1894 / 62 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 13 Mar 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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Staatssekretär Freiherr von Marschall:

Der Herr Abg. Freiherr von Hammerstein hat fih als Jndizium dafür, daß die russishe Regierung voraussihtlich diesen Handels- vertrag nicht loyal ausführen werde, auf zwei Thatsachen berufen, nämlich einmal auf die Erhöhung des finnishen Zolls für Nohzuker im Februar d. J. und sodann auf einen Artikel der „Magdeburgischen Zeitung“ über die Behandlung der deutschen Kolonisten in Rußland. Es ist richtig, daß am 4. Februar d. J., also wenige Tage vor Unter- zeihnung des deutsch - rufsishen Handelsvertrags, der finnishe Zoll für Rohzucker, dunkler, als Nr. 18 Standard der Zoll für Finland von auf 50 finnische Mark erhöht worden ift. Diese Maßregel is ohne alle Bedeutung für uns; denn wir erportieren nur in ganz minimalem Umfange solhen Nohzucker nah Finland. Unser Export dorthin hat im Jahre 1891 im ganzen 4 t, also 40 Doppel- zentner betragen. (Hört! hört! links.) Mich haben Sachverständige versichert, daß wir angesichts der Thatsache, daß wir vornehmlich raffi- nierten Zucker nah Finland exportieren, aus dieser Erhöhung des Zolls für Rohzuckter voraussihtlich eher einen Vortheil ziehen würden.

Was nun den zweiten Punkt betrifft, nämlich die Behandlung der deutschen Kolonisten inNußland, so hat der Herr Abg. Freiherr vonHammer- stein bei seinen politischen Freunden mit seinen Bemerkungen vielBeifall ge- funden, dagegen vergessen, uns die Hauptsache mitzutheilen, daß nämlich die deutschen Kolonisten in Rußland russische Unterthanen find, und daß es uns selbstverständlih nicht beifallen konnte, von der russishen NRe- gierung Konzessionen bezüglich der Behandlung russisher Staats- angehöriger zu verlangen. Das wäre eine Einmischung in fremde, innere Angelegenheiten gewesen, die wir anderen gegenüber {on des- halb niemals unternehmen dürfen, weil wir sie, wenn sie von anderer Seite uns angesonnen würde, mit Entschiedenheit zurückweisen würden. (Sehr richtig! links.)

Abg. Freiherr von Stumm (Np.): Die Kontrahenten bezüglich der Aufhebung der Staffeltarife sind die preußische Regierung und die Vertreter des Westens im Landes-CGisenbahnrath, welche für die Auf- bebung derselben gestimmt haben. Die Stellungnahme der preußischen Regierung zu den Staffeltarifen im Jahre 1893 war unabhängig von dem russishen Handelsvertrag und auch von der Aufhebung des Identitätsnachweises, von welchen beiden Maßregeln damals noch gar keine Rede war. Jch bin aber der Meinung, daß die Aufhebung des Identitätsnachweises bedeutsamer für den Osten ist, als die Staffel- tarife waren. Redner greift dann auf die Verhandlungen vom Freitag Abend zurück .und tritt der Behauptung des Abg. Haußmann ent-

egen, daß der Westen Deutschlands mit russishem Getreide über- sEboemmt werden würde, wenn nicht gleizeitig mit der Inkraftseßung des Handelsvertrages und mit der Aufhebung des Identiätsnachweises die Staffeltarife aufgehoben würden. : i :

Abg. Freiherr von Hammerstein (dkons.): Die Auslassung des preußischen Eisenbahn-Ministers wurde abgegeben zur Bekämpfung der Stimmung gegen die Staffeltarife, die im Antrag Eckels zum Ausdruck kam. Es ist also immer noch kein Gegenkontrahent gegen- über der preußishen Staatsregierung gefunden. Daß der Landes- Eisenbahnrath so beschließen würde, wie er beschlossen hat, hat man längst vorausgewußt. Dem Geheimen Regierungs-Rath Möllhausen

egenüber ist festzustellen, daß in der Kommission nur von einer

öglichkeit gesprochen wurde, eine direkte Umkartierung des Getreides in den Hafenpläßen zu verhindern. E :

Abg. Rickert (fr. Vg.) beantragt den Schluß der Dis- fussion, welher mit großer Mehrheit angenommen wird.

Nach einer Reihe persönlicher Bemerkungen wird Art. 19 mit großer Mehrheit angenommen. : :

Nach Art. 20 soll der Vertrag bis zum 31. Dezember 1903 in Gültigkeit bleiben und von da ab von Jahr zu Jahr als verlängert gelten, wenn er niht zwölf Monate vorher ge- kündigt wird. i: :

Abg. Graf Kani (dkons.) beantragt, daß der Vertrag in Kraft bleiben soll bis zum Ablauf eines Jahres von dem Tage ab, an welchem erx von einem der beiden vevtragshließenden Theile gekündigt sein wird. Die Hauptsache des Vertrags sei das Aufhören der differentiellen Behandlung Rußlands. Dazu bedarf es keines zehn- jährigen Vertrages, den die Nussen selbst niht wollen. Was in 10 Jahren passieren kann, kann niemand übersehen; deshalb sollte der Vertrag nur auf 1 Jahr abgeschlossen werden. Niemand kann wissen, ob die großen Hoffnungen der Industrie in Erfüllung gehen, ob die deutsche Landwirthschaft, welhe die Kosten des Vertrags zu tragen hat, nicht in ganz unhaltbare Zustände geräth und ob Rußland nicht finanziell so gestärkt wird, daß es dadurch in andere Bahnen feiner Politik gedrängt wird. Es giebt industrielle Staaten, die sich auf so lange Fristen garnicht einlassen. Der russish-französishe Ver- trag ist auf ein Jahr abgeschlossen ; diesem ist mein Antrag nachgebildet ; er Tann also bei Nußland keinen Widerspruch finden, denn Rußland hat ein viel zu großes Interesse an der Ermäßigung der Getreidezölle; es wird also au nicht daran denken, den Vertrag zu kündigen. Wenn fo viel zweifelhafte Bestimmungen in einem Vertrag enthalten sind, dann kann leiht die Stimmung so wehseln, daß man von dem Ver- trag loszukommen suht. Der Vertrag zwischen der Schweiz und Italien is auf 5 Jahre abgeschlossen); aber weil die Schweizer sich nit gefallen lassen wollen, daß die Zölle in Gold bezahlt werden follen, fo könnte der Vertrag bald aufgehoben werden. Der preußische

inanz-Minister Dr. Miquel spra davon, daß 30 Jahre lang die Industrie durch die Geseßgebung begünstigt worden wäre, daß jeßt 30 Jahre lang die Landwirthschaft berücksichtigt werden müsse. Aber wenn das der Fall ift, dann dürfen wir nicht 10 Jahre lang die Kette dieses Vertrags mit uns herumtragen. :

Abg. Meyer-Danzig (Rp.) erklärt, daß er, obwohl ein Gegner der Handels8vertragspolitik der Regierung, für den rufsishen Vertrag stimmen werde, weil er in der Aufhebung des Identitätsnachweises

enügende Kompensationen für die der Landwirthschaft durch den Bertrag erwachsende Schädigung erblicke, und weil er sein Vaterland vor den {weren inneren Verwickelungen bewahren wolle, welhe aus einer Auflösung des Reichstags entstehen müßten.

