1894 / 91 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 18 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Demnächst wurde der Vorstand des . Landtags durch uruf gewählt. Der zum Vorsißenden gewählte Justiz-Rath ilf theilte darauf die Eingänge für den Kommunal-Landtag

mit und beraumte die nächste Sißung auf Mittwoch,. den 18. d. M., Vormittags 11 Uhr, mit folgender Tagesordnung an: 1) WVahlprüfung. 2) Wahl der Kommissionen. 3) Zu- theilung der Eingänge an die Kommissionen.

Bayern.

Die Kammer der Abgeordneten begann gestern die Generaldebatte über den Justiz-Etat. Der Referent Dr. Orterer streifte dabei den Fall des Freiherrn von Thüngen (Beleidigung des Reichskanzlers) und sprah die Hoffnung aus, daß das Verfahren mit der leßten Aufhebung des Termins überhaupt sein Ende erreiht habe. Der Justiz- Minister Freiherr von Leonrod theilte mit, er habe O privatim über den Fall Thüngen erkundigt. Nach An- gaben des Freiherrn von Thüngen habe dieser den Redakteur Memminger beauftragt, feine Erklärung in der „Landeszeitung“ abzudrucken und dann nah Berlin an die „Kreuzzeitung“ zu senden. Memminger habe sie ohne von Thüngen’s Vorwissen auch an „Das Volk“ geshickt, und wegen dieser Veröffentlichung sei die Anklage erhoben worden. Das Vorgehen gegen die „Landeszeitung“ beruhe anscheinend darauf, daß das Blatt auch dort Postabonnenten habe. Die Sache könnten nur die Gerichte entsheiden. Der Abg. Gei ger (Zentr.) gab zu, daß ein Eingriff in die Entscheidung des Gerichts niht möglich sei, aber die Gerichte sollten sih nicht in Wider- spruch seßen. Das Rechtsbewußtsein des Volks, die Begeiste- rung für ein allgemeines Bürgerliches Geseßbbuch habe sich G e me O Derausftele ag G Taum möglich sei, ohne shwere Verleßung der Stammeseigenthüm- keiten, des Rechts und der Rechtsanschauungen verschiedene SANDEr nee enen QUE u Pringen, Meder bat die bayerische Justizverwaltung, rechtzeitig dafür zu forgen , daß möglichst viel der Landesgeseßgebung vorbehalten bleibe, insbesondere die Familien- und Erbrechte, ohne daß dadurch der Einheitszweck im großen und ganzen leide ; er wünschte ins- besondere auch eine oerftnblidere Sprache in dem neuen Geseßbuch. Betreffs der Novelle zum Gerichtsverfassungsgeseßz und der Strafprozeßordnung ersuchte er die Regierung, schon jeßt im Bundesrath gegen die Beseßung der Kammern und Senate durch die Justizverwaltung, statt, wie bisher, durch das Gerichts- direftorium zu stimmen, weil das ein Eingriff in die Selbständigkeit der Gerichtesein würde. Er beklagte fernerdas Unwesen der Ver- ungen woran meistens die Rechtsanwalte schuld seien. Der Abg. Raßgzinger wünschte eine Statistik der Hypotheken- schulden, tadelte die Zuwendung von amtlichen Anzeigen an farblose General-Anzeiger und bedauerte, daß gegen den Wucher nicht strenger vorgegangen werde, und daß von den „Millionen- dieben“’, die in den leßten Jahren auch in München dur shwindelhafte Gründungen Leute geschädigt hätten, keiner belangt werde. Das Urtheil des Ober-Landesgerichts München, das Kolporteure für strafbare Artikel in den von ihnen feilgebotenen Zeitungen verantwortlih mache, nannte der Redner ungeheuerlih. Betreffs des Falls Thüngen bestritt er, daß Memminger ein Exemplar an „Das Volk“ gesandt habe. Sollten das, Berliner Gericht"und das Reichs-

ericht für die fraglichen Preßvergehen sih zuständig erklären, o müßte die bayerische Regierung im Bundesrath eine Aus- legung der Geseßesbestimmung verlangen, die für Bayern die Behandlung der Preßvergehen durch die Schwurgerichte sichere. Nehnlich äußerte sich der Abg. Grillen- berger, der weiterhin die Verwendung unerfahrener Rechtspraktikanten in den Schwurgerichtsvertheidigungen und die Behandlung politisher Gefangenen besprach und auch die Beseitigung des Anwaltszwanges und gesonderte Haft für Sonntagsschüler u. \. w., die nur wegen Besuchs des Tanzes U. \. w. einige Tage Haft zu verbüßen hätten, forderte. Der Justiz-Minister Freiherr von Leonrod erklärte gegenüber dem Abg. Geiger, wegen Beseßung der Straf- kammern durch die Justizverwaltung statt wie bisher durch die Gerichte selbst habe die bayerische Regierung bereits ihre Be- Bedenken im Bundesrath geltend gemacht. /

Der Ausschuß für wirthshaftlihe Reformen hat mit 21 gegen 4 Stimmen die Anträge des Abg. Baumann, die direkten Staatssteuern baldmöglichst durch cine pro- gressive Einkommensteuer mit einer Skala bis zu 4 Proz. zu erseßen, angenommen.

Sachsen.

Wie das „Dr. J.“ aus zuverlässiger Quelle erfährt, wird Seine Majestät der Kaiser zum bevorstehenden Geburts- tag Seiner Majestät des Königs zur pcrsönlichen Beglück- g in Dresden eintreffen und einige Stunden daselbst verweilen.

Sachsen-Altenburg.

Im Befinden Seiner Durchlaucht des Prinzen Ernst hat, dem „Chemn. Tgbl.“ zufolge, neuerdings besonders die Gch- fähigkeit rasche Fortschritte gemacht; der hohe Patient geht jeßt bereits mit öfteren Unterbreczungen an zwei Stöcken umher. Da zudem während der leßten Tage durch Aufenthalt im Garten und regelmäßige Spazierfahrten ausgiebiger Genuß der frischen Luft möglih war, dürfte sih Seine Durchlaucht bald so weit erholt haben, um zu einer Badekur die Reise nach Wiesbaden antreten zu können. :

Sachsen-Coburg-Gotha.

Seine Königliche Hoheit der Prinz von Wales ist gestern Abend nah 8 Uhr in Coburg eingetroffen. Um 9 Uhr and bei Jhrer Majestät der Königin von Groß- britannien und Frland das Familiendiner statt.

