere Zeile in der betreffenden Etatsposition auswirft. (Hört! hört! rets.) Ich bin in dieser Auffassung nit allein geblieben; auch die über- wiegende Mehrzahl der Mitglieder der Budgetkommission hat sie ge- theilt und hat au geglaubt, daß nun Frieden im Lande wäre. Jett wird wieder darüber geklagt, daß diese besondere Zeile nit eingefügt ist in die voranstehende Nummer des Etats, sondern daß sie immer noch in derjenigen Nummer steht, welche die Bureau-Vorsteber, die mittleren Beamten und die Unterbeamten begreift.

Nun will ich dem Herrn Vorredner bemerken, daß der Begriff „Subalternbeamter“ in der Neihs-Dienstpragmatik überhaupt nicht eristiert. Wir kennen böbere Beamte, mittlere Beamte und Unter- beamte. Die technischen Hilfsarbeiter nehmen ganz unzweifelhaft eine Mittelstellung zwischen den böberen und mittleren Beamten ein. Man fann sie vermöge der etatsmäßigen NRangierung, die sie be- fommen haben, zu den höheren Beamten nicht rechnen : unzweifelhaft aber sind fie auch nit zu den mittleren Beamten zu zählen, obwohl fie denselben Etatssat haben, wie diese mittleren Beamten.

Nun frage ih, meine Herren, wenn man dem Wunsche Rechnung tragen wollte, was würde damit gewonnen sein? Dann könnten fofort die Bureauvorsteher kommen und sagen: was den technischen Hilfs- arbeitern recht ist, ist uns billig; Ihr habt uns in eine Position mit dem Haus- und Laboratoriumdiener zusammengeworfen; zwishen uns und diesem is aber doch sozial gewiß noch ein sebr viel erbebliherer Unterschied, als zwischen den tehnishen Hilfs- arbeitern und uns! Und da frage ich Sie: wohin soll denn das führen? da müßten wir eine jede Beamteukategorie in eine besondere Position des Etats bringen. Was sollte das wohl für einen Zweck haben? Darüber, daß diese Hercen in die Gehaltsstufe eingereiht sind, der sie angehören, beschwert ih keiner von ihnen ; fie begehren nicht eine Erhöhung des Gehalts, sie sagen nur: uns wird vermöge der Rangierung, die bier vorgenommen ist, niht die Nücksicht zu theil, die wir vermöge unferer Ausbildung und vermöge unserer amtlichen Wirksamkeit fordern können. Ja, meine Herren, wird denn dadurch irgend etwas geändert, daß im Etat eine besondere Nummer für die Herren ausgewiesen wird? (Sehr rihtig!), absolut nichts!

Und wenn der Herr Vorredner der Meinung gewesen ist, daß die Herren sozial nicht fo behandelt würden, wie sie es vermöge ihrer Ausbildung verlangen können, so bemerke ich hier zunächst in Parenthese, daß keineswegs Alle akademish vorgebildete Herren sind. Wir haben Herren aus dem Lehrerstande und zwar seminaristisch vor- gebildete Lehrer, wir haben auch Subalternbeamte, mittlere Beamte, die dazu aufgerückt sind. Eine Klage über die soziale Stellung ist nach den mir gewordenen Mittheilungen durchaus unbere{chtigt. Es ist beispieléweise, wie mir eben vom Chef des Gesundheitsamts gesagt wird, bei dieser Bebörde rücksichtlich der sfozialen Stellung absolut kein Unterschied zwishen den Mitgliedern und den tehnischen Hilfs- arbeitern.

Also, ih bin der Meinung, daß durch das, was die Herren an- streben, in ihrer Stellung absolut nichts geändert wird, und daß {on um deswillen kein Grund vorliegt, ihrer Petition nachzugeben, weil, wie mir scheint, die Empfindlichkeit, die sie zur Schau tragen, durch ihre etatêmäßige Behandlung wirklich absolut niht gerechtfertigt wer- den kann. Ih bin deshalb niht der Meinung, daß man diesem Wunsche nachgeben soll, und bitte, es bei der Fassung zu lassen, wie sie in dem Etat Ihnen vorgelegt ist. :

Abg. S inger (Soz.): Die Frage beschäftigt die Budgetkommission {on lange. Die Ausführungen des Abg. Lenzmann crinnerten doch ret ‘lebhaft an das chinesishe Parlament ; es machte fast den Eindruck,

mehr zu bewilligen. Die Etatsaufstellung kann doch nit dazu benußt werden, einen Unterschied in der Werthshäßung und fozialen : der einzelnen Beamten zu statuieren. Solche Velleitäten noch durch den Reichstag zu begünstigen, würde dem demokratishen Gefühl der Gleichheit diametral entgegenstehen. f :

