1894 / 91 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 18 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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Aeußerung zurückweisen zu müssen. Der Abg. Rickert habe dort einen Angriff auf den preußischen Finanz-Minister Dr. Miquel gemacht und dabei eine Aeußerung, die Redner in der Freien wirthschaft- lichen Vereinigung über den Wollzoll gemacht, zu seinen Ungunsten auszubeuten versuht. Die Aeußerung sei nur dahin gegangen, daß der Finanz-Minister sich allerdings wohl für einen Wollzoll inter- essieren könnte, aber diese Aeußerung sei hon vor der Abstimmung über den russishen Handelsvertrag und vor derjenigen über die fleinen Verträge gethan worden.

Zur ersten Lesung steht die Vorlage, wonah die im ; 120 Abs. 1 der Gewerbeordnung festgeseßte Frist, inner- Frlb deren die Zentralbehörde für bestehende fakultative Fort - bildungs\chulen Ausnahmen von der dort über den Unterricht getroffenen Bestimmung gestatten kann, bis zum 1. Oktober 1897 erstreckt werden joll.

Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlep\ch:

Meine Herren! Das Resultat der Verhandlung über die Inter- pellation der Herren Abgeordneten Osann und Genossen, die vor einigen Tagen hier im Reichstag stattgefunden hat, ist ja nicht sehr ermuthigend für die Einbringung des Geseßentwurfs, der Sie in diesem Augenblick beschäftigt. Jh verhehlte mir nicht, daß sehr große Zweifel darüber bestehen, ob er Ausficht auf Annahme hat. Das hat aber die verbündeten Regierungen niht abhalten können, den Geseßentwurf vorzulegen, weil sie glauben, eine Pflicht zu erfüllen, die Pflicht, das ihrige zu versuchen, um nicht empfindlihe Störungen für den Fortbildungsschulunterriht, ein- treten zu lassen. Es konnte auch die Erwägung angestellt werden, daß die Aeußerungen, die gelegentlich der Interpellation Ofann im Neichstag gefallen sind, sich bezüglih der Bedeutung des Fortbildungsschulunterrihts und namentlich bezüglich der Noth- wendigkeit des Fortbildungss{hulunterrihts am Sonntag nicht deckte mit denen, die früher im MNeichstag über diesen Gegen- stand gemacht sind. Ich hatte mir gestattet, meine Herren, bereits neulich darauf hinzuweisen, daß sowohl ein Vertreter der konservativen Partei als ein Vertreter der Zentrumspartei auf das bestimmteste er- flärten, daß nah Lage der Dinge zur Zeit der Sonntagsunterricht unentbehrlih fei und ich darf weiter darauf hinweisen, daß als vor nicht allzulanger Zeit im preußischen Abgeordnetenhause die Frage des Sonntagsunterrihts in der Fortbildungsshule verhandelt wurde, der Vertreter der freikonservativen Partei dort sich in einem Sinne aus- sprach, der diametral den Anschauungen entgegentritt, die der Vertreter der Meichspartei neulich bei Besprehung der Interpellation Osann geäußert hat. Jch kann, meine Herren, daraus nur den Schluß ziehen, daß doch immerhin die Möglichkeit vorliegt, daß neulih nicht die Stimmung der Majorität des Reichstags zum Ausdruck gekommen ist.

Nun, meine Herren, hat man gesagt, der § 120 in der Fassung der Gewerbeordnung enthalte einen Kompromiß. Das is ganz richtig; aber dieser Kompromiß wurde doch nicht, wie das neuli}ch von einer Seite behauptet wurde, zwischen den- jenigen geschlossen, welhe einen Fortbildungsunterriht am Sonntag überhaupt nicht wollten, und zwischen denen, die ihn in bestimmten Grenzen bewahren wollten, sondern dieser Kompromiß wurde ge- {lossen zwischen zwei Anschauungen, die sih zum theil bei denfelben Persönlichkeiten vorfanden: zwischen der Anschauung nämlich, daß zur Zeit der Fortbildungsschulunterriht am Sonntag unentgeltlih ift, und zwischen der Anschauung, daß man den Gottesdienst vor Stö- rungen bewahren solle. Die Divergenz dieser Auffassungen und der Wunsch, diese Divergenz zu beseitigen, führte zu dem Antrag Schaedler, der den erwünschten Ausweg dahin gab, daß der Fortbildungs\chul- Unterricht des Sonntags auh während des Hauptgottesdienstes \tatt- finden konnte, wenn nur mit Zustimmung der Kirchenbehörden ein be- sonderer Gottesdienst eingeführt würde.

Nun sfagt man, meine Herren, die Regierung is im Begriff, von diesem Kompromiß zurückzutreten; man wirft ihr vor, sie wolle die evangelische Kirche zwingen, die Einrichtung ihres Hauptgottesdienstes nach den Stunden der Fortbildungsschule zu legen; man wirft ihr vor, sie wolle das Gese ändern es sei vorzuziehen, daß man gleich mit der Abänderung des Geseßes komme, anstatt hier eine Kulisse auf- zuziehen, und dahinter seine eigentliche Absicht zu verbergen. Von alledem ist keine Nede; es ist keine Nede davon, von dem geschlossenen Kompromiß zurüczutreten, es is gar keine Nede davon, die evangelishe Kirhe in eine Zwangslage bezüglih ihres Hauptgottes- dienstes zu verseßen. Es is auch keine Rede davon, das Gesctz zu verändern, weder in dem Entwurf selbst noch in der Begründung, noch in der Verhandlung der verbündeten Regierungen im Bundes- rath, noch im preußishen Staats-Ministerium i mit einem Wort von dieser Absicht gesprochen worden. Meine Herren, die Absicht dieses Gesetzentwurfs ging lediglich dahin, zur Aus- führung des Kompromisses, der damals ges{chlossen worden ist, eine längere Frist zu haben, als sie uns bis jeßi gewährt worden ist, weil es sih herausgestellt hat, daß innerhalb dieser Frist, die mit dem 1. Oktober d. I. abläuft, Auswege sich nit haben. finden lassen, die man braucht, um ein gedeihliches Fortbestehen des Sonntagsunterrichts in der Fortbildungshule zu ermöglichen.

