1894 / 35 p. 18 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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macht, die der Herr Vorredner beklagt. Aber zur Zeit muß ich jede Einwirkung auf das Reichs - Versicherungs- amt von meiner Seite ablehnen. Es wird ja für das leßtere dem- nächst von Interesse sein, die Ausführungen des Herrn Vorredners kennen zu lernen. Jh muß au sagen, was die Sache selbst anlangt, würde ih für meine Perfon geneigt sein, die Auffassung zu hegen, daß es nit voll der Tendenz der Unfallversiherung entspriht, wenn man jemandem um deswillen eine Rente versagt, weil zwar der Un- fall, aus dem er seinen Rentenanspruh herleitet, die Erwerbsunfähig- keit herbeigeführt habe, aber nach der Individualität und nah dem Gesundheitszustand des den Rentenanspruch Erhebenden vorauszuseßen fei, daß er über furz oder lang doch erwerbsunfähig werden oder geworden fein würde. Das scheint mir nit im Sinne unserer Unfallversicherungsgesezgebung zu liegen.

In so fern danke ih dem Herrn Vorredner dafür, daß er die Sache zur Sprache gebracht hat ; aber. er wird mit mir darüber einverstanden sein: wir können hier niht darüber diskutieren, weil es sih um einen RNichterspruch handelt.

Abg. Roesidcke (b. k. F.) wiederholt seine Bitte um Reichs- and für das Unfall-Museum, zu welchem sih die Sammlung von Unfallverhütungs-Borrichtungen von der 1889 er Ausftellung ent- widelt habe. Die Abänderung der Aafatgteh ebung zu disfutieren, würden wir besser bis zur Vorlegung der 9 dueile zum Unfallversiche- xungögesep aufschieben. Eine wirksame Unfallverhütung würde in territorialen Verbänden fehr ershwert sein; gerade die Unfallver- rug aber ist der Gegenstand aufmerksamster Beobachtung der jeßt elf Jahre lang bestehenden Beruf8sgenossenschaften gewesen. Die Sozialdemokratie behauptet ja heute, wie früher, daß die Unternehmer lediglich aus Nücksiht auf ihren Geldbeutel die von ihnen selbst empfohlenen Ag age DRr O - Vorrichtungen anzubringen unterlassen. Gerade der von den Sozialdemokraten so - oft. zitierte Gewerbe-Rath Dr. Wörrishofer ftonstatiert in seinem Buch über die Jahresberichte der deutschen Fabrikaufsihtsbeamten das Gegentheil; er konstatiert gleichzeitig, daß die Unfälle seit der Zeit, wo die Berufsgenofsenschaften fich die Kontrole der Anbringung dieser Schußvorrichtungen angelegen fein lassen, eine ganz beträchtlihe Verminderung erfahren haben. Eine diesem Buche beigegebene Tabelle über das Verhältniß der Unfälle zu ihren Ursachen ergiebt, daß die auf Unachtsam- keit zurückzuführenden Unfälle 29% der Gesammtzahl, die auf das Fehlen der Schutvorrihtungen zurückzuführenden nur 11 %/ betragen. Die Arbeiter follten sih daher etwas mehr auf diese Thätigkeit der Unfallverhütung werfen; man würde dann weiter fommen als bis jeßt, wo die Arbeiter das nöthige Interesse für diese Materie noch niht genügend zu besißen scheinen. Die In- humanität der Arbeitgeber bei der Rentenzumessung is hier {hon mehrfach an den Pranger gestellt worden , obwohl doch die Berufs- enofsenshaften weder human noch inhuman sein dürfen und sein önnen, fondern wie jede andere Behörde nach dem Buchstaben des Gesetzes zu entsheiden haben. Dennoch haben viele dieser Ge- nossenshaften große Milde bei den Rentenbewilligungen walten laffen. Nachdem ähnlihe Behauptungen der Abgg. Ulrih und Wurm auf Grund der amtlichen Materialien {hon im vorigen Jahre zurückgewiesen worden find, kann die gleihe Behauptung des Abg. Schmidt faum noch in gutem Glauben ausgesprochen sein. Der Prozentsatz der angefohtenen Bescheide if gegen das Vorjahr nur um eine Kleinigkeit größer geworden ; die Differenzen in den Auf- fafsungen der Schiedsgerichte und der Rekursinstanz über die Höhe der Rente sind nur vershwindend geringe gewesen, im {limmsten Falle hat es sich um einen Unterschied von 609/69 gehandelt. Die spâtere Herabseßzung der Rente erklärt fih aus der häufigeren An- wendung des § 65 des E welche eine anderweite Festseßung der Rente bei veränderten Erwerbs- und Gesundheitsverhältnifsen des Rentenempfängers vorschreibt. Die Aerzte muß ich gegen die Verdächtigung, daß fie ihre Urtheile und Gutachten nach der Bezahlung einrichten, entschieden in Schuß nehmen.

Abg. Wurm (Soz.): Der Abg. Noesike erwartet doh zu viel von uns, wenn er annimmt, daß wir nah feinen Ausführungen die Berufsgenofsenschaften von dem gegen fie erhobenen Vorwurf frei- sprechen würden. Die Unternehmer lassen sich das Bishen Fürsorge für die verunglückten Arbeiter nur mit stärkstem Widerstreben ab- ringen. Wenn weniger Prozesse geführt werden, wenn die Rekurse niht zunehmen, was beweist das? Weiß denn der Abg. Noesicke nicht, wie s{chwer es dem armen Arbeiter gemacht wird, überhaupt den Nechtsweg zu beschreiten, sh in den Geseßen zureht zu finden, die selbst die Juristen niht verstehen? Der Vertrauensarzt verdient that- fahlih das für ihn beanspruchte Vertrauen nicht. Die Vertreter der Berufsgenossenschaften und auch einige Schiedsrihter arbeiten in einer ganz unzulässigen Weise auf eine Saug hin, durch welche jedenfalls der Geschädigte nochmals benachtheiligt wird. Die Ver- handlungen des Schiedsgerichts in Hannover werfen auf die Leistungen der Vertrauensärzte ein fonderbares Licht. Wie diese Herren selber denfen, geht aus einer Schrift des Dr. Blasius in Berlin „Unfall- versiherung und Vertrauensarzt“ hervor, der im Interesse der möglihsten Herabminderung der Rente darauf dringt, daß die ärzt- lichen Untersuhungen der MRentenempfänger öfter vorgenommen werden müssen! Wenn Herr Wörrishofer heute gegen uns an- geführt wird, so ift in seinem Jahresberiht für 1891 das gerade Gegentheil von dem zu lesen, was der Abg. Noesicke heute vorlas. Die Unfälle aus angebliher Unachtsamkeit \{chreibt der Abg. Roesicke, schreiben aber nicht wir auf das Schuldkonto des Arbeiters. Schuld is die Ueberarbeitung, die Uebermüdung des Arbeiters, seine* Aufreibung durch die Afkordarbeit, dur Ueberstunden u. s. w. Die Anbringung der Unfallverhütungsvor- richtungen läßt nach wie vor viel zu wünschen übrig. Wenn es den Arbeitgebern so ernst mit diesen Dingen wäre, würden doch die Ma- schinen zugleih mit diesen Schußvorrichtungen oder an ihnen an- gebracht im Handel zu haben sein müssen, was einstweilen nochch eine vershwindende Ausnahme is. Die Arbeitgeber würden mit der all- gemeinen Einführung diefer Schußvorrichtungen ein gutes Geschäft machen, da sie ja do die Unfallrenten zum großen Theil bezahlen müssen. Sorgen Sie dafür, daß die Zahl der Verleßten abnimmt, dann werden wir Hand in Hand gehen können.

