1894 / 52 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 01 Mar 1894 18:00:01 GMT) scan diff

L __ Elsaß-Lothringen. Den Landesaus\chuß beschäftigte in seiner Sißung ‘vom 27. v. M. die erste Lesung des Entwurfs einer Gemeinde- “ordnung. Die Vorlage wurde ron dem Staatssekretär von Puttkamer eingebracht und in warmer Weise empfohlen. Aus- gehend von der Reformbedürftigkeit des bestehenden Gemeinde- rechts und der Nothwendigkeit einer Ie Kodifikation schilderte der S als Grundzüge des Entwurfs die Auf- ebung der zu weit gehenden Bevormundungder Gemeinden undder bestehenden Vielschreiberei, sowie die Herbeiführung einer größeren un auf dem Gebiete der Gemeindeverwaltung und {loß nah Hervorhebung der einschneidendsten Einzel- bestimmungen der Vorlage mit der Hoffnung, es werde ge- lingen, eine Einigung über den Entwurf zu erzielen. An der Debatte betheiligten sich die Abgg. Petri, Gunzert und Winterer, von denen die beiden ersteren si als grundsäßlihe Anhänger der vorgeschlagenen Neu- ordnung der Gemeindegeseßgebung bekannten und von den Zugeftändnissen der Regierung bezüglich einzelner abzu- ändernder Bestimmungen eine Einigung über den Entwurf erhofften, während der Abg. Winterer diesen in der jeßigen Gestalt als unannehmbar bezeichnete. Jm einzelnen wandten sich alle drei Abgeordnete gegen die vorgeschlagene Art der Ernennung der Bürgermeister und des Wahlsystems für den Gemeinderath. Den Rednern antwortete der Unter-Staats- sekretär von Köller, indem er, nah Bekämpfung der un- richtigen Auffassung E Bestimmungen seitens des Abg. Winterer, in eingehender Weise die einzelnen kritisierten Bestim- mungen des Entwurfs beleuchtete, die Bereitwilligkeitder Negierung zu einer Einigung betonte und die weitgehenden Befugnisse, ie den Gemeinden gegenüber dem bestehenden Rehtszustande durh den Entwurf verliehen werden, ausführlich schilderte. Was insbesondere die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofs anlangt, so erklärte der Unter-Staatssekretär diese mangels grundsäßlicher Einwendungen der Regierung lediglih als Finanz- Mae, von der es zweifelhaft sei, ob sie im gegenwärtigen Augenblick befriedigend gelöst werden könne.

Oesterreich-Ungarn.

Wie mehrere Blätter übereinstimmend melden, werden si die Minister Graf Kálnoky und Graf Wurmbrand dem- nächst nah Budapest begeben, um sich mit der ungarischen Regierung über die handelspolitishen Verhandlungen ohen Desterreih-Ungarn und Rußland zu ver- ständigen. | :

Im Budgetaus\shuß des Abgeordnetenhauses erklärte gestern, wie „W. T. B.“ berichtet, der Handels-Minister Graf A ibtank in Beantwortung einer Anfrage über den Stand der Handelsvertrags- Verhandlungen mit Rußland, er müsse sich sehr reserviert verhalten, da die Ver- handlungen erst im Zuge seien; von österreichish-ungarischer Seite würden die Verhandlungen auf dem Boden der Meistbegünstigung geführt. Rußland habe spezielle Anforderungen gestellt, die eine ein- gehendere Erwägung erheischten; die Regierung lege übrigens großes Gewicht auf eine sehr rashe Abschließzung der Ver- handlungen. Jm weiteren Verlaufe der Sißung interpellierte der Abg. Klaic den Handels - Minister darüber, welche Stel- lung dieser bezüglih der Forderung Frankreichs einnehme, A die Vergünstigung der im Handelsvertrag mit

talien enthaltenen Weinzollklausel zu gewähren.

Jm ungarishen Unterhause führte gestern der Minister-Präsident Dr. Wek erle auf die Interpellation des Abgeordneten Ugron aus, die Nachrichten über eine theilweise Mobilisierung oder über Truppenverschiebungen seien Aus- streuungen, denen gegenüber er auf das enlschiedenste erkläre, daß weder von einer Mobilisierung, noch von irgend welcher neuen Truppendislokation die Rede sei, sowie daß fkeinerlei Verfügung in dieser Hinsicht ge- troffen und auch keinerlei derartige Maßnahme in Aussicht genommen sei. (Allgemeine Zustimmung). Die auswärtigen Verhältnisse Ungarns seien zur Zeit derartig, daß die Nothwendigkeit zu solhen Maßnahmen auch in der nächsten Zeit nah menschlihem Ermessen nicht eintreten werde. Er bedauere, daß diese Ausstreuungen in weitere Kreise ge- drungen seien, obschon sie weder in den auswärtigen Be- ziehungen Ungarns noch in dem wirthschaftlichen Leben des Landes größere Aufregung hervorgerufen hätten. (Allgemeine lebhafte Ag, Der Abg. Ugron erklärte, er nehme von der Erwiderung des Minister-Präsidenten, die vollklommen befriedigend und beruhigend sei, Kenntniß.

Das Leichenbegängniß des verstorbenen Bürger- meisters Dr. Prix fand gestern Nachmittag in der feier- lichsten Weise statt. Der Dompropst Marschall nahm in dem mit Trauerabzeichen geschmückten Rathhause die Einsegnun der Leiche vor, worauf si der imposante Trauerzug durch die von einer dichtgedrängten Menschenmenge beseßten Straßen nah dem Stefansdom bewegte. Hier erwarteten der Fürst-Erzbishof Gruscha, der Minister - Präsident Fürst Windischgräß, der General-Adjutant des Kaisers General Bolfras, der Minister des Auswärtigen Graf Kälnoky, der Reichs-Kriegs- Minister von Kriegshammer, der Handels-Minister Graf Wurm- brand, der Landesvertheidigungs-Minister Graf Welsersheimb, der Admiral Freiherr von Sterneck, der Chef des General- stabs FZM. Freiherr von Beck, der Korps-Kommandant Frei- herr von Schoenfeld, ferner die Generalität und die Präsidien des Abgeordnetenhauses und des Landtags die Leiche, die von dem Erzbischof Angerer nochmals eingesegnet wurde. Auf dem Zentralfriedhof hielt der Vize-Bürgermeister Gruebl am Grabe die Trauerrede. Außerdem sprachen noh der Präsident der Advokatenkammer Dr. von Muendel und namens der Freunde des Verstorbenen der Advokat Dr. Kunwald.