Der Landtag hat in seiner gestrigen Sißung nachstehende Adresse an Seine Königliche Hoheit den Herzog angenommen:

Eurer Königlichen Hoheit entbietet der gemeinschaftliche Landtag mit dem Ausdruck des Dankes für den ihm bereiteten huldvollen Smplarg die Versicherung seiner unwandelbaren Treue und Er- gebenheit.

Unfern der leßten Vie S Da es weiland Seiner Hoheit des Herzogs Ernst 11, des Erlauchten Oheims und Vorgängers Eurer Königlichen Hoheit an der Regierung, vereinigen wir uns noch einmal in! dem Gedächtniß der reihen Segnungen, die Sein umfassender Geist auf ‘den mannigfaltigsten Gebieten des öffentlichen Lebens verbreitet hat.

Fest vertrauen wir, daß Eure Königliche Hoheit die Regierung in ererbter Gerechtigkeit und Milde führen, die Freiheit des Landes schüßen, geistige Bestrebungen rege fördern und die wirthschaftlihe Wohlfahrt aller Berufsstände gleihmäßig in Höchstihre Obhut nehmen werden. Die freudigste Zustimmung und Mitarbeit des Landtags wie der Bevölkerung wird Cure Königlichen Hoheit bei solhem Werke jederzeit zur Seite Hubea, :

In Uebereinstimmung mit Eurer Königlichen Hoheit erwarten wir, daß durch die erfolgte Verstärkung der Wehrkraft des Neichs

der Gemeinschaft der Herzogthümer eine Erhöhung des Aufwandes niht erwachsen, daß vielmehr das Reih auch das gesteigerte Be- dürfniß aus den ihm zustehenden Einnahmequellen selbständig be- friedigen werde. E E |

Unter dem Druck widriger Verhältnisse, deren Beseitigung nicht in unserer Macht steht, febèa wir die Landwirthschaft, einen der wichtigsten Erwerbszweige des Landes, mit s{werer Bedrängniß kämpfen. Eure Königliche Hoheit sind der Unterstüßung der Sonder- landtage für alle P sicher, die sich im Rahmen des Gesammtwohles zur Milderung des Nothstands und zur wirksamen Hilfe außerordentlichen Einzelbedürfnisses darbieten.

Eure Königliche Hoheit sind entschlossen, die auf die engere Ver- bindung beider Landestheile, die Ausdehnung des Kreises der gemein- schaftlihen Angelegenheiten und die Vereinfahung der Verwaltung gerichteten Bestrebungen Höchstihres Vorgängers an der Regierung aufzunehmen und fortzuseßen.

Sollten in dieser Absicht Vorlagen an uns ergehen, so werden sie zeigen, auf welchen Gebieten der Staatsverwaltung nah der Auf- fassung der hohen Regierung die auf Geseß und geshihtlichem Her- kommen beruhende, zum theil auch auf wirthshaftliher Eigenart be- gründete Selbständigkeit der Herzogthümer einer Beschränkung fähig ist, die den Siteroffen beider Landestheile gleihmäßig entspriht oder wo sie von den Einrichtungen des Reichs gebieteris{ erfordert wird. Unter diesen Gesichtspunkten gedenken wir die Vorlagen, wenn sie kommen, einer forgsamen Prüfung zu unterziehen und hierbei, wie in allen unseren Entschließungen, nah den Vorausseßungen Eurer König- lihen Hoheit jener patriotischen Gesinnung zu folgen, die das allge- meine Wohl, und zumal das Interesse des Neichs, dem Sonder- vortheil, wo er jenem widerspricht, überall voranstellt.

Hamburg.

Die „Hamburger Nachrichten“ veröffentlichen ein gemein- schaftliches Schreiben des Fürsten und der Fürstin Bismarck, worin allen Landsleuten und Freunden im Reich und im Auslande für den Ausdruck ihres wohlwollenden Ge- denkens an den Geburtstagen des Fürstlihen Paares der wärmste Dank ausgesprochen wird. Wie die „Hamburger Nachrichten“ ferner mittheilen, beträgt die Gesammtzahl der diesmaligen Glückwünshe zum Geburtstag des Fürsten Bismark über 11 000.

Oesterreich-Ungarn.

In dem Ausschuß des Abgeordnetenhauses zur Vorberathung der Vorlage über die Wahlreform erklärte nah einer Meldung des „W. T. B.“ der Minister des Jnnern Marquis Bacquehem unter Hinweis auf die Exklärungen des Finanz-Ministers bei der Generaldebatte über das Budget, die Regierung wolle, bevor sie auf Erledi- gung der Wahlreform dringe, ein Einvernehmen der koalierten Parteien herbeiführen. Ein daraufhin gestellter Ver- tagungsantrag des Abg. Jedrzejowiz wurde, obwohl er von den Zungczechen bekämpft wurde, nah Unterstüßung durch die Abgg. Graf Hohenwart, Hallwich und Nutowski mit der Majorität aller den Koalitionsparteien angehörigen Mitglieder des Ausschusses angenommen.

Die liberale Partei des Abgeordnetenhauses hat ein- stimmig den Geseßentwurf über die FJnartikulierung der Handelsverträge mit Spanien und Rumänien an- genommen.

Das ungarische Unterhaus hat gestern den in der vorhergehenden Sißung in der Schwebe gelassenen Abschnitt der Ehegeseßvorlage über die Ehescheidungen ange- nommen, ebenso unter begeisterten Eljenrufen den Rest der Vorlage. Heute findet die dritte Lesung der Vorlage statt.

Großbritannien und JrlandD.

Das Oberhaus hat gestern, wie „W. T. B.“ mittheilt, die Beringsmeer- Bill in dritter Lesung angenommen.

Im Unterhause erklärte der Parlaments-Sekretär Sir E. Grey, der Bericht Macdonald’s über die Gründe der Feindseligkeiten in Uganda im Januar 1892 sei eingelaufen, sei jedoch weder hinsichtlih der Thatsachen, noch hinsichtlich der Grundsäße als abgeschlossen anzusehen. Die- Regierung könne den Bericht noch nicht vorlegen. Die Bill, wodurch die parlamentarische Vertretung der Universitäten abge- schafft wird, wurde in erster Lesung angenommen. Jm weiteren Verlauf der Sizung wurde die erste Lesung einer Bill zur Aufhebung der Befugniß des Oberhauses, scin Veto gegen vom Unterhause angenommene Geseßze abzugeben, angenommen. Mit 252 gegen 219 Stimmen verwarf das Haus sodann ein Amendement Balfour zu dem Regierungsantrage wegen Er- nennung eines großen Ausschusses für schottische An- gelegenheiten. Hierauf wurde die Debatte vertagt. Der Kanzler der Schaßkammer Sir W. Harcourt erklärte, die Debatte werde am Freitag fortgeseßt und dafür die Debatte über Uganda an diesem Tage abgeseßt werden.

