1894 / 41 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

S braude Ihnen bloß die beiden Namen Sherman und Mac Kinley zu nennen, und Sie wissen, was ih meine: die Silberfrage und den Schutzoll. In Mittel-Amerika is Krieg; in Süd-Amerika herrscht jeßt ein bellum omnium contra omnes. Die Verkehrsverhältnisse liegen so {chlecht, daß, wie aus dem neulich dem Hause vorgelegten Bericht des Auswanderungskommissars hervorgeht, die Zahl der Auswanderer allein im vorigen Jahre um 100 009 zurükgegangen ift. Und eben erst wurde mir ein Schreiben des Norddeutshen Lloyd überbracht, welhes die traurige Thatsache ankündigt, daß der Lloyd sich genöthigt sieht, von der nächsten Woche ab die zweiwöchent- lien Fahrten mit Schnelldampfen nach Amerika ein- zustellen. (Hört! hört!) Dasselbe steht bei der Hamburg- Amerikanischen Paetfahrt-Aktiengesellshaft bevor. Nehmen Sie dazu noch den Bankenkrah in Australien, wo es sich um 1200 Millionen gehandelt hat, an denen Europa mit 600 Millionen, also der Hälfte, mitbetheiligt is; ferner die bekannten Zustände in Spanien, Portugal und Griechenland ! Lahmheit des Verkehrs überall! Wie wollen Sie gegenüber dieser großen wirthshaftlihen Degression, dieser Darnieder- lage in allen Geschäften und der geringen Unternehmungslust an- nehmen, daß wir im Laufe eines Jahres, welches sich fo einleit-t, ganz erhebliche Üebershüsse abliefern können ?! Auch der Ausfall der Ernten spielt hierbei eine große Rolle.

Sm weiteren möhte ih den vom Herrn Abg. Richter berührten Punkt wegen der Epidemie nicht in der gerings{äßenden Weise be- handeln, wie er es gethan hat. Im Falle der Epidemie werden fofort sämmtlihe Häfen in den fernen Staaten geflossen, der Schiffahrts- verkehr wird völlig unterbrohen. Wir sehen das jeßt wieder in Konstantinovel; sofort hôrt der Postverkehr auf und wir haben erheb- lihe Einnahmeausfälle. ;

Zu diesen wihtigen Momenten kommen noch Zufälligkeiten hinzu. Was glauben Sie zum Beispiel, daß uns der Sturm der beiden leßten Tage für Kosten verursaht hat? (Lachen links. Sehr gut! rets.) Hören Sie nur gefälligst zu! Jch glaube, Sie werden dann die Sache etwas ernster ansehen. Dieser Sturm kostet uns nah vorläufigen Berechnungen allein für Reparaturen an Telegraphen- leitungen 600 000 „4 Dazu kommen die Dacharbeiten. Das ift sehr erheblih. Beispielsweise hat uns im vorigen Jahre eine einzige Nacht in Hamburg allein 197 000 4 gekostet. Das sind alles unvorhergesehene Ereignisse, auf die ein sorgsamer Hau®svater renen muß.

Noch eins: wenn Sie den Etatsansaß so hoch schrauben, fo verhindern Sie ja gerade die Verwaltung, auf dem Gebiete der, Gebührenermäßigurg Fortschritte zu mahen. Jh muß mich dann doppelt in Acht nehmen, dem Reichs-Schaßamt gegenüber einen dies- bezüglichen Vorschlag zu machen. Z. B. bin ih seit Jahren bestrebt, das Bestellgeld für die Telegramme nah den Landorten, also die 40 S, die immer .noch bezahlt werden müssen, endli ganz ab- zushaffen. Es handelt sich da um eine immerhin nennenswerthe Summe; glauben Sie, ih würde dies durhseßen, wenn ih der Finanzverwaltung dabei sagen müßte: unsere Abschlüsse stehen fo \{lecht, daß wir den Etatsansaß lange niht einhalten werden? Da würde ich einem äußerst widerstrebenden Finanz-Minister gegenüberstehen. . Lssen Sie es aber bei dem Ansatz, wie er hier steht, so kann ih mit viel größerer Ruhe und Sicherheit der Finanzverwaltung gegenüber- treten, wenn ih sage: wir erreichen den Etatsansaß oder haben fogar einen fleinen Ueberschuß. Also, meine Herren, nehmen Sie unsern Vorschlag an, damit wir solche Taxermäßigungen schaffen können. Sie verstärken andernfalls den Widerstand, gegen den die Post- verwaltung überall zu kämpfen hat und für den hier uns immer Vor- würfe gemaht werden, während wir doch die eigentlih Schuldigen nicht sind.

Auf die etatsrehtliche Seite, die ja in vollkommen ausreichender und erschöpfender Weise von dem Herrn Ministerial-Direktor Aschen- born, von dem Herrn Abg. Dr. Hammacher und au von dem Herrn Abg. Richter behandelt worden is, gehe ih nicht ein. Ich wollte nur auf die sehr wichtigen praktishen Bedenken, die sich nah allen Seiten bei einem so hohen Etatsansaß ergeben, aufmerksam machen, und an die Thatsache erinnern, daß wir eine Erhöhung über- haupt noch nie in dieser Weise gehabt haben, und daß es äußerst ze- fährlih ist, die Last der Aufstellung des Etats und die Verantwort- lihkeit dafür von den Schultern der Beamten auf die Neichstags- mitglieder zu übertragen.

Abg. von Leipziger (dkons.) bält den Etatsansaß der Regierung für rihtig. Eine dem Verkehr nicht entspreheade Vermehrung der

Einnahme könne die Finanzlage nicht verbessern. Seine M werde deshalb für die Wiederherstellung der Regierungsvorlage stimmen.

Abg. Bebel (Soz.): Es ift garniht wegzuleugnen, daß wir 1893 eine Steigerung der Posteinnahmen gehabt haben, und die Kom- mission hat mit Recht angenommen, daß das laufende Jahr sich nicht \{lechter stellen wird. Es ift auch nicht abzusehen, weshalb wir nicht jeden Augenblick das System des Etatsanschlages ändern follen, wenn fih dazu ein Anlaß bietet. Wir wollen keine Barbanfelüns des That- bestandes aufkommen laffen. Eine Erhöhung des Gewichts der einfachen Briefe von 15 auf 20 g halte auh ich für erwünscht. Interessant ist nun, daß der bayerishe Verkehrs - Minister in der bayerishen Kammer erklärt hat, er habe eine solhe Reform in Bayern durchführen wollen, diese Reform sei aber an dem Wider- ftand des Staatssekretärs Dr. von Stephan gescheitert. Auch eine Herabsezung des Berliner Stadtportos von 10 auf 5 Z sei höchst nothwendig. Warum foll Berlin allein eine Ausnahme machen, die nur der Packetfahrt-Gesell)chaft zu gute käme ?

