1894 / 48 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 24 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Ent. war

D a A E S S

E

Erhöhung des Pensionsfonds stattfinden. Wenn in einem Jahre au einmal die Einnahme der Offiziere durch den Wohnungsgeldzuschu erhöht wird, so ist ganz klar, daß sih_ das naher bemerfbar macht. Dasselbe ist bei den Mannschaften der Fell die den größten Theil des A bilden. Auch die sind fo viel mehr, also werden o viel mehr invalide, und der Pensionsfonds wächst infolge dessen ; bei den Offizieren wächst der Pensionsfonds um 35 %%, bei den Mann- schaften um 41 %/o, bei den Beamten um 34/0, im Dur&schnitt alo um 36°/0. Da also die 359% bei den Offizieren hinter den 36 % noh zurückbleiben, fo ist das ein Beweis, daß nicht diese besondere a der Grund ist vom Anschwellen des Pensionsfonds, ondern die allgemein angeführten Ursachen. Wenn das nit richtig wäre, dann müßte bei den Beamten ein ganz bedeutender Unter- schied stattfinden; denn an die Beamten werden doch lange nit die Ansprüche der Felddienstfähigkeit gestellt, überbaupt nicht so hohe Anspannung_ der körperlichen Fähigkeit von ihnen ver- langt wie von den Offizieren. Ich halte das durchaus für ein Beweismittel. Jch muß auch ferner sagen, daß der Abg. Bebel sich in einem großen Irrthum befindet. Er unterschäßt und das thut nicht er allein, sondern im allgemeinen wird das untershäßt was überhaupt in der Armee im Offizierstand abgängiu ist dur Dienstbeshädigung und wirkliche Invalidität. Er führte hier an einen Regiments-Kommandeur , der niht einmal ein Jahr in diefer Stelle gewesen, Rittmeister, die auh nicht so lange in der Stelle ge- wesen. Diese Fälle kommen vor, fie sind aber nit häufig. Wenn der Betreffende aber niht nachweist, daß er eine Dienstbeshädigung erlitten hat, die ihn nit bloß felddienstunfähig, sondern feld- und garnifondienstunfähig macht, dann bekommt dieser Offizier nicht die Pension der höheren Charge, sondern nur die Pension der niederen Charge; und das wird untershäßt, wie viele Offiziere invalide wer- den. Das ist richtig: der Militärdienst ist für einen kräftigen Menschen im ganzen stärkend; ein kräftiger, gesunder Mann wird beim Militärdienst vielleicht länger jung bleiben, als einer, der im Bureau oder in anderer Weise beschäftigt ist. Es sind aber eine ganze Menge Konstitutionen, die einen Knacks wegbekommen und die das niht aushalten. Das kommt \{chon in den jüngeren Jahren und bis zum Hauptmann ganz bedeutend vor. Es gehört bloß dazu eine kleine Uebershlagung der Stimme, daß der Mann nicht mehr kom- mandieren kann, ih führe das aus der Praxis an, daß er Krampfadern bekommt, an NRheumatismus leidet, In neuerer Zeit kommen au eine aanze Menge Herzkrankheiten vor, die man früher faum in_diesem Maße gekannt hat. Denken Sie si folgen- den Fall: Ein Offizier von der Garnison Koblenz geht im gewöhn- lichen Felddienst auf den Asterstein, bei glühender Hitze, er steht dann oben fünf Stunden bei s{hneidendem Nordwestwind, er mußte ih an den Scheibenstand stellen, er bekam darauf die Lungenentzündung, er hat sich noch ein und zwei Jahre hingeshleppt und i} unterstüßt worden. Schließlih aber mußte der Regiments-Kommandeur fagen : Es thut mir sehr leid, es geht nicht mehr! Die Zahl solher Fälle

wird ganz bedeutend untershäßt.

Abg. Bebel (Soz.): Daß mit der Vermehrung der Armee der Pensionsfonds steigen muß, ift naturnothwendig und von mir nicht bestritten. Meine Beschwerde richtet \sih gegen die unverhältniß- mäßiggroße Zahl von Pensionierungen aus Anlaß einer - Heeres- vermehrung und gegen die zahlreihen Verabschiedungen ganz rüstiger Offiziere gegen ihren Willen.

Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Kriegs-Minister Bronsart von Schellendorff:

Ja, meine Herren, ih wollte nur kurz bemerken, der Herr Abg. Bebel tadelte zuerst in seiner Rede, daß in der Armee eine zu heftige und starke Verjüngung stattfände. So habe ih ihn verstanden. Nun babe ih mich bemüht, ihm zu beweisen, daß das nicht der Fall ift, und ich habe es bewiesen an den Zahlen des Durchschnittsalters der einzelnen Chargen in der Armee, und zwar des Durhschnittsalters in einer langen Reihe von Jahren. Nun sagt der Herr Abgeordnete: „Ja, das ist ja der Beweis, ihr geht mehanish vor“, und gefällt si darin, wiederholt auf meine Bemerknng von der Regelmäßigkeit eines Naturgeseßes zurückzukommen. Ich verstehe das nicht; ih sehe gerade in der Stetigkeit der Erhaltung der Altersverhältnisse in den verschiedensten Chargen einen Beweis, daß in der Armee von Alters her Avancement und Verabschiedung nah gleichmäßigen Grundsätzen behandelt werden.

Nun sfagt der Herr Abgeordnete, es wäre eine allgemein bekannte Thatsache, daß eine große Zahl von Offizieren im rüstigften Lebens- alter, in völliger geistiger und körperlicher Frische verabschiedet werden. úFa, meine Herren, was ift eine allgemein bekannte Thatsähe? Nach unserer Auffassung sind die Betreffenden eben nicht mehr geistig und förperlih frisch gewesen, und die Mehrzahl von den Herren sind vielleicht selbst dieser Auffassung. Also das kann ih nicht zugeben, daß es eine allgemein bekannte Thatsache ist. Wir legen ja selbft den allergrößten Werth darauf, tüchtige und leistungs- fähige Personen in der Armee zu erhalten. Es wäre geradezu widersinnig und thöriht, wenn man die tuchtigsten Leute daraus entfernen und bloß die unbrauchbaren fon- fervieren würde. (Sehr richtig!) Wie werden wir denn tüchtige und brauchbare Leute aus der Armee verabschieden? Daß der Einzelne oder ein Verwandter oder auch noch einige andere Personen der Meinung sind, der Betreffende hätte vielleiht noch etwas länger dienen können, das hat mit der Sache nichts zu thun.