Grofßbritanuien und Jrland.

Die Königin -empfing gestern Nachmittag den Premier- Minister Gladstone im Bucingham - Palast. Wie das „Reutershe Bureau“ erfährt, habe Gladstone bei dieser Audienz nicht seine Entlassung eingereiht, es habe sich nur um das legislative Programm der nächsten parlamentarischen Session gehandelt. Am 13. März gedenkt die Königin ihre Reise E lorenz anzutreten.

Das Oberhaus nahm gestern die vom Unterhause zur Kircspielraths-Bill beschlossenen Abänderungen mit den von Lord Salisbury beantragten Modifikationen an, sodaß die Vorlage an das Unterhaus zurückgehen muß. Die Regierung hatte die Modifikationen bekämpft.

Frankreich, Der Minister des Auswärtigen Casimir Périer hat ciner Meldung des „W. T. B.“ zufolge nah Berathschlagung

mit dem Comité für die auswärtigen Angelegenheiten und Anhörung des Grafen d’Aunay ein Dekret unterzeichnet, wodurch der leßtere, früher Gesandter in / Kopenhagen, seiner Stellung enthoben wird. Graf d0’Aunay hat nun in einem an die „Agence Hávas“ gerichteten Schreiben Protest gegen seine Amtsenthebung eingelegt, indem er darlegt, er sei niht der Urheber eines im „Figaro“ veröffentlichten Artikels über den früheren Marine-Attaché in Kopenhagen Beauchamp, dem darin vorgeworfen wurde, im Einverständniß mit dem Elysée, ohne Vorwissen des Gesandten, fih mit der Prinzessin Waldemar von Dänemark, geborenen Prinzessin von Orleans, in Verbindung geseßt zu haben, um durch sie einen Einfluß auf den Kaiser von Rußland aus- zuüben. Graf d’Aunay erklärt, an den Staatsrath appellieren zu wollen. Der „Figaro“ erklärt gleichfalls auf das entschiedenste, Graf d’Aunay sei nicht Urheber der den früheren Marine-Attaché betreffenden Mittheilungen.

Jn der gestrigen Sißung der Armeekommission ver- theidigten die Deputirten für Haute-Savoie ihren Antrag auf Bildung von zwei Bataillonen Alpenjägern in Chablais und

aucigny. Der Kriegs-Minister General Mercier erwiderte, Sen habe an dieser Grenze alles, was nothwendig sei, um jeder Eventualität die Spiße. ju bieten. Niemand könne dort einer Mobilisierung Schwierigkeiten bereiten, welche si daselbst ebenso wie auf anderen Punkten des Landes voll- ziehen würde. S L

Die äußerste Linke hat, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, gestern beschlossen, daß Pelletan am Sonnabend die Ange- legenheit des Kammer - Präsidenten Dupuy und die Unter- stüßung des Journals „Cocarde““ in der Deputirtenkammer zur Sprache bringen solle. S

Das Panzerschiff „Jemappes“, das Schießversuche ge- macht hatte, mußte nah einer Meldung aus Brest gestern wegen Beschädigungen seiner Maschine in den Hafen zurück- kehren. Der Kreuzer „Coctlogon“, an dessen Maschinen seit zwei Jahren Neparaturarbeiten vorgenommen werden, machte gestern eine Probefahrt, wobei sih die Nothwendigkeit abermakiger Reparaturen herausstellte. Das neue Panzer- {if „Dupuy de Lôme“ muß andere Kessel erhalten.

Gestern Vormittag sind in Paris neun weitere V er- haftungen von Anarchisten vorgenommen worden.

Nufß;landD.

Nach dem gestern Abend 5 Uhr ausgegebenen Bulletin hatte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Minister des Auswärtigen von Giers innerhalb der lIeßten vierundzwanzig Stunden ungefähr neun Stunden Schlaf. Die Herzthätigkeit verbessert sich, Puls 70 bis 80, die Herzbeklemmungen sind feltener und shwächer, das Allgemeinbefinden ist besser.

Jtalien.

Der Senat verweigerte gestern, wie „W. T. B.“ meldet, in geheimer Sißung, die durch das Kabinet Giolitti erfolgte Ernennung der neuen Senatoren Colucci, Pellegrino und Olivieri für gültig zu erklären. i i

Die Deputirtenkammer seßte gestern die Berathung Uber DiE Innere Polilil- fort. Der Deputirte Spirito begründete seine Jnterpellation über die Absichten der Re- perung hinsihtlih der Aufrechterhaltung des Be-

