1894 / 96 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 24 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Ee R R H: t a eE L E IBEA

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

55. Sißung vom 23. April 1894.

Jm weiteren Verlauf der zweiten Berathung des Geseß- entwurfs über die Landwirthschaftskammern (s. den Anfangsberiht in der Montags - Nummer d. Bl.) nimmt nah dem Abg. Grafen von und zu Hoensbroech (Zentr.) das

Wort der : : / Abg. Ehlers (fr. Vg.): Die sachlichen Bedenken, welche in der ersten Lesung die Herren Schmig-Erkelenz und: von Puttkamer- Plauth vorgebracht haben, find dur die ‘Kommissionsberathung nicht beseitigt; damit ist allerdings das Urtheil des Herrn von Erffa über mich: gefällt; ih: muß den Vorwurf- der Voreingenommenheit hinnehmen. Woher nimmt Herr von Erffa das Recht zu einem Urtheil, das auch Personen trifft, die niht auf der linken Seite Men, Wie kann Herr von Erffa jeden Liberalen als einen Feind der andwirth- schaft bezeichnen ? Dabei befinden wir uns in guter Gesellschaft, denn die höchsten Spitzen der Reihs- und Staatsregierung sollen ja au einde der Landwirthschaft sein. Wie kann man diese, unpolitische rage der Organisation in das politische Fahrwafser e Ich abe ein ebenso großes, au materielles Interesse an der andwirth- schaft, wie viele Herren auf der Rechten; ih werde aber troßdem gegen die Vorlage stimmen, weil die Organisation den Fnteressen der Laänd- wirthschaft niht entspriht. Herr von Loë freilih hofft, daß aus der Vorlage eine vollständige Organisation der Gesellschaft nah ver- befsertem mittelalterlihen Muster sich entwickeln soll. Mit Geseßes- paragraphen macht man fo etwas nit. Denken Sie an den Volks- wirthschaftsrath, an die N Uw. Wo sind diese Gebilde geblieben? Der Geseyentwurf erweckt nur Hoff- nungen bei den Lndwirthen, die nie erfüllt werden; die Landwirthe würden nicht für die Vorlage sein, wenn sie hofften, M Bas der Annahme derselben alle Noth ein Ende haben werde. Wenn erst solche bureaukratischen Organisationen geschaffen werden müssen, um der Landwirthschaft die ihr zukommende Stellung zu verschaffen, dann hat die Regierung bisher niht ihre Pflicht erfüllt. Sind denn die Landwirthe dié Stillen im Lande, die ihre Interessen nicht ver- treten? Hat die Regierung von dem Bunde der Landwirthe niemals etwas vernommen? Die Regierung will der Landwirthschaft helfen, es. fehlt ihr aber ein Mittel: die Landwirthschastskammern. Warum is man nicht schon Mitte der siebziger Sahre unter dem Flirsten Bismark auf diesen hellen Gedanken gekommen? Gs sind niht alle Landwirthe in die Organisation hineingezogen und selbst, wenn das der Fall wäre, was ist dadurh gewonnen ? Man zieht da- mit diejenigen heran, welche sih bisher an dem Vereinsleben nicht be- theiligt haben. Ich habe bisher angenommen, daß die freiwilligen Vertreter von Interessen immer die besten wären. Jegt scheint man die besten unter denen zu suchen, die bisher nicht hervorgetreten sind. Das eigene Besteuerungsreht hat man gerühmt ; “aber in der Kom- mission hat man es eingeschränkt, wohl mit Rücksicht darauf, daß die Staatszuschüsse niht gekürzt werden. Dann stehen die Landwirth- \chaftsfkammern auch niht auf eigenen Füßen. Es soll ein Beirath für die Regierung geschaffen werden! Haben wir deren nicht genug? Ft nicht beinahe jeder gebildete Mann jeßt în irgend einer Form Bei- rath der Regierung? Da heißt es dann au: Nathet mir gut, sagt die Braut; aber rathet mir nicht ab. Es giebt so viele Beiräthe, daß die Regierung niht einmal mehr überallhin Antwort geben kann. Welche Hoffnungen haben sich an die Eisenbahnräthe angeknüpft! Bei der Einführung der Staffeltarife haben diese sich dagegen aus- gesprochen. Ihr Rath wurde nicht beachtet. Als die Regierung die Staffeltarife aus anderen Gründen aufheben wollte, da wurde der Landes-Eisenbahnrath einberufen, weil man wußte, daß er dagegen feinen Widerspruch erheben würde. So wird es bei jeder Regierung gehen, auch wenn Eugen Richter an die Spitze gestellt werden würde. Warum soll die Regierung niht den bestehenden landwirthschaft- lichen Organen die Befugnisse gewähren, welche sie den Landwirth-

