1894 / 57 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Mar 1894 18:00:01 GMT) scan diff

noch etwas dabei. Meine Herren, der Kampf in aufgelöster Ordnung ist die das moderne Gefeht beherrshende Kampfart. Eine Treiber- linie hat eine ganz enorme Aehnlichkeit mit einer Schügenlinie, namentlich und das ift sehr wihtig wenn sie durch den Wald geht. Sie soll mit gleihem Abstande und in gleiher Ordnung herauskommen , wie sie hereinkam, sie soll nicht abreißen, und wenn sie das kann, so hat sie etwas gelernt. Wir können das auf unseren ebenen Exerzierpläßen nur unvollkommen üben. Es macht oft große Mühe, in den Wald zu kommen. Hat man also Gelegenkbeit, die Leute sechs, sieben, aht Mal als Treiber durch den Wald gehen zu lassen, fo ist das lehrreih und nüßlich, namentli für die Rekruten, die viel Zeit im Exerzierhause zubringen. Es ist für die Leute eine angenehme Unterbrechung, wenn sie alle vierzehn Tage einmal eine Treibjagd mitmachen könnten. Das find die Waldtreiben, aber nun erst die Feldtreiben mit vorgenommenen Flügeln! Der Soldat, der von der Kriegskunst noch nihts versteht, bekommt da die rihtige Anschauung von dem, was es heißt, einen umfassenden Angriff machen, wenn die Hasen laufen. (Heiterkeit.) Nun hat der Herr Abg. Bebel ge- sprochhen von Leuten, die kommandiert werden nah dem Grunewald. Da kann ich auch wieder sagen: man kann es keinem Menschen recht machen. Kommandieren wir die Leute nicht, und das schaulustige Publikum von Berlin findet sich in sehr großer Zahl ein und es wird Einem in die Beine geschossen, dann \{chreit die ganze Presse Zetermordio. Nun befiehlt Seine Majestät, damit das nicht passiert, damit kein Berliner angeshossen wird denn die laufen den kranken Hasen nah und shlagen sie einzeln todt, und da kann es sehr leiht vorkommen, daß ein eifriger Schüße anderen in die Beine sHhießt —, nun befiehlt Seine Majestät, es folle die Jagd ab- gesperrt werden. Sie sollten dankkar sein und nicht darüber klagen! (Heiterkeit.)

Nun hat der Herr Abgeordnete von den Feldwebeln gesprochen, die den Kommis und ih weiß nicht wem sonst noch in den Bank- * geschäften Konkurrenz machen follen. Jch weiß nicht, ob er gemeint hat diejenigen, die zur Probedienstleistung Tommandiert sind. (Zwischen- ruf.) Er meinte andere. Nun, meine Herren, jeder Soldat muß das Recht haben, wenn er freie Stunden hat, fh auch noch etwas zu verdienen. Warum foll der Soldat nicht, wenn er freie Zeit hat, au einmal zum Nachbarn gehen und Holz hauen? Warum soll er niht der Köchin ein paar Eimer Wasser holen? Warum soll nicht ein Unteroffizier oder Feldwebel sich zwei oder drei Stunden hinsezen, oder mal des Nachts ein paar Stunden Kopierarbeiten mächen ? Er verdient sih damit Geld. Das werden wir den Leuten nicht verbieten.

Gr hat dann weiter von Lohndienern bei den großen Diners U. s. _w. der Offiziere gesprohen mit den Diners ist es nicht so weit her bei den Offizieckorps, so oft kommen fie nit in die Lage, große Diners zu geben —, aber mir ift es noch nie passiert, daß wir am Offizierstisch Lohndiener gehabt hätten. So lange die Armee besteht, ist das Dienst der Mannschaften, die dort aufwarten. Eine Konkurrenz mit den Lohndienern kann also nit eintreten. Vielleicht bringt der Herr Abgeordnete noch etwas Anderes vor; ih \tche ihm gern zu Diensten. (Heiterkeit.)

Abg. von Kardorff (Rp.): Es ist eins der größten Ver-

gnügen für die Jäger, wenn sie mal treiben können, zehnmal lieber als der langweilige Dienst.

Abg. Bebel (Soz.): Ich bin im höchsten Grade erstaunt, daß der preußishe Kriegs-Minister als fsolcher so wenig Kenntniß hat

von vielen Dingen in der Armce. Er hat niht eine Thatsache be- stritten von denen, die ih vorbrachte, er hat sie nur zu rechtfertigen versucht. Er kennt keine Konsumvereine; er kann aber höchstens sagen, er kennt sie in Preußen nicht. In Sachsen sind sie bei vielen Regimentern vorhanden. Kantinen sind A auf den Forts; aber sie bestehen nit bloß in den Forts, sie bestehen faft bei jedem Regiment, in der preußischen Armee fast 300. Sie beanspruchen eine ganz - erheblihe Zahl von Mannschaften und verursachen den bürgerlichen Kreisen starke Konkurrenz. Will der Kriegs - Minister diese Beschwerden nicht beseitigen, haben wir keinen Nachtheil davon. Das Volk wird desto deutlicher erkennen, daß man fortgeseßt große Theile der Armee zu Diensten benußt, welche mit der militärischen Ausbildung nicht das mindeste zu thun haben. Der Kriegs-Minister mag doch einmal eine Umfrage veranstalten, er wird erfahren, bei wie vielen Kantinenverwaltungen die Ueberschüsse zum Ankauf von Pferden, Wagen u. f. w. verwendet sind. Hoffentlich werden künftig in das Ererzierreglement Bestimmungen über die Theilnahme an Treibjagden hineitgeschrieben werden, mit folher Begeisterung hat er die bildenden Einflüsse der Treibjagden geschildert. Von der Freiwilligkeit der Meldung zur Treibjagd kann man im Ernst nicht reden; wir kennen diese Art der Freiwilligkeit. Bisher hat diese Verwendung nicht zu den dienstlichen Gepflogenheiten der Armee ge- hört; Tommt es jeßt anders, dann werde ih mich bescheiden, dann fol der Kriegs-Minister einmal Recht gehabt haben. Warum er dann gerade die Berliner erwähnt hat, weiß ih nit; es ist do Sache der Berliner, ihre Beine in Acht zu nehmen. Daß die Armee diese Aufgabe hat, wird der großen Majorität dieses Hauses und dem Publikum bisher fremd gewesen sein. Früher wurde doch wenigstens eine Art Bedauern über derartige Vor- kfommnisse vom Bundesrathstishe geäußert. Es handelt si ferner niht um die Beschäftigung von Unteroffizieren bei Banken auf Stunden, sondern auf Tage, auf viele Tage. Diese Kräfte find eben, weil sie durch die Armeckasse versorgt sind, in der Lage, ihre Arbeitskräfte viel billiger zu verkaufen und den Bürgern eine tödtliche Konkurrenz zu machen. Kein Banquier kann fich darauf einlassen, auf Stunden solche Leute zu beschäftigen. Es verhält sih hier ganz so wie mit der Konkurrenz der Militärmusik. In Straßburg, einer roßen Garnisonstadt, kommen allerdings Diners der höheren Öffiziere häufig vor, und dort haben stets die Lohndiener auch bei Offizier- diners serviert, sind aber durch die neue aus Preußen eingeführte Einrichtung verkürzt worden.