Meine Herren, bei der Berathung des fogenannten Arbeitershut- geseßes im Jahre 1891 habe ih mir gestattet, als der § 120 zur Verhandlung stand, und als verhandelt wurde über den Antrag, der dur den Reichstag in diesen Paragraphen hineingebracht wurde, daß nämlich der Gottesdienst unter allen Umständen frei bleiben müsse, zu bemerken, daß mit dem Unterantrage des Herrn Abg. Schaedler dieser Antrag für die Regierungen annehmbar sei, weil sie hoffen, daß in der Zwischenzeit sich Mittel finden lassen werden, um den Schäden vorzubeugen, die sie sonst von dem Antrag befürchten mußten, und ih habe mir damals gestattet, drei Wege anzugeben, auf denen dieser Schädigung vorgebeugt werden fönnte. Bezüglich des ersten Weges, nämlich die Unterrichtsstunden vom Sonntag auf die Wochentage zu verlegen, hat fich herausgestellt, daß derselbe weder überall, noch bezüglih aller Gegenstände des Fort- bildungs\{hulunterrihts gangbar ist. Die Gründe dafür sind im Reichstag, im preußischen Abgeordnetenhause so vielfa erörtert worden, daß ih mich auf eine ganz kurze Nesümierung beschränken will. Sie bestehen zunächst in dem Fehlen und in der mangelhaften Beschaffenheit der Schullokale, die man braucht, um Fortbildungsschulunterriht zu ertheilen, wenn er am Sonntag niht mehr gegeben werden soll. Diese Lokale sind in der Regel an Wochentagen nicht disponibel, und wenn sie disponibel sind zu einer Abendstunde, sind fie in ihrer überwiegend großen Zahl fo mangelhaft beschaffen, daß ein erfolgreihes Ertheilen von Zeichen- und Modellierunterricht in ihnen niht möglich ist.

Der zweite Grund, warum dieser Weg niht begangen werden kann, liegt darin, daß in den Wochentagen zum Unterricht des Abends die Schüler weder die geistige noch die körperlihe nöthige Frische haben, um den Unterricht vollständig fruktifizieren und genießen zn fönnen. Die weiteren Schwierigkeiten liegen darin, daß die Lehr- personen nicht zu beschaffen sind, und darauf ist meines Erachtens ganz besonders hinzuweisen. Heute wirken an unseren Fortbildungs- \{@ulenan Sonntagen eine Reihe von Nichtpädagogen, Ingenieure, Mecha- niker, Handwerksmeister mit ausgezeichnetem Erfolge. Wenn wir den Fortbildungsunterricht in Zukunft vom Sonntag auf die Woche verlegen, so werden diese Personen nicht mehr oder doch nur ausnahmsweise für den Unterriht zu gewinnen sein. Dann, meine Herren, ist mit Sicherheit zu erwarten, daß, wenn man den Unterricht vom Sonntag auf den Wochentag verlegt mag man ihn auf die Abendstunde ver- legen und dadur die Abendstunden des Fortbildungsschulunterrihts vermehren oder mag man ihn in den Nachmittag hinein verlegen, die städtishen Behörden, die heute darüber zu beschließen haben, ob durch Statut der Fortbildungsunterricht eingeführt werden soll, nicht méhr geneigt fein werden, diesen Unterriht einzuführen. Eine Ein- \chränkung des Fortbildungss{ulunterrihts wird die Folge sein. Es ist fernerhin hingewiesen auf den weiten Weg von der Werk- statt oder Wohnung zum Sqhulhause, der am Sonntag weit weniger in Betracht kommt, als am Wochentage, und endlih is mit Sicherheit zu erwarten, daß, wenn die Fort- bildungsshule vom Sonntag auf den Wochentag verlegt wird, zahl- reiche selbständige Gewerbetreibende und Gesellen, die heute mit Erfolg den Sonntagsunterriht im Zeichnen und Modellieren benutzen, an demselben nicht mehr werden theilnehmen können. Das find die Gründe, die wesentlich dafür sprehen, den Weg, den Unterricht vom Sonntag auf den Wochentag zu verlegen, nicht überall und nicht be- züglich aller Unterrichtsgegenstände gangbar erscheinen zu lassen.

Meine Herren, der zweite Weg, der ins Auge gefaßt werden kann, ist der, den Unterricht zu theilen in die Stunden vor dem Haupt- gottesdien und in die Stunden nah dem Hauptgottesdienst. Ich will kein übergroßes Gewicht legen auf den Umstand, daß die Stö- rungen, die mit dem Anfang jedes Unterrichts verbunden sind, auf diesem Wege verdoppelt werden: das Kommen, ‘das Gehen, der Namensaufruf, das Vorbereiten für die einzelnen Arbeiten muß s\elbst- verständlich zweimal vorgenommen werden, wenn man den Unterricht zweimal anfängen läßt. Es giebt meines Erachtens * andere Gründe, die durchaus dafür sprechen, eine Unterbrehung des Unterrichts zu ver- meiden.

Meine Herren, wenn für die Anfänge des Freihandzeichnens und des Zirkelzeihnens auch der Unterricht in zwei Stunden als genügend angenommen werden kann in vielen Fortbildungs\{hulen geschieht das ja —, so liegt die Sache ganz anders bei dem höher entwickelten Fach- zeichnen. Ein Schüler, der den Entwurf einer Maschine, einer Wanddekoration, den Entwurf zu einem größeren Möbel machen soll, braucht hon einige Zeit, um sich überhaupt in seine Aufgabe hineinzudenken, und es wird längere Zeit vergehen, bis er zu einem erfolgreihen Resultat feiner Arbeit kommt; wenn diese Arbeit mitten unterbrochen wird, hat er den größten Theil dessen, was er vorher {hon geleistet hat, verloren, und er muh wieder vom vorn anfangen PVeeine Herren, (bs haupte, es giebt bestimmte Arten des Zeichnens und des Modellierens, die eine kontinuierclihe Lehrzeit von drei bis vier Stunden nöthig machen.