Maßgebend und entscheidend für die Armee ift nicht, wie ein Offizier heißt und wie alt er ist, sondern was er leistet; das ist die Hauptsache. Andere Grundsäße sind in der Armee nicht gewesen, werden auch nie bestehen.

Die Resolution von Schöning wird angenommen, der Etat des allgemeinen Pensionsfonds bewilligt, ebenso ohne Debatte der Etat des Reihs-Jnvalidenfonds. |

Beim Etat der Neichs-Justizverwaltung, Kapitel R s Fu) ams. führt der / E

Abg. v. Sali\ch (dkons.) Klage über die Schwerfälligkeit und Langsamkeit des Dienstes auf den Standeëämtern und verlangt eine anderweite Fassung der bezüglichen Ausführungsbefstimmungen des Bundesraths zum Zivilstandsgefeß. /

Abg. Sachse (dkonf.) tritt als Stantesbeamter auf Grund seiner persönlihen Erfahrungen diesen Beschwerden bei. Die jetzige Handhabung des Standesamtsgeseßes müsse zu ciner Minderung des firhlihen Sinnes unserer christlichen Bevölkerung führen.

Staatssekretär Nieberding:

Meine Herren! Die Einrichtung der Standesregister wird zwar, wie ich annehme, einem großen Theil der Mitglieder dieses hohen Hauses im einzelnen niht bekannt sein und kaum interessieren; es ist aber richtig, daß eine praktische, zweckmäßige Gestaltung der Negister von großer Wichtigkeit ist näht nur für die Bevölkerung, die ver- pflil;tet is, Eintragungen anzumelden, fondern auch für diejenigen unserer Mitbürger, die dieses mühevolle Amt, zum theil ohne Eat- gelt, in dankenswerther Weise führen.

Ich glaube, die Ausführungen der beiden Herren Redner, die ih gegen die gegenwärtige Einrichtung der Standesregister in gewissenPunkten gewandt haben, bestätigen so viel, daß im großen und ganzen fic die Ein- richtung bewährt hat; denn, was Sie monieren, sind eben doch nur Einzel- heiten. Wir haben die bestehende Einrichtung der Standesregister aus den- jenigen unserer westlichen Landestheilen übernommen, wo die Register

bereits eingeführt waren und wo man mit ihnen Erfahrungen hatte machen fönnen vor Einführung des für das Reih erlassenen Personenstandsgeseßes. Ich glaube niht, daß wir Anlaß haben, an den Einrichtungen, wie sie gegenwärtig bestehen, etwas Wesentliches zu ändern. Ih gebe aber zu, daß auch diejenigen Wahr- nehmungen, die an die Reichsverwaltung herangetreten sind, bestätigen, daß den Einrihtungen manche Mängel anhaften, die eine Abhilfe wünschenswerth machen. Ih will gern den beiden Herren Vorrednern die Zusicherung geben, daß wir den von ihnen hier hervorgehobenen Punkten unsere besondere Aufmerksamkeit s{henken wollen. (Beifall.) Ich habe das zum theil nicht einmal mehr nöthig zu versprehen, da einzelne der von den Herren Vorrednern hervorgehobenen Punkte bereits früher auf Grund eigener Erfahrungen bei der Reihs-Juftizverwaltung Gegenstand dex Prüfung geworden find.

Ich möchte aber doch darauf aufmerksam machen, daß nicht alle Dinge, die von den Herren hier als Mängel der gegenwärtigen Ein- richtungen beSichnet sind, vor die Reichsinstanz gehören. (Zustimmung.)

Mehrere dieser Beschwerden lassen sich nach meiner Meinung viel einfacher, bequemer und richtiger erledigen, wenn die Herren {ih an ihre Landesverwaltungen wenden wollten. Ich mache in dieser Bezie- hung nur aufmerksam auf die Wünscke, die die Herren Nedner hatten in Betreff der Behandlung der Sammelakten, in Betreff des Kassenwesens, in Betreff der Formen und Maßgaben, unter welchen Auszüge aus den Standesregistern für den privaten Gebrauch entnommen werden können, und in Betreff der Art und Weise, wie die einzelnen Bände der Jahresregister zu gestalten und zu verwahren sind. Die von seiten des Reichs, vom Bundesrath, auf Grund des Neichsgesetzes erlassenen Vorschriften Hindern die Landesregierungen in einer Weise, nach diefen Richtungen hin diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die sie nach ihren Verhältnissen und auf Grund ihrer Er- fahrungen für die zweckmäßigsten halten. Und wenn ih nun bezüglich der übrigen Punkte gern die Versicherung wiederhole, daß wir diesen, soweit es bisher noch nicht geschehen, unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden wollen, so kann ich Ihnen in den vorher bezeichneten Punkten nur empfehlen, sih an die Landesregierung zu wenden. Ich bin überzeugt, auch dort wird Ihren Wünschen entsprehende Berücksichti- gung zu theil werden.

Auf Anfrage des Abg. Dr. Bachem (Zentr.) erklärt der

Staatssekretär Nieberding:

Meine Herren! Es kann der Reichsverwaltung nur willkommen sein, wenn die Frage des Herrn Vorredners dazu Anlaß giebt, daß dieses hohe Haus der Lage der Vorarbeiten für das BVürgerlihe Gesezbuch wiederum feine Aufmerksamkeit schenkt; denn ich muß fagen, daß eine Steigerung des Interesses an dem Fortgang und an dem endlihen Abschluß der Arbeiten nicht bloß in diesem Hause, sondern auch in weiteren Kreisen für die Arbeiten selbst von Bedeutung ist. Jch habe den Eindruck, daß nah der hohen Stimmung, die in - den ersten Jahren nach Beginn der Ar- beiten den Fortgang des Werks begleitet hat, inzwischen eine gewisse Ermattung der Theilnahme eingetreten is, von der ih wünschen möcte, daß sie nicht noch länger anhalten möchte, umsomehr, als ih hoffe, daß wir in nicht zu langer Zeit mit den Vorarbeiten zum Ab- {luß kommen werden.