Abg. Dr. Hammacher (nl.) tritt für die Forderung der tehnischen ilfêarbeiter ein. Welcher Sturm der Entrüstung würde im preußischen

bgeordnetenhause entstehen, wenn die Regierung behaupten wollte, die Regierungs- und Gerichts-Assessoren, die als Hilfsarbeiter in den- einzelnen Verwaltungszweigen fungierten, seien mittlere Beamte! Der Widerstand gegen die Forderung der Techniker sei ein Ausfluß der ver- derblichen Gewöhnung unserer Drtagnfraie den akademisch gebildeten Techniker zurüczuseßen hinter den Juristen. Unter diesen Hilfsarbeitern befänden fich Leuchten der Wissenschaft; bedauerlih sei, daß man sie als mittlere Beamte im Sinne der bureaukratishen Auffassung in dem System der Dienstalterszulagen untergebracht hat.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat die Sache auf eine andere Leiste ge- braht, wie der Herr Abg. Lenzmann. Der Herr Abg. Lenz- mann wünschte, daß im Etattext für die technischen Hilfsarbeiter eine besondere Nummer in Aussicht genommen werde, und der Herr Abg. Hammacher beschwerte sih darüber, daß in der Denkschrift über die Durch- führung des Dienstalterszulagensystems diefe technishen Hilfsarbeiter unter die Nubrik der mittleren Beamten gebracht sind. Nun, meine Herren, was diese Denkschrift anlangt, so hat dieselbe ja nur eine vorüber- gehende Bedeutung. Wenn das Dienstalters\tufensysteem durch- geführt ift, verliert diese Denkschrift jede Bedeutung. Man hat die tehnischen Hilfsarbeiter hier einfach um deswillen aufgenommen, weil sie ganz dasselbe Gehalt beziehen wie diejenigen Beamten, für die jeßt die Durhführung des Dienstalters\tufensystems in Aussicht genommen ist. Nun frage ih Sie, meine Herren, wenn wir sie in dieser Denkschrift übergingen und sie erst im nächsten Jahre mit den böberen Beamten zusammen in das Dienstalters\tufen-System hineinbezögen, ändert fih dur eine solche Maßregel auch nur das Leiseste bezüglich der amtlichen, fozialen und politishen Stellung dieser Beamten ? Doch niht das Mindeste!“ (Sehr rihtig! rechts.) Wenn man also darüber Beschwerde führt, daß diese Beamten mit sogenannten Sub- alternbeamten, mit mittleren Beamten zusammengeworfen sind ja,

. meine Herren, so mache ih darauf aufmerksam: Das ist kein Unikum in

unserem Etat. Z.B. steht der Feldpropst der Armee, der Armee-Bischof mit sämmtlichen Divisions-Küstern unter;,einer Rubrik, und ih habe noch nie gehört, daß sih ein Divisions-Küster darüber beshwert hat, oder gar der Feldpropst. Dieselbe Sache ist es mit den Korps-Auditeurxen. Dieselben stehen unter einer Ziffer mit den Gerichtsboten am Gou- vernementsgericht in Berlin (Zuruf) und mit 11 Aktuarien. Sind das keine subalterne Beamte? Die ftehen mit den Divisions- Auditeuren unter’ einer Nummer. Nun frage ih Sie, ist {on deswegen jemand auf die Idee gekommen, daraus eine s{lechte Behandlung der Divisions-Auditeure konstruiren zu wollen, daß sie unter einer Nummer mit den Aktuarien und mit den Boten des Gouvernements- gerichts stehen? Nein, meine Herren, darin gehen Sie zu weit! (Zuruf.) Aber der Herr Abg. Lenzmann hat es gethan, und der Herr Abg. Hammacher hat aus der Thatsache, daß nah der Denk- {rift über die Dur(führung des Dienstaltersstufensystems bei den Beamten auch die technischen Hilfsarbeiter einbegriffen find, eine Ver- lezung der Ehre der technischen Hilfsarbeiter herleiten wollen. Eine solche liegt in keiner Weise vor.

Abg. Dr. Förster- Neustettin (d. Rfp.) tritt den Ausführungen des Abg. Dr. Hammacher bci. Redner verweist darauf, daß die Trigonometer hon na 15, die hier in Sre stehenden technischen Hilfsarbeiter erst mit 21 Dienstjahren das Höchstgehalt erreichen.

Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor im Reichs - Shaßzamt, Wirklicher Geheimer Rath Aschenborn entgegnet, daß diese Differenz in den verschiedenen Altersgraden der beiden Kategorien bei der festen Anstellung und in der verschiedenen Art der amtlichen Funktionen begründet ist.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Der SchHwerpunkt der Demokratie liege darin, das Rechte án jeder Stelle hafen zu wollen. Da im Deutschen Reiche verschiedene Stände vorhanden seien, müsse er es für ein Unglück erachten, wenn jemand nicht in die rihtige Stelle einrangiert wird. Wenn der Staatssekretär Dr. von Boetticher diese Beamten zwischen die höheren und mittleren Beamten einschiebe, fo arbeite doch er, nicht der Nedner, an der Ausdehnung des Man- darinenstaats. Die Parallele mit den Auditeuren und dem Feldpropst sei durchaus unzutreffend.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Um den Herrn Vorredner vollständig zu beruhigen, will ich an- führen, daß wir im Reih noch keine Rangordnung haben, und si daher jeder Beamte dazu zählen kann, wozu es ihm beliebt. (Sehr gut! links.) Das heißt: für sich. (Große Heiterkeit.)

