1894 / 89 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 16 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

haben sie einen Ausspruh gethan, den jeder verständige Mensch als beredtigt anerkennen muß, wenn sie nicht heucheln wollen. Allerdinys beiligt der Zweck die Mittel. Man denke doh an die Art und Weise, wie das Deutshe Neich, wie die Emser Depesche, wie das L zu stande gekommen is. Wie kann man noch von Jefuitenmoral \prehen, wenn man ih diese Dinge ins Gedächtniß zurückruft? Gefährlih ist im Staat bloß diejenige Richtung, welhe man gewaltsam unterdrückt; allen Richtungen muß leiches Licht, gleiche Sonne gewährt werden. Die katholische Kirche at eine ganz gewaltige Lebenckraft; der Kulturkampf hat ihr nicht geshadet, fondern genügt. Die protestantische Kirche hat sih servil herabgewürdigt, sie hat lediglih bis zu den jüngsten Hofpredigern herab die Geschäfte der weltlihen Gewalt geführt. Sedenfalls hat die Sozialdemokratie vor allen Jesuiten der Welt nicht die geringste Furt, während gerade die Vertreter der evan- gelischen Kirche am lautesten nah Aufrechterhaltung des Ausnahme- geseßes schreien. Nicht bloß vom prinzipiellen, sondern auch vom taktischen Standpunkte aus find wir für die Aufhebung des Geseßes. Ein Ende wird diesen Kämpfen erst bereitet sein, wenn man, wie unser Programm fordert, die Religion zur Privatsahe macht.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) beschränkt sich auf die Er- flärung, daß die Reichspartei auf dem Boden der in der ersten Lesung vom Abg. Merbah abgegebenen Erklärung unverändert verharre. |

Abg. Schröder (fr. Vg.): Der Abg. Lenzmann hat keine Veranlassung gehabt, sih zu der Erklärung zu versteigen, daß von der ungeheuren Schar evangelisher Mitbürger, die das Ausweisung8gesetz beibehalten wissen wollen, nur die allerwenigsten die Statuten des Ordens fennen gelernt hätten. Wie kozmt der Abg. Lenzmann dazu, eine solche Behauptung diesen Tausenden von ehrenwerthen Ptännern ins Gesicht zu \hleudern? Schon die große Zahl evangelisher Geistliher, welche die Petitionen unterschrieben haben, beweist, daß die Unterzeichner nit bloß aus unwissenden und politis ununterrichteten Leuten bestehen. Das staatliche Hoheitêreht muß von der Kirche anerkannt werden ; der Staat hat den konfessionellen Frieden als ein werthvolles Gut zu shirmen. Ob ihm das noch mögli is, wenn das Gesey von 1872 zurüdgenommen wird, müssen wir stark bezweifeln. Wir werden des- halb dem Antrag Hompesch unsere Zustimmung nicht geben.

Abg. Freiherr von Manteuffel (dkons.): Seit dem 1. De- zember 1893 haben sich die Verhältnisse in keiner Weise geändert und wir werden deéhalb auf dem Standpunkte stehen bleiben, den wir damals eingenommen haben. i :

Abg. Hilpert (b. k. F.): Nur die nationalliberale Presse und Ls will den Kulturkampf noch aufrecht erhalten, darum siräuben ie sich mit aller Kraft gegen die Zurückberufung der Jesuiten. Jch stimme als protestantisher Christ für diese Zurückberufung. Jeder deutshe Christ wird sich selbst sein Christenthum zu bewahren wissen. Wie hat man die Wemdinger Teufelaustreibung frufktifiziert! Gerade die nationalliberale Presse hat diesen Staub aufgewirbelt. Auch hat man wiederholt gewaltsame Bekehrungen zum Katholizismus verwerthen wollen. Ich glaube, folhe Dinge werden niht mehr vorkommen, wenn die Jesuiten erst wieder in Deutschland sind.

Abg. Dr. Haas (b. k. F.) erklärt für seine Parteigenossen gleih- falls die Zustimmung zum Antrag Hompesch; die katholische Kirche könne gerade den beispiellosen Eifer, die grenzenlose Hingebung und Opferwilligkeit des Ordens der Gesellschaft Jesu niht entbehren.

Nachdem noch Abg. Dr. von Jazdzewski für die Polen dasselbe erklärt, schließt die Generaldiskussion. '

Der Entwurf wird in der namentlihen Gesammtabstim- mung mit 168 gegen 145 Stimmen angenommen.

(Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten seßte in seiner heutigen 50. Sitzung, welcher der Präsident des Staats- Ministeriums, Minister des Jnnern Graf zu Eulenburg, sowie die Staats-Minister Dr. Miquel, von Heyden und Dr. Bosse mit Kommissarien beiwohnten, die dritte Be- rathung des Staatshaushaltsetats für 1894/95 fort, erledigte den Etat des Ministeriums des Jnnern und

iht vom 16. April, r Morgens.

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Temperatur in ? Celfius 5E, = 4R

heiter beded@t heiter heiter wolkig wolkig Dunft wolkenlos

Belmullet . . Aberdeen Christiansund Kopenhagen . Stocfholm . aranda . St. Petersbg. Mosfau .

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1) Nachts wenig Regen. 2) Früh wenig Negen. 3) Thau, Nachmittags Regen.

Nebersicht der Witterung.

Ein ziemlih tiefes barometrisches Minimnm, im Kanal {arke Südwinde verursachend, liegt über dem Bristokanal und scheint ostwärts fortzuschreiten ; ein anderes Minimum befindet ih westlich von Irland; ein E lagert über Ost-Europa. In Deutschland is bei meist schwachen, vorwiegend süd- östlichen Winden das Wetter warm, im Westen trübe und vielfa regnerish, im Osten heiter; die Tem- peratur liegt an der Küste 4 bis 6#, im Binnen- lande 24 bis 5 Grad über dem Mittelwerth. Zu Chemniß und Grünberg fanden gestern Abend Ge- witter mit Regenfall statt. Unter dem Einflusse der Depression im Westen dürste zunächst für das west- lihe Deutschland Regenwetter, stellenweise auch Ge- witter, zu erwarten sein.

Deutsche Seewarte.

von Emil

Früchte.

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heiter Regen wolïig wolkig halb bed. heiter!) heiter wolkenlos

wolkenlos Regen Regen bededckt2) wolkig heiter heiter?) halb bed, wolfenlos halb bed. Nebel - halb bed.