Abg. Graf Arnim (Np.): Das \tarke Anwachsen des russischen Exports und die langsame Zunahme des deutschen Exports nah Nuß- land in den Jahren 1886 bis 1892 eröffnen eine fehr _unerfreulihe E für die nächsten zehn Jahre. Wenn der Staatssekretär Freiherr von Marschall gesagt hat, daß niedrigere Getreidepreise nit eintreten werden, fo kann den deutschen Bauer das niht beruhigen. Wir wollen einen folchen Sprung ins Dunkle nur auf eine möglichst kurze Zeit machen. Rußland selbst hat si z. B. in Bezug auf die Koblen nur bis 1898 gebunden, weil bis dahin seine Eisenbahnen fertig sind, e es die Kohlen aus dem Ural beziehen kann.

Abg. von Kardorff (Np.): Ich stehe auf dem entgegengeseßten Standpunkt wie der Abg. Meyer-Danzig. Ich bin der Ueberzeugung, daß wir nach der Annahme des Vertrags einer viel {wereren Zu- kunft sowohl auf dem Gebiete der inneren, als der O ra gengeben als bei dessen Ablehnung. Jch bitte daher, den Vertrag abzulehnen. i N ,

a Abg. Graefe (d. RNefp.): Auch die Antisemiten halten die zehn- jährige Dauer des Vertrags für eine verhängnißvolle Bedingung und ziehen eine kürzere Versuchsdauer vor. Jn zehn Jahren werde der größte Theil des deutshen Bauernstandes an den Rand des E A

ebracht sein. Die Regierung {ließe aber den Vertrag auf zehn Jahre ab deswegen, weil sie selbsi nicht daran glaube, daß die Hoff- nungen alle erfüllt werden, die uns vorgemacht sind. as Wort: „Hat der Bauer Geld, hats die ganze Welt“, werde troß des Reichs- kanzlers Grafen Caprivi immer wahr bleiben. :

Abg. Möller (nl.): Die Beschwerde darüber, daß im Zoll- beirath der Landwirthschaft niht der nöthige Einfluß gewährt fei,

ist unbegründet. Wenn sie sich an den Verhandlungen nicht mehr

betheiligt hat, so war das ihre Schuld. : : Abg. Freiherr von Manteuffel (dkonf.) konstatiert, daß kein Vertreter der verbündeten Regierungen gewillt ist, fih zum Antrage des Abg. Grafen Kaniß zu äußern. Daraus ist zu entnehmen, da die verbündeten Regierungen dem ntrage wohlwollend egenüberstehen. Darauf wird Art. 20 unter Ablehnung des Antrags Kaniß

unverändert angenommen. j : :

Es folgt die Berathung des Tarifs A: Zölle bei der Einfuhr nah Rußland.

Bei Nr. 6, frishes Obst, sucht der

Abg. Dr. Hahn (nl.) nachzuweisen, daß der russishe Zoll so hoh sei (nämli viermal so hoh als der deutsche Zoll), daß die deutshe Landwirthschaft keinen Vortheil habe.

Bei Nr. 26, Hopfen, bedauert der | Abg. Weiß - Nürnberg (fr. Volksp.), daß es nit gelungen sei,

wie man gehofft habe, den russishen Zoll dem deutschen gleizustellen. Redner wird aber deswegen doch nicht gegen den Vertrag stimmen, zumal das Präsidium des Hopfenbauvereins für den Vertrag eintrete. Den Vorsißenden des Vereins hat der Abg. Luß als einen enragierten ags bezeichnet, wogegen dieser aber protestiert hat. Die olgen der Ablehnung des Vertrags hat sich der Abg. Luß wohl nicht überlegt; es wäre dann jeder Export nah Nußland abgeschnitten ge-

wesen, den Russen wäre es aber möglih geworden, ihren Hopfen nach den Ländern zu exportieren, die Deutschland jeßt versorgt, wobei der deutshe Handel einen Vortheil hat. Aber die Hopfenbauer in Bayern haben so wenig Land, daß sie Getreide kaufen müssen ; des- eden würde die Annahme des Handelsvertrags kein Schade für ie sein.

Abg. Aichbichler (Zentr.) bleibt bei seinen früheren Bedenken gegen den russishen Handelsvertrag, namentlich auch in Bezug auf den Hopfenzoll.

Abg. Luß (dkons.): Ich könnte eigentlich auf das Wort ver- zichten, denn an der Sache ist doch Hopfen und Malz verloren ; aber ih bleibe bei meinen früheren Auslassungen in dieser Frage und weise auf die Gefahr hin, daß der russishe Hopfenbau sich ausdehnen könne; das hat auch die Regierung zugegeben.

