Die Vorlage is von der einen Seite nah ihrer aktuellen und materiellen Bedeutung ganz erheblich überschäßt worden. Sie wird, wenn sie Geseß wird, unmittelbar überhaupt nicht als eine Aenderung des jeßt bestehenden Rechtszustandes empfunden werden. Ich erkenne aber an, daß sie auf der anderên Seite auh wieder unter- \chäßt ist. Sie will in der That einen Schritt vorwärts bedeuten, und zwar vorwärts in der Gestaltung eines friedlihen und würdigen Verhältnisses zwishen Staat und Kirche. Staat und Kirche, meine Herren, find nah unserer ch&genartigen geschihtlihen Entwickelung unzweifelhaft auf einander angewiesen. Das rehte Verhältniß zwischen Staat und Kirche zu finden und das Verhältniß — selbstverständlich unter voller Aufrehterhaltung der Staatshoheit — friedlih, gedeihlih und verföhnlich zu gestalten und sicher zu stellen, das erachte ih als eine der wichtigsten, wenn auch der {wersten Aufgaben aller dabei betheiligten Faktoren. Innerhalb meines gesammten Ressorts, das kann ih wohl sagen, liegen heutzutage die größten, ja kaum überwoindlihzen Schwierigkeiten in diesem so viel umstrittenen Grenzgebiete zwischen Staat und Kirche. Mit dem bloßen Gehenlassen ist es aker hier nit gethan. Jeder falshe Schritt, nah meiner Ueberzeugung aber auch jede unzeitige Unterlassung auf diesem Gebiet, muß und wird die Schwierigkeiten der Zukunft mehren und wird sih dann bitter rächen. Meine Herren, die Kirche, die evangelische wie die katholische, kann und darf sich dem Einfluß des Staats nicht entziehen. Aber der Staat soll sich auch der Kirhe nicht entziehen, denn auch der Staat bedarf der Kirche, er bedarf ihrer heute, und wird ihrer in Zukunft bedürfen mehr als je für die Kämpfe, die vor uns liegen. (Sehr richtig! rets.)
Meine Herren, ich bin nach dem Verlauf, den die Berathung der
Vorlage aúf der anderen Seite der Leipzigerstraße genommen hat, nit im Zweifel darüber gewesen, daß der Entwurf hier auf gewisse Schwierigkeiten, Besorgnisse und Widersprüche stoßen würde. Ich habe mich nicht davor gefürchtet, und zwar um deswillen nicht, weil ih das Bewußtsein habe, daß bei der Aufstellung der Vorlage die Interessen, die der Staat der evangelischen Landeskirche gegenüber hat und haben kann, ih fann wohl sagen, mit der äußersten Sorgfalt zu wahren ge- sucht sind. i Um Staatshoheitsrechte und deren Aufgaben handelt es sich in der ganzen Vorlage überhaupt niht. Auch die argwöh- nischste Prüfung wird uns das zugeben müssen. Das, um was es sich handelt, is eine verhältnißmäßig un- widhtige, harmlose Berichtigung der Zuständigkeitsgrenzen der Staats- geseßgebung gegenüber der Kirche. (Bewegung links.) Lediglih darum soll es sich handeln, und nur darum handelt es sih in der That, wobei von Einzelheiten, auf die ih noch kommen werde, zunächst abzusehen ist; darüber wird sich reden lassen.
Es handelt sih weiter um die thunlichste Vereinfachung des bei der firchlichen Selbstverwaltung und Selbstregierung in Be- wegung zu seßenden Apparats, und es handelt fich damit um ein freundlihes Entgegenkommen gegen die von der General-Synode der evangelischen Landeskirche einstimmig ausgesprochenen Wünsche, nach- dem diese Wünsche auf ein diskutables Maß eingeschränkt sind; es handelt sih damit um die Befriedigung eines Verlangens, welches, weil es ohne zureiWßenden Grund unbefriedigt geblieben ist, eine ge-
wisse Bewegung in kirhlihen Kreisen hervorgerufen hat, eine Bé- wegung, die anfangs über die berehtigten Grenzen hinausging und
deshalb in diesem Umfange seitens des Staats nicht befriedigt
werden konnte.
Jett, meine Herren, nahdem die Vertrètung der Landeskirche selbst ein dem staatlichen Interesse entsprehendes, mit ihr vereinbares May für ihre Forderung gefunden hat, erschien der König- lien Staatsregierung der Zeitpunkt gekommen, wo man in eine Prüfung dieser Wünsche im einzelnen eintreten fonnte, ja ich glaube sfagen zu dürfen, eintreten mußte, wenn man \ich niht einer mindestens unfreundlichen, um nicht zu sagen verächtlichen Ignorierung der kirhlihen Beschlüsse schuldig machen wollte. (Bewegung bei den Nationalliberalen. Sehr richtig! rets.)
Meine Herren, enthalten diese Beschlüsse berechtigte An- sprüche, dann wird es nach meiner Ueberzeugung, die auch dur den Vortrag des Herrn Vorredners nicht erschüttert is, Sache einer weisen Politik des Staats sein, sie zu befriedigen; denn jede dauernde Ver- weigerung begründeter Ansprüche erzeugt im öffentlichen Leben eine ungesunde und eine überfluthende Reaktion; die rechtzeitige Beseitigung wirklicher Uebelstände dagegen ist der einzige Weg, um eine friedliche und maßvolle Entwicklung derartiger Verhältnisse sicher zu tellen.
Das sind die allgemeinen Erwägungen gewesen, aus welchen die Vorlage erwachsen ist. Der nächste Ausgangspunkt der Vorlage beruht aber in der vorjährigen Etatsdebatte dieses Hauses. Damals hat der Herr Abg. Stöcker die Sache bei Gelegenheit der zweiten Berathung des Kultus-Etats vorgebraht. Jch habe mich damals zwar nicht völlig, aber doch sin sehr viel weiterem Umfang ablehnend aus- gesprochen, ‘als diese Ablehnung jeßt aus der Vorlage ersichtlih wird.
__ Meine Hetren, man hat mir daraus einen Vorwurf gemacht. Man hát miîch auf meine vorjährige Erklärung festzunageln gesucht, wie ih glaube, ganz mit Unreht, und ich muß anerkennen, daß in überaus loyaler Weise der Herr Vorredner die Bedeutung meiner damaligen Erklärung hervorgehoben hat. Ich bin es aber dem hohen Hause doch wohl s{chuldig, mit zwei Worten auf diese Punkte noch näher einzugehen.