Die Lage der Sache ist gegenwärtig folgende. Das ganze Gesetz- buch foll bekanntli aus 5 Theilen und einem Einführungsgeset be- stehen. Von diesen 5 Theilen ist der erste, der die allgemeinen Grund- säße des Rechts umfaßt, der zweite, der das Obligationen- recht umfaßt, und der dritte, der das Sachenreht zum Gegenstande hat, gegenwärtig vollendet. Die ersten beiden Theile sind au in der Nedaktion abgeschlossen, seit einer Reihe von Monaten im Druck fertiggestellt und der Oeffentlichkeit zugängliß geworden. Das Sacenreht unterliegt noch einer redaktionellen Durchsicht, die sich in der leßten Zeit durch die Schwierigkeit der Materie leider etwas verzögert hat, die aber, wie ich nach den Erklärungen des Vor- fißenden der Kommission mit Bestimmtheit annehmen darf, in den nächsten Wochen auch ihren Abschluß finden wird, sodaß auch das Sachenreht unmittelbar nah Ostern dem großen Publikum im Drucke wird zugänglih gemacht werden können.

Inzwischen ist die Hauptkommission bereits seit einer Reihe von Monaten in die Berathung des Familienrechts eingetreten; und die Arbeiten auf dem Gebiete des Familienrechts haben, wie ih hier zu meiner großen Genugthuung hervorheben kann, einen \o erfreulihen Fortgang genommen, daß wir die Erwartung hegen dürfen, dieses wichtige Kapitel des Werks werde im Laufe des Frühsommers laufenden Jahres seinen Abschluß finden.

Bleibt dann noch übrig der fünfte und leßte Theil des Werks, das Erbrecht. Nach den Besprechungen, die ich mit den Herren der Kommission gehabt babe, und nah den Erklärungen, die mir der Herr Vorsißende der Kommission auf Grund wiederholter Erörterungen über einen raschen Fortgang der Sache und über die Dispositionen, die zu dem Behufe nöthig sind, gegeben hat, glaube ih annehmen zu können, daß das Erbrecht im Laufe des nächsten Winters wird durh- gearbeitet werden und im Laufe des nächsten Frühjahrs auch seine Fertigstellung erreiht werden wird; dann werden wir den Sommer übrig haben, um einige vorläufig noch zurückgestellte Kapitel aus verschie- denen Theilen des Werks zu erledigen und das Einführungsgeseßz zum Abfluß zu bringen, welches allerdings einige sehr hwerwiegende und s{wierige Fragen einschließt. Ich glaube aber, bei der Ueber- zeugung, die, wie ih weiß, auch die Kommission durchdringt, daß ein baldiger Abschluß ihrer Arbeit in den Wünschen der Regierungen und des Volks liegt, und bei dem Eifer, mit denen sich die Herren der Beschleunigung der Sache in den letzten Monaten, wie ih nur dankbar anerkennen kann, hingegeben haben ich glaube, daß es unter diesen Umständen gelingen wird, auch die Revision des Einführung8geseßtzes im Laufe des Herbstes des nächsten Jahres zu beenden, sodaß wir hoffen können, es werde mit dem Schluß des Spätherbstes das Werk vollendet vorliegen. (Beifall.)

Unter diesen Umständen, meine Herren, find die verbündeten Regierungen bereits vor einiger Zeit der Frage näher getreten, welche Mittel und Methoden gegeben * seien, um nach dem Ab- \c{lusse -des Werkes innerhalb -der Kommission die weitere Fortführung der Arbeiten, also die politische Aktion vor dem Bundes- rath und vor dem Reichstag, möglichst zu bes{leunigen. Der Herr Neichskanzler hatte sih zu dem Zwecke mit den Bundesregierungen in Verbindung geseßt und feine Meinung dahin ausgesprochen, daß es sih empfehlen werde, um eine rasche Aktion innerhalb des Bundes- raths fiBer zu tellen, bereits jeßt bei den einzelnen Regierungen die-

jenigen Theile des Werkes, die von der Kommission fertig gestellt * worden sind, in Berathung zu nehmen und an die Prüfung der weiteren Theile ebenfalls mit dem Augenblick heranzutreten, wo sie aus der Kommission hervorgehen werden. Dann würden die Regie- rungen die Wünsche, die sie etwa zu den einzelnen Theilen des Werkez noch glauben äußern zu sollen, bruchstückweise in bestimmten Fristen dem Neichs-Justizamt zugehen lassen und das MReichs-Justizamt die Erinnerungen kritisch sichten, damit die Zusammenstellung aller Wünsche und Erinnerungen spätestens mit dem Abschlusse der Arbeiten in der Kommission selber dem Bundesrath vorgelegt werden könnte.

Der Herr Neichskanzler ist bei diesem seinen Vorschlage von der Ansicht ausgegangen, daß es bei der Berathung eines Geseßbuths, welches, wenn es fertig gestellt sein wird, die mehr als zwanzig- jährige Arbeit zweier Kommissionen der hervorragendsten Juristen Deutschlands darstellen wird, im Bundesrath und ih glaube hin- zufügen zu dürfen später auch im Reichstag nicht darauf werde ankommen ftönnen, alle einzelnen Bestimmungen nochmals einer, wenn ih so sagen soll, technish-juristishen Revision zu unterziehen. Es würde das ja überhaupt nur in der Weise möglich sein, daß der Bundesrath und dem entsprehend später auch der Reichstag nohmals Kommissionen ad hoc einseßten, Kommissionen, die natürlih über- wiegend wieder aus Juristen bestehen müßten. Eine solche Einzelrevision dur neue nacheinander tagende Kommissionen würde meiner Meinung nah wenn sie wider Verhoffen unternommen werden follte, das Scheitern des ganzen Werkes aller Wahrscheinlichkeit nach zur Folge haben. Der Herr Reichskanzler ift alfo von der Meinung ausgegangen, daß es eines folhen -Durcharbeitens des Werks weder von seiten des Bundesraths noch von seiten des Reichstags bedürfen werde, sondern daß diefe beiden Faktoren der Gesetzgebung in Würdigung der Düurh- arbeitung, die das Werk durch die gründliche Arbeit zweier Juristen- kommisfionen erfahren hat, si dabei werden bescheiden Éönnen, die allgemeinen Gesichtspunkte des Werks in den einzelnen Theilen und diejenigen wirthschaftlihen und politishen Grundsätze, die tiefer in das praktische Leben eingreifen, ihrerseits nochmals einer Prüfung zu unterziehen und danach ihr Ja oder Nein zu dem ganzen Werke ab- zugeben.

