1894 / 83 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 09 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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in der Kommission für die Ablehnung der Steuervorschläge, sih nit haben überzeugen können. i

Meine Herren, es sind dagegen Gründe geltend gemacht worden, beispielsweise gegen die Quittungssteuer, daß der Fractbrief- und Quittungsstempel in einzelnen Gehäften 2000 0/6 der Gewerbesteuer des betreffenden Steuerpflichtigen betragen würden. Ein solches Bei- spiel is ebenso zutreffend, als ob ih berechnen wollte, wie viel Prozent die Branntweinsteuer eines Gutes von der Einkommensteuer des Besitzers beträgt. Der Gedanke der betreffenden Stempelsteuern war der, daß dieselben unzweifelhaft im Geschäftsleben werden über- wälzt werden, wie die Erfahrungen in den Staaten gelehrt haben, wo eine folhe Steuer besteht. Wenn man au noch zugeben könnte, daß mit einer Quittungsf\teuer unter Umständen eine gewisse Belästigung des Verkehrs verbunden sein könnte, fo treffen diese Einwendungen do für den Frachtbriefstempel, der überwiegend von den Eisen- bahnbehörden erhoben worden wäre, in keiner Weise zu, da die Er- hebung der Stempel einfach durch gestempelte Blanketts erfolgt wäre; und auch die Erfahrungen, die man in anderen Ländern gemacht hat, besonders in Frankreich, beweisen unzweifelhaft, daß damit eine Einschränkung der Rentabilität des Verkehrswesens nicht verbunden is. Jh bemerke, daß der Betrag, den die verbündeten Regierungen aus den Frachtbriefstempeln erlangen wollten, auf 7 Millonen Mark geschäßt war, d. h. etwa # 9/6 der Gesammteinnahme an Eisen- bahnfrahten, während beispielsweise in Frankreih der Frachtbrief- stempel eine Summe von 25700000 #4 bringt, oder mit anderen Worten 4,77 % des Ertrags der Eisenbahnfrachten. Troy dieser Belastung des Verkehrs mit dem Frachtbrief- stempel in Frankreich betragen die Einnahmen des Güterverkehrs auf den französischen Bahnen pro Tonnenkilometer 4,37 & Z und in Deutschland nur 3,84 4; mit anderen Worten: die Einnahme in Frankreih aus dem Eisenbahngüterverkehr ist 14 °%/ pro Tonnen- kfilometer höher als diejenige der Eisenbahnen in Deutschland. Ein solcher Vergleich kann doch mit Recht herangezogen werden gegen die Behauptung, daß in dem Vorschlag eines Frachtbriefstempels eine wesentlihe Schädigung des Verkehrs liege. Ich will das nicht näher ausführen, weise aber noch namens der verbündeten Negte- rungen ausdrücklich darauf hin, daß der Ausfall, der entstanden ist durch Ablehnung dieser Theile der Stempelsteuer- vorlage, durch andere Steuern jeyt oder später wird gedeckt werden müssen.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dkonf.): Wir haben in der Kommission für diese Stempelsteuer gestimmt, um dagegen zu pro- testieren, daß Vorlagen der verbündeten Regierungen in der beliebten Weise zurückgewiesen würden, welhe eine Diskussion in der Kom- mission gar nicht mehr zuließ. Den Saß von 10 4 als Einheitssaß hätten wir niht angenommen, sondern einer Abstufung den Vorzug

egeben.

l Abg. Rintelen (Zentr.): Diese Höflichkeit der Deutsh-Konser- vativen haben wir vollständig anerkannt. Im übrigen war Ein- müthigkeit in der Kommission vorhanden darüber, daß die Quittungssteuer für Deutschland niht paßt. Das Zentrum hat die Check- und Frachtbriefsteuer geschlossen abgelehnt. Kommen diese Steuern in der nächsten Session wieder vor, dann werden wir uns gerade ebenso verhalten. |

Abg. Singer (Soz.): Wir haben {on in der ersten Be- rathung unsere Stellung zu diesen Steuern kundgegeben. Der Abg. Freiherr von Manteuffel hat gar keine Veranlassung, sih über das Nerfahren der Kommission zu beklagen; nah unserer Meinung wäre es den Interessen des Volkes noch angemessener gewesen, diefe Steuern nicht erft durch ein ehrlihes Begräbniß in der Kommission, fondern a limine zu beseitigen. / E

Abg. Richter (fr. Volksp.): Es ist sehr bezeihnend, daß selbst die Herren von der Rechten sich jeßt bemühen, mildernde Umstände dafür anzuführen, daß sie in der Kommission für diese Steuern ge- stimmt haben. Das Gedächtniß täuscht aber den Abg. Freiherrn von Manteuffel doch. Ein Konservativer hat eingehende Aenderungs- vorshläge gemacht und ausführlich begründet ; sie sind aber einmüthig abgelehnt worden. Die Ersatprojekte des Schaßsekretärs werden hoffentlih dasselbe Schicksal finden wie diese eben abgelehnten Steuern, wie ih überhaupt hoffe, daß die Tabacks- und Weinsteuer baldigst mit diesen Steuern in einer gemeinsamen Gruft zum nicht wieder aufstehen bestattet roerden. :

Abg. Gamp (Np.): Auch die Reichspartei hat sih der Quittungs- steuer keineswegs entgegengeseßt, wird ihr vielmehr, wenn eine richtige Abstufung gefunden werden kann, wohlwollend gegenüberstehen.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dkons.): Die Anträge des Abg. von der Gröben sind von sämmtlichen deutschkonservativen Mitgliedern der Kommission unterstüßt worden. |

Für die Quittungs-, Check- und Frachtbriefsteuer erhebt sih niemand. Jn Kraft treten soll das L nah einem Antrag der Abgg. Gescher, Freiherr Heyl zu Herrnsheim und Rintelen am 1. Mai 1894; Abg. Träger will als Termin für das Jnkrafttreten den 1. Julí 1894.