Als der Abg. Stöcker im vorigen Jahre die Sache hier zur Sprache brachte, hatte er sich darauf beschränkt, den Wunsch aus- zusprechen, daß diejenigen Punkte der kirchlihen Geseßgebung, bei benen der Landtag mitzuwirken habe, genauer verzeichnet werden. Er berief sih dabei auf die Beschlüsse der General-Synode. Jch hatte die Beschlüsse der General-Synode nicht glei zur Hand; sie waren mir auch begreifliherweise ihrem Wortlaut nah niht im Gedächtniß, und da mich die Anfrage hier im Landtage, wie der Herr Abg. Stöcker mir bezeugen wird, vollkommen unvorbereitet traf, so blieb mir gar- nichts#Anderes übrig, als mir \{leunigst die Verhandlungen der Ge- neral-Synode hierherkommen zu lassen und sie hier flüchtig einzusehen. Und auch da fand ich nur den ganz allgemein gefaßten Wunsch nah einer Revision des Staatsgeseßes vom 3. Juni 1876 in der Nihtung, daß der Umfang, in welhem nah Art. 1 dieses Gesetzes jede Abände- rung der gegenwärtigen kirchlichen Organisation nur durch einen Akt der staatlihen Geseßgebung möglich i, näher bestimmt würde. Nun mahe ich gar kein Hehl daraus, daß mir damals auf den ersten Vlick die Möglichkeit, wie diese
flar gewesen is; daß mir damals vielmehr die praktishe Lösung dieser Aufgabe kaum denkbar erschien. Das habe ih denn auch ganz ofen erklärt, und dadurch war damals die Sache erledigt. Nun besteht aber im Kultus-Ministerium, wie ih mir {hon wiederholt anzudeuten erlaubt habe, die, wie ih annehme, auch von diesem hohen Hause ge- billigte Sitte, daß nah dem Schluß der Etatsberathung die während dieser Berathung hier gegebenen Anregungen zusammengestellt und dann einer Prüfung darauf unterzogen werden, inwieweit es nothwendig ist, oder es sih empfiehlt, den Anregungen im Geschäfts- gange- weitere Folge zu geben. Das is denn auch damals geschehen, und mit Rücksiht auf die überaus große Wichtigkeit, die dieser Frage in der Presse — ich kann wohl fagen aller Parteien — beigelegt wurde, war ich besonders darauf aufmerksam geworden und bin dann mit meinen Mitarbeitern in diese Prüfung eingetreten. Wir haben den Versu gemacht, diejenigen Punkte der kirchlidhen Organisationsgesetgebung, deren etwaige Abänderung nah den jeßt bestehenden Geseßzen cines Staätsgeseßes bedarf, einzeln zusammenzu- stellen, um dann weiter prüfen zu können, bei welchem dieser Punkte die Fortdauer der s\taatsgeseßlihen Bindung durch ein staatliches Interesse etwa geboten sei oder niht. Es war das eine sehr müh- fame Arbeit, die unter anderen Mängeln — darauf lege ih großes Gewiht — auch den zeigte, daß bei einer großen Reihe kirchlicher Bestimmungen ganz begründete Zweifel darüber obwalten, ob fie als Organisationsbestrebungen aufzufassen sind oder nicht, und daraus ergiebt sih, daß in dieser Ungewißheit {hon von vornherein der Keim zu sehr unerwünshten künftigen Streitigkeiten zwischen Kirhe und Staat gegeben i. Hier aber Klarheit und Gewißheit zu s{haffen, das erschien mir als eine außerordentlich nüßg- lie Sahe. So sind wir zur Aufstellung unseres Entwurfs ge- kommen. Dazu kam, daß die Frage, in welhem Punkt das staatliche Interesse die s\taatsgeseßlihe Bindung der kirhlichen Gesetz- gebung erfordert, in einzelnen Fällen außerordentlich \chwierig war, daß aber im vorigen Jahre die oberste Behörde der evan- gelishen Landeskirhe Preußens, der Evangelische Ober-Kirchenrath zum ersten Mal mit bestimmt formulierten Vorschlägen an mi berantrat, die sih in derselbèn Nichtung béwegten. Das hat mir Veranlassung gegeben, kommisfarishe Berathungen zwischen dem Ober- Kirchenrath und meinen Kommissaren herbeizuführen, und das Ergebniß dieser kommissarishen Berathungen ist der Entwurf, wie er jeßt vorliegt.
Meine Herren, ih habe diese Vorgeshihte des Entwurfs nur um deswillen hier mitgetheilt, um damit die Legende zu widerlegen, als handelte es sich für mih hier irgendwie um einen tendenziösen Versuch, etwaigen klerikalen, reaktionären, orthodoxen oder dogmatischen Uebergriffen der Organe der evangelishen Kirche die Wege zu bahnen. Mit irgendwelhen Tendenzen dieser oder ähnliher Art — das darf ih auf das bestimmteste erklären — hat die Vorlage absolut nichts zu thun. Sie will nihchts weiter sein — ih komme darauf noch zurü — als ein ernster Versuch der kirhlihen Geseßgebung, da, wo es ohne Schaden für das allgemeine Interesse geschehen kann, zu vereinfahen. Sie nimmt die gelegten Grundlagen, die ein- mal geschaffen sind im Staat, die geschaffenen Grundlagen der kirchlichen Selbstverwaltung, allerdings ernst; sie will überall, wo der Staat es mit gutem Gewissen kann, diejenige Freiheit gewähren, die im kirh- lichen Interesse die evangelische Landeskirche niht entbehren zu können glaubt und die sie nach meiner Ueberzeugung auch nah dem Sinn und Geiste der synodalen Geseßgebung, wie sie jeßt vorliegt, nit hat entbehren sollen. Sie rechnet auch darauf, daß dur eine maßvolle und verständige Ordnung dieses bisher vielfa zweifelhaften und unsichheren Grenzgebiets der Staat ebenso gewinnen wird wie die Kirche. Alle jene einseitigen Tendenzen, mit denen man die Vorlage in der Presse und zum theil auch im anderen Hause bekämpfen zu müssen geglaubt hat, beruhen auf Annahmen, die abfolut nicht zutreffen.