Staatssekretär Dr. von Stephan:

Fch wollte nur einen Punkt thatsächlih berihtigen, der hier auf die Parteigenossen und die nähere Umgebung des. Herrn Redners einigen Eindruck gemacht zu haben scheint.

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, es habe einer der bayerischen Herren Staats-Minister im Landtag zu München erklärt, Bayern wäre geneigt ge- wesen, die Gewichtsgrenze für einfahe Briefe von 15 auf 20 g zu er- höhen, aber die Maßregel wäre an dem Widerstande des General- Postmeistes des Deutshen Reichs gescheitert. .Ich muß das für eine vollständige Erfindung erklären, (Zuruf von den Sozialdemokraten) denn es hat mit Bayern überhaupt keine Korrespondenz über die Ab- sicht dieser Erhöhung des Briefgewichts stattgefunden und auch im Bundesrath ist die Sache niemals erörtert worden. Also der Herr Abgeordnete is jedenfalls niht richtig informiert, da ih mir nicht denken kann, daß der betreffende Königlich bayerishe Minister un- rihtig informiert gewesen ist. Jedenfalls liegt niht die geringste Thatsache vor, welche darauf hinweist, daß Bayern überhaupt jene Absicht gehabt habe, und daß dieselbe an dem diesseitigen Widerstande gescheitert sei.

Auf die anderen Punkte gehe ih niht ein, es würde die Dis-

bb

fussion nur noch weiter hinziehen. Wir haben uns über dieselben hon durch eingehende Erklärungen geäußert und bleiben dabei stehen, daß die Regierung von ihrem Standpunkt nicht abgehen kann, ehe nicht eine gründliche Besserung der Finanzverhältnisse eingetreten ift.

Regierungskommissar, Direktor im Reichs-Schaßamt, Wirklicher Geheimer Rath Aschenborn weist den Vorwurf, daß die Reichs- verwaltung bei der Aufstellung des Etats etwas verdunkelt oder ge- färbt habe, als unbegründet zurü.

Abg. Rickert (fr. Vg.) will seinerseits der Regierung eine tendenzióse Aufstelluna des Etats niht vorwerfen, kann aber nicht zugeben, daß der Reichstag kein Recht habe, über den Etatsanschlag der Regierung hinauszugehen. Es handele sich hier um feine grund- säulihe Etatsfrage. Dem Staatssekretär Dr. von Stephan könne es doch ganz gleich fein, ob der Uebershuß höher oder niedriger normiert werde. Auch die Steuerfrage gehöre nicht hierher. Er werde für den Kommissionsvorschlag stimmen. i

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) tritt ebenfalls für den Kommissions-

vorschlag ein.

Abg. Bebel (Soz.): Daß meine Behauptungen bezügli des bayerischen Portos keine Erfindung sind, beweifen die heutige Nummer der „Frankfurter Zeitung“, ein Bericht der „Augsburger Abendzeitung“ und die Mittheilung des Abg. Grillenberger, der in der bayerischen Kammer gehört hat , wie der Minister Crailsheim gesagt hat, eine derartige Reform in Bayern sei an dem Widerstande der Reichs- Postverwaltung gescheitert. i ;

Der Antrag der Budgetkommission wird angenommen.

Der Rest der Einnahmen des Post-Etats wird ohne Debatte erledigt.

Beim Etat der Reichsdruckerei spriht der Abg. Dr. Freiherr von Heereman (Zentr.) dem Staatssekretär von Stephan seine besondere Anerkenmung dafür aus, daß er die Sonntagsruhe in diesem Institut, dessen Leistungen auf dem Gebiet der Gravier- und Druck- kunst, der Kartographie 2c. besonderes Lob verdienen, in einem so er- freulihen Maße zur Durhführung gebraht habe. (Lebhafter Beifall.)

Staatssekretär Dr. von Stephan:

Meine Herren! Ich fühle mich verpflichtet, dem geehrten Herrn, der eben gesprochen hat, meinen aufrichtigsten Dank zu sagen, nament- lih im Namen der Männer, denen seine Anerkennung besonders galt; das sind die ausführenden Künstler und leitenden Beamten der Reihs- druckerei. i

Fch wollte auch noch erwähnen, daß wir diese Leistungen nicht bätten entfalten können, wenn uns niht vom Reichstag immer mit munifizenter Hand Mittel für die Ausdehnung dieses großen Instituts wären bewilligt worden. Ich freue mich fehr, daß der geehrte Herr Abgeordnete zu dieser Ansiht geïommen ist, und ih hoffe und wünsche, daß, wenn er erst von der großen Reichs- Post- und Telegraphenverwaltung so genau Kenntniß genommen hat, wie von der Reichsdruckerei, was ja allerdings sehr viel s{wieriger ist (Heiterkeit), der Moment kommen wird, in welhem er seine An- erfennung vielleicht auch der Reichs - Postverwaltung zu theil werden läßt. (Heiterkeit.)

Abg. Sch{midt- Elberfeld (fr. Volksp.) wünscht, daß die Er- fahrungen und Entdeckungen der Reichsdruckerei auch anderen Sndustriellen zugänglih gemacht werden.

Der Etat wird genehmigt. Schluß 61/4 Uhr.

Preußischer Landtag.

Herrenhaus. 5, Sißung vom 15. Februar 1894.

Der Sigzung wohnen der Minister der öffentlihen Ar- beiten Thielen und Kommissarien bei.

Der neu in das Haus eingetretene Fürst zu Salm- Reifferscheidt Dyck wird auf die Verfassung vereidigt.

Ueber die Verhandlungen des Landes-Eisen- bahnraths im Jahre 1893 berichtet Bürgermeister Hammer- Brandenburg; er beantragt, den Gegenstand durch Kenntniß- nahme für erledigt zu erklären.

