1894 / 54 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 03 Mar 1894 18:00:01 GMT) scan diff

__, Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General- Lieutenant von Spitz: Bis f t Find Anträge der Kommando- behörden oder der Feldpröpste auf Vermehrung der Militärgeistlichkeit niht abgelehnt worden. Die erwähnte Härte für die in ein Zivilamt übertretenden Geistlichen besteht allerdings: ihre Abstellung auf dem Verwaltungswege- hat sih als undurchführbar erwiesen. Doch haben die Geistlihen durch die Bildung einer Genossenschaft eine be- E: Lösung angebahnt.

ah einer kurzen Erwiderung des Abg. Schall wird das Kapitel bewilligt, und um 51/2 Uhr die Fortseßung der Berathung auf Sonnabend 2 Uhr vertagt.

Nr. 9 der „Veröffentlihungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts“ vom 28. Februar hat folgenden Inhalt : Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten (Cholera, In- fluenza u. |. w.). Zeitweilige Maßregeln gegen Cholera 2c. Gesetzgebung u. \. w. (Sachsen). Einfuhr von Nutz- und Zucht- rindern. (Baden). Typhus. (Bremen). Desinfektion bei an- steckenden Krankheiten. (Oesterreich). Einsendung von Wasser- roben. (Deutsch-Ostafrika). Quarantäne-Ordnung. Gang der hierseuhen im Deutschen Reih, Januar. Desgl. in Groß- britannien, 1. Oktober bis 30. Dezember. Desgl. in Norwegen, viertes Vierteljahr. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen.

Deutsches Reih Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Elsaß-

‘othrigen Preuß. Reg.-Bez. Aachen, Trier, Lübeck, Niederlande). Rechtsprehung. (Landgericht Lissa). Thierheilmittel. Ver- handlungen von gesegebenden Körperschaften, Vereinen, Kongressen U. st. w. XI. internationaler medizinisher Kongreß. (Preußen). Staatshaushaltê-Etat 1894/95. Vermischtes. (Deutsches Reich Oesterrei, Ungarn). An der Grenze wohnhafte Medizinalpersonen. (Oesterreih. Wien). Wohnverhältnisse nah der YWBolkszählung von 1890. Geschenkliste. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Städten mit 40000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutschen Stadt- und Landbezirken. Witterung.

N 9 des ,Zentralblatts der Bauverroaltung“, herausgegeben im Ministerium der öffentlihen Ar- beiten, vom 3. März hat folgenden Znhalt: Gutachten der Akademie des Bauwesens, betreffend den Entwurf zur Westfront des Domes in Meß. Nichtamtliches: Die Preisbewerbung um Entwürfe für ein Rathhaus in Elberfeld. TI1, Seibt’she Schlauchwage für Brüen- prüfungen. Wettbewerb für ein städtisches Amtshaus in Nürnberg. Verstärkte Bauart von Sinkstücken. Vermischtes: Eröffnung der Linie Carácas—Valencia. CEhrenbezeugung. Evangelische Kirche in Usedom. Hauptversammlung des Vereins deutscher e Palritanten, Lorenz Ritter'ss NRadierung „Nürn- erg vom Marktplaß aus“. Neue Patente.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Veranlaßt ein Geschäftsvermittler seinen Auftraggeber dur die betrüglihe Borspiegelung, daß er von seiner Provision an andere Personen, welche auf das Zustandekommen des Geschäfts einen Einfluß ausüben können, abgeben müsse oder durch die Vorspiegelung, daß dem Zustandekommen des Geschäfts noch Schwierigkeiten entgegenstehen, zu dem Versprechen einer erhöhten Provision, so if, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, VI. Civilfenats, vom 23. November 1893, im Gebiete des Preußischen Allgemeinen Landrechts dieses Versprechen wegen Betrugs anfechtbar.

Die dem vertragsmäßig als Le iter der Filiale einer Aktiengesellschaft Angestellten von der Aktiengesellschaft ertheilte Vollmacht zur Geschäftsführung ist, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, 1. Civilsenats, vom 25. November 1893, zu jeder Zeit widerruflich und eine diese Widerruflichkeit autshließende Vereinbarung ist unverbindlih, unbeschadet des Entshädigungsanspruchs des EGntlassenen aus dem Vertrage.

Entscheidungen des Königlichen Ober-Verwaltungs- gerichts.

Erhebt in Preußen die vorgeseßte Provinzial- oder Zentral- behörde bei gerihtlihen Verfolgungen von Beamten wegen Amtsvergehen den Konflikt, weil sie glaubt, daß die Belastungs- zeugen unglaubwürdig seien und dem Beamten eine Ueberschreitung seiner Amtsbefugnisse nicht zur Last falle, so gehört nah einem Urtheil des Ober-Verwaltungsgerichts, 1. Senats, vom 9. Dezember 1893, die Prüfung der Beweisfrage mit zur Zuständigkeit des zur Entscheidung über den Konflikt berufenen Ober-Verrzaltungsgerichts. „Zweifellos hat sih der Angeschuldigte bei der ihm zur Last gelegten

andlung in Ausübung feines Amts befunden ; die Handlung selbst würde

ch, wenn erwiesen, als eine nah § 340 Strafgeseßbuchs strafbare und daher als Amtsübertretung darstellen. Daß die Prüfung der Beweis- frage mit zur Zuständigkeit des zur Entscheidung über den Konflikt E aften Richters gehört, ist niht minder zweifellos. Gegenüber der Fassung des Geseßes § 1 des Geseßes vom 13. Februar 1854 in

erbindung mit § 11 des Einführungsgeseßes zum Gerichtsverfassungs- geseß, wonah die Behörde den Konflikt zu erheben hat, falls sie glaubt, daß dem Beamten eine Ueberschreitung feiner Amtsbefugnisse nicht zur Last fällt entbehrt die entge iftehenve Auffassung des Staatsanwalts (welcher den Konflikt nicht für begründet erachtet, weil es lediglih Sache des Gerichts sei, festzustellen, ob der Beweis der Anklage gegen den Angeschuldigten geführt sei oder niht, und der Konflikt durch Anfehtung der Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht be- gründet werden könne) der Begründung.“