Nun kann man ja freilich einwenden — ih verkenne das keinen Augenblick —, daß, wenn auch die Regierung diese tendenziósen Ab- fichten bei Ausarbeitung und Einbringung der Vorlage niht gehabt hat, doch nicht ausgeshlossen is, daß sie threrseits die Gefahren eines Mißbrauchs dér kirchlihen Freiheit, die aus Annahme der Vorlage erwachsen könnten, untershäßt oder nicht erkannt hat. Aber, meine Herrèn, auch dieser Einwand erscheint mix nicht stichhaltig, und namentlich haben mich auch die Anführungen des Herrn Vorredners, die ja zum theil im Rahmen dieses Einwands sich bewegten, niht zu überzèugen vermocht. Zunächst mußte doch einmal der Vorlage gegenüber bewiesen werden, wo denn eine Gefahr läge für die evangelishe Freiheit und für das evangelische freie Gewissen, wenn diese Regierungsvorlage zum Geseß erhoben wird. Daß folche Gefahren in der evangelischen Kirche vorhanden fein können — ih bin weit entfernt, das zu bestreiten, das ist möglih, das hat jeder mit sih selbs abzumachen, das ift eine kirchlihe Frage, aber mit dieser Vorlage diese Tendénzen stärken zu wollen, liegt der Vorlage völlig fern; das wird sich hoffentlih bei näherer Prüfung er- weisen. Ih will ganz davon absêhen, meine Herren, daß ja an der Nothwendigkeit der staatlichen Unschädlichkeits- erklärung nicht gerüttelt toird. Der Herr Vorredner hat ganz Recht, es sind jeßt gewiß keine Gefahren vorhanden, daß derartige Tendenzen, wie sie hier vorgeführt worden sind, zur Geltung fommen. Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß in der bisherigen firchlichen Gesetzgebung der evangelischen Landeékirhe der alten Provinzen auch nit ein einziger Versu gemacht ist, derartige UVebergriffe in das Gewissens8gebiet zu machen. (Sehr richtig! rets.) Es hat in der ganzen“ Zeit, seitdem wir die Synodalordnung haben, weder die General-Synode noch häben die Provinzial-Synoden kirchengeseß- li — denn darum handelt es sich hier alléîïn — irgend einen dahin gehenden Versuch gemacht; wenigstens mir ist er niht bekannt. (Sehr rihtig! rechts.) Nun, meine Herren, möchte ih wissen, bei welchen Punkten der Vorlage es sich thatsähliÞch beweisen ließe, daß solche Gefahren vorliegen. Es ift hier auf die Agende hinge- wiesen. Die Agendenfrage ist eine sehr heikle, aber darüber ist nicht der mindeste Zweifel, sie ist eine rein innerkirchlihe. (Sehr richtig! rechts.) Selbst unsere jeßt bestehende Geseßgebung denkt gar nicht daran, in der Agendengeseßgebung dem interkonfessionellen Landtag irgendwie das Recht des Mitsprechens einzuräumen. Denn das ist zweifellos, das hat die Kirche mit ih selbst abzumachen, und das wird ja Sache des Staats-Ministeriuins und des landesherrlihen
zu thun, was nothwendig ist. Aber, meine Herren, auch
Kirchenregiments sein, wenn da wirklih Uebergriffe geschehen follen, '
irgend einer freiheitlihen Institution solhe Gefahren eines in abstracto
möglichen Uebergriffs ins Gefeht führt, dann, meine Herren, giebt es
überhaupt keine Freiheit mehr, weder kirchlihe noch ftaatliche. Dann
hätten wir die gesammte kirhliche Organisation, wie sie besteht, und
die — das werden doch auch Sie anerkennen — bei allen ihren
Mängeln in Segen gewirkt hat, überhaupt nicht einführen dürfen,
Es giebt gar fein gebrechliheres Argument auf diesem Gebiet, als
dieses shwache argumentum de abusu.
Dann noch eins, meine Herren! Was ich bei den Gegnern der
Vorlage vermisse, das ist vor allem ein billiges Maß von Vertrauen
zu der eigenen, zur evangelishen Kirche. (Sehr richtig! rechts.) Man
hat den gegenwärtigen Zustand der Landeskirhe so darzustellen ver,
sucht, als herrsche in ihr eine Vertretung, namentli in ibren syno- dalen Organisationen, eine Vertretung, deren {rofe kirhlihe Majorität eine völlig unevangelische Richtung, durch die eine ganz gefahrdrohende Spannung in der Kirche herbeigeführt werde, zur Geltung bringe, Meine Herren, ich will hier über die Frage mich gar nicht äußern. Es ist hier weder positiv zu beweisen, daß solche Richtung vorhanden ift, noch daß sie nicht vorhanden ist. Es giebt thatächlih verschiedene Richtungen auh in der evangelishen Kirhe nach beiden Seiten hin, es giebt Extreme au auf kirhlichem Gebiete — das is zweifellos. Aber
meine Herren, das halte ih für einen Irrthum, wenn man glaubt, daß man diesen verkehrten Richtungen der “ evangelischen Landeskirhe durch das Ventil des interkonfessionellen Landtags die Gefahr he, nehmen könne. Wenn man die Verhandlungen unserer bisherigen Genéral-Synoden aufmerksam lies — und auf die kommt es hier do wesentlih an, denn um diefe Kirchengeseze handelt es sich — dann ist bis jeßt wenigstens von einer folhen Ueberspannung einseitiger und herrs{chsühtiger kirchliher Tendenzen außerordentlih wenig zuy merten. Wenn és aber [0 wäre, dänn muß G sagen würdé dann wirklich der interkonfessionelle Landtag, der konfessionell gemischte Landtag, im stande sein, die evangelische Kirche in ihren höchsten Gütern zu {üßen? Was wäre das für eine Kirche, die in ihren Lebensbedingungen, ihren Grundlagen, auf den Schuß eines gemischt konfessionellen Landtags angewiefen ist! (Sehr richtig! rets.) Nein, meine Herren, wenn die evangelische Kirche wirkli so weit heruntergekommen wäre, daß fie ihr höchstes Gut, die Freiheit des evangelischen Gewissens, niht mehr selbst zu {hüten vermöchte — dur das Ventil der Staatsgeseßgebung würde es nie- geschüßt werden können. (Bravo! rechts.) Entweder es giebt * eine evangelische Kirche, die existenzberechtigt und darum fähig ist, die heiligsten Güter, die ihr seit der Reformation anvertraut sind, zu pflegen, zu bewahren und zu s{üßen, — dann bedarf sie nicht eines doppelten und dreifachen staatskirhlihen und \taatslegislativen Zügels und Zaums, der in der Hand eines niht aus\{ließlich evangelischen Landtags läge; oder aber die 'evangelishe Kirche ist so weit herab- gekommen, daß man ihr die Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen nit mehr zutrauen darf, — ja, dann {ütt sie auch kein staatliches Ventil, dann wäre fie rettungslos verloren.
