1894 / 96 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 24 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Herzoglich sächsische Wirkliche Geheime Rath, Staats-Minister Dr. von Bonin ist von den Hochzeitsfeierlichkeiten aus Coburg hierher zurück- gekehrt.

Fulda, 24. April. Die Bischofswahl findet, dem „W. T. B.“ zufolge, hier am 27. April statt.

Sachsen,

Die gestrige Parade, der auch Jhre Majestät die Königin, sowie Jhre Königlichen Hoheiten die Herzogin von Genua und die Prinzessinnen beiwohnten, nahm cinen

länzenden Verlauf. Bei dem zweimaligen Vorbeimarsche führte Seine Majestät der Kaiser das 2. Grenadier-Regiment Nr. 101 Allerhöchstselbst Seiner Majestät dem König vor. Auf dem Wege nach der Stadt wurden Beide Monarchen von der zahlreihen Volksmenge enthusiastish begrüßt. Nachmittags um 4 Uhr fand in der Villa Strehlen Familientafel statt, woran Jhre Majestäten der Kaiser, der König und die Königin, Jhre Königlichen Hoheiten die Herzogin von Genua, die Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses, Jhre Hoheiten die Herzogin von Schleswig-Holstein und die Prinzessin Feodore sowie Seine Hoheit der Herzog Heinrich von Mecklenburg-Schwerin theilnahmen. Die Abreise Seiner Majestät des Kaisers erfolgte um 6 Uhr Nachmittags von der Haltestelle Strehlen.

Württemberg.

Die Kommission der Kammer der Abgeordneten ur Vorberathung des Verfassungsgeseßentwurfs hat, m _„W. T. B.“ zufolge. wesentlihe Abänderungen des Ent-

wurfs im Sinne der Vereinfahung beschlossen.

Hessen.

Seine Kaiserlihe Hoheit der Großfürst-Thronfolger von Nußland, Jhre Großherzogliche Hoheit die Prinzessin Alix sowie Jhre Kaiserlichen Hoheiten der Großfürst und die Großfürstin Sergius und Jhre Königliche Hoheit die Prinzessin Heinrich von Preußen sind gestern Nachmittag von Darmstadt nah Coburg zurückgekehrt. Der Großfürst-Thronfolger be- giebt sih der „Darmst. Ztg.“ zufolge von dort nach St. Peters- burg, während die Prinzessin Alix mit Jhrer Majestät der Königin Victoria die Reise nah England antreten wird.

Sachsen-Weimar-Eisenach. Seine Königliche Hoheit der Großherzog gedenkt nach Der Abreise Seiner Majestät des Kaifers noh einige Tage auf der Wartburg zu bleiben. Auch Jhre Königlichen Sobeiten der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin weilen zur Zeit daselbst. Sachsen-Coburg-Gotha. Jhre Majestät die Königin von Großbritannien und Jrland hat Seiner , Königlichen Hoheit dem Erb- prinzen den Hosenband-Orden verlichen.

Oesterreich-Ungarn.

Der „Budapester Korrespondenz“ zufolge wird der Kaiser am 26. Mai zu mehrwöchigem Aufenihalt, der während der Hochzeitsfeier der Erzherzogin Karoline unterbrochen werden Wi, in BUdapest eintiessen: Dié Kaiserin traf heute früh in Wien ein und begab sich mit dem Kaiser nah Lainz.

Der ungarische Minister-Präsident Dr. Wekerle und der ungarishe Justiz-Minister von Szilagyi wurden, wie D. B. meld, gestern Mittag von dem Kaiser in Audienz empfangen.

Großbritannien und Frland.

Im Unterhause erklärte gestern, wie „W. T. B.“ meldet, der Parlaments-Sekretär des Auswärtigen Sir E. Grey, es sei unmöglih, die Fragen über Uganda in der Form einer Erwiderung auf Juterpellationen zu beantworten. So- bald die Debatte über Uganda stattfinden werde, werde einc vollständige Erklärung seitens der Regierung erfolgen. Es heiße, eine große Niederlassung von größtentheils entlaufenen Sklaven sei im Jnnern in der Nähe von Juba vorhanden. Jenes Gebiet gehöre nicht zu dem Protektorat, das im Jahre 1890 von Deutschland an Großbritannien übertragen worden sei, Jei auch nicht in das Protektorat eingeschlossen, das unter die Verwaltung des Sultans von Sansibar gestellt worden sei. Sobald jenes Gebiet erforsht und erschlossen sein werde, werde man Jnformationen über jene Eingeborenen erhalten. Ueber das Anerbieten der Ost-Afrika-Gesellschaft, ihre von Sansibar erhaltenen Konzessionen und Rechte abzutreten, sei noch kein Abkommen getroffen. Bei der darauf folgenden Budgetberathung erklärte der Kanzler der Schaßkammer Sir W. Harcourt in Betreff der Erbschaftssteuer, das im Auslande befindlihe Eigenthum von im vereinigten König- reih domizilierten Ausländern sei ebenfalls der neuen Steuer unterworfen. Bisher hätten die Erbschaftssteuern ungefähr 10 Millionen eingebracht; davon entfielen nahezu 9 Millionen auf bewegliches und etwa 11/4 Millionen auf unbewegliches Gut. Die neue Steuer werde 131/54 Millionen, und zwar das bewegliche Eigenthum 11 Millionen, das unbe- wegliche 21/4 Millionen, bringen. Er hoffe, diese Erklärung werde die Besorgnisse beseitigen, daß Lasten entstehen könnten, welche die allgemeinen Bodeninteressen drücken würden. Hierauf wurde die weitere Debatte über die Erbschaftssteuer vertagt.