Meine Herren, nach den Erklärungen, die die einzelnen hoben Negierungen dem Herrn Reichskanzler haben zukommen lassen, besteht die sichere Aussicht, daß die Vorschläge des Herrn Reichskanzlers zur Durchführung gelangen werden, und daß der Bundesrath auf Grund dessen in der Lage sein wird, gleich nach Abschluß der Arbeiten inner- halb der Kommission im Spätherbst des nächsten Jahres seine end- gültige Stellung zum Gesegbuch zu nehmen auf Grund der {hon einge- leiteten Vorarbeiten, die es eben möglih machen werden, die Berathungen im Schoße des Bundesraths selbst auf eine verhältnißmäßig kurze Zeit zu beshränken. Wenn diese meine Annahmen in Erfüllung gehen, dann wird, wenn ih naturgemäß auch: keinen bestimmten Zeitpunkt bezeichnen kann, fih doch die Gewißheit ergeben, daß dieses hohe Haus in verhältnißmäßig kurzer Zeit au seinerseits an die Aufgabe wird herantreten können, Stellung zu dem Geseßbuh zu nehmen. Sollte der Reichêtag geneigt sein, bei seinen Berathungen dann den Weg zu betreten, den, wie ich hoffe, der Bundesrath einschlagen wird, dann hat das deutshe Volk auch die Ausficht, in absehbarer Zeit zu der- jenigen Nechtseinheit zu gelangen, die ihm eine tausendjährige Ge- \hichte bis dahin versagt hat. (Bravo!)

_ Abg. Schröder (fr. Vg.): Diese Erklärungen lauten ja gewiß hoffnungsvoll, aber auch der frühere Staatssekretär Dr. Bosse hat hat vor zwei Jahren hier ähnliche Aussichten eröffnet, denen die Ver- wirklihung versagt geblieben ist. Erfreulich ist, daß die verbündeten Regierungen sich niht nochmals in das juristishe Detail vertiefen wollen. Auch uns legt der Staatssekretär hon jeßt eine ähnliche Resignation ans Herz. Um so bedauerliher aber ist es, daß die jeßt mit der zweiten Lesung befaßte Kommission niht auch {on von dieser Resignation umfassenden Gebrau gemacht hat. Diese Erfahrung i} sehr danah angethan, die optimistishe Hoffnung des Neichs - Justizamts etwas zu dämpfen. Von der ursprünglichen Begeisterung, von dem Schwung, mit dem die Jnangriffnahme des großen Werks aufgenommen wurde, ift nit viel mehr übrig ; diese Wahrnehmung ift eine allgemeine. Das Rechtsleben der Nation drängt zu Neugestaltungen und verlangt dieselben. So wird neuer dings eine reihsgeseßlihe Regelung des Heimstättenwesens verlan, vnd der geseßgeberishe Eifer der Juristen im Zentrum wird ja dur) die große Zahl ihrer Gesetzentwürfe bewiesen. Viele dieser Anträge follidieren direkt mit dem Bürgerlichen Geseßbuch, wie die Regelung des Retentionsrehts , die Sicherung der Forderungen der Bauhand- werker, die Abzahlungsgeschäfte, das Agrarrecht. E

Staatssekretär Nieberding:

Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner Gelegenheit hätte, ih laufend unterrichtet zu halten über die Stimmungen und Meinungen der Herren Mitglieder der Kommission, dann würde er, glaube ih, nicht den Eigdruck haben, daß ich dem Fortgang der Arbeiten der Kommission mit zu großem Optimismus gegen- überstehe. Die Herren würden, glaube ih, Zeugniß dafür ablegen, daß ih den Fortgang der Arbeiten sehr vorsihtig verfolge und daß ih keine Gelegenheit vorübergehen lasse, mit der Kommission in Ver- bindung zu treten, sobald ich den Eindruck gewinne, als ob an der einen oder anderen Stelle die Weiterführung der Arbeiten ins Stocken gerathen fei.

Es ist allerdings richtig, daß mein früherer Amtsvorgänger, Herr Staatssekretär Dr. Bosse, erklärt hat, es würden die Arbeiten bereits im Jahre 1893 abgeschlossen werden können. Er hatte eben bei der damaligen Lage der Arbeiten vor zwei Jahren \{chwerer prophezeien als ich. Wenn ih heute die Versicherung ab- gebe, daß vor Schluß des nächsten Jahres die Kommission mit den Arbeiten zum Abschluß kommen werde, so gebe ih diefe Versicherung in einem späteren Moment, alfo in einer günstigeren Situation, und gebe sie vor allem nah näherer Erwägung mit dem Vorsitzenden der Kommission, die übrigens auch ihrerseits mir gegenüber zweifellos ihren Entschluß hat erkennen lassen, vor dem übernähsten Jahret- {luß fertig zu werden, und üúiht nur diesen Entschluß, sondern auh die Ueberzeugung, daß es ohne Beeinträchtigung des Werks mögli sein wird; bis dahin die Arbeiten abzuschließen. Ich gebe zU, daß im Laufe der leßten Jahre die Arbeiten der Kommission nicht |o \{nell vorgeschritten sind, wie es in außerhalb stehenden Kreisen er- wartet wurde; aber eins muß man doch anerkennen: die Art und Weise, wie die Kommission den ersten Entwurf durchgearbeitet hat, bringt uns eine fo verdienstvolle, so glücklihe Umgestaltung des ganz?! Werks, daß dadurch die spätere Beurtheilung des Entwurfs, und ih glaube au, die Beschleunigung dieser Beurtheilung im Bundesrath und im Reichstag eine wesentliche Erleichterung erfahren werden. Ins sofern, glaube i, sind die Jahre, die die Kommission auf die R vision des Entwurfs verwendet hat, keine verlorenen gewesen. Daß

wir jeßt schneller vorwärts gehen werden, dafür, glaube ih, giebt Ihnen die Erklärung einige Gewähr, die ih hier im Namen der Kommission und in meinem Namen abgegeben habe.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dkonf.): Als Mitglied der Kommission kann ih bestätigen, daß das Tempo der Berathungen derselben sich immer mehr verlangsamt hat. Im Laufe des Jahres find aber wesentliche Verbesserungen im ganzen Verfahren eingetreten. Am 1. Oktober 1897 werden die Berathungen der Kommission sicher abgeschlossen sein. Hoffentlih werden die heutigen Verhandlungen den Herren von der Kommission ein Sporn sein, noch eifriger zu arbeiten. h

Abg. Dr. von Cuny (nl.) nimmt die Kommission gegen die von dem Abg. Schroeder erhobenen Vorwürfe in Schuß. Die gründliche Arbeit der Kommission sei geradezu unvermeidlich geworden durch das massenhafte fritishe Material, welhes die Arbeit der ersten Kommission an die Oeffentlichkeit gebracht hatte.