Die Abgg. Gescher (dkonf.) und Rintelen (Zentr.) empfehlen den 1. Mai; die bis dahin zur Verfügung stehende Zeit werde genügen, um die technische Vorbereitung zu treffen. : /

bg. Träger (fr. Volksp.) protestiert, da das Geseß für die Geschäftswelt bestimmt sei, gegen einen Termin, der sih mit dem Quartal- und Semestertermin niht decke. Auch die Nüksiht auf das Arbitragegeshäft im besondern fordere die Festsegung eines späteren Termins.

Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky:

Ich will mich mit dem Herrn Abg. Träger darüber nicht aus- einanderseßen, ob der 1. Mai oder der 1. Juni ein besonders nichts- fagender und nüchterner Termin ist oder niht. Eine vollwichtige Bedeutung hat es aber doch, daß selbst nah dem von dem Reichs- tag modellierten Etat die Gesammtsumme der Matrikularbeiträge um 30 Millionen höher is als die der Ueberweisungen, daß es des- halb im dringenden Interesse der Einzelstaaten liegt, recht bald wenigstens die Erträge aus diesem Geseß zu bekommen, welche unter der Stimmung des Hohen Hauses so wie so {on in ihrem Ertrage fo wesentlich zusammengeshmolzen sind.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dkons.) empfiehlt gleichfalls den 1. Mai. : :

Es wird demgemäß beschlossen.

Auf Anregung des Referenten Abg. Gamp erklärt der

Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Es hat sich bei der Berathung über die Börsensteuernovelle als wünschenswerth herausgestellt, nähere \tatistische Erhebungen darüber zu haben, aus welchen einzelnen Positionen des Tarifs sich die Gesammteinnahme aus der Börsensteuer zu- sammenseßt. Ich meine, daß auch für eine künftige Börsensteuer- reform oder für eine Reform der Börse hieraus sehr wichtiges Material würde ges{öpffft werden können. Es ist deshalb einerseits erwünscht, festzustellen, wie aus den einzelnen Arten der zu verstem- pelnden Papiere das Gesammteinkommen an Effektenstempel ih zu- sammenseßt, und es ist andererseits wichtig, durh Verwendung ver- schiedener Marken das Waarengeschäft statistisch zu trennen von dem

Effektengeshäft und innerhalb dieser beiden Kategorien wieder die Zeitgeschäfte von den Kafsageschäften.

Es sind ferner aus Börsenkreisen Wünsche laut geworden, daß man auch noch zur Erleichterung des Geshäftsverkehrs Stempel in verschiedenen Beträgen herstellen s\ollte. Was die verschiedenen Buchungen des Effektenstempels betrifft, so habe ih mi dieserhalb bereits mit dem preußischen Herrn Finanz-Minister in Verbindung ge- seßt; die Verhandlungen s{chweben, er hat vorläufig noch das Bedenken, daß dadurch ein außerordentlich großes Maß sftatistisher Arbeit er- wachsen würde. Was die Umsaßhstempel betrifft, so müssen für diese Stempel, nach der tehnishen Auskunft der Reichsdrukerei, besonders empfindliche Farben gewählt werden, um stets, wenn ein Stempel abgelöft wird, noch zu erkennen, ob das Papier wirklih gestempelt gewesen ift, und es ist zweifelhaft, ob so viele derartige Farben technish hergestellt werden Fönnen, einerseits, um verschiedene Stempel- beträge, und andererseits, um verschiedene Stempel für die ver“ schiedenen Arten von Umsatzgeshäften zu beschaffen. Wenn das nach der Auskunft der Reichsdruckerei tehnisch ausführbar ist, so wird den Wünschen des hohen Hauses genügt werden.

Von den Abgg. Dr. von Cuny, Freiherrn Heyl zu Herrnsheim und Place wird folgende Resolution beantragt:

Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, auf Grund der Ergebnisse der Börsenenquête ein Börfenorganifationsgeseß thunlichst bald vorzulegen.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) beantragt in dem vorstehenden An- trage eine nähere Definition des Wortes „Börsenorganisationsgeseßz“.

Die Kommission schlägt folgende Resolution vor:

Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, zu veranlassen, daß von den Börsenauffichtsorganen Fürsorge getroffen wird, daß beim Kommissionsgeshäft dem Kommittenten keine höheren Stempel- beträge in Rechnung gestellt werden, als vom Kommissionär selbft bezahlt worden find. ;

Abg. Freiherr Heyl zu Herrns heim n empfiehlt die nationalliberale Resolution. Die Börsenenquête habe eine fehr lange Zeit gearbeitet. Ihre Arbeiten seten abgeschlossen, die Frucht sei zum Pflücken reif. Es sei bedauerlih, wie [chwer die Börse und die Handelskammern, selbst der Handelstag bereit seien, dem Zuge der Zeit auf dem sfozialpolitischen Gebiet zu folgen. Hier müsse durch die Neichsgefeßgebung abgeholfen werden. Die Börsenusancen verfügten ohne geseßlihe Grundlagen über die wichtigsten wirthschaftlihen Ge- biete de fouverän. /

bg. von Kardorff (Rp.) schließt sich diesen Ausführungen an

und wünscht, daß die Börsensteuer überhaupt niht vor der völligen Neform der ganzen Börsenorganisation in Kraft treten möchte. Namentlich die Zustände auf der landwirths{haftlihen Produktenbörse bedürfen dringend der Reform; die dortigen Uebelstände seien geradezu himmelschreiend. Auch die Mißstände bei der Emission s{lechter Papiere s{hädigten das Publikum ganz außerordentlich.