Jtalien.

In der gestrigen Sißung der Deputirtenkammer protestierte der Abg. Jmbriani bei der Verlesung des Pro- tokolls der vorgestrigen Sizung gegen einige Aeußerungen des Minister-Präsidenten Crispi, die nah des Redners Ansicht eine Drohung enthielten. Der Minister - Präsident habe gesagt, er wolle, wenn die Kammer nicht Folge leiste, aidere Mitlél ula Dies bedeute va ex das Dekret über die Kammerauflösung in der Tasche habe. (Mi Cron O hae S n L Seiler: keit.) Der Minister-Präsident Crispi gab alsdann zu, daß er vorgestern, dem Tone der Debatte entsprehend, etwas heftig gewesen sei, und entschuldigte sih deshalb. Er habe die größte Achtung vor der nationalen Vertretung; er sei alter Parlamentarier und bewege sich auf dem Pfade der Jn- stitutionen, ohne die Jtalien niht leben könne. Er sei kein Freund königlihher Steuerdekrete; niemals könnten von den Ministerbänken aus gegen die Prärogative des Parlaments gerichtete Akte erfolgen. Er hoffe, selbst Jmhbriani werde finden, daß seine Erklärungen sih stets in den Grenzen der konstitutionellen Gebräuche hielten. Jmbriani drückte seine Freude über die freimüthigen Erklärungen des Minister- Präsidenten aus; er könne aber nicht zugeben, daß die Er- sparnisse am Militär-Etat als Verirrungen angesehen würden. Der Zwischenfall war hiermit erledigt.

Spanien.

Der gestern gemeldete Zwischenfall zwishen dem Minister des Auswärtigen Moret und dem Marquis Mochales ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ durch die Jntervention des Senats-Präsidenten erledigt worden.

Sechstausend weitere Pilger haben sich in Begleitung mehrerer Bischöfe gestern in Barcelona nah Rom einge- chifft. Die Ruhe wurde nicht gestört.

Rumänien. Aus Bukarest wird der „Kölnischen daß das Finanzjahr 1893/94 einen Kassenü Höhe von 8 000 000 Lei ergeben habe.

Serbien.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Belgrad verlaute daselbst, daß an Stelle von Pasic Al impie Vasilievic, der bereits früher diesen Posten bekleidet hahe zum Gesandten in St. Petersburg ernannt werden solle, Der serbische Gesandte in Bukarest Djiorgjevic ist krankheits. halber zur Disposition gestellt worden.

Bulgarien.

Meldungen der „Politischen Correspondenz“ aus Sofig bezeichnen die Gerüchte von Zwistigkeiten innerhalb deg Nabinels sowie die Abit Stambulow s zu de missionieren, als tendenziöse Ausstreuungen der Opposition: speziell seien die Erzählungen von einer durh ein Familien: drama veranlaßten Herausforderung eines Ministers an zwei On unter denen sih Stambulow befinde, ein Phantasie ebilde. f Wie die „Swoboda“ meldet, wären in den leßten Wothen neuerdings zwei bulgarische Schulen in den macedonischen Ortschaften Vostarani und Zarevo unter verschiedenen Vorwänden geschlossen worden. Jn Ueskueb mache sih eine gewisse Bewegung bemerkbar, die bezwecke, die bulgarischen Schüler der höheren bulgarishen Schulen zum Austritt aus denselben und zum Eintritt in das serbishe Gymnasium in Prizrend zu bewegen.

pr d gemel er

d (hu d

Amerika.

Die brasilianische Gesandtschaft in Montevideo hat dem W. T. B. zufolge bekannt gemacht, daß die Truppen der brasilianishen Regierung Santa Cataring beseßt hätten und daß das Jnsurgentenschiff „Aquidaban“ durch ein Torpedoboot der Regierung zum Sinken gebra worden sei. Der „Times“ wird aus Montevideo von gestern gemeldet, der Admiral de-Mello habe sich am Tage vorher mit dem Reste seines Geshwäders und 1200 Mann den argentinishen Behörden unter der Bedingung ergeben, als politische Flüchtlinge behandelt zu werden.

Asien.

Wie die St. Petersburger Blätter melden, hätte der Schah von Persien infolge der Krankheit des Thronfolgers auf die beabsichtigte Reise nah Europa verzichtet.

4

Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sißungen des Rei chs- tags und des Hauses der Abgeordneten befinden si in der Ersten Beilage.

Der heutigen 85. Sißung des Reichstags wohnten die Staatssekretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Marschall und Nieberding bei. E

Auf der Tagesordnung stehen zunächst Wahlprüfungen, Die Wahl des Abg. von Holl euffer-Löwenberg (dkons.) ist von der Wahlprüfungskommission für gültig erklärt worden.

Abg. Nickert (fr. Vg.) kann nicht begreifen, weshalb die Kom- mission in diefem Fall niht Erhebungen über einige Protestbehaup- tungen beantragt hat, die, wenn als richtig erwiesen, zu einer Rüge der betheiligten Beamten führen müßten. Auch in anderen Fällen, wo die Gültigkeit der Wahl nicht zweifelhaft sei, hätte die Kom- mission das von ihm für das einzig rihtig gehaltene Verfahren beob- achtet. Redner beantragt eine entsprechende Erweiterung des Kom- missionsantrags.

Abg. Dr. von Buchka (dkons.): In diesem Fall erübrigt die Veranstaltung folher Erhebungen durhaus. Wohin follen wir kommen, wenn auf jede derartige Protestbehauptung eingegangen werden müßte ! :

Abg. Rickert (fr. Vg.) will sich sein Net, Anträge zu stellen, durch den Vorredner nicht verschränken lassen. Der Reichstag sei der Hüter der Geseßmäßigkeit bei der Vornahme der Neichstagëwahlen; diesem Standpunkt solle sein Antrag zu seinem Recht verhelfen.