Abg. Ulrich (Soz.): Wir halten für nöthig, daß die Klagen der Arbeiter über die Geseßgebung hier angebraht werden, damit die angekündigte Novelle die von ihnen erhobenen Beschwerden be- rüdsihtigt; das geschieht in bester Ueberzeugung “und in der Absicht, den Arbeitern zu Hilfe zu kommen. Was wir heute von dem Bundesrathstishe gehört Haben, läßt niht darauf \{licßen, daß bei

ber Novelle viel herauskommen wird. Wir verlangen auh vom Reichs-Versicherungsamt keine Kabinetsjustiz, sondern wir verlangen geseßlihe Garantien gegen die Wiederholung der eingetretenen Unzu- träglichkeiten. Der Abg. Noesicke hat sich ja selbst zahlreicher von uns früher vorgebrahter Klagen erinnert und heute darauf zu ant- worten gesuht. Die Handhabung der Unfallgeseßgebung in Hessen unterstüßt durchweg die von meinen Parteigenossen hier / erhobenen Beschwerden. Das Gesetz kann den Verunglückten nicht zwingen, sich in einer bestimmten Anftalt von einem bestimmten Arzt, zu dem er fein Vertrauen hat, behandeln zu laffen; denno ist dieser Fall in Hessen vorgekommen. Was die außerordentlihe Kulanz der Berufs- genossenshasten bei der Bemessung der Renten betrifft, so lassen [uy auch darüber wunderbare Fälle aus der hbefsischen Praxis an- führen. 5

Abg. Schönlank (Soz.) wendet sich ebenfalls gegen die Aus- führungen des Abg. NRoesicke. L :

Nach einer kurzen Erwiderung des Abg. Roesicke {ließt die Diskussion. Das Kapitel wird bewilligt, desgleichen ohne Die die Forderung für die Physikalisch-tehnishe Reichs- anitalt.

Auch das Extraordinarium wird ohne erhebliche Debatte bis auf die Forderung für den Bau des Nationaldenkmals

für Kaiser Wilhel m|FL., welhe nochLder Budgetkommission AEEEE bewilligt.

ei der Position 18 600 000 ( für den Nord-Ostsee- Kanal erklärt auf eine Anfrage des Abg. Lorenzen der

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Mir ist von dem beklagenswerthen Unfall, von dem der Herr Vorredner gesprochen bat, bisher nihts bekannt geworden; einen amt- lihen Bericht darüber habe t nit erhalten. Die Bitte, die er an den Vortrag dieses Unglücksfalls geknüpft hat, daß dafür gesorgt werden möae. daß der Verkehr auf den Fähren, welhe über den Nord - Ostsee - Kanal führen, durch Schuß- vorrihtungen so außer Gefahr gestellt wird, daß solhe Unfälle niht wieder vorkommen können, ist durchaus berechtigt, und ih werde dafür sorgen, daß, soweit das noch nicht der Fall sein sollte, Ein- rihtungen getroffen werden, die ausreihen, um den Betrieb sicher zu machen.

Was feine übrigen kleinen Wünsche anlangt, so stelle ih ihm anheim, sie mir bekannt zu geben, und nach Kräften soll geholfen werden, soweit dies möglich ift.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) giebt den verbündeten Regie- rungen zu erwägen, dem Reichstag Gelegenheit zu geben, die An- lagen des Nord-Ostsee-Kanals dur einen Ausflug kennen zu lernen.

Die Berathung des Etats des Reichsamts des Jnnern ist damit erledigt.

Es folgt die dritte Berathung der Novelle zum Unter- A dge :

Zunächst ist die Abstimmung über Art. 2 zu wiederholen, welcher die Einfügung einer neuen Strafvorschrift in § 361 des Strafgeseßbuchs bezweckt. Die mildere Fassung, welche der Antrag Gröber für die Bestrafung derjenigen vorgeschlagen hatte, welche sih der Unterhaltungspfliht ihrer Angehörigen frivol entziehen, wird heute abgelehnt, die Fassung der Vor- lage mit der Milderung nas dem Antrage Molkenbuhr, welcher die Verhängung von Korrektionshaft ausschließt, an-

genommen und in dieser Form das ganze Gesetz. Schluß 5 Uhr. ,

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

12. Sißung vom 8. Februar 1894,

_JIn der weiteren Fortsezung der ersten Berathung des Geseßentwurfs über die Landwirthschaftskammern (siehe den Anfangsberiht in der Donnerstags - Nummer d. Bl.) nimmt nah dem Abg. Freiherrn von Erffa-Wernburg (kons.) das Wort der

Abg. Conrad - Pleß (Zentr.). Redner führt aus, daß die Landwirthe dur) Steuern {on sehr stark belastet seien. Um ihnen zu helfen, müßte man also feine neuen Steuern auflegen. Gegen die Handelsverträge habe er nichts einzuwenden, wenn nur die Geldverhältnisse geordnet würden. Redner erzählt eine Unterredung mit dem früheren Abg. Goldschmidt, dem Direktor der Patenhofer Brauerei, der von ihm, dem Redner, keine Gerste habe faufen' wollen, weil er sie in Oesterreih mit unterwerthigen Gulden billiger bekomme. Er habe seine Braugerste s{ließlich als Futtergerste ver- kaufen müssen. Die Militär-Verwaltung kaufe ausländishes Ge- treide oder verlange, daß die deutshen Landwirthe das Getreide so billig liefern, wie Numänien. 60 Millionen Steuern sollten für das Militär aufgebracht werden, und das Militär kaufe sein Getreide im Auslande. Woher sollten die Landwirthe s{ließlich das Geld nebmen? Redner will das Geseß niht ohne weiteres ablehnen; er hoffe, daß daraus noch etwas gemacht werde, was der Landwirth- fhafl heise.