Staatssekretär Freiherr von Marschall:

Meine Herren! Jn der vielumstrittenen Frage des Hopfen- zolls, wie er sih nah unserem Vertrage beiderseitig gestaltet, stehen sih zwei Anschauungen diametral gegenüber. Einmal die Anschauung der süddeutschen Hopfenbauern, die eben eine beredte Vertretung gefunden hat bei dem Herrn Vorredner, dahin gehend, daß die Normierung des Hopfenzolls eine schwere Schädigung für den bayerischen Hopfenbau enthalte, und auf der anderen Seite die Anschauung, welche vor etwa 14 Tagen die russischen Hopfenbauern in einer Deputation dem russischen Finanz-Minister unterbreitet haben, dahin gehend, daß durch diesen Vertrag der ganze russische Hopfenbau absolut ruiniert werde, und den Hopfenbauern in Rußland nichts mehr übrig bleibe, als von jeßt an ihren Hopfenbau einzustellen. (Hört, hört! links.) Auf diese Deputation hat der russishe Herr Finanz-Minister die Ant- wort gegeben, von der der Herr Vorredner einen kleinen Theil verlesen hat, die im wesentlihen dahin geht: beruhigt Euch, die Sache wird niht so s{limm werden. E

Nun kann ih die Besorgnisse der russishen Hopfenbauern an- gesihts einer Herabsezung des Hopfenzolls in Rußland um 65 9/9 begreifen. Was ich aber nicht verstehe, is, wie unsere süddeutschen und speziell bayerishen Hopfenbauern irgend welhe Besorgnisse an diesen Vertrag knüpfen können. Man spricht von ciner Uebershwem- mung mit russishem Hopfen. Ohne Üebderzweminüng geht es nun einmal nicht bei der Kritik eines Handeisvertrages. (Heiterkeit links.) Dabei denkt man si das große ungeheure Nußland, wie es sich auf der Landkarte präsentiert, und die Phantasie malt \ich dann aus, welche ungeheuren Quantitäten in diesem großten Lande produziert werden können. Sieht man dann die Zahlen an, so stellt \ich das Bild ganz anders dar. In Rußland werden z. Z. etwa jähr- lich zwishen 20- und 30000 Doppelzentner Hopfen produziert. Das ift ein klein wenig mehr, als in meinem engeren Heimath- lande Baden, und nt ganz [0 N wie im Köntgs reich Württemberg produziert wird. (Hört, hört! links.) Die bayerische Hopfenproduktion beläuft fich auf durch)chnittliÞh 130—150 000 Doppelzentner, ist also reihlich viermal so groß, als die ganze russische Hopfenproduktion, und die deutshe Hopfenproduktion ist beinahe zehnmal so groß, als diejenige des ganzen europäishen Rußlands. Und, meine Herren, während Deutschland einen ausgezeihneten Qualitätshopfen hervorbringt der bayerishe Hopfen gehört zu dem besten, der über- haupt in der ganzen Welt erzeugt wird, und auf dem L2Beltmarkt es mit jedem anderen Hopfen aufnehmen kann —, fo t der russische Hopfen in der Hauptsahe geringwerthiger Hopfen; nur in einer Provinz Nußlands wird seit jüngster Zeit ein besserer Hopfen gebaut, das ist Wolhynien. In Wolbhymen waren im vorigen Jahre. 2300 ha mit Hopfen angepflanzt und haben ein Gesammterträgniß gehabt von 80 000 Pud. Das füv ungefähr 13 000 Doppelzentner. Also währenov wr ca. 300 000 Doppel- zentner Hopfen im Inlande erzeugen, von denen wir ungefähr 100 000, also den dritten Theil ins Ausland exportiereä, rweroen in Rußland im ganzen 20- bis 30 000 Doppelzentner erzeugt, uüd vavon kommen auf besseren Hopfen höchstens 10- bis 12 000 Doppelzentner, und, meine Herren, von diesem ganzen russishen Hopfen sind im vorigen Jahre 6000 Doppelzentner zu uns eingeführt werdon (Hört, hört! links), und zwar in Folge einer ungemein s{lechten Ernte in Süddeutsch- land. Die Hopfenernte in Süddeutschland im vorigen Jahre war ungefähr 40 9/9 einer Mittelernte, und allein daraus erklärt fich, daß die Einfuhr von russishem Hopfen, die früher kaum nennenswerth war, bei uns etwas zugenommen hat, und zwar gerade zur Zeit des Zollkrieges. Der Herr Vorredner hat uns hier Zahlen in Pud vorgelesen, da machen sih die Zahlen etwas größer; ich will die Zahlen daher auf Doppelzentner reduzieren, das wird verständ- licher sein. Im Jahre 1890 sind von Rußland bei uns 20 Doppel- zentner, 1891 1200 Doppelzentner, 1892 1300 Doppelzentner und im vorigen Jahre etwa 6000 Doppelzentner eingeführt worden. Das sind noch nit 3 9% unserer inländishen Produktion, und nun frage ich: wo bleibt denn da die Ueberschwemmung und die Gefahr einer Ueberschwemmung in der Zukunft? (Zuruf rechts.) Ja, wir haben zehn Jahre vor uns! Wer aber nur einigermaßen etwas versteht von der Kultur von Qualitätshopfen, der weiß, daß man nit heute einen Acker mit Hopfen anlegen kann, um in zwei Jahren guten Hopfen zu haben. (Sehr richtig! links.) Der ganze russishe Hopfenbau, soweit er überhaupt Qualitätshopfen erzeugt, wird betrieben von czechischen Emigranten, und es wird viele Jahre dauern, bis der russische Bauer überhaupt im stande ift, alles zu erlernen, was nothwendig ist, um Qualitätshopfen zu erzeugen.

Nun, meine Herren, möchte ih doch wirklih die Frage aufwerfen: was kann man eigentlich mehr von einem Handelsvertrage verlangen,

als daß der Staat , der einen großen Theil seines Hopfens na dem Auslande exportiert, von dem anderen Kontrahenten eine Ermäßigung des betreffenden Zolls um 65 %/o erreicht hat? Nun war der bisherige Zoll von 10 Rubel per Pud, also ungefähr 200 4 per Doppel. zentner, allerdings ein ganz außergewöhnlih hoher Zoll. Aber troß- dem hat dieser Zoll noch eine Ausfuhr nah der russischen Statistik im Werthe von 13 Millionen von Deutschland nah Rußland zugelassen, Ist nun nicht die Schlußfolgerung eine absolut zutreffende und logische, daß, wenn dieser frühere Zoll von 10 Rubel auf 3,50 Nubel, also um 65 9/0, ermäßigt wird, dann unser Export wesentlih gewinnt und insbesondere Bayern , das bisher an dem Export nah Rußland in erster Linie betheiligt war, daraus einen Gewinn zieht ?