Hamlet,

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Senator.

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Recht.

Sonntag:

Herr Unger. mann.

Theater - Anzeigen.

Königliche Vchauspiele. haus. 96. Vorstellung. Falstaf. Lyrifhe Komödie in 3 Akten von Giuseppe Verdi. Text von Arrigo Boitso , deutsch von Max Kalbe. N geseßt vom Ober - Regisseur Tetlaff. Dirigent : Kapellmeister Dr. Muck. Schauspielhaus. | T D Balle. Lustspiel in 1 Aufzug ohl. Ober -Negisseur Marx .__ Lustspiel in 3 Aufzügen, wischenspiel des Cervantes, von Emil Göôtt. cene geseßt vom Ober-Regifseur Mar Grube. Militärfromnm. | Gustav von Moser und Tilo von Trotha. Jn Scene geseßt vom Ober - Regisseur Marx Grube. Anfang 75 Uhr. Mittwoch: Opernhaus. | häuser und der Sängerkrieg auf Wartburg. Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner. Ballet von Emil Graeb. Anfang 73 Uhr. Schauspielhaus. 104. Vorstellung. Neu einstudiert : Prinz von Dänemark. 5 Aufzügen von William Shakespeare. von August Wilhelm von Schlegel. In Scene geseßt vom Ober-Negisseur Marx Grube.

Deutsches Theater. Anfang 73 Uhr.

Mittwoch: Der Talisman.

Donnerétag: Der Herr Senator.

Grei Zum 1. Male. Geographie und Liebe. Lust Aufzügen von Björnstjerne Björnsen.

Berliner Thealer. Dienstag: Aus eiguem Anfang 74 Uhr.

Mittwoch: Die Waise vou Lowood, Donnerstag: Minua von Barnhelm.

Lessing-Theater. Dienstag: Niobe. Mittwoch: Niobe. iet beds Posse mit Gesang in 1 Akt von Donnerstag : Neu einstudiert : Ultimo. s

Waliner-Theater. Friedrih-Wilhelmstädtishen Theaters. Der Vogelhändler. 5 Aufzügen nah éiner West und L. Held. Musik von Carl Zeller. Regie: Dirigent : Herr Kapellmeister Feder- Anfang 74 Uhr.

aaen sodann die Berathung des Etats der landwirth-

shaftlihen Verwaltung. i S Ueber den - Verlauf der Sißung werden wir in der

morgigen Nummer d. Bl. ausführlich berichten.

Dem Reichstag is der Entwurf eines Gesehes, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum NReichshaushalts-Etat für das Etatéjahr 1894/95, zugegangen, wonah 10 400 4 an fort- dauernden Ausgaben für drei neue Mitglieder des Patentamts zur Verwaltung des Waarenverzeichnisses, welche durh das noch zur Be- rathung stehende Gese zum Schuß der Waarenbezeihnungen noth- wendig werden, gefordert werden; um die gleihe Summe sollen die Matrikularbeiträge erhöht werden.

Die Steuerkommission des Reichstags trat heute zusammen, um den Entwurf eines Tabacksteuerge!eßz es zu be- rathen. Die Mitglieder der Kommission waren vollzählig erschienen. Die verbündeten Megierungen waren durch den Staatssekretär des Neichs-Shatzamts Grafen Posadowsky, den preußischen Finanz - Minister Dr.. Miquel, den bayerishen Gesandten Grafen Lerchenfeld, den Reichsbank - Präsidenten Dr. K o ch und mehrere Kommissarien vertreten. Das Wort nahm zunächst Staatssekretär Graf Posadwsky, um ein Bild von der Lage der Reichsfinanzen zu geben und hieraus die Nothwendigkeit der Tabak- steuer zu begründen. Abg. Freiherr von Stumm beantragt, das Erxposé des Staatssekretärs drucken zu lassen und die weitere Berathung in der Kommission erst fortzuseßen, wenn das Exposé gedruckt vorliegt. Abg. Richter ist gegen diesen Vorschlag, der die Entscheidung abermals vershleppen wolle. Die Abgg. von Bennigfen und Gamp wollen mindestens die Abstimmung bis dahin ausgeseßt wissen, bis die Aus- führungen des Grafen Posadowsky gedruckt vorliegen. Abg. Nichter protestiert nochmals gegen diesen „künstlihen Versuch zur Hin- ziehung der Entscheidung“. Die Frage der Tabakfabrikatsteuer sei für Hunderttausende von solher Wichtigk-it, daß sie so {nell wie möglich durch den Reichstag zur Ent- scheidung gebraht werde. Abg. Gescher (fons.) widerspricht dem Vorredner; es sei ein Irrthum, wenn man glaube, daß mit der Ablehnnng dieser Steuervorlage die Frage erledigt fei. Es sei eine Ehrenpfliht sowohl für die Regierung, wie für die Konservativen, dafür zu forgen, daß aus dem Tabak mehr Einnahmen gezogen werden. Abg. Singer (Soz.) stimmt den Ausführungen des Abg. Richter bei, ebenso Abg. Gröber (Zentr.), welcher bemerkt, daß in “den Ausführungen des Grafen Posadowsky nichts Neues geboten werde. Staatssekretär Graf Posadowsky betont, daß es ihm völlig ferngelegen habe, eine Vershleppung herbeizuführen; - er wolle nur feststellen, daß der Hauptgrund, der von den Gegnern der Taback- steuer angeführt werde, daß diese durch die Finanzlage nicht unbedingt gefordert werde, hinfällig sei. Abg. von Bennigsen hält es für selbstverständlib, daß, wenn die Finanzlage es er- fordere, mangels anderer Objekte der Taback L werde. Abg Bassermann (l) (#| unbedingt ür Ablehnung der Vorlage. Hier sprehe nicht die shlechte Finanzlage mit, vielmehr sei das Gesetz aus prinzipiellen Eründen zu verwerfen. Abg. Fürst Radziwill (Pole) erklärt, seine Partei habe sich bei den Berathungen im Plenum nicht geäußert; es liege ihm daran, zu erklären, daß feine politishen Freunde der Besteuerung des Tabaks durchaus s\ympathisch gegenüberstehen. An der weiteren Geschäftsordnungsdebatte betheiligen sich noch wiederholt die Abgg. Gamp, von Stumm, Gescher, Gröber und Frese. Schließlih wird auf Antrag des Abg. Richter zunächst in die Be- rathung des § 4 der Vorlage eingetreten, welcher lautet: „Der zum Verbrauch im Zollgebiet bestimmte fabrizierte Tabak unterliegt einer Steuer nah Maßgabe dieses Gesetzes. Dieselbe wird ohne Rücksicht darauf erhoben, ob zur Herstellung Surrogate und Hilfs\stoffe verwendet worden sind oder nicht.“ Abg. von Bennigsen kann sih nicht vorstellen, wie man, nachdem eine höhere Besteuerung des Biers abgelehnt worden, nun auch den Tabak außer Acht lassen wolle. Man müsse verlangen, daß das Reich für feine Bedürfnisse selbst sorge, und da bleibe nur der Tabak übrig. Wenn man die niedrige Besteuerung des Tabaks in Deutschland mit