Königlih preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Kriegs-Minister Bronsart von Schellendorff:

Meine Herren ! Der Herr Abg. Bebel stellt immer eine große Zahl von Behauptungen auf, und wenn ich mir Mühe gebe, sie zu widerlegen, so sagt er jedesmal : ich habe Unrecht, und sagt von si,

“er habe Recht. (Heiterkeit links ; Zuruf.) Da finde ih es sehr schwer, zu debattieren. (Zuruf links.) Was ih über die Jagden und über die Theilnahme der Soldaten daran als Treiber gesagt habe, da muß er mich wieder ganz falsch verstanden haben ; daß ich fie als eine nothwendige Sache hingestellt habe, das ist nicht der Fall. Jch habe nur gesagt: es ist eine ganz nüßzlihe und angcnehme Be- schäftigung für den Soldaten, wenn er im Laufe des Winters einige Male Gelegenheit hat, aus dem Exerzierhaus in die frische Luft zu kommen, an einem folhen Vergnügen sih zu betheiligen, wo er das Nüßliche mit dem Angenehmen verbindet. Denn ich selbst halte das für ein Vergnügen, an der Jagd theilzunehmen, and ich halte das für sehr nüßlih, daß er auh noch eine kleine militärishe Ausbildung dabei genießt,

Nun sagt der Herr Abgeordnete: es is früher hier au schon dieser Gegenstand kritisiert und verworfen worden als ungehörig; das ist nit der Fall. Vor vier oder fünf Jahren, als noch der berühmte Führer der Zentrumspartei hier im Reichstage saß, erinnere ih mich ganz genau, daß er fich befonders für die Theilnahme der Soldaten an den Jagden aus\prach und hervorhob, mit welcher Passion und mit welcher Lust er fih in seiner Jugend bei den Treibjagden als Treiber betheiligt hat. (Sehr richtig! rechts. Heiterkeit.)

Der Herr Abgeordnete fagt sodann: ih wäre nicht sehr geistreich in meinen Bemerkungen. Jch bin gegen dergleichen Höflichkeiten durhaus nicht irgendwie empfindlich, im Gegentheil. Aber ist es geistreih, wenn er mir sagt: ih meinte, wir sollten das Treiben in einein neuen Paragraphen in das Exerzierreglement aufnehmen ?

Was die Lohndienerfrage anbetrifft, auf die übrigen Sachen will ih niht weiter eingehen, Sie werden es auch niht verlangen und au nit erwarten (sehr rihtig! rechts) in der Lohndiener- frage ift auch ein Mißverständniß unterlaufen. Ich glaubte, der Herr Abgeordnete meinte, daß bei den Offizierkorps, bei den Offizierstischen Lohndiener gewesen wären, und da habe ih erwidert, das wäre nie gewesen und das würde au nie sein, da könnte also au keine Kon- kurrenz gegen früher eintreten. Was die verheiratheten und höheren Offiziere anbetrifft, fo ist es allerdings bei uns in Preußen Gebrauch und wird es au ferner bleiben, und ist es au in Elsaß-Lothringen Gebrauch und wird es au dort ferner bleiben, daß, wenn ein höherer General eine Gesellschaft oder ein Diner giebt, daß er sih die Lohn- diener nit aus der Truppe, sondern aus dem Zivilstande nimmt.

Königlich sächsisher Regierungskommissar, Major Graf Vißt-

thum von Eckstädt bemerkt, daß die in Sachsen bestehenden *Nilitär- konsumvereine von den Kommandeuren der betreffenden Truppentheile begründet sind, um den Truppen ihre Bedürfnisse möglichst billig und gut zu liefern. Von einer Konkurrenz ist keine Nede; fie wird auch ‘in keiner Weise beabsihtigt. Die Kommanveure halten es für L As die Uebershüsse den Mannschaften zu gute kommen u lassen. ' Abg. Gräfe (d. Nefp.) bestreitet die Behauptung des Abg. Bebel, es sei u. a. in Döbeln die Bestrafung eines Soldaten LEEBE worden, der anderswo als bei dem Konsumverein eingekauft ätte.

Abg. Bebel (Soz): Die Bemerkung wegen der Berliner {hien mir allerdings wenig geistreih zu sein; wenn nun der Kriegs- Minister diesen Vorwurf zurückgiebt, so habe ih nur zu erwidern, daß es mir nicht darauf ankommt, geistreih, fondern wahr zu sein.

Das Kapitel wird im preußischen Etat genehmigt.

Beim württembergischen Etat erwidert auf eine Anfrage des Abg. Beh (fr. Volksp.) der

Königlih württemkbergische Bevollmächtigte zum Bundesrath, Oberst Freiherr von Watter: Das württembergishe Kriegs- Ministerium hat keinen Einfluß darauf genommen, daß dem Militär bei der Enthüllung eines Kaiser Friedrih-Denkmals die Theilnahme untersagt worden fei, weil bekannt geworden , daß an dem Fuß des Denkmals ein Kranz mit s{warz-roth-goldener Schleife niedergelegt werden follte. Auch \teche die gleichzeitig auf der S(lotwiese ab- gehaltene Hofjagd mit diesen Vorgängen in keiner Verbindung. Ob der betreffende Negiments-Kommandeur in der gedahten Weise ein- gegriffen habe, sei dem Kriegs-Ministerium nit bekannt. .

