1894 / 34 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

id, chärfer gef. werden, Die bestehenden landwirth- O i Vereine, tralvereine, das Landes - Oekonomie- ium und der Deutsche Landwirthschaftsrath haben ja gut gewirkt, aber sie haben doch niht das Gewicht wie eine gefeplt organisierte Körperschaft. Redner hat aber Bedenken bezüglih der Besteuerung; die Grenze, bis zu welcher die Kammern ohne weiteres Steuern er- heben Tönnten, fei zu hoh gegriffen. Die Bedenken wegen der Wahlen seien niht \tihhaltig; denn es sei ja jeder Provinz über- Iafsen, das Wahlreht nah ihren Bedürfnissen zu regeln. Die Staats- z¿uschüsse, welche die landwirthschaftlihen Zentralvereine erhalten, müßten niht vermindert, sondern erhöht werden; denn sie reihen nit an das heran, was Handel und Gewerbe vom Staat erhalten. Eine besondere Beachtung verdient noch das Wahlrecht der Pächter, welches durch Vertrag zwischen E und Verpächter geregelt werden foll. Die Grenze für das Wahlrecht sollte niht zu hoch ge- seßt werden, damit nit eine zu große Zahl der Landwirthe vom

hlrecht ausgeshlossen wird. Man fagt, die Landräthe seien die Hebammen der konservativen Wahlen gewesen. Das bestreite ih; aber wenn es wahr wäre, so wäre die Geburt bei uns immer noch ziemlich von statten gegangen; bei den Freisinnigen war es s{hwieriger: da mußte der Doktor helfen und zur Zangengeburt schreiten. Daß eine Verschiedenheit der Inter- essen zwischen großem und kleinem Grundbesiß besteht, erkennen wir nicht an. Wenn ein Bauer sch bei Herrn Rickert Rath holt, so kann er mir leid thun. Die Deutsche Landwirthschaftsgesellschaft wird von der Vorlage garnicht berührt; denn sie hat mit den wirth- fchaftspolitischen Dingen nihts zu thun. ußerdem gehören ihr meist nur die größeren Grundbesißer an. Was Herr Rickert bei dieser Gelegenheit vom Bunde der Landwirthe wollte, is \{leierhaft ge- blieben. Die Einigkeit der Landwirthe scheint ihm doch ein Dorn im Auge zu sein. Wir werden mit Vertrauen an die Berathung der Vorlage der Regierung herantreten. Wenn auch von hoher Stelle gesagt ist, daß Deutschland ein Industriestaat werden müßte, fo halten wir das doch für ein großes Unglück. Wir verzweifeln nicht daran, - es gelingen wird, bessere Zustände für die Landwirthschaft herbei- zuführen. Mean wir das nicht hofften, dann müßten wir ja auch an der Zukunft des Vaterlandes verzweifeln. :

bg. Graf E (Zentr.): Jh bin dem Abg. von

Czarlinsfi dankbar dafür, daß er Herrn Rickert, der erst am Ende der Rednerliste stand, seinen Plaß eingeräumt hat. Jch habe die Rede des Abg. Rikert so erwartet, wie sie ausgefallen ift. Wenn Herr Rickert etwas bekämpft, muß für uns Landwirthe entschieden etwas Gutes daraus entstehen. Redner is im allgemeinen mit der Vorlage einverstanden, wünscht aber, daß den Landwirthschaftskammern eine größere Bedeutung beigelegt würde, als die Vorlage es thue. Der Minister, fährt er fort, wird hoffentlich den dahin gehenden An- trägen Folge geben. Die Ziele sind fehr weit gesteckt, aber die Be- fugnisse der Kammern sind niht groß genug. Sie können gehört werden als Begutachter; besser wäre es doh, sie „müssen gehört werden, denn sonst würden sie z. B. beim Abschluß des österreichischen Handelêvertrags doch nichts bedeutet haben. Da könnte man lieber bei den Zentralvereinen bleiben. Aus den landwirthschaftlihen Vereinen heraus kann man im Osten die Landwirthschaftskammern nicht schaffen; ob das im Westen möglich wäre, laffe ih dahingestellt. Aus den Zentralvereinen werden allerdings die bewährten Mitglieder genommen werden für die Land- wirthschaftsfammern ; sie werden alo in ihrer alten Thätigkeit bleiben ; aber sie werden mehr Leute und mehr Geld hinter sich haben und dadurch eine höhere Bedeutung bekommen. Die lokale Thätig- keit der Zweigvereine wird nothwendiger und wichtiger als je werden. Die Landwirthschaftskammern müssen frei bleiben von allem bureau- kratishen Einfluß und von jeder politishen Tendenz. Ueber die Mit- wirkung der Kammern bei den Preisnotierungen der Produktenbörsen ist nihts Genaueres bestimmt; hoffentlich geschieht das noch in der Kommission. Den Kammern muß die Berathung des Statuts überlassen werden; gewisse Muster und Direktiven fann die Regierung geben; aber das Statut sollte niht oftroyiert werden. Auch die Auflösung der Kammern sollte ausgeschlossen werden, sonst find sie in ihrem Votum nicht frei. Die Wahlen find zu kompliziert; man darf keinen Unterschied zwishen dem großen und kleinen Grundbesiß machen. Die Nothlage der Landwirthschaft ist entstanden daraus, daß die Einnahmen nicht mehr die R decken. Deshalb is die Vorlage keine Abhilfe für jeßt. Diesem entgegenzutreten bat die Regierung die Verpflichtung, weil sie es zum großen Theil vershuldet hat. Durch das Aktiengeseß hat die Staats- regierung das platte Land entvölkert; fie hat unseren Viehexport zer- ftôrt, sie hat die gemishten Transitläger eingeführt, und was ist der russische Handelsvertrag anders als eine Den der ausländischen Landwirthschaft? Deshalb glaube ih, daß diefe Vorlage noch nit das legte Wort der Regierung sein wird. Ie schneller sie vor- wärts geht, desto mehr wird fie fih den Dank der Landwirthe ver- dienen.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Meine Herren! Der Haupteinwand gegen die Vorlage bezieht sich darauf, daß die landwirthschaftlichen Zentralvereine und überhaupt die freie Vereinsthätigkeit dasselbe leisten können, was die Landwirth- \aftskammern leisten sollen. Dem gegenüber bemerke ich in Wieder- holung defsen, was ih gestern gesagt habe, daß die Königliche Staats- regierung nit beabsihtigt, dur diese Vorlage die Thätigkeit der landwirthschaftlißen Vereine, namentlich in der lokalen und in der Kreisinstanz irgendwie zu beeinträchtigen ; diese Vereinsarbeit ist auch in der Folge absolut nothwendig.