Abg. Graf Hoens br oe (Zentr.): Die freien Vereinigungen sind an die Stelle der korporativen Organisationen getreten, die früher vorhanden waren. Deshalb muß man freudig zugreifen, wenn es gilt, eine berufsmäßige Organifation zu schaffen. Damit befinden wir uns vollkommen auf dem Boden des Christenthums, welches den Menschen niht als Einzelwesen, fondern als Glied der Gesellshaft betrachtet. Die Vergleiche zwischen Landwirthschafts- und Handelskammern passen in keiner Weise. Die Landwirthschaft hat ein viel festeres Gefüge nöthig, als die Herren des Handelsstandes; deshalb müssen wir auf einen obligatorishen Charakter der Organisation hindrängen. Herr Nickert hat für sich die Herren von Minnigerode und von Shorkiaor in Anfvruh genommen. In Bezug auf den ersteren hat Herr von Erffa hon das Nöthige gesagt. Herr von Schorlemer hat ih in früherer Zeit hier in Bezug auf das Anerbenreht so aus- gesprochen, daß Herr Nickert wohl keine Ursache hat, sich auf thn zu berufen. Die s{lechte Form der Verschuldung ist dadurch entstanden, daß man den Grundbesiß als Kapital betrachtet hat. Das Kapital kann dur die Zinfen vermehrt werden, weil die Zinsen auh Geld sind. Der Grundbesiy kann durch Nente niht vermehrt werden. Deshalb muß ein anderes System der Verschuldung ge- schaffen werden. Ein solcher Systemwechsel bringt Schwierigkeiten mit sich; aber der Wechsel muß vollzogen werden, wie bei einem Kranken eine Operation, um die Gesundung herbeizuführen. Der Gläubiger soll dabei niht benahtheiligt werden; er steht vielleicht besser da, da er nicht mehr dem etnzelnen Schuldner, fondern der Korporation gegenübersteht. Die Korporation, nicht der Staat, muß die Garantie übernehmen. Bezüglih des Erbrechts kann man der Bevölkerung gegen Sitte und Gewohnheit feinen Zwang anthun. Gerade das Erbreht muß sih anpassen. Wir leben am Rhein unter der Herrschaft des Code Napoléon, welcher die Zwangsêtheilung vorschreibt. Es ist das Geseß des Ecroberers, welcher aufräumen wollte mit dem Bestehenden. Die Folge des französishen Geseßes ift in Frankreih das Zweikindersystem. 1881, als man sich mit der Landgüterordnung beschäftigte, bes{chloß der rheinishe Provinzial-Landtag, sih gegen einen Zwang, aber für die Er- weiterung der Testierfreiheit auszusprehen. In dieser Richtung müßte auch heute vorgegangen werden. Die Formulierung der Vorlage ist eine zu mangelhafte, um die Grundgedanken in der entsprechenden Weise auszugestalten. Es wird Sache der Kommission sein, hier zu bessern, namentlich in Bezug auf das Wahlrecht, welches vollständig umgearbeitet werden muß; es muß jeder Gegensaß zwishen Groß- und Kleinbesfig vermieden werden. Ein solcher oegensay besteht nit, und wenn Herr Richter aus den oberslesischen Vorgängen etwas Anderes gefolgert hat, so hat er vergessen, daß es si dort um politishe Strömungen handelt; es besteht dort ein Gegensatz gegen die konservative Gesinnung der großen ej Die Negie- rung ist auf der Suche nach Steuern; ih möchte ihr die Margarine als ein Steuerobjekt empfehlen ; davon lassen sih 60 bis 80 Millionen Mark gewinnen, wenn man die Fabrikanten besteuert. Für die Land- wirthschaftékammern wollen wir den Rahmen schaffen, den Geist müssen diejenigen hineinlegen, welche in den einzelnen Provinzen die Arbeit leisten.

Abg. vonBockelberg (konf.): Der Nothstand der Landwirthschaft ist in den leßten Jahren so hoch gestiegen, daß sich ein gewisser Pessimismus herausgebildet hat. Die Vorlage ist an sich weniger von Bedeutung als wegen der weiteren Vorlagen, die in Aussicht ge- stellt sind. Ich möchte wünschen, daß die ausgestellten Wechsel bald zur Einlösung kommen ; denn sonst wird es zu spät, der landwirth- schaftlichen Noth abzuhelfen. Es ift in liberalen Blättern nicht ritig dargestellt worden, daß auch auf unserer Seite man sih kühl bis ans Herz hinan gegenüber der Vorlage verhalten habe. Wir wollen freudig mitarbeiten. Die weiteren Ziele werden ers in Jahr und Tag in die Erscheinung treten. Die Materialien zum Bau der

Organisation der Landwirthschaft sind in großer Masse zusa etragen. Der Baugrund is ein guter und die wesentli estandtheile sind der obligatorishe Charakter der Kammern und it,

Besteuerungsrecht. Die Zentralvereine haben in tehnish-landwirti,

schaftlicher O SERRg Ee Thätigkeit voll und ganz erfüllt, abz,

niht in der wirthshaftspolitischen Vertretung der landwirthschaft, lihen Interessen. Bei der Bemessung der Steuergrenze follte man auf die provinziellen Lite Rücksicht nehmen. Wenn es gelingt die Vorschrift in das Geseß hineinzubringen, daß bei allen großen wirthschaftlichen Sgei die Kammern gehört werden müssen, fo if viel gewonnen. Solche Institutionen sind werthvoller als freie Ver- eine, welche von n E E Ee ihrer Leiter abhängig find. Wie sollen fi die landwirth|scaftlihen Vereine, wie Herr Richter verlangte vom Landrath emanzipieren ? Der Landrath hat doch ebenfogut wie andere Stände das Recht, Mitglied des Vereins zu sein. Soll der

Landrath landwirthschaftlihe Kenntnisse haben, wenn er Mitglied

werden will, dann müssen wir das auch von den Parlamentariern

verlangen, welche oft so abfällige Urtheile über die Lan wirthschaft hier fällen. Ih möchte nit, daß der Schwerpunkt der Thätigkeit der