ZU den etatsmäßig aus diesem Kapitel zu bestreitenden Ausgaben gehören auch die Manöverkosten und die Ent- \chädigungen für Einquartierung. :

Abg. Broekmann (Zentr.) beschwert sich über zu große Be- lastung armer Gemeinden seines Wahlkreises, so der Stadt Bitburg, durch die Einquartierungslasi bei den Manövern. Die Zuschüsse seien viel zu niedrig, sodaß s{chon einige Kreistage sich gezwungen geschen hätten, besonders bedürftigen Gemeinden Zuschüsse zu geben.

De N 20 „Maar Tau O In preußishen Etat an den Ausgaben für die Viktualien- verpflegung von 30557 317 /6 auf Grund veränderter Be- rechnung der Durchschnittspreise und angesichts des Sinkens der Preise für mehrere Produkte 1 702092 6 dur die Kom- mission abgeseßt worden; die entsprechenden Abstriche betragen im sächsishen Etat 74719, im württembergischen 65220 M. Ferner sind an den Unterhaltungskosten der Magazingebäude bezw. 50 000, 3400 und 2716 M abgeseßt worden.

Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, General- Lieutenant von Fun ck bittet, diese leßteren Abstrihe nit zu ge- nehmigen, . da derartige Reparaturen, fkleine Neubauten und Netablissementsbauten dauernd nothwendig seien und u. a. die Kon- fervenfabrikation und der Betrieb der Garnifonsbäckereien und Proviant- ämter durch die Verminderung der Fonds für bauliche Unterhaltungen gestört werden könnten. Ein geordneter Wirthschaftéplan und eine geordnete Wirthschaftsführung seien garnicht mögli, wenn hier vlöuli) ein derartiger Abstrich erfolge. Ersparungen an Reparaturen seien doch ganz unwirthschaftlih, und daher stelle sih der Abstrich als wirthschaftlicher Fehler dar, ebenso wie der ebenfalls von der Kom- mission vorgenommene Abstrich bei den entsprechenden Fonds für Kasernenbauten.

Abg. Dr. Hammacher (ul.): Mit diesem Abstrih führen wir keine Ersparniß, sondern eine Vermehrung der Ausgaben herbei, da der Abstrich die Unterlassung nothwendiger Reparaturen und- kleiner Neubauten zur nothroendigen Folge haben muß, die Konsequenz davon aber nur die Vermehrung der Ausgaben für kostspielige Neu- bauten sein kann. Die Zahl der zu unterhaltenden Gebäude ver- mehrt sih von Jahr zu Jahr, denno wird nur die bisher geforderte Summe von uns verlangt. Wie kann ein guter Familienvater gerade an der Unterhaltung der Substanz seines Vermögens zu sparen ver- suchen? Ich beantrage, diese Position unverkürzt zu bewilligen.

Abg. Dr. Lingens (Zentr.) spricht sih mit dem Vorredner für die unverkürzte Bewilligung aus. Sparsamkeit will auch er üben, aber am rechten Orte.

Abg. Freiherr von Stumm (Np.) empfiehlt ebenfalls die volle Bewilligung. : i

Abg. Nichter (fr. Volksp.) : Neues für oder gegen die Abseßung ist heute niht vorgebraht worden. In der Kommission hat auch das Zentrum für die geringere Summe gestimmt. D Abg. Dr. Lingens pflegt überhaupt freigebiger als seine Fraktionsgenossen zu sein. Der gesammte Abstrich beträgt nur 8 9/6 der geforderten Ge- sammtsumme; dabei war die Absicht, daß an Neparaturkoslen nichts abgeseßt werden sollte, sondern nur die Fonds jür kleinere Neu- und Netablissementsbauten verkürzt werden follten. Die Verwaltung hat ja auch die großen cextraordinäâren Pauschquanten aus Anlaß der Heeresverstärkung für diefen Zweck zur Verfügung. Ein guter Hausvater würde in einem finanziell ungünstigen Jahre einen \folhen mäßigen Abstrich für selbstverständlich halten.

Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General- Lieutenant v on Fun ck: Wenn Neubauten nöthig werden, können aus den kürzten Fonds die Gelder nur durch Unterlassung von Reparaturen gewonnen werden. Die Fonds, welche aus Anlaß der Heeresverstärkung bewilligt find, können uns hier bei den ordinären Ausgaben für die Éleineren Neu- und Retablissementsbauten nicht helfen.

Dem Kommissionsantrage gemäß wird mit geringer Mehrheit der Abstrich genehmigt; im übrigen wird das Kapitel bewilligt. i A

Beim Kapitel „Bekleidung und Ausrüstung der Truppen“ bemerkt auf eine Anfrage des Abg. Dr. Ham- macher (nl.) der

Königli reußische Bevollmächtigte zum Bun Krieg Mbniter Bro “A von S Cl Tenbor ff: Aa

Ich bin dem Herrn Abg. Dr. Hammacher sehr dankbar, daß er mir Gelegenheit giebt, hier zu erklären, daß entsprehend dem Aller- höchsten Befehl, die Entlastung der Infanterie anzustreben, ih Seiner Majestät Vorschläge gemacht habe, die darauf hinausgehen, daß die bon dem Infanteristen zu tragenden Gegenstände an Ausrüstung, Waffen und Munition etwa um 13 bis 14 Pfund vermindert werden. (Beifall.) Wir können das natürlih nicht von heute auf morgen machen, sondern müssen erst sehen, ob im Laufe des Jahres, etwa bis zum Schlusse der Herbstmanöver, sich die von uns angestrebten Maß- regeln praktisch bewähren. Jch glaube aber, es wird der Fall sein.

Das Kapitel wird bewilligt.

Dem Kapitel „Garnisonverwaltungs- undServig- wesen“ ist von der Kommission an dem Titel „zur baulichen Unterhaltung der Kasernengebäude“ u. \. w. ein Betrag von einer balben Million an dem Gesammtbetrage von 6 823 815 M, im preußischen Etat abgeseßt worden.

Abg. Dr. Hammacher (nl.) beantragt auch hier die unverkürzte Bewilligung, während

Volksp.)

Ub: Mitter (fr. eintritt.

Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General: Lieutenant von Fun ck verbreitet sich au bei diesem Posten eingehend über die Unwirthschaftlichkeit der vorgeshlagenen Kürzung.

Abg. Freiherr von Stumm tritt auch hier für den Antrag Hammacher ein. :

Nach wiederholter Auseinandersezung zwischen dem Ge- neral-Lieutenant von Funck und dem Abg. Richter wird der von der Kommission vorgeschlagene Abstrih von der großen Mehrheit genehmigt, ebenso der entsprechende Abstrih von 50 000 M bei dem Titel für Dienst: und Dienstwohnunggs- gebäude, desgleichen die Abstrihe in den Etats für Sachsen S Württemberg, ferner die Ausgaben für das Garnisonbau- wesen.

Beim Kapitel „Militär-Medizinalwesen“ kommt

der Abg. Dr. Lingens auf die Selbstmorde in der Armee zurück und ersuchßt um Mittheilung einer exakten Tabelle über die Vertheilung der Selbstmörder auf die Konfessionen. :

Das Kapitel wird bewilligt, desgleichen die Kapitel: „Traindepots, Verpflegung der Ersaß- und Reservemannschaften, Ankauf der Remontepferde, Remonte-Depots“.

Zum Kap. 34, „Neisekosten und Tagegelder, Vorspann- und Transportkosten“ 7 656 941 6, beantragt die Budget: kommission folgende Resolution :

Den Herrn Neichskanzler zu ersuchen a. Einleitung zu treffen, daß die Meisekosten und Tagegelder der Reichsbeamten, der An- gehörigen des Neichsheeres und der Marine einer Regelung im Wege eines Neich8geseßes unterworfen werden; b. dabei in Er- wägung zu ziehen, auf welhem Wege für Dienstreisen auf Eisen- bahnen und Dampfschiffen die wirksamste Einrichtung zu treffen ist, daß die Reisekosten mit möglichster Berücksichtigung der wirklichen Auslagen zur Vergütung kommen.

Negierungskommissar, Geheimer ODber-Negierungs:-Nath im NReichs- Schazamt Plath: Die erste Resolution bezweckt eine Abänderung des bestehenden Nechts, da die Frage bis jeßt durh Verordnung des Bundes- raths geregelt wird; soweit militärisde Personen in Betracht kommen, steht die Befugniß, die Tagegelder festzustellen, dem Kaifer zu. Dieses Recht ist in unbeanstandeter Geltung, ein Bedürfniß zur Aenderung vermag ih niht zu erkennen. Der zweite Theil der Resolution hat die Sympathie der Neichsverwaltung insofern, als auch sie davon aus- geht, daß die Beamten aus Dienstreisen kein Geschäft machen follen. Es haben in dieser Beziehung aub {hon Erörterungen innerhalb der Neichsberwaltung und der preußischen Staatsverwaltung \tattge- funden ; ihr Ergebniß ging dahin, daß zur Zeit sich eine weitere Ver- folgung dieses Gedankens niht empfiehlt. Gegen die Annahme der Refolution hat die Reichsverwaltung aber nichts einzuwenden, da sie dieselbe Tendenz verfolgt.

Abg. Bebel (Soz.): Die Kommission hat si in zwei Sitzungen mit der Sache beschäftigt und hat die Ueberzeugung troß der eben gehörten Erklärung gewonnen, daß mit dem bisherigen System ge- brochen werden müsse. Ueber die wirklihen Kosten dürfen die Tage- gelder niht hinausgehen. Das jeßige System involviere eine Be- reiherung der Beamten. Die Negierung hat selbs anerkannt, daß sie höhere Reisekosten nur zahle, um den Offizieren damit indirekt höhere Gehaltsbezüge zuzuwenden. Die Entschädigungen sind so hoch bemessen, daß an jedem Kilometer 3—5 H gespart werden können, Die Diäten {find in den ersten Klassen zu hoch, in den unteren so niedrig, daß die Kommission eine Erhöhung für absolut nothwendig hält. Ein höherer Offizier, der zum Bortrag beim Kaiser nad Potsdam fuhr, hat auf Grund des bestehenden Systems für einen halben Tag 43,02 4. erhalten. Bei einer Reise nah Köln kann ein Offizier, der ein Retourbillet 2. Klasse benußt, 100 4 sparen. In anderen deutschen Bundesstaaten wird wenigstens das Nachtquartier niht angerechnet, wenn es niht benußt wird. Da dieses System in der gesammten Meichsverwaltung maßgebend it, #o könnten hier Ersparnisse nach Millionen eintreten, ohne daß die Be- amten geschädigt werden. Die frühere Resolution des Reichstags hat man nicht berücksichtigt, sondern alles beim alten gelassen. Sast unglaublich is eine mir gemachte Mittheilung, wonach einem RNeserveoffizier, der als Kaiser- liher Beamter in China angestellt war, im vorigen Herbst zum 105. Negiment nah Leipzig einberufen wurde, über 4000 M Neise- gelder für die Hin- und Nükreise gezahlt worden sind. Ein solcher Aufwand für einen einzelnen Beamten zum Zweck einer kurzen Neserve- übung ist eine Geldvershwendung. Abg. Richter hat früher einmal gewünscht, daß die Militärverwaltung den in bürgerlihen Verhält- nissen im Ausland lebenden Personen möglichste Erleichterung für die Grfüllung ihrer Reservepfliht gewähre; dennoch ist in einem mir bekannten Fall einem Kaufmann gegenüber, der in Nordschottland angestellt war und zur Uebung einberufen wurde, keine Rücksicht ge- nominen worden.

Nach einer kurzen Erwiderung des Regierungskommissars, Geheimen Ober-Regierungs-Raths im Reichs-Schaßamt Plat h wird die Resolution einstimmig angenommen und das Kapitel bewilligt.