Graf von Klinckowstroem regt, wie in der Eisenbahn- fommission, die Frage der Staffeltarife an, wegen der Stellung Bayerns zu dieser Frage; er wolle feine Debatte hervorrufen über die Staffeltarife an sich; deshalb bitte er au die Herren aus dem Westen, die sachlichen Erörterungen zurückzustellen - und nur den preußishen Standpunkt zu vertreten. Db Bayern die Zustimmung zum russishen Handelsvertrage von der Aufhebung der Staffeltarife abhängig gemacht habe oder nicht, sei gleihgültig. Jedenfalls habe fih Bayern in preußishe Angelegenheiten eingemisht und dagegen müsse man diesseits protestieren, wie fast die gesammte Presse dagegen protestiert habe, sogar der „Börsen-Courier“, der allerdings auch die kurze Nachricht bringe, daß die preußishe Regierung die Aufhebung der Staffeltarife beschlossen habe. Nedner bittet den Minister, die Unrichtigkeit dieser Nachricht zu bestätigen.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich bin nicht in der Lage, namens der Staats- regierung auf die Anfrage des Herrn Grafen von Klinckowstroem eine Antwort geben zu können. Wohl aber bin ich in der Lage, über die mir bekannten thatsählihen Verhältnisse perfönlich Auskunft zu er- theilen. Meine Herren, die bayerische Regierung hat bereits im vorigen Jahre durch ihren hiesigen Gesandten die preußishe Regierung davon in Kenntniß geseßt, daß {ih über die Wirkungen des Staffel- tarifs im Königreih Bayern eine große Besorgniß geltend macht. Sie hát ferner wiederholentlich mitgetheilt, daß diese Besorgniß im Wachsen begriffen sei und bereits Dimensionen angenommen habe, die es der bayerishen Regierung zur Pflicht machen, ih mit der preußi- hen Regierung dieserhalb in Verbindung zu seßen. Das war zu einer Zeit, wo von Verhandlungen über den russishen Handelsvertrag noch nicht die Nede war. Infolge dessen hat die preußische Regierung sich bereit erklärt, in nähere Erörterungen über die Frage einzutreten, ob und inwieweit die Besorgnisse, welche die bayerische Regierung geltend gemacht hat, begründet wären, beziehungs- weise inwiefern etwa durch eine Revision der Staffeltarife Abhilfe geschaffen werden könnte. Auf Grund dieser Bereitwillig- Feit hat die bayerishe Regierung bereits im Januar Ver- treter hierhergesandt, mit denen verhandelt worden ift. Diese Verhandlungen haben s\sich auf den Austausch desjenigen statistishen Materials bezogen, welches geeignet war, diese Frage näher zu beleuchten. Es ift darauf eine Pause in den Verhandlungen eingetreten, die dazu benußt worden ift, beiderseits das gegebene Material zu sihten und an der Hand des eigenen Materials zu prüfen. Heute haben die Verhandlungen mit den Ver- tretern der bayerishen Regierung ihren Fortgang ge- nommen und werden voraussihtlichß auch in den nächsten Tagen noch fortgeseßt werden. Welches Ergebniß diese Verhandlungen haben werden, läßt sich zur Zeit noch nicht übersehen. Ebensowenig läßt sih natürlich beute {hon sagen, welhen Standpunkt die preußische

Staatsregierung den Wünschen der bayerishen Regierung gegenüber

einnehmen wird. (Hört! hört!)

Meine Herren, es hat nicht nur die bayerishe Regierung, sondern au die übrigen süddeutschen Regierungen haben dieselben Refri. minationen an die preußishe Regierung bezüglih der Staffeltarise gerihtet. Es sind daher auch Verhandlungen mit den Regierungen von Hessen, Baden, Württemberg und neuerdings auch mit Sachsen in Aussicht genommen worden, die gleihfalls zum Ziele haben, dur mündlihe Erörterungen zwischen den beiderseitigen Vertretern die ein- \{lägigen Fragen zu prüfen. Diese Berathung wird vorausfichtlih am 26. d. M. beginnen. Sie werden daraus ersehen, meine Herren, daß die Annahme, die bayerishe Regierung habe von Regierungs- wegen {on eine ganz bestimmte Stellung zu der Sache genommen und, wie die Blätter mittheilen, also ihre Abstimmung bei dem rusf- sishen Handelsvertrag von der unbedingten Aufhebung der Staffel- tarife abhängig gemacht, thatsächlich niht begründet ift wenigstens ist mir von einer solchen formellen Eröffnung der bayerischen Regie- rung nichts bekannt. Daß die preußische Regierung unter diesen Um- ständen eine Entscheidung darüber, ob die Staffeltarise aufzuheben oder ob und welche Aenderung der Staffeltarife etwa eintreten foll, bis jeßt noch nicht getroffen hat, werden Sie erklärlih finden.

Graf von Mirbach spriht seine Freude darüber aus, daß durch die Rede des Ministers klargestellt sei, daß es sih bei den bayerishen Anträgen nicht um den rufsishen Handelsvertrag handele. Dem sächsishen Landtage habe der Minister von Meßsh ausdrüklih gesagt, daß Sachsen - bei der Verhandlung o gegen die Staffeltarife ankämpfen werde, und daß

arantie gegeben werden müsse, daß folhe Tarife niht wieder ein- geführt würden. Nach dem Vorgang der württembergischen Regierung im MNReichstage sei ja das weitgehendste Maß der Einigkeit im Bundesrath zu erwarten. Nedner geht dann ausführlih auf die Verhandlungen des bayerischen Landtags über die Staffcltarife ein und meint, daß man gegenüber solhen Bestrebungen der Bundes- staaten gegen Preußen in der Abwehr zusammenstehen müsse, namentlih bei der gegenwärtigen Zwangslage Preußens.