Sodann habe ih darauf hinzuweisen, daß diese Beamten, deren warmer Vertreter der Herr Abg. Lenzmann geworden ist, ausdrülich dur einen höheren Wohnungsgeldzushuß \sich von den mittleren Be- amten, den Subalternbeamten unterscheiden. Also was fehlt ihnen zu ihrem Glüdcke? (Heiterkeit.) Nur das eine, daß sie nit eine besondere Nummer im Etat haben. Und da komme ih wieder darauf zurück: ich verstehe diesen Schmerz nicht.

Abg. Möller (nl.) bedauert, daß die von dem Abg. Dr. Ham- macher und ihm in der Budgetkommission gegebene Anregung, diesen Beamten eine äußerlich bessere Stellung im Etat anzuweisen, nicht durhgedrungen sei. Er habe hauptsächlich dabei im Auge gehabt, den Nachwuchs für diese wihtige Stelle in genügendem Maße zu interessieren. : u

Der Titel wird bewilligt.

Beim Kapitel „Gesundheitsamt“ bemerkt der

Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath (nl.): Jm vorigen Jahre sind zwei Petitionen, betreffend die Zulassung der Frauen zum medizinischen Studium dem Reichskanzler überwiesen worden, und es wurde gleichzeitig eine Refolution vorgeschlagen, welche die Ertheilung der Approbation als Arzt an Frauen betraf. Von dem Schicjal der Petitionen haben wir seitdem nihts mehr gehört. Freilih it der Zeitpunkt zur erneuten Besprechung diefer Frage nicht sehr glückli gewählt; wenn {hon die vorhandenen studierten Aerzte {wer unter der Noth der Zeit zu leiden haben, sollte man den Stand nicht noch mehr mit den weiblihen Aerzten belasten. Aber andererseits ist diesen Bestrebungen in der leßten Zeit foviel Theilnahme und Förderung geworden, daß es nit unangebraht ersheint, darauf zurüd- zukommen. Namentlih auf konservativer Seite ist eine vollständige Wandlung der Anschauungen eingetreten. Seit November 1893 sind hier in Berlin Gymnafialkurfe für Frauen eingerichtet ; sie werden aus Privatmitteln unterhalten, da man von Reichswegen nichts dafür thun zu können erklärte und uns an die Einzel-Landtage verwies, wo bisher direkt noch nichts geschehen ist. In Baden hat man einen anderen Weg eingeschlagen. Es nügt aber alles nichts, wenn nit das Reich naher die Ausübung der ärztlihen Praxis den Frauen gestattet. Deshalb follte der Bundeérath jener Resolution oder viel- mehr dem Verlangen derselben sich wohlwollend gegenüberftellen und rechtzeitig eingreifen, damit die Frauen, die fsich auf den ärztlichen Beruf vorbereiten können, wissen, woran sie nachher

als ob es sich darum handelte, für einen Beamten einen Knopf

sind, wenn sie ihre Studien beendet, ihre Examina abgelegt

haben. Auch follte man etwa die Reichs-Universität Straßburg für das ärztlihe Studium den Mädchen öffnen. Wir wollen keine Frauen- emanzipaticn, aber wir wollen den weiblichen Perscnen, die den Muth und die Gaben besißen, auf diesem Wege sich und den Jhrigen eine Existenz zu schaffen, den Weg dazu nicht verschränken. In dèn Vereinigten Staaten fungieren bereits über 3000 Frauen als Aerzte; in England sind 150 high schools derselben Art, wie in Berlin sih erst ein {wacher Anfang zu einer einzigen findet. Im übrigen is dort den Frauen der Zutritt zu sämmtlichen Uni- versitäten gestattet. Auch in Frankreih ift die Nothwendigkeit der Lësung dieser Frage anerfannt. In Italien hat Bonghi kurz vor seinem Sturze die Universitäten den Frauen geöffnet, und in Rußland ift dies bezüglich der Universitäten zu St. Petersburg, Moskau, Kiew und Kafan geschehen. Selbst Seine Majestät der Sultan hat neuerlih eine ähnlihe Verfügung erlassen. Jmmer größer, immer allgemeiner wird das Interesse, das die Nation dieser Frage zuwendet; öffnen Sie uns die Thore des Reichs! Es gilt hier , einen alten Zopf abzuschneiden !