Der verhaftete Anarchist Ferrara alias Farandi alias Carnot ist ein Mann von etwa 45 Jahren, von kleinem Wuchs und dürftig in seiner äußeren Erscheinung. Der Polizeibeamte sagte gestern vor dem Polizeigeriht in Bow- street aus, er habe Ferrara in der Nacht zum Sonntag um 11/2 Uhr in Stratford verhaftet. Zwei Polizeibeamte seien durch das Fenster in das Zimmer des Anarchisten gestiegen, der mit sechs anderen Männern dort geschlafen habe. Man habx bei Ferrara eine Nummer des italienischen Blattes „Credo degli Oppressi und eine Karte, auf welcher der Name des Anarchisten Polti gestanden habe, gefunden. Ferrara hörte die Angaben des Polizeibeamten aufmerksam an, die ihm sodann in italienisher Sprahe vorgelesen wurden. Der Polizei-Jnspektor Mc. Guire sagte bei seiner Vernehmung aus, er habe eine von dem Anarchisten Polti bei dessen Verhaftung abgegebene Erklärung überseßt, worin dieser Ferrara alias

arandi alias Carnot beschuldige und behaupte, daß er, olti, die Anarchisten verabscheue, die zu gefährlich für ihn seien. ‘Auf dem Wege zum Polizeibureau habe Carnot geäußert, wenn er Geld gehabt hätte, würde er cinen

Revolver gekauft haben, er sei zwar klein, besiße aber große Energie; es sei thöriht von ihm gewesen, nah dem Polizei- gerichte in Bowstreet zur Konfrontation mit dem Anarchisten Meunier zu gehen, er habe aber den Jnspektor Melville sehen wollen, weil er ihn habe tödten wollen. Der- Jnspektor habe zu viele seiner Kameraden verhaftet, man müsse ihn beseitigen. Er wisse wohl, daß er zu vielen Jahren Zwangsarbeit werde verurtheilt werden, aber in 2 oder 3 Jahren werde er doch sterben. Wenn er Geld gehabt hätte, würde er die Bomben Polti’'s nach Frankreich oder Jtalien gebracht haben, da es ihm aber an solchem gefehlt habe, habe er eine Explosion in der Börse, dem Zentrum der City, bewerkstelligen wollen, einem Orte, wo sih so viele reihe Leute versammelten, er würde dann eine ansehnliche Zahl Bourgeois und Kapitalisten getödtet haben; er werde Nachfolger haben und diese würden mehr Erfolg haben. Jn drei Jahren dürfe es keine Regie- rung in Europa mehr geben, das sei sein Glaubensbekenntniß. Der Verlesung der Aktenstücke hörte Carnot lachend zu. Die Weiterverhandlung wurde shließlich auf heute vertagt.

Frankreich.

Der Präsident Carnot empfing heute Abend eine Ge- sandtschaft von annamitishen Mandarinen, die Ge- schenke und ein Schreiben des Kaisers von Annam, worin dieser seiner Zuneigung für Frankreih Ausdruck giebt, über- brachten. Der Präsident beauftragte die Mandarinen, dem Kaiser seinen Dank zu übermitteln. E

Eine Tun der „Agence Havas“ erklärt die gestrige Meldung, daß der cuffisGe Botschafter Baron von Mohren - heim der zu Ehren der Jungfrau von Orleans ‘in der Kirche Notre Dame veranstalteten Feier beigewohnt habe, für un- begründet.

Rußland.

Die Feier der Verlobung des Großfürsten-Thron- folgers wurde, wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg be- richtet, durch Kanonensalven und Glockengeläut angekündigt. Jn der Zsaac- Kathedrale wurde am Sonntag ein feierlicher Dankgottesdienst zelebriert. Die Stadt prangte im Festgewand, in den Straßen herrschte freudige Bewegung. Das „Journal de St. Pétersbourg“ schreibt zu der Verlobung : ;

Ganz Nußland steht unter dem Eindruck des glücklichen und wichtigen Ereignisses, welhes ih \oeben dur die Verlobung des Großfürsten-Thronfolgers mit der Prinzessin Alix vollzogen hat. Die Freuden der von so viel Verehrung und Liebe umgebenen Kaiserlichen Familie sind auch die Freuden der Nation, und in dem ganzen Bereich unseres weiten Kaiserreihs erheben \fih zu diefer Stunde innige Gebete zum Himmel, daß der Allmächtige seine gött- liche Gnade über den Thronfolger und die erlauchte Prinzessin ausshütte, welhe ihn auf seinem Lebenswege begleiten wird. Die Prinzessin wird auf russischem Boden mit denselben Ge- fühlen aufrichtiger und tiefer Ergebenheit empfangen werden, mit der alle Herzen für den Sohn unseres vielgeliebten Herrscherpaares erfüllt sind. Möchten die inbrünstigen Gebete von Millionen Seelen volle Erhörung finden, möchte das Ereigniß, welches heute ganz Rußland freudig erregt, eine Quelle der höchsten Glückseligkeit für die ganze Kaiserliche Familie und eine Quelle von- neuen Segnungen für das Gedeihen und den Ruhm unseres theuren Vaterlandes sein.

Aus Mosfau meldet die „Norddeutsche Telegraphen- Agentur“, die Stadtverordneten-Versammlung habe beschlossen, den Mazestäten anläßlich des für ganz Rußland freudigen Er- eignisses der Verlobung des Großfürsten-Thronfolgers die aus tiefstem Herzen kommenden, treu unterthänigen Glückwünsche Moskaus unterbreiten zu lassen, sowie dem Brautpaar und dem Großfürsten Sergius und Gemahlin zu gratulieren. Das Stadtamt sei beauftragt worden, Vorschläge zu machen, wie Moskau die bevorstehende Vermählung am würdigsten begehen

könne.

Das amtlihe Blatt für Finland veröffentliht ein Kaiserlihes Manifest, welhes das von der gegenwärtigen finnishen Ständeversammlung angenommene neue Stra f- geseß sanktioniert und dessen sofortiges Jnkrafttreten anordnet.

Nach Vereinbarung der Minister der Finanzen und der Marine wird ein allgemein verbindliches Geseß darüber ausgearbeitet, in welher Weise Privatschiffe im Kriegs- fall zur Verwendung für militärishe Zwecke heran- zuziehen sind.

Ftalien.

Jn der gestrigen Sizung der Deputirtenkammer wurde nah einem Bericht des „W. T. B.“ ein Antrag der Regierung auf Gestattung der gerichtlichen Verfolgung des Deputirten Casilli wegen Theilnahme an verbrecherischen Vereinen eingebraht und den Bureaux zugewiesen. Hierauf wurde die Berathung des Marinebudg ets fortgeseßt. Valli begründete sodann einen Antrag, die Berathung der Finanz- maßregeln gleih nah dem Budget des Ministeriums des Jnnern, dessen. Berathung heute beginnen soll, auf die Tages- ordnung zu seßen. Cavallotti unterstüßte diesen Antrag. Der Minister - Präsident Crispi erklärte, er sche die Noth- wendigkeit nicht ein, die Finanzmaßregeln vor dem Budget zu berathen. Für alle Fälle sei die Regierung bereit, diese Maßregeln vor dem Schaß- und Einnahme - Budget, oder auh an einem bestimmten Tage, etwa dem 20. oder 15. Mai zu berathen. Hierauf folgte cine kurze Debatte unter lebhafter Bewegung der Kammer. Ru- dini bat Cavallotti, seinen Antrag zurüc{zuzichen, was Cavallotti ablehnte. Jn namentlicher Abstimmung wurde darauf der Antrag Cavallotti mit 269 gegen 56 Stimmen abgelehnt. Gegen den Antrag stimmten u. a. NRudini und Giolitti, dafür BZanardelli , Vacchelli , Cavallotti, ein Theil der Linken und die äußerste Linke. Nicotera war ab- wesend. Der Antrag des Minister-Präsidenten Crispi, die Finanzmaßregeln auf die Tagesordnung vom 15. Mai zu Pen wurde mit großer Majorität durch Erheben von den Sißen angenommen. Hierauf wurde die Sizung aufgehoben.