Einer Hebamme, welche, den obrigkeitlihen Vorschriften für die Hebammen zur Verhütung des Kindbettfiebers zuwiderhandelnd, Gesundheit und Leben der ihr anvertrauten Personen gefährdet, kann, nach einem Urtheil des Ober-Verwaltungsgerihts, 111. Senats, vom 16. Oktober 1893, die Genehmigung zur weiteren Ausübung des Hebammenberufs entzogen werden. In dem zum Grunde liegen- den Falle hatte eine Hebamme eine von ihr entbundene Frau, welche an Kindbeltfieber erkrankt war, gepflegt und während dieser Zeit ent- gegen der Anweisung des Kultus-Ministers vom 22. November 1888 die Entbindung einer anderen Wöchnerin vorgenommen. ODiese erkrankte ebenfalls an Kindbettfieber und starb vier Tage nah der Entbindung. Dem Klageantrage des zuständigen Amts- vorstehers auf Zurücknahme des Prüfungszeugnisses entsprach der Bezirksausshuß, und auf die Berufung der Beklagten bestätigte das Ober-Verwaltungsgeriht die Entscheidung des Bezirksausscusses, in- dem es begründend ausführte: „Die Vorschriften der Anweisung vom 22. November 1888, die den Zweck verfolgen, die sich aus der Ver- breitung des Wochenbettfiebers ergebenden chweren Kalamitäten mög- lichst zu beschränken und insbesondere zu verhüten, daß die Krankheit durch die Hebamme von einer Wöchnerin auf die andere übertragen werde, sind solche, deren Beobachtung unerläßlich is. Durch ihre Nichterfüllung beweist eine Hebamme, daß sie einer der bei Ertheilung des Prüfungszeugnisses vorauêsgeseßten Eigenschaften, der Berufstreue, ermangelt und kein Bedenken trägt, Gesundheit und Leben der ihr anvertrauten Personen zu gefährden . . .“

Kunst und Wissenschaft.

Ai dex SRuno des Vereins für deutsches Kunst- ewerbe am ittwoch Abend fsprach Herr Protenor Julius essing über das amerikanische Kunstgewerbe mit besonderer Beziehung auf die zur Zeit im Königlichen Kunstgewerbe-Museum veranstaltete Ausstellung. Redner schilderte eingehend, wie in Amerika

die Lebensgewohnheiten und die Einrihtungen des Hauses auf die

Formen der Geräthe bestimmend einwirkten. Für gewisse Aufgaben sei

die Nachahmung der älteren europäischen Stilarten Mode, aber die

eigentlihen Gebrauhsmöbel und Geräthe, die Stühle, Tische und eleftrishen Beleuchtungskörper, würden unabhängig von den historischen

Stilarten wesentlih aus dem Gebrauch heraus konstruiert und könnten

durch diese Unabhängigkeit in mancher Hinsicht au für unser Schaffen

anregende Gedanken bieten. Als besonders hervorragend hob der

Redner die mannigfaltige und eigenartige Bearbeitung farbiger Gläser

zu Geräthen für den Gebrauch und für dekorative Zwecke Aotvor:

Ein Antrag auf Besprehung des gewerblihen Sonntagsunterrihts

wurde bis zur nächsten Sitzung verschoben.

44 Die Thâtigkeit des Provinzial-Museums in Trier war im Jahre 1893 vornehmlih der Fortsezung der Ausgrabung vorgeschichtlicher Grabhügel bei Hermeskeil (Hochwald) und der Untersuchung der römischen Stadtbefestigung von Trier gewidmet. Nachdem die Untersuhung der Grabhügel an der Straße von Hermeskeil nach Nonnweiler beendet war und wichtige Ergänzungen der Ausgrabungen des Vorjahres geliefert hatte, wurde eine große Hügelgruppe in Angriff genommen, welche etwa eine halbe Stunde nördlich von Hermeskeil in einem Buchenwalde liegt. Daselbst fesselten insbesondere zwei mächtige Hügel das Interesse, bei denen si bald herausstellte, daß sie der Neugier oder Habsucht früherer Jahre niht entgangen waren, sie waren nämlich beide trihterförmig von oben angebohrt worden, und dabei mögen die besten Fundstücke entfernt worden sein, aber in beiden hatten die früheren Schatzgräber doch noch wichtige Reste der Grabbeigaben übrig gelassen. Eiserne Schwerter, eines mit Bronzescheide, Bronze- zierrathen vom Wehrgehänge, eiserne Dolche und Lanzenspitzen

sowie Gefäße konnten beiden Hügeln entnommen werden. Ein

verzierte Bronze- armringe, drei Thongefäße, verschiedene Eisenwaffen und eine blauweiße Perle. Diese Fundstücke gehören, wie die früher genannten, sämmtli der sog. La Tène-Zeit an. Ueber- rashend waren zwei Hügel, welche nach ihrem Inhalt der älteren Halstatt-Zeit angehören dürften. Der eine enthielt ein Brandgrab, bestehend aus der Urne mit Knochen und Kohlen. Außerdem lag in der Urne ein Napf und ein zierlihes Töpfchen mit zwei durch- bohrten Ohren und einem Deckelchen. Neben der Urne stand eine zweite ohne Inhalt. Der andere Hügel umschloß ein reich ausgestattetes Bestattungsgrah. In eingetiefter , zum theil mit Steinen umstellter Bettung hatte der bis auf wenige Reste verschwundene Leichnam mit dem Kopfe nach NO gelegen. Zu Häupten stand eine verzierte Urne und ein Napf. Auf der Brust lagen zwei große Bronzereifen mit wechselnder Torsion, den Hals s{hmüdckte ein mit Ringen, Bukeln und einem Bronzekettchen reih verzierter Bronzereif. Sieben verzierte Bronzeringe s{mückten einst jeden Arm der Leiche. Jn geringer Tiefe fand si in demselben Hügel ein eiserner Hohlkelt. Bei der Untersuchung eines anderen in dem Staatswalde bei Hermeskeil gelegenen Hügels wurden zwet ver- zierte Urnen der La Tène-Seit entnommen. Im ganzen lieferte die dortige Grabung 26 Thongefäße, 25 Bronzeringe, 2 Schwerter, 8 Dolche oder Messer, 4 Lanzenspißen, eine Früh - a Tène-Fibel, E blauweiße Perle sowie Eisen- und Bronzereste von Gefäßen zu Tage.