Der Herr Vorredner hat uns eine Petition vorgelesen von Hopfen bauern aus Mittelfranken, worin sie eine Gleichstellung des deutshen Zolls mit dem russishen Zoll wünschen; also wir follen unseren Hopfen- zoll von 20 4 auf ungefähr 200 # erhöhen! Ein Zoll ist doc an sih nihts Gutes; er muß doch einen vernünftigen Zweck haben, sei eg für die Finanzen des Reichs, sei es zum Schuß der Produzenten, Nun könnte ich mir für ein Land, das ein Drittel seiner ganzen Produktion ins Ausland ausführt, kaum eine verkehrtere Maßregel denken, als daß es den Anstoß dazu gäbe, daß alle Länder ih gegen die Einfuhr von Hopfen abschließen. Ein Hopfenzoll von 200 4, in Deutschland wäre das thörichtste, was wir machen könnten ; denn dadurch würde wahrscheinlich ein großer Theil der Hopfenproduktion und zwar gerade der Theil, der zum Export bestimmt ist, Schaden leiden. Meine Herren, daß wir Nußland nicht dazu he» wogen haben, den Zoll auf die Höhe herabzuseten, die wir haben, das liegt eben daran, daß der russishe Hopfenbau zur Zeit eine außerordentlih {wache Pflanze ist, während der deutshe Hopfenbau ein kräftiger Mann ist, der sich vor niemand zu fürchten hat; und ih muß offen sagen, es hat mein Selbstgefühl als Süddeutscher fast beleidigt, daß man in der Weise vom süddeutshen Hopfenbau \pricht, als ob der Angst zu haben brauche vor ein paar Kolonisten, die in Wolhynien Hopfen bauen. Davon i} gar keine Rede. Alle Be- denken, die bisher dagegen geltend gemacht sind, erscheinen unbe- gründet. Die einzige Folge, die der Handelsvertrag haben wird, ift die, daß dank der Ermäßigung des russischen Hopfenzolls unsere Aus- fuhr dahin wesentlich zunehmen wird. Das betrachte ih als einen wesentlichen Gewinn für unseren Hopfenbau. (Bravo! links.)

Abg. v. Staudy (dkons.): Es giebt au bei uns in Posen Hopfenbauer, ih kann mich felbst als einen solchen vorstellen. Der Neutomischler Hopfen steht in keiner Weise dem bayerishen na: er wird manchmal fogar etwas theurer bezahlt, weil er besondere Qualität hat und aus Saaßer Fechsung gezogen ist. Ich habe keine zehn Jahre gebraucht, um diese Qualität zu erzielen. Es sind bei uns nicht kleine Leute, welche Hopfen bauen, sondern größere Bauern, Besitzer spannfähiger Wirthschaften, die vollständig mit dem Groß- grundbesiß Hand in Hand gehen in Bezug auf die Wirthschafts- politik. In Rußland kann viel mehr Hopfen als bisher gebaut wer- denz deshalb wollen wir den Vertrag niht annehmen.

Abg. Noesidcke (b. k. F.): Ich begreife es, daß die Hopfenbauer noch mehr zu erreichen wünschen; aber Deutschland has 10 000 Doppel- zentner übrig zum Export, und zwar sind es niht die besten Qualis- täten, welhe exportiert werden, sondern solche, die in Deutschland nit verkäuflih sind. Die Reden der Hopfenbauer wären begreiflich, wenn der Zoll Rußlands erhöht wäre; er soll aber um fast zwei Drittel ermäßigt werden. Der russishe Hopfen, der nah Deutsch- land kam, blieb zum großen Theil unverkäuflih. In Posen ift es allerdings gelungen, eine bessere Qualität Hopfen zu erzielen. Aber es hat 15 bis 20 Jahre gedauert, um dem Posenschen Hopfen den Eingang in die Brauereien zu verschaffen. Wie foll Rußland folche Verbesserungen überhaupt erzielen? Die bayerishen Hopfenbauer haben eigentli gegen den russishen Hopfen nichts einzuwenden ; fie beklagen nur die Mischung desfelben mit dem badenschen, elsässishen und märki- {hen Hopfen, wogegen -auh die Brauereien manches einzuwenden haben. Aber das hat mit dem russischen Handelsvertrag nichts zu thun. Der bayerische Hopfenbauverein hat nohmals über die Frage abgestimmt und von 18 Abstimmenden haben fsich 14 für den russischen Handelsvertrag erklärt. Der Abg. Lutz hat früher einmal crklärt, die dunkle Farbe des Bieres würde durch Zukerkouleur hergestellt. Jeder Brauergeselle weiß aber, daß das billiger durch Farbemalz geschieht. Der Abg. Lutz hat darauf auf Veranlassung des früheren Mitgliedes Goldschmidt, des Direktors der Patenhofer Brauerei, de- und wehmüthig Widerruf geleistet. (Widerspruch des Abg. Lu tz.) Ich habe die Erklärung vor mir und könnte sie verlesen. (Präsident von Leveßow: Die Sache steht doch wohl nur im losen Zusammen- hange mit dem Handelsvertrag); ih lege sie auf den Tisch des Hauses nieder. Vielleiht widerruft der Abg. Luß auch seine heutigen irrthümlihen Auslassungen.

Abg. Beckh (fr. Volksp.) tritt ebenfalls den Ausführungen des Abg. Luy entgegen; ohne Abschluß des Vertrags mit Rußland und ohne Ermäßigung des Hopfenzolles würde Deutschland {chließlich gar nicht mehr exportieren können.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dkons.): Wir sollen der Re- gierung dankbar sein für die Ermäßigung des Hopfenzolles. Aber der Hopfenzoll beträgt immer noch das 22 fahe dessen, was 1887 als Zoll bestand. Wenn man zu diesem Sate zurückgekehrt wäre, so wäre damit wirklih etwas erreicht worden. Für den badischen Hopfen, den der Abg. Roesicke so shlecht gemacht hat, wird wohl der Staats sekretär Freiherr von Marschall noch eine Lanze einlegen. Ein Ge- \chäft machen bei diefer Sache niht die Hopfenbauer, sondern die Hopfenhändler, welche die Mischung deutschen und russishen Hopfens vornehmen. Gerade Hopfen und Hanf sind diejenigen Artikel, bei denen die Landwirthschaft viele Hände beschäftigen kann.

Abg. Kröber (südd. Volksp.): Eine Versammlung hat mih beauftragt, gegen diese Position zu stimmen; das kann mich aber nicht veranlassen, gegen den ganzen Vertrag zu stimmen.