Landwirthschaftskammern in den Händen des angestellten Beamten

rit sondern in den Händen des Vorsißenden; deshalb müßte für

diesen eine Entschädigung in Aussicht genommen werden. Nicht die

Nestkaufgelder und die Grhantheile sind die Urfache der Uebershuldung,

sondern das Sinken des R infolge der niedrigen Preise

für alle landwirthschaftlichen Produkte. Hoffentlih wird die Vorlage

T Kommission so umgestaltet, daß sie zum Segen des Staats

gereicht. i A :

__ Darauf wird die Diskussion geschlossen und, wie {on mitgetheilt, nah einigen persönlichen Bemerkungen die Vorlage an eine Kommission von x Feger, poiride Überwiesen

Der Nachweis über die Verwendung des Dis- positionsfonds der Eisenbahnverwaltung für 1892/93 wird durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt, ebenso eine Mittheilung des Finanz-Ministers und des Ministers der öffentlichen Arbeiten, betreffend die Ergebnisse der Umwandlung der Prioritäts- Anleihen verstaat- lihter Eisenbahnen in konsolidierte Staatsschuld. _ Auf Antrag des Abg. Sattler (nl.) hebt das Haus jedoch seinen Beshluß bezüglich des Dispositionsfonds wieder auf und Uüberweist den betreffenden Nachweis an die Budgetkommission.

Es folgt die erste Berathung des Vertrages zwischen Preußen und Lübeck, betreffend den Elbe-Trave- Kanal.

Abg. Schreiber- Nordhausen (fr. kons.) erklärt fi egen die Vorlage, weil darin Gelder gefordert würden für einen nat wichtige Sekundärbahnanlagen aufgeshoben würden. Ferner \eien seine schleswig-holsteinishen Freunde auch deshalb gegen die Vorlage, weil dadur die Stadt Raßeburg geschädigt würde. Der Kreis Herzogthum Lauenburg solle 600 000 Æ zu den Kosten zahlen. Man finde das im Kreise zu hoch; aber das sei nit zuzugeben, wenn man bedenke, daß der Kanal auf einer langen Strecke den Kreis durhlaufe. Lübeck sei dur den Nord-Ostsee-Kanal gezwungen, eine Verbindung nah dem Hinterlande, nah der Elbe zu suchen, um für seine Seeschifffahrt nah Rußland N W De nöthigen Abnehmer zu finden. Redner empfiehlt {ließlich die Verweisung an die Budgetkommission.

Abg. Wentorp (fr. kons.): Jch freue mi, daß die Einwen- dungen des Vorredners doch nicht so erhebliche sind, daß er gegen die Vorlage stimmen müßte. Preußen macht ein gutes Geschäft bei dieser Vorlage; deshalb hoffe ih, daß der Vertrag die Genehmigung baldigst finden möge. Der Kreis Lauenburg foll 600 000 #4 zu den Kosten beitragen. Ich kann mich von der Nothwendigkeit dieser Ver- vflihtung niht recht überzeugen, um so weniger, als der Nord-Oftsee- Kanal mit einem Aufwande von 150 Millionen Mark gebaut wird, ohne daß die durhschnittenen Kreise zu Beiträgen herangezogen würden. Wir glaubten, daß ein Beitrag von 400 000 4 ge- nügen würde. Redner hält es für nothwendig, die Stadt Naße- burg mehr zu berücksihtigen, als es durch das Projekt gesehen ift.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen :

Meine Herren! Die ausführlihe Begründung, welche der Geseß- entwurf über die Betheiligung Preußens an den Kosten des Eibe- Trave-Kanals in dem Ihnen unterbreiteten gedruckten Material erfahren hat, würde mich an sich wohl der Verpflichtung entheben, hier noch- mals den * Standpunkt der Staatsregierung darzulegen. Wenn dies allerdings mit kurzen Worten dennoch geschieht, so veranlaßt mi hierzu der Wunsch, zunächst dem hohen Hause den vorliegenden Geseß- entwurf warm zu empfehlen, dann aber auch zu bekunden, daß die preußische Staatsregierung aus zwiefahem Grunde tie Betheiligung des preußishen Staats an den Kosten dieser Wasserstraße für durh- aus angezeigt erahtet. Und zwar erstens, weil diese Wasserstraße für ein weites Gebiet des eigenen Landes von ganz erheblihem wirthschaft- lichen Segen sein wird. Zweitens aber auch und darauf möchte ih bier noch besonderen Nachdruck legen —, weil die Erhaltung der Lebensfähigkeit der alten Hansestadt Lübeck, die ihre treue deutsch- nationale Gesinnung durch alle Zeiten bewahrt hat und dieselbe au in der jüngsten Zeit noh wiederholt ich erinnere nur an den Nord- Ostsee-Kanal bewährt hat, die es durch Thatkraft und Umsicht ver- standen hat, trog der Ungunst der Verhältnisse einen ehrenvollen Plat unter den Seestädten des deutschen Landes zu behaupten, daß die Lebent- fähigkeit Lübecks von der Herstellung dieser Wasserstraße abhängt, daß Lübeck nur unter dieser Vorausseßung die alten Handelsbeziehungen zum baltischen Norden zum eigenen und zum Segen des Binnenlandes weiter ausbauen fann.

Meine Herren, die Geschichte des Elbe-Trave-Kanals reiht sebr weit zurück. Das Bedürfniß, die Ostsee mit der Elbe in direkte Wasserverbindung zu setzen, hat bereits zu Ende des 14, Jahrhunderts zum Ausbau des Stecknitz-Kanals geführt, also im ganzen und großen derjenigen Linie, welhe auch dem heutigen Projekt zu Grunde liegt. Es hat sich auf diesem Kanal eine lebhafte Schiffahrt entwickelt, welche indessen in der Periode der wirthschaftlihen und politischen Ver- wüstung Deutschlands zum großen Theil zu Grunde gegangen ist. Mit dem Nachlassen und Aufhören der Schiffahrt nzurde auch die Leistungsfähig- keit der Wasserstraße so erheblih beeinträchtigt, daß sie keine Rolle mehr unter den Verkehrsstraßen Deutschlands spielt. Die mannigfahhen Bestrebungen, welche Lübeck im Laufe der Jahrhunderte gemacht hat, um eine leistungsfähige Wasserstraße zwischen Ostsee und Elbe wieder- herzustellen, scheiterten an der Ungunst der Zeiten und der Verhält» nisse. Neu aufgenommen wurde das Projekt unter der Napoleonischen Herrschaft, blieb aber dann später wieder liegen, und erst 1881 fanden auf Anregung der preußishen Regierung Verhandlungen statt, welhe auch dahin führten, daß 1889 eine vorläufige Ver- einbarung mit Lübeck darüber stattfand, daß man elnen, Kanal herstellen wollte von Lauenburg über Büchen, Mölln, Raße- burg dur die Wakeniß nah Lübeck. Dieser Kanal. hat zur Voraus- seßung, daß die Speisung desselben aus dem Schaalsee erfolgt. Die nordwestlihe Spiße des Schaalsees liegt aber in dem Gebiet des Großherzogthums Mecklenburg - Schwerin , und die mecklenburgishe Regierung erhob Widerspruch gegen- die Entnahme von Speisewasser aus dem Schaalsee. Dadurch kam das Projekt damals zum Scheitern -