Auch die Untersuhung der römishen Stadtmauer von Trier war von Glück begünstigt. Es wurde der Anschluß der Süd- mauer an die Westmauer gefunden. Ein mächtiger Thurm hat einst das Ende der Südmauer nahe der Mosel gekennzeichnet, in sumpfem Winkel geht allmählich die Mauer in die Richtung über, welche ihr die Mosel im Westen vorschreibt. An dieser Stelle der römischen Stadt wurde eine ausgedehnte römische Töpferei entdeckt, welche dicht an der Südmauer auf der Stadtseite liegt. Es wurden zehn Töpferöfen frei- gelegt, welhe mit Ausnahme von dreien, deren Grundform gerundet ist, eine rehteckdige Form haben. Sie sind aus Backsteinen ziemlich roh aufgemauert, der Feuerraum war mit Backsteinen in Keilform überwölbt, bei den breiteren Oefen ist er durch eine oder zwei Mittel- mauern getheilt, welche als Stüßmauern für die Gewölbe dienten. Die leßteren waren auf der Oberfläche geebnet und mit zahlreichen Löchern versehen, welhe dazu dienten, die Hiße in den eigentlichen Ofen, wo die Gefäße gebrannt wurden, zu führen; dieser war aus Baksteinen aufgemauert, is aber überall nur noch in geringer Höhe erhalten. Die Gewölbe über dem Feuerraum der Brennöfen waren meist eingestürzt, nur bei drei Oefen war noch theilweise Ueberwölbung vorhanden. Die Feuerkanäle waren fast überall noch vortrefflich erhalten. Sie waren aus Bakstein roh gewölbt. Die Längsachse von fünf Oefen hat südnördlihe Nichtung, die Heizöffnungen ihrer Feuerkanäle liegen im Süden, vier der- selben kaum 1 m von der Stadtmauer entfernt. Die übrigen Defen waren von West - nah Oft gerichtet. Im Often der Töpferei fand sih die Heizung eines Ziegelofens, zum theil dur eine später, aber noch in römischer Zeit hineingelegte Kalkgrube zerstört. Die Kalkgrube war angefüllt mit Kalkbroen, theils in un- gelöshtem, theils in gelöshtem Zustande, darunter fanden sich viele Scherben und Stücke bemalten Wandbewurfs, zum theil mit sehr hübschen a Darstellungen und Pflanzenornamenten. Diese leßteren Reste ließen auf in der Nähe befindliche Wohnräume \chlicßen, von welchen sich thatsählich auch Neste vorfanden. Die reich- lichen Einzelfunde weisen für die Gründung der Fabrik quf eine sehr frühe Zeit. Nicht nur, daß unter den Scherben- massen, welhe rings um die Töpferei und in den Oefen zerstreut lagen, die älteren Typen sehr stark vertreten find, der Zufall hat noch bestimmtere Anhaltspunkte in die Hand geliefert. Die beiden Feuerungsräume eines der zweitheiligen Oefen waren nämlih noch bis oben voll gefüllt mit etwa fünfzig großentheils wohl erhaltenen gebrannten Gefäßen. Es sind zum großen Theil ziemlich roh geformte Töpfe mit wulstigem Rand. Daneben fanden fih eine Neihe von jenen gelblihen einhenkeligen Krügen, wie sie in Brand- gräbern des ersten und zweiten Jahrhunderts vorkommen. Endlich auch Gefäße in Urnenform mit jenen eingeglätteten, noch der La Tène- Technik entnommenen Strichverzierungen, wie sie die römischen Grab- gesche aus Augustei’scher Zeit zeigen. Nebenbei fanden sih auch die Reste zweier Tb oliiaBten, wie sie au fonst in römischen Töpfereien gefunden worden sind. Auch zwei Mittelerze, eines von Vespasian und eines von Hadrian (vom Jahre 118 n. Chr., in einem der Oefen gefunden) können jenen Zeitanfaß bestätigen. Auch einer der nördlicher gelegenen Oefen enthielt frühe Waare, nämlich Scherben von jenen graushwarzen und röthlihgelben flachen Tellern, welhe den Stempel theils in der Mitte, theils irgendwo seitwärts auf der Bodenfläche tragen, wie in ganz derselben Form und Technik solche Teller in Gräbern des ersten Jahrhunderts gefunden werden. Anders ge- staltet sih die Sache bei einem anderen der nördlicher gelegenen Oefen, dem größten bisher gefundenen. Er war von Schutt- massen von Backsteinen und gebrannten Lehrabrocken ausgefüllt, welche von seinem eingestürzten Oberbau herrührten. Treppenförmige Gewölbewiderlager verstärkten die Längsseiten seines Feuerraums. Und in seiner nähsten Umgebung fanden sich massenhaft Scherben von allerlei feinerer Thonwaare des dritten Jahrhunderts, namentli von den feinen \{chwarzen Trinkbechern und Krügen, auf welchen mit weißem flüssigen Thon Verzierungen und Trinksprüchhe (en barbotine) auf- getropft sind.

Im Anschluß an die Untersuhung der Stadtmauer an jener Stelle wurde etwa 100 m moselaufwärts an einer den Leinpfad be- grenzenden Böschung eine Stelle aufgegraben, an der sih Spuren eines römischen" Mauerwerks {hon vor langer Zeit gefunden hatten. Es - wurde daselbst eine ziemlich wohlerhaltene römische Grah- kammer entdeckt. Dieselbe \tellt sih dar als ein rechteckiger Naum von 3,14 : 2,72 m liter Weite und etwas über 2 m Höhe. Die Dicke