Ebenso besteht unter Zusammenhalt der Begründung und des Textes des Gesetzentwurfs gar kein Zweifel darüber, daß nah Absicht der Königlichen Staatsregierung die landwirthschaftlichen Zentral- vereine nicht gegen ihren Willen aufgehoben, resp. den künftigen Landwirtbhschaftskammern inkorporiert werden können. Es ift in dem S 2 des Gesetzes gesagt: die Landwirthschaftskammern könnten diese Funktion übernehmen, um darauf hinzuweisen, daß eine Vereinigung dieser beiden Organisationen erwünscht ist. : E

Eine derartige Vershmelzung im Wege der Vereinbarung ist ja gar nicht etwas Außerordentlihes. Wir haben derartige Vorgänge gehabt bei der Einführung der Provinzialordnung. Es bestanden damals Kommunalverbände in einzelnen Landestheilen. Ohne Schwierigkeiten ih habe selbst dabei mitgewirkt sind in der Mark und Pommern die Kommunalverbände mit ihren vielseitigen Obliegenheiten im Wege der Vereinbarung in den Provinzialverbänden aufgegangen. Ganz in derselben Weise wird auch eine Verschmelzung der Zentralvereine mit den Landwirthschaftskammern stattfinden können und meiner Ueberzeugung nah stattfinden. /

Also, ih wiederhole, die nußbringende Thätigkeit der landwirth- schaftlichen Vereine und ihrer Institutionen wird von der Königlichen Staatsregierung in keiner Weise verkannt, es wird auf die fernere freiwillige Arbeit nicht verzihtet, und es wird auch in den Landwirth- \chaftskammern der breiteste Raum vorhanden sein, um diese Thätigkeit auszuüben,

Nun leugne ich gar nit, daß, l wirthschaftskammern zuerst an mich herantrat, ich den Ein- druck gehabt habe: im Lande wird man nur das Wort „neue Steuern“ heraushören, und es müsse Bedenken erregen, ob diese Organisation den nothwendig damit verbundenen großen Wahlapparat rechtfertige. Am nächsten lag es ja vielleicht, wenn man eine bessere Vertretung der Landwirthschaft für nöthig hielt, die bestehenden land- wirthschaftlichen Organe, das heißt die Vereine, mit vermehrten

als die Frage der Land-

Rechten auszustatten. Man hätte sagen können: es ift jedem Land- wirth unbenommen, in die landwirthschaftliche Vereinsorganisation einzutreten und sich dadurch eine Einwirkung auf die Beschlüsse und Verwaltung der landwirthschaftlichen Vereine zu verschaffen ; deshalb ist es unbedenklich, den bestehenden Vereinen ein Besteuerungsrecht beizulegen. Bei den Vorverhandlungen hat man jedoch diesen Weg nicht für gangbar gehalten. Man fam allseitig zu der Ueberzeugung, daß die gewünschte festgegliederte Vertretung der Landwirthschaft mit Besteuerungsrecht auf Wahl aller Berufsgenossen beruhen müsse. Das hat zu den Landwirthschaftskämmern geführt. Wir haben eine allmähliche Um- wandlung der bestehenden landwirthschaftlichen Zentralvereine in Land- wirthshaftskammern erwogen, entsprechend den Beschlüssen des Landes- Oekonomie-Kollegiums. Dieses hohe Haus hat dann aber im vorigen Jahre einen weiter gehenden Beschluß gefaßt, und da war die Re- gierung in der s{chwierigen Lage, welcher Seite sie gereht werden sollte.

Der entscheidende Grund für die Vorlage, wie sie gemacht ift, war folgender. Sobald man der Frage näher trat: welhe Ursachen bestehen für den landwirthschaftlichen Nothstand? ich brauche ab- sihtlich den Ausdruck, weil unlängst einer der Herren aus einer Korrektur meinerseits falshe Schlüsse gezogen hat also: sobald die Regierung ihrerseits anerkannte, daß innerhalb unserer landwirth- schaftlihen Verhältnisse ein Nothstand vorliegt, und das wird, soweit ih übersehen kann, heute von feiner Seite mehr bestritten hatte sie sih auch. die Frage vorzulegen nah den Gründen und nah dem, was dagegen zu geschehen habe.

Herr Graf Strachhwiß hat soeben verschiedene Gründe für die landwirthschaftlihe Nothlage angeführt und gesagt: die Verschuldung des Grund und Bodens is nicht entscheidend; entscheidend sei viel- mehr, daß die Regierung viele Unterlassungssünden begangen und au positive Maßregeln zur Schädigung der Landwirthschaft eingeführt habe. Ich will hierauf niht des näheren eingehen; aber er ift im Unrecht, wenn er die Schuld allein auf die Regierung geworfen hat, die Regierung hat alles, was sie gethan hat, Hand in Hand mit den parlamentarishen Körperschaften und den geseßlich geordneten Vertretungen des Landes und des Reichs gethan.

Ich will meinerseits auf den russishen Handelsvertrag und auf die ganze Handelsvertragsaktion hier nicht weiter eingehen; ih würde es bedauern, wenn die Frage der Landwirthschaftskammern verquickt würde mit der ganzen Diskussion über die Handelsverträge und nament- lih über den russishen Handelsvertrag. Diese Angelegenheit hat für die Landwirthschaft eine größere Bedeutung, sie muß meines Erachtens in voller Objektivität behandelt werden. :

Gegen die einzelnen Bestimmungen der Vorlage sind die ver- \chiedensten Bedenken erhoben. Ich habe bereits gestern gesagt: diese Bedenken haben wir erwogen; sie sind vorhanden; suchen Sie die Wege wir werden sie mit Ihnen in der Kommission suhen —, wie man sie heben kann! Sie werden bei Vertiefung in die ganze Angelegenheit zu der Ueberzeugung kommen: das, was vorgeschlagen ist, ist niht ohne Grund vorgeschlagen.