Dienstag: Dpern- | Dienstag: Zum 584. Male.

Scene | Genée. Herr Kayellmeister Federmann. Anfang 7x Uhr. 4 103. Vorstellung. Vom land- | Anfang 74 Uhr. In Scene geseßt vom Grube. Verbotenue nah einem

Si burg. Dienêtag:

(Deecoré). Ciwank in Meilhac. Anfang 75 Uhr.

Genrebild îin 1 Aufzug von

97. Vorstellung. Taun- burg.

Mittwoch: Zum 1. Male. bonheur conjugal).

Tragödie in | yon Albin Valabrègue.

Üeberseßzt

Anfang 75 Uhr.

Zum 496. Male. Nur no

Dienstag: Der Herr

Kapitän Graut. von C. A. Naida.

Columbia, Ballet.

Sharley’s# Tante. Brandon Thomas.

acobfon und Benno Jacobfon. Roth. In Scene geseyt von

Gesammt - Gastspiel des

Operette in

Dienstag: Zum 8. Male.

Friedrich - Wilhelmstädtisches Theater. Chausseestraße 25.

maus. Komische Operette in 3 Akten nah Meilhac und Halevy, bearbeitet von Carl Haffner und Rich. Musik von Johann Strauß. Regie: Herr Cpstein.

(Gabriel von Eisenstein: Herr A. Pauli als Gast.) Mittrooch: Der Bettelstudeut.

Resivdenz-Theater. Direktion: Sigmund Lauten- um dritten Male. 3 Akten von Henry

Mittwoch und folgende Tage: Dekorirt.

Neues Theater. Direktion: Sigmund Lauten- Dienstag: Zum 145. Male. 2 Liebesdrama in 3 Akten von Max Halbe. In Scene geseßt von Sigmund Lautenburg.

Schwank in 3 Akten Deutsch von Buchholz und Wolff. Jn Scene geseßt von Joseph Jarno.

Viktoria-Theater. Belle - Alliancestraße 7/8. Dienstag: Halbe Kassenpreise (Parquet 1 4. u. st. w.) 12 Aufführungen. cit vollständig neuer Ausftattung. Die Kinder des Ausstattungéstück mit großem Ballet in 12 Bildern von Jules Verne. Im 8. Bilde: Goldgräber und Zaubertanz à la Serpentine. stattungs-Ballet. Anfang 7} Uhr.

Theater Unter den Linden. Dienstag:

Der Mikado, Operette ven Sullivan. Anfang 77 Uhr.

Adolph Ernsi-Theater. Dienstag, 74 Uhr: Schwank in 3 Akten von Vorher :

Musik von Franz Ad. Ernst. Mittwoch: Dieselbe Vorstellung.

Pentral-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. ei Der neue Kurs. dee des Bieville von M. S mit Gesang in 3 Akten von Leopold Ely. usik von Julius Einödshofer. Anfang 7# Uhr. Mittwoch und folgende Tage: Der nene Kurs.

anderen Ländern vergleihe, #0 sei die : lächerlih niedrig. Der Tabackbauer würde fogar entschieden Vortheis von der Vorlage haben. Das Geseß müsse, wenn auch in mand; Beziehung Aa zu stande kommen. Mit dem Monopol würde man ja große finanzielle Erfolge haben, aber er glaube, für Leutschland pass es niht. Gegen das englische System hoher Zoll und Verbot des inländischen Tabackbaues würden sich viele einflußreihe Bundes, staaten erklären. Eine nie Schonung der unteren Voksklassey sei niht mögli, sonst brähten die Steuern überhaupt nichts ei nur die möglichste Schonung . müsse versucht werden. (Fz bleibe nur die Fabrikatsteuer übrig. Diese Vorlage sei dag einzige Mittel, um aus dem Tabak möglihst viel heraus, zushlagen, ohne die unteren Volksklassen zu sehr zu treffen. Die Regierung habe mit diefer Vorlage im großen und ganzen einen lücklichen Griff gethan; er hoffe, daß, wenn die Mehr, eit die Vorlage jeßt ablehne, die Regierung mit der, selben, wenn auch mit manchen Abänderungen, in d nächsten Session wiederkommen werde. Abg. Gescher. (dkons.); Bezüglich der Auffassung der finanziellen Lage seien seine politischen Freunde, und" zwar einstimmig, mit dem Schaßsekretär einer Meinung: man sei auch bereit, die nöthigen Mittel zu gewähren, und zumeist davon überzeugt, daß der Tabak dazu geeignet sei. Ihr wesentliches Bedenken liege nur darin, daß durch die Vorlage eine gewisse Stockung des Geschäftsverkehrs eintreten könne; allein dies lasse J Us gewisse Modifikationen verhindern. Die Konservativen seien bereit, dabei mit: zuwirken. Unter allen Umständen aber müsse an dem Tabak alz Einnahmequelle festgehalten werden. Er möchte den Gedanken anregen, den Inlandszoll mit 45 4 beizubehalten, außerdem aber für auswärtige Tabake einen Werthzoll von etwa 45 9/6 und für ausländische Fabrikate einen solhen von etwa 1009/6 zu segen. Abg. Gamp (Rp.): Die Zahl der Tabackbauer sei bedeutend zurückgegangen, ebenso habe sid die mit Taback angebaute Fläche bedeutend vermindert. Das sei der beste Beweis, daß die jeßige Besteuerung nicht die richtige sei. Die Tabackbauern führen herbe Klage über die Scherereien und Prlackereien. Es liege das - dringende Bedürfniß einer Aenderung des Steuermodus vor, unt man müsse der Regierung beipflihten, daß die vorgeschlagene Steuer die einzig richtige sei. Gr bitte, dem Gedanken einer progressiven Werthsteuer näher treten zu wollen; damit werde daz wesentlichste Bedenken, daß die untersten Volksklassen zu sehr belastet würden, beseitigt. Er habe mit Fabrikanten ge|prochen, die gegen eine solhe Steuer, die etwa 10 bis 12 Millionen Mark einbringen würde, kein Bedenken hätten. Wegen des Beginns der Plenarsißung wird die Fortseßung der Berathung auf Dienstag vertagt.