benachbarter kleinerer Hügel lieferte vier

der Mauern wechselt zwishen 63 ‘und 88 cm. Das Bauwerk war mit einem Tonnengewölbe überdeckt, welches großentheils ein- gestürzt ist. Das Material ist rother Sandstein, nah außen war es mit Kalksteinen verkleidet. Boden und Wände im Junern find mit einem forgfältig geglätteten Verpuß überzogen, der aus Kalkmörtel mit feinem Ziegelzusay besteht. Die Rückwand steht noch fast in ganzer Höhe, die Vorderwand, welche vermuthlih den Eingang enthielt, ist nur noch 50 cm hoch erhalten. Jn den Seitenwänden sind je zwei Nischen mit halbkreisförmigem Grundriß und bogenförmigem oberen Abschluß angebracht. Die aen der Wände gegen einander und gegen den Boden find mit einem Viertelrundstab versehen, wie er von römischen Wasserbauten her bekannt ist. Als der Estrich durhg-\hlagen wurde, fanden sih unter dem Boden die Gebeine von drei Leichnamen, welche mit dem Gewölbe in keinem Zusammenhang standen. Dasselbe war vielmehr wohl zufällig über älteren rômishen Skelettgräbern er- richtet worden. Dieser Umstand weist für die zeitlihe Feststellung des Bauwerks in verhältnißmäßig späte Zeit. Auch die Herstellung des Estrihs mit starkem Ziegelbrockenzusaß und des Wandverputzes ist diejenige, welche bei den Peliaen Bauwerken der Konstantinischen Zeit (Thermen, Kaiserpalast) beobachtet wurde.

Land- und Forstwirthschaft.

h Weinernte.

Von der Mosel wird geschrieben: Der Ertrag der Weinberge hat die im Herbste gehegten guten Erwartungen niht nur erfüllt, sondern stellenweise sogar übertroffen, indem der Weinstock eine außer- ordentlihe Menge von Trauben lieferte. Leßtere waren besonders dünnschalig und saftreih und hatten ein sehr hohes Mosftgewicht, welches in den besseren und besten Lagen 100 Grad Oechsle zum theil nicht unerheblih überstieg. Die Güte des Wachsthums wird, wiewohl auch jeßt ein endgültiges Urtheil noch nicht abgegeben werden fann, als eine vorzüglihe zu bezeihnen sein und meistens diejenige des 1892 er übertreffen, sodaß der 1893 er wohl zu den besten Jahrgängen zu rechnen sein wird. Der Stand des Weinstocks ist ein guter, da das Tragholz ausgewachsen und vollständig zur Reife gelangt ist.

Saatenstand in Rußland.

Ueber den Stand der Wintersaaten zu Ende Januar gehen uns aus einzelnen Gouvernements folgende Nachrichten zu (vergl. au „Reichs-Anz.“ vom 13. v. M.):

In Kur- und Livland dürfte der anfangs Januar herrschende Frost auf den Stand der Wintersaaten stellenweise einen ungünstigen Einfluß ausgeübt haben. Jn den Gouvernements Wilna, Kowno und Grodno ist der Frost bei ungenügender Schneedecke eingetreten ; wieweit dadurh Schaden verursaht worden ist, wird fich indessen erst im Frühjahr beurtheilen lassen. In Finland scheint der Frost weniger geschadet zu haben, als man anfangs annahm.

Aus dem Südwestgebiet lauten die Nachrichten wenig günstig. Dort hat die bis Mitte Januar anhaltende strenge Kälte bei nur geringer Schneedecke in den meisten Gegenden den Saaten erbeb- lichen Schaden zugefügt. Raps foll zum theil ganz zu Grunde ge- gangen fein. Am wenigsten hatten noch die Kreise Berditschewo, Lipowez und Swenigorodka des Gouvernements Kiew und die [üd- lien Theile von Podolien gelitten. Ende Januar trat wärmereés Wetter ein, wodur die Gefahr des Ausfrierens vermehrt wurde, da nun auch die schwahe Schneedecke vershwunden ist.

Auch im Süden Rußlands gab der Stand der Wintersaaten ne Mangels an Schnee bei starken Frösten zu Befürchtungen Anlaß.

_In Zentral-Nußland is der Winter bisher ungemein milde ge- wesen, und es is wenig Schnee gefallen; diese Umstände Fönnten, wenn sie andauern sollten, die diesjährige Ernte ungünstig beeinflufsen. Eine besondere Veranlassung zu Besorgnissen liegt indeß noch nicht vor, die Landwirthe halten die Aussichten eher für günstig.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absper rungs- ; Maßregeln.

Cholera.

S t. Petersburg, 2. März. Sämmtliche Gouvernements und Gebiete des Neichs, mit Auënahme der Gouvernements Wol hynien, Kowno, Plotk und Tschnernigow, werden, wie „W. T. B.“ berichtet, für frei von asiatisher Cholera erflärt.

Verdingungen im Auslande.

Niederlande.

Bis zum 14. März. Hollandsche Yzeren Spoorwcg Maat- schappy im Dienstgebäude am Droogbak zu Amsterdam:

Loos Nr. 585: Lieferung von 3000 bis 6000 Eifenbahnschienen bon Martin- oder Bessemerstahl während der Jahre 1894, 1895, 1896.

Bedingungen erhältlich für 1 Fl. an oben bezeihnetem Orte.

17. März, 114 Uhr: Bargoemooster en wethouders der Ge- meinde Arnheim zu Arnheim.

Bau einer Handwerkss{hule und einer Abendshule für Hand- werker, nebst Direktor- und Portier-Wohnung. Schäßung 100000 Fl.

Anweisung im Nathhause 7. März um 14 Uhr. Ebenda vorber Information zu erhalten, Es N 10 bis 12 Uhr und 2 bis 4 Uhr.

Belgien. |

9. März, 12 Uhr. Provinzial. Gouvernement in Mons: Liefe- rung des Mobiliars für 2 neue Klassen zur Vervollständigung der alten Schulen erster Ordnung und des Gemeindehauses von Mar- cinelle. Schäßungswerth 11 168,33 Fr.

27. März, 11 Uhr. Probierbank für Handfeuerwaffen in Lüttich. Lieferung von:

1) 10 bis 12000 kg Minenpulver,

2) der für die Bedürfnisse des Instituts während eines Jahres erforderlichen Patronen, und zwar:

A. geladene Patronen verschiedenen Kalibers für Revolver und Kriegs8waffen aller Systeme,

a s leere Patronenhülsen aus Pappe für Jagdgewehre jeden KaUbers.

Lastenhefte sind zum Preise von 1 Fr. im Bureau der Bank, 22 Nue Navette in Lüttich, zu haben.