\chaftskammern zukommen as will? Die verschiedenen Organisationen

für Unfall- und Altersversicherung u. 10. abforbieren {hon eine fo große Menge von Kraft, daß man eigentlich aufhören müßte, neue Organisationen zu schaffen, damit die Leute Zeit erhalten, sich prak- tisch ihrem eigentlihen Beruf zu widmen.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat mit feiner Aufforde- rung, den Gesegentwurf abzulehnen, die Behauptung verbunden, die Landwirthschaftéskammern würden sih als ein leerer Schatten erweisen und keinen Nuten für die Landwirthschaft bringen. Meine Herren, die Landwirthschaftskammern, wenn sie ins Leben treten, werden das sein, was sie aus sih selber machen. (Sehr richtig! rechts.) JIeden- falls ist die Behauptung des Herrn Vorredners und die ist auch von anderer Seite getheilt worden —, daß dur die Errichtung von Land- wirthschaftskammern das jeßt bestehende freie Vereinsleben zerstört werde, eine hinfällige und unrichtige. (Sehr richtig! rechts.) Ich gebe zu, daß in den Motiven eine Andeutung nah dieser Nichtung enthalten ist. Ich habe aber bereits in der Kommission diese Fassung bereitwillig preisgegeben, wie au bei den früheren Verhandlungen hier im Hause fein Zweifel darüber gelassen ist, daß die Staatsregierung in Ueber- einstimmung mit den Parteien, welche sich für diese Angelegenheit interessieren (Rufe: lauter!), die bisherige Thätigkeit nicht bloß der Zentralvereine, sondern hervorragend der Lokal- und Kreis- vereine in jeder Beziehung anerkennt, und daß kein Zweifel darüber besteht und bestehen kaun, daß die Thätigkeit der Kreis- und Lofalvereine auch in Zukunft, wennmöglih in erhöhtem Maße als bisher, fortdauern und wachsen muß. Allerdings, die Bentralvereine das ift au meine Ueberzeugung werden neben einer in den Landwirthschaftskammern organisierten Landwirthschaft keinen Plaß auf die Dauer haben. (Hört! hört!) Es handelt sich dabei nicht um eine plößliche Aufhebung, eine gewaltsame Beseitigung derselben, sondern um eine Vershmelzung im Wege der Vereinbarung mit den Kammern.

Meine Herren, das erscheint vielen unübersteiglih. Der Herr Vorredner hat selber ausgeführt: es ist garniht zweifel- haft, daß die thätigen Elemente in den jeßigen landwirth- \chaftlihen Zentralvereinen auh wieder ihren Play in den Land- wirths{chaftskammern einnehmen werden. Das ist auch meine Ueberzeugung. Wir haben ja derartige Vorgänge, daß bestehende Organisationen in andere übergeleitet worden find, do schon gehabt. Bei der Einführung der Provinzialordnung sind die in den einzelnen Landestheilen bestehenden Kommunalverbände durch freie Vereinbarung auch übergeführt worden in die jetzigen Provinzialverbände. Das hat fich ohne Schwierigkeit vollzogen ; ih bin überzeugt, so wird es au in diesem Falle sein. (Nufe: lauter!)

Nun hat ja Ihre Kommission empfohlen, den § 1 der Regierungs- vorlage unverändert anzunehmen. Troydem gebe ih mich gar feiner Fllusion darüber hin, daß damit die Angelegenheit bereits entschieden sei, daß ih mit Sicherheit darauf rechnen fönne, daß diefer Geseßz- entwurf in der von der Staatsregierung vorgelegten und theilweise von Ihrer Kommission ja abgeänderten Fassung auh Gesetz wird. Ih trage bei diesem Zweifel der Wahrnehmung Rechnung, daß zweifellos in der jeßigen Tagung der Parlamente mehr

Meine Herren, wenn diese Abneigung besteht, so stehe ih doch der Entschließung des Hauses resp. der beiden Häuser in diesem Falle sehr ruhig gegenüber. In diesem Gesetz- entwurf verlangt die Königlihe Staatsregierung keinerlei Voll- machten für sich, fie verlangt namentlich keine Mittel für sich, sondern sie hat den Geseßentwurf lediglih im Interesse der Landwirthschaft vorgelegt, um die Interessen der Landwirthschaft zu fördern. Die Staatsregierung {hlägt Ihnen vor, der Landwirthschaft eine völlig selbständige und unabhängige Organisation zu geben.