Abg. Spahn (Zent.) tritt ebenfalls dem Abg. Schroeder ent- egen, foweit dieser sih auf die Juristen aus dem Zentrum bezogen at. Er bedauere garnicht, wenn die Vollendung des Werks sich ver-

zôgere; denn nichts wäre s{ädlicher als Ueberstürzung. Wenn der Entwurf fertig sei, werde er beim deutshen Publikum dankbare Auf- nahme finden. E i E

Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt, ebenso

der Rest des Kapitels. Bei den Ausgaben für das „Reichsgericht“ be- mängelt der

bag. Schroeder (fr. Vg.) die gegenwärtige innere Entwickelung desselben. Ein Kollegium von 80 bis 90 Richtern sei eine Ab- normität, eine anderweite Organisation eine Nothwendigkeit.

Abg. Freiherr von Gültlingen (Rp.) beanstandet die gefor- derte Vermehrung des Personals des Reichsgerihts um drei Näthe à 12000 Æ und beantragt die Absetzung der Mehrforderung.

Staatssekretär Nieberding:

Meine Herren, die drei Stellen, deren Absetzung vom Etat der Herr Vorredner befürwortete, sind von dem Präsidenten des Neichs- gerihts bereits vor einigen Jahren in Antrag gebracht worden. Der Reichsgerichts-Präsident beantragte damals die Einseßung von fünf neuen Rathéstellen in den Etat. Die Reichs - Justizverwaltung hat diesen Antrag abgelehnt. Sie war der Ansicht, daß die ihn begründenden Ausführungen nicht ausreichen, um eine Vermehrung des Personals durch fünf Richterstellen zu rechtfertigen, und hat damals ihrey Antrag beim Bundesrath und bei dem Reichstag auf zwei neue Stellen eingeschränkt, die auch bewilligt worden sind. Sie hatte sich aber vorbehalten, auf die Sache zurückzukommen, wenn die weiteren Erfahrungen in der Praxis zeigen sollten, daß die Besorgnisse des Reichsgerichts - Präsidiums begründet sein würden.

Nun, meine Herren, als im legten Sommer das NReichsgericht von neuem auf die alte Forderung zurükkam und demgemäß den Antrag stellte, drei neue Stellen in den Etat aufzunehmen, haben wir uns nach gewissenhafter Erwägung der inzwischen beim Reichs- geriht eingetretenen Verhältnisse niht verhehlen können, daß die Forderung gerechtfertigt fei.

Meine Herren, um Ihnen die Entwickelung der Geschäfte beim Reichsgeriht in einigen Zahlen vorzuführen, gestatten Sie mir, Folgendes mitzutheilen: Die Zahl der Revisionen in Strafsachen hat in den letzten vier Jahren in folgender Weise zugenommen, ih nenne nur runde Zahlen : in dem ersten Jahre, 1890, sind 3810, im nächsten Fahre 4070, darauf 4480 und im leßten Jahre 4780 Sachen eingegangen. Seit dem Jahre 1887 hat sich die Zahl der Revisionen in Strafsachen überhaupt um 5009/9 vermehrt.

Demgegenüber steht die Zahl derjenigen Sachen, die jedes Jahr rüc{ständig bleiben und aus einem Jahr ins andere übernommen werden. Es is naturgemäß, je mehr die Zahl solher Nückstände steigt, desto mehr wachsen die Gescäftsreste, desto längere Dauer be- anfpruhen die Prozesse, desto s{leppender wird der Geschäftsgang. Es sind nun aber rückständig und unerledigt geblieben am S{luß des Jahres 1890 430 Sachen, im folgenden Jahre 4200. im Darauf folgenden 590 und im leßten Jahxe 650 Sachen. Meine Herren, ih habe keine Veranlassung, anzunehmen, daß die Dispositionen in der Geschäftsleitung des Reichsgerichts oder

die Leistungen der Mitglieder des Reichsgerichts die Ursache der Ver--

mehrung dieser Nestsachen bilden. Auf der anderen Seite muß ih der Ueberzeugung Ausdruck geben, daß die Zahl der neuen Eingänge an Revisionen in Strafsachen au in den nächsten Jahren sich noch steigern wird, und ih glaube, daß die Autorität des Reichsgerichts, die Gewissenhaftigkeit der Nehtsprehung und die Interessen der Parteien gleil)mäßig fordern, dem Gericht diejenigen Kräfte zur Verfügung zu stellen, welche nöthig sind, um die Geschäfte auf dem Laufenden zu erhalten. Der Herr Vorredner hat nun zwar gesagt: ja, wir bekommen doch nächstens die Berufung, und es soll außerdem die Kompetenz des Reichsgerichts durch die Erweiterung der Kompetenz der Landesgerichte beschränkt werden, und dadurch wird das NReichsgericht in seiner Arbeit entlastet werden. Das is} aber nur in dem letzteren Punkt richtig. Wenn der in Vorbereitung stehende Geseßzentwurf wegen Revision der Strafprozeßordnung Annahme finden und wenn dann die Kom- petenz des Reichsgerichts in Strafsachen eingeshränkt erscheinen sollte, wird allerdings eine gewisse Abminderung der Zahl der Revisionen beim Reichsgericht eintreten. Diese Minderung der Zahl neu ein- gehender Sachen wird aber kaum einen anderen Effekt haben, als daß der Gerichtshof endlih dazu kommt, die Sathen laufend zu erledigen, sodaß wir niht mehr zuzusehen brauchen, wie jedes Jahr die Zahl der rückständigen Sachen wächst.