30. März, 5 Uhr. Gemeindehaus von Grivegnée: Lieferung und Aufstellung des vollständigen Schulmobiliars für vier Klassen der V leon und einer Klasse des Kindergartens. Schätzungswerth

Gr.

Angebote sind auf belgishem Stempelbogen mittels eingeschrie- benen Briefs spätestens zwei Tage vor dem Termin an den Bürger- meister von Grivegnée zu_rihten. Pläne, Kostenanshlag und Lasten- hefte sind im Gemeinde-Sekretariat zur Einsicht ausgelegt und können von dort gegen Erstattung der Kosten bezogen werden.

Verkehrs-Anstalten.

Die Sächsisch - Böhmische Dampfschiffahrtsgesell- \chaft eröffnete, wie ,W. T. B.* aus Dresden meldet, heute wieder ihre Fahrten auf der Elbe.

Bremen, 2. März. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd.

Der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm 11.“ ist am 1. März Vor- mittags von Genua nach New-York abgegangen. Der F osauler „Kronprinz Friedrich Wilhelm“ ist am 28. Februar Nach- mittags von Neapel nah New-York abgegangen. Der E «Balkimore“ ist am 2%. Februar von Bahia nah der Weser abgegangen. Der Postdampfer „Hannover“ ist am 24. Februar in Bahia angekommen. _ 3. Mârz. (W. T. B.) Der Reichs-Postdampfer „Sa ch sen" ist am 1. März Abends in Antwerpen angekommen. Der Reichs- Postdampfer „Gera“ ist am 2. März Vormittags in Aden an- gekommen. Die Postdampfer „Roland“ und „Graf Bismarck“ haben am 2. März Morgens Dover passiert.

, wissensfreiheit weder des Vaters noh des Kindes,

Zweite Beilage | zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

N D4.

1894.

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 26. Sißung vom 2. März 1894.

In der fortgeseßten zweiten Berathung des Staats - haushalts-Etats für 1894/95, und zwar des Etats des Ministeriums der geistlihen 2. Angelegenheiten, nimmt bei der Position „Gehalt des Ministers“ das Wort der

Abg. Traeger (fr. Vp.). Redner kommt auf die Frage des Religionsunterrichts der Dissidentenkinder zurück, die gegen den Willen ihrer Eltern in einen konfessionellen MNeligionsunterriht hineinge- zwungen würden. Ein Urtheil des Kammergerichts habe allerdings zu Gunsten der Schulbehörden entschieden, aber das Landgericht in Halle habe in einer Berufungsfache anders entschieden. Für alle diejenigen, denen es mit ihren religiösen Ueberzeugungen Ernst sei, enthalte das Verfahren des Kultus-Ministers einen tiefen Eingriff in die Gewissens- freiheit und widersprehe dem Allgemeinen Landreht, wonach Kinder, deren Meligion in der öffentlihen Volksschule niht gelehrt werde, zum Religionsunterricht niht angehalten werden könnten. Daß die Religion zu den Gegenständen des öffentlichen Unterrichts gehöre, mache dabei keinen Unterschied; denn es gebe feinen allgemeinen Begriff „Religion“. Die Gewissensfreiheit sei niht erst dur die Verfassung eingeführt worden, fondern sie sei {hon im Allgemeinen Landrecht enthalten.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß die An-

shauungen, die der Herr Vorredner hier soeben entwickelt hat, aus dem ernstesten religiösen Interesse hervorgegangen sind. Ich erkenne au an, daß er den status causae et controversiae durchaus riditig und sachlih präzisiert hat. Aber in einem Punkt kann ih ihm nicht beipflichten, in dem er darzuthun versucht hat, daß gerade die Voraus- seßung, von der ih eine Aenderung meiner verfassungsrehtlihen Auf- fassung im vorigen Jahr abhängig gemacht habe, eingetreten sei, näm- lih eine Praxis des obersten Gerichts, die sich mit der von mir ver- tretenen Anschauung in Gegensaß geseßt hätte. Gerade umgekehrt, und der Herr Vorredner hat das ja auh zugegeben, das Kammer- geriht als oberste Instanz hat den Standpunkt, den ich im vorigen Jahre hier vertreten habe, gebilligt. Nun sagt freilih der Herr Abg. Träger, dieses Erkenntniß des Königlichen Kammergerichts, das mir hier vorliegt, sei eine juristische Ungeheuerlihkeit. Ja, meine Herren, ich würde es nicht wagen, ein Erkenntniß unseres obersten Gerichts fo zu bezeihnen. (Sehr richtig! rechts.) Ich kann nur fagen, ih finde in dem Erkenntniß eine volle Bestätigung der recht- lihen Ausführungen, die ih im vorigen Jahre hier gemacht habe. Ich will diese Ausführungen hier nicht wiederholen; denn fie find sehr ausgiebig gewesen. Jch wiederhole nur, daß ih auf diesem streng verfassungömäßigen Standpunkt, den ih im vorigen Jahre hier dar- gelegt habe, auch heute noch stehe. Durh die oberinstanzlichen Entscheidungen ist diefer Standpunkt gebilligt, rechtlich anerkannt und nur eine einzige erstinstanzlihe Entscheidung i} inzwischen in der Sache ergangen, die den entgegengeseßten Standpunkt vertritt. Aber auch diese Entscheidung sieht in dem Gesichtspunkte, den ich ver- trete, nicht etwa einen Gewissenszwang, f\ondern lediglih einen über die landrechtlihen Vorschriften hinausgehenden Eingriff in das Er- ziehungsrecht des Vaters. Diese Präzision eigne ih mir vollkommen an. Es handelt sich hier nicht um Gewissenszwang, noch um Ge- fondern es handelt ih um einen Eingriff in das Erziehungtreht des Vaters, und dieser Eingriff ift bei uns verfassungsrehtlih s\tatuiert und gebilligt. Das gerade ift das juristishe Bedenken, was allein mich abhält, dem Wunsche des Herrn Borredners Rechnung zu tragen. Nun gebe ich dem Herrn Vorredner vollkommen zu, der Zustand, der dadurch herbeigeführt wird, ist kein besonders wünschenswerther; es ist nicht anzunehmen, daß der Religionsunterricht, in den das Kind eines Dissidenten hineingezwungen ist, diejenigen Früchte trägt, die er tragen sollte, wenn zu Hause ron den Eltern dem Neligionsunterriht entgegengewirkt wird, und daß das geschieht, dagegen haben wir selbstverständlich keine Gewähr. Nun habe ich aber auch {hon im vorigen Jahre hervor- gehoben und sage es nochmals, meine Praxis is aus diesem Grunde eine thunlichst milde; ich verlange niht den Nachweis eines konfessionellen Religionsunterrihts; ih verlange nur den Nachweis eines geordneten Religionsunterrichts, aber allerdings eines Religionsunter- rihts, und damit stehe ih auf den Boden der Verfassung. Daraus ergiebt sih, daß ih denn auch fast in allen Fällen, mit Ausnahme eines einzigen, die Anträge, die vor etwa einem halben Jahre an mih gelangten es waren höchstens zwei oder drei genehmigt habe. Die Dispense sind ertheilt. Nur in einem Falle hier in Berlin habe ih einen Dispens nicht ertheilt ; denn ih habe nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß der Religionsunterriht, auf den Bezug genommen war, wirklich ein Religionsunterriht war, son- dern es war ein sozialdemokratisher Vorbereitungsunterriht, und ih habe es für meine Pflicht gehalten, einen solchen niht als Reli- gionsunterriht anzuerkennen (sehr rihtig! rechts). Ich habe es also niht gethan. Meine Herren, so stehe ich noch heute zu der Sache. Ich werde meinem Standpunkt Rechnung tragen in so milder Weise, wie nur möglih. Dieser Gesichtspunkt ist seiner Zeit vertreten von meinem Amtsvorgänger, dem Minister von Bethmann-Hollweg, im Herrenhause. Jch habe im vorigen Jahre auf die schr ausgiebigen Verhandlungen hingewiesen, und diesen Standpunkt habe ih mir an- geeignet. Aber das muß auch der Herr Vorredner anerkennen, daß man rechtlich sehr erhebliche Zweifel haben kann, ob seine Auffassung rihtig ist oder niht; das wird doch bestätigt dur die oberinstanz- lihen Entscheidungen. Jh \tehe ja nicht subjektiv willkürlich individualistish, ganz auf “mi allein, ich trete niht mit einem juristishen Eigensinn Ihnen gegenüber, sondern auf meiner Seite habe ich unsere obersten Rechtsinstanzen, die meinen Standpunkt billigen. Ueber dieses mein juristishes Gewissen kann ih nicht hinaus, und deshalb muß ich auch jeßt noch bei dem im vorigen Jahre von mir vertretenen Standpunkt stehen bleiben. (Beifall.)