Ich sage also: die Regierung ist zu der Ueberzeugung gekommen und hat anerkannt, daß in den landwirthschaftlichen Verhältnissen ein Nothstand besteht. Bei Würdigung der Gründe legt ein Theil mehr Werth auf die Währung, ein anderer auf die Vertheuerung der Produktion, andere auf die ausländische Konkurrenz durch die ganze Umgestaltung unserer Verkehrsmittel, durch die Telegraphie, durch die Dampfschiffahrt, die Dampfschiffahrt ist ja eigentlih erst seit den siebziger Jahren für den Frachtverkehr in Thätigkeit getreten. Daneben steht die Ver- \chuldung. Herr Graf Strachwitz sagt: die Vershuldung hat geringere Bedeutung. Wir dürfen uns aber nicht verhehlen: alle die anderen Fragen, wenn sie auch im Sinne der Landwirthschaft gelöst werden, wirken immer nur steigernd auf den Werth des Grund und Bodens. bei der Erbschaft und beim Verkauf wird der gesteigerte Werth täg- lich neu eskomptiert, und es wird eine stets gesteigerte Verschuldung eintreten. Aus diesem Grunde is diese Frage in den Augen der Staatsregierung eine der wichtigsten vom Standpunkte des Staatsinteresses, weil durch die stets steigende Verschuldung der Grundbesißerstand, der unabhängig auf seiner Scholle sißt, zusammenschmilzt; und dieses Standes bedürfen wir im Interesse des Staatsganzen. Es is mit einem Verwalter des Grund und Bodens, der zwar auf der Scholle sißt, aber für andere arbeitet, und ‘der zusammenbrit, wenn eine ungünstige Konjunktur kommt, dem Staats- interesse nicht gedient. So lange die Einnahmen aus Grund und Boden steigen, kann eine steigende Vershuldung ertragen werden; wenn wir aber in rüläufiger Konjunktur sind, kann man auf anderen Gebieten \sih einschränken und sparen; aber die Zinsen muß man weiter bezahlen. Kein Mensch wird bestreiten können, daß die ganze Gestaltung unseres Vershuldungswesens nicht vom Standpunkt des Grundbesißes gemaht worden ist, sondern vom Standpunkt des Gläubigers, zur Sicherung und zum Schuß der Kapitalien. Es ist auch ganz natürlih, daß das geschehen ist; aber es läßt sich doch darüber nahdenken, und wir haben in einzelnen Landestheilen in den Landschaften bereits Organisationen, die die Frage geregelt haben vom Standpunkt des Schuldners und niht von dem des Gläubigers. Wenn nun in den Augen der Staatsregierung auf dem Gebiete der Verschuldungsfrage Uebelstände bestehen, fo ist die Prüfung nothwendig, ob und wie die Möglichkeit gegeben ist, die bestehenden Organisationen weiter zu entwickeln, niht vorhandene Organisationen neu zu schaffen und zu * ergänzen. Es fkann ferner niht mit Recht gesagt werden, daß die Frage des Erbrehts am ländlichen Grundbesiß jeßt neu und unerwartet in die Diskussion hineingeworfen ist die landwirthschaftlihen Kreise und die ländlihe Bevölkerung sind mit dieser Frage nicht seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten befaßt und wenn meine Wahrnehmung richtig ist, so bricht sich auch Jahr für Jahr mehr au in den Kreisen der Wissenschaft der Gedanke Bahn, daß das jeßige Erbrecht an Grund und Boden, wenn wir einen gesicherten Grundbesiterstand erhalten wollen, niht genügt und geändert werden muß. Jch erinnere an die Erfahrungen mit der Höferolle in den ein- zelnen Landestheilen. Da, wo sie geeigneten Boden, vorfand, und wo alle Betheiligten dahin wirkten, daß diese Institution zum Leben fommen konnte, wie in Hannover, is sie mit durchs{chlagendem Er- folg eingeführt worden; in anderen Landestheilen hat sie nicht zum Ziele geführt und wird nicht benußt, obwohl in diesen Landestheilen ganz dieselben Verhältnisse vorliegen und thatfählich noch heute der bäuerliche Besi wie vor Jahrhunderten ungetheilt an einen Erben über- geht zu einem mäßigen Ertragsanschlage. Die Sitte is noch aufrecht erhalten, aber die Sitte ist mehr und mehr im Vershwinden begriffen. Deshalb i} es meinés Erachtens nothwendig, daß man mit der Sitte au) die Rechtsinstitution wieder in Uebereinstimmung zu bringen

versucht. Das ift eine Uenberuas des Erbrechts, die niht neu zur

Diskussion gestellt ist, sondern die betheiligten Kreise immer beschäftigt hat. Wenn man aber diese Frage in Arbeit nehmen will das ist das Entscheidende für die Staatsregierung, Ihnen diese Vorlage zu machen so hat fie ihrer Ueberzeugung na nicht die erforderlihen Organe, um die öffentlide Meinung in aus- reichendem Maße für diese Angelegenheit zu interessieren; um die be- theiligten Berufskreise mit der Angelegenheit zu erfüllen und für einzelne Landestheile auch das, was dort nothwendig ist, zu schaffen. Es muß mit den bäuerlichen Kreisen, wenn eine derartige Gesetz- gebung . vorbereitet wird, in weiterem Umfange in Fühlung getreten werden, als es zur Zeit möglich ist; es muß die Gelegenheit zur Diskussion gegeben werden, es muß klar gestellt wer- den: was wollen die hauptsählich betheiligten Kreise. JIch führte früher hon an, wenn man an die Frage des Erbrechts herantritt, so kann man auf den Gedanke kommen, daß im Interesse der Ver- hinderung der weiteren Verschuldung des Grundbesißes von einer Beseitigung aller Hypothekenshulden mit einem Schlage ist nit die Rede gewesen, die Vorlage giebt keine Veranlassung diese Frage zu diskutieren bei der Erbtheilung nicht die kündbare Hypothek, \on- dern eine ablösbare Rente für die Erbtheiler zweckmäßig ist. Kommt man zu einem derartigen Entschluß, dann muß die Gelegenheit durch Institute gegeben sein, diese Renten im Interesse der Erben in Kapital umwandeln zu können; ebenso bei der allgemeinen Ver- \{uldung handelt es sich um Schaffung der Möglichkeit, die kündbare Hypothek durch unkündbare Rentenschulden erseßen zu können. Man sagt, dazu haben wir ja {on die Landschaften und man brauchte bloß zu erweitern. Ja, wir haben sie in einzelnen Theilen des Landes, in anderen Distrikten aber niht; dort befassen sh andere Institute und Kassen mit den Aufgaben der Landschaften. Der Gedanke, die Landschaften u. \. w. auf weitere Besißklasfen auszudehnen, ist nicht so einfah. Ebenso wenig wie die landwirthschaftlihen Zentralvereine gegen ihren Willen umgestaltet werden können, kann die Auf- gabe der Landschaften ohne deren Zustimmung erweitert werden. Es ist ferner zu erwägen: Liegt es im allseitigen Interesse, daß diese Organisationen für alle Besißklassen dieselben sind oder niht? Es find das Fragen, die einer derartigen umfassenden Bearbeitung in den einzelnen Landestheilen bedürfen, daß es nah der Ueberzeugung der Regierung nothwendig ist, für diese Zwecke die organisierten Land- wirthschaftskammern zu besißen.