Die Erbauung des Nord - Ostsee - Kanals mate die Frage der Herstellung dieser Wasserstraße für Lübeck fo dringlih und so unabweislih, daß von lübisher Seite die Verhandlungen neu aufge- nommen wurden. Die preußishe Regierung hat sich an der Unter- suhung betheiligt, und es wurde s{ließlich von dem Ober-Baudirektor des Staats Lübeck das Projekt aufgestellt, das die volle Billigung der preußischen technischen Instanzen fand und welhes Ihnen hier heute vorgelegt worden ist.

Die Betheiligung des preußishen Staats an der Herstellung dieser Verbindungswasserstraße war auch bei dem ersten Kanal- projekt durch die Wakeniy bereits von der [preußischen Negierung in Aussicht gestellt, und zwar hatte man sich vor- läufig dahin geeinigt, daß ein Drittel der Kosten von Preußen übernommen werden solle. Die Kosten des Wakenißzprojekts beliefen sich damals auf rund 18 Millionen Mark. Die neuerdings auf- gestellten Projekte {ließen mit einem Kostenaufwand von 22750000 ab, von denen, wie der Herr Vorredner ausgeführt hat, 600 000 #4 von dem Kreis Lauenburg und zwar auf den preußischen Antheil ge- tragen werden. Nach längeren Verhandlungen hat die preußische Staatsregierung sich bereit erklärt, zu befürworten, daß: der preußische Antheil auf 7 500 000 Æ bemessen wird, einshließlich des lauenburgi-

s{en Antheils.

Die Motive, welche die preußishe Staatsregierung zu einem fo erheblichen Beitrag veranlaßt haben, habe ich mir erlaubt, vorhin an-

zuführen. Es ist, was die wirthschaftlihen Verhältnisse des eigenen:

Landes anbetrifft, insbesondere die Erwägung, daß die Industrie, die sich um Elbe und Saale in fo hohem Maße entwickelt hat, das dringendste Interesse daran hat, durch Herstellung dieser Wasserstraßen einen fehr erheblih abgekürzten und leistungsfähigen Zugang zur Ost- see zu gewinnen. Wenn auch nicht in demselben Maße, so doch immerhin nicht unbedeutend find an demselben auch entferntere Gebiete betheiligt. Naturgemäß ist es aber in erster Linie Lübeck, welches mit Recht von dem Kanal eine durchgreifende Besserung seiner wirth- schaftlihen Verhältnisse erwarten darf, und das findet ja au seinen Ausdruck in den außerordentlih hohen Opfern, zu welchen sich Lübeck entschlossen hat.

Meine Herren, daß der Kanal soviel theurer geworden ist, liegt einmal daran, daß die Zeitverhältnisse fih geändert haben, zum theil aber daran, daß die jeßigen Kanaldimensionen erheblih größere sind, als bei dem ursprünglichen Plan. Während früher die Sohle 17 m betrug, beträgt sie jeßt 22 m, die Tiefe ist von 1,85 m auf 2 m, die Schleusenlänge von 73 auf 75 m, die Breite von 9 auf 11 m erweitert. Dadurch ist ein erheblicher Mehrbedarf eingetreten.

Meine Herren, der Herr Vorredner hat darauf hingewiesen, daß von denjenigen preußischen Landestheilen, welhe an der Wakeniß liegen, also besonders der preußischen Stadt Ratzeburg und ver- schiedenen anderen Städten, Petitionen hier eingereiht find, welche bezwecken, daß das hohe Haus sih ihrer Interessen warm annimmt. Meine Herren, das is auch bereits seitens der Staatsregierung geshehen; auch die Staatsregierung hat sich dem Staat Lübeck gegenüber dieser Interessen aufs allerwärmste an- genommen. Ih muß aber hierbei bemerken, daß diese Interessen zur Zeit sehr unbedeutend sind, auch bis jeßt hat Nate- burg keinen direkten Wasserweg nah Lübeck, vielmehr war die Wakeniß vom Ende des Nayteburger Sees nach Lübeck nicht für größere Schiffe, sondern nur für ganz kleine Boote schif- bar. Es sind zur Zeit drei Boote, die überhaupt dort den Dienst thun. Das i} ein Boot, welches 15 t enthält, ein zweites, Boot von 14 t, ein drittes Boot von 223 t. Man kann also nicht behaupten, daß erbeblihe Interessen zur Zeit vorliegen, eine große Wasserstraße herzustellen. Der gesammte Verkehr hat 1890 betragen von Ratzeburg nah Lübeck 1900, 1891 2400, 1892 1803 t, von Lübeck nah Rateburg ungefähr dasfelbe. Nun würde die Herstellung des direkten Wasserweges von Ratzeburg durch den Rateburger See und die Wakeniß nah Lübeck erfordert haben die Herstellung einer neuen Schleuse, und zwar einer Schleuse, die den ziemlich erheblichen Kostenaufwand von 800 000 4 veranlaßt haben würde, weil die Niveauverhältnisse zwishen dem Kanal und dem Natzeburger See schr ungünstige sind, es find erhebliche Differenzen zu überwinden. Es hien der preußischen Staatsregierung nicht im Verhältniß zu stehen, wenn gegenüber den sehr geringen Verkehrsinteressen die Lübeckishe Regierung angehalten werden sollte, die 800000 für die Schleuse aufzubringen. Dagegen hat die preußische Staatsregierung bei der Lübeckishen Regierung erreiht, daß die leßtere sich bereit erklärt hat, am Ende des Rateburger Sees furz vor Lübeck einen Damm herzurichten, bis zu dem hin die Wakenißschiffahrt gelangen kann, und auf diesem Damm sowohl Um- ladevorrihtungen von Schiff zu Schiff, wie Umladevorrihtungen von Schiff zu Eisenbahn einzurihten, au später, wenn der Verkehr eine entsprehend größere Bedeutung erlangt, eine Schleuse einzubauen. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß durch die zunächst geplanten Einrichtungen das Verkehrsbedürfniß von Ratzeburg und aller übrigen Orte, die in gleicher Lage sich befinden, in erheblich besserem Maße befriedigt wird, als das heute der Fall ist. z

Meine Herren, ich möchte meine Ausführungen, wie ih sie be- gonnen habe, nochmals mit der dringenden Bitte s{ließen, daß das hohe Haus der Vorlage zustimmen möge.