Staatssekretär Dr. von Boetticher: \

Die Thüren des Reichsamts des Innern stehen dem Herrn Vor- redner jederzeit ofen, und das Reichsamt des Innern ist auch bereit, alte festgewah®ene Zöpfe abzuschneiden. Nur fragt es fich dabei immer: wo fißen diese Zöpfe? und is das Reichsamt des Innern in der Lage, ihnen beikommen zu können ?

Ich kann im allgemeinen, was die von dem Herrn Vor- redner so warm vertretene Angelegenheit anlangt, auf das verweisen, was ih im vorigen Jahre erklärt habe. Der Standpunkt, den ih damals eingenommen habe, ist auch bej weiterer Betrachtung durch nichts ers{Güttert worden. Das Reich fann auf dem Gebiete nah der Richtung hin, die der Herr Vorredner verfolgt, niht helfen. Denn reihsrechtlich besteht absolut kein Hin- derniß für die Zulassung von Perfonen weiblichen Geschlechts zur Ausübung der Heilkunde, und meines Erachtens auch nit für ihre Zulassung zur Ausübung des Heilgewerbes mit der Bezeichnung als Arzt. Die Gewerbeordnung {reibt in § 29 vor, daß eine Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung ertheilt wird, Personen bedürfen, welche sich als Arzt oder mit cinem gleiclauten- den Titel bezeichnen wollen. Es i hier fein Unterschied gemaht zwischen weiblihem und männlihem Geschlecht, und es ist mir ganz außer Zweifel, daß, wenn heute eine Frau käme, ausgerüstet mit der Erfüllung der Vorbedingungen, welche für die Erlangung der Approbation vorgeschrieben sind, naß dem Wortlaut des S 29 die Behörden nit in der Lage wären, die Approbation um deswillen zu verweigern, weil der betreffende Bewerber eine Frau ist.

Also, was sollen wir thun? Weder nah der Gewerbeordnung noch nah den Vorschriften, die der Bundesrath auf Grund der- Ge- werbeordnung erlassen* hat, is die Zulassung zur ärztlihen Praxis, die Zulaffung zur Erwerbung der Approbation von dem Geschlecht abhängig. Jeßt wird es beklagt, daß der ärztlihe Beruf zur Zeit noch von so wenig Frauen ergriffen wird; man wünscht den Frauen förderlich zu sein, und wenn in diesem Bestreben, über dessen Berechtigung ih mih heute garniht äußern will, ih will überhaupt über die Frage, ob es fozial und wirthschaftlich richtig ist, die Frauen in größerer Zahl zum ärztlihen Berufe heranzuziehen, mich durchaus nit auslassen ich sage: wenn in diesem Bestreben weitere Fortfhritte gemacht und auf diesem Gebiete die Hindernisse überwunden werden sollen, die bis jeßt noh bestehen, fo ist das nur auf dem Wege zu erreichen, daß dem weiblihen Geshlecht die Er-

füllung der Vorbedingungen für die Erwerbung der Approbation er- mögliht wird; also, daß es ihnen ermögliht wird, dem ärztlichen Studium auf ciner deutshen Universität obzuliegen, und daß es ihnen vorab ermöglicht wird, das Zeugniß der Gymnasialreife zu erhalten. Der Herr Vorredner hat bereits an die Versuche, die auf diesem Gebiet thatsählich unternommen sind, erinnert. Es besteht hier in Berlin bereits eine Anstalt, auf der weibliche* Personen die Gymnasialreife sih erwerben können;- soviel ih weiß, ist eine ähn- lihe Anstalt in Karlsruhe vorhanden, und wenn die Bemühungen auf dem Gebiete fortgeseßt werden, zweifle ih garnicht daran, daß auch no in anderen deutshen Ländern ähnliche Anstalten, die dazu dienen, weiblihen Perfonen die für das medizinishe Studium erforderliche Sculvorbildung zu verschaffen, errihtet werden. Aber was foll das Reich dazu thun? Wenn wir jeßt in den § 29 der Gewerbe- ordnung, um jeden Zweifel darüber auszuschließen, ob Frauen als „Arzt“ approbiert werden können, vielleiht hinter das Wort „Personen“ in Parenthese {reiben „männlihe und weiblihe“ Parenthese ges{lossen —, was würde damit gewonnen fein? Daraus würde noch nicht die Verpflihtung für die Einzelstaaten si ergeben, auf dem Gebiet der Gymnasialvorbildung und des Universitäts\tudiums Einrichtungen zu treffen, welche die Frauenwelt befähigen, zur ärzt- lichen Praxis sich approbieren zu lassen. Also das Reih würde auf dem Wege dieser allein zulässigen Aktion die Sache auch noch nit einen Schritt gefördert haben.