Staatssekretär Dr. v-on Boetticher:

Die Resolution, die jeßt Jhrer Berathung unterstellt ist , bewegt sih auf derselben Linie wie die Absichten der Reichsregierung. Ich habe bereits früber Gelegenheit gehabt, dem Reichstag mitzutheilen, daß es in der Absicht liege, das Material, welches durch die Berathungen derBörsenenquêtekommission zusammengetragen ist, demnächst au nutbar zu machen. Demgemäß ift, nahdem der Bericht der Kommission bei dem Neichêamt des Innern eingegangen war, ein Rundschreiben an diejenigen Regierungen, in deren Bezirken sich Börsenpläße befinden, gerichtet, welches die Bitte enthält, sih mit der Materie zu be- schäftigen und diejenigen Punkte zu bezeichnen, welhe nach der Mei- nung der einzelnen Regierungen der Regelung auf geseß- geberishem oder administrativem Wege bedürfen. Es besteht die Absicht, sobald diese Aeußerungen eingegangen sind, in kommissarische Verhandlungen, welche von den einzelnen betheiligten Regierungen beshickt werden sfollen, darüber einzutreten, in welher Weise nah beiden Richtungen hin die bessernde Hand an unsere Börseneinrihtungen zu legen sein möchte. Es ist klar, daß es nicht zweckmäßig gewesen sein würde, wenn man schon jeßt von seiten des Reichsamts des Innern zu diesem Zweck Entwürfe aufgestellt hätte, ohne die betheiligten Regierungen vorher zu hören; denn das Börsenwesen is bisher vom Reich noch nicht in die Hand genommen gewesen; die Börsen haben vielmehr der Direktive der einzelstaatlihen Regierungen unterstanden. Ich glaube, daß das Material fo zeitig eingehen wird und daß die Verhandlungen so {nell werden gefördert werden, daß es möglich sein wird, in der nähsten Tagung des Reichstags ein Börsengesetz vor- zulegen. ©

Damit wird die Aufgabe aber niht ershöpft sein; es werden auh gewisse Dinge, wie ih {on andeutete, auf administrativem Wege erledigt werden müssen, und in dieser Beziehung wird der Reichstag wohl auch mit uns darin einverstanden sein, daß diese administrative Regelung eine übereinstimmende für alle deutschen Börfenpläße sein muß. Es bedarf also auch dazu der Herstellung des Einvernehmens der Regierungen. Jh hoffe, daß auch dieses Ein- vernehmen im nächsten Herbst erzielt werden wird. (Lebhaftes Bravo !)

Abg. Nichter (fr. Volksp.): Was der Antrag Cuny eigentlich will, ist mir niht klar. Will man ganz bestimmte Mißstände be- seitigen, so läßt fch im Augenblick darüber kein Urtheil improvisieren.

A0 Dr Bachem (Zentr.) befürwortet seinen Antrag, an Stelle des Wortes „ein Börsenorganifationsgeseß“ zu sagen: „ein Gefeß über die Organisation der Börse, über Regelung der Börsen- geshäfte, namentlich nah der Richtung der Beschränkung der volks- wirthsaftliÞh schädlihen Spekulation.“ Es sei jeßt genug über Reform der Börse geredet worden, man müsse zu Thaten übergehen und frisch in das Wespennest hineingreifen. Eine Menge von Punkten sei bereits spruchreif. Hoffentlih würden die Erhebungen, von denen der Staatsfekretair gesprohen, nicht wieder gar zu lange hinausge- schoben werden.

Abg. Dr. von Cuny (nl.) bezeihnet den Antrag Bachem als überflüssig, sobald in der Refolution statt „Börsenorganisationsgesetz" gesagt werde: „Reichs-Börsengeseß“. Eine solhe Abänderung \chlägt Nedner zugleich im Namen seiner Mitantragsteller vor. Er dankt dann dem Staatssekretär Dr. von Boetticher für sein Entgegen- kommen und auch dem Akg. Richter für seine heutigen Ausführungen, mit denen er fo ret bewiesen habe, wie wenig Verständniß ihm für die Wünsche der Nation beiwohne.

Abg. Dr. Barth (fr. Vg.): Wenn die verbündeten Regie- rungen {on in voller Arbeit find, erscheint die Resolution über- flüssig. Daß Mißbräuche an der Börse vorkommen, wird von niemand geleugnet; es genügt aber niht, den Wunsch nah Abstellung dieser Mißbräuche bloß auszusprechen, um ihn auch hon erfüllt zu sehen. Es wird auf die Pariser Börse und ihre vorzügliche Organisation verwiesen und dabei ganz übersehen, daß diese Börse eben erst den unge- heuren Panama-Schwindel überwunden hat. Mit fsolhen Börsen- gefeßen habe man in allen Ländern Fiasko gemacht.

Abg. Richter (fr. Volkép.): Die Abgg. Dr. Bachem und Dr. von Cuny irren, wenn e glauben, daß wir die Vorgänge in der Oeffentlichkeit bezüglih der Börse niht kennten oder gar direkt ignoriert hätten. Der Abg. von Cuny weiß nicht, daß in der Börsen-Cnquêtekommission festgestellt worden ist, daß ein großes Börfengeseß nicht die Vortheile haben würde, die eine Reihe von Spezialgeseßen und Verwaltungsverordnungen bietet.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) tritt für die Resolution von

Cuny ein. Der Hinweis auf den Panama-Skandal ift hinfällig, Die

Nüglichkeit des Antrags kann nicht bestritten werden; die Regi

- wird dann um fo entschiedener bereit sein, uns ein Börsengesey und

zulegen. i; ; Nachdem noch die Abgg. Dr. Hahn und Gra sowie die Abgg. Heyl zu Herrnsheim, Dr. E Cont Dr. Barth, Dr. Bachem und Freiherr von Stumm Rd zur Sache geäußert, wird die Diskussion geschlossen. J Der Antrag Bachem wird zurückgezogen. Die Abstim: mung bleibt bis zur dritten Lesung vorbehalten. Schluß 6 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 43. Sißung vom 7. April 1894. In der zweiten Berathung des Etats der Staatz.

Eisenbahnverwaltung, und zwar bei den Einnahme, F

aus dem Personenverkehr (249 000 000 M), welche der Abg. Broemel (fr. Vg.) um 2300000 # zu erhöhen bz antragt, nahm der Finanz-Minister nah dem Abg. von Vel; heim (kons.) das Wort zu folgender, im Anfangsbericht in der Sonnabend-Nummer d. Bl. nur auszugsweise mitgetheilter Rede:

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ih möchte mir bloß einige Worte gestatte über den Antrag des Herrn Abg. Broemel wegen Erhöhung der Ein, nahmen aus den Personentarifen um 2300000 A Meine Herren das Königliche Finanz-Ministerium steht ja in Beziehung auf die Veranschlagung von Einnahmen seitens der einzelnen Ressorts ähnli

wenigstens wie der Landtag gegenüber den desfallsigen Anträgen der |

Staatsregierung überhaupt. Nun kann ih sagen : das Finanz-Ministerium hat nie gewagt und würde nie wagen, dem Ressort-Minister gegenüber ohne weiteres eine Steigerung der Einnahmen, die er nah sorg fältiger Prüfung aller Verhältnisse, unter genauer Kenniß der Berichte der Lokal- und der Provinzialbehörden vorgeschlagen hat, zu verlangen, Wir sagen uns, daß wir niht im stande sind, diese Dinge besser zu beurtheilen als der betreffende Ressort-Minister. Es ist die Erwägung da eine so schwierige, so arbiträre, vielfah nur das Richtige zu ent, nehmen aus einem Gefühl, welches man durch eine lange Praxis unt Erfahrung gewinnt, daß wir im Finanz-Ministerium uns einer solchen Kenntniß garnicht rühmen können und daher in dieser Beziehung den Ressort-Minister unter allen Umständen den Vorrang lassen.