__ Frhr. von Stumm: Weshalb sollen nicht die einzelnen Bundesstaaten dasfelbe Necht haben wie die einzelnen Abgeordneten oder Parteien, welche sih privatim in Konventikeln und in der Presse öffentli gegen die Staffeltarife erklären? Das Vorgehen der baye- rischen Regierung ist speziell getadelt worden. Der Herr Minister hat gesagt, daß es mit dem russischen Handelsvertrag niht in Verbindung steht. Indirekt steht es doch damit im Zusammenhang, denn eine Folge des russishen Handelsvertrags wird die Aufhebung des Iden- titätsnahweises sein, wodurch eine Benachtheiligung der süddeutschen Staaten entstehen wird. Daß die ausgestellten Zollscheine niht bloß bei der Einfuhr von Getreide, fondern auch bei Einfuhr anderer Waaren verwendet werden können, {ließt eigentlih eine Benacytheiligung anderer Landstriche aus. Meiner Meinung nah ist die Aufhebung des Iden- titätênahweises für den Osten sehr viel mehr werth als die Staffel- tarife. Jedenfalls ist im Reichstag ohne Aufhebung der Staffeltarife eine Mehrheit für die Aufhebung des Identitätsnachwcises nicht zu erzielen. Im Landes-CEisenbahnrath hat sih keine Mehrheit für die Staffeltarife gefunden. Aber das ist selbstverständlich: die Staffel- tarife dürfen niht eher aufgehoben werden, als die Aufhebung des JIdentitätsnachweises beschlossen ist.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich möchte bestätigen, daß für die Aufhebung der Staffeltarife sowohl Gründe hergeleitet werden aus dem russischen Handelsvertrage wie aus der etwaigen Aufhebung des Identitätsnach- weises, und daß namentlich im Süden Deutschlands, besonders in Bayern, vielfach die Aufhebung des Identitätsnachweises als eine Schädigung der dortigen Interessen angesehen wird. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch darauf aufmerksam machen, daß die allgemeine und uneingeshränkte Aufhebung der Staffel- tarife wohl kaum von irgend einer der süddeutschen Bundes- regierungen gefordert wird. Der bayerishen Regierung und den anderen süddeutshen Regierungen kann und wird es durchaus gleihgültig sein, wenn unsere alten, {hon vor dem 1. September 1891 gültigen Staffeltarife wieder aufleben, oder wir aus den östlichen Theilen, z. B. von Oderberg aus nah Berlin oder Hamburg, Staffel- tarife einführen. Die süddeutshen Regierungen und au der Westen, glaube ich, befinden \sich in derselben Lage; sie streben nur dahin, daß das öôstlihe Getreide und vorzugsweise das östlihe Mehl auf den- jenigen Märkten, die sie bisher beherrscht haben, mit ihren eigenen Produkten nicht in eine überlegene, preisvermindernde Konkurrenz treten. Darum, glaube i, kann man auch nicht behaupten, daß die bayerische Regierung darauf ausgehe, die Tarifautonomie des preußischen Staats zu beschränken. Die bayerische Regierung will sih nur wehren gegen angeb- liche oder wirklihe Schäden, die ihr aus bestehenden Tarifen erwachsen, und daraufhin gehen ihre Bestrebungen, wie ih mir vorher bereits erlaubt habe anzuführen, bereits seit Jahr und Tag. Daß die Verhandlungen über diese Frage zeitlich mit den Verhandlungen über den russischen Handelsvertrag zusammenfallen, ist thatsählich richtig. (Aha!) Der Beginn der Erörterungen zwischen den Regierungen über diesen Gegen- stand liegt aber weit früher. Daß die bayerishe Regierung nicht ohne weiteres die totale Aufhebung der Staffeltarife fordert, geht am besten doch daraus hervor, daß ihre Vertreter noch heute mit unseren Vertretern darüber verhandeln, ob und durch welche Aenderungen an den Staffeltarifen ein Ausgleich zwischen den beiderseitigen Interessen herbeigeführt werden kann. '

Kammerherr von Helldorff - Bedra: Die Staffeltarife haben miteingewirft auf die allgemeine Ermäßigung der Preise. Des- wegen hat sich der sächsische Zentralverein, der wohl den intelligenteften Theil der Landwirthschaft vertritt, gegen die Staffeltarife ausgt- prochen. Die Frage, daß es ih niht um eine unberechtigte An- maßung der Einzelstaaten gegen Preußen handelt, ist durch die Er klärung des Herrn Ministers erledigt. Die Aufhebung des Jdenti- tâtsnachweises is viel wihtiger als die Frage der Staffeltarife. Aber freilich kann die Aufhebung des JIdentitätsnachweises nur ¡U Seen werden, wenn die Staffeltarife beseitigt sind. Die jeßige

arifpolitik hat die Bedingungen der Produktionsverhältnisse ge- ändert; solche veränderlihen Tarife schaden den landwirthschaftlichen Verhältnissen des Ostens. Die Reichsverfassung giebt dem Reich Be- fugnisse in Betreff der Tarife; davon is aber nur minimaler Gebrau gemacht worden. Preußen hat die Verstaatlihung der Eisenbahnen vorgenommen und damit den anderen Einzelstaaten, welche bereits früber ihre Bahnen verstaatliht hatten, nahgeahmt. Preußen hat jeßt die stärkste Eisenbahnverwaltung; dafür hat es aber auch die Ver- pflihtung, die allgemeinen Gesichtspunkte in den Vordergrund zU stellen und nicht die finanziellen

im landwirthschaftlichen Interesse des Westens in Preußen, fondern E allgemeinen Interesse die Aufhebung {der Staffeltarife noth- wendig.

Graf von Mirbach: Wir leben in Zeiten des Verkehrs. Des- halb ist eine Abschließung einzelner Landestheile nit mehr mögli. Billige Tarife, namentlih eine Verbilligung der Massentransporte ist nothwendig. Mit der Intelligenz der sächsischen Landwirthe können wir freilich nit konkurrieren. Unsere Landwirthschaft geot zuru wegen der Disparität zwischen dem Westen und Osten. ir können jeßt die Märkte nur unter großen Kosten und Verlusten erreichen.

ücfsichten. sin Pr ist nicht bloß

über den russischen,

Preußen muß allerdings eine wohlwollende Stellung im Reich ein- nehmen, aber es hat dem Bundesrath hon die weitgehendften Konzes- nen gemaht, namentlich auch in Bezug auf das SAIMMEeRDeL Nan daß jetzt ‘jede Pression, die von den Einzelstaaten ausgeübt wird, eine unberehtigte ist. Früher, als wir noch keine Staffeltarife hatten, hatte die Aufhebung des Sdentitätsnachweises für uns eine große Bedeutung ; für die Zukunft halte ih die Staffeltarife für wichtiger als es Aufhebung des Identitätsnachweises, ja sogar für eine Lebensfrage. Rittergutsbesißer v. G raß-Klanin: Er sehe in den Staffel-

tarifen einen Vortheil; im Gegentheil glaube er, daß dadurch die"

Preise herabgedrückt worden seien; das ersche man namentli daraus, daß die ftabile Differenz, welhe zwischen den Danziger und Königs- berger bezw. den Berliner Getreidepreisen von jeher bestanden habe, niht abgeändert worden sei. In Bezug avf den Identitätênachweis sei er vollständig mit Herrn v. Stumm einverstanden. Für die Auf- hebung fönnte die östlihe Landwirthschaft ruhig die Staffeltarife aufgeben. Bei Au ung des Identitätsnachweises sei die Aufrecht- erhaltung der Staffeltarife wirthschaftlich und politisch unmöglich.