__ Abg. Broemel (fr. Vg.): Es handelt sich nit um das alte Lübeck, sondern um das moderne Lübeck, welches herabgesunken ist im Laufe der Entwicklung, wenn auch nicht ohne eigene Schuld, so do hauptfächlich durch den Gang des tehuishen Fortschritts, dessen Einfluß es nicht hat widerstehen können. Der Elbe-Trave-Kanal ist eine Lebensfrage für die Stadt Lübeck ; deshalb ist auch die Lübecksche Bürgerschaft Mrg die Kosten des Baues zu zwei Dritteln zu über- nehmen. 80 000 Köpfe ist die lübische Bevölkerung stark, und die Kosten von 15 000 000 4, also 190 ( pro Kopf, will das kleine Gemein- wesen auf sich nehmen, während die preußischen Staatsschulden nur 200 4. pro Kopf betragen: Deshalb müssen unsere Sympathien der Stadt Lübeck zufallen. Jeder Vertreter des preußishen Volks kann es wohl verantworten, daß ein Theil der Kosten auf den vreußishen Staat übernommen werde. Hamburg gewinnt dur den Nord-Oftsee-Kanal sehr viel, und dadurch ist Lübeck gezwungen, sich einen Weg nah der Elbe ju suchen. Auch preußische Ostseehäfen sind an dieser ganzen Frage betheiligt. Der Verkehr zwischen Ostsee und Elbe geht zum großen Theil über Stettin; zwischen Stettin und Magdeburg bestehen zwei regelmäßige Schleppdampferlinien. Wenn der Staat für ein sremdes Gemeinwesen eintritt, dann muß er au seiner eigenen An- gehörigen gedenken. Schon die Anlage des Nord-Ostsee-Kanals zwingt die preußische Regierung, für die Verbesserung der Hafenanlagen an der L stsce zu forgen. Die Stadt Rabteburg wird geschädigt dadurch, daß Bey die mecklenburg - \{chwerinsche Regierung die Ausführung des alten Projekts verhindert ist. Redner empfiehlt die Verweisung der

E an die Budgetkommission sund eine s{leunige Erledigung erle l 76

_ Abg. Schwe ckendieck (nl.) erklärt sich namens der national- liberalen Partei für die Vorlage und weist darauf hin, daß durch die Er- bauung des Mittellandkanals der Verkehr des Westens nach der. Elbe noch verstärkt werden würde.

Abg. Dr. Dünkelberg (nl.) hält es für nothwendig, auch die Elbe zu fanalisieren, damit die Küstenfahrer von Lübeck auf der Elbe bis Magdeburg kommen .können.

Geheimer Baurath Keller: Die Kanalisierung der Elbe ift lean früher angeregt, aber gerade in Schifffahrtskrcisen abgelehnt worden.

__ Abg. von Lu e (kons.) erklärt si namens der konservativen Partei für die Gewährung eines Beitrags zu dem Kanalbau. Für die Land- wirths{aft werde Ad kein Vortheil ergeben; denn die Ausfuhr land- wirthschaftlicher Produkte werde niht gefördert werden; eher werde das Gegentheil eintreten. Für die Industrie werde ein Vortheil ein- treten, den man allerdings nicht ziffernmäßig berechnen fönne. Redner vermißt eine Angabe darüber, wie hoch sch die Unterhaltungékosten und die Einnabmen des Kanals jährli belaufen würden.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Dem hohen Hause ist ja bekannt, daß die Staatsregierung seit längerer Zeit auf dem Standpunkt steht, daß angemessene Gebühren für die Benußung der künstlihen, vom Staat hergestellten Wasser- straßen zu erheben find. Ih habe auch bisher gegen die Befolgung dieses Grundsatzes einen Widerspruch hier im Hause niht gehört. Fine solhe Gebührenerhebung macht allein nah der Ueberzeugung der Staatsregierung es dem preußishen Staat und feinen Finanzen möglih, in einer angemessenen, den volkswirthschaftlihen Interessen des Landes entsprechenden Weife mit der Herstellung von fkünstlihen Wasserstraßen weiter vorzugehen. (Sehr richtig !) Außerdem würde dem Nachtheil, der zweifellos in vielen Fällen dem Eisenbahnverkehr durch die Herstellung des Wasserverkehrs geschieht, in einem viel größeren Maß noch Vorschub geleistet werden, wenn der Staat auf den Gedanken käme, die Wasserstraßen denjenigen Interessenten und Nächstbetheiligten, welche sie benußen, einfach à fonds perdu zur Disposition zu \tellen. Das liefe gegen alle Grundsäße und namentlich gegen diejenigen Grundsäße der Besteuerung und der Heranziehung der Nächstbetbheiligten nah Maßgabe von Leistung und Gegenleistung, welche das hohe Haus bei Berathung des Kommunalabgabengeseßes einstimmig acceptiert hat.