Wenn der Herr Vorredner weiter vorgeshlagen hat, man möge doch eine Reihs-Universität begründen (Zuruf) da habe ih den Verrn Vorredner mißverstanden. Aber Straßburg ist keine Reichs- untersität, sondern eine Landesuniversität, und wenn der Herr Vor- redner in dieser Beziehung Wünsche hat, so muß er si an die Unter- rihtsverwaltung der Reichslande wenden, aber nicht an meine Adresse. Zch kann ihn also nur wiederholt darauf verweisen: Alles was in der Richtung seiner Wünsche geschehen kann, muß auf dem Gebiete der landesgesetlihen und [andesadministrativen Regelung geschehen; das Reich kann hier, meiner Ueberzeugung nach, nichts thun, es müßte denn, was auch bereits angeregt ist, nah der anderen Seite hin deklaratorisch den etwa aus § 29 si ergebenden Zweifel dahin erledigen, daß die Approbation als „Arzt“ aus\{ließlich für die R vorbehalten wird, und das wird der Herr Vorredner nicht ollen.

Im übrigen haben ja auch s{chon verschiedene Frauen bei uns Eingang in die Praxis gefunden; es sind das sehr geshäßte Damen, die au eine recht gute Praxis haben. Es fehlt also nur noch das

fine, daß ihnen bisher die Approbation auf Grund ihrer im Ausland

erhaltenen Vorbildung niht zugänglich ist. Diesen Weg zu eröffnen, dazu kann aber zu meinem Bedauern das Reich nicht beitragen.

Abg. Dr. Lan gerhans (fr. Volksp.): Es könnte doch von seiten da ¿Neihs viel geschehen, um die Sache zu fördern, wenn man dies Ian E will. Nähmen wir die Aenderung in die Gewerbeordnung guf das Geschlecht fein Hinderniß für die Erlangung der Appro-

R 0/10 wäre damit {on viel gewonnen. ir wollen der qu überhaupt die Zulassung zum akademischen Studium ermög- t a ob sie sih gerade zu Aerzten eignet, lasse ih dahingestellt. E 1 Lehrfah eignen \ich do die Frauen ganz außerordentlich. ne Ueberhandnahme der Frauen als ichter, Bürgermeister und

Aerzte wird nit vorkommen, denn vorläufig heirathen die Frauen Eu es haudelt sih hier einfah um eine Forderung s Ge-

bg. Prinz zu Shönaih-Carolath (nl.): Die Universität Straßburg is doch eine Reichsuniversität, keines Einzelstaates; da könnte doch der Bundesrath als solcher eine Anregung geben, ob nicht hier der Zulaffung der Frauen zum medizinischen Studium näher- getreten werden fann. - E Ds Riert (fr. Vg.): Es wird doch wobl nichts Anderes übrig bleiben, als în Preußen sih an den Kultus-Minister zu wenden. Weiter uns mit der Frage zu befassen, wird bei der Verhand- lung der bezüglichen Petition Gelegenheit geboten werden.

_Abg. Wurm (Soz.) beshwert fich darüber, daß noch immer feine genügenden Methoden zur Denaturierung des Spiritus eingeführt sind, obwohl das Kaiserliche Gesundheitsamt über die Ausführung dieser tehnischen Arbeit zu wachen hat und Tausende von Arbeitern unter den schädlichen, ja lebensgefährlihen Dämpfen der bisher zur Dena- turierung benußten Pyridinbasen fortgeseßt zu leiden haben. Redner fragt, wie weit die Versuche, bessere Methoden zu finden, gediehen seien.

Dircktor des Kaiserlichen Gesundheitêamt Dr. Köhler erwidert, daß Versuhe zwar immer noch angestellt werden, aber bisher eine ganz zufriedenstellende Methode noch nit gefunden ist. Die Fabrik - Inspektoren hatten sich übrigens sämmtlih dahin erklärt, daß gefundheits{hädlihe Wirkungen des Pyridins nicht festgestellt wor n E öd f

g. röder (fr. Vg.): In der Frage der Zulassung der Frauen zum Arztberuf wird thatfählih mit Erfolg nur bei den Elüzel- staaten einzuseßen sein; und in dieser Beziehung find die Sachen auch bereits in erfreulihem Fluß. Die Unterrichtsverwaltungen werden \{ließlich ebenfalls der Sache sih günstiger zeigen müssen. Auch in Preußen is {on einiges Entgegenkommen zu verspüren.