So liegt aber, Gott sei Dank, die Sache nicht. Nech besteht die evangelische Landeskirhe, und zwar besteht sie als Volkekirche, noh ist sie eine Lebensmacht, die tief in die Herzen des evangelischen Volkes ihre Wurzeln hineingetrieben hat; noch ift fie fähig, selbst zu ermessen, was zu ihrem Frieden dient, und noch liefert sie täglich den Beweis des Geistes und der Kraft.
Es ist wahr, meine Herren, nah ihrer ganzen ges{hichtlicen Ent- wickelung ist die evangelische Kirhe weit enger mit dem Staate ver- bunden als die katholishe. Aber nihts — das ist meine tiefe Ueber- zeugung —- nichts würde verhängnißvoller sein, als die evangelische Kirche einfach mit dem Staate zu identifizieren. Es giebt heute ja noch Leute, die dazu sehr geneigt sind, und die mit einer gewissen Bonhommie darzuthun versuchen, daß die evangelische Kirhe sh ohne Synodalverfassung mit einer einfachen staat- lihen Verwaltung besser gestanden haben würde, als nah unserer jeßign Gesetzgebung. Aber, meine Herren, das in einem paritätischen Staate durhzuführen, halte ih für unmöglich; das wäre ein Rück- {ritt in den längst überwundenen Territorialismus hinein, aus dem wir, Gott sei Dank, in unserer ganzen geschichtlihen Entwickelung herausgewachsen sind; das wäre eine völlig ungesunde Reaktion, ja geradezu ein reafktionäres Verhängniß, ein Bruch mit unserer ganzen staatskirchlihen Geseßgebung, die fih in ihrer Grundlage viel besser bewährt hat, als vor 20 Jahren hier dieses hohe Haus in allen seinen Theilen nur irgend zu hoffen gewagt hat. Müssen wir aber mit der Selbstverwaltung der evangelishen Kirhe überhaupt rechnen, dann bleibt garnichts übrig nah meiner festen Ueberzeugung, als man muß damit auch Ernst machen, man muß den evangelischen Organen insoweit Selbständigkeit gewähren, als mit den Interessen des Staats verträglich ift.
Inwieweit der Entwurf hierfür die rihtige Grundlage gefunden hat, das wird hoffentlih die Prüfung in der Kommission ergeben, um die ih Sie bitten möchte. Ich bin bereit, in alle Einzelheiten ein zutreten und jeden Punkt zu vertreten. Jch bin auch bereit, mit mir reden zu lassen. Wird mir der Beweis gebracht: hier liegen Gefahren für die evangelische Kirche, für die evangelische Freiheit des einzelnen Christen vor, Gefahren, die mit der \taatlihen Beseßgebung bekämpft werden müssen, — gut, meine Herren, dann werden wir in der Kommission uns darüber verständigen; dann werde ih der Erste sein, der, wenn ih die Gefahr erkenne, dic auch zugiebt. Wenn ih die Ueberzeugung gewinne, die Gefahr if vorhanden, — dann werde ich gern mitgehen und gern Entgegen kommen zeigen. Ih habe aber bis jeßt auch in der Kommission berathung im Herrenhause mih nicht zu überzeugen vermocht, dah folhe Gefahren vorhanden sind.
Man hat die Frage aufgeworfen: nun, wenn die ganze Vorlag fo harmlos ift, wie die Regierung annimmt, wozu dann überhaup! jeßt ein Geseß ? (Sehr richtig! links.) Man hat gesagt — und dck hat ja etwas für sih —, das Motiv des bloßen freundlichen Ent gegenkommens gegen die General-Synode reihe doch nicht aus, 19 die Fülle unserer Gesetzgebung, durch die wir ohnehin bedrüdt werdell nun noch um ein Geseß zu vermehren. (Sehr richtig! links.) Abel meine Herren, man vergißt dabei, daß der Entwurf, wenn er Geseß wird, uns in einer ganzen Reihe von Fällen neue Staatsgeseßze erspart; det Entwurf entlastet unsere Staatsgeseßgebuug und zwar gerade da, w/ es der Staatsgesege niht bedarf. Das ist sein Qweck. Es is Stück der Arbeit, die ih zu meiner besonderen Freude zu meiner Aufgabt mache, überall, wo es mir möglich ist, einfaheWVerhältnisse schaffen zu helfen
Wir sind in viel zu komplizierte Verhältnisse hineingekommen; un!!!
nähere Bestimmung in einem Geseß zu formulieren wäre, nicht
darauf gestatte ich mir aufmerksam zu machen, wenn man bei
ganze parlamentarische Geseßgebung hat nah der Richtung eine
wisse Gefahr, das verkennt man auf keiner Seite, und es is unser Aller Aufgabe, jeder muß dazu mithelfen, daß wir unsere Verhältnisse wieder so einfah wie möglich zu gestalten fuchen. Hier is ein Weg, wie wir zu gesunden einfacheren Verhältnissen kommen können, und deshalb bitte ih Sie, diefen Weg doch nicht von vornherein zu ver-
hränken. i : A
Meine Herren, ih möchte auf die Einzelheiten, namentli auf g1 zunächst niht eingehen, auch nit einmal auf die Qualifikations- bedingungen und auf das Gelübde. Wir werden in der Kommission darüber sprehen können: es wird fich dann zeigen, wie weit das innerkirhlihe Dinge sind und wie weit der Landtag, der inter- fonfessionelle Landtag, berufen und im ftande ist, dabei das. entscheidende Mort mitzusprehen. Meine Herren, ich kann nur wiederholt meiner Ueberzeugung Ausdruck geben, daß die Vorlage nicht nur einen unshädlihen, sondern einen für Staat und Kirche gleihmäßig nützlichen Fortschritt in der Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses zu einander in sih birgt. Man wird sich nach meiner Ueberzeugung, wenn das Gefeß zu stande gekommen ist, in Zukunft wundern, daß wir dieses besheidene Maß kirhlicher Selbständigkeit niht {on längst vorher gefunden haben.
Ich will auch auf den § 2 nicht eingehen. Der Herr Vorredner hat ihn, wenn au von etwas anderen Gesichtspunkten wie die Vor- lage, doch mit einem außerordentlißen Maß von Wohlwollen behan- delt; ebenso den § 3. Ich bin ihm dafür dankbar. Soweit da noch Zweifel obwalten, wird fih darüber später reden lassen.