Es ift gesagt, diese Landwirthschaftskammern werden garnichts bedeuten, es sind todtgeborene Kinder. Meine Herren, die Land- wirthschaftskammern werden die Bedeutung haben, die der von ihnen geleisteten Arbeit entspricht.

Ich will für jeßt auf die einzelnen Bedenken, welche angeregt sind, niht weiter eingehen; Herr Rickert hat ja eine ganze Reihe Fragen aufgeworfen. Er hat, was mich gewundert hat, in den Vordergrund gestellt, daß keine Veranlaffung sei, die Landwirthschaftskammern zu bilden, da die landwirthschaft- lihen Zentralvereine ganz dasfelbe leisten könnten, obwohl, wenn ih nicht irre, gerade von der Seite (links) aus an mi die denunziatorishe Anregung herangetreten ift, die landwirth\schaft- lichen Vereine als folhe dürften fich niht mit öffentlihen Fragen, die immerhin das Interesse der Landwirthschaft betreffen, befassen. (Sehr gut!) Es is} dies heute von dem Herrn Abg. Rickert selb verständlichß nicht ausgesprochen, es ift aber die Frage dur) die Presse mehrfach an mich herangetreten. Sie hat eine gewisse Berechtigung, meine Herren, ih erkenne das vollständig an; der landwirthschaft- lihe Verein als solher is in meinen Augen nicht berechtigt, sich mit . öffentlihen Angelegenheiten zu befassen. Der Strafrichter ist ja der Frage auch hon näher getreten. Ich habe mi als Landwirthschafts-Minister niht bewogen gefühlt, die Thätigkeit der Lokalbehörden gegenüber den Lokalvereinen zu kontrolieren.

Im übrigen ist ja ñi{ht unbekannt, daß man eine derartige Ver- sammlung, in der man öffentlihe Angelegenheiten besprehen will, polizeilih anzumelden hat. Aber wenn der landwirthschaftliche Verein ta gewohnheitsmäßig thut, so wird er ein politischer Verein und als fol unterliegt er allen Bestimmungen des Vereinsgeseßes. Nachdem nun diese Frage aufgeworfen ist, ob landwirthschaftlihe Vereine wirthschafts- politishe Fragen besprechen dürfen, ift es allerdings im Interesse einer geordneten Vertretung der Interessen der Landwirthschaft nothwendig, der Landwirthschaft gerade wie bei den Handelskammern eine staatli anerkannte Vertretung zu geben. i

Es ist die Frage aufgeworfen, in welchem Umfange durch die Vorlage den Grundbesißern ein Wahlrecht beigelegt werde. Wenn man cinen Strich bei 30 Thaler Grundsteuerreinertrag macht, dann sind es ungefähr 530000 Personen. Man darf nicht vergessen: die Landwirthschaftskammern sollen die Vertretung sein derjenigen, welhe wirkli*ch Landwirthschaft ausüben, bei denen also der landwirthschaftlißze Beruf die Haupt- sache ist, nit derjenigen, die bloß ein Haus mit etwas Gartenland besißen. Das sind in diesem Sinne keine Landwirthe. Im übrigen, meine Herren, fagt die Vorlage ja nicht, daß bei 90 4 Grundsteuer- reinertrag erst das Wahlrecht beginnen dürfe; ‘das soll der Regelung für die einzelnen Landestheile, je nahdem in ihnen die Verhältniffe liegen, überlassen werden. Jh bin garniht zweifelhaft, daß in vielen Landestheilen weiter herabgegangen wird; es sollte nur verhindert werden, daß nicht irgendwo zu viele Grundbesißer ausges{chlossen werden fönnen, sondern daß mindestens diese zur Kammer wählen müssen.

Wenn andere Herren Bedenken gehabt haben gegen die Wider- standsfähigkeit der Landwirthschaftskammern, ihrerseits zu viel Aus- gaben zu beschließen, und deshalb das Maximum des Ausgabe- bewilligungêrehts heruntergeseßt haben wollen, so steht dem meine Erachtens gar kein Bedenken entgegen. Die Regierung wollte nt kein Mißtrauen zeigen, daß die Landwirthschaftskammern in dieset Beziehung nicht selbständig genug sein würden, das zu beschließen, was der Landwirthschaft frommt.

Es ift noch gesagt, die Landwirthschaftskammern seien nicht noth- wendig, um die Klagen vorzubringen, die die Landwirthschaft habe; das könnten die landwirthshaftlißen Vereine auh. Jch stehe da voll- ständig auf dem Standpunkt, daß das viele Klagen nichts nüßt. E fommt darauf an, diejenigen Gründe, welhe zum Klagen Veranlassung geben, fennen zu lernen, zu verarbeiten und zu praktischen Vorschlägen auszugestalten, und das wird gesehen, so hoffen wir, unter der Mil- arbeit der Landwirthschaftskammern. Man soll bei den Klagen nit

bloß der Regierung Vorwürfe machen, sondern man muß au mit- arbeiten, wie etwas zu bessern ist.

Nun noch ein Wort zu der Behauptung: Es sei von hoher Stelle

gesagt, Preußen resp. Deutschland müsse ein Industriestaat werden. Das ift so nicht gesagt worden; es ist in den betreffenden Ausführungen bloß die Industrie damals vielleiht in dem Grade in den Vorder-

grund gestellt, wie ich heute die Landwirthschaft in den Vorder-

grund gestellt habe. (Zuruf.) Sie können sagen, das eine ist das Richtige, das andere das Falsche; das ist individuelle Meinung. Ich habe bloß ausführen wollen: damals ist die Industrie betont worden, wie ich heute die Landwirthschaft betone. Aber keiner der Herren, die am Regierungstisch tehen, wird darüber zweifelhaft sein können, daß niht das einseitige Gedeihen eines Standes für das Wohl des Vaterlandes nothwendig ist, sondern das Gedeihen aller Erwerbsstände (sehr richtig !), und alle die Herren, welche die Forderungen der Landwirthschaft vertreten, werden mir darin beipflihten, daß, wenn Preußen und Deutshland der reine Agrarstaat ohne Industrie geblieben wäre, er nimmermehr die Stelle hätte einnehmen können, die er heute einnimmt, sondern daß zum Gedeihen des Ganzen Industrie und Landwirthschaft gedeihen müssen.

(Sehr richtig!)