Dg: De. Langerhans (fr. Volksp.) tritt für die endliche Ein- führung einer obligatorischen Leichenschau ein.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Ich hoffe, daß der Herr Vorredner niht mehr solange wie bisher auf die Erledigung dieser gesezgeberishen Aufgabe wird warten müssen. Ih muß übrigens die Königlih preußische Regierung in Schuß nehmen wegen des Vorwurfs, daß sie an der Verzögerung {huld sei. Die Sache liegt so, daß die preußische Regierung vor einiger Zeit aus eigener Jnitiative die Anregung beim Reich gegeben hat, daß man aus verschiedenen Gründen, die ih bier nit weiter, noh dazu zu so später Stunde enfwickeln möchte, die Sache zurüdgelegt hat, bis das Reichs-Seuchengeseß verabschiedet ist, um niht das Reichs-Seuchengeseß durch diese Frage noch zu tomplizieren. Ich kann aber dem Herrn Vorredner versprechen, daß wir sofort, nachdem das Reichs-Seuchengeseß verabschiedet sein wird, an die Er- ledigung auch dieser Materie herantreten werden.

Abg. Zubeil (Soz.): Der Direktor des Kaiserlichen Gesundheits- amts bezieht fich auf die Zeugnisse der Fabrikinspettoren, um die Unschäd- lichkeit des mit Pyridin denaturierten Spiritus nachzuweisen. Er follte nur die Krankenkasfenärzte Berlins fragen, da würde er andere Antworten erhalten. Die Möbelpolierer hätten ganz erheblich unter dieser Sorte von Spiritus zu leiden. Wenn eine ordentliche Dèna- turierungsmethode niht aufgefunden werden könne, solle doch die Negie- rung auf die Unterscheidung verzichten.

Das Kapitel wird bewilligt.

Gegen 51/2 Uhr wird die weitere Berathung vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten,

10. Sißung vom 6. Februar 1894.

Im weiteren Verlauf der ersten Berathung des ees, entwurfs über die Landwirthschaftskammern (siehe den Anfangsbericht in der Dienstags-Nummerd. Bl.) nimmt nach dem Abg. Freiherrrn von Loë (Zentr.) das Wort der

Abg. Dr. von Zoltowsfi (Pole): Redner bezweifelt, daß die E den berehtigten Wünschen der Landwirthe gerecht werde. Die Vorlage sei ein Rahmen; aber man wisse noch nit, ob man ein dazu pasfsendes Bild bekommen werde. Gutachten, fährt Redner fort, haben die bisherigen landwirthschaftlihen Vereine {on ab- geben können; daß die künftigen Landwirthschaftskammern einen bestimmenden Einfluß auf die Regierung haben werden, ist durchaus noch nicht sicher. , Den technischen Fortschritt der Landwirthschaft haben die landwirthschaftlihen Vereine auch gefördert. darauf kommt es garniht an; es B _auf allen Gebieten, welche die Landwirthschaft berühren, eine eform herbeigeführt werden, im Verkehrs-, Kreditwesen u. |. w. Was werden die Landwirth- scaftskammern mehr leisten können als die landwirthschaftlichen Vereine? Die Landwirthschaftskammern können Steuern erheben; wird aber die Gesammtsumme, welche sie erheben können, wirklich so groß sein, daß damit der Landwirthschaft tehnishe Fortschritte erleich- tert werden fönnen ? Auch gegen das Wahlreht sind mehrfache Be- denken vorhanden. Jn der Begründung heißt es, daß es der weiteren Entwickelung vorbehalten bleiben müsse, ob die Landwirthschafts- kammern das Vereinswesen aufsaugen werden. - Danach scheint es fan als ob die Regierung keine e Sympathie für die landwirth- chaftlichen Vereine habe. Redner empfiehlt die Verweisung der Vorlage an eine Kommission.

Abg. von Mendel - Steinfels (kons.): Seit Jahren chon verlangen die landwirthschaftlihen Vereine. eine feste Interessen- vertretung und ein beschränktes Besteuerungsrecht, aber ihre Wünsche fanden wenig Berücsihtigung. Man \chuf in den siebziger Jahren das Landes-Oekonomie-Kollegium und nahher im Reich den Deutschen Landwirthschaftsrath. Seit 1884 ist man wieder auf den Gedanken der Landwirthschaftskammern zurückgekommen. Der Landwirthschaft- liche Zentralverein für Sachsen ist durchaus nit, weil er sih {wach fühlt, für die Landwirthschaftskammern eingetreten; er ift vielleicht der stärkste Verein. Er if aus anderen Gründen dafür eingetreten. Eine Abschlagszahlung für die gegenwärtige Nothlage ift die Vorlage nicht, sondern sie wird erst für die Zukunft der Landwirthschaft gute Dienste thun. Die Landwirthschaftskammern mögen organisiert sein, wie sie wollen —- sie werden immer von dem Wohlwollen der Negierung abhängig sein und können in Gemeinsamkeit mit einer wohlwollenden na der Landwirthschaft gute Dienste thun. Die Vorlage muß aber noch) in mancher Beziehung umgearbeitet werden. Eine gese lich fest-