Kurz, meine Herren, ich bitte Sie, nehmen Sie die Vorlage — nach vorgängiger genauer Prüfung ihrer Einzelheiten in der Kommission — an! Jch bin überzeugt, Sie werden es nie bereuen. Sie werden dadur vielmehr dem Staat wie der Landeskirche einen Dienst er- weisen, der in Zukunft gewiß noch einmal heilsame Früchte tragen wird. (Lebhaftes Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Klasing (konf.): Wir haben die Vorlage freudig entgegengenommen, niht weil wir darin einen Abschluß der kirchlichen Selbständigkeitöbestrebungen finden, sondern weil fie eine Wendung bedeutet in der Stellung der Staatsregierung der Kirche gegenüber. Die warme Begründung, welche der Minister der Vorlage gegeben hat, muß meine Freunde mit der größten Freude erfüllen. Wir im Westen erfreuen uns {on lange der kirchlichen Drgane, welche durch das Geseß von 1876 für den Osten erst geschaffen sind, und troßdem sind bei uns die Bestrebungen nach Unabhängigkeit der Kirche immer am stärksten gewesen. Die Bestrebungen, die unter den Namen Kleist-Reßow - v. Hammerstein zufammengefaßt werden, verdanken nicht dem Osten, sondern geradezu dem Westen ihre Entstehung. Als der Staat seinen Frieden machte mit der katholischen Kirche, dachte niemand an die evangelische Kirche. Es waren evangelische Männer, welche ohne kirchliches Mandat für die Interessen der Kirche eintraten. Seitdem die Kirhe mit kräftigen Organen ausgestaltet ist, mußten sh die politishen Parteicn abwartend verhalten. Es lag für uns die Frage nahe, ob wir nicht noh Erweiterungen der Vorlage vor- shlagen sollten; aber angesichts der Geschäftslage des Hauses und der Beschlüsse der General-Synode konnten wir nicht frchlicher sein als die kirchliche Vertretung. Sollte die letztere eine Erweiterung der Selbständigkeit der Kirche verlangen, so werden wir es an uns niht fehlen lassen. S ablehnen aber werden wir jeden Versuch, die N A en. En A will sich nah der Vorlage E E e E
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Staatshoheit vereinbaren läßt. Bedenken gegen die Vorlage on M e e E ia, Me e s A G Be- ziehung. D DaB die itwirkun Parlaments nah Möglichkeit zurückgedrängt wird. Wi s Dre elten fo L ee e Mebe de8 Deren Wi, einung
j es Verrn Enneccerus, der hi
Auseinanderseßungen vorträgt über die historishe Entwickelung und Berechtigung des Apostolikums. Die Stellung des SUmMMmMUS ePpisCoPpus wird verstärkt dadurch, daß_ der politishe Einfluß des Staats- Ministeriums in fkfirhlihen Fragen in Wegfall tommt. Die Er- höhung des Steuerrehts der evangelishen Kirche ift ernsthaft er- wogen, zumal es fraglich ift, ob nah der neuen Wirthschaftspolitik des Reichs die Steuerkraft des Volkes erhalten bleibt. Aber es handelt sich nicht um eine fehr erhebliche Steigerung der Lasten. Herr D a U Dibas pee cen Aren
| e : et i ann gegen di weiteren einzelnen Ausführungen des Abg. Enneccerus über n a Gelübde, die doch ledigli eine innerkirlihe Angelegenheit sei. tht bloß Männer des Ostens und konservative Männer träten für die Selbständigkeit der evangelischen Kirche ein, fondern {on in den fünfziger Jahren seien es auch liberale Männer des Westens gewesen, N ien: Redner {ließt sich dem Antrag auf Kom-
9 ( .
Abg. Ritckert, (fr. Vg.) empfiehlt die Einseßung einer Kom- mission von 21 Mitgliedern. Nach der eben gehörten Rede, führt er E wird der Minister seine Meinung von der Harmlosigkeit der M age wohl nicht mehr aufrecht erhalten wollen. 1891 sagte E von Kleist-Neßow, nach dem Ausscheiden des Fürsten Bismart, EituO in eppoltlon gee der Kirche befand, es sei die Für a gün e E an an brauche nicht zu verzagen. Ll ismarcck übersah wo esser als der jeßige Minister die Ge-
ren einer Abschwächung des staatlichen Einflusses. Von einem Jahr pin anderen haben wir auh hier beim Schulgeseß einen vollständigen dung erlebt; im vorigen Jahre bezeichnete der Minister die j gabe als unlösbar; er wies der General-Synode die Formulierung it er Forderungen zu. Das ist der richtige Standpunkt ; der Minister L E berufen, die Revision vorzunehmen. Weshalb hat fer inister jeßt die Arbeit der General-Synode übernommen ? A n die A ihr beschlossene vage Resolution in der firchlichen E ne ein B s t A Sife "n Petrus kann die Vorlage die Mehrheit erhalten. Wir halten die steher ae (r von 1874 und 1876 für einen großen Irrthum; wir tinist o Dig auf dem Standpunkt des Herrn von Stosch. Der belassen u uns die unrichtige Konstruktion der kirhlihen Organe
ad aber den Schutz, den der Einzelne noch hat, will er ihm nehmen. n ie shlechte Or anisation even wird, dann wollen wir erstidtt en folgen. ie jeßige Gesetzgebung hat das Gemeindeleben O elf nit gefördert. Auf der Gemeinde beruht die Kraft der Die L chen Kirche, nicht auf den künstlich gebildeten General-Spnoden.