Die Kommission zur Prüfung des Gesehentwurfs über die von der Regierung verlangten Vollmachten ernannte den Deputirten Bonasi zum Berichterstatter. Die Su h- kommission der Budgetkommission für den Heeres- und den Marine-Etat hat den Bericht des Deputirten Pais über das Heeresbudget gestern angenommen.

Serbien. Der König hat laut Meldung des „W. T. B.“ Simic zum Gesandten in Wien ernannt. Simic wird am 26. d. M. auf seinen Posten abgehen.

Amerika.

Der Präsident Cleveland hat nah ciner Meldung des „W. T. B.“ aus Washington an den Vorsizenden der Nationalvereinigung der demokratishen Klubs ein Schreiben gerichtet, worin er alle Demokraten auf das wärmste

auffordert, die Partei vor der Schande der Nicht- einlôósung des Pfandes zu bewahren, us das fie die Kontrole der Regierung errungen abe. Wie die Partei unter dem Banner der Tarifreform gesiegt habe, so werde auch das Festhalten an diejem Prinzip die Bedingung für den ferneren Besiß des Vertrauens des Volks sein. Wenn der Bestand der Partei auf dem Spiele stehe, so müßten die Wünsche der Einzelnen und die Eifersüchteleien in den Hintergrund treten. : E

Der Senat hat es abgelehnt, eine Kommission zur Ent- gegennahme der Petition des Zuges der Arbeitslosen von New-York zu ernennen.

Afrika.

Ein der Verwaltung des Congostaats zugegangenes Telegramm meldet die Einnahme der zwischen dem Tanganyikasee und dem Manyemagebiet gelegenen Stadt Kalambarre durch die unter dem Befehl des Lieutenants Lottaire stehenden Truppen.

Parlamentarische Nachrichten.

Im Herrenhause machte beim Beginn der heutigen (10.) Sißung, welcher der Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des Junern Graf zu Eulenburg und der Justiz- Minister Dr. von Schelling beiwohnten, der Präsident Fürst zu Stolberg-Wernigerode Mittheilung von dem Eintritt der Herren von Wedel-Blankensee, Professor Reincke-Kiel und Ober-Bürgermeister H offmann-Königs- berg in das Haus.

Hierauf trat das Haus in die Tagesordnung, deren ersten Gegenstand die einmalige Schlußberathung über den 45. Bericht der Staats\schuldenkommission über die Verwaltung des Staatsschuldenwesens im Rechnungsjahre vom 1. April 1892/93 nebst dem dazugehörigen Beschluß des Hauses der Abgeordneten bildete.

(Schluß des Blattes.)

Sglußberiht uber die gestrige B E: _des Hauses der Abgeordneten befindet sich in dec Ersten Beilage.

Jn der heutigen 56. Sißung des Hauses der Ab- geordneten, welher der Finanz-Minister Dr. Miquel und der Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden bei- wohnten, erklärte vor Eintritt in die Tagesordnung der

Abg. von Puttkamer-Treblin (kons.), daß er mit seinem gestrigen Zwischenrufe „Verdrehung!“ in der Rede des Landwirth- \hafts-Ministers niht habe sagen wollen, daß dieser die Worte des Neichskanzlers verdreht habe, sondern nur, daß die Worte des NReichs- fanz!lers über feine Stellung zur Landwirthschaft durch die Presse ver- dreht worden seien. i i; :

Hierauf wird die zweite Berathung des Geseßentwurfs über die Landwirthschaftskammern sorlgeseßt.