Die Abgg. Dr. Förster: Neustettin (d. Rfp.), Dr. Hahn (dkons.), von Dallw it (b. k. F.) und Graf zu Innhausen und Knyphausen (dkonf.) haben im Neichstag folgende Inter- pellation eingebraht: Wie gedenken die verbündeten Regierungen die durch die Zollgeseßgebung entstandenen Schädigungen der Finanzen des Reichs in einer die Landwirthschaft nicht beein- trächtigenden Weise auszugleihen, und welhe Mittel des Ausgleihs gedenken sie auf dem Wege der Neichsgesezgebung anzuwenden ?

Kunst und Wissenschaft.

Vom 11. bis 14. April tagte in Berlin die jährliche ordent lihe Plenarversammlung der Zentral-Direktion des Kaiserlihen Arch äologishen JFnstituts, zu der von den auswärtigen Mitgliedern die Herren Geheimer Hofrath E N Overbeck aus Leipzig und Professor Michaelis aus Straßburg erschienen waren.

(Fortseßung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)

Konzerte.

Konzert-Haus. Dienstag: Karl Meyder: Konzert. Ouv. „Marco Spada“ von Auber. „Nebukadnezar“ von Verdi. Polonaise Nr. 2 E-dur von Liszt. Phantasie aus „Don Juan“ von Mozart. „Seid umshlungen Millionen“, Walzer von Strauß. Potpourri aus „Die Jagd nach dem Glück* (neu) von Suppó. Othello - Phantasie für Violine von Ernst (Herr Neumann). „Das Lied das meine Mutter sang“ für Piston von Ohlsen (Herr Werner).

Die Fleder-

Dirigent :

Sing-Akademie. Dienstag, Abends 8 Uhr: ITII. (leßter) Lieder - Abend von Lillian Hensel, unter Mitwirkung von Fräulein Helene Jordan (Mezzosopran), sowie der Herren Bakkes (Tenor) und Georg Henschel (Baritcn).

Dekorirt

ugend, Ein Birkus Renz (Karlstraße). Nur noch kurze Zeit!

Anfang 74 Uhr. | Dienstag, Abends 75 Uhr: Auf auf zur fröhlichen Eheglück (Le | Jagd. Parforce- u. Kaskadenritt. Ballet v. 100Damen, Meute von 40 Hunden. Außerdem: der oftpreuß. Hengst Edinburgh neu drefss. und vorgef. von Herrn R. Renz; Cyd und der Steiger Solon, geritten von Frau Renz - Stark; der kaukasische Joe Wassiliams; die Luftgymnastiker Gebrüder Wortley; Mr. Lavater Lee 2c. ; Mittwoch: Auf auf zur fröhlichen Jagd.

L NENRN E LREI D E E T A NIET SEASOR S6 E S E

Familien-Nachrichten,

Verlobt: Frl. Else Schwarße mit Hrn. Lieut. Adolf Frhrn. von Carnap (Pankow—Ohlau). Verw. Fr. Sanitäts - Nath Dr. Bertha Holl geb. Müller, mit Hrn. Geh. Ober-Postrath Stil (Berlin). : Wi

Geboren: Ein Sohn: Hrn. Seminar - E lehrer Dr. phil. Müller (Genthin, Prov. Sachsen" Hrn. Pastor Uebershär (Quickendorf E Peterwiz). Eine Tochter: Hrn. Hans fat Korn-Rudelsdorf (Nudelsdorf). Hrn. Pa Johannes Rindfleisch (Hindenburg i. Font fat

Gestorben: Hr. General-Liecut. z. D. Carl Gu b Blecken von Schmeling (Berlin). Hrn. 4m rihter Marx Sohn Wilhelm (Mittelwalde).

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Musik Das Fest der Aus-

Hierauf :

Die Bajazzi. Éd

Redakteur: Dr. H. Klee, Direktor.

Berlin L Verlag der Expedition (Scholz).

Druck der Norddeutshen Buchdruckterei und Ves Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. d

Acht Beilagen (einschließlich Börsen-Beilage).

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deutsche Besteuerung

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Erste Beilage

zum Deulschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

i 89. Deutscher Reichstag.

892. Sißung vom Sonnabend, 14. April, 12 Uhr.

Die Berathung des Antrags Kaniß, betreffend die zixierung von Minimalpreisen für das ausländische Getreide, wird fortgeseßt. i

