1894 / 82 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 07 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

darauf, ob dem Jnhaber der elterlichen Gewalt ein Verschulden zur Last fällt oder nit, au dann zuzulassen sei, wenn das Kind sittlich verwahrlost und nach derPersönlichkeit und den Lebensverhältnissen des Jnhabers der elterlihen Gewalt die Annahme gerechtfertigt E, daß die elterlihe Erziechungsgewalt zur Besserung des Kindes niht ausreiht. Die Mehrheit entschied sich für die Annahme des Antrags. Nach dem Entwurf (S 1546 Saß 3) kann unter den im § 1546 Saß 1 bestimmten Vorausseßungen, sofern das Jnteresse des Kindes cs erfordert, das Vormund- schaftsgeriht dem Jnhaber der elterlichen Gewalt außer der Sorge für die Person des „Kindes auch die Vermögens8- verwaltung, nicht aber die Nußnießung am Vermögen des Kindes, entziehen. Einem Antrage, zu bestimmen, daß, wenn dem Jnhaber der elterlichen Gewalt - die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes entzogen sei, er kraft Geseßzes auch die elterlihe Nupgnießung verliere, wurde keine Folge gegeben. Vielmehr wurde beschlossen, daß dem Jnhaber der elterlichen Gewalt in den Fällen des Z 1546 auh die Vermögensverwaltung nicht solle o werden können. Durch einen Zusay zu § 1547 soll jedoch zum Ausdruck gebracht werden, daß die Entziehung der Vermögensverwaltung und der elterlichen Nuznießung zulässig ist, wenn der Jnhaber der elterlichen Gewalt das Necht des Kindes auf Gewährung des Unterhalts verleßt und für die Zukunft cine erhebliche Gefährdung dieses Unterhalts zu besorgen ist. Der Z 1546 u 2 bestimmt, daß, wenn dic in Saß 1 bezeihneten Voraus}eßungen vor- liegen, das Vormundschaftsgeriht insbesondere auch die Unterbringung des Kindes in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs-oder Besserungs- anstalt anordnen kann. Die Vorschrift fand die Zu- stimmung der Kommission. Zugleih wurde beschlossen, in den Entwurf des Einführungsgescßes eine Bestimmung aufzu- nehmen, wonach dic Vorschristen der Landesgeseße über die öffentlihe Zwangserziehung mit der Ein- \{hränkung unberührt bleiben, daß die öffentliche Zwangs- erziehung, unbeschadet der Vorschriften des F _56 des Strafgeseßbuchs, nur in den Fällen des Z 1546 des Bürgerlichen Geseßbuchs und nur dann zulässig ist, wenn das Vormundschaftsgericht die öffentliche Zwangserziehung des Kindes für erforderlich erklärt hat. Andererseits sollen mit Rücksicht darauf, daß der § 1546 Sag 1 auf den Fall der sittlichen Verwahrlosung des Kindes ausgedehnt worden ist, die Bestim- mungen des §55 Saß 2,3 des Strafgeseßbuchs gestrichen werden. Eine lebhafte Erörterung knüpfte sih weiter an die Frage, ob in den E des S 1546 die Entziehung des Rechts der Sorge für die Person des Kindes im Wege der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Beschluß des Vormundschafts- gerihts oder im Wege des Prozeßverfahrens durch gerict- liches Urtheil erfolgen solle. Die Mehrheit trat dem Standpunkte des Entwurfs bei, der die Frage im ersteren Sinne entscheidet. Abgelehnt wurde auch ein Antrag, zu be- stimmen, daß der Beschluß des Vormundschaftsgerichts im Wege der Klage angefohten werden könne oder daß an Stelle der Beschwerde gegen den Beschluß die Klage bei dem Landgericht zulässig sei. Einvernehmen bestand, daß in dem in Aussicht genommenen Geseße über das Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Ver- fahren vor den Vormundschaftsgerichten sowie das Rechts- mittelverfahren mit den erforderlihen Garanten auszustatten sei.

Die Vorschriften der §8 1547 bis 1550, nach welchen unter den dort näher bestimmten Voraussezungen das Vor- mundschaftsgeriht den Jnhaber der elterlihen Gewalt in dem Recht der Verwaltung des Kindesver- mögens beshränken und nöthigenfalls ihm dieses Recht entziehen kann, gelangten mit einigen nicht erheblihen Aenderungen sahlih nah dem Entwurf zur Annahme. Auch die Bestimmungen des § 15951 über die Befugniß des Vormundschaftsgerihts, die von ihm getroffenen Anordnungen jederzeit wieder aufzuheben, sowie die Bestimmungen des §8 1552 über die Mitwirkung der Gemeinde-Waisenräthe und die Vorschriften des § 1553 über die Beendigung der elterlihen Vermögensver- waltung durch Eröffnung des Konkursverfahrens « Über das Vermögen des Jnhabers der elterlichen Gewalt, wurden nicht beanstandet.

Die Berathung wandte sich sodann den von dem Ruhen und der Beendigung der elterlihen Gewalt handelnden N 1554 bis 1561 zu. Gegen den sahlihen Jnhalt des § 1554 Abs. 1, soweit er die Vorausseßungen bestimmt, unter denen die elterlihe Gewalt ruhen foll, erhob sich kein Widerspruh. Dagegen war beantragt, die Vorschrift des 8 1554 Abs. 1, daß dem Jnhaber der elterlihen Gewalt in den Fällen des Ruhens der elterlichen Gewalt die elterliche Nußznießung verbleiben solle, zu streihen. Die Berathung diesés Antrags wurde bis zur nächsten Sißung vertagt. Für den Fall, wenn die elterlihe Gewalt wegen Minderjährig- feit des Jnhabers der elterlihen Gewalt ruht, bestimmt der § 1545 Abs. 2, daß der Jnhaber d?r elterlihen Gewalt gleihwohl mit gewissen Beschränkungen das Recht und die Pflicht der Sorge für die Person des Kindes haben soll. Die Bc- stimmung wurde, soweit sie die minderjährige Mutter betrifft, gebilligt. Daneben soll aber die den zweiten Saß in § 1555 Abs. 1 deckende weitere Bestimmung aufgenommen werden, . daß, wenn der Jnhaber der elterlihen Gewalt in der Ge- schäftsfähigkeit beschränkt ist, ihm neben dem geseß- . lihen Vertreter die Sorge für die Person des Kindes in gleiher Weise zustehen soll wie der Mutter nah § 1506 neben dem Vater.