Abg. Nichter (fr. Volksp.): Der Finanz-Minister suchte gestern die amtlichen Zahlen über die Verschuldung des Grundbesitzes auszu- nuten zu einer Empfehlung des Anerbenrechts. Er hat Hannover mit seinem Anerbenrecht in Gegensaß gestellt zu den Ländern der freien Theilbarkeit und gemeint, aus diejer Statistik gehe hervor, daß, wo das Anerbenrecht sei, die niedrigste Verschuldung, und, wo die freie Theil- barkeit sei, die höchste Verschuldung bestehe. Er hätte aber nicht einen ein- zelnen Regierungsbezirk aus Hannover herausgreifen, sondern die ganze Provinz in Betracht ziehen und den übrigen Provinzen des Westens gegenüberstellen müssen. Der Durchschnitt der Verschuldung in den fechs hannoverschen Provinzen beträgt ca. 18F 9/0. In der Rheinprovirz mit der freiesten Theilbarkeit beträgt fie 184/5 9%, in Westfalen 23, in Sachsen 25, in Schleswig-Holstein 25 9/9, alles Zahlen, die gar- nit weit von. anaber liegen G (E also 1 willkürlih, irgend etwas für das Anerbenrecht aus diefer Statistik zu folgern. Auch die Behauptung des Ministers, daß die Personalvershuldung im Verhältniß zur MNealver- \huldung am stärksten in den Bezirken mit freier Theilbar- keit vorhanden sei, ist ganz berocislos geblieben. Nach dem Dekla- rationsformular ist niemand verpflichtet, die Schulden vom Grund und Boden anzugeben. Das Einkommen bezieht sich auf Grund und Boden, Handel und Gewerbe, Kapitalvermögen und Lohn und Gehalt und die Schulden auf diese vier Nubriken, mit Ausnahme von Handel und Gewerbe. Ih möchte also gern wissen, wie man aus dem Deftla- rationsformular die Verschuldung des Grund und Bodens besonders berehnen kann. Der Minister hat unter den vershuldeten Provinzen auch Berlin angeführt. Nun kennen wir zwar manchen unglülichen Landwirth, aber nothleidende Landwirthe in Berlin, welche felbst Landwirthschaft treiben, giebt es hier gar niht. Die Statistik it eine {chöne Sache, man muß sih aber hüten, willkürliche Schluß- folgerunaen daraus zu ziehen. Fest steht nur, daß der ofstelbische Grundbesitz mit 52, der westelbishe mit 21 0/9 vershuldet ist. Die Erwartungen in Bezug auf die Stein-Hardenberg'she Geseßgebung im Osten haben sich nur deshalb nicht erfüllt, weil es der Reaktion dort leichter war, dieser Gesetzgebung Halt zu gebieten. Schon vor der Stein-Hardenberg’shen Geseßgebung hatte im Westen die französishe MNevolution eine Reihe von Errungenschaften, darunter aub die Theilbarkeit des Grund und Bodens, das Abverkaufen von Parzellen, unverrückbar durchgeführt. Man hat im Westen die Konsequenzen gezogen durch Veräußerung der Domänen und Aufhebung der Fideikommisse. Im Often ist die größte Verschuldung in den Regierungsbezirken mit den meisten Fidel- kommissen und dem größten Großgrundbesiß in Köslin und Posen. Also nicht durch ges{lossene Güter, sondern durch Parzellierung der Fideikommisse und Domänengüter könnte man der Verschuldung ent- gegenwirken. Jch wünschte eine Statistik über den Umfang und das Wachsthum der Fideikommisse und des Beslhes in der Todten Hand. Gegen dieses MRentengütergeseß haben wir vornelmlih deshalb gestimmt, weil dafür eine Staats- garantie in Anspruch genommen wurde. Als Reformator des Agrar- 1echts hat Herr Miquel bisher keine Lorbeeren gepflückt : die von ihm als Abgeordneten ftark befürwortete Höferolle war zugestandener- maßen ein verfehltes Erperiment; sie ist_- ein Ladenhüter der Geseßzgebung geblieben. Für die Einführung unablösliher Renten beim polnischen Ansiedlungsgeseß hat er ih besonders verwendet. Man hat sich aber sofort auf 1/10 der Rente be- schränken müssen, damit nicht die neuen Ansiedlungen „wieder L polnischen Besiß geriethen. 1890 hat er sich für die Pas gemeinerung des Systems der unablöslichen Arbeiten verwendet ; aud von diesem Gese hat man keinen Gebrauch gemacht. Daß das Rentengütergeseß von 1891 mit Hilfe des Staatskredits mchr Anklang fand, ist natürli; aber auch hier hat man in der legten Zeit ein Nachlassen verspürt. Auch darüber vermisse ich eine J laufende Statistik. Der Finanz-Minister war zu diesen Bor- {lägen mehr aus germanistischer Liebhaberei gekommen, als aus einer richtigen Beobachtung der thatsächlichen Verhältnisse Dies Gese ruft auf den ersten Blick die Stimmung hervor, ag fönnte man mit seiner Hilfe seine Schulden los werden. Die A gestaltung des Agrarrechts erfordert die Intelligenz des ganzen a L und der Minister besitzt ja selber keinen Ar und keinen N Wunderbar ist nur, daß fo viele aus dem Zentrum Lei Herren Graf Hoenébroech und von Los folgen. Im westfälishe

Bauernvecein mag ja. Herr von Loës des

und Fremdwörtern wie: Bekämpfung des Individualismu®,

- Schmieding, Wallbreht, Frißen (Rees), Jerusalem,

durchaus -

mit solhen Schlag: -

apitalismus, Hebung des Mittelstandes und - genossenschaftlihe Be- Ne erganisation, Eindruck machen. Erkennt aber der rheinishe Bauer erst, wohin die Reise geht, dann werden die Herren Hoensbroech und Loë bei Seite stehen, denn man wird \ich die Errungenschaften der französischen Revolution, freies Erbrecht und Theilbarkeit des Besißes, nicht nehmen lassen wollen. Fch bin gewiß kein Freund der landwirthschaftlihen Vereine, aber ih laube, die Bauern werden einsehen, daß sie mit den Landwirthschafts- ammern vom Regen in die Traufe kommen. Das Zentrum will hier das Dreiklassenwahlreht, das es sonst mit uns ver- wirst; warum nicht den Wahlmodus der Handelskammern ? oft man wirkli eine so segensreihe Wirkung von den Landwirth- chaftskammern, so führe man sie fakultativ ein; es werden sich dann die Provinzen drängen, au diese Einrichtung zu bekommen. Nicht eine liberale oder konservative Frage ist dies, sondern eine rein praf- tische nüchterne Frage, welche sich dahin zuspißt, ob eine freie Vereins- organisation wirksamer ist als eine folhe bureaukratishe Zwangs- \hablone. Ein folhes Geseß wie dieses würde wie das begrabene Kaligeseß der Landwirthschast nur {ädlich sein.

Bei Schluß .des Blattes spriht der Finanz - Minister Dr. Miquel.

Die XV. Kommission des Hauses der Abgeordneten zur Vorberathung des Geseßentwurfs, betreffend den Bau eines Shiffahrtskanals vom Dortmund—Ems-Kanal bis zum Nhein, hat si folgendermaßen konstituiert : Abg. Stengel, Vorsitender; Abg. Boht, Stellvertreter des Vorsitßenden ; Abgg. von Riepenhausen-Crangen, Möller, Schwarze, Schriftführer; Abgg. von Buch, von O Graf zu Limburg-Stirum, Dr. von Quistorp- FKrenzow, inckler, Lucius, Dr. von Woyna, Dr. Hammacher, din von Kehler (Mülheim), Leppelmann, Graf Strachwiß, Wetekamp.

Der Wirkliche Geheime Rath und Shloß-Hauptmann von Posen Freiherr von Unruhe-Bomst, Mitglied des Herrenhau F 8, ist am 22. d. auf seinem Gute Langheinersdorf an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Der Ver- storbene gehörte dem Hause der Abgeordneten von 1852 bis 1855 und 1866 bis 1867, dem Reichstage, dessen zweiter Vize-Präsident er in der Session von 1887 bis 1890 war, von 1867 bis 1894 als Vertreter des dritten Posener Wahlkreises an. Sein Mandat als Mitglied des Reichstags legte Freiherr von Unruhe-Bomst vor einigen Wochen nieder. :

Entscheidungen des Neich8gerichts.