2 e „tsnihfrage ist nicht bewiesen, jedenfalls niht dur die Motive daß die gde und im Herrenhause ist ausdrüdlich festgestellt worden, a C J enderung der Kirchengeseßgebung keine Schwierigkeiten gefunden Veh “ine nur unbequem empfunden, daß der interkonfessionelle ie S er kirhlihe Dinge entscheiden solle. Bisher sind die kirh- nidt f eseße immer sehr schnell erledigt worden; warum soll es Du Me nein gehen FTöônnen ° Die Biele der Bewegung hat Herr E nt im Herrenhause enthüllt: Einfluß auf die Beseßung
otar lichen Aemter, auf die Besetzung der Theologieprofessoren,
l agen der evangelischen Kirche u. \. w. Lassen Sie erst einmal Minister N in weiteren Kreisen bekannt werden, dann wird der eer chen, welche Wirkung sie ausübt, nicht bloß in liberalen, A e a Ei vid der Velen, j Be ) , der früher niht möglich war. ie firblighe Minister, der diese Dinge sür unbedeutend, für rein inner- dad fell hält, z. B. einer Aenderung des Wahlrechts dahin, daß wlderspreden dr Verpflichtun auf das Apostolikum abhängen soll, tes n f Nicht der Friede, sondern Streit und Hader aufrecht entstehen. Wir wollen die Freiheit des Gewissens
erhalten und kämpfen gegen dieses Geseß wie gegen
] Es wird überhaupt nothwendig sein, diesem Gesetz eine Fassung zu geben, welche auch der eöbn liche Mean versteht. J gehöre nicht zu denen, die ungern Steuern zahlen, aber daß wir dafür Steuern zahlen sollen, daß man uns jeden Schutz nimmt und in die Arme des Herrn Stöer führt, das geht zu weit. Der Minister hat erklärt: der Staat bedarf der Kirche mehr als je: Die Kirche hâtte schon längst mehr mitwirken müssen in den Kämpfen in denen wir uns befanden. Sie bätte sich dem frassen Interessen- Egoismus entgegenstellen müssen; dieser Egoismus wird aber von denen groß gezogen, welche hier die Freiheit der Kirche vertreten. Die Waffen, die man hier s{chmiedet, werden die religiösen Interessen abshwächen. Die Wurzeln der Kraft des Protestantismus liegen wo anders als bei „Herrn Stödcker und seinen Genossen. Wenn der Minister den Frieden erhalten will, dann ziehe er die Vorlage zurück. Ich hoffe, daß sih die Dinge fo entwickelu werden, wie beim Schul- geses. Aber die Konsequenz, daß er seinen Posten räumt, möchte ih nit gezogen wissen.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren, ich will auf die Rede des Herrn Rickert nicht ausführlih antworten, sondern ih möchte mich darauf beschränken, ihm auf eine einzige direkte Anfrage, die er an mich gerichtet hat, zu antworten, daß ih die Aufstellung des Entwurfs nicht der General- Synode überlassen hätte. Ja, meine Herren, die General-Synode ist jeßt nicht zusammen, und als Organ der General-Synode, als Träger gerade der Forderungen, aus denen der Entwurf entstanden ist, ift der Evangelische Ober-Kirchenrath an mich herangetreten. Jch glaube also, das, was ih im vorigen Jahre erwartet habe, nämlich von kirchlicher Seite einen Vorschlag zu bekommen, in welcher Weise die Wünsche der General-Synode formuliert werden könnten, ist durch den Evan- gelischen Ober-Kirchenrath erfüllt, und das hat wesentlih dazu bei-
r
getragen, mi zu veranlassen, in die kommissarishe Berathung, die der Ober-Kirchenrath übrigens bei mir beantragt hatte, einzutreten. Ich will nur einen Punkt hinzufügen: Dec Herr Abg. Rickert hat mich gefragt, ob ih nit au in der evangelishen Kirche den Schwer- punkt in die Gemeinden kegte, anstatt in das sogenannte Gebilde der General-Synode. Ich erwidere dem Herrn Abg. Rickert, daß ih allerdings in ter evangelischen Kirde den Schwerpunkt wesentlich in die Gemeinde lege (hört! hört!); aber liegt denn nicht au im politishen Leben der Schwerpunkt in den Gemeinden? und wollen Sie deshalb, weil der Shwerpunkt in den Gemeinden liegt, sagen: der fogenannte Landtag? Das is die Parallele dazu. (Sehr gut! rechts.) Das wäre dasfelbe, als wenn Sie tie General-Synode als ein fogenanntes Gebilde bezeihnen. Nein, da muß man Gerechtigkeit walten lassen. Ih lege den Schwerpunkt in die Gemeinden, aber aus den Gemeinden wird die General-Synode gewählt. (Bravo! rechts.)
__ Abg. Dr. Schilling (kons.): Das Bedürfniß is nit erst jeßt für diese Vorlage hervorgetreten, sondern {hon seit mehreren Jahren, seitdem si die Synodalordnung im Volke eingelebt hat. Alle Ein- wendungen werden ganz allgemein gemacht, sie rihten sih nit gegen eine einzelne Vorschrift, sie wenden sih aegen das, was in Zukunft geschehen könnte. Medner geht auf die einzelnen Vorschriften des Ge- seßes ein und versucht nachzuweisen, daß dieselben niht von \o großer Bedeutung seien, daß eine staatlihe Ge]etgebung eintreten müßte, um in diesem Punîte Aenderungen herbeizuführen. Die Erhöhung des Besteuerungsrechts sei am meisten bemängelt worden. Wenn der Staat nicht in der Lage sei, der Kirche Mittel zu gewähren, dann müsse ihr der Weg der Selbstbesteuerung eröffnet werden. Die Höhe der Steuer sei niht so bedeutend, daß daraus Bedenken hergeleitet werden könnten. Dhne Noth werde man auch über den jeßigen Steuersaßz niht hinaus- gehen. Wie der Minister meinte, man könne der Kirche vertrauen, so könne man au zum Ministerium Vertrauen haben, und brauche nicht staatlicher als die Staatsregierung zu sein.