Dann, meine Herren, was foll denn, wenn der Unterricht unter- brochen wird, mit den Lehrpersonen geschehen? Es ist doch nicht jeder Lehrer gewillt, gerade in dieser Zeit in die Kirche zu gehen ; mancher von den Lehrern hat die Absicht, einen ihm liebgewordenen oder näher liegenden Nachmittagsgottesdienft zu besuchen. Die Lehrer, die nicht in die Kirche gehen wollen, zwingen Sie, die Zeit zwischen 10 und 12 Uhr nußlos auf der Straße zu verbringen, da sie weder nah Hause gehen fönnen noch unterrichten, und gerade fo liegt es bezüglich der Schüler. Was sollen die Schüler machen, die niht in die Kirche gehen, die niht in die Kirche gehen können, weil sie den Gottesdienst bereits zu einer Frühstunde besucht haben? Was follen denn die katholischen Schüler in konfessionel gemishten Ortschaften machen, die den Morgengottesdiensst ihrer Konfession besucht haben und nicht in der Lage sind, gerade in der Zeit, wo der evangelishe Gottesdienst fällt, den Gottesdienst ihrer Konfession zu besuhen? Sie nöthigen diese Schüler ganz einfach auf die Straße oder in das Bier- haus. Das i die unausbleiblißhe Folge dieser Maß- regel. Wenn Sie die Absicht haben, den Kirchenbesuch der evangelischen Schüler durch Schluß der Schulen zu heben, so bleibt Ihnen weiter gar nihts übrig, als den obligatorischen Kircen- besuch einzuführen mit allen Folgen, die daran geknüpft sind; Sie müssen eine Kontrole darüber einführen, daß der junge Mann auch in die Kirche geht, und wenn er nicht in die Kirche geht, muß er mit empfindlihen Strafen belegt werden, damit er sich das in Zukunft merkt. Dieses Mittel \cheint mir aber doch nicht gangbar zu sein. Es wird also in der Praxis nichts weiter er- reicht, als daß eine große Zahl der Schüler, insbesondere in großen Städten, vorzugsweise in Berlin, nicht in die Kirche geht, sondern sich auf der Straße herumtreibt oder ins Wirthshaus geht, statt daß sie in dieser Stunde einen geordneten Schul- unterrilt in der Fortbildungsschule genießen. Es bleibt da nah meiner Auffassung nur der dritte Weg gangbar und wirksam nur da, wo überhaupt die Ertheilung des Fortbildungs- unterrihts am Sonntag während des Hauptgottesdienstes nothwendig erscheint, denselben zu erhalten ih beshränke das sahlih auf den Zeichen- und Modellierunterriht und örtliß auf die erhebliche Zahl von Schulen, die sehr {stark von auswärtigen, entfernt wohnenden Schülern besuht werden —, nämlich der der Errichtung eines besonderen Gottesdienstes für die Schüler mit Zustimmung der kirchlichen Behörden.

Es ifl durchaus unrichtig, wenn man annimmt, daß die evange- lische Kirche prinzipiell auf dem Standpunkt steht, daß das unzulässig ist. Das geht einfach daraus hervor, daß an manchen Orten die evangelishe Kirchenbehörde sich ohne jede Schwierigkeit bereit erklärt hat, einen folchen Gottesdienst einzurihten, und aus dem Umstand, daß an einer ganz erheblichen Zahl von Orten der Sonntagsunterriht von Predigern, fowohl evangelischen wie katho- lischen, eingerihtet worden ist. Man darf also von einem prinzipiellen Widerstand der Kirhe gegen die Ertheilung des Fortbildungsunter- richts am Sonntag meines Erachtens nicht \sprehen. Nur ist es bis- her nicht geglückt, den angegebenen Weg überall zu beschreiten. Wie

gesagt, an manchen Orten hat man einen solchen besonderen Gotteg. dienst für die Schüler einrihten können, an manchen bisher nicht, Um das weiter erreihen zu können, hat die Regierung Ihnen diesen Entwurf vorgelegt. Sie hat ihn ferner vorgelegt, um denjenigen Orten Zeit zu geben, in denen bauliche Einrichtungen, die Berufung von neuen, vermehrten Lehrkräften nothwendig werden, um den Unterricht in veränderter Gestalt fortzuführen.

Nun hat man der Regierung vorgeworfen, insbesondere der preußi- schen, sie hâtte die Zwischenzeit niht ausreihend benußt, um bis zum 1. Oktober dieses Jahres die Mißstände, die sih ergeben haben, zu beseitigen. Der Vorwurf ist unbegründet. Es is uns gelungen, an vierzig Ort, schaften, meistens größeren Städten, wo bisher der Unterricht während des Hauptgottesdienstes stattfand, diesen zu verlegen, oder mit der geistlichen Behörde eine Einrichtung zu vereinbaren, wona für die Fortbildungs\{hüler ein besonderer Gottesdienst eingerichtet wird. Wenn die Frist, die wir von Ihnen erbeten haben, verlängert wird, werden wir mit aller Mühe darnach trachten, weiter zu verhandeln, und ih hege mit der preußischen Regierung und den verbündeten Re. gierungen die bestimmte Zuversicht, daß es in der gegebenen Frist ges lingen wird, den Weg zu finden, der s{hließlich von allen Seiten ge- wünfcht wird.

Nun muß man sich vergegenwärtigen: Was wird geschehen, wenn der Geseßentwurf abgelehnt wird, wenn am 1. Oktober die Frist ah. läuft, ohne daß die Verhältnisse des Sonntagschulunterrihts die ge- eignete Regelung erfahren haben? Die Folge wird die sein, daß der Fachzeichen- und Modellierunterriht, auf den es hier ganz hauptsäh- lih ankommt, am Sonntag für sehr viele Schüler gar nicht mehr oder doch in ganz unzureichender Weise ertheilt wird; oder es wird zu dem Versach führen, den Fachunterriht von dem Fortbildungs- \{ulunterriht systematisch und durhgehend zu trennen, \odaß die Be- stimmung des § 120 der Gewerbeordnung auf diesen Fachunterricht keine Anwendung mehr findet. Daß sih dies machen läßt, ift außer Zweifel ; daß es aber sehr s{chwierig zu machen ist, ist au außer Zweifel, und daß es höchst bedauerliche Folgen für den Unterricht an sich haben wird. Wird ein Fachunterriht nicht mehr als Fortbildungs\chulunterriht anerkannt, so fällt er nicht mehr unter das Gesetz und existiert für ihn nicht mehr die Verpflihtung der Arbeitgeber, ihren Arbeitern unter 18 Jahren die freie Zeit zu gewähren, um diesen Unterricht zu besuchen. Daß das ein sehr unvollflommenes Miitel wäre, unterliegt allerdings keinem Zweifel; es würde im höchsten Grade unerfreulih sein, wenn man genöthigt wäre, diese Trennung des Fach- und Fort- bildungs\{hulunterrihts, die heute nirgends besteht, wenigstens bei uns nicht, durhzuführen, während die Zusammenfassung im Fach- und im Fortbildungsschulunterriht die allerungünstigsten Folgen für die Ent- wickelung der Schüler hat. Also es würde ein durchaus unerwünschtes Mittel sein, ebenso wie es im höchsten Grade unerwünscht wäre, die Arbeitgeber von der Verpflichtung zu befreien, auch für den Fachunterricht ihren unter 18 Jahre alten Arbeitern die nöthige Zeit zum Besuch dieses Unter- richts zu gewähren. Heute besteht diese Verpflihtung, weil die Fach“ \{hule ein Theil der Fortbildungsschule ist, als folhe angesehen wird; es müßte der jeßige Bestand durchaus geändert werden, wenn es anders werden sollte. Jch fkann nur wünschen, daß das nicht nöthig wird.