Die im Art. 29 Handelsgeseßbuchs vorgeschriebene Eröffnun gs- bilanz (Aufnahme einer Inventur und Bilanz des neuen Geschäfts) hat, nah einem Urtheil des Reichsgerichts, 11. Strafsenats, vom 19, Januar 1894, regelmäßig der frühere Gemeinschuldner, wenn er nah beendigtem Konkurse ein dem früheren gleiches Geschäft eröffnet, zu ziehen. Ueber das Vermögen des Kaufmanns W. war am 3. März 1891 der Konkurs eröffnet. Das Verfahren wurde dur einen am 25. Juni 1891 bestätigten Zwangsvergleih beendigt. Der Vergleich verpflichtete den W., den bevorrechtigten Gläubigern Voll- zahlung zu leisten, den anderen 50 9/6 ihrer Forderungen in drei näher bestimmten Naten zu zahlen. Auch stellte W. einen Bürgen, der für die Bürgschaft eine Vergütung von 700 4 erhielt. Nah Beendigung des Konkursvperfahrens eröffnete W., in seinem früheren Laden wîeder sein Manufakturwaarengeschäft, unterließ aber die Aufnahme einer Inventur und stellte nur eine vermeintlihe Eröffnungsbilanz auf, in welher er den Waarenbestand willkürlich mit einem die Taxe im Konkursverfahren wesentlih übersteigenden Werth ansette, obwohl während des Konkurses der Waarenbestand durch Ausverkauf eine Minderung erfahren hatte. Jm Oktober 1893 wurde über das Ver- mögen des W. von neuem der Konkurs eröffnet und W. wegen Bankerutts" aus § 210 Nr. 3 K.-O. zu Strafe verurtheilt. Die Revision des Verurtheilten wurde vom Reichsgericht verworfen, indem es begründend ausführte: „Durch den Konkurs verliert zwar der Gemeinschuldner niht seine Verfügungsfähigkeit, und es bleibt die Möglichkeit, daß er {hon während des Konkurses ein kauf- männisches Geschäft für eigene Rechnung betreibt. Jn solchem Falle beginnt er aber offenbar ein neues Geschäft, weil die wirthschaftlichen Unterlagen des früheren Geschäfts fehlen. Das Gleiche gilt der Negel nah, wenn der frühere Gemeinschuldner nah beendigtem Konkurs wieder ein kaufmännishes Geschäft betreibt. Eine Ausnahme kann allerdings namentlich dann eintreten, wenn der Konkurs durch Einstellungsbeshluß oder durch Zwangsvergleich beendigt war und durch das Konkursverfahren die wirth- shaftlihe Grundlage des früheren Geschäfts feine wesentlihe Aenderung erlitten hat. Im vorliegenden Fall ir aber dur den theilweise erfolgten Verkauf des Waarenlagers und dur die erwähnten Bestimmungen des Zwangsvergleihs eine folhe Aenderung herbeigeführt.“ (4286/93.)

Die Bestimmung des am 1. Januar 1893 in Kraft ge- tretenen § 82þ des Krankenversicherung8geseßes vom 10. April 1899, daß Arbeitgeber, welhe den von ihnen beschäftigten Personen auf Grund des § 93 Lohnbeträge in Abzug bringen, diese Beträge aber in der Absicht, sih oder einem Dritten einen rechtswidrigen

ermögensvortheil zu verschaffen, oder die berehtigte Ge - meindekrankenversicherung oder Krankenkasse zu ihädigen, den leßteren vorenthalten, mit Gefängniß 2c. bestraft werden, findet, nah einem Urtheil des RNeichsgerichts, ITL.Strafsenats, vom 26.Fanuar 1894, aud) dann Anwendung, wenn der Lohnabzug kurz vor dem 1. Januar 1893 gesehen ist und der abgezogene Betrag noch nach dem 1. Ja- nuar 1893 vorenthalten worden is. Zur Bestrafung dieser Vor- enthaltung ist nicht das Ins-Augefaf sen, sondern nur das Be - wußtsein des Thäters, daß er einen rechtswidrigen Vermögens- vortheil verschaffe oder die Kasse schädige, erforderli. S. hatte im November und Dezember 1892 den von ihm beschäftigten Maurern a der wöchentlichen Lohnzahlung 44 4 und 12 4 als E titrag in Abzug gebracht, aber vor dem 19. Juni 1893 niht an die Kranken- kasse abgeführt. Wegen Vergehens gegen das Krankenversicherungsgesetz vom 10. April 1892 angeklagt, wurde S. von der Strafkammer frei- gesprochen, weil die Lohnabzüge vor dem Inkrafttreten des Lee geschehen waren und außerdem S. bei den Lohnabzügen die Vor- enthaltung nit ins Auge gefaßt hätte. Auf die Revision des Staats- anwalts hob das Reichsgericht ‘das erste Urtheil auf, indem es be- gründend ausführte: „Das die Strafbarkeit des im § 82bþ des 4 enver] ihherung8geseßes vorgesehenen Vergehens begründende Moment va eht in der Nichterfüllung der in § 52 daselbft vorgesehenen Zahlungs- erpflihtung. Dieses «„Borenthalten“ fällt auch in die Zeit nah dem Frtafttreten der Novelle. . .. Anzuerkennen ist, daß man aus dem E „Absicht“ im Hinblick auf die ähnliche Vorschrift in § 263 L. ws unter „Absicht“ ein über das Bewußtsein des rehts- Beefiaaen Grfolges hinausgehendes Ins-Augefassen eines weiteren Ziels Abfige „wird, zu Zweifeln Anlaß nehmen fann. Allein das Wort D ist in § 82b, wie in § 266 St.-G.-B., gleihbedeutend mit

oder Bewußtsein gebraucht. . . .“ (4422/93.)