Ueber die Rede des Abg. Will (dkons.), der zunächst das

ort hatte, ist bereits in der Nummer vom Sonnabend be- rihtet worden. Darauf erhält das Wort der “Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Auf diese Rede zu antworten, irde mir st{chwer fallen, denn sie ist nur eine kurze Nekapitulation der Reden gegen die Handelsverträge. Die Ausführungen des Abg. Grafen Kaniß haben uns am Freitag auch eine Schilderung der Nothlage der Landivirthschaft gegeben. Diese Noth]age bestreitet niemand; aber niht ein Wort dafür habe ich gehört, daß derjenige Reg, den er vorschlägt, den niemand bisher im Deutschen Reichs- tag vorzuschlagen gewagt hat, überhaupt möglich ist. Es kommt jeßt idt sowohl darauf an, nahzuweisen, daß dieser Antrag unmöglich ist für die Dauer der Handelêverträge, sondern darauf, nach- weisen , Da Er A Ut. oder unmögli für Zeit, gleichviel, ob Handelsverträge bestehen, oder ht. Thut man den ersten Schritt auf dem Wege des Antrags dani, dann müssen doch die Konsequenzen, die zweiten und dritten Sdritte überlegt werden. Dieser Weg ist nah meiner Meinung ¡iberhaupt unmögli, fo lange unsere ristlih-germanishe Kultur au nur in thren Grundlinien erhalten bleiben fol. Der Zweck des Antrags soll die Fixierung der Preise fein für das importierte Ge- treide: unter einem gewissen Minimalpreise soll dieses nit verkauft erden dürfen und das inländishe Getreide soll dann zu demselben Preise verkauft werden. Würde dieses leßtere Ziel auh wirkli da- dur erreiht werden? Wer unsere Geschichte kennt, wird das fir unmöglich erklären. 1893 war ein gutes Ernte- inhr Die billigen Preise von 1893 entstamnmten theils hdiesjer guten Ernte, theils dem ausländishen Angebot zu ehr billigen Preisen. Das inländishe Getreide kommt ¡uerst auf den Markt, das ausländische wird erst in den lezten Mo- hiaten im großen und ganzen konsumiert. Wenn 95 Prozent des Bedarfs im Inland produziert werden, dann bestimmt das Inland den Preis. ine Fixierung des Preises nah unten erfordert doch auch eine Firierung des Preises nah oben, dazu haben die Konsumenten das ute Recht mit Rücksicht auf theure Jahre; was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Dieses zu beantragen, haben Sie aber unter- lassen, Zur Zeit Joseph's in Egypten war es möglich, daß der Staat in guten Jahren Getreide aufkaufte, um in Theuerungsjahren den Preis mit den aufgespeicherten Vorräthen zu ermäßigen. Das ann man in einem abgeschlossenen Nationalstaat, niht aber in Deutschland, das unter dem Einfluß des Weltmarktes steht. Will man troßdem den gewollten Zweck erreihen, so muß man auh die Fixierung des Preises für das inländishe Getreide for- dern, und das ist nur dur die Verstaatlihung des Getreidehandels ¡berhaupt zu erreihen. Hat der Staat aber erst den gesammten Ge- treidehandel in Händen, was soll ihn denn noch abhalten, die ge- ammte Produktion zu verstaatlihen? Die letzte Konsequenz ift die Verstaatlihung der gesammten Landwirthschaft; sie kann gar nicht puébleiben, wenn diefer erste Schritt gethan is. Der Hundert- nillionenfonds ift eine Einrichtung zum Kampf gegen das Polen- thum; ohne diese verwerfliße Spitze würde er für die Provinz eine WVohlthat sein, wie cs der Abg. Freiherr von Hammerstein ganz allge- hein anerkannt hat. Die Verstaatlichung des gesammten Grund- esiges ist schließlich unvermeidlich, Und die Zeit - des grarsozialièmus wâre da. Nach einer aufgestellten Berech- nung müßte der Staat nah dem Antrage für 461 Millionen Jetreide jährlih kaufen. Wie groß müßte also das Betrieskapital für diesen Handel fein! Welche Masse von Vorrathshäusern swürde nothwendig sein! Die vorhandenen Vorrathshäuser müßten berstaatliht werden (Zwischenrufe rechts : Miethe !), ja, miethen kostet dech auh Geld. Was würde erst für ein Betriebskapital erforderlich tin, wenn au der inländische Getreidehandel vom Staate über- ommen würde! Wer soll nun diese kolofsalen Kosten tragen ? Sollen diejenigen, welhe den Nußen von der Maßregel tragen, felbst je aufbringen ? Das wäre doch das allein Richtige. Oder wollen Gie diese der Allgemeinheit aufladen ? Darüber haben wir noch nichts erahren. Diese ungeheuerliche Spekulation könnte aber auch fehlschlagen, ter Staat Tönnte große Verluste erleiden ; werden diese Verluste auch den interessenten aufgebürdet, oder soll au dafür der allgemeine Steuer- del auffommen? Auch darüber hören wir bis jeßt nidts. Produziert denn der Landwirth niht auch anderes als Getreide? Im esten ift die Viehproduktion vielfah wichtiger als der Getreidebau ;

Fes müßten also auch die Viechpreise fixiert werden, auch die Holzpreise.

Uebrigens \{lummert dieser Gedanke ganz sicher im Hintergrunde des «ntrags. Man will aber nur die Renten der Betriebsleiter, niht den ohn der Arbeiter fixiercn ; leßtere stehen uns aber ganz ebenso nahe vie die ländlichen Besitzer. Soll etwa der Lohn einheitlich fixiert verden ? Dann würde man im Osten dieselben Löhne zahlen müssen le m Süden und Westen, und damit würten die Herren in Dsten schwerlich einverstanden sein. Dasselbe Recht wie die Land- pirthschaft hat die Industrie; damit kommen wir zum Minimal- 91, und der einzige Unterschied ist der, daß die Sozialdemo- [raten mit dem Minimallohn, die Agrarier mit der Fixierung der intmalrente anfangen wollen. Der leßte Schluß wäre der wirth- jéaftliche Sozialismus, nur daß die Herren von der Nechten die heute errshenden Klassen auch zu den herrschenden in diesem wirthschaftlich jalistischen Staat machen wollen, während die Sozialdemokraten die *rvelter zu Herrschern machen wollen. Beide aber vernichten die I, iese von unten her, jene von oben. Die Familie kann nur eilig Boden der heutigen O erhalten werden. Der ein- ebt v Preis, welchen der Abg. Graf Kani herstellen will, D Widerspruch mit der Thatsache, daß die Lokopreise dura Mannheim mit dem Lokopreis von Königsberg-Danzig E Lenittlich um 30—32 A differieren; kann die Landwirthschaft M N mit dem Einheitspreis existieren, so würde es dem Westen n een nicht möglich sein. Der Westen und Süden würde also Dîte 7 detieren verurtheilt, lediglih zum Zwecke der Erleichterung des often Die Landwirthschaft im Westen und Süden würde dic atinti tragen, um der Landwirthschaft im Osten eine Rente zu reift ite Der Abg. Graf Kaniß verlangt andere Vorschläge und E ene höchst merkwürdige Ausführung, daß in den leßten

die Arn überhaupt nichts für die Landwirthschaft, sondern alles für thf dustrie geshehen sei. Ist diese wunderbare Behauptung den die Und Ist nicht s dieser sonderbaren Ableugnung sehr viel für diesem Geuthschaft gesehen? Und gerade unsere Partei hat sih auf feuerun ebiet große Verdienste erworben. Die Börse is der Be- baber a unterworfen worden ; die Getreidezölle sind herabgeseßt worden, währen 2a a immer noch eine ganz beträhtlihe Höhe und ge- cdeutsane andwirthschaft auf Kosten der Konsumenten einen sehr lihen L R ct der Identitätsnachweis ist im Interesse der öst- sorge U Warth aft aufgehoben worden. Ueberdies liegt die Für- est le deutsche Landwirthschaft in der Hauptsache nicht im lien d, fondern in den Einzel-Landtagen. Für die landwirthschaft- an Sha gg alvereine werden Jahr füx Jahr beträhtlihe Summen Banken sgeldern hergegeben; ritterschastlißhe und landschaftliche zur - Abstoßung der Schulden der Landwirthschaft {ind