Es ist gesagt, wenn man die Gefahr erkennt, die für eine Sache bestcht, so ist dieselbe {hon halb überwunden. Gewiß, damit daß die Staatsregierung diefe Vorlage gemacht hat, hat sie den Weg zur Be- kämpfung der erkannten Gefahr beschritten. Jn Betreff der früheren Jahre, niht Jahre sondern Jahrzehnte, kann man zweifelhaft sein, ob unsere Geseßgebung, weil wir mit dem reinen Agrarstaat niht mehr vorwärts kommen konnten, sich nicht vorzugsweise in der Richtung bewegt hat, Handel und Industrie zu fördern. Jedenfalls ist das der Erfolg gewesen. Meine Herren, jeßt ist es nothwendig, daß wir für die Landwirthschäft, die nicht gleichen Schritt gehalten hat, und die unter dem überrashen Steigen und Wachsen der Industrie zurück- geblieben ist, Wege einzuschlagen suchen, die die Landwirthschaft wieder auf die gleihe Stelle neben Handel und Industrie bringen. (Bravo !)

Abg. Richter (fr. Volksp.): Mit Herrn Lamprecht bin ih bereit, über die Reichstagswahlen zu sprechen, wenn er einmal selbst ers Mitglied des Reichstags sein wird. Sein Schmerz ist begreiflich, da sein Wahlkreis, eine Hochburg der Konservativen, durch einen Freisinnigen, und noch dazu durh einen Bauern vertreten sein wird, während Herr Lamprecht durchgefallen ist. Graf Strachwitz hat sih in Gegensaß gestellt zu einer Bewegung in seiner Heimath, wo die Bauern fi gegen die Großgrundbesitér und Grafen erklären, weil diese andere Interessen als die der Landwirthschaft vertreten. Herr Strzcda ist in diesem Sinne gewählt worden. (Widerspruch im Zen- trum.) Im übrigen habe ich kein Interesse, mit Jhnen über notorische Dinge zu streiten. Mit Herrn von Puttkamer, wohl meinem s{ärfsten politislen Gegner, stimme ich diesmal * voll- ständig überein. Es andelt fsich darum: ob amtliche Formen oder freies Vereinswesen zur Vertretung der Berufsinter- essen. Jch stehe mit Hekrn von Puttkamer auf dem leßteren Stand- punkt. Ich könnte den Landwirthschaftskammern nur zustimmen aus Bosheit gegen die Agrarier; aber dies ist doch fein Stand- punkt für die Geseßgebung. Es is ein verzopfter Gedanke aus der Zeit, wo es noch kein Vereinswesen gab, daß man eine amtliche Vertretung für die Berufsinteressenten haft. Wenn Handelskammern nicht beständen, würde ich fkeinesfalls ihre Einführung empfehlen. Diese Ansichten habe ih s{chon vor 25 Jahren gegenüber dem Handelskammergeseß vertreten. Wenn Sie mir nur die Hälfte des Vereinswesens geben, über welches die Landwirthschaft verfügt, so könnten wir auf die Handelskammern ruhig verzihten. Wenn Sie ein Vorbild haben wollen, wie wenig die Landwirthschafts- kammern bedeuten werden, fo vergleihen Sie die Bedeutung des Landes-Oekonomie-Kollegiums gegenüber dem Deutschen Landwirthschafts- rath, dem Verein der Steuer- und Wirthschaftsreformer und dem Bund der Landwirthe. Diese Vereine gefallen mir nicht in ihrer Thätigkeit, aber sie bedeuten politisch das Hundertfache dessen, was das Landes-Dekonomiekollegium bedeutet. Was ist aus den Gewerbe- kammern geworden? Sie bestehen in den meisten Provinzen nicht

. mehr, weil den Provinzen die Arbeit der Gewerbekammern die Kosten

niht mehr werth hien. Und wo ist der vielgerühmte Volkswirth- shaftsrath geblieben? Man fragt heute niht nah dem Titel, sondern nah der Autorität der Person und dem Gewicht der Gründe, welche vorgebraht werden. Die Handelskammern sollen die merkantile Richtung der Geseßgebung verschulden. Wie sehr verkennen Sie doch die Bedeutung der Handelskammern! Ich bin der entgegengeseßten Meinung; diese legitime Vertretung der Interessen ist viel weniger werth als die freie Thätigkeit. Die Regierung kann garnicht gezwungen werden, solche Korporationen zu befragen. Die Eisenbahnverstaatlichung, die neue Zollpolitik, die sozialpolitische Gefetgebung u. |. w. hat man durchgeführt, ohne die Handelskammern ¡u fragen. Und wenn die R sihÿ aufbäumen, dann werden sie unter Zensur gestellt und dürfen keine Berichte mehr drucken lassen, die nit vorher ein Geheimer Rath zensiert hat. Man wundert si über das Auflösungsreht, welches die Vorlage beabsichtigt.

* Eine solhe Bestimmung steht im Handelskammergesey nit, aber

die Regierung hat doh mit der Auflösung gedroht, und eine Handels- lammer, die Görlißer, hat si infolge dessen in eine Privatvereinigung umgewandelt. Die LändwirtbsGaltäfamtörn follen die öffentliche Meinung bearbeiten. Dazu sind jie zu {hwerfällig, dazu müssen sie zu viel Rücksichten nehmen, ebenfo wie die Handelskammern, über deren Köpfe hinweg man die verschiedenen freien Vereine gegründet hat, welche weit mehr bedeuten, als die Handelskammern. Was bleibt von der Thätigkeit der Handelskammern ? Die Berichte und die Statistik! Ja, die sind fo gut wie die Handelskammer, Sekretäre, und besoldete Sekretäre können freie Vereine au anstellen. Die Landwirthschafts- kammern haben gar feine Legitimation, für die Arbeitnehmer der Landwirthschaft mitzusprehen. Wenn man von Amtswegen Korpora- tionen organisiert, müssen die Arbeiter doch auch gehört werden. Bei den Sachgenossenshaften, der Handwerker is auch ein Gehilfen- ausfchuß vorgesehen. Warum werden hier die Arbeiter außer Betracht

lassen? Die Wirthschaftêbeamten, die Inspektoren auf den größeren

ütern überragen doch die Grundbesißer in vielen Punkten; von Wenn 530 000 Landwirthe

e ihnen ist wahlberechtigt sind, dann fällt die Hälfte der selbständigen Landwirthe

on überdies beim Wahlrecht aus. Was berechtigt diese eine Hälfte, m Namen der ganzen landwirthschaftlichen Bevölkerung zu sprechen ? Landwirthschaftskammern und Vereine können niht neben einander eristieren, sie s einen Kampf auf Leben und Tod führen. Der

aber auch gar feine Rede.