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Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts. ihren thatsächlich bestehender,

Ï er, über ein Privateigenthum er, gegen den Willen des Eigenthümers vom benußter Weg kann, nach einem Urtheil des Ober-Ver-

ll

waltungsgerichts, I1V. Senats, vom 17. Oktober 1893, nicht polizei- lih, als für den öffeutlihen Verkehr nothwendig, fie de Anspruch genommen werden, selbst wenn dieser Weg {hon seit vielen Jahren besteht und ohne die Genehmigung des Eigenthümers vom Publikum benußt wurde. Ueber das Gehöft des Schmiedemeisters K. tin der Ortschaft C. (Ostpreußen) führte seit vielen Jahren ein

ußweg, welcher stets gegen den Willen des Eigenthümers vom Publikum- benußt wurde. Um endlich diesen Verkehr dur sein Grund- tüd aufzuheben, sperrte K. den Fußweg ab. Hierauf wurde dem K. von der Ortspolizeibehörde die Sperrung des Weges untersagt, indem sie annahm, daß sie berechtigt sei, einen thatsählih bestehenden Weg für den öffentlihen Verkehr in Anspruch zu nehmen, sobald derselbe vom Publikum benußt und für den öffentlichen Verkehr nothwendig sei. Auch behauptete sie, der Da habe seit unvordenklicher Zeit bestanden und sei zur Kommunikation benußt, lange bevor das Grundstück aus dem Kommunalbesiz in Privatbesiy übergegangen sei. Die von K. gegen den Amtsvorsteher erhobene Klage wurde vom Kreisaus\{chuß als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen seßte der Bezirks- aus\chuß die angefohtene Polizeiverfügung außer Kraft und auf die Ne- vision des Amtsvorstehers wurde vom Ober-Verwaltungsgericht die Ent- scheidung des Bezirksausshusses- bestätigt, indem es begründend aus- führte: „Unbestritten ist, daß Kläger auer des Grund und Bodens i}, über den der streitige Weg läuft. Dies Eigenthum macht das Bestehen eines öffentlihen Weges niht unmöglih. Nach dem Gesetz spricht aber die Vermuthung für die Freiheit des Elacntiuaus 181 Tit. 7, § 23 Tit. 8, § 14 Tit. 19 Th. 1 A. L.-R.). Soll also der Eigenthümer gleichwohl polizeilich angehalten werden können, den Verkehr des Publikums auf seinem Grundstück zu dulden, so muß das rechtliche Bestehen des Weges als eines öffentlichen be- wiesen werden. Diefer rechtlihe Bestand ist die nothwendige Vor- ausfezung der polizeilihen FJnanspruhnahme des Weges für den öffentlichen Verkehr. Es wird aber fkeines8wegs allein durch die Thatsache, daß {ih das Publikum auf einem Wege bewegt hat, und daß der Weg „einem Verkehrsbedürfniß des Publikums ent- spricht, dargethan, es wäre denn, daß aus diesen Thatsachen weiter gefolgert werden könnte, daß der Weg mit Zustimmung des Eigen- thümers für den öffentlihen Verkehr bestimmt, demselben gewidmet und fo ein öffentlicher geworden ist... . Es kommt auch in L etracht, daß das bloße, wenn auch noch so lange Bestehen des Weges für die Frage der Oeffentlichkeit nicht bedeutsam ist, sodaß der Vorder- richter fo, wie geschehen," allerdings die Behauptung (des Bestehens und der Benußung des Weges feit unvordenklicher Zeit) als nicht erheblich behandeln konnte.“ (IV. 1053.)

__— Nat § 7 a des Kommunalsteuergeseßes vom 27. Juli 1885 wird bei BVersicherungs-, Bank- und Kreditge schäften deren Betrieb sih über mehrere Gemeinden erstreckt, derjenigen Ge- meinde, in welcher die Leitung des Gesammtbetriebes stattfindet, der zehnte Theil des Gesammteinkommens vorab überwiesen, dagegen der Ueberrest nah Verhältniß der in den einzelnen Gemeinden erzielten Bruttoeinnahmen vertheilt. Jn Bezug auf diese Bestimmung hat das Dber-Verwaltungégeriht, IT. Senat, durch Urtheil vom 20; Oktober 1893 ausgesprohen: Seit dem Inkrafttreten des preußischen Einkommensteuergesezes vom 24. Juni 1891 ist bei einem folhen über preußishe und außerpreußishe, im deutschen Bundesgebiet liegende Gemeinden \ih erstreckenden Geschäft die Sißgemeinde behufs Berehnung des Präzipuums von 10% nur be- rechtigt, das in Preußen für die Staatseinkommensteuer ermittelte Einkommen in Betracht zu ziehen. Dagegen is bei einem folchen über preußische und nichtpreußische Gemeinden sich erstreŒendem Geschäft die Siygemeinde behufs Berehnung des Präzipuums von 109%/0 berechtigt, das thatsächliche Gesammteinkommen aus dem in- und ausländischen Betrieb in Betracht zu ziehen. „. . Die An- nahme ist nahegelegt, daß der § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergeseßes vom 24. Juni 1891 („Der Kommunalbesteuerung [der Aktiengesellschaften 2c.] ist das ermittelte Cinkommen ohne den Abzug von 34 9% zu Grunde zu legen“) nur da Anwendung finden foll, wo das \taats\teuerpflichtige und das kommunalsteuerpflihtige Einkommen einander decken. Gewiß gehören dahin die Fälle, wenn der Betrieb einer Aktien- gesellshaft sih nur in einer preußishen Gemeinde vollzieht, sowie wenn er sih über mehrere preußische Gemeinden erstreckt. Dagegen ist jene Vorausseßung die Kongruenz dann nit gegeben, wenn der Betrieb sich auch über das außerdeutsche Ausland erstreckt ; denn das hier erzielte Einkommen unterliegt in Preußen zwar der Einkommensteuer, niht aber au der Gemeindesteuer, da grundsäßlich die Gemeinden nur das in ihnen eingehende Einkommen heranziehen dürfen. Greift indeß der Gewerbebetrieb nur hinüber in deuts ches Bundesgebiet, so ist die Vorschrift in § 16 Abs. 3a. a. O. wiederum anwendbar, da nach § 6 Nr. 1 des Einkommensteuer- gefeßes vom 24. Juni 1891 das in anderen deulschen Bundesstaaten erzielte Einkommen von der preußischen Einkommensteuer nicht erfaßt wird, hier also eine Uebereinstimmung für Staat und Gemeinden über die auszuscheidenden Theile besteht und beide mithin dasselbe Objekt besteuern. Auch muß der Klägerin darin beigepflichtet werden, daß, insoweit ein Fall der Kongruenz vorliegt, mit welchem der Inhalt des Kommunalsteuergeseßes vom 27. Juli 1885 unvereinbar ist, dieser Ee als durch § 16 Abs. 3 a. a. O. entsprechend modifiziert an- gesehen werden muß, und das trifft dann zu, wenn der Betrieb einer Aktiengesellschaft sich über preußishes Gemeinde- und Bundes- gebiet nur solhes erstreckt. Denn in diesem Falle ist das \taatsfeitig ermittelte Einkommen der Besteuerung seitens der Ge- meinden zu Grunde zu legen und damit bleibt es ausgeschlossen, auf das Gesammteinkommen zu rekurrieren, während nach der in beständiger Nechtsprehung zur Geltung gebrachten Auslegung des § 7a des Ge- seßes vom 27. Juli 1885 bisher die Sißgemeinde behufs Berehnung des Präzipuums von 109% berechtigt war, das Gesammteinkommen, also auch das in deutschen Bundesstaaten erzielte, in Betracht zu ziehen. Dagegen ist der die Berehnung des Präzipuums betreffende frühere Nechtszustand bestehen geblieben, sofern § 16 Abs. 3 keine An- wendung findet.“ (ITI. 1028.)