Abg. Hilpert (b. k. F.): Wenn der Abg. Weiß seine Rede vor der Wahl gehalten hätte, hätte er keine einzige Stimme bekommen. Von dem rufsishen Handelsvertrage werden nur die Hopfenhändler, aber nicht die Hopfenbauer einen Bortheil haben. O

Abg. Lu (dkons.) bestreitet, daß er de- und wehmüthig Abbitke geleistet habe. Durch das Entgegenkommen des Herrn Goldschmidt sei die Sache in kulantester Weise erledigt worden. Er habe irr- thümlih eine Brauerei genannt, von der er garniht einma wußte, ob fie besteht. Die Sache heute wieder vorzubringen, war jedenfalls nit besonders liberal.

Damit schließt die Debatte.

Persönlich bemerkt der Abg. Noesicke, daß es nicht illiberal ge- wesen sei, auf das Vorkommniß bezüglich des dunklen Bieres zurüd- zukommen. Der Abg. Luß werde als Bauer und Brauer im Parla- mentsalmanah aufgeführt und habe in dieser Frage, wie das dunkle Bier hergestellt wird, niht Bescheid gewußt, was seine Sachverständig- keit in ein eigenthümlihes Licht stellt. j

Die Position wird darauf genehmigt. : I

Bei Nr. 74 „Töpferwaaren aus gewöhnlichem und feuer festem Thon“ führt der

Abg. Graf Arnim (Np.) aus, daß der Zoll immer noch, sehr hoch geblieben sei, daß die deutshen Industriellen davon keinen Bor- theil haben werden. Die Herren erklären s daß sie feinen Vortheil haben, aber im Interesse der Industrie nicht widerspred wollen. So künstlich is überhaupt die Stimmung der Industrie [l den Vertrag hervorgerufen.

Staatssekretär Freiherr von Marschall:

JFch muß die Behauptung des Herrn Vorredners, daß die Zu- stimmung der Industrie zu diesem Vertrage ledigli künstlih durch die Presse geschaffen worden sei, als völlig unrichtig zurückweisen. Die Zustimmung und das Einverständniß der Industrie mit dem rufsishen Tarif ist uns zu einer Zeit kund gegeben worden, wo die Presse noch gar feine Kenntniß davon hatte, nämlich im Zollbeirath, von den Delegirten der Industrie, die in emsiger und erfolgreicher Arbeit und in steter Ver- bindung mit der Industrie selbs uns erklärt haben, daß diese Zoll- fonzessionen, wie wir fie erhalten haben, genügen und einen erheb- lichen Vortheil für die ganze deutsche Industrie darstellen.

Bei Nr. 139: Noheisen, fragt der

Abg. Graf Kaniß (dkons.): weshalb der Noheisenzoll nicht herabgeseßt sei. Es heißt, die rufsishe Regierung habe der Eisen- industrie die Fortdauer des Zolls bis 1898 zugesichert; warum ist er aber nit für die Zeit von 1898—1903 ermäßigt worden ?

Staatssekretär Freiherr von Marschall:

Meine Herren! Wir haben an der Höhe des russischen Zolls auf Roheisen ein ganz minimales direktes Interesse. Wir führen, glaube id, etwa 50 000 Doppelzentner dahin aus, die Engländer dagegen ungefähr 13 Millionen Doppelzentner. Wie es nun die russische Negierung machen kann, daß sie den Zoll auf Roheisen auf der gleichen Höhe noh fünf Jahre beläßt, während sie gleichzeitig die Zölle auf Halb- und Ganzfabrikate von Eisen uns gegenüber herabsetzt, das ist meines Erachtens Sache der russishen Regierung. Unsere Ausfuhr an Halb- und Ganzfabrikaten kann jedenfalls dadurch keinen Nachtheil erleiden, daß der Zoll auf Noheisen noch vier Jahre auf derselben Höhe bleibt. (Sehr richtig !)

Abg. Graf Kaniß (dkons.): Deutschland, in erster Linie Schlesien, hat früher dasfelbe Quantum Roheisen nah Nußland exportiert wie England, solange der Zoll nicht differenziert war. 1886 betrug der Werth der deutschen Noheisenausfuhr über 3 Millionen Mark.

Staatssekretär Freiherr von Marschall:

Wenn die Schlesier statt Noheisen künftig ihre Halb- und Ganz- fabrikate nah Rußland zu guten Bedingungen ausführen können, fo, glaube ich, werden sie gerne auf die Ausfuhr von Roheisen verzichten.

Bei Nr. 215: Galanterie- und Toilettesahen, Spiel- waaren weist der

Abg. Neißhaus (Soz.) darauf hin, daß die Spielwaaren- industrie durh die Schußtzzollpolitik, welhe Deutschland in der ganzen Welt herbeigeführt habe, am \{chwersten geschädigt worden fei, und zwar handle es fih hierbei um die ärmste Bevölkerung, welche als Hausarbeiter die Spielwaaren anfertige.

_ Darauf wird der russische Tarif und die Bemerkung des Schlußprotokolls dazu genehmigt, nahdem noch der

Abg. Graf Arnim (Nyp.) darauf aufmerksam gemacht hatte, daß der Getreidehandel berücfsichtigt sei, indem man die Säcke, in welchen russishes Getreide nach Deutschland eingeführt sei, wieder zollfrei nach Rußland zurückgehen lassen könne. Aber für die deutsche Landwirth- haft habe man nichts übrig.

Um 53/4 Uhr wird die Berathung bis Dienstag 12 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 34. Sißung vom 12. März 1894.

Auf der Tagesordnung steht die Fortseßzung der zweiten Berathung des Etats des Ministeriums der geist- lichen 2c. Angelegenheiten, und zwar das Kapitel „Ele- mentarshulwesen“.

Zu dem Anfangsberiht in der Montags-Nummer des Blatts tragen wir zunächst drei Reden des Staats-Ministers Dr. Bosse nach.