inister meinte heute, die Zentralvereine könnten daneben bestehen leiben, während in den Motiven das Gegentheil gesagt und sogar behauptet wird, daß die Kammern das ganze landwirthschaftliche Vereinswesen aufsaugen werden. Jh bin der Meinung, die freien

ereine werden das stärkere Element sein, wenn niht die Sub- ventionsfrage wäre. Wenn die Subvention den Vereinen entzogen wird, dann erhält die amtliche Organisation eine Ueberlegenheit. Bezüglich der Wahl hat Herr Sattler recht, daß sich beim Landrath einige Gemeindevorsteher und Rittergutsbesißer einfinden werden, um die Wahl zu vollziehen. Es werden also nur dieselben Personen ge- wählt werden, die im Provinzial-Landtag sißen. Dieses Wahlsystem übertrifft das Landtagswahlsystem noch an Elendigkeit. Lieber sollte man doch dem Landrath die Ernennung der Mitglieder übertragen. Mi „muß mich „dagegen verwahren , daß der Landwirtl afts E so abfällig über Ee Beiträge geurtheilt hat. St Æ freiwilliger Beitrag sind mir lieber als 20 #4 Steuern. : euermüde ift das Volk: es müssen ja immer mehr neue Steuern A wenn man alles von der Staatshilfe erwartet. Jch rede, man ließe die Landwirthschaftskammern bei Seite und a e danach, die landwirthschaftlichen Vereinigungen noch unabhän- g E gu machen. Wie sehr die landwirthshaftlihen Vereine Politik getrieben haben, wissen wir; jeßt kommt das Kammergericht und stellt

f nog ag: g g Der Minister will die Kammern [Gafen um sie von der Aufsicht der Polizei zu ien. + Man ollte lieber das Vereinsre{cht reformieren und namentlich die Verbin- dung von Vereinen unter einander freigeben. Wenn erst die Konser- vativen ein Interesse daran bekommen, dann wird das leiht zu erreihen sein. Namentlih sollten si aber die En Vereine von den Landräthen mehr emanzipieren. Die Landräthe, welche weder wegen ihrer landwirthschaftlichen S at noch wegen ihrer Persönlich leit das verdienen, beherrshen solhe Vereine. Nun einige Worte über das „Agrarrecht, über die grundstürzenden Pläne der MRegierung. Diese Pläne find so umfassend, daß die Gutahten der Landwirthschaftskammern dagegen gar- nihts bedeuten. Wenn sie die Pläne auch durchführen sollen, dann wird die Bedeutung der Landwirthshaftskammern eine ganz andere. Was sie aber dabei sollen, muß man doch wissen, ehe man über die Zusammenseßung derselben Beschluß fassen kann. Damit bin ih einverstanden, man sih auf den in jeder Beziehung unabhängigen Ra auf freier Scholle stüßen müfse. Den Land- wirthen wird eine Zensur ertheilt, daß sie'niht die Gelegenheit benußt hätten, um durch Abverkauf kleinerer Stücke den Rest E zu machen. Diese Zensur ist unberehtigt und sehr hart, weil Ga wird, daß die Bauern niht so “il aeg sind wie die . Großgrundbesizer. Die Gesetzgebung selbst hat den Großgrund- besißer derart prâmiiert, daß man fich bütet, etwas utettaufen. Ferner bestand ein Geseßzesverbot gegen Niederlassung außerhalb der Dorfstraße. Gegen Per eingen und Kolonisationen liegt ein ganzes Bündel hindernder Maßregeln vor. Der Einzelne, der parzellieren will, kann selten gegen die Behörden alles durhfehten. Es treten gewerbsmäßige Güterschlächter ein, auf welche dann wieder ein gewisses Odium fällt. Welchen Scherereien sind die Kolonisations- atten ausgeseßt gewesen, z. B. die Genoffenschaft Pitschin ‘tin Westpreußen! Der junge Mann vom Lande kommt in die Garnifon, und wenn er zurückehrt, sieht er \sich verurtheilt zu demselben Loos, welches seine Eltern hatten; es is ihm nicht mögli, Grund und Boden zu erwerben. Wenn nicht nah Amerika, geht er in die Stadt, wo er \sih wenigstens frei fühlt; und anstatt diese Gebundenheit zu vermindern, will man sie vermehren. ein paar staatss\ozialistishe Professoren bei dec Studier- lampe fi für das Anerbenreht interessieren, das bedeutet nichts. Dem Bauernstande widerstrebt das Anerbenrecht durchaus. Die Landgüterordnungen \ind richtig, wie ein konservativer Redner damals ‘sagte, ein Ladenhüter der Gesetzgebung geworden. Die Höferolle in Hannover isst ein Uebergang zu einer noch größeren Gebundenheit. Durch das Anerbenkecht wird der Gegensatz zwischen Arm und Reich in die bäuerliche Bevölkerung getragen. Beim Fideikommiß ist für die jüngeren Söhne gesorgt dur Offizierstellen und fonstige Anstellungen. Die jüngeren Bauern aber, wenn fie zurück- legt werden gegen den ersten Erben, werden direkt in die Arme der ozialdemokratie getrieben. Dadurch wird nicht eine Wertherhöhung der Güter herbeigeführt, sondern eine Verminderung, weil über das Gut nit frei verfügt werden kann. Man spriht von der Verallgemeinerung der landschaftlihen Kreditorganisationen. Diese paßt eigentlich nur für die größeren Grundbesißer. Im Westen liegen die Verhältnisse {hon so, „daß man die Landschaften nicht be- nuben kann, daß man die Hypothekenbanken haben muß. Jch bin gar- nicht der Ansicht, daß die mißliche Lage der Landwirthe in der Künd- barkeit der Hypotheken begründet ist. Warum is} denn gerade“ in dem Osten, wo die Landschaften vorhanden sind, die Veérsnibuns am größten ? Es wird geradezu als etwas Selbstverständliches betrachtet, daß der Gutsbesitzer jo viel Schulden hat, als es innerhalb der land- schaftlichen Taxe zulässig ist, Wo ist ein solhes Verhäktniß im Hande! und Gewerbe vorhanden ? Bei den Landwirthen gehört der größte Theil des Guts den Gläubigern; der Rest hat alle Shwankungen der Ernten und Konjunkturen zu tragen. Damit is der Ruin vorhanden. Die Land- wirthschaft hat nicht nit genug Kredit, sondern zu viel Kredit. Ih bin zweifelhaft, ob die ländlichen Kreditinstitute wirkli die geseß- lihen Begünstigungen verdienen, die ihnen zu theil werden. Die stärkere Amortisation der Schuld erinnert mi an den Rath, si an dem eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen. Die Freiheit des Grund und Vodens muß verstärkt werden. Wenn dann den Grund- besißern zu helfen ist, so lann das ja au durch Abverkauf von Land ge[hehen. Eine Zwangsorganisation würde ein großes Unrecht sein gegen die kreditwürdigen Besitzer gegenüber den anderen. Verwahren muß ih mich gegen den Gedanken einer Benachtheiligung der Glaubiger, wie sie Herr von Manteuffel im Herrenhause in Aussicht gestellt hat. Das ist eine Konfiskation des Eigenthums. Es kann nichts Verhängnißvolleres gedaht werden, als daß man folche Grundsäße aus solhen Kreisen heraus zum Ausdruck bringt. Ih habe mich gefreut, daß sich Herr von Schorlemer dagegen verwahrt hat. Besonders aber widersprehe ih dem Ge- danken, den Staatskredit dafür in Anspruch zu nehmen. Wozu würden die besiglosen Arbeiter berechtigt sein, wenn man ihn für die besißenden Klassen in Anspruch nimmt? Der Staatskredit wird schon für die eigentlihen Staatszwecke in bedenkliher Weise pan. Hüten wir uns, auf solhe Dinge einzugehen. Jch cdaure, daß der Landwirthschafts - Minister nicht gegen diese drei Gedanken Widerspruch erhoben hat. Wenn das nicht ge- schieht, dann wird eine gewaltige Ershütterung des Realkredits die Solge sein, und daraus folgt wieder eine Ershütterung des Personal- kredits. Wenn fich nicht die parlamentarische Sitte eingebürgert hätte, die größeren Vorlagen an eine Kommission zu verweisen, würde ih die weitere Berathung der Vorlage im Plenum empfehlen; denn an dieser Vorlage kann nichts gebessert werden. Jch erfläre mir die Vorlage auch nur daraus, daß man wegen des russischen Handels- vertrags eine gewisse bessere Stimmung bei den Agrariern erzeugen will. (Zuruf: Speck!) peck kann ih es nicht einmal nennen ; es sind nur gemalte Gerichte für den agrarishen Hunger, über deren Be- trahtung die Agrarier den rufsishen Handelsvertrag vergessen. Der rufsishe Handelsvertrag ist so gut, daß er für sich allein marschieren kann; er „wird sich die Annahme erzwingen, weil er eine politische Nothwendigkeit ist. Deshalb kann ich nur bitten, gegenüber dem Handelsvertrag den Degen einzustecken und niht so viel damit herum- zufuchteln, weil Sie sih dadurch immer noch mehr Blößen geben. Die Kette Jhres Widerstandes wird gebrohen werden, weil sie ge- brochen werden muß. Abg. Knebel (nl.) bedauert, daß die Landwirthschaftskammern an die Stelle der Zentralvereine treten sollen, die eine segensreihe Wirksamkeit ausgeübt hätten; er verweist besonders auf die Thätigkeit des rheinischen Zentralvereins. Die Fühlung mit den kleinen Land- wirthen, sagt Redner, wird verloren gehen, wenn an die Stelle des E die Kammern treten. Der größere und kleinere Besitz aben nicht gleihe Interessen. Der größere Besißer sieht bei seiner Viehzucht auf den Milchertrag, der kleinere auf die Arbeitskraft. Der größere Besißer hat bei seiner S andere Interessen als der leine Befißer, welher Obstzucht treibt. ei den Landwirth-