Abg. Gamp (Np.) vertheidigt dagegen den Beschluß der Kom- mission, welhén auch der Referent Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) in längerer Ausführung vertritt.

(Schluß des Blattes.)

Auf der Tagesordnung der heutigen 52. Sigung des Hauses der Abgeordneten, welher der Minister füt Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsh mit Kommissarien beiwohnte, stand die zweite Berathung des Gesezentwurfs, betreffend die Aufsuhung und Ge- winnung der Kali- und Magnesiasalze.

Die Berathung begann bei dem Artikel TIT, welcher das

Prinzip des Gesetzes enthält : „Die Aufsuchung und Gewinnung der Kali- und Magnesia falze steht fortan auss{ließlich dem Staat zu.“ :

Abg. von Bockelberg (konsf.) erklärt, er sei kein Gegner der Vorlage, aber über den Inhalt nah den Aenderungen, welche dle Kommission vorgenoumen, etwas zweifelhaft geworden. Es handelt sich hier, führt Redner aus, um die Aufrechthaltung eines Syndikats. Syndikate haben aber das Bestreben, ihre Preise niht nach unten hin, sondern mehr nah oben hin festzuhalten, und da erscheint doh die Stellung des Fiskus im Syndikat nicht stark genug, um auf die Niedrighaltung der Preise zu wirken. Das Syndikat hat ja auch bisher für die Betheiligten recht respektable Gewinne erzielt. Wenn es sich darum handelt, der Landwirthschaft etwas zu gute zu thun, so hätte do der Fisîus schon bis jeßt auf eine Ermäßigung der Kalipreise hinwirken müssen. Cine Mack erweiterung des Fiskus würde von allen Seiten unterstüßt werden. Aber die Folge der Vorlage wird sein, daß durch die Aufhebung det Bergbaufreiheit in einem Gebiet, wo man noch große Kalilager (1 warten kann, die Gesellschaft der Syndikatwerke große Vortheile er zielt. Nicht bloß Hannover scheidet aus diesem Gesetz aus, sondern wir haben es auch mit andern Gebieten, mit Braunshwel{, Sachsen-Weimar u. st. w. zu thun, wo große Kalilager vorhanden A Es würde sih fragen, ob so {werwiegende Gründe vorhanden ind, daß Hannover nicht in das Geseß hineinbezogen werden N Die Kommission hat Hannover herausgelassen, und deshalb wir N Gese keinen großen Werth haben. Es bleibt nur der technie Gesichtspunkt, der in den Motiven zum Ausdruck gebracht ist. A i dazu würde es genügen, die Vorlage auf die Provinz Sachsen un Rel B zu beshränken. Das Ziel, welches die Staatéregierung s hatte, läßt fich nur dur den Einschluß von Hannover (r reichen. Abg. Im Walle (Zentr.): Ich hätte eine solche Rede von E rechten Seite niht erwartet, eher von Herrn Gothein und De Schulz-Bochum, die in erster Lesung sich ähnlich audger S G 19 Nur auf dem Wege dieses Gesetzes ist es zu erreichen, daß die Ste 1 des Fiskus im Syndikat gestärkt wird, daß er in die Lage rer. dem Syndikat die Frist zu diktieren im Interesse der Landwirths der Herr von Bockelberg spriht von dem hohen Preise. Aber in

mmission ist uns das Gegentheil vorgeführt worden; die hohen Dividenden der Kaliwerke rühren nicht vom Bergbau, teen L den chemischen Fabriken her, welche mit großen Ueberschüssen arbeiten.

er Fisfus ist ja auch durh die Staffeltarife den entfernter wohnenden Landwirthen bei ihren Bezügen von Kali entgegengekommen. Man spriht von der großen Menge der Kalivorrätbe, die für 9000 Jahre vorhielten. Aber es wird doch au gehofft, daß die Produktion und die Verwendung des Kalis vermehrt werde ; dann würde der Vorrath s{hneller abnehmen, und deshalb ist eine Vorsihts- maßrege! nothwendig. :

Abg. Schmieding (nl.) erklärt, daß er und seine Freunde fich dem Versuh widerseßen würden, Hannover wieder in die Vorlage hineinzubringen. Gerade jeßt, sagt Redner, ist ein ungeeigneter Zeit- punkt, Hannover in das Gesetz hineinzuziehen, weil dort sich alles in Fluß befindet, weil dort gerade Verträge über die Ausnußung von Kalilägern vielfah abgeshlossen find. E würde also ein bedenklicher Eingriff in private Eigenthumsverhältnisse gethan werden müssen. Deshalb it es folgerihtig, Hannover von dem Geltungs- bereih des Gefeßes auszuschließen. Allerdings wird der Werth des Geseßes dadur verringert, und man könnte erwarten, daß die Regie- rung das Gese zurückziehen würde. Durch die Vorlage werden aller- dings die Kalilager geshüßt; denn sie werden todt liegen gelassen ; ob dadur auch die Interessen der betreffenden Provinzen ges{üßt werden, ist eine andere Frage. Die Kali-Industrie in den außerpreußischen Staaten abcr wird zur Blüthe kommen. Es würde der Landwirthschaft nur zum Nußen gereichen, wenn auch in anderen Provinzen si eine Kali- Industrie entwickeln würde. Gerade in den östlichen Provinzen, die so industriearm sind, finden sich Kaliläger, die wohl aufges{lossen zu werden verdienten. Volkswirthschaftlich erscheint die Vorlage nicht nothwendig und noch weniger bergtechnisch, wie {hon in der ersten Lesung ausgeführt worden ist. Was Herr Schulz-Lupitz in seiner bekannten Eingabe an das Haus anführt, is nicht maßgebend, da seine Autorität wohl mehr auf dem landwirthshaftlihen Gebiet als auf dem technischen liegt. Volkswirthschaftlih if die Vorlage eher shädlich als nüßlich. _Denn je größer die Zahl der Betriebe ilt, desto billiger wird das Kalisalz werden, und daran hat die Landwirth- schaft das Hauptinteresse. Die Konkurrenz das hat man im rheinish-west- fälischen Kohlenrevier gesehen wirkt au auf die Verbesserung der Produktion. So reine Kohlen wie jet sind früher dort niht pro- duziert worden. Jedes Steinchen wird jeßt ausgewashen und auf die größte Reinheit des Produkts gesehen. Einen gesunden Gedanken hat die Vorlage: daß für die produktiven Stände eine stärkere enossenschaftliche Entwicklung nothwendig ist. Wenn man ein Monopol will, dann sollte man ein reines Staatsmonopol schaffen und nicht die Privatinteressen privilegieren. In der Kohlenindustrie war die Konkurrenz viel zügellofer als vor der Zeit des Staßfurter Syndikats. Aber die westfälishe Kohlenindustrie hat sich aus eigener Kraft geholfen. Es bestehen doch eigentlih gar feine Mißstände, um bezüglich der Kalifalze eine geseßliche Aenderung noth- wendig zu machen. Die Motive erkennen felbst an, daß die Kali- Industrie fich in guter Lage befindet.