Meine Herren, was insonderheit die Personaltarife angeht, so bat der Herr Minister der öffentlihen Arbeiten gestern {hon erklärt, daß nach allen vorliegenden Berichten und wenn nicht wider alles Erwarten im Monat März ganz andere Resultate sih ergeben sollten, der laufende Etat in Bezug auf die Personentarife nit erreicht wird, sondern die Isteinnahme aus den Personentarifen sih im laufenden Jahre etwa um zwei Millionen niedriger stellen wird als der Etat des laufenden Jahres. Danah wäre sogar, wenn man einfach sid an die Zahlen hält und nicht die genaueren Berichte der einzelnen Behörden vor sih hat, anzunehmen, daß die Veranschlagung der Einnahmen aus den Perfonentarifen für das Jahr 1894/95 schon hoch bemessen ist. Wir hier in Preußen wollen doch die altbewährten Grundsäße einer vorsihtigen Veranschla: gung dieser unsicheren Betriebseinnahmen beibehalten, und ich glaube, wir haben nicht den geringsten Grund, in dieser Beziehung dem Reichstag zu folaen. In Zeiten aufsteigender Konjunktur, in Zeiten vorhandener Ueberschüsse, wie wir sie in der Eisenbahn ja gehabt haben, kann man bei der Veranschlagung sich ohne eine allzu große Gefahr irren; aber gerade in Zeiten finanzieller Klemme is eine vorsihtige Veranschlagung doppelt nöthig, denn nichts ist gefährliher in Finanzsachen, als sich felbst etwas vorzulügen. (Heiterkeit.) Man kommt in diese Gefahr erft recht, wenn man etwa die Veranschlagungen der Einnahmen und Aus- gaben mit einer neben der allgemeinen Finanzpolitik und der Auf- rechterhaltung einer soliden Verwaltung herlaufenden politischen Ten- denz vornimmt. Ich will gar nicht behaupten, daß das im Reichstag geschehen is (Heiterkeit); ih nehme an, daß man im Reichstag wirklich überzeugt ist, daß die um 11 Millionen in die Höhe geseßten Einnahmen auch wirkli aufkommen. Jch bestreite nur die Mög lichkeit, daß die Herren im Reichstag mit den Detailkenntnissen, dit ihnen zu Gebote stehen, in der Lage sind, richtiger die Einnahmen zu veranschlagen als der Refsort-Minister. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, ih würde es für höch} bedenklih halten, wenn die Staatsregierung auf den Weg käme, die Einnahmen und Aué- gaben mit der Tendenz zu veranschlagen, um bestimmte Zwecke zu er- reihen. Ich würde es für absolut unzulässig halten, wenn die Staats- regierung etwa die Veranschlagung der Einnahmen und Ausgaben deé Etats einrichtete, beispielsweise um ‘einen nicht vorhandenen Bedarf herauszurehnen und infolge dessen eine Einnahmevermehrung zu er erreichen, die nicht absolut nothwendig wäre. Wie es im höchsten Grade bedenklih für den guten Glauben in der Verwaltung und für eine solide Finanzbehandlung sein würde, wenn die Staatsregierung sich solches beikommen ließe, so würde das noch in höherem Grade der Fall sein, wenn diese Methode au im Landtage einrisse.

Daß der Herr Abg. Broemel diese Absicht gewiß nicht hat, dazu kennen wir ihn ja zu lange. Aber ih glaube doch, daß solche Anträge thatsächlih fehlgreifen aus den von mir entwidckelten Gesichtspunkten.

Meine Herren, es ist nun auch das interessiert ja die Finanz verwaltung; auf die sonstigen Erörterungen, die hier stattgefunden haben, namentlih in sozialpolitisher Beziehung, will ih nicht ein gehen wieder von einer Reform des Tarifwesens, namentli in Bezug auf die Personentarife gesprohen worden, offenbar in de! Tendenz einer Herabseßung. Meine Herren, ih habe \{hon früher hier meine Meinung dahin geäußert, daß gegen eine Refor, namentlich nah der “Seite der Vereinfahung, von der Finanj verwaltung jedenfalls keine Bedenken erhoben werden. Ich habe aud gesagt: gegen solche Reformen, welche von der Beschaffenheit sind, daß sie die Uebershüsse, nicht bloß die Einnahmen ih werde darauf noch kommen nicht vermindern, würde unsererseits auch kein Wider spruch sein. Dagegen is die allgemeine Finanzlage gegenwärtig so beschaffen, daß es niht zu verantworten wäre, Reformen und Aendt rungen durchzuführen, welche das erheblihe Risiko nur an sich trügen daß dadurch die Ueber\schüsse vermindert würden. Wir sind 1 der Lage und ih weiß noch nicht, cb der Landtag, wenn er v die Frage kommt, 2% bis 30% Zuschläge zu den direkten Steuern zu erheben, oder andererseits die Wahl hat, Mehr-

einnahmen und das wird, wenn im Reichstag eine andert

Politik nicht einges{lagen wird, wie ih bei anderer Gelegenheit darthun werde, zweifellos eintreten, ih sage, wenn er die Wahl hätte, eine bedeutende Erhöhung der Einkommensteuer oder eine Vermehrung der Eisenbahneinnahmen, ohne allzu große Unzuträglichkeiten für das Publikum herbeizuführen, fo weiß ih noch nicht, wofür der Landtag

ih entsheiden würde. Jedenfalls glaube ih darauf rechnen zu

fönnen, daß keine Mehrheit hier im Landtag sih findet, \folhe Er- mäßigungen der Eisenbahnfahrten in der gegenwärtigen Zeit durch- zuführen, welche die große Gefahr einer sehr erheblihen Verminderung der Uebershüsse herbeiführen. (Sehr richtig!) Die Finanzverwaltung wenigstens wird darauf mit der größten Entschiedenheit halten, weil ein entgegengeseßtes Verhalten nach Lage unserer Staatsfinanzen unverantwortlih wäre.