Nun konnten wir in diesem Fall dem preußishe Staat das Recht nit vindizieren, seinerseits allein über die Höhe der Gebühren nah Maßgabe des Verkehrs, wie er sih entwickelt, zu bestimmen, da ja der Größtbetheiligte, der eigentlihe Unternehmer, hier die Stadt Lübeck war, und die Stadt Lübeck mit einem so bedeutenden Kapital, welches sie in dieses Unternehmen hineinsteckte, unmöglich einwilligen konnte, die Rentabilität des Kanals den Minderinteressenten allein zu über- lassen. Infolge dessen ist bestimmt, um diese Interessenverschiedenheit auszugleichen, daß für die nächsten fünf Jahre die Abgaben erhoben werden follen, wie sie auf den märkisWen Wasserstraßen erhoben werden. Würden wir demnächst die Abgaben auf den märkischen Wasserstraßen erhöhen, so hat Preußen das- Recht, eine entsprehende Erhöhung auf dem Elbe-Travekanal zu fordern. Ob Preußen von einem sfolchen Recht Gebrauch machen würde, das hängt freilich durchaus von Umständen ab. Denn es kann ja sehr wohl möglich sein, daß man nicht in der Lage ist, ohne den Verkehr auf dem Kanal wesentlich zu beshränken, ja ohne felbst einen Verlust an Einnahmen zu erleiden, die Abgaben zu erhöhen. Dagegen, tritt eine Ermäßigung der Gebühren auf den märfishen Wasserstraßen ein, so ist der preußische Staat niht verpflichtet, dementsprehend auh die Gebühren auf dem hier fraglihen Kanal zu ermäßigen, fondern es ist dann nur Lübeck zugesichert, daß eine entsprehende Grmäßigung in Erwägung gezogen werden foll. Man wird also in dieser Beziehung die Ent- wicklung abwarten, und man wird die Bedeutung des Verkehrs, wie er sih auf dem Kanal gestalten wird, vor sich haben, und man wird die Konkurrenzverhältnisse in Betracht zu ziehen haben, aber in allen Fällen wird natürlich der preußische Staat loyal gegen die Stadt Lübeck verfahren.

Ich glaube alfo, die Herren werden bei näherer Prüfung sehen, daß man einen andern Weg wegen der Bemessung der Gebühren wohl faum einschlagen Tonnte, und daß das, was hier vereinbart ist, den preußishen Interessen au in genügender Weise entspricht.

Meine Herren, es ist gespwchen worden von der Höhe des Bei- trags, welchen der Kreis Lauenburg tellen foll. Nun sind wir der Ansicht, daß der Kreis zwar niht wohl zu einem höheren Beitrag nah seiner Leistungsfähigkeit herangezogen werden konnte, daß er abèr am allerwenigsten \sich darüber beklagen fann, daß man ihm zu viel ab- gefordert hat. Wenn nah den Prinzipien, die doch fonst vielfah zur Anwendung gekommen find, der Kreis Lauenburg den Grund und Boden hâtte hergeben. müssen, fo würde sih ein Betrag von über 17 Millionen wahrscheinli herausgestellt haben, (hört! hört !), wäh- rend hier der Kreis Lauenburg im ganzen 600000 S zahlt. Außerdem fällt für ihn die Unterhaltung des bisherigen Kanals fort, der eine Jahresaus8gabe von etwa 10000 aus- macht, und es reduzieren \sich danach die Beiträge des Kreises Lauenburg fast um die Hälfte. Jch glaube, davon kann also garnicht die Rede sein, daß man zuviel von diesem Kreise verlangt hat ; andererseits sind wir allerdings, wie gesagt, der Meinung gewesen, daß der Kreis nit in der Lage wäre, mehr zu leisten. Ich glaube, wenn die Herren die Sache genau prüfen, so werden Sie finden, daß auch in dieser Beziehung das Richtige getroffen ift.

Abg. Gothein (fr. Vg.): Daß angemessene Gebühren erhoben werden müssen, darin sind wir mit dem Finanz-Minister einverstanden ; es sollen nit nur die Unterhaltungskosten, sondern au möglichst die Zinsen vereinnahmt werden. Aber die Gebühren sind niht angemessen, weil die natürlihen Wasserstraßen nicht immer die volle Ausnußung der Tragfähigkeit der Schiffe gestatten. Stettin muß vor der Hand nach Berlin den unzulänglihen Finow-Kanal benutzen, welcher nur mit Schiffen von 170 t befahren werden kann. Hier wird eine Wasser- straße geschaffen, welhe 1200 Tonnen - Schiffe befahren können, und es sind nur zwei Be vorhanden. Die Gebühren s{chweben jedoch vollständig in der Luft; früher hatte das Haus mitzusprehen, man hat aber die Sache dem Ministerium übertragen, weil man meinte, daß diese Gebühren überhaupt aufgehoben werden müßten. Sie find auf-

ehoben im Westen, aber niht im Osten. Die Hexren aus dem esten, welche jeßt die großen Kanäle bekommen, sollten bedenken, daß es sich hierbei um ihre eigenen Angelegenheiten handelt.

Geheimer Finanz-Rath Sa: Man kann doch nicht die Länge der Entfernung außer acht lassen. Wenn für die lange Strecke von Stettin nach Berlin fünf Hebestellen angeordnet sind, fo ist für die kurze Strecke Lübeck—Lauenburg die Zahl von zwei nit zu niedrig. Der Vorredner hat die Lrage aufgeworfen, ob nah der Ladefähigkeit oder nach der effektiven Ladung die Gebühren zu bemessen sind. Das

muß erwogen werden ; aber mageens ist doch die Ladefähigkeit, nah welcher die Dimensionen und alle Einrichtungen des Kanals bemessen

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werden. Es ift auch s{wierig, jedeêmal die effeftive Ladung fest- zustellen. Uebrigens ist die Bemessung der Gebühren auf den Wafser- straßen cine Königliche Prärogative und hat niemals der Beschluß- faffung des Hauses unterlegen.

Abg. Dr. Hammacher (nl.): Von der Höbe der Kanalgebühren ist das Quantum des Verkehrs abhängig. Sind die Gebühren zu hoch, so wird der Verkehr vermindert. Ich bezweifele, daß die Fest- stellung der Gebühren allein Sache der Regierung sei. Es muß hier die Praxis loyal den Verkehr beobahten. Ein bestimmtes Prinzip aufzustellen,. ist unmöglih. Alle Redner sind der Vorlage freundlih gegenütetgetreten; auch ih fann nur anerkennen, daß, da Lübeck durch die Herstellung des Nord - Ostsee - Kanals geschädigt wird, ihm ge- holfen werden muß. Die Betheiligung Preußens is aber auch im Interesse Preußens selbt, namentlih der Provinz Sachsen gereht fertigt. Von Sachsen aus geht der Zuckerhandel, der Export von Braun- koblen und Staßfurter Salz über Lübeck nah Skandinavien. ét sheidend ift, daß dadurh das ösftlihe Stük der Kanalverbindung vom Rhein zur Elbe hergestellt wird, welches die Fortseßung nah der Ostsee bildet. Daß die Elbe nicht immer allen Anforderungen entspricht, ist richtig; aber die Kanalisierung der Elbe ift nit an- nehmbar. - z

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Herr Dr. Hammacher bat ja allerdings selbst hervorgehoben, daß eine ftaatêrehtlihe angeblihe Frage, ob die Staatsregierung bezw. die Krone das Recht habe, die Gebühren ebenso wie bei den Eisenbahnen, wo das doch jedenfalls unbestritten, für die Benutung der Kanäle festzuseßen, hier niht zur Entscheidung bringen wollen; er hat aber doch die-Sache angezweifelt und hat jedenfalls nicht anerkennen wollen, daß die Anschauung, die hier mein Herr Kommissar vertreten hat, bisher eine durchaus unbestrittene ift.