enn ein kleiner Landwirth überhaupt gewählt wird, so wird es ihm s{chwer werden, gegenüber den größeren Landwirthen mit seiner Meinung aufzutreten. Jn den Ortsvereinen s\priht sich aber der kleine Mann offener aus. Durch die Wahlen werden nicht die- jenigen Persönlichkeiten in die Landwirthschaftskammern kommen, welche jeßt im Zentralverein thätig sind. Deshalb ift die Vorlage in der vorgelegten Form sehr bedenklich.

Abg. Ring (kons.) wendet sich gegen den Abg. Riert, an den sih Landwirthe auch aus der Umgegend von Berlin in Bezug auf dieses eis Sen haben sollen. Er, Redner, vertrete Kreise in der Nähe Berlins und bezweifle, daß sich ein Bauer in seiner Noth an Rickert wende. Es würden das wohl solche Bauern sein, welche in der Burgstraße ihren Weizen säen und draußen auf dem Lande ernten. Dann fährt Redner fort: Mit der Landwirthschaftsgefell- schaft, welche Herr Rickert so gelobt hat, hat er, Gott sei ank, nichts zu thun; er hat sie ind niht gegründet. Die Mitwirkung der Landwirthschaftskammern bei den Preisnotierungen der Produkten- böôrse ist niht jeßt zum ersten Mal angeregt. Fürst Bismarck

hat 1888 den Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft klar gemacht,

Netatammera werden die kleinen Landwirthe felten vertreten sein. |

°:

daß an den Lieferungsbedingungen für die Termingeschäfte n bloß der bei ns auch die Produktion ein u hat. Dit Landwirth chaftskammern müssen möglichst selbständig sein, damit fie der Megiernsg gegenüber Is bleiben, au wenn viel- leiht eine Regierung mit Herrn Richter als Minister-Präsidenten und Herrn Rickert als Landwirthschafts-Minister kommen follte. Des- halb if man in der Mark Brandenburg einverstanden damit, daß bis 109% der Grundsteuer als Beitrag Pie werden können. Die p haben bisher ein stumpfes Schwert E, mit welhem 1e zu fehten versucht haben. Dieses sumpfe Schwert foll nun, wo uns Herr von Heyden fo viel Geld anbietet, in ein sharfes Schwert verwandelt werden. Der Staat wird eine Form finden müssen, um einen Theil der Hypothekenshulden in Rentenshulden zu verwandeln ; denn nit bloß der Besitzer, sondern der unverschuldete Besitzer ift die beste Abwehr der Sozialdemokratie. Namentlich würde beige, Rentengutsgeseg eine Aenderung leicht dahin herbeigeführt werdêw* können, daß kleinen Leuten von den Rentengutsbanken Geld gegen Rentenschuld gewährt wurde. :

Um 4 Uhr wird darauf die weitere Berathung bis Don- nerstag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

i | Bertdt über die Thätigkeit des Reichskommifsars für das Auswanderungswesen während des Jahres 1893. ia rers dem Reichstag vorgelegte Bericht " des NReichskommifssars et:

Die Beförderung von Auswanderern über deutsche Häfen ist im verflossenen Jahre gegen die vorhergehenden Jahre bedeutend zurück- gegangen. Während

im Jahre 1890 . 243 283 Personen, 289 225

1891 . s

: A. A

befördert wurden, belief sich die Zahl der Auswanderer im Jahre 1893 auf nur 168 272.