Minister des Königlichen Hauses v. Wedel -Piesdorf : Die Er- flärung des Ministers, daß Bayern gegen einen Staffeltarif nah Magdeburg 2c. nichts einzuwenden habe, wird manchen ershrecken ; denn dadurch würde die Provinz Sachsen erheblih benachtheiligt werden. Ein einheitlihes Produktionsgebiet ist Preußen nicht, denn Sachsen arbeitet theurer als Ostpreußen; deshalb wäre es besser, den Identitätsnachweis aufzuheben, als die Staffeltarife zu behalten.

Graf von Klinckowstroem bestreitet das; denn die Auf- hebung des Identitätsnahweises zwinge zum Seecexport und darauf müsse sih die Landwirthschaft durh Anbau anderer Getreidearten vor- bereiten, während man jeßt Getreide baue, wie es in Sachsen 2c. be- liebt sei. Der Zweck der Debatte sei verloren gegangen; denn er habe nur hervorheben wollen, daß Preußens Zwangslage von den anderen Sg nicht ausgenußt werden sollte, um eine solche Pression auszuüben.

Nach einigen kurzen Bemerkungen der Herren von Hell-

dorff-Bedra und Graf Mirbach schließt die Debatte.

Der Bericht wird durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt, ebenso die Berichte, betreffend die Betriebsergebn isse und die Bauausführungen der Eisenbahnen.

Schluß 41/4 Uhr. Nächste Sißung Freitag 1 Uhr.

Haus der Abgeordneten. 16. Sißung vom 15. Februar 1894.

Jn der fortgeseßten zweiten Berathung des Staats- haushalts-Etats, und zwar beim Etat der Ju sti z- verwaltung (dauernde Auegaben, Kapitel 71: Gehalt des Ministers) hatte der Abg. Böttinger (nl.) die Frage der Ein- tragung von Vornahmen in die Standesamtsregister berührt, eine darauf bezüglihe Verordnung der Ober-Staatsanmwalt- schaft in Köln fkritisiert und die Aufhebung dieser Verordnung bezw. die Beseitigung des rheinischen Geseßes, welches ihr zu D BLY liegt, gefordert. (Vergl. die Donnerstags - Nummer

Ober-Landesgerichts-Rath Skonießki: Das rheinische Gesetz will nur verhindern, daß Namen aus der französishen Revolution, wie Robespierre, Danton eingetragen werden. . Der Herr Justiz- Minister hat im vorigen Jahre eine Verfügung an den Ober-Staats- anwalt in Köln erlassen, worin ihm aufgegeben wird, die Standes- beamten in obigem Sinne zu informieren. Es wird abzuwarten sein, ob diese Verfügung genügt, die vorhandenen Mißstände zu be- seitigen. Andernfalls würde die Gesetzgebung geändert werden müssen. Im übrigen steht ja den Vätern der Bes werbeweg offen.

Abg. von Eynern (nl.): Es ist interessant, daß _ der Vertreter der preußischen Justizverwaltung dieses Ge!eß in Schuß nimmt. Besser wäre es gewesen, wenn das Ministerium dasfelbe beseitigt hätte. Wir Rheinländer wollen gleihmäßig mit den übrigen Deutschen behandelt werden und nit unter einem alten französishen Gefeß leiden. Kurt, wurde einem Vater gesagt, sei kein alter geshihtliher Name, es müsse Konrad heißen. Nebukadnezar da:f ih meinen Jungen taufen lassen, Friy niht. Wir wollen keine Franzosen sein und verlangen, daß das französische Geseß für uns aufgehoben wird.

Abg. Böôttinger (nl.) spriht sich nochmals Sinne wie vorher aus.

Abg. Dr. Arendt (fr. kons.) beshwert si darüber, daß man bei ge- rihtlihen Einzahlungen an Hypotheken- und andere Gläubiger Silber bis über einen bestimmten Betrag hinaus zurück; eibiefen habe. Zwischen Reichswährung und Reichs-Goldwährung sei ein großer Unterschied. Letztere bestehe bei uns garnicht. Der Iustiz-Minister A die ausführenden Behörden auf den klaren Wortlaut des Ge- eßes hinweisen, daß bei allen Eintragungen eine andere Eintragung als in Reichswährung nicht zuläsfig ist.

Justiz-Minister Dr. von Schelling:

Die Darlegung des Herrn Dr. Arendt is mir eine sehr inter- essante gewesen. Jch kann jedoch den Zweifel nicht unterdrücken, ob es mir möglich sein wird, der Anregung des verehrten Abgeordneten in der von ihm gewünschten Weise zu entsprechen.

Sh trete dem Herrn Dr. Arendt darin vollständig bei, daß Sculdurkunden in das Grundbuch nur eingetragen werden können, wenn fie auf Reichswährung lauten; denn das ist ein ausdrückliches Gebot des Eigenthumserwerbsgeseßzes.