Beim Kapitel „Bau und Unterhaltung der Festungen“ erwidert auf cine Anfrage des Abg. Schall (dkonf.) der

Königlich preußische Bevollmächtigte zum Bundesrath, General- Major von Goßler, daß die Frage der Heranziehung des Militär- fiskus zu den Kommunalsteuern niht die Militärverwaltung, sondern die Neichs-Finanzverwaltung angehe, und eventuell durch die Gerichte zu entscheiden sei. : i |

Beim Kapitel „Unterstüßung für Militärs und Beamte, für welhe andere Etatsfonds zu Unterstüßungen nicht vor- handen sind“, wird die von der Kommission vorgeschlagene Resolution: O

«Die verbündeten Negierungen zu ersuchen, für die Hinter- bliebenen solcher Milittrbertanel des Aktivdienstes und des Beur- laubtenstandés, welche infolge der bei Friedensübungen erlittenen Beschädigungen gestorben sind, eine entsprechende Fürsorge treffen zu

„wollen“, einstimmig angenommen.

Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Kriegs-Minister Bronsart von Schellendorff:

Meine Herren! In der Sißzung vom 7. Dezernber v. J. wurde

für den Kommissionsbeschluß

hei der Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Gewährung von Unterstüßungen an Invaliden vom Jahre 1870 und deren Hinter- bliebenen, hier au zur Sprache gebracht, was für die Hinterbliebenen der Mannschaften des Beurlaubtenstandes von Neichêwegen vorgesehen wäre, und was auch für die Hinterbliebenen der Mannschaften des aktiven Dienststandes ges{chähe, ih glaube, der Herr Abg. von Schöning hat sich auch besonders für diese Frage interessiert.

Bei diefer Gelegenheit wurde von dem Herrn Abg. Dr. Bachem ausdrücklich die Bitte an die Militärverwaltung gerichtet, do gelegentlich darüber Auskunft zu ertheilen, wie sich im Laufe der Kaiser-Manöver im Elsaß die Krankheits- und Todesfälle gestaltet hätten bei denjenigen Truppentheilen, die Landwehrleute eingezogen hatten. Der Herr Ab- geordnete hatte bei dieser Gelegenheit ausdrücklih hervorgehoben, daß er aus Zeitungsnachrihten und von anderer Seite Kenntniß davon erhalten hätte, daß eine große Zahl von Landwehrleuten bei den Uebungen gestorben, den Strapazen erlegen wären. Der Herr Ab- geordnete hatte felbst ich glaube, als Offizier das Manöver mitgemacht und felbst wiederholt den Eindruck gewonnen, daß viele Leute aus Erschöpfung zusammengesunken wären, und daß ihm auch von Aerzten gesagt worden wäre, einzelne von denen seien so gut wie aufgegeben zu betrahten. Nun, meine Herren, es ist ganz un- zweifelhaft, daß der Herr Abg. Bachem nur dbona fide seine Aeußerungen gemacht hat, und daß er auch nur das gesagt hat, was er wirkli geschen, und die Eindrücke geschildert hat, wie er sie ge- habt hat. Ich habe nun darüber Erhebungen anstellen lassen und auéführlihe Berichte von den einzelnen Trupypentheilen eingesehen. Daraus geht Folgendes hervor.

Wir haben im Verlauf des vorigen Jahres im ganzen drei Bri- gaden aufgestellt von Landwehrtruppen. Die Stärke der Landwehr- truppen war im ganzen 15 958 Mann, davon 13 444 Landwehrleute. Von diefen Landwehrleuten sind nun, wie ih Ihnen zu meiner großen Freude mittheilen kann, im ganzen nur zwei verstorben, keiner infolge von Strapazen; der eine ist aus dem Fenster gefallen er ist wahrscheinlich angetrunken gewesen, das ist die Annahme —, und ein anderer ist am zweiten Tage nach seinem Eintreffen in Königsberg an Lungenentzündung gestorben. Es geht daraus hervor, daß auch die Leute, die der Herr Abg. Bachem gesehen hat, si glück- liherweise wieder erholt haben. Aber ich glaube es ganz bestimmt, daß eine schr große Zahl von Leuten wirklih ers{chöpft zusammen- gesunken ist. Und das ist wohl auch mit der Grund, weshalb Seine Majestät der Kaiser nach Allerhöchstseinen Wahrnehmungen mir be- fohlen hat, Ihm nun endlih Vorschläge zu machen, wie die Leute mehr entlastet werden könnten, und daß ich danach traten müßte, Wandel zu schaffen (Bravo!). Darauf ist es also zurückzuführen, daß das Gewicht des Gepäcks der Leute um 13 bis 14 Pfund ver- ringert werden soll.

Es wird die Herren vielleiht interessieren, zu erfahren, was wir von sonstigen Dienstbeshädigungen bei den Landwehrleuten zu ver- zeihnen hatten. Es sind im ganzen von den eingezogenen Landwehr- leuten 14 Mann ausgeschieden, davon 7 infolge Dienstbeschädigung im Verlaufe der Einziehungszeit, 4 durch Dienstunbrauchbarkeit und 3 auf andere Weise. Nun gebe ih zu: es kann die Zahl derer, die JInvalidenbenefizien bekommen, sich noch vermehren, da innerhalb Jahresfrist es jedem Landwehrmann freisteht, die Leiden, die er in- zwischen bekommt, als Dienstbeshädigung nahzuweisen.

Ih will auh noch über die Reservisten Auskunft geben, weil das alles bei der gestellten Frage mit in Betracht kommt, und weil ih annehme, daß es gleichfalls die Herren interessieren wird. Wir haben im ganzen während des vorigen Jahres gegen 170 000 Mann des Beurlaubtenstandes eingezogen gehabt, und da ist die Zahl der im Dienst Beschädigten und Gestorbenen im großen und ganzen gering. Es sind natürli bei den Reservisten, die die größere Zahl der Cingezogenen bilden, einige Todesfälle mehr vorgekommen. Es ist au) mögli, daß einige davon verheirathet sind, deren Hinter- blicbene dann unter das erwünschte Gesetz fallen würden, das in der Resolution beantragt wird. Es sind nur zwei Todesfälle durch Hißz- shlag herbeigeführt, und die würden als infolge des Dienstes ent- standen zu betraten sein. Die größere Zahl der Todesfälle ist auf Verunglückungen zurüc{zuführen, auf Typhus und andere Krankheiten. Es sind im ganzen 15; die Zahl ist also nicht erheblich.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) mißt natürlich den Angaben des Kriegs-Ministers größeren Glauben bei als den Zeitungsberichten, wünscht aber gleichwohl auh für die wenigen Fälle, wo Landwehr- männer den Strapazen der Manöver erlicgen, den Erlaß eines Gesetzes, welches ihren Hinterbliebenen eine auskömmliche Entshädigung gewährt.

Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Kriegs-Minister Bronsart von Schellendorff:

Ich kann dem Herrn Abgeordneten die Versicherung geben, daß wir {on seit Jahren nah diefer Nihtung hin thätig gewesen find. Der Rest des Extraordinariums des Militär-Etats und die Einnahmen desselben werden ohne weitere Debatte ge- nehmigt, ebenso die bayerische Quote. Die (vor einigen Tagen ausgesezte) Abstimmung über die erste Rate von 14000 M Ur ein neues Generalkommando in Meß, veranschlagt auf 600 000 M, ergiebt die Ablehnung der Forderung.

_, Damit ist die Berathung des Militär-Etats erledigt. Gegen 6 Uhr vertagt sih das Haus.

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten.

29, Sißung vom 6. März 1894. , Bei Fortseßung der zweiten Berathung des Etats des inisteriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten, und zwar der Position „Gehalt des Ministers“ triït der Abg. Diögel (Zentr.) für die Zulassung der Orden ein (\. den An- fangsberiht in der Dienstags-Nummer d. Bl.). Jhm erwidert in folgender (gestern nur im Auszug mitgetheilter) Rede der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

: Meine Herren! Der Herr Abg. Stözel hat anerkannt, daß ich in dieser Essener Frage nah bestem Ermessen gehandelt habe. Ich acceptiere dieses Anerkenntniß; es is vollkommen zutreffend. Er hat rihtig herausgefunden, daß ich ihm einwenden würde, ih sei an das Geseßz gebunden. Ich°bin an das Gefeß gebunden ; meine Aufgabe ist es nur, das Geseg niemandem zu Leide und niemandem zu Liebe anzuwenden. Dieses Gefeß verlangt den Nachweis eines Bedürfnisses zur Aushilfe in der Seelsorge. Wenn also etn Antrag auf Zulassung einer neuen Niederlassung an einem neuen Orte an uns herantritt, so sind wir

genöthigt, dieses Bedürfniß zu prüfen. Dies geschieht durch Rück- frage bei den betreffenden Behörden. Nun ist hier das Bedürfniß einer dauernden Aushilfe einstimmig von allen darüber gehörten Be- hörden in Abrede gestellt worden, und zwar mit ausdrücklicher Bezug- nahme darauf, daß die erzbishöflige Behörde selbst die Aushilfe in der Seelsorge dur Vermehrung der geordneten Seelsorge, der geordneten Pfarrgeistlichen, herbeiführen wolle. (Hört, hört!) Dem gegenüber, meine Herren, konnte ih doch hier eine dauernde Niederlassung eines Ordens nicht genehmigen. Ih habe gegen die Franziskaner garnihts; ih habe das auc vadurh bewiesen, daß wir in Westfalen neue Niederlassungen von Männerorden genehmigt haben da, wo das Bedürfniß im Sinne des Geseßes nahgewiesen war,

Die Bezugnahme auf die Stadtmission der evangelischen Kirche trifft hier garnicht zu, das sind ja keine Orden ; das ist allerdings eine außerordentliche Aushilfe bei vorübergehendem Bedürfniß. Nun ist es mir sehr zweifelhaft, ob es richtig wäre, für verübergehende Bedürfnisse wie es doch nah dem Befinden der erzbis{chöflichen Behörde, die die Pfarrgeistlichkeit vermehren will, vorliegt Niederlassungen zu genehmigen; denn die Franziskaner gehen nicht wieder weg, wenn sie einmal genehmigt sind (Heiterkeit), fie bleiben, die Niederlassungen sind dauernde. Nein, meine Herren, ih konnte nicht anders handeln, wie ih gehandelt habe, und ich kann Sie ver- sichern, daß mein katholisher Referent mir die Ueberzeugung selbst ausgesprochen hat: für die Niederlassung liegt das im Gesetz vorge- schene Bedürfniß niht vor. (Hört! hört !)

Meine Herren, wenn ih mi an das Gesetz binde, täuschen Sie sih doch darüber niht —, so ist das auch ‘im Interesse der katholischen Kirche viel besser, als wenn ih nah Stimmungen handele. Diese Gesetze sind vereinbart mit der Landesvertretung und sie sind unter Ihrer Zustimmung so, wie sie jeßt bestehen, zu stande gekommen. Es ist für mi der einzig feste Halt und Maßstab bei einer gerechten Behandlung der katholischen Kirche, daß ih mich an das bestehende Gefeß halte. Sie kommen damit viel weiter, als wenn der Minister nah Stimmungen handeln oder darauf Nücksiht nehmen wollte, ob er es etwas besser und bequemer hier bei der Etatsberathung be- kommen würde, falls er Ihnen ohne weiteres nachgeben würde. Das könnte für mi augenblicklich ohne Zweifel sehr bequem sein, auf die Dauer würde ih dabei ebenso s{chlecht fahren, wie Sie. (Bravo!)

_ Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Der Minister ist vollständig geseßz- mäßig verfahren, aber auf das Bedürfniß der Bevölkerung hat er niht Nücksiht genommen. Der Minister hat zufällig erfahren, daß der Erzbischof die Zahl der ordentlichen Seelsorger vermehren will; damit hat er abêr nicht die Anschauung des Erzbischofs über die Ordensniederlassung erfahren. Der Erzbischof kann garnicht andere als ordentliche Seelsorger berufen. Wenn eine fo große Zahl von angesehenen Männern einer Stadt eine Niederlassung beantragen, \o kann der Minister in diesem Wunsche wohl schon den Nachweis eines Bedürfnisses erkennen. Die nichtkatholishen Behörden find doch dafür niht maßgebend, und wenn da keine Aenderung der Praxis eintritt, werden wir "eine Aenderung der Ordensgesetßgebung beantragen müssen. Bezüglih Oberschlesiens bittet Redner den Minister, den Ausführungen des Grafen Ballestrem, der immer in Oberschlesien gelebt habe, mehr zu trauen, als denen des Herrn von Heydebrand, der nur vorübergehend dort gewesen sei und die Verhältnisse nit gründlich kenne. Die Sprachunterrichtsverfügung des Ministers, fährt er fort, müßte auf Oberschlesien ausgedehnt werden. Die Kinder können nicht einmal fo viel Polnisch, um beim Gottesdienst die Kirchenlieder singen zu können. Es wird mitgetheilt, daß in den evangelischen Schulen 5 Stunden, in den katholischen nur 4 Stunden wöchentlich Religionsunterriht ertheilt werde, während man doch in den katholishen Schulen in gemischten Be- ziren gerade mit Rücksicht auf die sprachlichen Schwierigkeiten eher mehr als weniger Religions\tunden anseßzen müßte. Redner nimmt den verstorbenen ehemaligen Schulrath Bogedain gegen die Vorwürfe in Schuß, daß er durh Vermehrung der polnischen Unterrichts\tunden eine Desorganisation der oberschlesischen Schulen herbeigeführt haben solle. Nach den Akten, bemerkt er, wird wahrscheinlich die Bio- graphie diefes Mannes sehr unrichtig geschrieben worden sein, wie wir überhaupt den Verdacht haben, daß die Berichte die Re- gierung niht mehr vollständig richtig über die Personen informieren. MNedner verweist auf zwei Schriften, welche über den Mann Auskunft geben. Bogedain, erklärt er, bezeichnete es als unrihtig und unver- ständig, einem Volke seine Muttersprache nehmen zu wollen. Solche Aeußerung von einem Sachverständigen follte man nicht mißachten. 1858 ging Herr Bogedain ab und 1863 wurde über den C, riht eine Verfügung erlassen, die uns vollständig befriedigen würde. Der Minister hat sich auf die Revision der Schulen durch die Fürst- bischöflichen Kommissare berufen ; aber die Berichte dieser Kommissare sind nicht vorgelegt; daß gar keine Schule zu Ausstellungen Ver- anlassung gegeben bat, können wir nicht glauben. Die Revision hat 1883 stattgefunden. Seitdem haben sih die Zustände erheblih ver- ändert. Redner kommt dann noch auf die Frage des Vermögens- verwaltungsgeseßes zurück und fragt, welhe Auskunft die kirchlichen Behörden darüber gegeben hätten; der Minister habe darüber ge- s{wiegen.

Minsster der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch bin in der That in Verlegenheit, wie ih es machen follte nach einer so ausgiebigen Enquête, wie wir sie über die katholishe Kirhenvermögensverwaltung angestellt haben, nun noch einmal eine neue Enquête vorzunehmen. Ich habe kein Hehl daraus gemaht, daß auch die Herren Bischöfe über das Geseß gehört worden sind, daß sie eine Reihe von Wünschen, die auf die Abänderung des Geseßes hinzielen, geäußert haben, daß auch eine große Anzahl von kfatholischen Kirchen- vorständen, die darüber gehört sind, gesagt haben: die Gemeinde- vertretung erscheint uns als ein Institut, mit dem wir schr wohl zu- frieden sind. Jch habe nur gesagt, daß ih daraus entnehme, daß auch in der katholischen Kirhe Kreise vorhanden sind, die auf die doppelte Kontrole, die wir bei allen Körperschaften im ganzen Staat bei der Vermögensverwaltung haben, einen gewissen Werth legen.

Was nun die polnische Sprachenfrage in Oberschlesien angeht, so hatte ich geglaubt, ich würde nit nöthig haben, darauf heute noch einmal zurückzukommen. Jch habe mi darüber so klar und deutlich auégesprochen, daß ih eigentlich nit in der Lage bin, meine Er- klärung ergänzen zu können. Nur nah zwei Seiten hin möchte ih Herrn Abg. Dr. Porsch doch antworten. Einmal habe ich auédrück- lih hervorgehoben, daß wir einen Mangel von Lehrern , die beider Sprachen mächtig sind, in Oberschlesien anerkennen, und daß ih fofort, nachdem dies zu meiner Kenntniß gekommen ist, Maßregeln getroffen habe, um: in den Seminarien dasür zu sorgen, daß wir eine ausreihende Anzahl utraquistischer Lehrer bekommen. Jh halte das für nothwendig wegen der Ertheilung des polnischen Neligionsunterrihts auf der Unterstufe, an der ih nihts ändern will, und wegen der Zuhilfenahme des Polnischen zum Verständniß auf der Mittelstufe, an der ih ebenfalls nicht ändern will. Alfo nach! dieser Richtung hin bin ih bereit, dem Wunsche des

Herrn Abg. Dr. Porsch entgegenzukommen.

| Ebenfo werden wir auf der andern Seite das Erlernen polnischer Kirchenlieder unterstüßen. Jch habe ausdrücklich angeordnet: die Kinder sollen auf der Unterstufe und auf der Mittelstufe das Singen polnischer Kirchenlieder lernen, weil ih hier ein religióses Bedürfniß für die Kirche anerkenne, der die Schule in dieser Be- ziehung ohne jegliche Frage hilfreiche Hand [eistet.

| Ja, wenn Herr Dr. Porsch die Zustände in Oberschlesien zum theil darauf zurückführt, daß die Berichte der Beamten die Zustände, wie sie dort bestehen, nicht zutreffend zu würdigen wüßten, und zwar um deswillen niht zu würdigen wüßten, weil die Beamten sich mit der Bevölkerung in der Muttersprache nicht unterhalten könnten —, so mag das zum theil richtig sein. Es giebt aber do auch bei der Regierung in Oppeln Beamte, die allerdings des Polnischen mehr oder weniger mächtig sind. Wenn ih aber Beamte bekomme, die polnish verstehen, so werde ih sie, wenn sie font tüchtig find mit Freuden acceptieren, und es soll mih freuen, wenn ih recht zutreffende Berichte von ihnen bekomme. Jh kann mir die Beamten Ddo nicht schaffen, die polnisch reden; ih muß warten, ob polnisch redende Beamte sich ausbilden, und wenn ih sie habe, werde ih sie mit Freuden verwenden.