agerungszustandes auf Sizilien und in der Provinz Massa-Carrara. Darauf entwickelte der Deputirte Farina seine Junterpellation über die Maßnahmen zur Beseitigung der Ursahen von weiteren Unruhen in Sten. Hierauf nahm unter allgemeiner Aufmerksamkeit der Minister- Rräfident Crispi das Wort und erklärte, er werde zur Sache sprechen und Personen nicht berühren, außer wenn der Gegen- stand dies nothwendigerweise erfordern sollte. Man habe die Bourgeoisie in düsteren Farben gemalt und doch sei sie es, der das Volk es verdanke, daß es heute eine Vertretung habe. Allerdings habe die Bourgeoisie unrecht daran gethan, die Schulen zu vermehren, ohne auf die Erziehung der niederen Volks\chichten Bedacht zu nehmen. Das soziale Problem be- dürfe einer Lösung, aber nicht derjenigen, welche die Agitatoren den Massen predigten. Seit der Freimachung des Eigenthums und der Aufhebung der _Fideikommisse ständen die Eigenthümer kraft eines legitimen Rechts im Besitze, jeßt aber erhebe man das Beraubungsrecht zur Wissenschaft, und die Versuche, diese Theorien zu verwirklichen, streifen hart an Verbrechen. Den Boden zur Verbreitung dieser Lehren habe man schlecht gewählt, denn auf Sizilien herrsche ein stark entwickeltes Gefühl für das Eigenthum und die Familie; ein Blick auf die Gemeinden, in denen die Un- ruhe ausgebrochen seien, genüge, um sih davon zu überzeugen, daß lehtere nicht durch Noth veranlaßt worden seien. Jn der Provinz Trapani und den Gemeinden der Provinz Palermo, in denen die Ruhestörungen vorgekommen, herrsche geradezu Woßhlhabenheit. Die Bewegungen in Sizilien seien durch Verschwörungen verursacht worden, welche die größten Uebel herbeigeführt haben würden, wenn die Re- gierung ihnen nicht entgegengetreten wäre. Die Fasci di layo- ratori hätten ihre Wirksamkeit im Jahre 1891 begonnen und anfangs den Anschein erweckt, eine wohlthätige Einrichtung zu sein. Jm Jahre 1892 sei in Palermo eine nationale Aus- stellung abgehalten worden; damals seien festländishe Arbeiter nach Sizilien gekommen, welche die Ansteckung ins Land ge- braht hätten. Seit jener Zeit habe mit Hilfe von Kongressen und auf Anstiftung von im Auslande befindlichen Revolutionären thatsächlich die revolutionäre Organisation ihren Anfang ge- nommen. Es habe damals 166 Fasci mit 289 000 Mitgliedern ge- gegeben- deren Führer hätten erklärt, daß sie ihr Vertrauen nicht in die Thâtigkeit des Parlaments, sondern auf die Revolution seßten. Der Minister-Präsident verlas einzelne Stellen aus anca Briefen, aus denen dies hervorgeht. Man habe es auch versucht, sich mit einigen klerikalen Vereinen des Festlandes ins Einverständniß zu sehen; wofür shlagende Be- weise vorhanden seien. Die leßteren Beschlüsse seien von einer in Marfeille abgehaltenen Versammlung gefaßt worden, w0- selbst verkündigt worden sei, daß ein neuer Garibaldi der Anarchie sih nach Palermo begeben werde, es solle bestimmt die Jnfurrektion gegen Mitte Februar ins Werk gesetzt werden. Da man jedoch später das Einschreiten der Regierung besorgt habe, so habe man beschlossen, die aufrührerishe Bewegung früher beginnen zu lassen, und wenn es guch einen 4. April gebe, an dem kein neuer Garibaldi oder seine An- hänger theilnehmen würden. (Heiterkeit.) Man habe den Bauern für 1894 eine Theilung der Grundstücke versprochen und auch darauf gerechnet, daß in diesem Jahre ein Krieg mit Hilfe Rußlands ausbrehen werde, welchem leßteren man einen Hafen. abzutreten gesonnen sei. (Sensation.) Um darzulegen , welchen Charakter die Bewegung gehab1 habe,

verlas Crispi eine in einer Gemeinde veröffentlihte Pro- flamation, worin es heißt: „Arbeiter! Söhne der Vesper! Schlaft ihr noch? Ziehen wir zum Gefängniß, um die Gefangenen zu befreien! Tod dem König! Tod den Beamten! Nieder mit den Taxen! Brand der Mairie und dem Zivilkasino! ee! Wenn die Glocken läuten, werden wir nach dem Schloß ziehen, denn alles ist für die Freiheit bereit! Achtung auf das Signal!“ (Große Bewegung.) Der Sozialist A fragte, ob das Manifest eine Unterschrift trage.

er Minister-Präsident Crispi erwiderte darauf: „Sehr bedeu- tend“ (lebhafte Heiterkeit) und fuhr fort: „Jn der ProvinzMassa- Carrara brach die Revolution in allen ihren Formen aus und auch hier wie in Sizilien mußte der Belagerungszustand erklärt werden.“ Der Minister-Präsident vertheidigte darauf mit zahl- reichen Beweisgründen die Verhän: ung des Belagerungszustandes, der die Sicherheit für eine energische Jntervention der Regierung zur Verhinderung weiterer Tumulte gegeben habe. Der Be- lagerungszustand sei von der großen Mehrheit der Bevölke- rung mit lebhafter Zustimmung aufgenommen worden. So- dann vertheidigte der Minister-Präsident die Gesetlichkeit des Belagerungszustands und erklärte, es gebe über der Verfassung noch ein höheres Geseß, nämlich jenes, das den Völkern das Recht gebe, ihre Existenz zu vertheidigen. (Bewegung.) Der Belagerungszustand sei politisch und rechtlich vollkommen ge- rehtfertigt gewesen. Der Minister-Präsident wies sodann die Ge- seßlichkeit der Verhaftung De Felice-Giuffrida's nach, fragte, ob eine agrarishe Frage auf Sizilien überhaupt existiere und ob auf Sizilien solches Elend herrshe, wie mehrere Redner es geschildert hätten, und erklärte, daß die Verhältnisse Siziliens von jenen anderer Theile Ftaliens nicht verschieden scien. Den Bedürfnissen der Arbeiterklassen werde man durch soziale Geseße, die für ganz Ftalien Geltung haben würden, Rechnung tragen. Die Regierung wolle behufs Hilfe- leistung für Sizilien sogar Latifundien ankaufen und diese unter die Bauern vertheilen. Um die Ungerechtigkeit zu beseitigen, die in den kommunalen Verwaltungen besonders im Steuérwesen begangen würden, werde er bei der Kammer die Schaffung einer Behörde beantragen, die speziell mit der Austheilung der Steuern betraut werden solle. Der Minister- Präsident bemerkte dann, gegen Cavallotti gewendet : Derjenige, welcher liebt, fürchtet auch; er (Crispi) liebe das Vaterland sehr, deswegen fürchte er, es bedroht zu schen. (Lebhafter Beifall.) Am Schluß seiner Rede hob der Minister- Präsident noch hervor, Jtalien ‘bedürfe der Konsolidierung und Festigung, dazu sei jedoch Zeit nothwendig. Er bitte das Haus, ihm in seinem Programm zu folgen. „Schließen wir uns enge an den König, das Symbol der Einheit an; er sei unser Hort! Jch sage dies heute, wie ih es 1864 gesagt habe; nur die Monarchie bezeichnet die Einheit und die Zukunft des Vaterlandes. (Sehr richtig.) Jn diesem Glauben, welcher der Glaube des Vaterlandes ist, müssen wir die Gefahren vermeiden, die innern und äußern Feinde be- kämpfen und Jtalien zu jener Größe erheben, die wir an- gestrebt haben und ohne welhe wir nicht bestehen könnten.“ (Langanhaltender, lebhafter Beifall.) Hierauf vertheidigte der Justiz-Minister die Geseßlichkeit und Verfassungsmäßigkeit des Belagerungszustandes, sowie die Einhaltung desselben und die Einseßung der Kriegsgerichte. Sodann wurde die Sißzung gesche.