Nun liegen die Fälle, die der Herr Abgeordnete im Auge hat, so, daß der Schuldbetrag in der Urkunde allerdings auf Reihéwährung angegeben, dieser Angabe aber eine Klausel hinzugefügt ist, wona die RüEzahlung nur in Gold erfolgen solle. Eine solche Klausel unterliegt meines Erachtens der Möglichkeit einer fehr verschiedenen Deutung und Auffassung. Der Herr Abgeordnete geht aber felbst von der Annabme aus, daß diese Klausel beliebt werde in der aller- dings von ihm für unnöthig erachteten Vorsorge, daß künftig etwa einmal im gesetzlichen Wege eine Aenderung des Währungssystems eintritt. Von derselben Auslegung is auch das Kammergericht in einer im Wege der weiteren Beschwerde an dasselbe gelangten Grundbuchsache ausgegangen. Es ist indessen nicht zu einer Entscheidung gelangt, wie sie der Herr Vorredner zu befürworten eint, sondern er hat im Gegegentheil diese Goldklausel für zulässig erklärt. Diese Entschei- dung des Kammergerichts vom 27. April 1889 liegt mir vor und lautet in ihren entsheidenden Theilen dahin:

Diese Abrede würde für den Fall der Einführung ¡der Silber- währung neben der jetzt bestehenden Goldwährung infofern von Erheb- lihkeit sein, als sie den Schuldner dann verpflichtete, die Zahlungen, anftatt nah seiner Wahl in einer der beiden Währungen, nach Maßgabe der Goldwährung zu leisten. Da sona jenes Abkommen der Gläubigerin für einen denkbaren Fall mehr Rechte, als ihr bei dem gegenwärtigen Stande der Intabulate zukommen, gewährt, fo ersheint die Eintragung des Vermerks, durch welche die ge- troffene Abrede gegen jeden nachfolgenden Grundstückseigen- thümer wirksam wird, keineswegs überflüssig. Nach alledem mußte unter Aufhebung der Vorentscheidungen die bisher abgelehnte Eintragung wie geschehen angeordnet werden.

Der Herr Vorredner wird mir wohl darin Recht geben, daß ich gegenüber dieser Judikatur, die zwar vielleicht keine unabänderliche,

in gleichem

"Der Justiz-Minister werde anerkennen, daß feit

aber vorläufig feststehende if, nit in der Lage bin, irgend eine Ein- wirkung auf die Praxis der Gerichte auszuüben, selbs wenn dies unter anderen Umstäaden mir möglich wäre. (Sehr „«ichtig !)

Abg. Brandenburg (Zentr.) befürwortet eine weitere Ver- mebrung der Richterstellen und die Durchführung der Dienstalters- En im Justizdienst. Was den anderen Ressorts ret, sei der Justiz E: Das Gehaltsmarimum der Justizbeamten sei allerdings ziem- B E aber was helfe es, wenn sie es erst am Ende ihres Lebens erhielten.

Geheimer Justiz -Rath Vierhaus weist darauf hin, daß seit Durchführung der Justizorganisation die Zahl der Richterstellen erheblich vermehrt worden sei. Dank dem Entgegenkommen des Finanz-Ministers sei dieses Bestreben auch im vorliegenden Etat zum Ausdruck gekommen. Der Justiz-Minister erkenne an, daß es eine außerordentlihe Wohlthat für die Richter sein würde, wenn an Stelle der gegenwärtigen ungleichen und unberehenbaren Gehaltsverhältnisse in den einzelnen Landestheilen ein festes System von Dienstalters- stufen treten könnte. Zur Zeit handle es si aber bei den Schwierig- feiten der Dur&bführung dieses Systems um ein Uebergangsstadium, welches feinen Theil schädige.

Abg. Wurmbach n Es ist zu beklagen, daß der Ober- Landes8gerichtébezirk Frankfurt a. M. in dem Aufrücken der Gehälter die ne Stelle einnimmt. So bekommt z. B. im Bezirk Köln ein Richter, der mit 2700 Æ anfängt, nach 30 Jahren volle 6000 MÆ, während derselbe Richter nah derselben Dienstzeit im Bezirk Frankfurt erst 5400 Æ erhält. Das kommt daher, daß die Zahl der Vormänner hier 27 und in Köln nur 17 beträgt. Aus demselben Grunde hat auch beispielsweise ein Richter in Skt. Goar hon 6000 M, während in dem gegenüberstehenden St. Goarshausen ein Richter, der bereits fünf Dienstjahre mehr hinter sih hat, erst 5400 M bekommt. Da der Minister versprochen hat, alle Schwierig- keiten, die sih der Einführung des Systems der Dienstalterszulagen entgegenstellen, zu beseitigen, e hoffe .ich, daß diesen Uebelständen bald abgeholfen wird. /

Abg. Mun ckel (fr. Volksp.) kommt auf die Frage der Ein- tragung von Vornamen zurück und meint, von man nur unsittliche und anstößige Vornamen zurückweisen follte. Die Anregung des Abg. Arendt sei ihm fehr erwünscht gewesen. Gegen die Entscheidung des Kammergerichts werde Herr Arendt nihts machen können. Eigentlich hätte Redner sich gegen diesen Titel zum Worte melden wollen, aber wer würde den Muth haben, von diesem Etat irgend etwas abzustreichen ? Veber die Bescheidenheit der Juristen könne kein Zweifel sein. Die Bedürfnisse wüchsen fortwährend, aber die Verroaltung begnüge sich mit winzigen Abschlagszahlungen. „Die Einnahmen des JIustiz-Etats seien diesmal stärker Täoächsen als die Ausgaben. Es sei der preußishen Nechtspflege nicht ganz würdig, daß man eine große Anzahl von Hilfsrichtern habe und zu Richtergeschäften eine Unzahl unbefoldeter Assessoren verwenden müffe. Ein gesundes Verhältniß fei es auch nicht, daß die Referendarien in so starfem Maße zum Schreibwerk der Gerichtsschreiber ogen würden.

inführung des mündlichen Verfahrens das Schreibwerk außerordentlich zugenommen habe. Was würde ein Fremder wohl für eine Idee von der preußi- hen Justiz bekommen, wenn er den Justizpalast in der Jüden- straße sähe! Eine Stunde in dem dortigen Anwaltszimmer sei eine Leistung, worauf ein Anwalt stolz sein könne. Für die Gerichts- gebäude in Berlin geschehe nichts.. Der Justiz - Ministez müsse den Pnan - Minister veranlassen, etwas mehr Mittel herzugeben. Es andele sich um einen wirklihen Nothstand. Man möge nicht erst warten, bis die Finanzlage sih verbessere da könne man lange warten —, sondern fofort Hilfe bringen. Redner fragt {ließlich den Minister, ob er für den Fall, daß der Reichstag bei der Berathung der Novelle zur Konkursordnung die Frage der Beschränkung des Retentionsre{chts gegenüber solhen Gegenständen, die im Wege der Zwangsvollstreung pfändbar sind, und die Frage der Sicher\tellung der Rechte der Bauhandwerker der Partikularge|ezgebung überweise, bereit sei, womöglich noch in dieser Session, jedenfalls aber noch in dieser Legislaturperiode, eine entsprehende Gesetße8vorlage zu machen,