Dem Abg. Jansen (Zentr.), welher eine Besserung der Verhältnisse der Lehrer im allgemeinen und derjenigen der Provinz Schlesien im besonderen, eventuell durh Pränume- randozahlung oder Vorschüsse, wünschte, erwiderte

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Die Staatsregierung theilt den Wunsch des Herrn Abgeordneten, den Lehrern ihre Bezüge thunlichst pränumerando zutheil werden zu lassen. Die Sache im Verwaltung8wege zu machen, ist, wie der Herr Abgeordnete selbs angedeutet hat, überaus {hwierig. Ih mache namentlich darauf aufmerksam, daß bei Versetzungen und Todesfällen Schwierigkeiten {on dadur entstehen, daß einestheils ein Theil ihrer Besoldung in Naturalien gewährt wird, und andern- theils, daß die einzelstehenden Lehrer ja keinen Anspru auf das volle Gnadenquartal haben, sondern nur auf den Gnadenmonat. Es war bereits von mir in dem Wunsche, hier Abhilfe zu schaffen, eine Verfügung in diesem Sinne ausgearbeitet, ich bin aber überall auf das dringendste Viderrathen der Bezirksregierungen gestoßen und ih habe deshalb den Entwurf nicht hinausgegeben. Ich habe mir vielmehr vorgenommen, diese Verhältnisse demnächst beim Lehrerbesoldungsgeseß mit zu regeln. Ich hoffe, daß es gelingen wird, bei dieser Gelegenheit hier allgemeine Abhilfe zu schaffen. Jch mache darauf aufmerksam, daß der Versuch, im Wege der Vorschüsse die jeßige Praxis zu ändern, mit allen Regeln der Staats - Finanzverwaltung in Widerspruch \}tehen würde. Es handelt \fih dabei um Millionen von Borschüssen, und ob diese Vor- hüsse jemals wieder rihtig ausgegeben würden, das würde doch außerordentlich zweifelhaft sein.

Auf die Beschwerde des Abg. Motty (Pole) über Schüler- mnißhandlungen durch Lehrer, namentlih in den polnischen vandestheilen, entgegnete der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

: Meine Herren! Jch bin mit dem Herrn Vorredner vollkommen darin einverstanden, daß vorbeugen sehr viel besser ist, als das Uebel geshehen lassen, aber an einem Vorbeugen in Bezug auf die zu \trenge Behandlung der Schulkinder durch die Lehrer fehlt es bei uns nicht. Es find in dieser Beziehung allgemeine Verfügungen ergangen, und diese allgemeinen Verfügungen werden mit aller Kraft und Energie durchgeführt. Jch muß aber doch dem Herrn Vorredner gegenüber bemerken, daß die Volks\{ullehrer, die Lehrer an den polnisch- utraquistishen Schulen sehr viel besser sind, als sie hier geschildert worden sind. l Meine Herren, jede Strafe, die ein Lehrer gegen ein polnishes Kind

erhängt mag es auf Grund eines Schulvergehens fein, welches es wolle

d G von der polnischen agitatorischen Presse fo dargestellt, als wenn

Ne aus nationalem Haß verhängt worden sei. (Hört! hört!) vine as niht dazu beitragen kann, die Lehrer zu befriedigen, das

Vas die Herren mir zugeben; im Gegentheil, es ist cin s{werer

, Unter welchem die Lehrer nah dieser Richtung hin stehen, und

ih muß daher die Lehrer nach dieser Seite hin in Shuz nehmen. Ich kann das au, denn es sind Beshwerden das wäre doch der einzige gewiesene Weg fast garnicht aus den Provinzen Posen und Westpreußen an mi gelangt.

Nun hat der Herr Abgeordnete auch darauf aufmerksam ge- mat, daß wir zu wenig Lehrer hätten, die polnisch verstehen. Das ift in früherer Zeit richtig gewesen, aber das ift wesentlih zurückzuführen auf die polnische Agitation ; denn die polnische Presse hat die polnisch redende Jugend abgemahnt, sich dem Lehrerstande zu widmen, und dadurch find wir in die Nothwendigkeit verseßt worden, mit vieler Mühe erst den Zustand wieder herzustellen, daß wir polnisch redende Leute in die Seminare brachten.

Gbenso wenig kann ich die Klagen darüber als berechtigt an- erkennen, daß wir die Kinder, die polnische Eltern haben, polnisch reden und nicht deutsch verstehen, mit ungehörigem Zwang, in den deutschen Religionsunterriht nöthigten. Fch will durch Einzelheiten die Debatte nicht aufhalten, aber ih habe hier Fälle, die in dieser Beziehung unglaubliche Ansprüche ergeben ; deutsche Eltern, die dorthin gezogen sind, wenigstens ein deutscher Vater, der eine polnisch redende Frau geheirathet hat, die aber au einigermaßen deutsch versteht, verlangen polnischen Religionsunterriht für ihre Kinder, die des Deutschen vollständig mächtig sind; bei denen wird also hier der Anspruch erhoben, wir sollen fie als Polen behandeln. Fa, meine Verren, fo weit können wir nicht gehen; diese Kinder find Deutsche, und die Schulverwaltung hat dafür zu forgen, daß sie Deutsche bleiben. (Bravo! links.)

_Nach dem Abg. Dr. Gerlich (fr. kons.) nahm zu der Lehrerbesoldung noch einmal das Wort der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Meine Absicht geht garniht dahin, die Ge- meinden über das erträglihe Maß hinaus zu belasten; im Gegentheil, ich habe das tiefste Mitgefühl gerade unter den heutigen Verhältnissen bei der Nothlage der Landwirthschaft mit den Gemeinden, wenn sie in die Lage kommen sollten, für die Schule mehr zu bezahlen , als ne tragen fönnen. Mein Wunsch und mein Streben geht nur dahin, die Staatsmittel, die ih habe, und die wir ja in ziemlih reihen, wenn auch noch niht genügendem Maße im Etat haben, gèrechter, als es jeßt der Fall ist, zu vertheilen, und dadur hoffe ih auch für die Gemeinden eine rihtigere Stellung in Bezug auf ihre Belastung mit Schulausgaben herbeizuführen. Es ift in der Budgetkommission ja diese Frage weitläufig erörtert; ih hoffe, ih werde nicht nöthig haben, noch weiter hier darauf cinzugehen. Dies ist der ganze Sinn dessen, was in der Budgetkommission über meine Absicht erklärt worden ist: an ein sogenanntes Lehrerbesoldungsgesetß heranzutreten und dadur herbeizuführen, daß wir zuerträglichen Zuständen kommen, Daß aber in Westpreußen noch vieles zu wünschen übrig bleibt, das können Sie einfach daraus sehen, daß von den 359 Schulstellen in Westpreußen 200 Lehrer noch ein Einkommen von 451 bis 600 M neben Wohnung und Feuerung haben. Ja, meine Herren, nun frage ih Sie: wie joll der Lehrer das machen, mit einem Einkommen i will einmal den Durchschnitt nehmen von 540 M ih einen Etat zu machen, bei dem er als anständiger ‘Mensch auskommen kann? Durch Zufall bin ih in die Lage gekommen, den Etat eines jungen, sehr verständigen, sparsamen Lehrers zu schen, den er seiner Mutter geschickt hat; bei dem Etat, ergab sich, daß der Mann nicht in der Lage war, sich seinen zerrissenen Rock durch einen neuen zu erseßen. Jh muß dafür sorgen, daß die Leute wenigstens die nothwendige Kom- petenz haben; das sind keine Ideale und sind keine zu weit gehenden Ansprüche; das muß Preußen für seine Volks\{hullehrer unter allen Umständen erreihen. Das werden wir erreichen, und werden wir auch erreichen ohne zu große Belastung der Gemeinden, und dahin werde ih mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, streben, daß wir zunächst wenigstens das bekommen, daß wir das Nothwendige erreichen. Das sind wir unseren Lehrern {uldig. Thun wir es nicht, so kann auch der frischeste Lehrer auf die Dauer nicht mit Freudigkeit seines Amtes walten.