Die Parlaments-Kommission beshloß gestern, in der Deputirtenkammer die Ermächtigung zur gerichtlichen Verfolgung des Deputirten De Felice-Giuffrida und die Aufrechterhaltung der Haft desselben zu be- antragen.

Der Gesetentwurf, den Crispi der Kammer wegen der Vollmachten für die Regierung zur Durchführung der Verwaltungsreform vorgelegt hat, besteht, dem „Hann. Cour.“ zufolge, aus drei Artikeln mit folgendem Wortlaut :

Art. 1. Zum Zwecke der Umgestaltung des Staatsdienstes, der Bereinfachung der Geschäfte, der Verminderung der Militär- und ZDivilbehörden und der Herabseßung der Kosten wird der König unter Berantwortlihkeit seiner Minister mit unumschränkter Vollmacht bis zum 31. Dezember des laufenden Jahres betraut,

Art. 2. Die Königliche Regierung wird bei der Durchführung der erwähnten Reformen von einer Kommission unterstüßt werden, welche aus fünf Senatoren, fünf Abgeordneten und fünf vom König ernannten Staatsbeamten bestehen wird.

Artikel 3. Bei der Wiedereröffnung des Parlaments im Januar 1895 wird die Königliche Regierung der Volfsvertretung Rechenschaft über den Gebrauch ablegen, welchen sie von der ihr dur das gegen- wärtige Geseß übertragenen Machtbefugniß gemacht hat.

Der Admiral Brin, der chemalige Minister des Aus- wärtigen, ist nah der „Köln. Ztg.“ an einem Herzleiden nicht unbedenklich erkrankt.

Spanien.

Jn Madrid eingetroffenen Nachrichten aus Melilla zu- folge haben die Kabylen am 25. Februar den Angriff auf die Fahrzeuge der spanischen Fischer erneuert, sodaß diese nach Melilla zurückkehren mußten.

Schweiz. Das schweizerische Generalstabsbureau hat nach der „Köln. Ztg.“ an die Bundesregierung eine Denkschrift gerichtet, worin es die Schaffung eines Luftschifferparks verlangt, der von r i g 37 Luftschiffern und 33 Mann Train bedient werden soll.

Türkei.

Der „Agence de Constantinople“ zufolge entbehren die Meldungen der Blätter über angeblihe Ruhestörungen im Hedshas und die Entsendung Osman Nuri Pascha’s dorthin jeglicher Begründung. Leßterer befinde sich auf seinem Gouverneurposten in Aleppo.

Rumänien.

Der deutshe Gesandte Graf Leyden wurde, wic „W. T. B.“ meldet, gestern vom König in Privataudienz empfangen und wird in der nächsten Woche sein Beglaubi- gungsschreiben überreichen. E j j

Die Kammer genehmigte in ihrer gestrigen Sißung mit 76 gegen 4 Stimmen den Auslieferungsvertrag mit England.

Schweden und Norwegen.

Der Reichstag hat, wie „W. T. B.“ aus Stockholm berichtet, gestern den Geseßentwurf angenommen, wodurch die Verfassung zan abgeändert wird, daß die Zahl der Mitglieder der Ersten Kammer auf 150, die der Zweiten Kammer auf 230 festgeseßt wird, von denen 150 auf dem Lande, 80 in ben Städten zu wählen sind. :

Der Erste Hof-Marschall Graf von Rosen ist gestern gestorben.

Amerika.

Nach einem in Montevideo verbreiteten Gerücht be- shössen die brasilianishen Jnsurgenten Sant os.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Schlußbericht über die gestrige Sizunç des Reichs - tags befindet sih in der Ersten Beilage.

Jn der heutigen 60. Sißung des Reichsta gs, welcher der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssekretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Marschall und

Dr. Graf von Posadowsky, der Königlih preußische

Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berleps ch und der Königlich preußishe Finanz-Minister Dr. Miquel beiwohnten, wurde die erste Berathung des Handels- und Schiffahrtsvertrags zwischen dem Neih und Nuß- land fortgeseßt, und zwar in Verbindung mit der Berathung des Antrags Kardorff wegen Erhebung von Zoll- zushlägen bei Val utadifferenzen.