Bei Schluß des Blattes spricht der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berleps\ch.

E Die Steuerkommission des Reichstags seßte heute, am dritten Tage, die Berathung der Tabacksteuervorlage fort. Abg, Müller - ¿Fulda (Zentr.): Seine politischen Freunde seien zwar bereit, den Tabak mehr heranzuziehen, aber der Fabrikatsteuer könnten sie niht beistimmen. Wenn au unsere Finanzlage nicht günstig sei, sodaß wir im nächsten Jahre vielleicht 18 Millionen Mark Defizit hätten, so hätten wir doech nicht nöthig, zu einem Gese von olcher Tragweite U shreitèn. Durch eine Steuer auf ausländishe Tabakfabrikate, auf Schaum- und Kunstweine, dur eine Erhöhung der Zölle auf Luxusgegenstände, wie Parfümerien, Teppiche, Gobelins u. dergl., könne man vielleicht den Ausfall decken. Außerdem beginne ja erst das Etatéjahr 1894/95 und man wisse noch garnicht, wie sich \{chließlich der Abschluß gestalten werde. Er glaube niht, daß von der Vorlage der Tabackbauer Vortheil haben könnte, cher fei das Gegentheil zu befürhten. Die Kontrole für den Tabackbauern müsse allerdings erleichtert werden, dazu bedürfe es aber niht dieses Gesetzes. Das Zentrum lehne die Vorlage ab. Abg. Dr. Paasche (nl.) bedauert, daß die eben gehörte Erflä- rung nicht hon gestern abgegeben worden sci; dann hätte die ganze weitere Debatte fortfallen können. Durch die \{lechte Finanzlage set, wenn man den Tabak nicht heranziehen wolle, {ließlich eine Erhöhung der direkten Steuern nothwendig. Der Redner richtet an die ver- bündeten Regierungen das Ersuchen, bis zum nächsten Herbst genaue Ermittelungen über die Zahl, die Vertheilung, die Lohnzahlung der Tabakbetriebe vorzubereiten. Staatssekretär Graf von Posadowsky legt dar, daß die vom Vorredner vorgeschlagenen Projekte nichts ein- bringen würden und daß nur die Tabackbesteuerung zum Zieleführen würde. Abg. Gamp (Np.) hält es gegenüber dem Abg. Dr. Paasche für vor- theilhaft, daß eine eingehende Debatte stattfindet. Dem Tababau würde sicher mit Annahme der Regierungsvorlage gedient sein. Die jeßt so lästige Kontrole könne zwar durch administrative Maßnahmen (was gemildert, aber keineswegs beseitigt werden. Er bestreite, daß durch die Vorlage die Arbeiterinteressen in dem Grade geschädigt werden würden, wie es von sozialdemokratisher Seite behauptet wor- den sei. Wenn übrigens die Arbeiter genöthigt werden sollten, von der Stadt auf das Land zu ziehen, so sei dies als ein Vortheil, nit als cin Nachtheil anzusehen. Finanz-Minister Dr. Miquel erklärt, daß die Vorlage niht nur aus finanziellen Gründen eingebraŸt sei, sondern auch eine dringend nothwendige Reform bedeute, da die bisher bestehende Gewichtssteuer die ungerehteste Form der Besteuerung des Tabacks Me, die man ch denten foule. Ex nehme an, daß die MNeichsregierung in der nächsten Session auf die Tabafabrikats\teuer zurückfkommen müsse." Die Handels- verträge brächten einen Ausfall von etwa 40 Millionen, an deren Stelle die Einnahmen aus der Tabackfabrikatsteuer treten müssen. Dem Zentrum müsse er vornehmlich zur Erwägung geben, daß wenn das MNeich den Einzelstaaten nichts mehr zu über- weisen „habe, dann auch die Franckenstein’s{he Klausel fortfalle. Graf Noon (konf): Wenn er Süddeutscher wäre, würde er sih ohne Bedenken auf den Boden der Vorlage stellen. Jn Norddeutschland aber würde der Schaden für die Industrie zu groß sein, namentlich teinbetriebe würden ganz aufhören müssen. Abg. Werner (Refp.) Somt dem Grundsaß des Finanz-Ministers bei, daß ein gesundes

taatêwesen in feinen Ausgaben wachsen müsse. Gleichwohl könne er die vorgeshlagene Steuer nicht acceptieren. Möge doh die Ne- gierung zu einer Neichs - Einkommensteuer schreiten und die Taba- Fgoustriein Ruhe lassen. Abg. Ges er (kons.) bedauert abermals, daß sich Ur die Vorlage keine Mehrheit im Reichstag finde. Nach Ablehnung des \ebentwurfs würde die ganze Welt an unserer nanzen D ündigkeit ¿weifeln. Der Landwirthschaft werde mit der Ablehnung (87 a0 sicherlich ein shlechter Dienst erwiesen. Abg. Dr. Lieber müs Die Erklärung, welche vorher sein Freund Müller abgegeben, Ge e im Zusammenhang mit der von ihm selbst im Plenum bei der (h pa evatte verlesenen Erklärung aufgefaßt werden. ‘Daraus ergebe balt das Zentrum nah wie vor an der Franckenstein’schen Klausel fest s und nicht gewillt sei, deren Todtengräber zu werden. Selbst Me On auf dem Boden der Reichs-Finanzreform stehe, müsse man ive richtig sein und A RN ob sih niht ein besserer Weg e asse. Sein Freund Müller habe die Bedenken gegen die Vor- h Gellhrlih begründet und keineswegs gesagt, daß das Zentrum E T eia einer Besteuerung des Tabacks ohne weiteres abweise; letone lederhole vielmehr, man sei bereit, mitzuarbeiten. Er s „usódrülih, daß der ablehnende Standpunkt des Zentrums daß ad hic et nunc gelte. Er halte auch an dem Standpunkt fest, in Ma a Steuern bewilligen dürfe, um denen, die recht munter n Sa enbewilligen sind, dieses Bewilligen noch zu erleichtern. “Sapntigung könnte man schon heute schreiten, hätte man Jahr die ilitärvorlage niht gemacht. Alles in allem