Also darauf geht mein Wunsh hin. Daß wir das ganze Schulwesen auf eine übermäßige Höhe heben wollten, ja, meine Herren, die Gefahr liegt leider noch sehr weit. Nein, helfen Sie mir nur darin, daß wir die nothwendigsten Kompetenzen den Lehrern gewähren, ohne die sie überhaupt nicht existieren können ; dann werden wir au im inneren Schulwesen weiter kommen. Und lafsen Sie uns das ausführen ih werde hoffentlih in der Lage fein, Ihnen Borschläge nah der Rihtung hin in der nächsten Session vorzu- legen —, indem wir ernstlih dahin trachten, unsere Schullasten und ihre Vertheilung auf eine bessere und gerechtere Basis zu stellen, als es bisher beim besten Willen möglich war.

Jm weiteren Verlauf der Berathung bezeichnet

Abg. Szmula (Zentr.) die Schulstrafen für Versäumnisse als zu hoh. Wenn die Eltern die Kinder wegen Mangels an Kleidung nicht zur Schule shicken können, müßten die Strafbestimmungen mit größter Milde gehandhabt werden. Wie weit das Züchtigungsrecht überschritten werde, zeige ein Fall in Pleß, wo ein Lehrer einen Knaben, der gestohlen hatte und nicht gestand, wo er das Gestohlene verborgen, 36 Hiebe auf das Gesäß gegeben habe. Als der Knabe dann noch nit gestand, habe ihn der Lehrer gefragt, ob er wisse, was föpfen fei, habe den Kopf des Knaben auf einen Block gebunden und ihm das Beil an den Hals gelegt. Allerdings sei der Lehrer gerichtlich bestraft worden, aber solche Dinge follten überhaupt niht vorkommen. Gbenso unzulässig sei es, wenn katholishe Kinder bestraft würden, weil sie an hohen katholishen Feiertagen die Schule versäumen.

Abg. Schröder (Pole) beschwert sich über Drangsalierung der polnishen Lehrer, denen man nicht einmal gestatte, in ihrer Familie mit thren Kindern polnisch zu sprehen, und bestreitet dem Abg. Gerlich, daß die Polen polonisierende Bestrebungen verfolgten; sie verlangten nur Gerechtigkeit. Die Gemeinden in Westpreußen seien überlastet und meist {hon unter der Grenze ihrer Leistungs- fähigkeit angelangt; auch die Grundsteuer werde ihnen nit helfen.

Abg. Dr. P ors ch (Zentr.) bespriht nochmals die Einführung des polnischen Sprachunterrihts in Oberschlesien und fragt den Minister, ob es richtig sei, daß in Oberschlesien nur vier Religionsstunden be- ständen, während es im Westen in katholishen und evangelischen Schulen deren fünf gebe. Die Lehrerbesoldung set eine folche, daß troß der Finanzlage Abhilfe ges{ehen müsse. Im Breslauer Kreise gäbe es Lehrergehälter bis zu 496 4 herab. Hoffentliche gelinge es, das rere I stande zu bringen und damit die Dispo- sitionsfonds zu beseitigen. Er wünsche ferner, daß der Minister für Beschulung konfessioneller Minoritäten in konfessionellen Schulen möglichst Sorge trage. In verschiedenen Fällen in Schlesien fei die Ausfchulung katholischer Minoritäten aus evangelischen Schulen durch zu hohe Ansprüche der evangelishen Hausväter vereitelt worden.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch will ebenso wie der Herr Vorredner mich auf das Allernothwendigste beshränken. Auf die Anfrage, ob es richtig

ist, daß wir im fatholischen Religionsunterricht eine verschiedene Zahl von Stunden angenommen hätten gegenüber dem evangelischen Unter- riht, kann ich nur erwidern, daß für den ganzen Umfang der Monarchie die Stundenzahl durchaus gleich is. Der Zweifel ift vielleicht dadurch entstanden, daß in einer Provinz gewünscht war, den evangelischen Schulen noch eine fünfte Stunde zum Bibellesen zu gewähren. Die ist auch bewilligt worden ; es if aber gleichzeitig an alle Regierungen ein Reskript ergangen, worin gesagt ist, daß ent- sprehend diese Stunde auch dem katholischen Religionsunterricht hinzu- gefügt werden foll.

Was nun die katholishen Minoritäten in Schlesien anlangt, so läßt sih darüber, ob die Prinzipien des Schulreglements von 1801 richtig sind oder nicht, streiten. Die Sache ist hier ja oft besprochen worden ; die vorrückende Konfession ist nach diesem Schulreglement jedesmal im Nachtheil ; das ist richtig. Aber da \sich das auf beide Konfessionen bezieht, so wird es sich doch wohl im ganzen und großen ausgleichen.

Von der Verfügung der Breslauer Regierung im Guhrauer Kreise ist bis jeßt noch nichts an mich gelangt, ih bin daher auch außer stande, Auskunft darüber zu ertheilen.

Abg. Kelders (nl.) beklagt, daß cine Reihe von Gemeinden im Regierungsbezirk Düsseldorf mit über 10 000 Einwohnern nicht leistungs- fähig genug seien, um die Ansprühe an die Besoldung der Lehrer n die Einführung der Dienstalterszulagen für dieselben zu über- nehmen.

Ministerial-Direktor Dr. Kügler erkennt die Bedürftigkeit der Gemeinden an und sagt eine erneute Erwägung darüber zu, wie ihnen geholfen werden fönne.

L Abg. Wurmbach (nl.) führt ebenfalls aus, daß eine große Neihe von Gemeinden mit über 1000 Einwohnern, namentli rasch an- wachsende Industrieorte niht im stande seien, selbst für die Ein- führung der Dienstalters\tufen für die Lehrer zu sorgen.