Die Vorschrift des § 1555 Abs. 1 Sah 1, wonach, solange die elterlihe Gewalt des Vaters ruht, der Mutter die Ausübung der elterlihen Gewalt zusteht, erfuhr feine Anfechtuno; vorbehalten blieb jedoch die Entscheidung der Frage, ob in diesen Fällen der Mutter auch die elterliche Nug- nießung zustehen solle. Von der Regel des § 1555 Abs. 1 - macht der Abs. 2 die Ausnahmen, daß, wenn der Vater wegen Verschwendung entmündigt oder wenn seine Ehe mit der Mutter des Kindes aufgelöst ist, die Mutter nicht die elterlihe Gewalt ausüben soll. Einvernehmen bestand, diese Vorschrift auf den Fall auszudehnen, wenn der Vater wegen Trunksucht entmündigt ist. Andererseits wurde beschlosjen, der Vorschrift einen Zusay zu geben, wonach, wenn die Ehe aufgelöst ijt, das Vormundschaftsgeriht auf Antrag der Mutter zu bestimmen hat, daß e DIE elterlihe Gewalt auszuüben habe, sofern keine Aussicht auf Beseitigung des Grundes besteht, aus welchem die elterliche - Gewalt des Vaters ruht. Ein Antrag, in allen Fällen des

1555 Abs. ‘2, also auch dann, wenn die Ehe niht aufgelöst ist, dem „Vormundschaftsgericht die Be-

der Mutter auf ihren Antrag elterlihen Gewalt zu übertragen, fand nicht die Zustimmung der Mehrheit. Die Entscheidung der Frage, ob, wenn die Ehe wegen Geisteskrankheit des Vaters geschieden ist, der Mutter kraft Geseßes die Ausübung der elterlihen Gewalt zustehen solle, wurde bis zur nächsten Sißung vertagt.

fugniß einzuräumen, die Ausübung der

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische Ministerial-Rath Geiger ist hier angekommen.

WVayern.

Die Kammer der Abgeordneten hat in ihrer ge}trigen

Sizung die vor den Osterferien abgebrochene Spezialberathung des Etats des Kultus-Ministeriums wieder aufgenommen.

Sachsen-Coburg-Gotha. j

Zur Feier der Vermählung Jhrer Königlichen Hoheit

der Prinzessin Victoria Melita von. Sach sen- Coburg-Gotha mit Seiner Königlichen Hoheit dem Groß- herzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein werden der „Cob. Ztg.“ zufolge in Coburg erwartet: Seine Majestät der Kaiser, Jhre Majestät die Königin von Großbritannien undJrland, Jhre Majestät die Kat) erin Friedrich, Seine Königliche Hoheit der Prinz von Wales, Jhre Königlichen Hoheiten der Herzog und die Herzogin von Connaught, Jhre Königlihen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Heinrich von Preußen, Dhre Kaiserlihen Hoheiten der Großfürst und die Großfürstin Wladimir von Rußland, Jhre Kaiserlihen Hoheiten der Großfürst und die Großfürstin Sergius von _Nuß- land, Jhre Großherzogliche Hoheit die Prinzessin Alix von Hessen, Seine Großherzogliche Hoheit der Prinz Heinrich von Hessen, Seine Durchlaucht der Prinz und Jhre Königliche Hoheit die Prinzessin Ferdinand von Sachsen - Coburg, Seine Großherzoglihe Hoheit der Prinz Wilhelm von Hessen, Seine Hoheit der Erbprinz und Jhre König- lihe Hoheit die Erbprinzessin von Sachsen - Meiningen, Seine Durchlaucht der Prinz und Jhre Königliche Hoheit die Prinzessin Philipp von Sachsen-Coburg, Jhre Durchlauchten der Prinz und die Prinztsstn Aribert von Anhalt, Seine Durchlaucht der Prinz und Jhre Königliche Hoheit die Prin- zessin Heinrih von Battenberg, Seine Durchlaucht der Prinz und Jhre Großherzogliche Hoheit die Prinzessin Ludwig von Battenberg.

Oesterreich-Ungarn.

Der dee Boa n S Und die Prinzessin Neuß sind gestern Abend nah Weimar ab- gereist. Zur Verabschiedung hatten sih, wie „W. T. B.“ be- richtet, am Bat, nhof das Personal der deutschen Botschaft, der Minister des Auswärtigen Graf Kälnoky, der Reichs- Finanz - Minister Freiherr von Kallay, der Finanz - Minister Dr. von Plener, die Sektions-Chefs im Ministerium des Aus- wärtigen Freiherr von Pasetti und Graf Welsersheimb fowie zahlreihe Mitglieder des diplomatishen. Korps und der Aristokratie eingefunden. Prinz Reuß wird in der nächsten Woche nah Wien zurückkehren, um während der Anwesenheit Seiner Majestät des Kaisers Wilhelm in Wien zu verbleiben.

Das Abgeordnetenhaus seßte gestern die General- debatte über das Budget fort. Der Abg. Kramarz hob hervor, man könne den Jungczehen ein Kokettieren mit der Arbeiterschaft nicht vorwerfen. Die Jungezechen hätten gegen die „Omladina“ nichts gethan, weil sie in deren Demonstrationen nur den Ausdruck der Erbitterung des böhmischen Volkes er- blickthätten. Der Abg. Vosinak führte aus, daß die Slovenen sich der Koalition angeschlossen hätten, weil an der Spiße der gegen- wärtigen Regierung ein Mann stehe, der von dem Gefühle der Gerechtigkeit durhdrungen sei. Der Abg. Wachnianin er- klärte namens der Ruthenen, diese seien leiht für die Regie- rung zu gewinnen, wenn die leßtere den gerechten Wünschen der Ruthenen. Rechnung trage. Der Abg. Schamaneck be- kämpfte die Koalition. Der Abg. Zaleski entgegnete, die Koalition ermögliche die Durchführung großer legislatorischer Arbeiten. Er erklärte ferner, die Polen würden den ruthenischen Patrioten loyal entgegenkommen. Der Abg. Kaizl bemerkte, die bohmische Frage müsse gelöst werden. Die Koalition sei zur Stagnation verurtheilt. Der Abg. Nuß gab dem Schmerz über das Ableben des Abg. Dr. Schmeykal Ausdruck. Er blie mit Befriedigung auf die bisherigen Leistungen der Koalitionsregierung. Der Redner wies auf die Bedeutung des abzuschließenden Handelsvertrags mit Rußland hin, begrüßte die Erklärung Zaleski’s als eine Kräftigung der Koalition und erklärte shließlich unter lebhaftem Beifall, er habe Verirauen zu der Regierung. Die Debatte wurde sodann auf heute vertagt.