Meine Herren, genieren sih denn die Kommunen, aus ihren Be- trieben mäßige Uebershüsse zu erreichen zur Verminderung der Steuer- lasten? Ich kenne keine Kommune, die das für unrecht hielte. Wenn die Stadt Berlin aus ihrer Gasverwaltung lediglich Einnahmen und Ausgaben balancieren wollte, so würde sie zu einer erheblihen Er- höhung der Steuern schreiten müssen. Daß die Kommunen aus folchen Betrieben Uebershüfse erreihen, wodur soll das ausgeschlossen sein, während es do alle Privatunternehmer genau so machen? Daß also nicht bloß eine Verzinsung, nicht bloß cine angemessene Amortisation aus der Eisenbahnverwaltung erzielt werden muß, und daß au erzielte Ueberschüsse an fih durhaus unbedenklich sind, wenn sie in maßvollen Grenzen gehalten werden, das wird wohl jeder zugeben.

Nun sind wir aber gegenwärtig gar niht in der Lage, aus dem Betriebe der Eisenbahnen selbst diejenigen nothwendigen Rücklagen ju machen, welhe ja das ganze Haus verlangt. Man kann ja sehr &Z6l der Meinung sein, daß wir die Cinnahmen, die Uebershüsse aus

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| den Eisenbahnen in den leßten 20, oder wenigstens in den leßten

15 Jahren in viel zu hohem Maße zur Deckung der allgemeinen Staatéausgaben verwendet haben. (Sehr richtig! bei den National- liberalen.) Meine Herren, das ist aber einmal geschehen, das ist eine Thatsache, die Sie niht rückgängig machen können. Wir haben die Ausgaben dazu festgelegt, und wenn wir also jeßt unsere Einnahmen aus den Eisenbahnen vermindern, so sind wir genöthigt, dieselben durch andere Einnahmequellen, d. h. durch Steuer- erhöhungen zu decken. Außerdem haben wir keine Reserve- fonds, feine Erneuerungsfonds, keine Uebertragungsfonds der chwankenden Einnahmen und Ausgaben von Jahr auf Jahr. Wir haben in der leßten Zeit thatsächlich auch die Schulden niht mehr tilgen können. Wir sind nicht mal mehr das Garantiegeseß vom Jahre 1882 durchzuführen im stande gewesen. Also, ih glaube: das Haus wird darin mit mir übereinstimmen : Maßregeln, die auf Ver- minderung der Ueberschüsse hinwirken, sind in der gegenwärtigen Zeit, hei der heutigen Finanzlage, und so lange wir vom Reich in dieser Beziehung keine Hilfe bekommen, unausführbar. Dies ist nicht nur bei der Eisenbahn der Fall, sondern ih weiß das am allerbesten als Finanz-Minister zu beurtheilen die Knappheit unseres ganzen Finanzwesens, unter der wir leiden, würde selbst dann, wenn es gelänge, durch Vermehrung der NReichseinnahmen zu einer Beseitigung des Defizits zu gelangen, noch keineswegs den preußischen Staat in die Lage bringen, seine Kulturaufgaben in vollem Maße und dem wirklichen sozialen und wirthschaftlihen Bedürfnisse entsprechend, zu erfüllen. Eine solhe Knappheit in der Finanzverwaltung, in der Ver- wendung nüßtzliher und nothwendiger Ausgaben, kann auf die Dauer niht erhalten werden (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen), es sei denn, die ganze Staatswirthschaft geht rückwärts.

Es giebt ja eine Theorie, die immer darauf bedacht ist, Staats- ausgaben möglichst niedrig zu erhalten, und niht mehr Einnahmen zu bewilligen, als absolut nothwendig ist, um die allerdringlihsten und unabweislihsten Aufgaben zu erfüllen. Dieses ist eine Theorie, die a sehr lange geherrs{t hat; heutzutage weiß man aber doch au, und wenn man es nicht weiß, unwillkürlih wird man gezwungen, doh diesen Weg zu beschreiten daß eine Reihe großer Aufgaben fultureller Natur lediglich durch den Staat bewerkstelligt werden kann (Sehr rihtig! bei den Nationalliberalen) und durch das Zufammen- wirken der Gesammtheit aller Kräfte, über die der Staat gebietet, ind daß diese Aufgaben naturgemäß mit der Kulturentwickelung und der Vermehrung der Bevölkerung wahfen müssen, und daß der Staat, der hierzu . die Mittel niht beschafft, die Volksvertretung, die eine solhe Erfüllung der großen Kulturaufgaben im Staat verhindert, der Kulturentwickelung felbst sich entgegenstellt. 6