Aba. Hartmann (südd. Volksp.) spricht als Vertreter des Klein- bauern' “und_ Bürgerstandes, ‘der in Württemberg hauptsächlich ver- treten sei, sih für den Handelsvertrag aus und nimmt für die BVBürger- und Bauern seines Wakhlkreises dasselbe Verständniß der eigenen Interessen in Anspruch, wie sie der Bund der Landwirthe und die antisemitische Reformpartei für sich in Anspru nehmen. Das Treiben des Bundes der Landwirthe finde bei den größeren Landwirthen Württembergs nur Widerspruch, wie eine Erklärung von Landwirthen bezeuge, an deren Spiße der Fürst von Hohenlohe-Langen- burg stehe. Die württembergischen Landwirthe haben nichts dagegen einzuwenden, daß ein Meistbegünstigungsvertrag au mit Rußland ab- eschlossen wird, nachdem solche mit anderen Staaten abgeschlossen nd. Dadurch werde der Weltmarktpreis nicht alteriert werden und die kleinen Landwirthe haben bei der Futternoth des leßten Jahres ge- sehen, wie nothwendig die fremde Einfuhr ist. Die süddeutshe Volks- partei wolle die Annahme des Handelsvertrags nicht von der Aufhebung der Staffeltarife abhängig machen, obwohl dieselben Ausnahmetarife sind und eine Schädigung Süddeutschlands herbeiführen können. Die Landwirthe in Württemberg und auch in anderen süddeutschen Staaten besißen nur kleine Grundstücke; sie können meist Getreide kaum ver- kaufen, das ift nur einigen Wenigen möglich und diesen allein käme der Schußzzoll zu gute. Daß die russishen Produkte uns über den Hals kommen würden, is \{chwerlich anzunehmen; die Landwirth- schaft wird einen besseren Absaß haben, wenn die Fabriken besser beschäftigt sind und die Arbeiter mehr verdienen. Besonders follte man aber bedenken, daß die Ermäßigung des Hopfen- zolles für die Einfuhr nah Nußland ein großer Vortheil für die Heinen Landwirthe ist, den man nit fo verächtlich von der Hand weisen follte, wie es der Abg. Luß gethan habe. Es soll nicht be- stritten werden, daß auch der württembergische Bauernstand unter dem Dru der Zeit leidet; aber da spielen andere Faktoren eine Nolle als die Handelsverträge, namentli die große Militärlast, welche die Arbeitskraft der jungen Leute zu lange Zeit der Wirthschaft ent- zieht. Auch das Branntweinsteuergeseß \hädigt die Landwirthe Süd- deutschlands, weil ihre Ausbeute bei der Branntweinbrennerei wegen ihrer einfahen Apparate so niedrig ist, daß sie eine Steuer nicht tragen können. Aenderungen auf diesem Gebiet sind viel noth- wendiger als die Doppelwährung und andere Dinge. Die Annahme des Handelsvertrags wird zur Stärkung des Friedens beitragen.

(Bei Schluß des Blattes hat der Abg. Graf von Kanig das Wort.)

Das Haus der Abgeordneten sehte in seiner heutigen 2%. Sißung, welcher der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse beiwohnte, die zweite Be- rathung des Staatshaushalts-Etats für 1894/95 bei dem Etat des Kultus-Ministeriums fort.

Die Einnahmen wurden ohne Debatte bewilligt.

Bei den dauernden Ausgaben, und zwar beim „Gehalt des Ministers“, beschwerte sich

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) über disparitätische Behandlung der Katholiken bei Beseßung der höheren Beamtenstellen und über das Geseß über die kirchliche Vermögensverwaltung, welches gegen den Willen der katholischen Kirhe gemacht sei. Der Geist aus der Kulturkampfzeit sei noch nit ganz ges{chwunden. Daher komme es auch, daß die Forderung der Katholiken bezüglich konfessioneller Kirch- hôfe nicht erfüllt werde. Wenn man auch behaupte, daß keine Dis- parität bestehe, die Katholiken fühlten fie doch. So habe eine Nieder- lassung von Diakonissinnen zehn Monate auf Bestätigung warten müssen. Aehnliche Klagen beständen über die Beauf- sichtigung der Vermögenêverwaltung der Orden. Eine ganze Reihe fatholisher Kirchen befänden sich noch in Hânden altfatholisher Gemeinden, die zehnmal \{wäher seien als die fatholischen Gemeinden an den betreffenden Orten. Auch der Etat ¿eige die Ungerechtigkeit gegen die katholische Kirche; die Gehaltssäße der evangelischen Pfarrer rechnen von der Ordination, die der katholishen Geistlihen erst vom Eintritt ins Pfarramt ab, der oft 10 bis 12 Jahre nah der Ordination erst erfolge. Allgemein seien die fatholishen Geistlihen geringer besoldet als die evangelischen. Bei allen anderen Beamten mache man im Wohnungsgeld- zuschu keinen Unterschied zwischen verheiratheten und unver- heiratheten, au nicht bei den Militär-Geistlichen, aber die übrigen, katholischen, Geistlihen bekämen einen geringeren Wobnungasaeldrufhns weil sie unverheirathet seien. Die Güter der katholischen Kirche seien fäkularisiert und befänden sih in den Händen des Staats; bei der evangelischen Kirche sei das niht annähernd in demselben Maße der Fall. Die Aufwendungen des Staats für die evangelische Kirche seien gewaltig gestiegen, für die katholishe nur um ganz geringe Summen. An Neuausgaben für ‘evangelishe Kirchenzwecke enthalte der Etat 44 990 4, für katholische nur über 2000 A Das Zentrum habe bereit- willigst die 10Millionen für den protestantischen Dombau bewilligt ( Zuruf im Zentrum': Leider!), das nit geringere Bedürfniß von katholischen Kirchen in Berlin werde nicht befriedigt. Und doch gehöre das zu den besten Mitteln gegen die Sozialdemokratie. Aus den Dispositions- fonds müsse die katholishe Kirhe mehr Zuwendungen fordern. Die tatholischen Missionspfarreien seien \{lechter besoldet als die Pfarreien der evangelishen Missionsvereine, obwohl beide denselben Charakter haben. Die Ausführung des Jesuitengeseßes durch preußische Organe entspreche nicht dem Geist dieses Gesetzes, wenn man fogar rein wissenschaftlihe Vorträge gegen den Sozialismus verbiete, nur weil die Vortragenden Jesuiten elen: Bei den Zuschüssen an Geist- liche für Badereisen frage man niht nah den Vermögensumständen, fondern der politischen Stellung des Betreffenden. Auf dem Unter- richtsgebiet herrsche dieselbe Disparität; wenigstens eine katholische Universität sollte man bewilligen; protestantishe Gymnasien und Schulen übernehme der Staat, fkatholishe niht. In katholischen Landestheilen, wie z. B. Westpreußen, vernachlässige man die Errich- tung neuer Volksschulen. Die evangelischen Geistlichen betraue man mit der Schulinspektion, den katholischen entziehe man fe: ja vielfach werde die Lokal-Schulinspektion über katholishe Schulen von evan- gelishen Geistlichen ausgeübt und in einem Fall von einem alt- Tatholisen Geistlichen. Kreis-Schulinspektoren im Nebenamt seien 845 evangelische Geistlihe, aber noch nit 50 katholishe. Könne es eine B Disparität geben? Die katholishen Geistlichen würden dieses Amt mit derselben Liebe und demselben Eifer verwalten wie die evangelischen. Bei den Regierungen fungiere nit cin einziger fkatholischer Regierungs-Rath für Schulangelegenheiten.