Die Einsegnung der Leiche des Abg. Dr. Schmeykal findet morgen in Prag, die Beiseßung am Nachmittag in Böhmisch-Leipa statt. An der Bahre werden in Prag und Leipa je drei Redner sprehen. Jm Laufe des Tages trafen überaus zahlreiche Beileidskundgebungen in Prag ein. Der Finanz-Minister Dr. von Plener zeigte seine Theil- nahme am Leichenbegänguiß telegraphisch an.

Frankreich.

Eine den Blättern zugegangene Mittheilung der „Agence Havas“ stellt in Abrede, ah die Differenz zwishen Frank- reih und Portugal bereits gänzlih beigelegt sei. Die französische Regierung habe keineswegs die Absicht kundge- geben, ihre rechtlich begründeten Forderungen fallen zu lassen.

Die Einnahmen aus den indirekten Abgaben er- gaben im Monat März 6 900 000 Fr. mehr als im Budget vorgesehen war. Der Mehrertrag an Zöllen belief fih auf 4 500 000 Fr.

Der Generalrath des Departements du Nord hat der „Köln. Ztg.“ zufolge einstimmig, die Sozialisten eingeschlossen, folgende Tagesordnung angenommen: „Jn gerehter Erregung über den neuen Bombenversuch in Paris, drückt der General- rath das Vertrauen aus, daß die Regierung ihre Wachsamkeit und Thatkraft verdoppeln wird, um die anarchistishen Verbrechen zu unterdrücken, die jeßt die Hauptstadt in Schrecken seßen.“

Jtalien.

Der Bürgermeister von Venedig hat gestern eine Proklamation erlassen, worin er die bevorstehende Ankunft Jhrer Mazestäten des Kaisers Wilhelm und des Königs

Humbert bekannt giebt und die Bevólkeruag auffordert, dag frohe Ereigniß festlih zu begehen. : :

Der König traf gestern Nachmittag in Venedig ein und wurde am Bahnhof von den Spißen der Behörden empfangen. Die zahlreih anwesende Bevölkerung begrüßte wie „W. T. B.“ berichtet , den König mit enthusiastishen Kund: gebungen. Vom Bahnhof begab sich Allerhöchstderselbe mittels einer Gondel, der eine große Anzahl reih ges{chmückter Barken folgten, nah dem Königlichen Palais, auf dem ganzen Weg von der Bevölkerung lebhaft begrüßt. Später erschien der König auf dem Balkon des Palais, um der Volksmenge, die den Markusplaß füllte, zu danken.

Mit Rücksicht auf die, Mitte des Monats erwartete An- funft von 15000 spanishen Pilgern hat der Papst be- \{chlo}sen, daß die Seligasprehung Johann Davila Diego’s von Cadix in der Peterskirche stattfinden soll, was seit dem Jahre 1870 nicht geschehen is. Jn der Peterskirche wird der Papst auch die spanische Pilgerschaft am 18. April feierlich empfangen. E :

Das geheime Konsistorium zur Präkonisierung von Bischöfen und zur Ernennung von Kardinälen wird am 18. Juni stattfinden, das öffentlihe Konsistorium und die feierlihe Hutaufsezung am 21. Juni.

Schweiz.

Dex Nationalrath hat geliern wle V. 2. B* meldet, das Anarchistengeseß mit einigen unwesentlichen Nenderungen, über die sich der Ständerath noh auszusprechen hat, einstimmig angenommen.

Zehn Mitglieder des Nationalraths haben den Bundes- rath über den Stand des Streitfalls mit Jtalien, betreffend die Zollzahlung in Metallg eld, interpelliert und Auf- {luß über die Hindernisse verlangt, die der Einseßung des vertragsgemäß vorgesehenen Schicdsgerichts entgegen stünden.

Montenegro.

Wie „W. T. B.“ aus Cetinje berichtet, *ist es gestern an der Grenze abermals zu einem Zusammenstoß zwischen Albanesen und Montenegrinern gekommen, bei dem aber niemand getödtet wurde. Unter den Bewohnern der montenegrinischen Grenze herrsht große Erregung. Nach in Cetinje eingelaufenen Meldungen benähmen sich die türkischen Behörden und Truppen gleichgültig, wodurch die Situation erschwert werde.

Schweden und Norwegen.

Das Storthing hat dem „W. T. B.“ zufolge gestern einstimmig beschlossen, das Grundkapital der Hypothekenbank um eine Million zu erhöhen, sowie eine Staatsanleihe im Be- trage von 19 Millionen aufzunehmen. Die Regierung hatte nur 16 Millionen vorgeschlagen; der Finanz-Minister erklärte sih jedoch mit der Erhöhung einverstanden. Ferner nahm das Storthing die Vorlage wegen Konversion der Staats-Anleihe vom Fahre 1880 an. Der Gesammtbetrag der neuen Staats-Anleihen beläuft sich auf 38 Millionen Kronen. Ble Bertveter der der Linken angehörigen Vereine haben die gestern mit- getheilte Resolution des Parteivorsiandes, worin die Durchfüh- rung des Storthingbeschlusses, betreffend das Konsulatswesen, sowie ein eigenes norwegishes Ministerium des Aus- wärtigen und das allgemeine Wahlrecht gefordert werden, angenommen.

Afrika.

Wie das „Reuter he Bureau“ vernimmt, hätte die britishe Regierung zu der vorgeshlagenen Konversion der egyptishen unifizierten Schuld ihre Zustimmung ertheilt.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sißzung des Reichstags befindet sich in der Ersten, der Schlußbericht über die gestrige Sißung des Hauses der Abgeordneten in der Zweiten Beilage.