r Is dahin, daß die Erklärung des Abg. Müller

ang mit 5 ne absolute zu betraten sei, sondern nur im Zusammen- f der im Plenum abgegebenen Erklärung des Zentrums. Wenn

das Zentrum jeßt gegen § 4 der Vorlage stimme, fo habe es sich nur gegen diesen Paragraphen, nicht aber gegen das Prin der bis ziehung des Tabads erklärt. Finanz-Minister Dr. Miquel begrüßt es mit Freude, daß das Zentrum keine definitiv ablehnende Stellung einnehme, sondern die Frage noch weiter prüfen wolle. Hterauf ‘wird die Generaldebatte ge\chlossen und zur Spezial- berathung des § 4 übergegangen, welcher bestimmt, daß der fabrizierte Taba einer Steuer unterworfen werden soll. Die Diskussion gestaltet ih ganz kurz. Bei der Abstimmung wird § 4 mit 17 gegen 11 Stimmen abgelehnt. Dagegen stimmen das Zentrum, die Freisinnigen, die Sozialdemokraten, die Antisemiten, außerdem der nationalliberale _ Abg. Bassermann und der konservative Graf Roon; dafür die übrigen Mitglieder der beiden konservativen Par- teien und der Nationalliberalen. Da in § 4 das Prinzip des Ge- seßes niedergelegt ift, gilt somit die Vorlage als gefallen, und wird auf die weitere Berathung verzichtet.

Im Hause der Abgeordneten haben die Abgg. von

Mendel -Steinfels (kons) u. Gen. nachstehende Ster pellation angemeldet : „Beabsichtigt die Königliche Staatsregierung- in Nücksicht auf die Thatsache der sich immer wieder erneuernden Einschleppung von Viehseuchen (Maul- und Klauenseuche, Lungen- feuhe, Schweinepest) aus dem Auslande und die damit verbundene überaus {were Schädigung unseres Nationalvermögens, sei es für Preußen, fei es durh den Bundesrath für das Reich die Er- greifung und Förderung von Maßregeln, welche bei der Einfuhr von Thieren aus dem Auslande die Gefahr der leihten Uebertragbarkeit der Seuchen auf unsere Viehbestände vermindert ?“ _ Der Abg. Noeren (Zentr.) und Genossen beantragen: „Das Daus der Abgeordneten wolle beschließen : Die Königliche Staats- regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, dur welchen die im Geseß vom 14. März 1881 enthaltenen Beschränkungen in der Bewirthschaftung der gemeinschaftlihen Holzungen für die Gehöfer- schaften aufgehoben werden.“

Nr 10 des Zentralblatts ber Bauverwaltung“, herausgegeben im Ministerium der öffentlihen Ar- beiten, vom 14. April hat folgenden Inhalt: Das „Imperial- Institut“ in London. Der Stücklohn bei Bahnunterhaltungs- arbeiten. Deiche aus Moorboden. Das chemische Institut der Universität Halle a. S. Weichensicherung. Vermischtes: Preis- bewerbung für ein Ratbhaus in Rheydt. Preisbewerbung für ein evang. Vereinshaus in Stettin. Preisbewerbung für den Neubau Neustädt. Kirchstr. 9 in Berlin. Preisbewerbung für eine Kirche und Pfarrhaus in Breslau. „Galvanobronzen“. FJunhalt der Zeitschrift für Bauwesen. Normalien für Schraubengewinde. Gleitrollenträger für Zugdrähte. Betriebsführung der Straßen- bahnen im Staate New-York. Baurath Professor Lipsius in Dresden *.

Kunst und Wissenschaft.

__ Im Königlichen Kunstgewerbe-Museum ist gegenwärtig eine von der Leek Embroidery Society genau in der Technik und der Größe des Originals hergestellte N B hang der berühmten Stidckerei von Bayeurx ausgestellt, die auf einem über 70 m langen und è m breiten Leinenstreifen die Darstellung der Eroberung Englands durch die Normannen enthält. Das in Bayeurx in der Normandie befindlihe Original, eines der historisch und Tulturgeschichtlih merkwürdigsten Denkmäler des roma- nischen Kunsthandwerks, is kurz nah der Schlaht bei Hastings im Jahre 1066 gearbeitet worden. Der Ausstellung der Erzeugnisse des nordamerikanishen Kunstgewerbes sind neuerdings Glasgemälde und farbige Glasgefäße von der Tiffany Glass and Decorating Co. in New-York beigefügt worden; die Aus- stellung der neuen Erwerbungen hat eine Bereicherung durch eine Sammlung deutschen und französischen Porzellans aus dem achtzehnten Jahrhundert erfahren. Die Sonderausftellungen bleiben bis Ende des Monats April dem Publikum geöffnet.