Ih möchte, um jeden Zweifel zu beseitigen, nochmals wieder bestimmt betonen, daß für die Staatsregierung in dieser Beziehung gar fein Zweifel besteht. Zweifellos hat nah der preußishen Ver- fassung die Krone bezw. das Staats - Ministerium das Recht, diese Gebühr zu fixieren. Irgend ein besonderes, aus der Verfassung her- zuleitendes Recht des Landtags, dabei mitzuwirken, eristiert nicht: ih würde aber glauben, daß, wenn es eristierte, rechtlich, formell, gerade nach ten Ausführungen des Herrn Dr. Hammacher, wie jedo irriger Weise der frühere Herr Redner hier angab, zum zweiten Mal es der Regierung übertragen werden müsse. Denn, wenn es vollkommen zu? treffend ist, daß die rihtige Bemessung von Gebühren zwischen der Leistungsfähigkeit derjenigen, die das Unternehmen benuten, und andern- theils der natürlichen Einnahme, welche die Staatsregierung, die ja keine Einnahmequelle aus solhen Anlagen machen will, sondern zufrieden ist, wenn fie die aufgewandten Verwaltungs- und Betriebskosten und mäßige Zinsen erzielt, sehr s{chwierig ist, daß; sage ih, nur ein vernünftiges Erwägen aller wirthschaftlich in Betraht kommender Verhältnisse da das Richtige treffen kann, so wird weiter zugegeben werden müssen, daß fortwährende Veränderungen hier vorkommen, daß hier das Arbitrium der Verwaltung ‘allein zweckmäßig eingreifen kann, und daß man dur Gesetz derartige Gebühren festzuseßen ganz außer stande sein würde.

Meine Herren, ih möchte bei Kieser Gelegenheit noch darauf hin- weisen, daß der Vorgang in Beziehung auf die Vertheilung des Risikos des Unternehmens und der Vortheile, die mit demselben ver- bunden sind, hier in dieser Vorlage ein einseitiger nicht bleiben wird, sondern daß die Staatsregierung dieselben Grundlagen beabsichtigt durchzuführen auch in den Fällen, wo es sich um die Betheiligung lokaler preußfisher Korporationen oder Interessenten bei der vom Staat hergestellten Anlagen handeln wird. Wir haben bisher in diesen Fällen meistens gefordert die unentgeltliche Leistung des Grund und Bodens seitens der Nächstbetheiligten à fonds perdu. Neuerdings if die Staatsregierung mehr auf den Weg ge- fommen und es wird vielleicht demnächst das Haus das aus einer Vorlage über ein neues Kanalunternehmen noch näher ersehen —, die Nächstbetheiligten gewissermaßen als Mitunternehmer anzusehen, welche zwar die ganze Verwaltung, die Bemessung der Gebühren u. \. w. in die Hand der Staatsregierung legen, aber mitbetheiligt sind an den Vortheilen oder Nachtheilen, die aus dem Unternehmen entspringen können, wogegen die Staatsregierung ihrerseits die un- entgeltlihe Leistung von Grund und Boden niht mehr fordert.

Aus diesen unentgeltlihen Leistungen von Grund und Boden sind sehr viele Unzuträglichkeiten erwachsen und sehr viele Differenzen zwischen der Staatsregierung und den Betheiligten entstanden. Es ist für die Betheiligten dieser neue Modus viel angenehmer, nament- lih wenn fie selb was ja meistens der Fall if überzeugt sind, daß der betreffende Kanal ein rentabler sei. Wenn sie die Unterhaltungs- und Betriebskosten und einen Theil einer ange- messenen, landesüblihen Verzinsung des aufgewendeten Kapitals unter Umständen garantieren, wo fie felbst der Uéber- zeugung find, die Garantie wird nicht lästig werden, das Unternehmen wird rentabel sein dann wird natürlich diese ganze Situation für fie viel leichter, als wenn fie auf ihre Kosten à fonds perdu den ganzen Grund und Boden hergeben müssen.

Andererseits liegt in der Bereitwilligkeit der Interessenten und Nächstbetheiligten, eine Theilgarantie zu übernehmen, eine große Garantie dafür, daß die Interessenten auch ihrerseits von der wirth- shaftlihen Bedeutung des Unternehmens vollständig durchdrungen sind, und wird die Gefahr des Staats also in dieser Beziehung vermindert.

Endlich, meine Herren, ist für den Staat die Sache in fo fern auch von erhbebliher Bedeutung, wie ih gar nicht leugne, als man durch eine folhe Mitbetheiligung der Nächstinteressierten viel rihtiger die Grenze der Bemessung der Einnahmen bezw. der Gebühren wird feststellen können. Denn das haben wir genügend erlebt : erst baut der Staat eine Brücke unter der Vorausseßung, daß Brückengeld erhoben wird ; erbaut einen Kanal und reguliert einen Fluß unter der Vorausseßung, daß Gebühren erhoben werden, und die Nächstbetheiligten sind vor- trefflih damit einverstanden. Aber in dem Augenblick, wo das Unter- nehmen dasteht und im Betriebe ist, kommt das Drängen; da erklärt man ein Brückengeld, ein Hafengeld oder eine Gebühr für die Be- nußung eines Kanals für eine längst überwundene, antediluvianische Sache und der Landtag unterstüßt dann auch gelegentlih \folche Be- strebungen. (Heiterkeit.) Sind aber die Nächstinteressierten selbst betheiligt, Haben sie ein Interesse, daß auch angemessene Einnahmen aufkommen, und daß diejenigen, die den Kanal benutzen, auch den erforderlihen Ersaß dadur indirekt an die Kreise und Gemeinden leisten, denen diefe Garantie obliegt, so wird das Ein- vernehmen zwischen Staat und Nächstbetheiligten weit mehr gesichert sein, als in der bisherigen Weise.

Nach einigen kurzen Bemerkungen der Abgg. Wentorp, Gothein und Hammacher wird die Vorlage der Budget- kommission überwiesen.