geeale Vertretung eines Standes wird in der Oeffentlichkeit mehr

eahtung finden, als eine freie Vertretung. Wir hätten niht den merkantilen Zug unserer Geseßgebung, wenn nit die Handelskammern mit ihrem geseßlichen Hintergrund die Regieruug und die Geseßgebung hâtten beeinflusten können. Licht und Schatten müssen gleich vertheilt werden, und die Landwirthschaft muß die Sicherheit haben, daß die Landwirthschaftskammern von der Regierung gehört werden. Ein weiterer wihtiger Punkt ist die Bemessung des Steuersatzes auf 1 9% des Grundsteuerreinertrages. Das ist wohl etwas zu hoc ; man wird sich mit è 9% begnügen können. Das landwirthschaftliche Vereinsleben hat eineerfreulihe Entfaltung genommen; es ist der Träger derlandwirthschaft- lichen Kultur und des landwirthschaftlichen Fortschritts geworden. Deshalb müßte das Alterprobte niht zerstört, sondern eher ge- fördert werden. Die landwirthschaftlihen Zentralvereine werden da- hin kommen, sih aufzulösen. Aber die andern Vereine brauchen ia nicht nothwendi erweife aufzulösen, zumal wenn eine weitere Mitarbeit der landwirthschaftlichen Vereine herbeigeführt wird. Den Vereinen wird in ihrer Gesammtheit eine Vertretung in der Kammer ge- sichert werden müssen, damit die Kammern in Zusammenhang bleiben mit der praktischen Landwirthschaft. Die landwirth aftlichen Vereine werden Träger der ubvention des Staats und

der ganzen praktishen Thätigkeit der Landwirthschaftskammern sein. Bei der Gesetzgebung werden die Kammern V Interessen

Aber.

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der Landwirthschaft besser vertreten als di i

dech nur e gg Mun Brudcht1heil E “Ce, ale Z Bedenklich ift die Aufstellung der Statuten. Der Minister entwirft sie, und der Provinzial-Landtag sol sie. vrüfen. Warum sollen die Zentralvereine nit die Statuten prüfen? Die Provinzial-Landtage find, je weiter man nach Westen kommt, desto weniger von Land- wirthen beseßt. Deshalb halten wir die Provinzial. Landtage nicht für geeignet zur Aufstellung solher Statuten. Auch der Wahlmodus will mir nicht gefallen; den Widerspru zwischen Klein- und Groß- grundbesig, sollte, man nicht in das Gesetz aufnehmen. Es giebt Leute die diesen Gegensaß betonen, obgleich jeder, der in der Landwirth- saft steht, weiß, daß dies Humbug ist. Besonders für die erste Zeit ist es nothwendig, das Geseg so einfa wie möglich zu gestalten. Deshalb müssen die vorgesehenen Unterkammern entweder ganz gestrichen werden, oder die Provinzialkamgern müssen zur Bildung derselben ihre Zustimmung geben. Jedenfalls „0 wenig wie mögli geseßlih festgelegt werden, weil die Verbältnisse zu verschieden sind. So uniform wie beim Handelskammergesetz darf man nit vorgehen; es muß mögli sein, den provinzialen Bedürf- nissen nah jeder Richtung bin Nechnung zu tragen, felbst beim Be- steuerungömodus. Wenn Landwirthschaftskammern überhaupt einge- führt werden, dann müssen sie obligatorisch eingeführt werden, damit es nicht nachher Vertretungen ecster und zweiter Klasse giebt. Die ganze Einrichtung wird in Zukunft der Landwirthschaft gute Dienste thun, aber nte ist kein Mittel, der augenblicklichen Nothlage abzu- helfen; dazu lind andere Dinge nothwendig, die anderweitig \chon genügend betont sind.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Meine Herren! Die von mebreren Herren Vorrednern geäußerte Ansicht, daß dic jeßige Vorlage nicht aufgefaßt werden dürfe als Abschlagszahlung, um den augenblicklich die Landwirthschaft drückenden Verhältnissen Abhilfe zu hafen, tbeilt die Staatsregierung ‘voll- ständig; sie hat in dieser Absicht die Vorlage nicht gemacht. Die Vorlage ist eingebracht vom Standpunkt des Staatsinteresses, welches das Vorhandensein unabhängiger geficherter ländliher Grundbesißer erfordert. :