Abg. Dr. Langerhans (fr. Vp.): Mit der Bedürfnißfrage ist man doch etwas leiht umgesprungen. Wenn ein Bedürfniß {on lange vorliegen würde, hätte man doch wohl {hon Anträge seitens der General-Synode gestellt. Man blickt so verächtlich auf die ge- mischte Versammlung des Landtags herab und vergißt dabei, daß ile Landtag die staatlichen Gefete gemacht hat, um die synodale Orga- nisation der Kirche zu schaffen. Dabei wurde die Union aufrecht er- halten und es wurden alle evangelischen Christen zusammengefaßt. Ein Glaubenszwang sollte also nit ausgeübt werden. Wenn die Ge- seße jegt nit mehr gefallen, dann hebe man die Geseße auf und überlasse es der evangelischen Kirche, sich selbst zu organisieren, oder mache andere Geseße. Aber wir haben keine Veranlassung, die Gesetze außer Kraft zu seßen, damit die kirhlihen Organe dieselben nah ihrem Belieben ändern können. Wir haben von Anfang an befürchtet, daß die Geseße zu einer orthodoxen Hierarhie führen würden. Wie recht wir gehabt haben mit unseren Befürchtungen, zeigt die Zusammenseßung der General-Synode infolge des Filtrierungs\ystems. Nach unserer Ansicht sind dadur die Rechte der Gemeinde illuforisch een, Man kann nicht sagen: die General-Synode ist die evangelische Kirche. Darum bedauere ih, daß der Minister mit diesem Geseße vor- gegangen is und zwar jeßt gerade, wo die kirchlichen Parteten {ih schärfer bekämpfen als die politishen Parteien. Kaiser Wilhelm I. sagte: In der evangelischen Kirche is eine Orthodorie eingekehrt, die mit ihren Grundsäßen nit verträglih ist und in ihrem Gefolge die Heuchelei hat. Diese Worte sind vollständig zutreffend. Wie weit die Orthodoxie geht, zeigt besonders die neu ausgearbeitete Agende und wenn der staatlihe Schuß für die Bildung der Gemeindeorgane fehlt, dann fann die Orthodorie es dahin bringen, daß jeder liberal gesinnte Mann ausgeschlossen wird. In Zukunft follen die kirhlihen Gesche nicht mehr vom Minister gegengezeichnet sein; die Angriffe gegen die Kirchengeseße richten sich dann niht mehr gegen die Minister, sondern gegen den summus episcopus, und das wollen wir vermeiden. Troß der s{chlechtien Finanzlage waren für die Ablösung der Stolgebühren Millionen vorhanden, obgleih man in kirhlihen Kreisen die Aufhebung der Gebühren nicht für zweckmäßig hielt. Wozu soll da die Steuererhöhung dienen? Sollen neue Ver- tretungsförper mit höheren Diäten geschaffen werden? Eine Ver- ständigung der verschiedenen Richtungen kann eher herbeigeführt werden, wenn die Vorlage abgelehnt, als wenn sie angenommen wird. Werden die Personen, welhe nicht der Orthodoxie anhängen, aus der Kirche ausgeschlossen, dann können die Steuern noch etwas mehr erhöht werden; denn die wohlhabenden Leute werden sh nit fo zum Apostolikum bekennen, wie es Herr Stöcker wünscht.
Abg. Dr. Brüel (Hosp. b. E Herr Rickert deutete an, daß das Zentrum eigentlich in dieser Sache niht mitzuwirken hätte. Da würde also für die evangelischen Ar enangegen let ein corpus evangelicorum fi ausscheiden müssen, welches allein zu be- schließen hat. Die Folge würde sein, daß bei katholischen Angelegen- heiten die Katholiken allein zu entscheiden hätten. Damit würde wohl das Zentrum, aber niht Herr Rikert einverstanden sein. Aus Deslikatesse haben die Katholiken sich sonst an evangelish- kirchlichen Geseßen nicht betheiligt. Aber sie müssen sich das Recht der Mitwirkung wahren, namentli, wo es sich hier niht bloß um eine kirchlihe, sondern um eine ftaatlide Gesetzgebung han- delt. Es handelt sich darum, die Anschauungen zur Geltung zu bringen, welche das Zentrum von der Selbständigkeit der großen beiden Kirchen hat, wenn auch der Verfassungsartikel über die Selbst- ständigkeit der Kirhe aufgehoben is. Den berechtigten Forderungen der evangelishen Kirhe nah Selbständigkeit is nur in sehr be- s{hränktem Maße nachgegeben. Aber man muß sih mit dem begnügen, was seitens der MNegierung vorgeshlagen wird. Das Bedürfniß für die Vorlage liegt darin, daß die Kirche die ideale ebenbürtige Stellung cinnimmt, welche ihr zukommt. Denn es is unwürdig der Kirche, daß man der General-Synode nicht traut, daß man das
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Abgeordnetenhaus als Obersynode einseßt. Auf die Einzelheiten will
Redner nicht eingehen; es fei aber eine Ge Unterstellung des Landesherrn unter die Vormundschaft des Staats-Ministeriums, wenn keine firhlihen Vorlagen dem Landesherrn gemacht werden fönnten ohne Erklärung des Ministeriums, daß gegen die Vorlage nichts zu erinnern sei.
Abg. Freiherr von Zedlitz (fr. kons.): Die Stellung des Vor- redners wird niemand überras{cht haben. Jh muß dagegen protestieren, daß die katholische und die evangelische Kirche in threm Verhältniß zum Staat gleihmäßig behandelt werden müßten. Wir Evangelischen werden uns, weil unser summus episcopus immer der Landesherr ist, in dieser Beziehung immer enger an den Staat anschließen. Ich bin nicht ein absoluter Gegner der Vorlage; ih erkenne die Berechti- gung des Wunsches der evangelischen Kirhe nach einer Revision ihrer Verhältnisse zur Landesgeseßgebung vollständig an. Ein praktishes Bedürfniß nach einer Aenderung der Geseßgebung ift allerdings nit nachgewiesen, da ein Mißstand aus der Mitwirkung der Landesvertretung bei den Kirchengeseßen nicht erwachsen ift. Gegen die Mitwirkung der Landesvertretung wird angeführt, daß sie nicht nur aus Evangelischen zusammengeseßt ist; das Staats - Ministerium braucht aber nicht konfessionell zusammen- geseßt zu sein, wenn es au gegenwärtig der Fall is. So lange der Staat eine Mitwirkung bei der firchlihen Geseßgebung hat, wird es unbenommen bleiben, die Art und Weise, wie das geschieht, zum Gegenstand der Kritit im Parlament zu machen, auch wenn die Vor- lage angenommen wird. Ich habe jedo erheblihe Bedenken über den Umfang der Revision und darüber, ob der jeßige Zeitpunkt der geeignete if für eine solche Revision. Die Kirche soll nicht bei jedem A ca O abhängig sein von der Zustimmung des Land- tags, aber es mu verhütet werden, daß die Steuerkraft unnöthig allzu, stark angespannt wird. Daß die Stellung des Staats- Ministeriums verschoben werden soll, daß es herabyemindert werden soll zu einer bloß begutahtenden Behörde, deren Gut- achten indeß nicht beachtet zu werden braucht, ist bedenk- lich. Die \taatsministerielle Stellung, wie sie jeßt in der Kirchenverfassung festgestellt ift, muß aufrecht erhalten werden. Es wird eine erste Aufgabe der Kommission sein, hier eine Verständigung herbeizuführen. Auch in Bezug auf die Grenzen, welche der landesgeseßlihen Mitwirkung in Bezug auf kirchliche Angelegen- heiten gezogen werden sollen, habe ich étbebliche Einwendungen zu machen. Je weniger die Landesgeseßgebung ih um Kleinigkeiten der Ausführung zu kümmern hat, desto besser ist es für beide Theile. Aber anders \teht es bezüglich der Bildung der kirchlichen Vertretungen. Die wesentlichsten Grundlagen dafür dürfen nit von der Mitwirkung der Landesgesetgebung befreit werden. Bezüglich der Frage des Ge- [übdes ist es zweifelhaft, ob die geseßlihe Bindung nothwendig ift. Wenn, sie nicht besteht, kann fie jeßt niht neu eingeführt werden. Aber in Bezug auf den Aus\{chluß vom aîttiven und passiven Wahlrecht darf der Rechtszustand ohne staatliche Genehmigung nit geändert werden. Wenn ih auch vertraue, daß die General-Synode alle Be- strebungen, einen Gervissenszwang auszuüben, zurückweisen wird, fo find Befürhtungen nach dieser Nichtung hin doch erklärlih; sie beruhen auf gewissen thatsächlichen Verhältnissen, und solche ortho- doxen Bestrebungen könnten infolge der leichteren Moöglichkeit, von tirhlicher Seite Aenderungen herbeizuführen, noch mehr in den Vordergrund treten als bisher. Das würde zu einer \{ädlichen Beun- ruhigung der evangelishen Bevölkerung führen. Bei der Agende wird die General-Synode die Probe abzulegen haben, ob sie die Glaubens- freiheit wahren will. Wenn sie diese Probe besteht, dann werden alle Bedenken gegen die Aenderung des Staatskirchenrehts beseitigt sein. Gs wird Sache ernster Erwägung sein, ob nicht die Beschlußfassung über d D bis dahin zu vertagen sein wird.