Justiz-Minister Dr. von Schelling:

Fch habe mit großem Interesse die Verhandlungen des NReichs- tags verfolgt, von denen der Herr Abg. Munckel soeben gesprochen hat. Auch ih halte es für dringend wünschenswerth, daß die beiden Fragen, einmal die Beschränkung des Retentionsrehts gegenüber folchen Gegenständen, die im Wege der Zwangsvollstrekung pfändbar sind, und zweitens die Sicherstellung der Nechte der Bauhandwerker, daß diese beiden Gegenstände recht bald einer geseßlichen Feststellung entgegengeführt werden. Mir ist es nicht bekannt, wie die Aussichten der betreffenden Gesetzesvorlage im Reichstag liegen; ich bin aber bereit, sofern im Reichstag die Ansicht die Oberhand gewinnen follte, daß die Frage besser im Wege der Landesgesetzgebung geregelt werde, meinerseits dieser Frage näher zu treten und die nöthigen Vor- bereitungen dazu zu treffen. (Bravo !)

Abg. Dr. Lohmann- Hagen (nl.) beklagt, daß in Fällen der Hinterlegung zur Abwehr von Zwangsvollstreckungen die Kompetenz der ordentlichen Gerichte au8geschlossen und die Entscheidung den Hinterlegungsstellen übertragen sei, was zu erheblihen Belästigungen für das Recht suhende Publikum führe. 7

Geheimer Rath Vierhaus: Die Verwaltung wird erwägen, ob diese Beschwerden eine Aenderung der Hinterlegungsordnung noth- wendig machen. : /

Abg. Dr. Eckels (nl.) beklagt sih über die Verzögerung der Einführung des Grundbuchgeseßes in der Provinz Hannover, was zu außerordentlihen Schwierigkeiten und ae namentlich in Bezug auf die Beleihung von Grundstücken, Anlaß gegeben habe.

Abg. Na dbyl (Zentr.) führt Beschwerde über die s{hlechte Be- handlung von Anwalten seitens einiger Richter. Er erxemplifiziert dabei auf zwei Ene am- Landgericht in Köln und in Schlesien, wo die Richter die Anwalte zum Stande der Gerichtsdiener degradiert hätten. Bei einem Gericht in Schlesien sei den Anwalten ein Zimmer zugewiesen worden, welches mit dem Sißgungssaal für Zivil- prozesse in Verbindung stehe. Auf die Beshwerde der Richter, daß die Anwalte beim Passieren dieses Saales Störungen verursacht hâtten, sei von der entgegengeseßten Behörde entschieden worden, daß den Anwalten das Gerichtsdienerzimmer überwiesen werde. Redner schildert dieses Zimmer des näheren; es habe die Aufschrift getragen : Gerichtsdienerzimmer, und darunter: Anwaltszimmer. Das set eine ganz empörende Behandlung. Allerdings habe der Justiz-Minister jene Verfügung wieder umgestoßen, aber leider niht sein Bedauern über diese unwürdige Behandlung der Anwalte ausgesprochen. :

Abg. Dr. Krant (b. k. Fr.) bittet das Haus, aus diesen zwei Fällen feinen Schluß auf den ganzen Rechtszustand zu ziehen. Er als Rechtsanwalt könne nur sagen, daß die Richter, soweit nicht in der Person der Rechtsanwalte ein Grund zur Beschwerde vorgelegen habe, den Anwalten mit der gebührenden Achtung begegnet seien. Redner weist auf die zunehmende Umgehung der ordentlichen Ge- richte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten hin und führt dies auf Mängel in der Zivilprozeßordnung zurück. Es sei deshalb wünschens- werth, der Frage näber zu treten, ob niht eine Revision der deutschen BiEProleordena geboten sei. Die Mündlichkeit des Verfahrens abe in der That, wie Herr Munckel sehr xihtig ausgeführt, zu einer Vermehrung des Schreibwerkes Veranlassung gegeben. Ein weiterer Mangel sei, daß den Richtern die eigentliche Prozefeitung abgenommen worden sei. Die lange Dauer der Prozesse, die Swieriakeiten bei der exefutiven Eintreibung hielten viele Leute ab, überhaupt zu prozessieren. Diese und ähnliche Mißstände müßten noch vor Fertigstellung des neuen Bürgerlichen Geseßbuches e ay beseitigt werden. Endlih müßte auf eine mehr wissenschast- lihe Fortbildung der abgehenden Juristen durch eine neue Prüfungs-

ordnung unter Vermeidung der Repetitorien hingearbeitet werden.

D

Justiz-Minister Dr. von Schelling:

Ich kann dem Herrn Dr. Krany versichern, daß seine Aus- führungen mir im allgemeinen durchaus sympathisch sind, und daß ih ihm für seine Anregungen, die ih übrigens meinerseits nicht veranlaßt habe, sehr danfbar bin. (Heiterkeit.)

Auch ih habe meinerseits wiederholt die Wahrnehmung gemacht, daß in weiten Kreifen eine Abneigung besteht, sich mit der Justiz zu befassen. Indem ich andere Umstände, die dazu vielleicht mitwirken, bei Seite lasse, glaube ih mit dem Herrn Vorredner, daß ein Theil der Sculdrauch die Prozeßgeseßte tragen. Die deutsche Zivilprozeßordnung ist ein wohl durhdachtes, nah großen Prinzipien angelegtes Werk; aber in dem Streben nach -Systematik ift es in einigen Punkten zu Folgerungen gelangt, die mit den praktishen Bedürfnisse nicht ganz im Einklang stehen. (Sehe richtig) Ich habe mih&&hon seit mehreren Monaten mit dem Gedanken einer Revision der Zivil- prozeßordnung beschäftigt. Die stattgehabten Erörterungen haben \ich zu bestimmten Vorschlägen verdihtet, und ih habe diese Vorschläge dem Staats-Ministerium unterbreitet. Jh habe dabei im wesent- lichen die Zustimmung des Staats-Ministeriums gefunden, und es ift vom Staats-Ministerium beschlossen worden, in einem Schreiben an den Herrn Reichskanzler die Frage einer Revision der Zivilprozeßordnung nach Maßgabe der von mir angedeuteten Gesichtspunkte anzuregen.