Kunst und Wissenschaft.

4+ Eine Ausstellung der Münchner Freien Vereinigung bei Gurlitt beweist aufs neue, wie reich und vielgestaltig das Kunstleben an der Isar sih entwickelt. Bis auf einen aus Dresden stammenden Maler, G. Luehrig sind die Aussteller in Berlin bereits bekannt. T. H. Heine, der auf der leßten Sommer-Ausftellung mit seiner „Exekution“ so lebhaften Widerspru erregte, weil man an diesen Malerscherz den Maßstab ernster Kunst anzulegen für gut befand, zeigt sein Talent diesmal von verschiedenen neuen Seiten. Vortreffliß gelungen sind zwei Landschaften in sattgrünem Ton, groß in den Formen und voll atmosphärishen Lebens. Ein weiblihes Porträt, eine Farbenstudie in gelbgrau, \ticht dur die vornehme Zartheit des Ausdrucks vortheilhaft ab von dem bereits von der akademischen Ausstellung her bekannten Männerbildniß mit grünem Hintergrund. Den wibßigen Illuftrator der „Fliegenden Blätter“ erkennt man aus den beiden Bildern: „vor Sonnencultank und „eine Lilie“, wie aus den archaisierenden Federzeihnungen „der Kampf mit dem Drachen“. Jedenfalls besißt München in dem 1867 in Leipzig geborenen Maler einen criginellen Charakterkopf mehr, dessen Entwickelung in mancher Beziehung frohe Erwartungen erweckt. Weniger selbständig, bei aller zur Schau getragenen Ertravaganz, er- sheint Otto EckEmann. Aus dem Lager der Naturalisten ist er in das der Symbolisten übergegangen, ohne daß aus seinen Werken die Nothwendigkeit dieser Entwicke- lung hervorginge. Man hat vielmehr die Empfindung, als passe sich Eckmann der jeweiligen Moderichtung in etwas E liher Weise an. Die Kritik hat zum theil mit zu optimistishem Beifall den Wandel künstlerisher Anschauung, die heute zu einem krankhaften Sensitivismus hinneigt, begrüßt. Nichts rächt sich aber

Mlamer, als das Kokettieren mit einer Kunstweise, die als unbedingte : N Naa, des Erfolgs eine starke Persönlichkeit verlangt. o diese fehlt, wirkt die erborgte Phantastik hohl und lächerlih. Die Walter Crane und Hofmann nachempfundenen Bilder Eckmann's, der ein mittelmäßiges Können an eine Riesenaufgabe seßt, können als warnendes Beispiel für den verhängnißvollen Drang zum Uebermodernen gelten. Wie fest und sicher stehen daneben Gestalten, wie Wilhelm Trübner, Leibl und Schlittgen! Selbst aus einer fo flüchtigen Kohlenskizze, wie sie Leibl in seinen „bayerischen Bauern ausgestellt hat, spricht eine vollkräftige Künstler- individualität. Auch Trübner ist mit einer Reibe vortrefflicher Bilder würdig vertreten, unter denen der Studienkopf einer alten Frau be- sonders energisch harafterisiert ist. Sch littgen, der aus der Reichs- hauptstadt nah kurzem Aufenthalt wieder nah München übergesiedelt ist, hat nur ein Knabenporträt, das bereits in der Sezessionisten- auéstellung des vorigen Sommers seine Kunst vertrat, beigesteuert ;- trop der raffinierten Behandlung von Licht und Farbe wirkt dasselbe frisch und unmittelbar. Hans Dldes derbe Pointillétehnik, die in zwei Blumenstücken unverkennbar ist hat einer weihverschwommenen Farbengebung Plaß gemacht, dur die der Künstler die Lichteffekte eines Interieurs mit feiner Wirkung wiederzugeben versteht. Auh Louis Corinth verfügt über große koloristishe Kraft, wie fein Wirthshausgarten am Fluß, sene Armen- stube und das Bildniß seines Vaters beweisen. Das Porträt des Landschafters Leistikow ift zwar äußerst lebendig iu Haltung und Aus- druck, auch von großer Aehnlichkeit ; indeß, ört die absihtliche Nach- lässigkeit der Ausführung, zumal das Format des Bildes im Widerspruch zu der sfkizzenhaften Behandlung steht. Japani- sierende Karikaturen in ges{mackvoller ornamentaler Umrahmung von Strathmann begegnen ebenfalls dem Einwand, daß für der- artige Stoffe die Maße zu groß gegriffen sind, wenngleih der Wider- \pruch zwischen geistigem Gehalt und Format nicht fo empfindlich ift, wie in den großen, in Kohle ausgeführten herzlih trivialen Todten- tanzbildern von G. Lührig. Lührig leistet als Aquarellist ungewöhn- lih Gutes, wie seine Landschaften darthun ; sein Versuch, die Mythen der Edda in das Gewand des italienishen Ouattrocento zu kleiden, ist indeß nit glücklich. Eine große Aktstudie von Slev ogt, eine NRingerschule darstellend, fei \{chließli4 noch als Beweis tüchtigen Könnens erwähnt, dem leider kein entwickelter Geshmack zur Seite steht.