Berlin, Montag, den 16. April

mit staatlicher Garantie ins Leben worden. Die Steurreform in Preußen kommt in erster Reihe der ländlihen Bevölkerung zu gute. Eine Reihe von Maßnahmen ift getroffen zu Gunsten der Landwirthschaft auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens. Hunderte von Millionen werden allein für unrentable Bahnen im Interesse der Landwirthschaft ausgegeben. Und da wagt man zu behaupten: Es geschieht nichts für die Land- wirthschaft ! Gewiß sind auch neue Lasten dazu gekommen. Das Invaliditäts- und Altersversicherungszeseß is aber do nur durch die Zustimmung der Konservativen zu stande gekommen. Was unsere heutige Finanzlage fo \hwierig gemacht hat, ist die Militärvorlage, der gerade die Nechte einhellig zugestimmt hat; sie hat der länd- lichen Bevölkerung ein enormes neues Opfer an Personalleistungen auf- gelegt, viel größer, als der Zollausfall von 15 A Nur Sparsamkeit lann helfen; wir haben mit dieser in diesem Jahre einen guten Anfang gemaht. Fahren wir \o fort, dann wird man auch der Landwirthschaft mehr als bisher entgegen- kommen fönnen. Wie gegen wirthschaftlihe Träumereien von der Linken müssen wir uns jeßt auch vertheidigen gegen wirthschaft- [iche Träumereien der Rechten. Ein Mittel, die Getreidepreise zu firieren, giebt es niht. Alle solhe Versuche sind bis jeßt jämmerlich gescheitert. Das Gefährliche des Antraçs liegt darin, daß er un- bewachten Iändlihen Gemüthern durchführbar und Erfolg verheißend erscheint. Wenn wir andere Wege vorschlagen follen, müssen wir vorher völlige Klarheit haben über die thatsählihen Verhältnisse. Die Noth der Landwirthschaft scheint im Steigen begriffen zu sein; aber andere Angaben lassen dohch darauf schließen, daß die Sache niht so liegt. Das Buch von Rudolf Meyer über das Sinken der Grundrente führt für die Provinz Pommern den Nachweis, daß in den legten 40 Jahren die reihen adligen Groß- grundbesißzer dieser Provinz mit einer einzigen Ausnahme ihren Grund- besiy ganz folossal vergrößert haben. Wenn es der Landwirthschaft \{lecht geht, würde man doch keine Güter hinzufaufen. Als Antwort auf die Auéführungen des Abg. Grafen Kaniß kann nur eine ganz umfassende Agrarstatiftik gefordert werden. Mit allgemeinen Redens- arten fommen wir nicht mehr weiter, wir müssen festen Boden unter den Füßen haben. Die Enquête muß aber nicht bloß über die Be- fißer, sondern au über die ländlichen Arbeiter und über das ganze Reich sich erstrecken. Um die Veranstaltung einer solchen Agrar- statistik muß die Regierung dringend ersucht werden. Wir vom Zentrum verlangen jeßt diese Statistik, die die RNehte bisher nicht R hat. Ergiebt diese Statistik, daß die Landwirthschaft der Hilfe 1 edarf, so sind wir in demselben Maße zur Hilfe bereit. Aus der Welt der Phrasen müssen wir endlih auf den Boden der konkreten Thatsachen gestellt werden.

_ Abg. Graf Bernsst or ff - Lauenburg (Np.): Die NReichspartei wird gegen den Antrag stimmen. Die große Mehrheit, die gegen den Antrag stimmen wird, ist aber immerhin sehr verschiedenartig zu- fammengeseßt. Die linke Seite hat den Antrag mit Gelächter auf- genommen; die Landwirthschaft wird wissen, wo thre wahren Freunde im Reichstage fißen. Der Antrag e ist eine Art Nothschrei, eine ultima ratio, auf die wir zur Zeit noch nicht eingehen können. Das Verlangen einer Statistik wird von uns unterstüßt; wir brauchen diese Statistik nicht zu fürchten. Daß die Militärvorlage an dieser Sachlage {huld i, glauben wir nicht. Wir sind stolz darauf, Mann für Maun dafür gestimmt zu haben. Eine Nóöthlage is vorhanden, das ist unleugbar, und alle Ausnahmen würden dagegen nichts beweisen. Daß noch Güter in großem Maßstabe gekauft werden, kommt daher, daß es eben immer noch Leute giebt, die anderweitig Geld haben. Wir meinen, es muß zunächst beantwortet werden, wie die Aufhebung des Identitätsnach- weises wirken wird, wie auf dem Gebiete der Währungsfrage der Landwirthschaft geholfen werden kann, wie die Reform der Produkten- börse cine Erleichterung hafen kann. Der sozialistishe Zug des An- trags erscheint uns denn doch noch zu bedenklih; allerdings werden wir auch vor extremen Mitteln niht zurücks{hrecken, wenn es nicht anders geht, der Noth der Landwirthschast abzuhelfen.