Meine Herren, ih habe {on früher mal bei einer anderen Ge- legenheit gesagt: der Glaube, daß eine Verminderung der Tarife \et s eine Vermehrung der Uebershüsse herbeiführe, fei der reine Köhler- glaube. Gewiß giebt es MNeformen, die die Reinerträge erhöhen fônnen das will ih gar nicht bestreiten unter gewissen Um- ständen und zu gewisjen Zeiten; es giebt aber auch das lehrt die Erfahrung eine ganze große Anzahl von Tarifermäßigungen, die \h niht umseßen in erhöhte Reinerträge. Das interessanteste Beispiel in dieser Beziehung liefert die französishe Tarif- herabsezung. Meine Herren, ih möchte in dieser Beziehung hinweisen auf die Schrist von dem russishen Staatsrath Raffa- lovih, einem ganz hervorragenden Kenner der französishen Finanz- wirthsha# und einem hervorragenden Nationalökonomen. Er shildert in dieser Schrift die Erfolge der starken Herabsezung der französischen Tarife auf den Eisenbahnen, wo einmal der Staat auf inen erheblihen Theil seiner Steuern verzichtet hat, und zweitens die (roßen Eisenbahngesellshaften verpflichtet sind, ihre Tarife daneben nun au noch erheblih herabzuseßen. Was hat sich herausgestellt ? Die Einnahmen sind zwar erheblih gewachsen, aber die Ausgaben in (rößerem Maße. (Hört! hört) Der Nettoertrag der Eisen- bahnen is so erheblih heruntergegangen. Deswegen sage i, bei allen diesen Fragen foll man mit Vorsicht vorgehen. Man muß die eiten, die Entwickelung des Berkehrs, selbst die lokalen Verhältnisse uf das genaueste im Auge haben, um ein Gefühl dafür zu gewinnen, %d es nit zu riskant is in Beziehung auf die Reinübershüsse, wenn inan die Tarife ermäßigt. Diese Schrift ist eine der lesenswerthesten uf diesem Gebiet, weil sie ih einfah an Thatsachen hält und die Nhlen in ciner sehr übersichtlihen Weise zusammenstellt. Jh komme iso aus allen diesen Gründen dahin, daß der Antrag des Herrn

toemel abgelehnt werden und die Staatsregierung den dringenden

Vunsch haben muß, bei ihren Maßnahmen zur Erhaltung sfolider Grundsätze in der Finanzverroaltung vom Landtag selbst unterstüßt il werden. (Bravo!)

Die Rede, mit welcher der Minister dem Abg. Dr. Ham- nacher (nl.) erwiderte, hatte folgenden Wortlaut :

FinanzMinister Dr. Miquel:

Meine Herren! . Aus den Bemerkungen des Herrn Dr. Ham- macher entnehme ich zu meiner Freude, daß er im wesentlichen in Bezug auf die Stellung zu den allgemeinen Staatsfinanzen und die dadurch bedingte Verwaltung der Eisenbahnen, namentli der Tarife, mit mir einverstanden ist. Es könnte aber doch aus einzelnen seiner Aeußerungen das Mißverständniß entstehen, als ob ih überhaupt gegen jede bestehende Norm der Eisenbahntarife und gegen eine zweck- mäßige Reform im Etat mich erklärt hätte oder hätte er- klären wollen. Er selbst hat ja darauf hinzawviesen, daß die Erfahrungen, die wir mit meiner vollen Zustimmung mit den im Jahre 1890 eingeführten Staffeltarifen gemacht haben, sehr günstige find. Dies ist etwas ganz Anderes als eine allgemeine Ermäßigung des Personentarifs ; der Staffeltarif beruhte auf der volkswirthschaft- lih durchaus richtigen Grundlage, daß die Tarife sih richten müssen nah den Selbstkosten der Eisenbahnen als der ersten Grundlage. Wenn die Selbstkosten mit den Entfernungen nicht entsprechend wachsen, sondern sih mit den Entfernungen verhältnißmäßig ver- mindern, so is ein Staffeltarifsystem sowohl finanziell unbedenklich, als wirthshaftlich im allgemeinen nüßlih. Denn wie sich auch noch aus anderen Gründen die Frage des Staffeltarifs gestellt hat und nach Lage der Sache stellen mußte so viel kann doch nicht be- stritten werden, daß das TarifsysteIm der Staatseisenbahnen sich richten muß nah gewissen festen Grundsäßen, die man aller- dings nicht rücksihtslos und überall gleichmäßig durchführen kann, von denen hier und da Ausnahmen zu machen sind aus besonderen Gründen, die im allgemeinen Interesse und selbst ?zuch im lokalen Interesse liegen können, daß aber do gewisse Grundsäße bei ;Nor- mierung der Tarife herrshen müssen. Wir haben diese Grundsat- losigkeit und die daraus hervorgehenden großen UVnzuträglichkeiten, Schädigungen und Willkürlichkeiten bei den Privateisenbahnen beklagt, weil dielediglich und aus\ch{ließlich nach dem Gesichtspunkt ihres finanziellen Vortheils die Tarife einrihteten und au einzurichten berechtigt waren. Die Klagen, die Beschwerden in dieser Richtung, als wenn sie damit ein Unrecht thäten, waren meiner Meinung nah fals, und einer der Hauptgründe der Durhführung der Verstaatlichung des Cisenbahnwesens ist eben der Gesichtspunkt gewesen, zu festen Tarif- grundsäßen zu kommen. Nun halte ih für einen der wesentlichsten Grundsätze doch den, den ih vorher bezeichnete: die Tarife müssen sich in erster Linie rihten nah den Kosten, die der Transport verursacht, und man kann unmöglich grundsäßlih ein solhes System bekämpfen, wenn das auch, nachdem ‘es leider bisher niht zur allgemeinen Durh- führung gekommen ist, nur vorsichtig und allmählih zur Durchführung gelangen kann; wir fTönnen aber, während die Eisenbahnen doh die große Ausgabe haben, den Güteraustausch zu er- leihtern und vermitteln, während Preußen man braucht nur seine geographische Lage anzusehen ein langgestreckter Staat von Osten nah Westen ist mit Uebershußprovinzen in Produkten der Landwirthschaft im Osten, Bedarf an solhen Produkten im Westen, UVeberschußprodukten der Industrie im Westen, Bedarf im Osten —, unmöglich das entgegengeseßte System generell aufstellen, es sei denn, man wolle in der Schußzollpolitik so weit gehen, daß die einzelne preußische Provinz sich gegen die andere {chüßt. Gerade deswegen bin ih auch der Meinung, daß, wenn wir auch die Getreidestaffeltarife aufgegeben haben, und nah Lage der Sache, wie ih anerknne, diese Konklusion an sich nicht zu vermeiden war, wir dennoch keineswegs für andere Artikel, wo derartige Gegensäge und Verschiebungen in den Produktions- und Preisverhältnissen nicht vorliegen, das Staffeltarifsystem aufgeben sollten, und das beabsichtigt die preußishe Staatsregierung auch gar nicht. Haben wir doch erst vor kurzem, und zwar mit meiner vollen Zustimmung ich halte es finanziell für unbedenktlich und wirthschaftlich für nothwendig das Staffeltarifsystem eingeführt bei dem Versand von Dungmitteln, namentli bei Kalisalzen; und es werden hoffent- li sih noch viele andere Gelegenheiten ergeben, wo man mit großem Nugen des ganzen Landes das Staffeltarifsystem durchführen kann auf Gebieten, wo, wie gesagt, die bezeichneten Interessengegensäte garnicht vorliegen. Diese Frage ist eine ganz andere Frage als die der allgemeinen Herabseßung der Getreidetarife. Wenn wir die Getreidetarife generell herabseßen wollten, würden wir noch viel größere Verschiebungen machen und nach meiner Meinung 15 bis 290 Millionen an Einnahme verlieren. Da liegt also die Sache anders. :