Der heutigen 76. Sißung des Reichstags wohnten der Neichskanzler Graf von Caprivi, der Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky und der Königlih bayerische Gesandte Graf von Lerchenfeld-Köfering bei.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Entwurfs eines Geseßes wegen Abänderung des Gesetzes, betressend die Erhebung von Reichsstempelabgaben. Berathen wird zunächst der neue Stempeltarif, wie er aus den Berathungen der Kommission hervorgegangen ist.

Nummer 1 des Tarifs betrifft die Höhe der Stempel für Aktien. Für inländische Aktien und Antheilscheine, sowie Interims- {eine und Einzahlungen auf diese Werthpapiere soll der Stempel verdoppelt werden und künftig 1 °%/ betragen. Für ausländische Aktien u. \. w., wenn sie im Inlande ausgehändigt, veräußert, verpfändet oder wenn daselbst andere Geschäfte unter Lebenden gemacht oder Zahlungen darauf geleistet werden, foll der Stempel verdreifaht werden und fünftig 14 9/0 betragen. Befreit sind: inländische Aktien u. #. w., sofern sie von Aktiengesellschaften ausgegeben werden, welche nah der Entscheidung des Bundesraths gemeinnükigen Zwecken dienen, den zur Vertheilung gelangenden MNein- gewinn saßzungsmäßig auf eine höchstens vierprozentige Verzinsung der Kapitalseinlagen beschränken, auch bei Ausloofungen oder für den Fall der Auflösung niht mehr als den Nennwerth dieser An- theile zusihern und bei der Auflösung den etwaigen Rest des Gesell- \chaftsvermögens für gemeinnützige Zwecke bestimmen ; die von solchen Aktiengesellschaften beabsichtigten Veranstaltungen müssen für die minderbegüterten Volksklassen bestimmt fein. :

Abg. Gamp (Np.) giebt als Referent der Kommission eine Uebersicht über die zu dem Entwurf eingelaufenen Petitionen.

(Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten sehte in seiner heutigen 43. Sißung, welcher der Finanz-Minister Dr. Miquel und der Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen mit Kommissarien beiwohnten, die zweite Berathung des Etats der Staats-Eisenbahnverwaltung fort.

Bei dem Einnahmetitel: Aus dem Personenverkehr 249 000 000 , beantragt Abg. Broemel (fr. Vgg.) die Er- höhung dieser Position um 2300000 #6

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Die wahrhaft staatêmännishe Rede des Grafen Kanitz hat verschiedene Beurtheilung gefunden; am olympischsten ist damit Abg. Broemel umgesprungen, welcher einfa erklärte, das reaftionäre Agrarierthum wolle gar keinen Verkehr. Das ist eine der unseren entgegengescßte Meinung ; aber mit den Anschauungen, die Graf Kaniß namens unserer Partei ausspricht, wird Herr Broemel mit seiner Partei zu rechnen haben. Wenn durch das Zusammenströmen großer Menschenmassen in Städten Nachtheile entstehen, fo sollen die Städte sie tragen und niht vom Staat Abhilfe

| verlangen. Es scheint geradezu, als wenn man den Verkehr nur um seiner

E

| selbst willen fördern möchte, während der Verkehr doch auch nur

höheren Zwecken dient. Der Minister meinte gestern auch, daß er vom Grafen Kaniß einen Antrag auf Abschaffung der Freizügigkeit erwartet hätte. Das liegt auf cinem anderen Gebiete. Aber wozu soll die Freizügigkeit durch den billigen Eisenbahnverkehr verschärft werden ? Bemerkenswerth is die Hineinziehung der Kanalfrage. Die Industrie soll dezentralisiert werden, aber sie will die Kosten dafür niht tragen. Auch bei der Dezentralisation würden die ländlichen Arbeiter in die Industrie gezogen und nachdem je ausgenüßt sind, wieder auf das Land abgeshoben werden. Es ist eine große Unverfrorenheit, mit welcher die Industrie verlangt, daß auf Kosten der ländlichen Bevölkerung ihr geholfen werden foll. Unter dem Zeichen des Verkehrs leben wir niht erft jegt, sondern {on immer, so lange die Menschheit existiert. Jeßt leben wir eigentlih niht unter dem Zeichen des Verkehrs, fondern unter dem Zeichen der Verkehrtheit. Redner wendet fih dann gegen den Abg. Piel, Der. bereut habe daß er sür die Vers staatlihung der Eisenbahnen begeistert gewesen. Herr Pleß, fährt ¿ér fo devot aber er eil 1889. dem Hause an, wo die Verstaatlihung {hon abgeschlossen war; er hat sich an der Sünde also garnicht betheiligt. Herr Broemel will die Eisenbahn- Einnahmen erhöhen, wie das im Reich auch geschehen is, nur um si vor sich selbst und vor den Wählern ‘zu entschuldigen dafür, daß man die Steuern nicht bewilligt, die verlangt werden, um die Finanzen des Reichs und der Einzelstaaten aufzubessern. VBegründet sind solhe Erhöhungen der Einnahmen niht. Jeßt ist für 1893/94 eine Mehreinnahme von 23 Millionen Mark zu erwarten. Menn die Einnahme für 1894/99 um 29 Millionen Mark höher veranschlagt is, so entspricht ‘das einer vorsichtigen Neranschlagung. Solche Dinge macht man wohl im Reichstag, wo Sie (links) die Mehrheit haben, aber nicht hier, wo wir die Dinge ernstlih prüfen. In Bezug auf die Tarifreform nehme ich einen Standpunkt ein, den Herr Broemel als ultrareaktionär bezeichnen wird. Die Regierung muß - Mehreinnahmen beschaffen; das finn fle bel den - Tartsen, obne das Qaus zu befragen. Die Negierung sollte die Tarife jeßt niht ermäßigen, sondern alle Begünstigungen und Ermäßigungen aufheben. Das wird einen großen Lärm machen, aber meine Freunde werden den Herrn Minister unterstüßen. Graf Kanig meinte, er habe in ein Wespennest ge- griffen. Ich glaube, die Weépen werden summen, aber nit stechen, und der Minister würde auh gut thun, wenn er unverzagt seinem Vorgänger nahahmen wollte, der das Wort vom Giftbaum sprach, was ihm sehr übel genommen wurde.