Nach meiner Auffassung liegt die Sache so, daß ein Bruch mit dem Kompromiß, den die Regierung und die Parteien mit einander bef Berathung des § 120 geschlossen haben, durch die Vorlage des Gesetzentwurfs in keiner Weise erfolgt. Sie liegt so, daß die Regierung die Absicht hat, nihts weiter zu erbitten als die Verlängerung der Frist, die Sie ihr gewährt haben, weil Hoffnung vorhanden ist, daß es innerhalb derselben gelingen wird, einen Weg einzuschlagen, der die Erhaltung des Fortbildungsschulunterrihts in der bisherigen Verfassung ermög- liht. Yeber die allgemeine Bedeutung des Fortbildungs\{ulunterrichts glaube ich mi heute nicht noch einmal eingehend aussprechen zu follen ; er hat von allen Seiten die eingehendste Würdigung erfahren, wenn ih auch gewünscht hätte, daß die Versicherung der Antheil- nahme für denselben hier und da etwas weniger platonish wäre. Jh beshränke mich darauf, zu betonen, daß der Fortbildungs\{hulunter- rit eines der wenigen Mittel if, unseren Mittelstand, den kleinen Gewerbetreibenden in seiner Existenzfähigkeit zu erhalten: eines der wenigen Mittel, um die gewerblihe heranwachsende Jugend in eine. illlide und geotdnele Erziehung zu. bringen Ich würde es deshalb im höchsten Grade bedauern, wenn auch nur ein Theil dieser Fortbildungs\chule, ohne daß eine dringende Noth- wendigkeit hierfür vorliegt, beseitigt würde, und umsomehr muß ih das bedauern, wenn gar keine Aussicht ist, daß es einen praktischen Erfolg hat für das was man will, nämlih für die Vermehrung des Besuches der Kirhe. Wäre es richtig, daß durch den Schluß der Schule wirklich die Berliner Jugend dem religiösen Einfluß der Kirche mehr hingegeben würde, fo läge die Sache anders. So liegt es aber nicht. Wer nicht die Augen gewaltsam den prktishen Ver- hältnissen vershließt, der muß zu der Ueberzeugung kommen, daß nichts weiter erreiht wird, als daß in die Kirche nicht gegangen wird, und daß der erziehlihe Einfluß, den die Schule hat, auß noch wegfällk: also offenbar eine Vershle(terung. Das richtige Mittel wird darin zu finden sein, daß ein besonderer Gottesdienst mit Zustimmung der geistlichen Behörden für die Schüler eingerichtet wird, und ih hege auch nach Rücksprache mit Geistlichen keinen Zweifel, daß es gelingen wird, diesen Weg zu beschreiten,, und deshalb bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben. (Bravo!)

Abg. Dr. Kropatscheck (dkons.) hält aus den bei der Erörterung der Interpellation Osann entwickelten Gründen daran fest, daß diese Vorlage abzulehnen sei. Es handle sich nicht darum, die Fortbil- dungs\chüler am Sonntag in die Kirche zu s{icken, sondern um eine zweckmäßige Ordnung des Fortbildungs\hulunterrihts überhaupt. Der preußische Handels-Minister hätte nah seinen Deduktionen selbst zU dem Schlusse kommen müssen, daß dieser Unterricht am zweckmäßigllen an irgend einem Vor- oder Nachmittag in der Woche ertheilt werde. Die Lehrkräfte hätten dasselbe Recht auf Sonntagsruhe wie die Schüler. Von der Opferwilligkeit der Kommunen für diesen Fortbildung?- unterriht habe man eigenthümliche Proben. Fn Magdeburg habe die

Stadtverordneten-Versammlung die Schulräume für diesen Unterr! in der Woche verweigert, während sie für den Sonntag zur Dl“ fügung gestanden hätten! Ob die Drohung des Handels-Ministers die Fachshulen von dem Fachbildungs\chulunterriht abzusondern und die ersteren dem Bereih der Gewerbeordnungsvorschriften zu ent- ziehen, so leiht auszuführen ist, bezweifle ih; niemand, auch der Handels-Minister nit, kann die Meister zwingen, den Lehrlingen zu! Besuch dieses Fachunterrihts am Sonntag die Erlaubniß zu geben. Das Beste ist und bleibt die Verweisung des gesammten Unterri! auf einen freien Vor- oder Nachmittag in der Woche. Hier 116

aber der wunde Punkt: Man will den Lehrmeistern nicht die Ga heit, ihre Lehrlinge voll auszunuten, für einen halben Tag in

e entziehen, und denkt, die Kirhe könne ja herhalten. Einen solchen Zustand können wir nicht fördern wollen, wir müssen diesem Mißstand vielmehr entgegenarbeiten.

Abg. Dr. Osann (nl.) begrüßt die Vorlage mit lebhafter jeude, Das Kompromiß habe niht den Sinn gehabt, den Fort- sd ungsunterricht am Sonntag überhaupt zu verbieten. Der Abg. Jr. Kropatscheck übersah auch, daß es sich hier lediglih um Schulen mit afultativem Besuch handelt. Von einer Unsumme von Handwerks- meistern und fleinen Gewerbetreibenden seien die beweglichsten Bitten T Zuschriften wegen unverkümmerter Erhaltung der bestehenden Schulen an die nationalliberalen Vertreter gelangt. Die Sonntags- ruhe sei überhaupt noch keineswegs völlig durchgeführt, um fo weniger dürfe man hier Engherzigkeit an den Tag legen. Geht der Antrag nit durch, #0 find die Fortbildungsshulen zum Untergang verdammt.