Die Urfachen dieses Nück angs, besonders soweit derselbe Ham- burg betrifft, dürften hauptsächli in den Nachwirkungen der Cholera- Epidemie des Jahres 1892, der allgemein gedrückten Lage der Ge- schäftswelt und in dem aus gesundheitlihen Rücksihten erlassenen Verbot des Hamburger Senats, russishe Auswanderer über Hamburg zu befördern, zu finden sein.

___ Dieses Verbot blieb bis gegen Schluß des Jahres in Kraft, ist jedoch inzwischen für diejenigen russishen Auswanderer, welche die in Ruhleben bei Spandau errichtete Untersuchungsstation und Des- infektionsanstalt passiert haben, aufgehoben worden. Der dur das Verbot herbeigeführte Ausfall mußte um fo beträchtlicher werden, als die russishen Auswanderer einen Haupttheil der gesammten über Hamburg gehenden Auswanderung bilden und beispielsweise im Jahre 1892 500%/ der leßteren erreichten. ,

2 Ueber Bremen wurden russische Auswanderer während des ganzen Jahres unbehindert befördert; soweit thunlih, wurden sie zuvor nah der Untersuchungsstation in Nuhleben dirigiert.

Ueber Stettin sind im verflossenen Jahre keine Auswanderer befördert worden. Die von dort nas New-York gehenden Dampfer der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt fuhren ohne Passagiere von Stettin ab, um in dänishen und {ck@wedischen Häfen Skandinavier zur Beförderung aufzunehmen bezw. dorthin zurückzubringen. le vereinzelt auch im verflossenen Jahre in Hamburg vor-

ekommenen Cholerafälle veranlaßten die Hamburg-Amerikanische

acketfahrt, ihre Schnelldampfer einige Male von Wilhelmshaven anstatt von Cuxhaven aus zu expedieren. Da die dortigen Behörden mit - derartigen Expeditionen bisher nit bekannt waren, hat der Reichskommissar in jedem Fall eine gründlihe Revision von Schiff, Fa und sonstiger Ausrüstung vorgenommen und die Unter- ringung der Passagiere beaufsichtigt.

Die mit Passagieren nah Brasilien fahrenden Dampfer wurden brasilianischerseits genöthigt, zunächst nah dem Süden zu gehen und dort eine mehrtägige Quarantäne durdzumachen, bevor sie ihren nörd- liher gelegenen Bestimmungshafen anlaufen durften.

Im Monat Juni wurde eine vereinzelt gebliebene Auswanderer- expedition nah New-York von Geestemünde aus beabsichtigt. Ein Bremer Passagiererpedient hatte zu ' diesem Zweck einen englischen Dampfer gechartert, der bis dahin in England zum Truppentransport verwendet war. Die erforderlichen Einrichtungen für die Beförderung von Passagieren , welche dem Dampfer noch fehlten, wurden unter Aufsicht des Reichskommissars getroffen. Jn Ermangelung einer für das preußische Staatsgebiet gültigen Konzession des Unternehmers zur Auswandererbeförderung mußte indessen die Einschiffung auf der - Bremerhavener Rhede erfolgen. Wegen der erheblichen Kosten des Unternehmens hat der Expedient seine Absicht, derartige Expeditionen periodisch zu wiederholen, aufgegeben.

. Die indirekte Beförderung von Auswanderern über einen englischen Zwischenhafen findet jeßt, wenn au nur in geringem Umfange, von Bremen aus statt, wobei die Einschiffung der Auswanderer bereits in der Stadt Bremen, nicht ers in Bremerhaven, erfolgt.

In Hamburg, von wo die indirekte Beförderung über englische

äfen in früheren Jahren sehr \tark betrieben wurde, hat sie im eßten Jahre fast ganz aufgehört.

Der Norddeutsche Lloyd hat eine zweite Linie nah New- York unter dem Namen „Roland- Linie“ errihtet. Im Anfang wurden englishe Dampfer für dieselbe gechartert, diese find jedoh jeßt durch neugebaute eigene e erseßt.

_ Dieselbe Nhederei hat einige Passagierdampfer von geringerem Tiefgang für die Fahrt nah Süd-Amerika erbauen lassen, mit der Absicht, diese Schiffe niht wie die übrigen Dampfer von Bremer- haven oder Nordenham, sondern direkt von der Stadt Bremen aus zu expedieren.

Eine erheblihe Verbesserung im Betriebe der Auswanderer- beförderung ist darin zu erblicken, daß vielfa bei unvollständiger Beseßung der S iffe, sofern dies nah der Bauart möglich ist, eine niht belegte Abtheilung des Zwischendecks als Speisesaal für die Zwischendecks-Passagiere eingerihtet wird. Auch hinsichtlich der Ver- LQuR geschieht zur Zeit mehr als früher, wenigstens auf den nah

ord-Amerika gehenden Schiffen. Die Rhedereien gehen darin überall weit über ihre gefeßlihen Verpflichtungen hinaus. So erhalten die Zwis L RCIE zum Frühstück und ebenso des Abends kaltes Sleisch oder Wurst bezw. warmes Essen über den gefeßlich vor- geshriebenen Proviant.

Den Wünschen des Reichskommissars hinsichtlih Einführung einer oder der anderen Verbesserung is seitens der betheiligten Rhedereien in der Regel auf das bereitwilligste entsprohen worden, wie auch per Ausstellung, die etwa zu machen war, stets sofort abgeholfen wurde.

Die Revisionen der Schiffe sowie die Beaufsichtigung der Ein-

"” u

.hiffung und Unterbringung der Passagiere hat wie in früheren Jahren

in gründlihster Weise stattgefunden.

Es wurden im Jahre 1893 über deutsche Häfen 168 272 Personen befördert. Davon gingen über Bremen 109 400 und über Hamburg 58 872 Personen.

Unter den über Bremen befördecten 109 400 Personen, von denen 39852 Deutsche, 69548 Ausländer waren, befanden sich 66 171 Personen männlihen und 43 229 Personen weiblichen Ge- s{lechts. Hiervon waren 92 387 Erwachsene, 13 893 Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren und 3120 Kinder unter 1 Jahr alt. Von den Auêwanderern reisten einzeln 46 172 Männer, 18 447 Frauen, ferner 44 781 Personen in 12 865 ta gi Direkt wurden befördert in 220 Schiffen 106 291 Perfonen, indirekt in 52 Swiffen ersonen.

3109 Pers __ Die Beförderung vertheilte sich auf die einzelnen Monate, wie folgt: /