Abg. Freiherr von Zedliß -Neukirch (fr. kons.) stimmt dem Minister zu und wendet sich dann gegen die gestrigen Ausführungen des Abg. Dr. Bachem. Als folche Angriffe, führt Redner aus, zuerst in der ultramontanen Presse erfolgten, nahm man an, daß es sich nur

darum handle, den etwas \{wankend gewordenen Heerbann des Zen- trums wieder zu sammeln. Ich sehe darin aber nur den Einfluß der Gewohnheit, alles von dem konfessionellen Gesichtspunkte aus zu be- trahten. Es ist eine Beleidigung sowohl für die katholischen wie für die evangelischen Beamten, anzunehmen, daß sie je nah ihrer Kon- fession die Amtsgeschäfte anders erledigen würden ; sie haben in erster Linie die Interessen des Staates zu wahren und nicht die der nah Weltherrschaft \trebenden Kirhe. Die katholishe Abtheilung im Kultus-Ministeriuum war eine Que!le des Kulturkampfes, und des- halb ist es erfreulich, daß der Minister ihre Wiedereinrichtung abgelehnt hat. Daß die Zahl der fatholishen NReferendare eine so geringe ist, liegt nicht an der Nichtberücksichtigung der Katholiken, sondern daran, daß aus fatholishen Kreisen nicht Aspiranten genug hervorgehen. Die mechanishe Vertheilung der Beamtenstellen nah den Konfessionen wäre die größte Ungerechtigkeit. MNedner widerspricht au der Einrichtung einer besonderen katholischen Uni- versität, denn die Wissenschaft sei niht fkonfessionell, und eine fatholishe Wissenschaft sei keine Wissenschaft mehr. Daß Herr Kropatscheck sich im Gegensate zu seinem Verhalten in der Volks\chul- kommission jeßt zur fawmännishen Schulaufsicht an Stelle der geist- lichen bekannt hat, fährt Redner fort, ist erfreulih; ebenso daß die Frage des polnishen Sprachunterrichts nicht mit politischen Fragen in Verbindung stehen soll: das Gegentheil wäre auch eine Depravation des politishen Lebens. Auf diesem Gebiet der Sprachenfrage folte man nicht allzusehr hin- und herschwanken. Wenn in den polnishen Verhältnissen eine Besserung eingetreten is, so ist das eine Folge der Geseßgebung von 1886. Db bie Maß- regel des Ministers, die Erseßung des Privatunterrihts dur einen fakultativen Unterricht in der polnishen Sprache, den beabsichtigten Erfolg haben wird, ist zu bezweifeln. Die Auffassung des Ministers ist eine zu optimistische. Die Polen werden mit den ein oder zwei Stunden, mit der Dauer des Unterrichts von zwei Jahren nicht be- friedigt sein; dann wird eine Ausdehnung des Unterrichts L und s{ließlich lernen die Kinder nicht mehr genügend deuts. Der Kultus-Minister mag die Absicht haben, die Grenze festzuhalten; aber Herr Dr. Bosse wird niht immer Kultus-Minister sein. Die Gltern werden ihre Kinder in den polnischen Religionsunterriht bringen wollen, damit sie an dem polnischen Sprachunterricht theilnehmen können, und s{ließlich kommt man wieder zu dem früheren Zustand zurück. Die polnischen Bestrebungen werden dadur geradezu aufs neue belebt. Die Staatsregierung übernimmt damit eine {were Verantwortung.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Die Königliche Staatsregierung ist sich der {weren Verant- wortung, welche sie mit der beabsichtigten Maßregel übernommen hat, vollkommen bewußt, aber ih hoffe, die Ausführung der Sache wird den Herrn Vorredner und auch die Landesvertretung überzeugen, daß der Weg, den sie beschreitet, der richtige ist.