Abg. Graf Bernst orff - Lauenburg (Np.): Nach 3 Jahren würden wir ganz genau auf demselben Standpunkt stehen, wie heute. Mir bleiben auf dem Kompromiß von 1891 stehen; nicht die Kirche if es, die auf diesem Gebiete Konzessionen zu machen hat. Auch wir sind der Meinung, daß der freie Sonntag niemandem beschränkt werden soll. Der Unterricht gehört in die Woche. Die Möglichkeit dazu wird fich, wenn wirklih die Absicht, eine Verständigung zu er- reichen, vorhanden ist, hon finden lass

Abg. Schmidt - Elberfeld (fr. Volksp.) erklärt für die freisinnige ind süddeutshe Volkspartei die Zustimmung zur Vorlage.

Abg. Dr. Schaedler (Zentr.): Ich glaube nicht, daß die Schulen dem Untergange geweiht sind, wenn diese Vorlage verworfen wird. Bir sind nicht in der Lage, einem Geseß zustimmen zu können, von dem die protestantischen Kirchenbehörden erklären, daß es in ihre Befugnisse direkt eingreift. Wenn die Begründung meint, es sei do

besser, die Schüler befänden sih unter Aufsicht eines Lehrers, da sie

in die Kirche doh niht gezwungen werden können, so kommt es

auf diesen Gesichtspunkt für uns gar niht an, sondern darauf, daß ¡berhaupt die Gelegenheit zum Kirhenbesuch geboten ist. Jch will das Recht der vrotestantischen Kirchenbehörde unter allen Umständen geshügt wissen. Wir sind bei diesem diffizilen Punkte nicht für etwas zu haben, was auch nur indirekt in die Rechte der Kirchen- behörde eingreift. Diese Auffassung ist auch die des gesammten Zentrums. e

Abg. Vogtherr (Soz.): Die Frage des Kircheninteresses wird bei dieser Sache mehr als nöthig ia den Vordergrund geshoben. Es handle ih hier nicht um Bestimmungen zum Schutze der Kirchen- und Gottesdienstordnung, fondern um eine Bestimmung zur Negelung gewerblicher Angelegenheiten. Aus dem Fehlschlage der auf den Kongreß geseßten Erwartungen sollten do dessen Freunde bie Crkenntniß ab- nehmen, daß auch in Zukunft auf eine Verständigung mit den Kirchen- behörden niht zu rehnen sein wird. Bei den verschiedenartigen “nteressen, die hier zusammenstoßen und die alle gleich zärtlih von der Regierung und den herrs{henden Parteien geshont werden, wird für die Fortbildungsshulen nicht eher etwas Gutes herauskommen, als bis das Letzte Ziel erreiht ist, bis die Fortbildungsschulen sammt und sonders obligatorisch gemacht und der Unterricht auf einen Vormittag in der Woche verlegt is. Am \{hroffsten steht das linternehmerinteresse einer folhen Regelung entgegen. Dieses Interesse wagt die Negierung nicht im mindesten anzutasten, und selbstverständlich erklären fich die Arbeitgeber mit Hartnäckigkeit gegen eine Aenderung. Am {limmsten treiben es in dieser Beziehung die Innungsmeister, die verwöhnten Schoßkinder der Regierung. Die heutigen - Aus- führungen des preußishen Handels-Ministers Freiherrn von Berlepsch stehen im Widerspruch mit dem, was der Staatssekretär Dr. von Boetticher am 5. April ausgeführt hat; leßterer war der Verlegung auf einen Wochentag unzweifelhaft geneigter als Handels-Minister {Fret-

herr von Berlepsh. Nicht eine Fristverlängerung führt den Abschluß dieser Frage herbei, sondern die Regierung muß direkt vor die Frage gestellt werden, ob fie die Fortbildungs|hulen erhalten wissen will oder niht, Wir lehnen daher die Vorlage ab, um die Regierung zu einer klaren Stellungnahme zu zwingen. Die Nationalliberalen sehen wir, das kommt unter 100 Malen nur einmal vor, wenigstens in dieser Frage, geschlossen, aber der Abg. Möller hat hon am 5. April nah rechts allerlei freilich wirkungslos gebliebene Versprehungen und Verbeugungen gemacht. : E

Abg. Freiherr von Stumm (Np.): Für die Borlage wird das Interesse des Zeichenunterrihts vor allem ins Feld geführt. Bei den Fortbildungsshulen für Mädchen, ich glaube bei allen, besteht gar fein Zeichenunterriht. Hätte ih gewußt, womit die Mädchen in diesen Fortbildungsshulen des Sonntags Vormittags von 8—12 beshâftigt werden, niemals hätte ih 1891 zu dem Kompromiß bis 1894 meine Hand geboten. O finde es geradezu haarsträubend, daß man in diesen Mädchen-Fortbildungsshulen die Mädchen mit Maschinennähen , Kleidermachen u. dgl. beschäftigt, Dinge, die gar kein Unterricht, sondern eine gewerblihe Thätigkeit sind. Soweit diese Shulen in Betracht kommen, verwerfe ih die Vorlage ganz un- bedingt, Aber auch für die Jungen, die Lehrlinge, felbst die Ge- sellen ist der Zeichenunterriht am Sonntag Vormittag niht er- sorderlich, umsoweniger, als er_ thatsählich schon vielfah an Vochenabenden stattfindet. Vom Sonntag müssen die Fortbildungs- shulen vershwinden, sie werden sich theilweise in die Woche ver- «gen lassen, theilweise werden sie eingeschränkt werden; denn obli- gatorish wird man sie nicht machen können. In Berlin aber wird die Verlegung in die Woche wohl durchführbar sein. Tritt ein Inter- regnum ein, so ist es do gewiß besser, die Schüler versäumen eine veit lang den Fortbildungsunterriht, sie können ihn wieder einholen, als den Kirchenbesuch, den können sie niht wieder einholen. Würde das Geseg angenommen, so würden die in Betraht kommenden städtischen Behörden die Sache wieder hinzichen und es würde alles beim alten bleiben.