In der gestrigen Nachmittagssißung des Preußischen Medizinalbeamten- Vereins (vergl. Nr. 95 La Bl) ees Kreisphysikus Dr, Nauck- Bredstedt über die Frage: „Welche hygienishen Untersuchungen sind den Physikern von Amtswegen zu übertragen ?" Er stellte folgende Leitsäße auf: „A. Die örtlichen Ge- fundheitsbeamten, d. h. die Physiker, sind im Interesse der allge- meinen Wohlfahrt und behufs Förderung ihres hygienisen Wissens und Könnens in größerem Umfang, als bisher geschehen ist, mit Unter- suhungen hygienisher Art von Amtswegen zu beauftragen. B. Als folche Untersuchungen können in Vorschlag gebraht werden : D die bakteriologishen chemischen Untersuchungen der Brunnen, bezw. Wasserfiltrieranlagen ; 2) die Bestimmung des Fettgehalts und der Inkubationszeit der Milch; 3) die Untersuchungen der Luft in ôffent- lichen Räumen auf Kohlenfäuregehalt; 4) bakteriologishe Unter- suchungen zur Feststellung ansteckender Krankheiten. C. Die Physiker sind mit den für diese Untersuchungen nöthigen Apparaten, Reagentien u. }. w. auf öffentlihe Kosten, sei es des Staats oder der Ge- meinden auszustatten. Desgleichen müssen die Physiker berechtigt sein, für die Ausführung der Untersuchungen besondere Gebühren zu beanspruchen, _deren Höhe nah dem erforderli gewesenen Zeit- auswand zu bemessen ist.“ Die Versammlung hielt mit dem Refe- renten für wünschenswerth, daß die Physici in größerem Umfang, als bisher, zu derartigen Untersuhungen beauftragt würden, glaubte aber, daß eine Entscheidung über den Umfang dieser Thätigkeit erst mit der Erledigung der Medizinalreform getroffen werden müsse. Stadt- physikus Dr. Mittenzweig - Berlin sprach über Wahn- finn und Blödsinn unter a Tag R einer Entscheidung des Neichsgerihts vom 13. März 1893. Nach der bisherigen Praxis wurde Wahnsinn da angenommen, wo der Gebrauch der Vernunft ausges{lossen ist, während man denjenigen für blödsinnig hält, bei dem diefer Gebrauh nur eingeschränkt ist. Die angezoyene Reichs- gérichtsentscheidung hat anerkannt, daß auch der für wahnsinnig zu erflâren ift, bei dem der Auss{luß des Gebrauchs der Vernunft auch nur zeitweise eintritt. Sowohl der Redner, wie der Irrenanstalts- und Gefängnißarzt Dr. Leppmann- Berlin hielten diese Auslegung für einen Fortschritt, durh den manche bisherige Ungerechtigkeit be- seitigt werden könne. Zum Schluß begründete der Vorsißende den zum Beschluß erhobenen Antrag der Medizinal-Beamten des Regierungs- bezirks Minden: _„Die Hufeland’shen Stiftungen genügen nicht den Anforderungen, die an eine Unterstüßungskasse für nothleidende Aerzte und deren Hinterbliebene zu stellen sind. Jhre Statuten bedürfen einer Abänderung, insbesondere auch nah der Nichtung hin, daß in denselben die Mitwirkung der Aerztekammern vorgesehen wird." Wie der Referent ausführte, wünscht man vor allem Ausdehnung - der Unterstüßung auf Waisen.

, In seiner heutigen Schlußsißung beschäftigte sih der Kongreß zu- nächst mit der Frage der Untersuchung und bygienischen Beurtheilung von Brunnenanlagen in kleineren Städten und auf dem Lande. Der Referent, Kreisphysikus Dr. Schröder-Wollstein betonte die Nothwendigkeit des Erlasses einheitlih für den ganzen Staat gültiger, arer und bestimmter Vorschriften über die Herstellung und dauernde Ueberwachung der Wasserversorgungsanlagen. Die neun, seine An- sichten enthaltenden Leitsäßge fanden die Zustimmung der Ver- sammlung. Kreisphysikus, Sanitäts-Rath Dr. Philivp- Berlin sprach fodann über „Revisionen der Krankenhäuser“. Er be- tonte nawdrücklich die Nothwendigkeit, daß im allgemeinen staatlichen, wie im Interesse der Kranken sämmtlihe Krankenanstalten regel- mäßigen aber unvermutheten Revisionen feitens der zuständigen Me- dizinalbeamten unterzogen würden. Der Redner stellte zum Schluß vier längere E auf. In der Diskussion nahm u. a. auch der Regie- rungs- und Medizinal-Nath Wernich vom hiesigen Polizei-Präsidium das i Wort Um speziel auf die einshlägigen Verhältnisse in Berlin einzugehen, wo die Privatkrankenhäuser auch der be- rühmtesten Professoren, u. a. aber auch die mediko-mechanischen An- stalten jährlich einer Revision unterzogen werden. Regierungs- und Medizinal-Rath Raymund-Minden wünschte die Revision auch auf die Armenpflegehäuser ausgedehnt zu wissen. Im übrigen wurde mehrseitig betont, daß mehr als bisher die Baubeaussihti- gung und die Konzessionierung streng gehandhabt werden müßten. Die beiden Hauptleitsäße, welhe die Nothwendigkeit regelmäßiger und unvermutheter Revisionen betonten, „die nicht gelegentliÞ anderer Dienstgeshäfte mit abgemacht werden können“, fanden die Zustimmung des Kongresses; ebenso, aber init geringerer Majorität, wurde die These 3 genehmigt, welche die gesammte sanitäre Beschaffenheit des Krankenhauses der Revision unterstellt wissen will. Die These 4, welche“ die Revision der Brauchbarkeit des Personals und die Qualifikation des Arztes betraf, wurde abgelehnt. Mit der Wiederwahl des Vorstandes a der Kongreß, dessen Mitglieder sich sodann nah Herzberge zur Besich- tigung der dortigen städtischen Irrenanstalt begaben.

Die gestrige, zahlreich besuhte Generalversammlung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft in Weimar, welcher nah dem Bericht der „Thür. Korr.“ Ihre Königliche Hoheit die Groß- herzogin von Sachsen beiwohnte, wurde von dem S der Gesellschaft, Geheimen Kommerzien-Rath Dr. Dechelhäuser mit einer Ansprache eröffnet, in welher er nach Begrüßung der hohen Protektorin einen Rücblick auf die seit Begründung der Gesellschaft verflossenen dreißig Jahre warf. Der Redner zeiate, wie die Pflege Shakespeare’'s durch die Wirksamkeit der Gesellschaft in ODeutshland gewonnen habe, in der Literatur, auf der Bühne und in den breiten Schichten der Nation. Sodann erstattete der Präsident den Jahresberiht. Darnach beträgt die Zahl der Mitglieder wie im Vorjahre 227, während das Vermögen der Gesellschaft sih auf 19350 4 beläuft, in Wahrheit aber höher fein

dürfte, da bei dieser Angabe die Bibliothek nur nach dem Werth ihrer