Im übrigen, meine Herren, ist die Frage beleuchtet, ob die Land-

wirthschaftskammern fafultativ oder obligatorisch einzuführen seien. Die Herren, die sich darüber geäußert haben, scheinen geneigt, ih mit dem Gedanken der Vorlage einverstanden zu erfläâren. Ich nehme mit dem Herrn Abg. von Tiedemann an, daß es sih im ganzen hierbé weniger um eine materielle Differenz handelt, wie um das Tempo der Ausführung. Denn auch wenn man die Landwirths{aftskammern nur fafultativ einrihtet, werden fie si do bald über das ganze Und ausbreiten. Die Staatsregierung steht zu der Sade etwas anders. Wenn sie entschlossen ist, die bessernde Hand an verschiedene Rechtsverhältnisse zu legen, welche für die Landwirthschaft von wesent- liher Bedeutung sind, so muß ein gleichartiger Unterbau vorhanden sein, und sie bedarf neuer Organe schon zur Vorbereitung der in Frage stehenden Geseßgebung und zur Ausführung der- selben. Einer der Herren Redner hat ausgesprochen, diese Vorlage sei nur ein leerer Rahmen, in dem nihts enthalten sei. In gewisser Beziehung ist dies richtig; aber dadur, daß die Staats- regierung ihre Absicht kundgegebe# Zat, bezüglih des den ländlichen Grundbesiß betreffenden Rechts geseßgeberisch vorzugehen, ist doch der Inhalt für diesen Rahmen auch bereits gegeben. __ Es wurde von einer Seite, und zwar von dem Herrn Abg. von Zóltowsti, der Wunsch geäußert, möchte präzisere Mittheilungen darüber machen, in welhem Umfange die Landwirthschaftskammern zur praktischen Mitarbeit demnächst zugelassen werden sollen. Meine Herren, diejenigen Maßregeln, die in Frage stehen, sind bezeichnet. Es handelt si um die Verhinderung der weiteren Verschuldung und eine Jnangriffnahme dieser Frage beim Erbreht. Dahin zielende Maßregeln find von tief eingreifender Natur und von großer Tragweite; die Verhältnisse liegen so verschiedenartig in den einzelnen Landestheilen, daß diese Materien nit kurzer Hand dur ein Gesetz geregelt werden fönnen. Um Vorschläge machen zu können und sicher zu sein, daß diese Vorschläge auch den Bedürfnissen und den Interessen der einzelnen Landestheile entsprechen, wird es der Mit- arbeit der weiten Kreise der Landwirthschaft hervorragend bedürfen.

Nach den Aeußerungen der verschiedenen Herren Redner kann ich annehmen, daß die Vorlage an eine Kommission verwiesen wird. Die Bedenken, die geäußert worden sind, sind zahlreih; ih babe aber keine Bedenken gehört, die ih nicht bereits selbst gehegt und erwogen habe. Sie werden die Staatsregierung in der Kommission bereit finden, alle Bedenken mit Ihnen aufs eingehendste zu prüfen, und ich glaube, Sie werden in vielen Richtungen finden, daß die Vorlage den von den verschiedenen Standpunkten zu erhebenden Bedenken Rechaung trägt. Das werden Sie finden bezüglih der Wahlrechts- konstruktion, das werden Sie finden bezüglih der Grenze des Wakhl- rets, die vielen niht gefällt. N

Hier, meine Herren, handelt es si ja niht um Festlegung der Grenze nah unten, sondern in diesem Gesetzentwurf handelt es sih um die Festlegung der Grenze nah oben. Jn vielen, vielleicht in allen Landestheilen wird man bei der Detailbearbeitung mit der Grenze des Wahlrechts möglicherweise weiter beruntergehen. Das ist zweifellos; dazu bedarf es aber eingehender Untersuhungen an Ort und Stelle.

Es hat einzelnen Herren die Anhörung des Provinzial-Landtags nicht gefallen; man hat gefordert, man foll die Zentralvereine an- hören. Das letztere ist nah den Vorverhandlungen, wenigstens von von mir als sfelbstverständliß angenommen. Die Anhörung der Provinzial-Landtage soll in anderer Richtung eine gewisse Garantie geben, da in den Zentralvereinen nicht alle Landwirthe vertreten sind. Die Ansichten darüber, wieviel man durh das Gesetz regeln und was man dem Statut vorbehalten foll, sind verschieden. Einzelne Herren haben gefordert: möglich# wenig, ein anderer: möglichst viel in das Geseß hinein! Jh glaube, auch hier wird die Kommission bei Prüfung der Verhältnisse finden, daß das, was im Gesetzentwurf vorgeschlagen ist, dasRichtige getroffen hat. Wir haben uns bemüht, demGe- feß nihtzuviel zuzuweisen ; aber wenn man einen einigermaßen gleichartigen Unterbau in den verschiedenen Provinzen haben wollte, fo mußten die Grundzüge durch das Geseß festgelegt werden. Bei dieser Stelle möchte ih darauf aufmerksam machen, daß die Landwirthschaftskammer zunächst nur berufen sein soll, an die Stelle der landwirthschaftlichen Zentralvereine zu treten resp. deren Aufgaben zu übernehmen, wenn eine Verständigung mit denselben stattfindet. Ich glaube allerdings, daß die landwirthschaftlichen Zentralvereine und die Landwirthschaftskammer auf die Dauer nicht neben einander werden bestehen können, und daß ganz von selber im Wege der Ver- einbarung ein Modus s\ich finden wird, dur welchen entweder die landwirthschaftlihen Zentralvereine “als Aus-

schüsse den Landwirthschaftskammern sich anschließen oder