Wenn der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz die Besorgniß geäußert, hat, daß diese Maßregel dazu dienen könnte, daß deutshe Gemeinden nunmehr polonisiert werden, so ist diese Besorgniß völlig ausgeschlossen, denn in deutschen Gemeinden existiert ja kein polnischer Religions- unterriht, wie au für diese Gemeinden der polnische Privatunterriht nit erxistiert; folglih fann auch diese Maßregel, die wir jeßt treffen, diese eine oder zwei Stunden fakultativen Lese- und Schreibunterrichts, für diese deutschen Gemeinden keine Wirkung äußern ; also die deutschen Gemeinden scheiden aus der Maßregel ganz aus, und es mag eine Negierung sein, welche es will, sie wird nicht dazu kommen, auf die deutshen Gemeinden diesen Unterricht auszudehnen.

Ueber die Frage, ob nun wirklich ein richtiger und in den reten Grenzen gehaltener Ersaß geshaffen wird, kann man ja zweifelhaft sein, und ih bin au zweifelhaft darüber gewesen, und weil ih es gewesen bin, habe ih die deutschen Behörden un Schulorgane in der Provinz Posen darüber gehört. Jch habe das gestern auseinander- gesetzt, und ih kann versichern, daß alle diese Herren mit mir ein- verstanden waren, die Maßregel schaffe keine Lücke in dem System des bisherigen deutshen Unterrichts in der Provinz, und sie sei für dieses System vollkommen zulässig und ungefährlih. Dies hat für mich den Ausschlag dafür gegeben, sie in der Form, die ih dargelegt habe, in Aussicht zu nehmen. Daß die Kinder das Deutsche künftig sollten niht mehr ordentli lernen können, das wäre freilih der größte Ber- lust, den wir haben könnten; wenn die Maßregel wirklih dazu führte, den deutschen Unterricht und seine Erfolge zu beeinträchtigen, so würde ih sie niht ausführen. Das wird aber nicht geschehen.

Ein Moment is} bisher vielleiht nicht sharf genug hervorgehoben worden. Der Unterricht soll ja niht auf der Unterstufe beginnen, fondern die Kinder müssen erst zwei bis drei Jahre auf der Unter- \tufe gewesen sein, wo sie aus\s{ließlich deutschen Unterricht bekommen, allerdings mit Zuhilfenahme des Polnischen, soweit es zum Ver- ständniß des Deutschen nothwendig ist. Die Kinder haben also das Deutsche {hon so weit in sih aufgenommen, daß sie nunmehr diese zwei Stunden polnischen Schreib- und Leseunterrihhts ohne jede Beein- trähtigung ihres deutshen Denkens und Wissens empfangen können. Es ist das mit ein Grund gewesen, die neue Regelung zu treffen, weil der Privatunterricht {hon die Kinder der Unterstufe mit heranzog; es war ja da kein Unterschied gemaht. So trat der üble Zustand ein, daß die Kinder nun wieder gleichzeitig bei ihrem Schul- eintritt im Privatunterriht polnischen Unterriht empfingen und in der Schule deutschen. Es ist aber eine pädagogish zweifellose That- sache, daß ein Kind den Schulunterriht niht mit zweisprachigem Unterricht beginnen darf, wenn überhaupt aus dem einen oder dem anderen etwas Vernünftiges werden foll. Deshalb haben wir das ab- gestellt. Die Kinder werden in der Schule deutsh unterrihtet, und wenn sie im Deutschen so weit gekommen sind, daß für fie keine

Gefahr mehr bestehen kann, dann werden sie auf der Mittelstufe -

im Lesen und Schreiben des Polnischen unterwiesen.

Nun is mir gestern {hon vom Herrn Grafen Limburg gesagt worden: Wäre es nicht richtiger gewesen, die ganze Maßregel zu unterlassen? Hätte man nicht den alten Zustand, wie Herr Graf von Limburg-Stirum sich ausdrückt, wiederherstellen können, nämlich daß man diesen polnischen Unterricht überhaupt verbot und beseitigte ? Ja, meine Herren, dazu muß man die Verhältnisse in der Provinz Posen ins Auge fassen. Wenn wir ‘das gewollt hätten, so wäre die nothwendige Vorausfehzung dazu gewesen, daß wir überhaupt den polnishen Neligions- unterriht hätten aufgeben müssen. So lange wir auf dem polnischen Neligionsunterriht bestehen bleiben, müssen wir auch dafür \orgen,