Man hat auf die Post hingewiesen. Einer der Herren Redner hat hervorgehoben, daß die Post fortwährend die Postgebühren heruntergeseßt habe und dabei sehr wohl gefahren sei. Jch meine aber, das 50-Pfennig-Packetporto, was für die Versendung dur ganz Deutschland gilt ohne Rücksicht auf die Entfernung, wäre wohl kaum durch- führbar gewesen, wenn niht die Eisenbahn für den Transport die Kosten übernommen hätte. (Sehr richtig!) In dem Augenblick, wo in dieser Beziehung eine Auseiuanderseßung stattfindet, die Postver- waltung ihre eigenen Selbstkosten aus sich selbst zahlen müßte, glaube ih, da würde in dieser Beziehung doch eine andere Anschauung ent- stehen. (Sehr richtig! rechts.) Denn wenn die Postverwaltung 99 Millionen so viel ist es ja wohl Uebershüsse hat, und die preußische Eisenbahnverwaltung für sie eine Ausgabe leistet von etwa 93 Millionen (hört, hört! rechts), so kann das keine Nachfolge finden bezüglih unserer Eisenbahntarife. Gerade dieses Beispiex beweist, wie man die Frage der Tarifierung niht nah der Schablone und eine allgemeine dogmatishe Auffassung in dieser Beziehung ist au eine Schablone behandeln kann, sondern unter genauer Prüfung aller konkurrenten Verhältnisse. Das Beispiel, welches Herr Dr. Hammacher anführte in Bezug auf die Wirkung der Einführung des Einpfennigtarifs für Massengüter, trifft auch wohl nicht ganz zu und kann niht ohne weiteres ad consequentias gezogen werden. Damals waren allerdings die Tarife ganz unverhältnißmäßig hoch, und es war vollkommen berechtigt, auf den Einpfennigtarif her- unterzugehen, weil er noch erheblich mehr als die Selbstkosten liefert, und man konnte mit Sicherheit erwarten, daß die große Entwickelung der Kohlenindustrie auch zu einer Erweiterung des Absaßt- rayons führen würde. Ganz anders liegt die Sache in einer Zeit wie heute, wo der Tarif {hon vielfah nahe über die Selbst- fosten gekommen ist; ob man da noch weiter heruntersezen kann ohne die Gefährdung der Staatsfinanzen, ist eine ganz andere Frage als damals. Jch meine also, aus solchen allgemeinen Vorgängen, die unter ganz anderen Zeiten, unter ganz anderen Gesichtspunkten statt- gefunden haben, kann man wenig Konfequenzen herleiten in Bezug auf die Maßregeln in der Gegenwart. Jch glaube, aus meinen Be-

merkungen geht wohl heror, daß ih einer zweckmäßigen Nor- mierung der Tarife, einer Vereinfachung derselben, auch einer Herab- seßung, wo diefe Herabsezung aller Warscheinlichkeit nach zur Ver- mehrung der Ueberschüsse führt, in keiner Weise widerstrebe, daß ih nur im höchsten Grade bedenklich bin bei Maßregeln durchgreifender Art, die sehr große Verluste bringen können und wo die Ueberschüsse fehr unsicher sind. (Bravo! rechts.)

Jm weiteren Verlauf der Berathung erklärt der

Abg. Broemel (fr. Vg.): Der Abg. Graf Limburg - Stirum habe aus Mangel an fahlihen Gegengründen mit persönlihen Spißen egner und ihm Thorheiten untergeschoben, die er nicht gesagt

abe. Die Ausführungen des Grafen Kanitz habe er als reaktionär- agrarishe bezeihnet; denn reaftionär fei es, der Freizügigkeit mit hohen Eisenbahntarifen entgegen zu treten, und daß dies im Interesse der landwirthschaftlichen Unternehmer geschehe, f agrarisch. Wenn die Anwendung der Elektrizität die Transportkosten herabsett, fährt Redner fort, dann müßten die Agrarier doch eigentlih gegen solche teuflishen Erfindungen die C in Bewegung seben: Das Agrarierthum zeigt fich also als direkt fulturfeindlißh. Gewisse Ge- meinden werden durch den Zuzug von Arbeitern benachtheiligt; aber die Abhilfen dagegen liegen auf anderem Gebiet als auf dem der

Cisenbahntarife. Der Minister der öffentlihen Arbeiten hat die Angriffe des Grafen Kaniß sehr leiht genommen; er hat si einverstanden erklärt mit feinen fozialpolitishen Anschauungen. Aber damit hat er den Gegnern des Verkehrs noch nit genuggethan. Graf Limburg hat eine Er- höhung der Perfonentarife verlangt. Der Finanz-Minister meinte, nicht jede Tarifermäßigung bringe eine Einnahmevermehrung; aber es ist ebenso ein Köhlerglaube, daß jede Tariferhöhung Mehreinnahmen mit sih bringt. Diesem Köhlerglauben scheint indeß Graf Limburg- Stirum zu huldigen; er fragt niht, ob niht eine Tariferhöhung eine Verkehrsverminderung zur Solge hat. Wenn er der Cisenbahn- verwaltung die Tariferhöhung empfiehlt, so wird dadurch der Ab- solutismus der Eisenbahnverwaltung nur noch gestärkt, und damit haben wir do s{lechte Erfahrungen emacht. Der Finanz-Minister hâtte sih nicht fo bescheiden vor dem Etatsansaße des Ministers der öffentlichen Arbeiten beugen sollen; denn die Mehreinnahmen beretigen zu einer Erhöhung desselben. Mein Antrag entspricht vollständig der Berechnung nach dem dreijährigen Durchschnitt. Zwei Drittel der. Ein- nahmen beziehen die Eisenbahnen aus dem Massenverkehr der dritten und vierten Klasse; bei der zweiten Klasse wird nichts verdient, bei der ersten wird Geld zugegeben. Dann ist aber niht zu vergessen, daß im Kriege das Volk im Vortheil ift, welches das leistungsfähigste Eisenbahnneß hat. Das kann aber nur durch große Leistungsfähigkeit im Frieden erreicht werden.