Meine Vorschläge zielen u. a. auch dahin ab, das Schreibwerk bei den Gerichten, dessen Vermehrung ich mit dem Herrn Dr. Kranßz und mit dem Herrn Abg. Munckel beklage, zu vermindern. Uebrigens bin ich ‘um dies in Parenthese zu bemerken der Ansicht, daß auch {hon innerhalb des Rahmens der jeßt be- stehenden Geseße sich sehr viel thun ließe, um das Schreibwerk ein- zuschränken, und ih habe in diesem Sinne vor einigen Wochen eine Verfügung an die Ober-Landesgerihts-Präsidenten erlafsen, von welcher ich hoffe, daß sie gute Früchte tragen wird.

J kann alfo nur damit s{ließen, daß ih dem Herrn Abg. Dr. Krantz sehr dankbar bin für das, was er gesagt hat. Jch erblicke in feinen Ausführungen eine Unterstüßung meiner eigenen Bestrebungen und werde auf diesem Wege fortfahren, indem ih namentli zu meiner Freude konstatiere, daß diese Anregung gerade von einem Ver- treter des Anwaltstandes ausgegangen ist. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Mooren (Zentr.) bittet die Justizverwaltung, den Richtern solhe Schreibarbeiten abzunehmen, die früher von den unteren und mittleren Beamten beforgt worden seien. :

Nachdem noch die Abgg. Hauptmann (Zentr.) und Freiherr von Eynatten (Zentr.) einige Wünsche namentlich in Bezug auf eine bessere Ausbildung der Regierungs-Referendare geäußert haben, wird der Titel 1 bewilligt.

Bei Titel 3, Gehalt des Ministerial-Direktors, fragt Abg. Nadbyl (Zentr.) nah dem Schiksal der beabsichtigten Aenderung des Geseßentwurfs über die Notariatsgebühren.

Geheimer Ober - Justiz-Rath Viet \ch erklärt, die Regierung könne den Zeitpunkt niht angeben, bis zu welchem es mögli sein werde, den neuen Geseßentwurf, betreffend die Gerichtskosten und die neue Gebührenordnung für die Notare, dem Landtag vorzulegen. Die Notariatsgebührenordnung sei zunächst den Anwaltskammern zur Kenntniß übergeben worden. Es sei dabei auf eine Erhöhung der Beglaubigungsgebühren Bedacht genommen, um dadurch auf eine Vermehrung der notariellen Rechtsakte hinzuwirken.

Bei Kap. 73, Ober - Landesgerichte, führt

Abg. Nadbyl (Zentr.) darüber Klage, daß bei der Beseßung höherer Stellen die Katholiken disparitätisch behandelt würden.

Abg. v. Kölichen (kons.) bittet den Minister, den Ober-Landes- ¿eridits-Brändenten in Breslau zu veranlassen, daß künftig in der ersten Woche des Januar und Juli keine Geschworenensitßungen statt- finden, weil zu dieser Zeit die Geshworenen mit eigenen Geschäften allzusehr belastet seien.

Justiz-Minister Dr. von Schelling:

Fch erkenne mit dem Herrn Abg. von Kölichen die Schwierig- feiten des Berufs eines Gcschworenen an und bin ganz mit ihm darin einverstanden , daß der Ausübung dieses Berufs keine un- nöthigen Schwierigkeiten bereitet werden. Ich werde die Frage in Erwägung nehmen, ob nah dem speziellen Vorschlag des Herrn Vor- redners die erste Juli- und die erste Januar-Woche so glaube ih ihn verstanden zu haben (Zustimmung) immer von Schwurgerichts- Sigzungen freizulassen sind, ob das insbesondere vielleiht für den Ober-Landesgerichtsbezirk Breslau geschehen kann. Ich werde mi in diesem Sinne mit dem Herrn Ober-Landesgerichts-Präsidenten in Verbindung seßen. (Bravo! rets.)

Abg. Na dbyl.(Zentr.) tadelt es, daß die Gerichtsdiener nah einer Verfügung des Ober - Landesgerichts-Präsidenten in Breslau an Sonntag-Nachmittagen die Post von den Postämtern abholen müßten, wodur ihnen die Sonntagsrube beschränkt werde.

Geheimer Justiz - Rath Vierhaus bemerkt, daß eine solche Verfügung der Justizverwaltung nicht bekannt sei; die Sache werde untersucht werden. j : p

Bei Titel 6, Gerichtsschreiber u. st. w., befürwortet

Abg. Hornig- Liegniy (kons.) eine Gehaltsaufbesserung für die Gerichts\chreibergehilfen. : | j

ei Kap. 74, Landgerichte und Amtsgerichte, ns

Abg. Brandenburg (Zentr.) die Beschäftigung der Gerichts- Affsessoren bei den Gerichten zur Sprache und wünscht, daß ihnen nit alle Materien, z. B. das Entmündigungsverfahren und das Sühne- verfahren in Ehesachen selbständig überwiesen würden.

Abg. Wurmbach (nl.) beklagt sih über den häufigen Wechsel mit den Affsessoren bei den Gerichten. |

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) hält es für nothwendig, daß in Krefeld ein vollständiges Landgericht eingerichtet werde. :

Unter - Staats\ekretär Dr. Nebe-Pflugstaedt kann eine Er- füllung dieses Wunsches niht in bestimmte Aussicht stellen. Der Krefelder Kreis sei für ein eigenes Landgericht zu klein, und gegen eine Abzweigung einzelner Theile des Düsseldorfer Landgerichtsbezirks würden gewihtige Bedenken geltend gemaht. Indessen werde die Verwaltung den Gegenstand im Auge behalten.

Gegen 4 Uhr wird die weitere Berathung des Justiz- Etats auf Freitag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Die deutsche überseeische Auswanderung

über deutshe Häfen und Antwerpen stellte sich nach den Ermittelungen des Kaiserlichen Statistischen Amts im Januar 1894 und im glei Zeitraum des e folgendermaßen:

Es wurden befördert im Januar ü 1894 1893

667 901 620

deutsche Häfen zusammen . . 1300 1121 Antwerpen 0 Ueberhaupt. . 1421 1124 Aus deutschen Pi wurden im Januar d. J. neben den vorgenannten 1300 deutshen Auswanderern noch 2122 Angehörige