_ Königlich preußisher Bevollmächtigter zum Bundesrath, Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat bemerkt, daß, wenn das Gese zur Annahme gelangen würde, so würde nicht das mindeste weiter erreiht werden, als daß die städtishen Behörden, um deren Fortbildungsshulen es sich hier handelt, die Sache wieder hinziehen würden, nihts thun würden, und man würde nach Ablauf von drei Jahren wieder vor derselben Lage stehen. Das könnte zutreffend sein, wenn nicht die im § 120 Gewerbeordnung gegebene Ausnahmebefugniß in der Vand der Landes-Zentralbehörde läge. Es liegt also nicht im Villen der betreffenden städtischen oder sonstigen kommunalen Körper- schaften, ob sie die bestehenden Einrichtungen beibehalten wollen oder nicht, sondern die Zentralbehörden haben zu entscheiden, ob sie von der ihnen gegebenen Ausnahmebefugniß den betreffenden städtishen Behörden ge- genüber Gebrau machen wollen. Ich hatte mir erlaubt, Ihnen vor- hin audeinanderzuseßen, daß bereits in vierzig Ortschaften, größeren

FY of : «Ct o : ; und Ueineren, des preußishen Staats die Ausnahme nicht weiter ge- währt worden is, und die Regierung würde Ihnen diesen Entwurf Le vorgelegt haben, wenn sie nicht die. bestimmte Absicht hätte, nnerhalb der erbetenen Frist auf dem betretenen Wege fortzufahren. fh Der Verr Abg. Freiherr von Stumm hat hervorgehoben, daß es lid hier um eîn Prinzip handelt, und das s{heint für ihn die wesent- H e Grage zu sein. Jch habe Ihnen vorher {hon bemerkt, meine O diejenigen Herren, die gegen den Gefeßzentwurf sind, wollen d, s wahren und {ließen die Augen gegen die praktischen Aus âltnisse mit Gewalt zu. Jh muß bei den vorher gemachten N ungen stehen bleiben. Wer auch nur eine Ahnung von den

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anes Verhältnissen hat, muß mit allergrößter Bestimmtheit vor- n F daß das, was Sie erhoffen, nämli ein größerer Kirchen- treide nicht eintreten wird ; sondern Sie werden das Gegentheil er- Went fi nâmlih die Shwächhung der Erziehung und der Zucht, die

Mens heute noch die Fortbildungsshule gewährt. (Sehr richtig!)

: Meine Herren, mit Ihnen bin ih der Meinung und wünsche dringend, daß es mögli wäre, den ganzen Unterricht auf die Woche zu verlegen, und zwar nicht in die Abend-, sondern in die Tages- oder Nahmittagszeit. Das ist das erstrebenswerthe Ziel, und wenn der Herr Nedner der Sozialdemokraten geglaubt hat, ih hätte mi mit meinen Ausführungen in dieser Beziehung in Wider- spruch mit den Ausführungen des Herrn Ministers von Boetticher befunden, lo irrt er sich. Ich habe zwar heute das nicht ausdrüclich wiederholt, habe es aber bei der Besprehung der Interpellation Osann gejagt, und bei jeder Gelegenheit, wo ich in der Lage war, mich über Fortbildungs\chulen auszusprechen: das erstrebenswerthe Ziel ist, den Sonntagsunterricht aufzugeben und den Sortbildungsunterriht auf die Tagesstunden in der Woche zu verlegen. Ich habe aber auch stets gesagt : wie die Dinge liegen, ist das zur Zeit unausführbar. Die Stimmung des Reichstags hat \ich in dieser Hinsicht voll- fommen verändert, seitdem wir über die Gewerbeordnungsnovelle uns berathen haben. Denn damals haben ausnahmslos alle hier vertretenen Parteien erklärt : wie die Dinge jeßt liegen, ift es unmöglich, den Sonntagsunterricht zu entbehren und den Sonntagsunterricht auf die Zagesstunden in der Woche zu verlegen. Jch muß heute doch daran festhalten, und wenn der Herr Abg. Dr. Kropat\scheck uns eine Innung vorführt, die dafür ist, die Unterrichts- stunden auf Tagesstunden in der Woche zu verlegen, dann möchte ich ihn doch mal auffordern, \sich in den Innungskreisen unseres Vaterlands umzusehen, ob die derselben Anschauung sind wie dieser eine weiße Nabe.

Meine Herren, i kenne die Eingabe, von der Herr Dr. Kropatscheck gesprochen hat, nicht. Aber wenn es einen entschiedenen Gegner der Ver- legung des Fortbildungsunterrihts vom Sonntag auf die Woche giebt, fo ist das das deutsche Handwerk; das unterliegt niht dem mindesten Zweifel.

Herr Graf Bernstorff hat gemeint: wenn wir nur ernstlich wollten, wenn nur erst die Nothwendigkeit vorläge, den Fortbildungs- s{ulunterriht in der Woche zu ertheilen, so würde das gewiß gehen. Wenn der Herr Abgeordnete informiert wäre über die Verhältnisse, wie sie sih vielfach ausgebildet haben, z. B. in den Fortbildungs- {hulen von Westpreußen und Posen, würde er anderer Meinung sein. In dem Augenblick, wo das Erkenntniß kam, daß die weg- bleibenden Schüler niht mehr unter Strafe gestellt würden, waren Handwerksmeister und Arbeitgeber mit allen Kräften dabei, den Be- su der Schule durch die betreffenden Schüler zu hindern. Infolge dieses Bestrebens waren wir genöthigt, eine ganze Reihe von Fort- bildungsschulen zu schließen, die früher, so lange Zwang und Strafe noch existierten, von einer großen Zahl von Schülern besucht waren. In der Beziehung geben Sie sih keinen Jllusionen hin! Die Zu- stimmung, insbefondere unserer kleinen Gewerbetreibenden zu einem freiwilligen Besuch innerhalb der Tagesstunden der Woche können Sie nicht erreichen; auf sie können Sie niht renen. Ich entnehme alfo aus den Aeußerungen des Herrn Professors Dr. Kropatscheck und aus den Ausführungen des Herrn Grafen von Bernstorff die Aufforderung an das preußische Staatsministerium, einen Gesetzentwurf im preußi- hen Landtag vorzulegen, durh den die obligatorische Fortbildungs- shule eingeführt wird, und zwar mit der Ertheilung des Unterrichts nicht an den Abendstunden der Woche, fondern an den Tagesstunden. Es wäre nicht unmöglih, meine Herren, daß ih mich dieser That- sachen erinnerte. Ih werde mich dann an die betreffenden Herren halten. (Hört! hört! Sehr gut! links.)

Abg. Nickert (fr. Vg.): Die Rechte und die Sozialdemokraten sind es also, die die Vorlage vereiteln. Die Hoffnungen, daß der Kirchen- besu dur die Vernichtung der Schulen vermehrt wird, werden sich als hinfällig erweisen. Wir werden für die Vorlage stimmen und überlassen denen, die sie ablehnen, die Verantwortung für die Folgen.