Abg. v. Schenckendorff (nl.) bespricht wieder die Frage des Handfertigkeitsunterrihts. Wenn dieser auch nicht als obligatorischer Unterricht in der Volks\{hule einzuführen sei, fo müsse doch der Staat seine Unterstüßung leihen, wenn ein solcher Unterricht seitens der Gemeinden si aus si selbs heraus entwiele.

Abg. Conrad-Glaß (Zentr.) erinnert an die Bemühungen, die arme Weberbevölkerung in Schlesien anderen Berufszweigen zuzuführen ; alle folGe Bemühungen seien bisher vergeblih gewesen. Man habe deshalb dur die Erziehung in der Schule zu helfen gesucht und probe- weise in Neurode den Handarbeitsunterriht eingeführt: ein UÜnter- nehmen, das von allen Seiten Billigung und Unterstüßung finde. Fn 18 Klassen werde Handarbeitsunterricht ertheilt, und die öffentliche Ausstellung habe gute Erfolge gezeigt. Die vorhandenen Mittel reichten aber niht zur Unterhaltung der Schule aus; der Etat sehe nur 10 000 M mehr für die Förderung des Handfertigkeitsunterrihts im ganzen Lande vor. Fördere man in der Grafschaft Glau, die Jahr- zehnte lang ein Aschenbrödel gewesen, diese Bestrebungen, so fördere man das gesammte gewerbliche Leben daselbst, desen Grundlage der Handarbeitsunterricht bilden könne.

Abg. Wurmbach (nl.) berichtet über die Erfahrungen einer ebenfolhen Schule in Bockenheim, die gleichfalls sehr günstige Resul- tate aufweise. Bisher sei aber von Staatswegen zu wenig zur &Sórderung dieser Sache geschehen. Die obligatorishe Einführung des Handarbeitsunterrihts in der Volks\{chule fei niht zu verlangen, aber in der fakultativen Einführung desselben seien die Gemeinden vom Staate zu unterstüßen.

Das Kapitel des Elementarshulwesens wird bewilligt.

Bei dem Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ befürwortet : Abg. Olzem (nl.) die Niederlegung des alten Sternthores in Bonn, das weder architektonish {chôn, noch arhäologisch interessant sel, aber ein großes Verkehrshinderniß bilde. Die Stadtverordneten seten für die Niederlegung, der Minister wolle sie aber nit zugeben. : Geheimer Ober-Regierungs-Rath Persius: Die Ansichten über den Werth des Thores sind getheilt, manche Alterthumsfreunde wün- schen die Erhaltung; es sollen aber neue Erwägungen über die Sache stattfinden.

Abg. Dr. Beumer (nl.) befürwortet zur Beseitigung des großen Künstlerproletariats die Trennung der Vorbereitungskflasfsen auf den Kunstakademien von den höheren Klassen. Nicht mit den nöthigen Zalenten ausgestattete junge Leute könnten dann auf den Weg in das praktische Leben, ins Kunstgewerbe geführt werden. Die traurige Lebenslage der Künstler sei mit {huld an dem öden Cynismus und krassen Materialismus in unserer Kunst. Die Freskomaleret werde auf den Akademieen bevorzugt vor der Staffelmalerei. Bei den Erwerbungen für die National: Galerie würden die preußischen Akademiker vor den freien Künstlern und den Außerpreußen bevorzugt. Die Künstlerschaft sei sehr benachtheiligt dadur, daß für die Kölner Dombau-Lotterie nit mehr wie früher ein be- stimmter Theil der Gewinne aus Kunstwerken bestehe, wie Kaiser Wilhelm I. seiner Zeit bestimmt habe.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Jordan: Die Erwerbungen für die National-Galerie werden lediglich nach dem künstlerischen Werth gemacht. Die Aenderung in den Bestimmungen der Kölner Dombaulotterie is im Interesse der Lotterie von dem Lotterie- (Comité beschlossen worden.

__ Abg. Kirsch (Zentr.) wünscht, daß der Staat nur solche Lotterien genehmige, bei welchen ein bestimmter Theil der Gewinne

Kunstwerke seien, und bedauert, daß das Haus neulich die Erweiterung der Museen in Berlin abgelehnt habe. Die Anbringung der Bilder in der National-Galerie sei eine schr gute, da Licht und Schatten passend vertheilt seien. Jn der Düsseldorfer Ausstellung sei zu bedauern, daß die Personalangaben über die Künstler, Geburts-, Todesjahr, Alter 2c., fehr lückenhaft seien. Redner wünscht {ließlich die Erhaltung des Bergerthors in Düsseldorf, das einen so hohen geshihtlihen und künstlerishen Werth babe, daß es nicht niedergelegt werden dürfe.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch halte das sehr warme Interesse des Herrn Vorredners für das Thor in Düsseldorf für vollkommen bere(tigt. Ich habe ja auch die Niederlegung des Thores abgeschlagen, und bis jegt ist ein neuer Antrag in dieser Beziehung an mich nicht ge- kommen; ih bin davon durchdrungen, daß das Berger Thor verdient, aufrecht erhalten zu werden. Sollte ein neuer Antrag, der auf die Niederlegung abzielt, an mi herantreten, so werde ich voraussi(htliÞh dieselben Gründe geltend machen, mit denen ich das vorige Jahr operiert habe. Sie sehen aber, meine Herren, auf welche weihen Rosen der Minister ge- bettet ist, zu dessen Ressort die Kunst gehört! (Heiterkeit.) Auf der einen Seite wird dafür plädiert, daß ein Thor aufrecht erhalten werden foll, und auf der anderen Seite kommt Herr Olzem und sagt: um Gotteswillen \chaffen Sie das Sternthor weg. (Heiterkeit.) Die Diagonale zu finden, wird sehr {wer sein; sie besteht vielleicht darin, daß das eine Thor stehen bleibt und das andere niedergelegt wird. (Heiterkeit.)

Ich will mir nur noch zwei Worte erlauben. Das eine betrifft die allerdings wichtige Frage, wie richtig es ist, daß wir auch die monumentale Malerei heben und fördern. Wir haben im Vorjahre zum Ankauf für die National-Galerie verwendet 110255 #4, zur Förderung der monumentalen Malerei und Plastik 182875 #, zur Förderung des Kupferstihs 6900 4 und zu gewissen Nebenkosten noch einige Tausend Mark. Von diesen zur Förderung der monumentalen