Was die Bedeutung der verminderten Zahl der Ne- visionen betrifft, so haben wir {hon Mitte der achtziger Jahre, als auch eine Revision der Strafprozeßordnung auf der Tagesordnung stand, in welcher die Frage der Berufung eine Rolle spielte, uns klar machen müssen, ob nach Einführung der Berufung die Zahl der Richterstellen beim Reichsgericht eingeschränkt werden fönnte, und wir waren genöthigt, die Frage recht forgfältig zu prüfen, weil auch damals eine Vermehrung der Nichterstellen be- antragt war. Damals ist das Präsidium des Reichsgerichts um seine Ansicht befragt worden, d. h. also der Erste Präsident, der Senats- Präsident und die vier ältesten Richter; dieses Kollegium von unab- hängigen und an der Sache niht interessierten Männern hat sih damals einstimmig dahin ausgesprochen, daß durch die Ein- führung der Berufung die Geschäfte des Reihsgerichts in Revisions- sahen niht in der Weise vermindert werden würden, daß an eine er- heblihe Entlastung des Reichsgerichts würde gedaht werden können, und zwar einfa deshalb nit, weil die verbleibenden Revisionssachen einen erheblich größeren Umfang annehmen würden, da die Sahen, die an das Reichsgeriht gelangten, bereits zwei Instanzen durhlaufen haben würden. Ich glaube, meine Herren,

Sie können kein vollgültigeres Votum verlangen, und wenn in Ueber- einstimmung damit die Reichs-Justizverroaltunz, die immer, fo lange das Neichsgericht besteht, zu der Vermehrung der Richterzahl beim Reichsgericht eine abgeneigte Stellung eingenommen hat, nunmehr sich dahin auétsprehen muß, daß die Vermehrung erforderli is, um die Geschäfte in befriedigendem Gang zu erhalten, fo werden Sie si, wie ih hoffe, dem Antrage auf Bewilligung drei neuer Richterstellen niht verstbließen. 7

Allerdings ist ja von dem Herrn Abg. Schröder erwähnt worden, cs sei auch inmitten des Reich8gerihts selb Zweifel darüber auf- getaucht, ob es nöthig sei, die Zahl der Richterstellen zn vermchren. Mir ist von einem solhen Zweifel im Reichsgeriht nichts bekannt. Ich habe do Gelegenheit gehabt, mih mit dem Präsidenten und mit manchen Mitgliedern des Reich8gerihts über diese Frage: zu unter- halten. Ih habe nur den Ausdruck der Befriedigung darüber gehört, daß die Reichs - Justizverwaltung endlih dem Drängen des Präsidenten nachgegeben und die verlangten Stellen in den Etat eingestellt habe; von keiner Seite ist mir der Gedanke entgegengetrag:n worden, daß die Vermehrung der Stellen ent- behrlih sei.

Wenn in der Presse derartige Ideen entwickelt worden sind, so muß ih dahingestellt sein lassen, ob sie von Mitgliedern des Neichs- gerichts herrühren. Ih könnte denjenigen Herren im Reichsgericht, die der Ansicht find, eine Vermehrung der Richterstellen sei nicht erforderlih und nit räthlich, nur anheimgeben, bei dem Präsidenten des Gerichtshofs persönlich dafür einzutreten und ihrer- seits Vorschläge zu machen, wie die immer weiter anwachsende Gescch{äftsl!ast prompt erledigt werden soll. Der Präsident des Reichs- gerihts wie au die Neichs-Justizverwaltung sehen zur Zeit keinen andecen Weg, als die Vermehrung der Stellen.

Ich kann Sie nur bitten, meine Herren, diesen Weg zu ge- nehmigen.

Abg. Dv. von Buchka (dkons.) befürwortet gleichfalls die unver- kfürzte Bewilligung.

Die Bewilligung der Forderung wird darauf gegen wenige

Stimmen beschlossen.

Der Rest des Etats der Reichs-Justizverwaltung wird ohne Diskussion genehmigt.

Beim Etat des Reichs-Eisenbahnamts erklärt der

__ Abg. Dr. Hammacher (nl.), aus Nüksiht auf die Geschäftslage keine weitshihtige Tarifdebatte herbeiführen, sondern sih auf eine Art Verwahrung gegen die bisherige Ausführung des Art. 45 der Reichs- verfassung besdiränfen zu wollen. In Preußen und Baden gehe man mit geseßlichen Aenderungen der Tarifvorschriften um; während die Aufsicht über diese Materie ausdrücklich dem Neich zustehe, mangele es an der erforderlichen Reich8geseßgebung zur Geltendmachung dieses Rechts. Die Kommission für das Bürgerliche Geseßbuch sei der An- sicht, daß die Materie der Verpfändung oder hypothekarishen Belastung von Eisenbahnen sich zur Regelung für ein Spezialgeseß empfehle. Infolge des Erlasses des Kleinbahngeseßes in Preußen wachse die Bedeutung auch dieser Frage von Tag zu Tag.

Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Präsident des Neiche-Eisenbahnamts Dr. Schulz: Die Neichs-Justizverwaltung hält zwar ein folhes Spezialgeseß für das Deutsche Neich für zulässig, aber erst dann, wenn die Grundsäße für das Pfandrecht allgemein im Bürgerlichen Geseßbuch geregelt find. Wo ein dringendes Bedürfniß vorliegt, steht die Sahe anders und demgemäß hat Preußen sich entschlossen, selbständig auf diesem Gebiet vorzugehen.

Der Etat des Reichs-Eisenbahnamts wird bewilligt. Der Etat der Reichs-Eisenbahnverwaltung wird auf Antrag der Abgg. Dex. Hammacher und Dr. Lingens an die Budget- kommission verwiesen.

Damit ist die Tagesordnung erschöpft.

Schluß 51/4 Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zum deuts\ch-russischen Handelsvertrag.

Aus Königsberg i. Pr. shreibt man der „Frkf. Ztg.“, daß

die von den dortigen städtischen Körperschaften an den Reichs- tag gerichtete Petition für die Annahme des deutsch:russischen Handels- vertrags den Magistraten aller Städte der Provinz mit der Bitte, der Petition beizutreten, zugesandt worden ist. _ Aus Stolp berichtet man der „Ostsee-Ztg.*, daß die dortige Korporation der Kaufmannschaft in einer Versammlung am Donnerstag eine Entschließung für den deutsh-russishen Handels- vertrag einstimmig angenommen hat.