+| Nur wenige der Künstler des Düsseldorfer St. Lukas- Él ubs, der gegenwärtig eine Sonder-Ausstellung bei Schulte veranstaltet, wissen ihre künstlerishe Persönlichkeit in ihren Werken so energish durchzuseßen, daß man begreift, warum sie ins Lager der Sezession übergegangen sind. Nah Zahl und Werth nehmen die Bilder und Radierungen des noch jugendlihen Arthur Kampf die erste Stelle ein. Kampf weiß mit fkräftigem malerischen Vortrag ernstes, gewissenhaftes Studium und innige Empfin- dung zu vereinen. Gleichwohl besißen seine Schöpfungen nichts Zwingendes, dazu fehlt ihnen die unmittelbare Frische ; aber au wirkliche Feinheit des Geschmacks, die für diesen Mangel entschädigen könnte, lassen sie hier und da vermissen. Aus einem Guß ist das Vild gelungen, das uns ec Arbeiterfamilie vor ihrer länd- lichen Hütte zeigt. Während der Vater mit dem Neugeborenen spielt, tritt der Schatten des Todes an die Wöchnerin heran, um ihr den Todeskuß auf die Stirn zu drücken. Der Ernst des Vorwurfs ist niht ins Dämonische gesteigert, aber die Kraft der Charakteristik und die Tiefe des Empfindens ergreifen den Beschauer. Der Ge- fahr sentimentaler Rührseligkeit entgeht K. durh seine energische NRealistik in der Behandlung der Formen, dur die auch seine M Historienbilder \o kraftvoll wirken. Zu {chwerfällig ist diese Bortragsweise aber für die Schilderung genrehafter Episoden, wie für den alten Herrn, der sich mit einer Pagode beschäftigt; das Bild wirkt wie eine mit ernster Miene und großem Kraftaufwand vor- getragene Anekdote, der die rechte Pointe fehlt. Weit vortheilhafter zeigt fih K.’s Charakterisierungskunst in einem Zwergenbildniß und dem Portrât eines Kindes, sowie in den tehnisch gewandten Radierungen, die auh Zeugniß für die reihe Phantasie ihres Shöpfers ablegen. Willy Spaß, der auf den leßten Ausstellungen als ein Talent von be- merkenswerther Selbständigkeit auffiel, hat diesmal nur zwei kleinere Arbeiten ausgestellt. Die von zwet Kugeln bewegte Hängewiege mit einem kleinen Weltbürger gewinnt den Beschauer durch die ungesuchte Anmuth in Bewegung und Ausdruck der Gestalten; die ihm früher eigene Vorliebe für einen grünlihen Gesammtton, die auch in dem „Mater“ genannten kleinen Madonnenbilde auffällt, hat S. hier zu Gunsten eines lichten, freundlihen Kolorits preisgegeben. Jedenfalls hat der Idealizmus Spaß? weit eher einen persönlichen Zug, als die \chwächlihen, Böklin nachempfundenen Phantasien von Alexander Frenz, der uns Sirenen von wenig verführerisher Schönheit und eine Vanitas vorführt. In breiter, die Malweise von Franz Hals karifierender Manier schildert Gerhard Janssen Báuern, s und Tagediebe: Bilder, deren kleines Format und deren zahme Er- findung die Derbheit des Vortrags doppelt ungerehtfertigt erscheinen lassen. Eine günstigere Vorstellung lie Könnens gewinnt man von JI's. Radierungen. Ein Künstler, der font durch die Flottheit seiner Malweise besonders frish und unmittelbar wirkt, Theodor Rocholl, zeigt diesmal ein etwas sentimentales Gesicht in dem Bilde, das eine Kürassierpatrouille am Waldbach rastend schildert; flotte Reiterstücklein gelingen ihm ohne Zweifel besser. Von den Landschaftern der jüngeren Düsseldorfer Generation sind in der Ausftelung Olaf Jernberg, H. Liesegang, Eugen TN und Heinrich Herrmanns mit charakteristischen Leistungen vertreten.

Zwei große Bilder, welche im elektrish erleuhteten Vorderzimmer der Schulte’schen Kunsthandlung son e ihr Format die Auf- merksamkeit auf sih lenken, verdienen dieselbe aus anderen Gründen kaum. Carl Gutherz, ein Schüler Bouguereau?s in E schildert den » Abend des sechsten Schöpfungstages“. in weichlich vershwommener Hell- malerei ohne die geringste Kraft {chöpferisher Phantasie. Die Ausführung bleibt hinter dem Gedanken des Bildes völlig zurück. Anleihen an Fiesole und Raffael’s Vision des Czechiel charakterisieren den Maler als {wählihen Eklektiker. Auch Schikaneder's große Leinwand „Sühnungsgebet“ ‘zeigt völligen Mangel historishen Stils und echter

Empfindung, den Kostümtreue und gewissenhafte Ausführung niemals ausgleichen fönnen.

Sitzung des Vereins für Geschichte der Mark. Brandenburg am 11. April. Da einige erwartete Mittheilungen ausblieben, trat Professor Schmoller in die Lücke und erzählte Que aus seinen Studien über die Entstehung des Land- rathsamts. Er ging davon aus, daß im ganzen Süden und Westen Deutschlands seit dem 14. Jahrhundert als Fürstliches Bezirksamt der Amtmann, Pfleger, oder wie er sonst heiße, mit der Kompetenz für Se Justiz, Finanz und theilweise auch für Militärsachen si er- alten, daß aber in Brandenburg die Vogteiverfassung si früher auf- gelöst habe. So standen im 16. und 17. Jahrhundert Städte, Guts- bezirke und Domänenämter direkt unter der Landesregierung; dér Landes-Hauptmann an der Spiße ganzer Landestheile war ständish gesinnt, und daher wirkte ver Große Kurfürst für seine Beseitigung; nur der Landreiter bestand noch in jedem Vogteibezirk; ihn zu einem Bezirksbeamten zu erheben, sheint man vergeblich im 16. und 17. Jahr- hundert angestrebt zu haben. So war es eines der dringlihsten Be- dürfnisse der wiedererstarkenden Staatsgewalt, sih wieder einen Pon lichen Bezirksbeamten zu schaffen ; die Elemente, die sich dazu boten, waren der ständishe gewählte Kreisdirektor und der Fürstliche Marsch- und Verpflegungskommissar. Diese beiden Aemter wurden in Brandenburg früh, in den anderen Provinzen erst viel später, in den mittleren seit 1713 verbunden. Aber diese, so führte der Redner aus, hätten allein noch nicht das spätere Landrathsamt geschaffen ; auch die Ertheilung des Titels „Landrath“ an die Kreis-Direktoren im Jahre 1702 sei nicht #\o bedeutungévoll gewesen. Das Cntscheidende enthülle fh, wenn man alle Spezialgebiete der Verwaltung und alle Geseke und Fürstlihen Erlasse in Bezug auf deren lokale Ausführung durhgehe und sehe, wie von 1678 an, dann noch mehr von 1691 an und endlich massenhaft von 1713 an die Berliner Zentralbehörden sich nicht anders zu helfen gewußt hätten, als in einem Gebiet nah dem andern dem Landrath (Kreisdirektor und Marschkommissar) die lokale Ausführung der Negierungsmaßregeln zu übertragen; so könne man verfolgen, wie er neben seinen Kreis- und Militärgeshäften die Aufsicht über das Armenwesen, das Hausierwesen, das Sanitätswesen, Wegewesen, die ganze landwirthscaftliße und Bauernpolizei, die Verkündigung der Königlichen Edikte und alles Aehnliche successiv bekommen habe. Das erkläre es auch, daß das Amt z. B. in den Jahren 1702 bis 1730 nicht aus den uns erhaltenen Bestallungen ganz zu verstehen sei. Diese enthielten althergebrahte Formeln, niht die steigende Summe der neuen Amtsaufträge. Erst gegen 1740 bis 1750, z., B. in der Bestallung des Landraths von der Gröben, die Redner mittheilte, trete das Amt in seiner vollen Aus- bildung, als staatlih polizeilihes Kreisamt, uns entgegen, aber immer nohch an die älteren feudalen Zustände dadurch erinnernd, daß der Landrath meist ein eingesessener gewählter Rittergutsbesißer des Kreises war. Redner loß damit, daß er die Einführung des Landrathsamts in Schlesien 1742, in Oftpreußen und Cleve-Mark 1752 schilderte, das Verhältniß des Landraths zum Steuer-Nath erörterte und endlich die veränderte Stellung des Landraths im 19. Jahr- hundert kurz \kizzierte. An diese Mittheilungen {loß sich eine längere Debatte, an der sih hauptsählih die Herren Professoren Dr. Brecher, Dr. Hinte und Dr. Krauske betheiligten.