An den Kultus-Minister selbst hätten die Katholiken nihts auszusetzen, je kämen ihm mit Vertrauen entgegen, aber seine Beiräthe im inisterium für katholische Angelegenheiten müßten Katholiken sein. Redner giebt eine Uebersicht über die Beseßung der höheren Beamten- stellen in den überwiegend fatholishen Provinzen : Rheinprovinz, Westfalen, Schlesien, Posen, Westpreußen, zum Beweis, daß die fatholishen Beamten völlig unter der Zahl der evangeli- schen verschwänden. In Posen beginne die Vertretung des fatholishen Elements überhaupt ersst beim Kreissekretär. Eine solche Disparität sei nur ®araus zu erklären, daß die höchsten entscheidenden Behörden nur mit Protestanten beseßt seien ; aber es müsse Abhilfe geschaffen werden, die katholishe Kirche habe ein Recht, dies zu verlangen. Von der Regierung müsse man den f\taats- männischen Blick verlangen, daß fie die Nothwendigkeit einer Ver- tretung des katholischen Volksgeistes in der Regierung einsehe, denn das Vertrauen zwischen der Regierung und dem fatholishen Volk könne nur hierdurch hergestellt werden. Bei den Amtsrichtern finde man eine der tatholishen Bevölkerungszahl entsprehende Anzahl Katholiken, bei den Amtsgerichts-Räthen fei es hon anders, und je höher es hinauf- gehe, desto mehr verschwänden die Katholiken. Kein katholisher Shulmann könne höher aufsteigen als bis zum Regierungs-Rath, es gäbe keinen katho- lischen Dber-Regierungs-Nath im Schulfah. AU das könne nur ge- bessert werden, wenn die katholishe Abtheilung im Ministerium, die fich früher wohl bewährt habe, wieder errichtet werde. Die Katholiken seien gerade fo hingebend an den Staat, gerade fo patriotisch wie die Evangelischen. Beide feien darauf angewiesen, Hand in Hand zu gehen zum Besten des Vaterlandes. (Bei Schluß des Blattes fpriht der Staats - Minister D Boe)

Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderun g des Zolltarifgeseßes vom 15. Juli 1879 (Aufhebung des Identitätsnahweises), ist dem Rei chstag in folgender, vom Bundes- rath beschlossenen Form zugegangen :

Die Vorschriften in § 7 Ziffer 1, 3 und 4 des Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 (Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 24. Mai A Reichs-Gesetblatt S. 111) werden dur folgende Bestimmungen erleBt:

1) Bei der Ausfuhr von Weizen, Roggen, Hafer, Hülsenfrüchten und Gerste aus dem freien Verkehr des Zollinlands werden, wenn die ausgeführte Menge wenigstens 500 kg beträgt, auf Antrag des Waarenführers Bescheinigungen (Einfuhrscheine) ertheilt, welche den Inhaber berechtigen, innerhalb einer vom Bundesrath auf längstens ses Monate zu bemessenden Frist eine dem Zollwerth der Einfuhr- scheine entsprehende Menge der nämlichen Waarengattung ohne Zoll- entrihtung einzuführen. Äbfertigungen zur Ausfuhr mit dem Anspruch auf Ertheilung von Einfuhrscheinen finden nur bei den vom Bundes- rath zu bestimmenden Zollstellen statt.

_Für die vorbezeichneten Waaren, wenn sie ausshließlich zum Absaß in das Zollausland bestimmt sind, werden Transitlager ohne amtlichen Mitvershluß, in welchen die Behandlung und Umpackung der gelagerten Waaren uneingeschränkt und obne Anmeldung und die Mifchung derselben mit inländisher Waare zulässig ist, mit der Maß- gabe bewilligt, daß die zur Ausfuhr abgefertigten Waarenmengen, soweit sie den jeweiligen Lagerbestand an auéländisher Waare nicht überschreiten, von diesem Bestande abzuschreiben, im übrigen aber ais inländische Waaren zu behandeln sind.

Für Waaren der bezeihneten Art, welhe zum Absatz entweder in das Zollausland, oder in das Zollinland bestimmt sind, können solche Lager mit der ferneren Maßgabe bewilligt werden, daß die aus dem Lager zum Eingang in den freien Verkehr des Zollinlands ab- gefertigen Waarenmengen, f\oweit fie den jeweiligen Lagerbestand an inländischer Waare nit übersteigen, von diesem Bestande zollfrei ab- zuschreiben, im übrigen aber als ausländishe Waaren zu be- handeln sind.

Im Sinne der vorstehenden Bestimmungen steht die Aufnahme in eine öffentliche Niederlage oder in ein Transitlager unter amtlichem Mitverschluß der Ausfuhr gleich.

3) Den Inhabern von Mühlen oder Mälzereien wird für die Ausfuhr der von ihnen hergestellten Fabrikate cine Erleihterung dahin gewährt, daß ihnen der Eingangszoll für eine der Ausfuhr entsprechende Menge des zur Mühle oder Mälzerei gebrachten ausländischen Ge- treides nachgelassen wird. Der Ausfuhr der Fabrikate steht die Nieder- legung derselben in eine Zollniederlage unter amtlihem NVer- {luß gleich. Ueber das hierbei in Rechnung zu ftellende Ausbeute- verhältniß trifft der Bundesrath Bestimmung. Das zur Mühle oder Mälzerei zollamtlih abgefertigte ausländische, sowie auch sonstiges Getreide, welches in die der Steuerbehörde zur Lagerung des erst- bezeihneten Getreides angemeldeten Räume eingebracht ift, darf in unverarbeitetem Zustande nur mit Genehmigung der Steuerbehörde veräußert werden. Zuwiderhandlungen hiergegen werden mit einer Geldstrafe bis zu ein Tausend Mark geahndet.

Inhabern von Mühlen oder Mälzereien, welchen die vorbezeichnete Erleichterung gewährt is, werden bei der Ausfuhr ihrer Fabrikate Einfuhrscheine (Ziffer 1) über eine entsprechende Getreidemenge ertheilt, sofern sie diese Vergünstigung an Stelle des im Abs. 1 vorgesehenen Crlasses des Eingangszolls für eine der Ausfuhr entsprehende Menge zur Mühle oder Mälzerei gebrachten ausländishen Getreides be- antragen.