Abg. von Veltheim (kons.) {ließt sich den Ausführungen des Grafen Kaniß an. Die Vororte Berlins würden von Sozial- demokraten, von Arbeitern bevölkert, wodurch den Gemeinden große Lasten für Armenpflege und für die Schule erwüchsen, während allein die Stadt Berlin den Vortheil von diesen Arbeitskräften habe. Des- halb sträube sih die Stadt Berlin auch so sehr gegen die Einge- meindung. Die Verhältnisse würden noch \{hlimmer werden, wenn die Tarife nah dem Wunsh des Abg. Brömel noch mehr ermäßigt würden.

Finanz-Minister Dr. Miquel: Das Finanz-Ministerium f\teht in Bezug auf die Veranschlagung der Einnahmen ähnlich, wie der Landtag. Es hat aber nie gewagt und würde nie wagen, dem Nessort- Minister gegenüber eine Steigerung der Einnahmen, die er nah genauer Prüfung aller Verhältnisse vorgeschlagen hat, zu verlangen. Wir sagen uns in unserer Bescheidenheit, daß wir gar nicht im stande sind, diese Dinge besser zu beurtheilen als der Ressort-Minister. Eine folche Veranschlagung entspringt der Erfahrung, ja dem Gefühl, dessen wir uns niht rühmen können. Der Eisenbahn - Minister hat mitgetheilt, daß die Einnahmen des laufenden Jahres um zwei Millionen hinter dem Etat zurückbleiben; danach würden die Einnahmen im vorliegenden Etat sehr hoch bemessen sein. Deshalb haben wir nicht den geringsten Grund, in dieser Beziehung dem Reichstag irgendwie zu folgen. In jeder aufsteigenden Konjunktur kann man fich wohl in der Höhe der Veranschlagung ohne Gefahr irren. Aber in Zeiten finanzieller Klemme ift die Gefahr größer, denn nichts ist gefähr- licher als in Finanzsachen sich felbst etwas vorzulügen. Ich will nicht fagen, daß im Reichstag die politishe Tendenz maßgebend gewesen ist ; ich bestreite nur die Möglichkeit, daß die Herren im Neichstag die Kenntniß haben, um die Einnahmen richtiger zu veranschlagen als der Nessort-Minister. Ich würde es für bedenklicher halten, wenn die Einnahmen und Ausgaben veranschlagt würden, um bestimmte Zwecke zu erreihen. Ich würde es für unzulänglih halten, wenn die Regierung den Etat fo veranschlagte, um cinen nit vor- handenen Fehlbedarf herauszuklügeln. Das würde bedenklich sein für den guten Glauben der Verwaltung und das würde noch in höherem Grade der Fall sein, wenn der Landtag zu dieser Vethode kommen sollte. Es ist von der Tarifreform offenbar meist in der Tendenz einer Herabseßung gesprohen worden. Einer Reform an sich stehen seitens der Finanzverwaltung keine Bedenken entgegen, aber sie darf die Uebershüsse nicht vermindern, sie darf das Risiko der \{chwankenden Eisenbahneinnahmen nicht vermehren. Wenn der Landtag vor die Frage gestellt wird, 25—30 9/69 Zuschläge zur Einkommensteuer zu erheben oder die Tarife zu erhöhen zur Ver- mehrung der Einnahmen, ohne dem Publikum große Unzuträglichkeiten zu bereiten, so weiß ih nicht, wofür der Landtag sh entscheiden wird. Jedenfalls wird man sich jeßt hüten müssen, eine Tarifreform durchzuführen, welhe die große Gefahr einer Verschlehterung Der Finanzen mit «4M. bringe Genieren Q denn die Kommunen, aus ihren Betrieben Uebershüsse zu erzielen, um ihre Steuerlast zu vermindern? Wenn die Stadt Berlin ledig- lich Einnahme und Ausgabe bei ihren Gasanstalten balancieren wollte, so müßte sie ihre Steuern erheblich erhöhen. Es mag falsch sein, die Staatsausgaben aus den Eisenbahnübershüssen zu decken. Aber das ist eiumal geschehen, und vermindern wir die Eisenbahn- Einnahmen, so müsen wir die Ausgaben durch Steuern decken. Wir haben keinen Eisenbahn-Reservefonds, wir haben niht einmal die Schulden mehr in Wirklichkeit tilgen können. Die Knappheit unseres ganzen Finanzwesens würde selbst dann, wenn die Reichseinnahmen vermehrt würden und das Defizit verschwunden wäre, es nicht gestatten, daß der Staat seine Kulturaufgaben in um- fsangreiherer Weise als bisher erfüllt. Tarifermäßigungen können Mehreinnahmen bringen, aber es giebt au Tarifermäßigungen, welche ih niht in Mehreinzahmen umseßen. Der Nationalökonom Rafaelo- wih hat nachgewiesen an der Hand der Ermäßigungen der fran- ösishen Cifenbabnen, daß die Ausgaben noch viel mehr gestiegen sind, S Einnahmen. Ich bitte also um Ablehnung des Antrags

rômel.

Abg. Dr. Hammacher (nl.): Wir sind niemals der Meinun gewesen, daß die Eisenbahnen gar keine Ueberschüsse geben follen ; ih will au nicht irgend eine Maßregel befürworten, welche die Ueber- {üsse der Cisenbahnen vermindert. Ich übe diese Enthaltsamkeit ledoh nur mit lebhaftem Bedauern. Daß die Tarifermäßigungen aber au) mehr Einnahmen bringen können, ist bekannt. Als die Auf- hebung der Staffeltarife verlangt wurde, war der Finanz- Minister derjenige, welcher dieser Aufhebung von Tarifermäßigungen widersprah, weil dieselben eine Mehreinnahme von fünf bis sechs Millionen Mark mit sih gebraht hatten. Die Ermäßigung der ntedrigen Tarife für Steinkohle ist die reihste Quelle der Eisenbahn- übershüsse. Die preußischen Staatsbahnen liefern im Gegensaß zu andern Staatsbahnen neben der Verzinsung des Anlagekapitals 2 9% Unternehmergewinn, nicht wegen der \parsamen Verwaltung, sondern weil in Preußen die Steinkohlenproduktion den Eisenbahnen die großen E von Massenartikeln zuführt. Auch in Bezug auf den Lokalverkehr hat die Ermäßigung der Tarife eine finanzielle Bedeutung; deshalb können wir der Regierung nicht entgegentreten, wenn sie diefen Verkehr fördert, Tan auch soziale Gründe sprechen.