daß die Kinder diesen Unterricht so weit. verstehen, daß sie den Memorierstoff wenigstens zu Hause lesen und verstehen können. Das ist der innerliße Grund der Sahe. Wir können aber zur Zeit ganz gewiß den polnischen Religionsunterriht in der Volksschule nicht be- seitigen. Er besteht, und ich bitte die Herren, sich zu vergegen- wärtigen, welchen Kriegszustand wir in der Provinz Posen hervor- rufen würden, wenn wir versuchten, den polnischen Religions- unterriht zu beseitigen. Wir haben nicht die Macht, die Geistlichèn der Provinz Posen zu zwingen, daß sie ihren Beiht- und Kommu- nionsunterriht und ihre Predigten nicht in polnisher Sprache halten. Deshalb muß der Religionsunterriht wenigstens in so weit polnisch er- theilt werden, als er si an polnische Kinder wendet, die nit deutsch verstehen. Wollten wir da eingreifen, da würden wir in die Gefahr kommen, die mir vorhin vorgeworfen ist: wir würden einen Gewissenszwang begehen und tief in die Gewissensfreiheit der Polen eingreifen. (Sehr rihtig im Zentrum und bei den Polen.) Das wollen und können wir nicht, und weil wir das nicht können, ist die weitere Konsequenz, daß man einen Ersatz für den in der Praxis niht bewährten Privatunterriht haben muß. So bin ih auf diese Maßregel nah wohlerwogenem sachverständi- gen Beirath gekommen. Die Sache hat sich sehr lange hingezogen, und ih bedauere, daß sie gerade in diese politis etwas erregte Zeit fällt, und daß dadur der Gedanke, der au gestern ausgesprochen ift, entstanden ist, es könnte dabei noch irgend eine Abmachung mit unter- gelaufen fein, die auf ganz anderem Gebiet liegt. Nein, meine Herren, das ist nicht der Fall. Ich kann wahrheitsgemäß ver- sichern, daß weder von parlamentarisher, noch von nichtparla- mentarisher polnisher Seite auch nur irgend eine Anfrage an mich gerichtet ist, was wir in dieser Sache thun. Wenn die Polen wirkli irgend welche Konsequenz an diese Sache haben knüpfen wollen, haben sie jedenfalls sehr zurückhaltend gehandelt. Denn ih weiß von der Sache nihts, und ih kann Sie versichern, daß derartige Rücksichten für mih nicht bestimmend gewesen sein würden. Ich stelle mich vollständig auf den Standpunkt des Herrn Abg. Freiherrn von Zedliß: ih würde es wie er für durchaus fals, ja für unver- antworlih halten. Wir haben diese Abmachung nit getroffen. Wenn aber die Sachen fo liegen, meine Herren, dann darf man auch das Vertrauen hegen, daß diese shultechnisch von den Sachverstän- digen, von unseren deutschen Kreis-Schulinspektoren gebilligte Maßregel in diesem Umfange zu dem Ziele führen wird, zu dem sie führen foll. Es werden dagegen gewiß Bedenken geltend gemacht worden sein, wenn man sie vom s{hultechnischen Standpunkte aus begründen könnte. Das it nicht der Fall gewesen, und deshalb bin ih der Zu- versiht, daß ich mit gutem Gewissen die Maßregel ins L can n S0 Mile ja gestern noch \{chweigen Tones, 0 alte ur bie Anfrage des Herrn Abg. von Jazdzewski irgend eine ausweihende Antwort geben können ; ih habe das wohl erwogen und bin zu dem Entschluß gelangt, das nicht zu thun. Es wäre dies ein Versteckenspiel gegenüber der Landes- vertretung gewesen, was mir nicht zusagt; es gehört sih, daß die Landesvertretung weiß, was die Regierung in einer so wichtigen Frage, wie diese ist, zu thun gedenkt. (Bravo!) Deshalb habe ich offen und ehrlih Auskunft gegeben über die Sache, wie sie liegt, und das um so mehr, als der 1. April, der Anfang des neuen Schuljahres, nahe ist, und wenn aus der Sache überhaupt etwas werden soll, dann müssen die nöthigen Vorbereitungen getreffen werden ; die Sache muß hinausgehen an die Behörden, um ihr Inkrafttreten bei Beginn des neuen Schuljahres zu ermöglihen. Das hat mich bestimmt, gestern mit der Offenheit und Ehrlichkeit, wie ih sie mir überhaupt vor- geseßt habe, in der Landesvertretung die Sache hier zu erörtern, und ich hoffe, es noch zu erleben, daß die Landesvertretung mit mir ein- verstanden \ih zeigen wird in dem Anerkenntniß: die Maßregel ist richtig gewesen, sie führt zum Segen und zur Beruhigung und nicht zur Agitation. (Bravo!) Abg. Rickert (fr. Vg.) führt aus, daß der Minister bei früherer Gelegenheit {hon eine Maßregel, wie die jeßt in Aussicht genommene, angedeutet habe; auch Graf Zedliß habe ähnlihe Maß- nahmen beabsichtigt, aber damals hätten die Konservativen keinen Widerspruh erhoben. Der Staat könne mit seinen Machtmitteln das Deutschthum nicht heben, die Deutschen selbst müßten stark genug fein zur Abwehr des Polenthums. Jn Bezug auf den Religtions- unterriht der Dissidentenkinder ist Redner mit dem Minister nicht einverstanden. Man habe leider dem Minister gegenüber keine Machtmittel; die Frage müsse im Schulgeseße erledigt werden und werde hoffentlih in dem Sinne erledigt, wie sie vom Minister von Mühler gehandhabt worden. - Auf die Paritätsfrage geht Redner niht ein; er bedauert aber, dal man vor dem Erlaß des Schulgeseßes kaum zu einem huldotationsgeseze kommen werde. Hoffentlih gelinge es bald wieder, Gelder zur Förderung des Schulwesens flüssig zu machen. Erfreulich fei, daß der Minister erklärt habe, es sei zweckmäßig, die Lehrer zu Mit- liedern der Schulverwaltung zu machen; hoffentlich würden sih die

tädtishen Verwaltungen danah richten. agt ger sei aber die Bevorzugung der Geistlichen im Schuldienst; sie würden nicht nur von den Prüfungen, sondern auch von dem praktischen Vorbildungs- dienst entbunden, sodaß sie zum Schaden der Lehrer in die höheren Stellen und in den Aufsichtsdienst hineinkämen. Uebrigens würden für den Aufsichtsdienst durch Fachmänner leiht die nöthigen ersonen gefunden werden. Ueber die Dauer der Schulpfliht müsse Beruhigung geschaffen werden. Es müsse festgestellt werden, daß darüber keine Ministerialverfügung bestehe. Die Verfügungen der Regierungen in Oppeln und Liegniy führten dazu, daß Kinder mit 5s Jahren {on eingeshult würden. Man sollte im Interesse der Gesundheit der Kinder nit vor dem siebenten Jahre mit dem Unterricht beginnen. Redner bittet \{chließlich den Minister, die beiden Regierungen zur Zurücknahme ihrer Verfügungen zu ver- Ren und eine geseßlihe Regelung dieses Punktes îin Betracht zu ziehen.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ich bin sehr gern bereit, dieser Frage, ob man eine geseßliche Regelung der Schulpfliht jeßt wieder aufnehmen solle, näher zu treten und sie zu erwägen, Weiter möchte ih aber auch nihts yer- sprechen; denn die Verhältnisse liegen in den einzelnen Landestheilen sehr verschieden. Ih habe die Frage {hon einmal bei mir im Ministerium zur Anregung gebraht und damals haben \ich erhebliche