__Abg. Dr. von Bennigsen (nl.): Meine sämmtlichen Freunde, einschließlich derjenigen, welche dem Bunde der Landwirthe angehören, halten den Antrag für das Gemeinwohl verderblih und dem Interesse der Landwirthschaft gefährlih und werden gegen denselben stimmen. Bei der ersten Nachricht von der Absicht der Eiubeinauna dieses An- trags meinten Svpötter, es handele sich bloß um einen s{chlechten Scherz ; leider haben wir uns nur zu bald vom Gegentheil überzeugen müssen. Der Abg. Graf Kanit, der doch ein durchaus ernsthaft zu nehmender Abgeordneter ist, hat uns bestimmt versichert, der Antrag sei 1eiht durchzuseßen, er sei das einzige wirk- same Mittel gegen die Nothlage der L der Antrag sei noh nit in seiner Tragweite erkannt, bei näherer Ueber- legung werde man sih von der Vortrefflichkeit des Antrages auf allen Seiten überzeugen. Und in den wenigen konservativen Blättern, die überhaupt den Antrag vertreten haben, heißt es, dieser Antrag habe, wie alles Bedeutende, Fruchtbare und Neue zunächst zu kämpfen mit der Einfalt, Thorheit der Menschen und mit dem Mangel an Muth und Entschlossenheit. Der Bund der Landwirthe würde den Muth nicht verlieren. Wenn sich aber bereits herausgestellt hat, daß die Konservativen mit ihrem Antrage völlig ifoliert dastehen, so kann doh diese Thatsahe den Muth und das Vertrauen der Landwirthe nicht bestärken, sondern es muß das Gegentheil eintreten. Der Verdacht, daß dieser Antrag bloß ein Mittel sein sollte, die Agitation des Bundes der Landwirthe nach der Nieder- lage mit dem russishen Handelsvertrage bis zum nächsten Reichstage wachzubalten, will ih nit persönlih aus\fprehen, aber daß er wieder- holt sehr stark hervorgetreten ist, finde ih niht verwunderlih. Gewiß hat die Landwirthschaft infolge der veränderten Transportverhält- nisse, der Konkurrenz des Auslandes und vieler neuer Lasten mit un- gemein großen Schwierigkeiien zu kämpfen. Aber dieser Antrag ift am allerleßten geeignet, eine Abhilfe zu schaffen. Wohin sollen über- haupt solche Uebertreibungen führen, daß in ganzen Landestheilen Deutschlands, speziell im fernen Osten die Landwirthschaft im wesent- lihen {hon heut ruiniert sei, daß sie mit Reinerträgen überhaupt niht mehr rechnen? Das Erste ist do, daß kein Mensch sich nah dem Osten begiebt, um da zu kaufen, zu pachten oder sein Geld in den dortigen Kredit zu |tecken. Die Folge wäre also ein Rückgang des Preises von Grund und Boden, der Me und des Kredits, der do) am allernothwendigsten ift. er Abg. Graf Kanit e Minimalpreise von 165 4 für Roggen, von 215 #6 für Weizen fe Der Getreidepreis is allerdings seit 1880 gefallen; aber das Steigen der Preise der Produkte der Viehzuht läßt der Abg. Graf Kanitz ganz außer Betracht. (Zurufe rechts: Wolle!) Die Wollproduktion wird augenblicklich als Nebensahe betrahtet, die Fleisch- produktion is bei der Schafzuht das Wesentlihe und, falls die Futterpreise niht zu ho sind, ein noch immer durchaus vortheilhafter Theil des landwirthschaftlichen Betriebs. Aber davon abgesehen, sind die Produkte unserer Viehzucht, der Eier, Butter, des Fleisches, nah 1850 gestiegen; es hat alfo eine gewisse Aus leihung stattgefunden. Außerdem ist niht zu überfehen, daß dur die Vervollkommnung der Technik, durch Drainage, bessere oos, fünstlihe Düngemittel, bessere Instrumente 2c. vom eißigen, intelligenten und sachfundigen Landwirth der p des Bodens seit 1850 bis auf das Doppelte gesteigert worden ist. Aller- dings ist niht überall so rationell und intelligent gewirthschaftei worden, auch sind, was das bedenklichste ist, namentlich im Osten niht immer

Hilfe und gerufen

1894,

die erforderlihen Betriebsmittel vorhanden für solche rationelle Wirth- haft, und da wu man sih schon entschließen, den Betrieb entweder einzushränken oder ihn aufzugeben ; aber da, wo die Landwirthschaft mit der nöthigen Erfahrung und den nöthigen Betriebsmitteln be- trieben wird, ist im großen und ganzen, wenn auch sehr {chwer, immer noch einigermaßen auszukommen. Gewiß is es der Landwirthschaft s{wer, so niedrige Preise auf die Dauer auszuhalten, aber diese niedrigen Preise oerden sich doch nit auf die Dauer halten. Der Niedergang des Preises trifft zusammen mit ungewöhnlih günstigen Ernten nicht allein in Deutschland, fondern in fast allen Getreide produzierenden Ländern. Wie aber denken si die Herren die Aus- führung ihres Antrags ? Wie sfoll auch bei den besten Monopol- betrieben dieser gleihmäßige Verkaufspreis in ganz Deutsch- land hergestellt werden ? Ih muß sagen : Der Antrag Kanitz {chmeckt doch in hohem Grade s dem sozialdemokratishen Zukunfts- staat, mene wegen des Monopolgedankens, als wegen der Forderung des festen Minimalyreises für ein Hauptnahrungsmittel des Volís. So lange das Deutsche Reich steht, hat noch kein-Vorgang fo viel Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokraten liefern können als dieser Antrag. Vom Zukunftsstaat ist ja bei den Herren jeßt weniger die Rede, es scheint, als ob fie sich jeßt mehr und mehr zu einer radikalen Arbeiterpartei auswachsen wie in England; um fo größer muß ihre Freude fein, wenn ihnen plöglih von fkonservativer Seite -so un- erwarteter Sukkurs kommt. Was durch den Antrag den steuerzahlenden Konsumenten auferlegt wird, möchte vielleicht 600 Millionen betragen, T nur #, die Produzenten F er- hielten! Wenn man derartige Zahlen sich etwas näher ansieht, wird man wohl zur Kenntniß der Bedeutung des Antrags nach der der Meinung des Antragstellers öfen Mam Richtung gelangen. Der