ie Verwunderung des Grafen Limburg-Stirum über die Anregung der Kanalfrage is unbegründet. Die Schäden der Großindustrie angen damit zusammen, daß dieselbe zu schr auf die Eisen- ahnen angewiesen ist, während in anderen Ländern der Kanalverkehr stärker vertreten is; Kanäle bieten den Vor-

tbeil, daß jede Uferstelle einen Bahnhof darstellen kann. Redner wendetfsih {ließlich gegen den Antrag Broemel; die Eisen- bahneinnahmen seien sehr vorsichtig veranshlagt. Im Reich lägen die oe anders ; dort sei eine Erhöhung der Einnahmen zweckmäßig gew-:sen.

Finanz-Minister Dr. Miquel verwahrt \sih dagegen, daß er sich gegen jede Tarifänderung ausgesprohen habe; er habe selbst die Staffeltarife gutgeheißen. Das sei keine allgemeine Tarifermäßigung, fondern es habe sich darum gehandelt, die Tarife entsprehend den sinkenden Selbstkosten für weitere Entfernungen herabzuseßen. Die Staffeltarife hätten für das langgestreckte Preußen, welches im Osten Uebershuß an landwirthschaftlichen, im Westen an industriellen Produkten habe und des Austausches bedürfe, eine große Bedeutung, man müßte denn im Schugzollsystem so weit gehen, daß eine Provinz der anderen gegenüber abgeschlossen werde. Man habe auf die Post verwiesen. Das Postpacket zu 50 Z, ohne Nüsicht auf die Entfernung, wäre unmöglich, wenn die Eisenbahnen die Post nicht unentgeltlih fahren müßten; man könne wobl 22 Millionen Ueber- üsse herauéwirthschaften, wenn die preußishen Eisenbahnen allein für 23 Millionen Mark Frachten leisten. Einer richtigen Normierung, auch einer den Verkehr und die Einnahmen vermehrenden Ermäßigung Aae sih entgegenzusezen, habe die Finanzverwaltung keinen Anlaß.

Bei Schluß des Blattes \priht der Abg. Broemel r. Vg).

Dem Hause der Abgeordneten ist nachstehender Geset- entwurf, betreffend Regelung der Verhältnisse der bei der Umgestaltung der Eisenbahnbehörden nicht zur Ver- wendung gelangenden Beamten, nebst Begründung zu- gegangen :

§ 1. Beamte, welche infolge der am 1. April 1895 eintretenden Umgestaltung der Eisenbahnbehörden nicht weiter verwendet werden, bleiben bis zu ihrer Dienstunfähigkeit zur Verfügung des Ministers E Arbeiten und werden auf einem befonderen Etat geführt.

Sie erhalten bis zu ihrer etwaigen Wiederanstellung vorbehaltlih weitergehender wohlerworbener Nechte, auch im Falle ihrer dem- nächstigen Dienstunfähigkeit während eines Zeitraums von fünf Fahren unverkürzt ihr biéheriges Diensteinkommen und den Wohnungsgeld- zushuß in dem bisherigen Betrage, nah Ablauf des fünfjährigen Zeitraums dagegen drei Viertel ihres pensionsfähigen Dienst- cinktommens.

Das Wittwen- und Waisengeld für die Hinterbliebenen dieser Beamten wird in jedem Fall unter Zugrundelegung einex Pension von drei Vierteln des pensionsfähigen Diensteinkommens gewährt.

Als Verkürzung im Einkommen is es niht anzusehen, wenn die Gelegenheit zur Verwaltung von Nebenämtern entzogen wird oder der Bezug der für die Dienstunkosten besonders ausgeseßten Einnahmen mit diesen Unkosten felbst wegfällt. j

An Stelle einer etatsmäßig gewährten freien Dienstwohnung tritt eine MiethFentshädigung nah der Servisklasse des Orts der leßten Anstellung.

§ 2, Die zur Verfügung des Ministers verbleibenden Beamten haben sich nach der Anordnung desselben auch der zeitwetiligen Wahr- nehmung folcher Aemter zu unterziehen, welche ihren Fähigkeiten und thren bisherigen Verhältnissen entsprechen.

Während der Dauer dieser Beschäftigung erhalten fie ihr früheres Diensteinkommen unverkürzt und, sofern die Beschäftigung außerhalb ihres Wohnortes erfolgt, Reisekosten nah den für die im Dienste befindlihen Beamten bestehenden Vorschriften und eine von der Eisen- bahnverwaltung nah dem erforderlihen Mehraufwande festzuseßzende Entschädigung.

§ 3. Denjenigen niht zur Verwendung gelangenden Beamten, welche zu den im § 2 Abs. 2 des Geseßes vom 27. März 1872 (Geseßz-Samml. S. 268) bezeichneten Beamten gehören, kann ein Warkegeld bis auf Höhe des geseßmäßigen Pensionsbetrages gewährt werden.

§ 4. Findet eine Wiederbeschästigung der Beamten in anderen Zweigen des Staatödienstes oder bei deichsbehörden statt, so finden die geseßlihen Bestimmungen über die Wiederbeschäftigung pensio- nierter Beamten auf die im § 1 Abs. 2 und im § 3 bezeichneten Bezüge Anwendung.

85. Mit der Ausführung dieses Gefeßes werden der Minister der öffentlichen Arbeiten und der Finanz-Minister beauftragt.

Entscheidungen des Reich8gerichts.