4) Die näheren Anordnungen, insbesondere in Bezug auf die Form der Einfuhrscheine, auf die Beschaffenheit (Mindestqualität) der mit dem Anspruh auf Ertheilung von Einfuhrscheinen aus- geführten Waaren und auf die an die Lagerinhaber zu stellenden Anforderungen, trifft der Bundesrath.

Derselbe ist ermächtigt, die Verwendung der Einfuhrsheine nah Maßgabe ihres Zollwerths au zur Begleihung von Zollgefällen für andere als die in Ziffer 1 genannten Waaren unter den von ihm festzuseßenden Bedingungen zu gestatten. S

Dieses Gesetz tritt am 1894 in Kraft.

Die X. Kommission des Reichstags hat den von der Re- gierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung des § 41 der Konkursordnung, in unveränderter Form ange- nommen.

Kunst und Wissenschaft.

Der „Verein bildender Künstler Münchens*, welcher jeßt den kürzeren Titel „Sezession München“ angenommen hat, veranstaltet im laufenden Jahre feine 11. Internationale Kunst- ausftellung. Diese findet wiederum in dem Ausftellungspalast des Vereins, an der Prinz-Regentenstraße in München statt ; fie wird am 1. Juni eröffnet und Ende Oktober geschlossen werden. Die An- meldung der Kunstwerke hat in zwei gleichlautenden Exemplaren bis 1. Mai an das Bureau des Vereins zu erfolgen. Die Einlieferung muß spätestens am 15. Mai bewirkt sein. Zugelassen sind Werke lebender Künstler aller Länder aus dem Gebiete der Malerei und Vildhauerei. Ein gleichzeitiges Ausftellen von Kunstwerken in einer anderen Münchener Kunstausstellung is jedoch unstatthaft. Aus dem Gebiet der zeihnenden Künstler kônnen nur Originalwerke zugelassen werden. Ausgeschlossen bleiben mit Rücksicht auf den vor- handenen Raum architektonishe Pläne und Ansichten ; ferner Kopien, anonyme Arbeiten und solche Kunstwerke, welhe bereits auf einer Münchener Jahres- oder internationalen Ausstellung figuriert haben. Von jedem Künstler können, vorbehaltlich besonderer Verein- barung, nur zwei Werke gleiher Gattung ausgestellt werden. Die über die Aufnahme beschließende Jury besteht aus dem Ausschuß des Vereins, der zur Placierung der g hn cine Kommission ernennen wird. Der Ausshuß seßt ih folgendermaßen zusammen: 1. Vorstand: Bruno Piglhein, 11. Vorstand: Hugo Freiherr von Habermann, Schriftfülrer: Paul Höcker; Mitglieder: Ludwig Dill,

Albert Keller, Wilheltn Keller-Reutlingen, Gotthard Kuehl, Arthur Langhammer, Franz Stuck, Friß von Uhde, Heinrich Zügel, Bernhard Buttersack, Ludwig Herterih, A We a ureau - Chef : Königlicher wirkliher Rath Adolf Paulus. Alle näheren Be- dingungen sind aus dem vom „Bureau Sezession*, München, Tun Sa, erbältlihen Programm zu ersehen. Wie es in der Einladung heißt, will die „Sezession* jedes Jahr auf ihrer internationalen Ausstellung ein Bild der jeweiligen Höhe der Kunst in allen Ländern geben und „nur das Beste vorfilöres was von zeitgenöfsishen Künstlern geshaffen wird“. Denn das Interesse Des Tunstsinnigen und kaufenden Publikums könne nur dadurch rege erbalten werden, daß ihm ausgereifte und eigenartige Kunstwerke geboten werden. Auf der vorjährigen Ausstellung, welche 883 Nummern umfaßte, sind von den 724 verkäuflihen Werken 146, also beinahe der fünfte Theil verkauft worden. Von dem alten Brauh der Ver- Teibung von Medaillen hat der Verein infolge zahlreicher Kund- gebungen einheimisher und fremder Mitglieder abgesehen. Außer Der oben angekündigten TI. internationalen Sommer-Ausstellung ver- anstaltet die Sezession vom 15. März bis Ende April noŸ eine Saale - Ausstellung 1894 (ohne Frachtfreiheit). Diese ist

efonders für die Münchener Mitglieder bestimmt, um ihnen Gelegen- beit zu geben, solhe Werke, welhe niht für die Sommer-Ausstellung bestimmt sind oder nach auswärts gesandt werden, vorher in München auszustellen. Es können aber au alle anderen Mitglieder daran theilnebmen, weldhe gewillt sind, die Frachtkosten und sonstige Spesen für thre Werke selbst zu tragen.

Theater und Musik.

Königliches Schauspielhaus.

Das kleine Lustspiel „Sie is stumm" von F. Silesius (G. Kruse), das gestern zuîn ersten Mal aufgeführt wurde, begegnete bei den Zuschauern einer recht beifälligen Aufnahme. Es handelt si in dem harmlosen kleinen Stück um einen unbedeutenden Streit zwischen ¿wei jungen Eheleuten, den der Verfaffer scenish gesickt, wenn au obne besondere Originalität, verarbeitet hat. Die junge Frau will nämli ihren Mann von der {chlechten Meinung heilen, die er über Das ganze weiblihe Geshlecht nah seinen gelegentlichen Bemerkungen befißen muß; namentli will fie ihn dadur, daß sie selbst aht Ta elang nicht \prechen wird, davon überzeugen, daß die Nrauen nicht shwaßhasft sind. Es ergeben si dann durch die unvermuthete Ankunft der Schwiegereltern allerhand kleine Mißverständnisse, da die Magd diejunge Frau für „stumm“ Hält ; aber natürli [öft sich \{ließlich alles glücklich und lustig auf. Gefspielt wurde von allen Mitwirkenden vortreflih. Fräulein von MVèavybursg erfreute als die junge Frau durch die Frische und Anmuth ibres Wefens und spielte die begeisterte Vertheidigerin ihres Gefschlehts sehr geshickt. Fräulein Abih gab ein ländliches Stubenmädcen fehr gefällig und natürlih. Frau Schramm hatte als Schwiegermutter einige sehr komishe Worte und Augenblicke. Von den Herren zeichnete sih als junger Ehegatte Herr Arndt und als sein unverheiratheter Freund Herr Herter durch launiges Spiel aus.