Antrag Jaurès in der französishen Kammer wollte etwas ganz Anderes: er erstrebte hauptsählih den Minimallohn für die Arbeiter. Wie soll es aber mögli sein, den Minimalpreis des Getreides nicht für ein Jahr, sondern für alle Zukunft festzustellen ? Nehmen wir ein- mal den Fall an, daß fast in ganz Deutschland eine ganz außerordentlich reihe Ernte ist und im Ausland im großen und ganzen eine Miß- ernte, sodaß der Londoner Preis Tebr hoch s\teht warum sollte in solhen Jahren, wo die Landwirthe mit sehr hohen Ein- nahmen zu rechnen haben, immer derselbe hohe Preis gelten? Und ferner: hat „denn die Landwirthschaft allein einen Anspru auf ge- nügende Reinerträge aus ihrem Betriebe? Denselben Anspruch wie die Landwirthschaft können do auch Industrie, Handel, Handwerker, Arbeiter erheben! Stellt man eine solche Forderung an den Staat, dann kann fie nur ganz allgemein fue alle Produzenten und Konsu- menten gestellt werden. Ist die Existenz des einzelnen Arbeiters nicht viel gefährdeter als die des Landwirths? würden die Arbeiter dann mit Nechtk fragen. Was würden Sie (rechts) dazu sagen, wenn die Vertreter der Arbeiter in Zeiten wirthschaftliher Krisen, wo zahlreiche Arbeiter entlassen oder in ihrem Lohn verkürzt werden, eine Garantie für einen bestimmten täglihen Lohn vom Staat forderten? Und haben fih die Herren die Wirkung ihres An- trags auf ihre ländlihen Arbeiter im Osten überlegt? Wie follen denn die ländlihen Arbeiter des Ostens noh ferner mit ihrem Loose zufrieden fein, wenn ihnen dieser Antrag bekannt wird? Sie würden doch sofort einen Einheitslohn für ganz Deutsch- land, und zwar in der Höhe, wie er im Westen, in den Industriezentren gezahlt wird, verlangen. Wie weit aber folche Bestrebungen gehen könnten, zeigt die Bewegung in Amerika und England, wo man die Aufhebung des Privateigenthums fordert. Mit bloßen Resolutionen würde man sich am Ende niht begnüaen, und die Bewegung würde vom Staat und der bürger- lihen Gesellschaft unter Aufbietung der ganzen Polizei- und Militär- macht gewaltsam niedergeshlagen werden müssen. Die Folge eines solchen Vorgehens würde nur die Steigerung der Begehrlichkeit zu- nächst in den landwirthschaftlihen Kreisen, dann in allen anderen {fi berechtigt glaubenden Erwerbsfkreisfen sein. Bis zu dieser Höhe der Gemeingefährlihkeit hat noch keine S des Bundes der Landwirthe herangereiht. Das ist titgliedern dieses Hauses, die bisher für fTonservativ galten, vorbehalten geblieben. Es ist die höchste Zeit, daß diese Art der Agitation für die s{chwer bedrängte Landwirthschaft zurückgedämmt und in besonnenere Bahnen geleitet wird. Im Interesse aller konser- vativen Anschauungen muß dieser Handvoll von (Vannes endlich das Heft aus den Händen genommen werden. uhig und unbefangen müssen die Verhältnisse und die möglichen Mittel zur Abhilfe geprüft werden. Dazu brauchen wir lange Zeit, den guten Willen, das Wohl- wollen und die ernste Mitarbeit der Vertreter aller anderen Berufe. Setzen Sie sich nicht felbst durh folhes Vorgehen aufs Spiel! Die Niederlage in der Jsolierung wird ‘eine sehr charakteristishe sein: möchte do diese Niederlage der Ausgangspunkt der Umkehr von einer wüsten Agitation draußen und verkehrter Bestrebungen hier drinnen sein!

Abg. von der Gröben (dkons.): Der Abg. Dr. von Bennigsen wirft uns Uebertreibung vor und hat auch lere die Folge dieser Uebertreibung ausgemalt. Das ist niht sehr [chön von ihm ewesen und könnte fogar etwas nah Denunziation s{mecken. Was konservativ ist, das zu beurtheilen können Sie uns ruhig überlassen. Der Abg. Dr, von Bennigsen versteht eben niht genug vom landwirthschaft- lihen Gewerbe, um uns in dieser Begiebitta meistern zu können. Weshalb oe unseres Antrages sofort ein Minimallohn Le alle Arbeiter festgeseßt werden muß, verstehe ih niht ; höchstens könnten doh die landwirthschaftlichen Arbeiter in Betraht kommen. Der Abg. Dr. Bachem hat seine direkte Feindschaft gegen die Landwirth- schaft sehr geshidt zu verdecken gewußt; er vérsuhte mit dem Auf- hôren der christlichen Kultur und mit der Zerstörung der Familie zu chrecken, Damit hat er einfa) gegen Windmühlen gekämpft. Der

bg. Dr. Barth erklärt den Antrag für ein Denkmal agrarischer Begehrlichkeit. Wenn das im „Vorwärts“ steht, L ist es ganz in der Ordnung; da ist ausdrücklich von den das Volk aushungernden Agrariern heut die Rede. ie Agrarier als solche zu bezeichnen, die das Volk aushungern, das beweist einen Mangel an Verständniß, so phänomenal, daß er festgenagelt werden muß. In seinen weiteren Ausführungen sucht der Redner zu beweisen, daß die von den Kon- servativen bei der Berathung des russishen Handelsvertrags voraus- gesagte Uebershwemmung mit Millionen Zentnern russischen Getreides inzwischen eingetreten ist, und zitiert zum Beweise dafür lange Ab- schnitte aus einer Nummer der „Heiligenbeiler Zeitung“.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Der Abg. Dr. von Bennigsen hat den Antrag gegeißelt, wie er gegeißelt zu werden verdient, und es war nichts „Empörendes“ an seiner Rede. Wenn der Abg. Dr. von Bennigsen, der eben noch die Verdienste des konservativen Adels so hoch gepriesen hat, sih jeßt dazu gedrungen fühlte, so können Sie daran erkennen, wie sehr es mit Ihnen bergab geht. Der sittlihe Ernst der Rede des Abg. von Bennigsen kontrastierte wohlthuend mit der renzenlosen Oberflächlichkeit des Vorredners. Der Beifall, der sonst onservativen Rednern zu theil wird, ist bei dem Vorredner nicht zu vernehmen gewesen; und das is der zweitgrößte Vert eidiger dieses Antrags. Sh wünschte, daß „konservativ“ identisch ist mit diesem Antrag; dann is der Konservativiômus gerihtet! Wir werden ja bei der namentlihen Abstimmung sehen, wie viel mehr als die 26 Unterzeihner des Antrags sich zu ihm bekennen. Nach der Agitation gegen den russishen Handelsvertrag ist in den Reihen des Bundes der Landwirthe eisige Kälte eingetreten, daher brauhten Sie einen neuen Sensations\toff, und den hat