Anstiftung zu einer Stempelsteuer - Defraudation in Preußen ist nah einem Urtheil des Reichëgerichts, 111. Straf- fenats, vom 15. Januar 1894, im ftrafrehtlißen Sinne nicht denk- bar. „Erfordert, wie die Vorinstanz in Uebereinstimmung mit dem Urtheil des Reich8gerihts vom 19. Februar 1884 annimmt, das Ver- gehen der Stempelsteuer-Defraudation im Sinne des preußischen Rechts weder Vorsaß noch Fahrlässigkeit, so bleibt diese rein formelle Haftbarkeit auch auf die im Gese selbst ausdrücklich als fontributionspflihtia bezeihneten Personen beschränkt. Anstiftung im Sinne des § 48 Strafgesetzbuhs is nur bei vorsäßlichen Delikten denkbar. Zu einem Delikt, welches thatbestandlih das Nequisit des Vorsatzes nicht enthält, kann deshalb grundsäßlih nicht angestiftet werden. Ob im konkreten Falle zufällig der Thäter mit Vorsat gehandelt hat, muß prinzipiell als gleichgültig gelten." (4774/93.)

Ergiebt sih nach Auflösung einer Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht und nah geshehener Bestellung von Liqui- datoren aus der Liquidationsbilanz eine Uebershuldung, so sind, nach einem Urtheil des Neichsgerichts, T. Strafsenats, vom 22. Januar 1894, die bisherigen Vorstandsmitglieder der Genossenschaft wegen unterlassener Stellung des Antrags auf Konkurseröffnung nicht strafbar. „Die Staatsanwaltschaft leitet in der Revision jene Ver- pflihtung des Vorstands aus § 92 des Gescßes vom 1. Mai 1889, betr. die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, ab, der dahin lautet:

„Sobald die Zahlungsunfähigkeit der Genossenschaft eintritt, hat der Vorstand die Eröffnung des Konkursverfahrens zu bean- tragen; dasselbe gilt, wenn bei oder nah Auflösung der Genofssen- schaft aus der Jahresbilanz oder aus einer im Laufe des Jahres aufgestellten Bilanz Uebershuldung sich ergiebt“.

Danach soll, wie die Revision meint, die Verpflihtung des Vor- standes zur Beantragung des Konkursverfahrens neben der den Ligui- datoren zugefallenen gleihen Verpflihtung bestehen geblieben sein. Dieser Anficht kann nicht beigetreten werden. L

Schon der Wortlaut des § 142 Nr. 2 a. a. O., der die Straf- vorschrift enthält, \priht dagegen. Danach werden bestraft:

„2) Die Mitglieder des Vorstands oder die Liquidatoren, wenn entgegen den Vorschriften in §§ 92, 111, 134 der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens unterlassen ist."

Wäre die Ansicht der Revision richtig, so müßte die Bestrafung der Mitglieder des Vorstands und der Liquidatoren vorgesehen sein. Lißt sih hiernah für die Angeklagten als Vorstands- mitglieder eine Pflicht zur Antragstellung auf Eröffnung des Konkurses auf Grund des Ergebnisses der erst infolge der eingeleiteten Liqui- dation von den Liquidatoren gezogenen Bilanz nicht herleiten, fo ist die erfolgte Freisprehung im bestehenden Recht begründet, und die Revision mußte verworfen werden. (4166/93.)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts.

Ist ein Gemeindemitglied so niedrig zur Ein- kommensteuer veranlagt worden, daß es zur Ausübung des Ge -

meinderechts (aktiven und passiven Wahlrehts zur Gemeinde- vertreiung) niht mehr berechtigt ist, so muß es, nach einem Urtheil des Ober-Verwaltungsgerihts, 11. Senats, vom 26. September 1893 behufs Erhaltung feines Gemeinderehts diese Veranlagung durh das Rechtsmittel der Berufung binnen einer Aus\{hlußfrist von vier Wochen anfechten, widrigenfalls nach Ablauf der Frist das Gemeinderecht verloren geht, obgleißh noch die Möglichkeit einer Nachbesteuerung auf Grund des § 80 des Ein- kommensteuergeseßes vorhanden ist. Der Bergmann H. in der Gemeinde St. (Westfalen) wurde im Jahre 1891, für das er noch zu 9 4 Klassensteuer veranlagt war, zum Gemeinde- vertreter gewählt. Für daS Steuerjahr 1892/93 wurde er mit einem fingierten Saß von nur 2,40 A zur Staats-Einkommensteuer ver- anlagt, und am 23. Juni 1892 faßte die Gemeindevertretung den Beschluß, daß H. nunmehr die Fähigkeit, Gemeindeverordneter zu sein, wegen eines unzureihenden Zensus verloren habe. Auf die gegen diesen Beschluß von H. erhobene Klage erstritt er in der Berufungs- instanz ein obsiegendes Urtheil, welhes auf die Revision der beklagten Gemeindevertretung vom Ober-Verwaltungsgeriht aufgehoben wurde, indem es die die Klage abweisende Entscheidung des Kreis- aus\chusses bestätigte. „. . . Es kann“, führt das Ober-Verwaltungs- gericht aus, „für eine definitive Veranlagung nicht das Erforderniß aufge- stellt werden, daß neben der Möglichkeit einer Anfehtung dur die ordentlihen Rechtsmittel auch noch die weitere Möglichkeit einer Nachbesteueruäg im Sinne des § 80 des Einkommensteuergeseßes vom 24. Juni 1891 bereits ausgeslofsen sei. Vielmehr bleibt, wie auch die Ausführungsanweisung vom 5. August 1891 klar zum Ausdruck bringt, im allgemeinen daran festzuhalten, daß abgesehen von dem Fall der strafbaren Hinterziehung wie für den Steuerpflichtigen, so auch für den Vertreter des Staatsinteresses zur Berichtigung einer ordnungsmäßig erfolgten, aber sahlich unrihtigen Veranlagung die ordentlichen Rechtsmittel, wie sie in §8 40 bis 49 des Gesetzes vom 24. Juni 1891 abgehandelt werden, gegeben sind, und nicht der Saa I

Nach § 6 Z. 1 des Preuß. Einkommensteuerges. vom 24. Juni 1891 ist von der Besteuerung ausgeschlossen das Einkommen aus den in anderen deutshen Bundesstaaten oder in einem deutschen Schutzgebiete belegenen Grundstücken. In Bezug auf diese Bestimmung hat das Ober-Verwaltungsgeriht, V. Senat, durch Cntscheidung vom 16. Oktober 1893 ausgesprochen, daß ebenso wie der Gewinn aus diesen Grundstücken, auch der bei der Bewirth- schaftung derfelben eingetretene Verlust (welhem ein Gewinn nicht gegenübersteht) bei der Veranlagung zur preußishen Einkommensteuer außer Betracht bleibt. Ein Steuerpflichtiger hatte gegen die nach einem Einkommen aus Kapital und Grundbesiß, sowie aus Handel und Gewerbe in Preußen in Höhe von 202 480 #4 bewirkte Veran- lagung die Abseßung von 22660 A Betriebsver lust aus der Bewirthschaftung seines in Lothringen belegenea Gutes verlangt.