_ Abg. Dr. Gerlich (fr. kons.): Für eine E Erfindung halten wir die Eisenbahnen niht; wir wollen von ihr Vortheil haben dur billige Frachten, aber wir - wollen niht zu Gunsten der rot Städte ‘das platte Land entvölkern. Rohprodukte mag man o billig wie mögli fahren, aber nicht Personen. Die Leute, welche nach Berlin kommen, hatten frische Luft und Sonnenschein in den Provinzen viel bequemer als in den Berliner Vororten. Warum sollen gerade in den reihsten Landestheilen die Tarife am billigsten sein? Auf dem Lande kann man wegen der geringen Zahl der Züge von den Arbeiterwochenkarten x. Tetnen Gebrauch machen. Vom Ressortstandpunkt aus ist die Tarifpolitik vielleicht richtig; aber sie läßt die Solidarität der konservativen Anschauungen vermissen. Das Staatsbahnsystem trifft kein Vorwurf, denn ohne dasselbe würden die Zustände wohl noch s{limmer n Solche s{limmen E müssen aber au seitens der Eisenbahnverwaltung verhindert

erden.

Abg. von Pappenheim-Liebenau (kons.) {ließt sich den Ausführungen des Grafen Kani vollständig an; so idyllish A der Minister könne er das Leben der städtischen Arbeiter in: den Vororten nicht ansehen.

S0. vom Rath (nl.) kommt auf die Perronsperre zu sprechen, die er an sih für berechtigt hält, die er aber nit zu weit getrieben sehen möchte. Daß Inhaber von Zeitkarten und Rückfahrkarten den Perron nicht betreten dürfen, wenn sie den Zug nit benutzen, daß

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fie dann 10 - bezahlen müssen, sei ungerecht. Ebenso sei es un- gerecht, daß Boten, die Briefe, Pakete 2c. an den Zug bringen müssen, auch die 10 » zahlen müssen. Redner bemängelt es ferner, daß auf dem Bahnhof in Frankfurt a. M. am Sonntag nur von 12—2 Uhr Zeitungen verkauft werden dürfen.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Abg. vom Nath veranlassen mich zu einer Erwiderung nur in Bezug auf ihre allge- meinen Gesichtspunkte ; die speziellen Verhältnisse in Frankfurt a. M. find mir nicht bekannt, ih kann ihm also in dieser Beziehung eine Antwort nicht ertheilen. Jh möchte indessen anheimstellen, in Frank- furt a. M. an die zuständige Direktion sich zu wenden, -die gewiß bereit sein wird, soweit irgend mögli, Abhilfe zu schaffen.

Was den zuleßt angeregten Punkt betrifft, daß außer zwischen 11 und 1 Uhr keine Zeitungen verkauft werden dürfen, so geht das die Eisenbahnverwaltung nichts an, sondern es is das Sache der Polizeiverwaltung. Wenn diese vorschreibt: es darf nichts verkauft werden, fo wird eben die Bude zugemacht.

Im allgemeinen möchte ih nur sagen: es sind durchaus nicht finanzielle Gründe gewesen, welche zur Einführung der Bahnsteigsperre Veranlassung gegeben haben. Das Geschäft, welhes mit der Sache gemacht wird, is auch zur Zeit überhaupt garniht verlockend: wir nehmen an, daß wir ungefähr auf unsere Kosten kommen; ganz haben wir die Ausgaben noch niht erreiht; im Gegentheil, es is wahr- scheinlich noch ein geringes Defizit vorhanden. Wir nehmen aber an, daß das\elbe allmählih verschwinden und aus den Bahnsteiggroschen ein kleiner Ueberschuß fich ergeben wird. Die Ausgaben, die erfor- derlich gewesen sind, um überhaupt diese Maßregel einzuführen, sind doch ziemliÞch erheblih gewesen und haben anfangs beim Herrn Finanz-Minister gerade ihrer Erheblichkeit halber einiges Be- denken erregt.

Die Einrichtung selbst war für die Staats-Eisenbahnverwaltung allmählich geradezu eine Nothwendigkeit geworden aus zwet Gründen: zunächst aus dem Grunde, daß unser bisheriges Fahrkartenkontrolsystem auf den Trittbrettenm der Züge in immermehr f\teigendem Maße zu {weren Unglücksfällen bei unserem Personal führte. Die Liste der Todten und Schwerverwundeten, die diesem System in jedem Jahre zum Opfer gefallen sind, ist leider Gottes eine traurig große, und es mußte meines Erachtens Sache der Verwaltung fein, diesen Opfern vorzubeugen, oder mit anderen Worten, die Kontrole der Fahrkarten von den Trittbettern zu vers legen. Bei den gestern ja so weitläufig erörterten D-Zügen ift das allerdings mögli; der Zug bildet ein Ganzes, und der Schaffner kann von einem Abtheil zum andern während der Fahrt gehen, ohne in irgend welche Gefahr zu gerathen; aber für den ganzen übrigen Verkehr bleibt entweder nur die Möglichkeit, das alte System aufs rechtzuerhalten oder aber die Fahrkartenkontrole auf die Stationen zu verlegen. Fast alle Nachbarländer sind daher {on seit längerer Zeit zu dieser Verlegung der Kontrole auf die Stationen übergegangen, wie den Herren schon vielfa aus eigener Erfahrung bekannt ist.

Der zweite Grund, der die Staats-Eisenbahnverwaltung nöthigte, dieje Verlegung der Kontrole vorzunehmen, war die ebenfalls traurige Erfahrung, daß in sehr hohem Maße Veruntreuungen, Hinterziehungen