_In Gleiwiß haben, wie der „Köln. Ztg.“ telegraphiert wird, beide städtishe Körperschaften beschlossen, die Reichstags- Abgeordneten des Wahlkreises aufzufordern, für den deutsh-ru}sischen Handelsvertrag zu stimmen.

Die Handelskammer in Dortmund hat sich, wie die „Köln. Z.“ mittheilt, für den russishen Handelsvertrag und die Auf- hebung der Staffeltarife ausgesprochen. .

In Leipzig fand gestern Abend eine von Kaufleuten, In- dustriellen und Gewerbetreibenden zahlreich besuchte Ver- sammlung ftati, die, wie ,W. T. B.“ meldet, den Beschluß faßte, an den Reichstag eine Petition für die Annahme des russishen Handels- vertrags zu richten.

Zur Arbeiterberweguna.

In Leipzig wird einer Mittheilung des „Vorwärts“ zufolge am Tage nach Pfingsten (15. Mai) die diesjährige Landeskonferenz der sächsishen Sozialdemokraten zusammentreten. Der Genossenschaftsverband „Vorwärts“ der unter fozialdemokratishem Einfluß stehenden \ächsiscchen Konsumvereine besteht, wie die „Wz. Z.“ aus der Generalversammlnng des Verbandes berichtet, aus 12 Genossenschaften mit 9600 Mitgliedern. Im leßten Geschäfts- jahre wurde bei einem Umsaß von 2848752 4 ein Gewinn von 273 756 A erzielt. Auch Dividenden wurden vertheilt und zwar in Höhe von 10} 9/0, 109/69, 9 %/o, 9 9/0, 89/6 und 6 9/0.

Hier in Berlin wurde, wie der „Vorwärts“ mittheilt, in einer Versammlung der Lokal- und Straßenhändler am Dienstag beschlossen, eine Vereinigung zu gründen, die „auf dem Boden der Perm Arbeiterbewegung“, d. h. auf fozialdemokratischem Grunde

ehen soll.

Nach Mittheilung des Statistishen Amts der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 11. Februar bis infl. 17. Februar cr. zur Anmeldung gekommen: S A S TEenE, 180 Ehbeschließungen, 32 Todtgeborene, 582

erbefälle.

C

Kunst und Wissenschaft.

Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg. __ Sißung vom 14. Februar 1894.

Herr Amtsrichter Dr. Hol e besprah Galland?s soeben erschienene Schrift „Die Amtmännin von Oranienburg“ und zeigte, wie dur dieses Buch unsere Kenntniß des Kunfstlebens am Hofe des Kurfürsten Friedri 111. mannigfach erweitert wird.

Anknüpfend an Lettow'ss Werk „Der "Krieg von 1806/7“ erklärte Herr Legations-Rath von Lindenau, er stimme nicht mit

H. von Treitshke in der Ansicht überein, daß der Abfall des Kur - fürsten von Sachsen vom preußishen Bündnisse längst geplant gewesen, obschon es feststehe, daß der säsisge Gesandte in Paris trotz der Abreise des französischen Gefandten aus Dresden (22. September), erhaltenem Befehl zufolge, auf seinem Posten verblieb. Redner gab aber zu, daß der von Natur ängstlihe Kurfürst in seiner krank- haften Vorliebe für Neutralität und von widerstreitenden Ein- flüssen umgeben, sich (vielleiht unbedaht) in den Tagen der Ent- scheidung zu einem heimlihen Verkehr (auf weiten Umwegen) mit dem gemeinsamen Feind babe hinreißen lassen. Der Vortragende ver- urtheilte es als illoyal, daß er nah der verlorenen Schlacht bei Jena (14. Oktober) auf die Unterstellung Nopoleon’s, Sachsen sei zur Theil- nahme am Kriege gezwungen gewesen, bereitwilliast einging, da er, der Kurfürst, doch selbst gegen Ende August den in der ersten Hälfte des September erfolgten Einmarsch der Schlesischen Arue verlangt hatte, um unter deren Schuß die Mobilmachung der eigene Truppen sicher vollziehen zu können.

Herr Oberlehrer Dr. Tshirch aus Brandenburg a. Havel be- rihtete über 12 alte Schreibkalender, welche der einst în Sorau und später in Brandenburg anfäfsige Pfarrherr Joachim Garäus zu zahlreichen täglihen Eintragungen . in den Jahren 1617 bis 1632 benugt hat. Die Hefte sind von Erich Niederstadt in der Kirchenbibliothek von St. Katharinen zu Brandenburg aufgefunden und entziffert worden - und werden demnächst im Auszuge mit einer Einleitung und historishen Anmerkungen, des Referenten im Druck erscheinen. Sie enthalten reichhaltige, allerdings meist sehr kurze Bemerkungen, welche zur Kenntniß der märkishen Geschichte in jenen bewegten Kriegszeiten manches Lehrreiche hinzufügen. Jn einigen Fällen werden die Aufzeihnungen zur Bestätigung und ge- naueren Feststellung der Zeitfolge der Kriegsereignisse und Heereszüge in der Mittelmark benußt werden fkönnen, da die Notizen ihrer Natur nach vollständig gleichzeitig und zu- verlässig sind. Noch größeren Werth aber büben die täglichen

Vermerke für die Kulturgeschichte jener Zeit. Sie geben ein charakte- ristishes Gesammtbild des Familienlebens mit seiner primitiven Naturalwirths\chaft, seiner grausam strengen Kinderzucht und seiner derben Genußfreude sowie des städtishen Lebens mit seinen Gelagen, Schulfesten und , Fastnahtsmummereien, seinen kirchlihen und welt- lichen C seinen Hinrichtungen und Herenprozessen, seinen

like en, Theuerungen und Tumulten. Der Referent entwarf auf rund der Tagebücher und anderer Quellen ein Charakterbild des Verfassers, der dur seinen Antheil an den kryptocalvinistischen Streitigkeiten seinen Zeitgenossen wohlbekannt war. Er erscheint als eine psyhologish merkwürdige, mannigfach gebildete und geistig an- geregte, leidenschaftlihe und reizbare, ebrgeizige und eitle Natur, die zwischen weltliher Genußsucht und heftiger Reue haltlos \{chwankt und der inneren Zerknirschung durch Selbstgeißelung Ausdruck giebt. Freilich war dieser Mann hiernach keineswegs geeignet, dem strengen Lutherthum seiner Zeit als ein ahtbarer Vorkämpfer der milderen, dem Calvinismus freundlihen Nichtung zu erscheinen.