__— In der Preisbewerbung für ein evangeliBes Vereins- und Gefellenhaus in Stettin wurde, wie wir dem „Zentr. Bl. d. Bauv.“ entnehmen keine der eingelaufenen Arbeiten als eines ersten Preises würdig erachtet und beschlossen, die ausgeseßte Summe von 1000 4 gleihmäßig auf die drei besten Entwürfe zu vertheilen. Es erhielten daher Preise von je 350 (4 die Arbeiten der Architekten Robert Herbricht, Adolf Stegmüller, beide in Berlin, und des Architekten und Maurermeisters Kupfershmidt in Stettin.

Ein Preisausschreiben für Entwürfe für eine Kirche und zwei Dienstgebäude der lutherishen Gemeinde in Breslau erläßt dem „Centr.-Bl. d. Bauv.“ zufolge der Architekten- Verein in Berlin unter seinen Mitgliedern. Die Kirche - soll in Baksteinbau in gothishen Formen, mit dem Thurm in der Längs- achse und einem Quer|chiff gestaltet werden; sie soll 1200 Sitpläte enthalten, von denen ein Theil auf Emporen angeordnet werden kann, und Kanzel und Altar sollen in ihr niht vereinigt werden. Die Bau- kosten sollen 180 000 A nicht übersteigen. Von den beiden Dienst gebäuden ist das eine ein Pfarrhaus, das außer der Wohnung des Pfarrers noch eine solche für den Küster, für den Hilfsprediger und für die Diakonissin, fowie einen Saal zu Versammlungszwecken enthalten foll; das andere ein Amtsgebäude für Verwaltungszwecke mit einer Bücherei für 20 000 Bände, einer kleinen Wohnung für den Registrator und zwei größeren für höhere Kirchenbeamte. Die Kosten für diese beiden Gebäude sollen 100000 M nicht übersteigen. Die Zeihnungen sind im Maßstab 1 : 200, zwei Ansichten der Kirche 1: 400 verlangt. Als Preise stehen 1000 und 800 (4 zur Verfügung, wozu noch Ankäufe für je 400 4. treten können. Die Arbeiten sind bis zum 11. Juni, Nachmittags 2 Uhr, im Architekten-Verein ab- zuliefern, von wo auch die weiteren Unterlagen von Mitgliedern zu beziehen sind.

In der Preisbewerbung um Entwürfe für ein Rath- haus in Nheydt waren 73 Arbeiten eingegangen. Den ersten Preis von 1500 # erhielten nach dem „Central-Bl. d. Bauv.“ die Architekten H. Reinhardt und G. Süßenguth in Berlin, den zweiten von 1000 M der Architekt E. Hagberg in Berlin und den dritten von 750 die Architekten R. Neuhaus und K. Schauppmeyer in Köln. Zum Ankauf empfohlen wurden die Entwürfe der Regierungs- Baumeister Hermanns und Riemann in Elberfeld und der Architekten E. Schreiterer und Below in Köln.

Die Generalversammlung der Goethe-Gesellshaft in Weimar, die ursprünglich auf Mittwoch, den 16. Mai, anberaumt war, ist na neueren Entschließungen um einen Tag verschoben worden und findet also Donnerstag, den 17. Mai, statt. Im Großherzog- lihen Hoftheater kommt an diesem Tage Goethe's „Pandora“ mit der Lassen’schen Musik und das Fragment des Schiller’shen „Deme- trius“, einshließlich der neu aufgefundenen Ergänzung, zur Aufführung.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Badajoz, 1b. April. Der Gesundheitszustand in Lissabon giebt, dem „W. T. B.* zufolge, zu Beunruhigungen Anlaß; feit mehreren Wochen herrsht eine Cholerine-Epidemie, die si weiter ausbreitet.

Theater und Musik.

Lessing-Theater. Fräulein Clementine Krauß gab gestern als Gast der Bühne die Titelrolle in dem englishen Schwank „Niobe“ und löste ihre Aufgabe sehr beifallswürdig, was umsomehr anzuerkennen is, als sie eine rühmlihe Vorgängerin in Fräulein Jenny Groß hatte. Die E des Schwankes beruht, wie son bei seiner ersten Auf- ührung bemerkt wurde, in dem Gegensaß zwischen antiker und moderner Weltanshauung und Lebensauffassung, der in einem Traum- esiht dezs e r ermdalidt wird und bald feinkomishe, bald drastische irkungen hervorruft. Die Niobe des Stückes is in der Anlage nihts weniger als eine fomishe Figur, aber der Kontrast ihrer rhythmischen und pathetishen Rede gegen die magere und nüchterne Sprache des Peter Dunn übt eine zuweilen unwiderstèhlih lächerliche Wirkung aus. Fräulein Krauß is eine Schauspielerin von guten Manieren ; sie hat eine kraftvolle, zumeist angenehme Stimme, die nur zuweilen beim {nellen Sprechen etwas rauh klingt, die aber doch ausdrucksfähig ist. Die Darstellerin bewegt d sicher und mit Anniuth, die ihrem Wesen ursprünglich eigen zu fein s{heint. Jhre Auffassung der Nioberolle traf wohl im ganzen das Richtige; nah Ueberwindung der ersten Schüchternheit gewann die Gestalt Leben, und dem naiven Ausdruck der Gedanken entsprachen die Haltung und die Geste; auch der Humor, der in den Worten lag, gewann an einigen Stellen leuhtenden Ausdru, an einigen anderen blieb cer wohl nur zufällig verborgen. Am edelsten