Lessing-Theater.

Oscar Blumenthal's Lustspiel „Die große Glocke* hat sich gestern bei der Wiederaufnahme in den Spielplan ebenso unter- baltend und wirkungsvoll gezeigt wie früher. Das Lustspiel ist zwar nicht Träger hohwichtiger Probleme: no dringt es mit seiner Handlung in die Tiefen des Menschenherzens, aber als gesellschaftliche Satire betrachtet, die über die Shwächen und kleinen Intriguen der sogenannten Gesellschaft lächelnd spottet, fann es einen gewissen literarischen

erth nicht verlieren und wird dauernd feine Wirkung üben. Den heftigen Wettkampf der beiden Frauen, von denen jede ihren Shüßling als Sieger aus der Preisbewerbung hervorgehen feben mödte, hat der Dichter aus der nie versiegenden Quelle iee Jronie und des treffenden Syottes mit fröhlichen Scherzen und scharfen Witen reihlich ausgestattet und dabei noh so viele kleine unterhaltende Nebenintriguen eingefügt, daß das Lustspiel die i \chauer bei bester Laune und behaglichster Stimmung erhält. Mit der Darstellung konnte man zumeist zufrieden sein. Denn wenn Fräulein Jordan in der Nolle der streitbaren Frau Konsul Gunder- mann den Ansprühen an Vornehmheit des Wesens und Schärfe des Vortrags, die man an eine solche gesellshaftlich einflußreihe Dante \tellen muß, nit voll entsprah, so war dagegen Fräulein Reisen- b ofer als ihre Gegnerin, Baronin von Solden, ganz vorzüglich. Frau von Pöllntß strahlte im ersten Akt in rührender, glüdseliger Mutterliebê. Die kleinen, koketten Künste Elly's, der zweiten Konsuls- tochter, wurden durch Fräulein Elsinger?s liebenswürdiges Spiel fast zu anmuthig für des Dichters Absichten dargestellt. Bei Fräulein Waldegg (Ottilie) kommt die echte Natur noch nicht immer zu ibrem Recht. Von den Leistungen der Herren sind besonders die der Herren Guthery und Schönfeld hervorzuheben; der erstere gab wie fo oft einen harmlosen, etwas einfältigen Pantoffelhelden, den Konful Gundermann, und der zweite einen kecken fröhlichen Künstler und Liebhaber mit gutem Erfolge. Herrn Prechtler, der den zweiten Liebhaber, Eberhard Wilfried, spielte, fehlt es an Wärme und Beseelung des Tons und Freiheit der Bewegungen. In der INolle eines altlihen Zeiners, des Martin Murner, leistete Herr Vorwerk Tüchtiges.

Konzerte.

Eine junge, sehr begabte Altistin Fräulein Margarethe Du gge ließ sich am Montag zum ersten Mal im Saal Bechstein mit Liedern von Löwe, Schumann, Brahms, Bungert, Hildach, Schubert und Rubinstein hören. Jhre gut geschulte, in der Tiefe befonders wohlflingende Stimme, sowie die eingehende und belebte Art des Vortrags brachten die Lieder ganz vortrefflih zur Geltung. Die vollkommene Reinheit der Intonation und die Deutlichkeit der Aussprache sind noch außerdem lobend hervorzuheben. Schubert's „Doppelgänger“, Löwe's „Uhr“, „Fluthenreicher Ebro“ und „An den Sonnenschein“ von Schumann, „Die Asra“ von Rubinstein und die «Kartenlegerin* vôn Schumann, welches leßtere Lied auf Wunsch wieder- holt wrourde, erweckten besonderen Beifall im Publikum. Der stets gern zehörte Pianist Herr Felix Dreyschock unterstüßte das Konzert durh einige fehr gelungene Klaviervorträge, die gleichfalls wohlverdiente Anerkennung fanden.

Das Konzert, welches Herr Tor Aulin (Violine) und ek Wilhelm Stenhammar (Klavier), beide aus Stockholm, vorgestern im Saal Bechstein veranstalteten, war sowohl dur eine Anzahl werthvoller, hier noch unbekannter Werke der Kammermusik, wie auch durch deren vortrefflihe Ausführung von hohem Interesse. Ein Trio für Klavier, Violine und Cello von dem s{wedischen Komponisten Franz Berwald (geb. 1796), ein sehr klares und ftilvoll

ebhaltenes Werk, eröffnete den Abend; ihm folgte eine Sonate für Violine „Le tombeau“ betitelt, von dem französischen Komponisten Leclaire (geboren 1697), ein ernstes Werk, das an den Stil Bach's erinnert. Die dritte, in freierem und romantischem Stil gehaltene Komposition, eine Violinsonate, war von Emil Sjögren, einem Schweden. An der Ausführung der Werke nahmen die Konzert- geber unter Mitwirkung des Hof-Cellisten Herrn Heinrih Grün- feld theil. Der Pianist erfreute außerdem dur den gediegenen Vor- trag der Bach’schen Toccata . (D-dur). Den gesanglihen Theil des Konzerts hatte die Altistin Frau Davida Afzelius übernommen, welche mit fehr starker, in der Tiefe jedoh_etwas rauh klingender Stimme Lieder in shwedischer und deutscher Sprache sang und ierin gleich ihren Kunstgenofsen lebhaften Beifall errang. Das Publikum war leider nicht fehr zahlrei erschienen. a i

Zum Besten der Amerikanishen Kirche fand gestern in der Sringakademie ein Konzert B zu welchem sih die Hof- Opernfängerin Fräulein Marie Deppe und die Professoren Emanuel Wirth (Violine) und Ernft Jedliczka vereinigk hatten. Die beiden Herren- begannen mit der Es-dur - Sonate für Piano und Violine von Beethoven, die sie mit musterhafter Präzision und feinfinniger Auffassung ausführten. Außerdem erfreute noch än