Abg. Stö cker (kons.): Ich will dem Minister noch ganz per- sönlich danken, daß er die von mir im vorigen Jahre E An- regung so freundlich unterstüßt hat. Er hat die Diskussion aus dem Nebel von bloßen un heren Befürchtungen und Besorgnissen auf die richtige Linie gestellt, indem er sagte, es handle sih um ein Stück Grenzregulierung zwishen Staat und Kirche, die uns fo lange beschäftigt. Zu glauben, daß in den fiebziger Jahren unter den Eindrücken der Falk’\{hen Aera die Sache richtig erledigt sei, ist ein ODptimismus, den nur ein Liberaler haben kann. Niemand hat sich träumen lassen, daß bei einer Grenz- regulierung eine folche Wendung zu tande kommen würde wie damals. Die Fehler des Fall’shen Systems haben ih damals auch in die kirhlihe Verfassung eingeshlihen. Das staatliche Interesse an der evangelishen Kirche ist genügend gewahrt dadur, daß die kirhlihen Behörden, der Ober-Kirhenrath, von Staatébeamten ge- bildet sind. Die Wahrung der Rechte des Staats von dem Landesherrn auf das Staats-Ministerium zu übertragen, war durch- aus niht nothwendig. Jedenfalls ist diese künstlihe Konstruktion nicht aus dem Wesen der Kirche genommen. Früher hat die evan- gelishe Kirche eine solhe Mitwirkung des Ministeriums in kirh- lihen Dingen garniht gekannt. Es wird die Befürchtung ausgesprochen, daß eine Minorität des Glaubens wegen rechtlos gemacht werden kann. Das ift nothwendig, wenn eine Kirche eine richtige Kirche sein will. Leute, welhe die Kirche bekämpfen, können feine kirhlichen Rechte ausüben. In den unteren Schichten der Bevölkerung is die Umsturzbewegung vorhanden. Was soll daraus werden, wenn diese Massen sich in den Besiy der kirhlihen Macht seßen ? Jett sind sie noch zu ehrlih dazu; aber wie es spâter wird, wissen wir niht. Der Regierung ist zu danken, daß sie gerade diesen Punkt aus der staatlichen Bindung berausgelassen hat; es ist das Nothwendigste, was geschehen mußte. Herr von Zedlitz verlangt von der General-Synode die Probe, daß sie auf die Wünsche der Linken und der Mittelpartei bezüglih der Gewissensfreiheit ein- geht. Das heißt im gewöhnlichen Leben „Nöthigung“. Das maghen wir niht mit. Die General-Synode hat noch niemals in die Gewissens- freiheit der cinzelnen eingegriffen. Die Kämpfe in der evangelischen Kirche find niemals von unserer Seite begonnen, sondern immer von der anderen Seite. Der Kampf gegen das Apostolikum in den Pee Jahren begann von der äußersten Linken, die vor der remden Ueberzeugung keinen Respekt hat und eine Vergewaltigung der Gegner forderte. Jeßt muß die Vorlage gemaht werden. Die Kirhe müßte die möglichste Freiheit haben, um ihren Einfluß auf das Volk ausüben zu können. Ein Staatskirchenthum, wie wir es haben, besißt nicht das Maß von Autorität im Geisterreih, um sozialdemokratische Massen mit dem Christenthum wieder in Berührung zu bringen. Herr Ra hat die Worte des verstorbenen Kaisers zitiert, aber niht voll O Warum hat er die folgenden Worte nit verlesen: „aber je öher man im Staatsleben steht, desto mehr muß man an dem Kirchenbesuch festhalten“. Auf der linken Seite stehen immer Leute, die von kirchlihen Dingen nihts verstehen ; deshalb macht auf uns der Rumor der Linken keinen Eindruck. Wir wollen niemand aus der Kirche ausschließen, wir wollen nur die Ungläubigen nicht in die kirhlichen Aemter und nicht auf der Kanzel haben. Liberal ist es nicht, daß jede freiheitliche Negung der Kirche unter- drüdt werden soll. Herr Enneccerus sagte: Principiis obsta! Das muß jedenfalls überseßt werden: Widerstehe jeder prinzipiellen Haltung, denn Grundsäße waren in den Ausführungen des Herrn Enneccerus niht enthalten. Die Abweichung vom Apostolikum kann nicht geduldet werden. Wer nicht mehr glaubt, daß der Herr gèn Himmel E ist, der kann doch nicht für die Aufrechterhaltung dieses irhlihen Festes eintreten. Wenn alle L MUARO in Märchen und Legenden aufge werden, dann wird die Kirche aufgelöst. Wenn man alle Üeberzeugungen frei geben foll, dann entsteht der Kampf aller gegen alle. Die Kirche kann den Atheismus bei ihren Mitgliedern dulden, aber in den Aemtern kann sie nicht die Freiheit des Bekenntnisses gestatten. Wir wollen für die Kirche Glauben und Freiheit. Glauben als festen Boden unter den P und L ae als Luft und Raum über \ih muß die Kirche aben, wenn sie beim Volk Autorität haben soll.
Darauf wird die Vertagung beschlo}sen.
Schluß 4 Uhr. Nächste Sißgung: Freitag 11 Uhr.
ortseßung der ersten Berathung des Kirchengeseßes und ‘titionén) S