Herr Dr. Krausfke sfÆizzierte im Anschluß an „Acta Borussica, Behördenorganisation“, Band 1, der demnächst im Buchhandel erscheinen wird, den Charakter König Friedrich Wilhelms]. und seiner bedeutendsten Minister. Die Epoche Friedrih Wilhelms 1. wird häufig allzu sehr grau in grau gemalt: sie besaß einen bemerkens- werthen Reichthum an Verwaltungstalenten und erfinderishen Köpfen. Es fehlte ihr nur die strenge Hand, die diefen Strömungen die reite Bahn anwies und sie gehörig eindämmte. Wer hat dies mit größerem Erfolge gethan, als Friedri Wilhelm 1.? Seine Härte ist in aller Mund; aber man vergesse niht, daß er gegen niemand strenger ge- wesen ist, als gegen Nh felbst. In dem Königthum von Gottes Gnaden sah er nicht, wie die meisten feiner Kronen tragenden Zeit- genossen, ein nußbares Recht, sondern ernste Pflichten, Pflichten, deren Last zu unterliegen er manchmal fürchtete. Denn er glaubte, für alles, was unter seiner Regierung geshähe, Gott verantwortli® zu sein. Und sein Gott war, wie der der Puritaner, der strenge und eifrige Jehovah, der die Sünden des Königs an Kindeskindern und an dem ganzen Lande und Volk rächte. Ueber die Verherrlichung der Fürsten als der irdischen Götter hat er stets ge- spottet. Wider Erwarten bestätigte Friedrih Wilhelm I. bei der Thronbesteigung alle Minister in ihren Aemtern. Der eigentliche Leiter der auswärtigen Angelegenheiten war Nüdiger von Ilgen, mit Recht als feiner Diplomat gerühmt, aber ohne Junitiative. Jhm standen zur Seite Graf Christoph Dohna, durch seine Memoiren allgemein bekannt, und Marquard von Printen, dessen lauterer Charafter, tiefe, warme Frömmigkeit und vornehmer Freimuth ihn zu einer der anziehendsten Gestalten jener Zeit machen. Friedrich Wilhelm hat ihn hoh geachtet; „nur der Tod soll uns \{eiden“, rieb er auf ein Entlassungsgesuh Printen’'s. Ein ganz anderer Charakter war Friedrih Wilhelm von Grumbkow: leichtlebig, nicht unbestechlich; wußte er dem König geschickt zu widersprechen, ohne den leiht erregten Zorn des Herrschers zu wecken. Seine großen Ver- dienste aber um den preußischen Staat sind noh lange niht genügend gewürdigt worden. Selbst Friedrih der Große, der ihm durchaus niht wohl wollte, nennt Grumbkow in einem Epigramm auf - dessen Tod „un grand financier“. Zu den bevorzugten Berathern Friedrih Wilhelm?s gehörte noch Ehrenreich Boguslaw von Creutz, der hon der Vertraute des Kronprinzen gewesen war. Von allen Ministern waren er und Grumbkow der Partei der Königin am verhaßtesten, aber troß mancher, sehr geshickt angelegten Intriguen bewahrte er sih die Gunst Friedrich Wilhelm's.

Literatur.

Verwaltung.

Das Kassen- und Etatswesen bei den preußischen Justizbehörden. Nach dem amtlichen Text der bis auf die Gegen- wart ergangenen ministeriellen Verfügungen erläutert von C. Kurt, Amtsgerihts-Rath. Zweite umgearbeitete und wesentlich erweiterte Auflage. Preis 5,90 ( Verlag von Otto Liebmann in Berlin. Die im Frühjahr 1892 erschienene erste Bearbeitung hat \ich all- Maiiqas Anerkennung erworben. Nachdem durch die allgemeine Ver- ügung des Justiz-Ministers vom 15. Juli 1893 die Kassen- Instruktion in einer Anzahl von Paragraphen Aenderungen erfahren und eine amtlihe Ausgabe der nunmehr geltenden Bestimmungen der Instruktion veranstaltet worden is, war eine Neubearbeitung der ersten Auflage nothwendig. Die zweite Auflage enthält niht nur den Tert der neuen Instruktion und die hierzu ergangenen ministeriellen Verfügungen, sowie das Verwaltungszwangsverfahren, den Gebühren- ansaß und die Registerführung der Gerichtsvollzieher, sondern auch die Instruktion für die E der Etatsfonds bei den Justiz- behörden vom 19. April 1893, nebst Nachträgen, die Regelung der Dienstalters\tufen, die Prüfung des Gerichtskostenansaßzes, die Instruk- tion für die RNechnungsrevisoren und das Kanzleireglement mit den neuesten Aenderungen. Ferner sind sämmtlihe Formulare und An- hänge beigegeben. Das Werk, das in der ersten Auflage nur 7 Bogen umfaßte, enthält jeßt 25 Bogen. Es ist ein handliches Hilfsmittel für die Handhabung und Beaufsichtigung der einshlagenden Geschäfte und empfiehlt sich den Richtern, Kassenbeamten, Gerichtsschreibern, Gerichts- vollziehern und Anwärtern sowie dên mit der Aufsiht und Revision

betrauten Beamten. Bol wirlb\chGal

Von den Verhandlungen des „Sozialen Kongresses“, der von dem Freien Deutschen Hochstift zum 8. und 9. Oktober nah Frank- furt a. M. berufen war, ist jeßt im Verlage von Otto Liebmann in Berlin ein Bericht unter dem Titel „Arbeitslosigkeit und Arbeitsvermittelung in Industrie und Handelsstädten“ erschienen (Pr 3,20 4). Außer der Diskussion bringt der Bericht drei Referate, und zwar von Dr. Hirschberg-Berlin über Arbeitslosen- statistik, vom Vorsißenden des deutshen Holzarbeiterverbandes Kloß- Stuttgart über Nothstandsàrbeiten und von Professor Dr. Tönnies- Kiel über Arbeitslosigkeit, welche gewissermaßen ein Kompendium der Ran Fragen, woran es bisher in der deutschen volfswirth-

schaftlihen Literatur gänzlih fehlte, bilden. Die Verhandlungen