_ Abg. Möller (nl.) bedauert, daß die Haltung der äußersten Linken und der äußersten Rechten die Erhaltung einer Menge von Fortbildungss{ulen namentlich in den kleinen Vrten und auf dem Lande unmöglih machen wird; die Herren möchten sih ihrer s{chweren Verantwortung bewußt fein und sich im leßten Augenblick noch eines Besseren venn :

Damit schließt die erste Berathung. Jn der zweiten Be- rathung wird das Wort nicht ergriffen. Die Vorlage wird abgelehnt.

Es folgt die dritte Berathung der von dem Zentrum und der Freistnnigen Vereinigung eingebrachten Vorlage auf Ab- änderung des Wahlgeseßes.

Jn der Generaldiskussion erklärt __ Abg. Bafsermann (nl.), daß ein Theil seiner Freunde gegen die Vorlage stimmen werde, weil sie Bedenken gegen die Ausdehnung der Wahlzeit bis 7 Uhr Abends, gegen die Neuerung, daß der Wähler das Kouvert selbst in die Urne legen solle, und gegen die nah ihrer Ansicht unausführbare Herstellung eines Isolierraums für die Be- förderung des Skimmzettels in das Kuvert hegen und diese Bedenken als aus\hlaggebend ansehen. Der größere Theil der Partei aber wird mit dem Redner, um den namentlih auch durch die leßte Ver- handlung Der Wahlprüfungskommission als nothwendig erwiesenen wirksameren Shuß des Wahlgeheimnisses und der Wahlfreiheit zu sichern, für den Antrag stimmen. / L :

Abg. Gröber (Zentr.) giebt seiner Freude Ausdruck, daß es noch gelungen sei, diesen wichtigen Gesetzentwurf in dieser Session zur Verabschiedung zu bringen. Die Einwände des Vorredners beträfen nur einen Theil der Vorschläge und hätten auch nicht die ganze Partei auf ihrer Seite. Hoffentlich würden auch die verbündeten Regierungen dem Neichstagsbeshluß wohlwollend gegenübertreten.

Abg. Nickert (fr. Bgg.) ist ebenfalls sehr erfreut, daß diefes vor vier Jahren angeregte Werk noch zum Abschluß gelangt. Er dankt dem Zentrum und den Nationalliberalen für ihre Unter- stüßung. Namentlich der leßtere Umstand werde die Mehrheit für den Antrag und das Gewicht desselben verstärken. i

Jn der Spezialberathung werden die einzelnen Artikel des Geseßentwurss ohne Debatte genehmigt, ebenso das Geseh in der Gesammtabstimmung. ö i:

In der ersten Lesung des vom Zentrum, den Deutsch- konservativen und einigen Nationalliberalen eingebrachten Entwurfs eines Heimstättengeseßes für das Deutsche Reih führt zur Begründung der : u

Abg. Graf von Dönhoff - Friedrichstein (b. k. F.) aus, daß der Wortlaut des Entwurfs derjenige, der vor einem Jahre über denselben Gegenstand gefaßten Kommissionsbeschlüsse sei, die Materie alfo eine E Berathung bereits erfahren habe. Die Vorlage sei unerläßlih, um eine wirkliche Stabilisierung des bäuer- lichen Besites zu ermöglihen. Die untheilbare Heimstätte, die jeder Angehörige des Deutschen Reichs nach vollendetem 24. Jahre errichten kann, darf die Größe eines Bauernhofes nicht übersteigen, muß einer Fa- milie Wohnung gewähren und die Erzeugung landwirthschaftlicher Produkte ermöglihen. Sie darf bis zur Hälfte, aber nur mit Renten und Annuitäten, vershuldet sein und foll der Zwangsvollstreckung nur in ganz besonderen Ausnahmefällen unterliegen.

Abg. Dr. Schoenlank (Soz.): Ich hâtte nicht geglaubt, daß man mit einem folhen Entwurf, den Typus des Dilettantismus in der Gesetzgebung, dem Reichstag kommen würde. Die Heimstätte

ist eine alte Einrichtung in Amerika; bei der Reise über das große Wasser aber hat sih diese Heimstätte den preußis-deutshen Ver- hältnissen angepaßt, sie ist nicht mehr die ursprüngliche Heimstätte, sondern der Versuch der Errichtung einer Art bäuerlicher Fidetkommifse. Wie foll denn ein Bauer, ein Landwirth, dessen Besiy um mehr als die Hälfte belastet ist, seine unkündbare vpotbekentast umwandela können in amortisable Rente? Wer giebt ihm dazu das Geld? Die große Mehrheit der bäuerlichen Landwirthe ist also von diesem Geseß ohne weiteres ausgeschlossen. Ueber die schwierigsten Fragen dieser Art \{chweigt der Entwurf. In der Rhein- und Pren gegend wird es gar niht möglich sein, diesem Geseßze zur Ein- sührung zu verhelfen, denn dort hat der bäuerliche Grundbesiß feit Jahrhunderten eine umgekehrte Richtung eingeshlagen. Ueberhaupt ist die ganze neuere Gesetzgebung der Höferollen, Landgüterordnung u. \. w. von geringem Werth. Die weniger vershuldeten Bauern werden fich hüten, fi das freie Verfügungsreht über ihren Grund und Boden nehmen zu. lassen. Auch darüber, wie die Heimstätten eingerichtet werden sollen, shweigt der Entwurf völlig. Er überläßt alles Mögliche den Landesgefeßgebungen , wahrscheinli, weil er nicht weiß, wie die Sache gemacht werden sol. Was unter Zwangsverwaltung der Heimstätten verstanden werden soll, wird uns au nicht gesagt. Soll etwa unser Staat zehntausende und hunderttausende dieser kleinen Zwerghöfe in Verwaltung nehmen? Die Antragsteller denken immer bloß an ihre vershuldeten Rittergüter. Die Regierung wird sich aber wahrscheinli dafür bedanken, sich diese undankbare Arbeit aufdrängen zu lassen. Ist aber der Reichstag überhaupt kompetent, in diefer Frage zu_ entscheiden ? Der Reichskanzler hat bekanntlih fogar in Abrede gestellt, daß das Reich befugt sei, eine Agrarstatistik zu veranstalten. Die Großgrundbesißzer haben bei der Vorlage nur den einen Hinter- gedanken, landwirthschaftlihe Tagelöhner zu erhalten, welche so feft an ihre Scholle gebannt sind, daß sie mit Löhnen fürlieb nehmen, die der freie Landarbeiter niht annehmen würde. Es wird mit der Borlage lediglich eine neue Art von Hörigkeit eingeführt. Der Gedanke ist aber nicht zu Ende gedaht worden. Man legt uns nur eine Karikatur vor. Oesterreich und die Schweiz weisen weit bessere Heimstättengeseßentwürfe auf. Es fehlt doh jede Andeutung darüber, wie die Umwandlung der Gesammtschuld des kleinen Grundbesites in amortisable Rente bewirkt werden soll.

_… Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Es ist gerade ein großer Vorzug dieses Geseßentwurfs, daß er im guten Sinne partikularistisch ist, nur große allgemeine Gesichtspunkte aufstellt und alle Ausführungs- modalitäten den einzelstaatlihen Geseßgebungen überläßt. Dieser Weg wird eben gegangen werden müssen. Die Kritik des Vorredners gegen die technische Durchberathung des Gesetzes ist ähnlih {on in der Kommission des vorigen Jahres verlautbart und auch zurück- gewte]en worden. Die Verwandlung der Hypothekenshulden in amortisable Renten ift heute hon mögli, wir haben bereits Bank- intlitute, welche sih damit befassen. Geht das Geseß dur, und ijt das preußishe Ausführungsgeseß erlassen, so werden die preußischen Institute auch dem kleinen Grundbesiß ihre Hilfe bieten können: wo sie noch_ nit vorhanden sind, müssen sie sofort geschaffen werden. Für den Süden und Westen hat das Gesetz die Bedeutung, den mittleren und kleinen Bauernstand zu festigen; im Osten allerdings wird vorwiegend die Wirkung die sein, einen seßhaften landwirth: schaftlichen Arbeiterstand zu schaffen; und auc das ist ein Nußen in meinen Augen, wir {lagen also dann zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenn der Bauer nicht will, kann kein Mensch ihn zwingen, seinen Besiß in eine Heimstätte umzuwandeln; wenn er aber den Sinn des Gefeßes begriffen haben wird, wird er es in immer \teigendem Maße thun. :

Abg. Günther (nl.) ist mit einem Theil feiner Parteigenossen dem Gesetze geneigt und möchte es baldigst verabschiedet sehen. Die Lage der kleinen Leute könne niht \{chlimmer werden, wie sie jeßt ift : es müsse also alles versuht werden, diese Lage zu bessern. Der Verlust von Haus und Hof durch Verschuldung und die nah- folgende Subhastation wirkt heute geradezu vernihtend auf den gSamilienzusammenhalt des Volkes; die Vorlage würde einen Fort- schritt zum bessern bedeuten, weil sie dem Manne au im Falle der Verschuldung die Wohnung, die Heimstätte, erhielte. Die Vorlage leide aber an erheblichen Mängeln, fo namentlih in der starren Vor- chrift, daß die Vershuldung nur bis zur Hälfte des Werthes zu- lässig ist. In dieser Form kann die Vorlage niht Geseß werden. Auch die starre Form, welche für die Aufhebung der Heimftätte vor- geschrieben sei, könne nicht aufrecht erhalten werden. Redner beantragt, den Entwurf einer Kommission zu überweisen.

Abg. Schall (dkons.): Die Gegnerschaft der Sozialdemokratie beweist uns, daß ein guter Kern in dem Gesetze liegt. Für die Vor- lage hat sih seiner Zeit der greise Feldmarschall Moltke erklärt. Wir glauben, es ist Pflicht der Staats- und der Bundesregierungen, auf Mittel zu sinnen, unsere Bevölkerung wieder seßhaft zu machen, nicht etwa in ein Hörigkeitsverhältniß zu bringen, sondern ihr wieder festen Boden unter den Füßen zu geben. Ich kenne das Land, lebe auf dem Lande, ich kenne die Verhältnisse dort besser als die Sozialdemokraten, die davon keinen Begriff haben. Der Zug in die Städte wird auf- hören, wenn dieses Geseß ergangen sein wird. Je mehr wir unsere wirthschaftlihe Selbständigkeit aufgeben, desto mehr verlieren wir auch unsere nationale Selbständigkeit; darum wollen wir folche Heim- stätten wieder einführen. Wo foll die kernhafte deutsche Gefinnung, wo sollen die kernhaften deutschen Männer noch herkommen, wenn der kleine Grundbesiß weiter verfällt wie bisher!

__ Damit schließt die erste Berathung. Nach längerer Ge- shäftsordnungsdebatte wird die zweite Lesung auf morgen vertagt.

Der Nachirags-Etat zum Etat für 1894/95, durch welchen 10400 Á für drei neue Mitglieder des Patentamts aus Anlaß der durch das Waarenzeichengesey bedingten Vermeh- rung der Geschäfte dieses Amts gefordert werden, wird in erster und zweiter Lesung unverändert angenommen, ebenso in zweiter Lesung die Vorlage, betreffend den Schuß der Brief- tauben, nah den Beschlüssen der XIV. Kommission.

__ Die Novelle zum Handelsgeseßbbuch (Kündigungsfrist der Handlungsgehilfen) wird in der Gesammtabstimmung definitiv genehmigt. Darauf wird Vertagung beschlossen.

__ Abg. Riert (fr. Vgg.) wendet ih in einer persönlichen Er- kiärung gegen den Abg. Grafen zu Inn- und Knyphausen. Er habe O die „Kreuzzeitung“ zitiert, diese hätte der Graf berichtigen ollen.

Schluß gegen 61/5 Uhr.

Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 51. Sigung vom 17. April 1894.

Der Sißung wohnen der Finanz-Minister Dr. Miquel und der Minister der geistlihen, Unterrichts- und Medizinal: Angelegenheiten Dr. Bosse mit Kommissarien bei.

Die dritte Berathung des Staatshaushalts -Etats für 1894/95 wird bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten fortgeseßt.

Abg. Das bach (Zentr.) beshwert ih darüber,? daß eine von den Ordensshwestern und dem katholishen Kirchenvorstande in Ems ausführlich begründete Eingabe wegen Errichtung einer höheren Töchterschule, verbunden mit Penfionat, von der Zentralinstanz ohne Angabe von Gründen abschläglih beschieden worden sei.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. R en vers erwidert, daß nah dem Gutachten der Emfer Behörden ein Bedürfniß zur Errichtung einer höheren Mädchenshule in Ems nicht vorliege. Von den Kindern der Kurgäste habe in den legtén 10 Jahren überhaupt keines die dort bereits bestehende höhere Töchtershule besucht.

Abg. Friten -Rees (Zentr.) spricht in Anknüpfung an einen Fall in Wesel die Befürchtung aus, daß der Minister den