Was nun aber die Resultate des deutschen Unterrichts anlangt, fo stelle ih fest, daß die Nevisionsberichte, die wir haben, dafür sprechen, daß die Resultate des deutschen Unterrichts befriedigende find, auch in kirhliher Beziehung. Ich habe hier einen MNevisions- bericht vom Jahre 1884. Da heißt es am Schluß folgendermaßen:

Das Gesammturtheil über die hiermit beendete Revision sprach der bishöflihe Kommissarius dahin aus, daß die Leistungen von 4 Schulen ungenügend, in den übrigen 32 revidierten Schulen be- friedigend und gut gewesen seien und daß der Religionsunterriht, wie es die Verordnungen der Königlichen Regierung vorschreiben, auf der Mittel- und Oberstufe in der deutschen Sprache ertheilt werden könne und zwar ohne Nachtheil für die religiöse Bildung der Schuljugend.

Ja, meine Herren, darauf fußen wir, und ih sehe nicht ein, wes- halb ih bei solchen Ergebnissen des Unterrichts dazu kommen sollte, die ganze Ordnung des Schulunterrichts zu ändern. Mit Nücksicht darauf will ih noch einmal auf die Frage Bogedain zurückommen. Ich bin in dieser Beziehung in der umgekehrten Lage, wie der Herr Abg. Dr. Porsch, Herr Porsh gab mir die Person des Sculraths Bogedain preis, hielt sih aber ausdrücklich an dessen Urtheil über die polnishe Sprache. Ich dagegen erkenne vollkommen an, daß der Schulrath Bogedain ein tüchtiger, respektabler und achtungswerther Mann war. Meine Quelle ist nicht das Buch von Humbert, auf die sih Herr Dr. Porsh beruft, sondern eine andere, und zwar eine katholisch unverdächtige Quelle, nämlih die „Lebensmeinungen" des Geheimen Regierungs-Raths Kellner, der mit Bogedain noch eine Zeit lang zusammen gewesen is, und gerade diese seine Eigenthümlichkeit in der polnischen Sprachenfrage hervor- gehoben hat. Also der Sgulrath Bogedain is nah diesen Mittheilungen ein durhaus achtungswerther Mann gewesen, aber in Bezug auf die Behandlung der Sprachenfrage hat er eine Maxime befolgt, die ih weder als richtig anerkenne, noch die von anderen sachverständigen Seiten als rihtig anerkannt worden ist. In dieser Beziehung muß ih ihm entgegentreten, und nur in dieser Be- ziehung habe ih von ihm gesagt, daß sein Einfluß auf die ober- {{lesishe Schule kein günstiger gewesen ist. Er hatte die Marime, die ih hier aus einem Berichte, allerdings aus den Akten des Kultus- Ministeriums, die do hoffentlih nicht gerade suspekt sein werden, ersehe. Es heißt in demselben :

Die deutsche Sprache soll niht mehr Unterrichts\prache, sondern ledigli Unterrihtsgegenstand sein. Aller übrige Unterricht sollte dem Zwecke humaner Geistes- und Herzensbildung untergeordnet werden.

Das, meine Herren, is doch etwas Anderes, als was wir er- streben und woran wir festhalten. Wir stellen den Sat auf: die deutshe Sprache soll und muß die Unterrichts\prache sein. Soweit wir dann helfen können und müssen, daß zur Befriedigung des reli- giösen Bedürfnisses auch auf die Muttersprache Rücksicht genommen werde, soweit wollen wir helfen; aber an diesem Grundziel und an diesem Grundgedanken, daß die deutsche Sprache die Unterrichts\prache ist und bleibt, werden wir festhalten, und davon kann ih mir nichts abhandeln lassen. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Letocha (Zentr.) spricht sich wie die Abgg. Dr. Porsch und Graf Ballestrem für die Ausdehnung der Sprachenverfügung auf Oberschlesien aus.

Abg. Herrmann (Zentr.) tritt ebenfalls für den Religions- unterricht in der Muttersprache ein. Die Mängel des jeßigen Systems zeigten sih besonders, wenn die Kinder ih für den Kommunion- unterricht melden. Sie hätten keine genügende Kenntniß der Neligion; weder in der deutschen, noch in der polnischen Sprache könnten sie si frei bewegen. Die jeßige Unterrichtsmethode führe zum Unglauben und zur Sozialdemokratie. Man habe bisher, wie auf die Aufhebung mancher Kulturkampfgeseße, auch auf die Aufhebung dieser Maßregel e Das müsse aber bald geschehen, denn font werde man auf olche Konzessionen gar keinen Werth mehr legen. Es wäre eine eminent patriotishe That, das polnish sprehende Volk zu beruhigen. Abg: Stanke (Zentr) [liegt {ih den Ausführungen der übrigen oberslesischen Abgeordneten namentlich bezüglich der mährischen Einwohner Oberschlesiens an.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Wenn es fich um eine rein obershlesishe Angelegenheit handelte, würde ih das Wort nicht ergreifen. Aber felbst die Herren vom Zentrum werden es kaum bestreiten können, daß die Polonisierung in Oberschlesien große Fortschritte gemaht hat. Das muß uns stußzig machen. Die Frage ist eine wefentlich politishe. Die Herren wollen einen berechtigten Anspruch der national - polnishen Agitatoren erfüllen und damit die Erregung beseitigen. Wir halten aber den Anspruch nicht für berechtigt, und feine Erfüllung wird die Bekämpfung dieser Bestrebungen er- {chweren. Es wird behauptet, daß der Religionsunterricht leidet; dem widerspricht aber das Urtheil des Fürstbishöflihen Kommissars; der Minister ist auch bereit, eine größere Anzahl utraquistischer Lehrer anzustellen. Die Bewegung is} den Herren vom Zentrum selbst hon unbequem geworden; fie fühlen si verpflichtet, ihr gewisse Kon- zessionen zu machen, die wir für zweckwidrig halten.

_ Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Die Herren verwechseln Ursache und Wirkung. In der Entwicklung zum Deutschthum is ein Rükschlag eingetreten, das ist aber eine Folge der falschen Schulpolitik, die in den leßten Jahren eingeschlagen wurde. Deshalb warnen und bitten wir in der zwölften Stunde , die Sache noh einmal ernsthaft in Er- wägung zu nehmen. Wir wollen nicht einer uns unbequemen Agitation ein Opfer bringen, sondern wir wollen die religiöse Ausbildung der Kinder E erhalten, niht eine Konzession an das Polenthum machen. In früherer Zeit wurde auf den Gymnasien Slesiens Polnisch gelehrt, weil die Beamten damals die “Kenntniß des E für nothwendig hielten. Jeßt würde das als staatsgefährlih erscheinen.