Dieser Abzug wurde ihm nicht bewilligt, und seine Beschwerde wurde

bom Ober-Verwaltungsgeriht verworfen, indem es begründend aus- führte: „Allerdings ist in § 6 des Einkommensteuergeseßes nur von dem „Einkommen“ die Rede, und darauf sowie weiter auf den Umstand, daß nach dem folgenden § 7 als Einkommen die „gesammten Jahres- einkünfte*“ der Steuerpflichtigen aus Kapitalvermögen, Grundvermögen u. f. w. gelten follen, ffüßt der Steuerpflichtige vornehmlih feine Ansicht, daß zwar das „Einkommen“ aus den in anderen deutschen Bundesstaaten belegenen Grundstücken von der Besteuerung in Preußen ausgeschlossen, niht aber auch die Abzugsfähigkeit der in solchen Bundesstaaten erlittenen Verluste von dem preußishen Einkommen verneint sei. Diese Ansicht erscheint jedo nicht zutreffend . . .* (21/93.)

Land- und Forstwirthschaft.

Weizenernte in Indien.

Dem von dem „PDepartment of Revenue and Agriculture“ am 9. v. M. veröffentlihten zweiten allgemeinen Bericht über die Aussichten für die diesjährige Weizenernte in Indien entnehmen wir folgende Angaben (vergl. auch „R.-Anz.“ vom 26. Januar d. J.) :

Die mit Weizen bestellte Fläche ist in Bombay und Berar ge- ringer, in Bengalen, Hyderabad (Nyzam’s Dominions) und dem Punjab größer als im Vorjahr. In den Zentralprovinzen übersteigt sie den Durchschnitt der leßten Jahre.

Der Stand der Saaten is in Hyderabad im allgemeinen gut, man erwartet einen Ertrag von 35 9/9 mehr als im vorigen Jahre. In Bombay sind die Saaten befriedigend bis gut, obwohl etwas Roft aufgetreten ist, und auch in Berar, wo nah Mitte Dezember v. J. Rost und zu große Feuchtigkeit Schaden verursachten, sind die Aus- fichten im allgemeinen günstig. In den Zentral-Provinzen berechtigte der Stand bis zum November zu den besten Hoffnungen, dann aber trat in Folge heftigen Regens Nost auf, welher besonders in den nördlichen Distrikten großen Schaden angerichtet hat. In Bengalen hatten die September- und Oktoberregen ungünstig gewirkt, ey haben si jeßt die Saaten gebessert, sodaß cine Mittelernte erwarte wird. In den Nordwestprovinzen- hat sich in einigen Distrikten Rost gezeigt, sonst ist der Stand der Saaten vorzüglih. Im Punjab sind die Aussihten sehr gut.

Handel und Gewerbe.

Berlin, 6. April. Amtliche Pretsfeststellung für Butter, Käse und Schmalz. Butter. (Preise im Berliner Großhandel zum Wochendurchschnitt per komptant.) per 50 kg. Hofs und Genoffenschafts - Butter la. 105 #, Ila. 100 #Æ, IlIla, —,—, do. . abfallende 96 #, Land-, Preußishe —,— s, Neßbrüher —,— F, Pommershe —,— #4, Polnische —,— H, Serie Sennbutter —,— M, do. Landbutter —,— A, Schlesishe —,— F, Galizishe —,— #, Margarine 36— 68 M e: Schweizer, Emmenthaler 87—90 #4, Bayerischer 60—68 Æ, Ost- und Westpreußischer Ta. 68—75 Æ, do. Ila. 58— 62 M, Holländer 83—88 Æ, Limburger 37—40 #4, Quadrat-Mager- fäse Ia. 22—25 M, do. Ila. 10—13 / Schmalz: Prima Western 17 9/9 Tara 47 ä, reines, in Deutschland raffiniert 48 Æ, do. Berliner Bratenshmalz 49—50 A Fett, in Amerika raffiniert 39—40 A, do. in Deutschland raffiniert 36—37 #6 Tendenz: Butter: ruhig. Schmalz: fest.

Verdingungen im Auslande.

Spanien.

16. April, 125 Ubr. Junta administrativa del Arseral del Ferrol (Spanien): Möbel und Geräthe für 2 Torpedoboote. An- \{lagssumme: 12 545,80 Pesetas. Bedingungen zur Einsicht in der Secretaria de la Comandancia general del ÁArsenal del Ferrol. Kaution, vorläufige: 417 Peseten, definitive: 1252 Peseten. Näheres in spanisher Sprache beim „Reichs-Anzeiger“.

Verkehrs-Anstalten.

St. Petersburg, 6. April. (W. T. B.) Wie verschiedene Blätter melden, wurde in der hier stattfindenden Konferenz von Vertretern der russishen uud ausländishen Eisen- bahnen, die miteinander in direktem Verkehr stehen, prinzipiell dahin erkannt, daß für alle Güter, welhe nicht auss{ließ- lich im Auslande, sondern auch in russishen Häfen und Grenzmarken produziert werden, die Tarife beim Transport aus den Häsen und von der Grenze in das Innere des Reichs den entsprehenden allgemeinen Tarifen für die gleichen binnenrussishen Produkte durchaus gleichgestellt, die Tarife für reine Importgüter, d. h. f\olche, die in Rußland niht produziert werden, aber niedriger berechnet werden als die Säße des allgemeinen russi- schen Tarifs. Andererseits versprachen die Vertreter der ausländischen Bahnen, im direkten Verkehr Ermäßigungen für russishe Güter ein- . zuräumen.