Es ist vielfa so dargestellt, als ob die jeßige freie Vereins- thätigkeit dur diese Vorlage ih möchte sagen in die Schnür- stiefel einer von der Staatsaufficht vollständig abhängigen Organisation eingespannt werden follte. Keineswegs , meine Herren! Davon ist gar keine Rede. Wenn die Vorlage Gesey wird, \o organisieren und wählen sh die Kammern vollständig selbständig, sie sind vollständig frei in dem, was fie thun wollen, was sie im Interesse der Landwirthschaft \{chaffen wollen. Es werden ihnen bloß im großen und ganzen Verpflichtungen auferlegt, daß, wenn die Staatsregierung Rath und Auskunft haben will, sie diese au. ertheilen. müssen. Nun ist von verschiedenen Seiten und zwar von denjenigen, welche si gegen die obligatorishe Einrichtung der Kammern aussprechen, gesagt: eine fakultative Einrichtung der Kam- mern genüge für die Landestheile, die davon Gebrauch machen wollten, man erreiche damit ganz dasfelbe Ziel.

Fa, meine Herren, nah der ganzen Vorgeschihte des Geseß- entwurfs kann gar fein Zweifel darüber bestehen, daß, wenn die Staats- regierung dem Hause einen Gesetzentwurf wegen fakultativer Ein- rihtung von Landwirthschaftskammern vorgelegt hätte, daß sie damit auf sehr viel weniger Schwierigkeiten fgestoßen wäre, daß sie über manche Punkte, welche jeßt, wo man sie schärfer unter die Lupe nimmt, dem einen oder anderen niht gefallen, besser hinweggefommen wäre, daß man auf diesem Wege in ein- zelnen Provinzen die Kammern eingeführt hätte und dann in anderen Provinzen voraussichtlich auch eine Nachfolge stattgefunden hätte. Gerade diese voraus\ihtlich unabweisbare Nachfolge war eins der Bedenken, welche im Landes-Oekonomie-Kollegium zu Tage getreten sind, weshalb ein Theil die ganze Organisativn, auch die fakultative, dort nicht haben wollte, weil die der Sache abgeneigten Herren sich darüber klar waren, daß voraussichtlih, sobald sich ein Theil der landwirthschaftlichen Zentralvereine zu Landwirthschaftskammern um- gestaltet haben würde, die übrigen nachkommen müßten, wenn sie nicht eine Vertretung zweiter Klasse sein wollten.

Wenn nun die Staatsregierung troy dieser ja in taktischer Be- ziehung für die Vorlage eines Gesetzentwurfs mit fakultativer Ein- rihtung von Landwirthschaftskammern \prehenden Gesichtspunkte dennoch geglaubt hat, Ihnen die obligatorische Einrichtung vorschlagen zu follen, so haben folgende Erwägungen sie dazu geführt.

Erstens und das is} bereits von Herrn von Erffa hervor- gehoben sind die landwirthschaftlihen Zentralvereine keine aus- reichende Vertretung der Landwirthschaft, da sie ihrer ganzen ersten Einrichtung und ihrer ganzen Organisation nach sih lediglich mit tehnishen Fragen beschäftigen wollten und im wesentlichen beschäftigt haben ; nah unseren geseßlihen Bestimmungen waren sie auch nicht in der Lage, die wirthschaftspolitischen, die Landwirthschaft inter- essierenden Fragen so zu bearbeiten und sih mit ihnen zu beschäftigen, wie es im Interesse der Landwirthschaft nothwendig ist. Das können die jetzigen landwirthschaftlichen Vereine nicht.

Nun hat der Herr Vorredner mir den Vorwurf gemacht, ich hätte der Staatsregierung ein testimonium paupertatis ausgestellt durch die Erklärung auf Seite 2 des Berichts:

Die Bedeutung des vorliegenden Gesetzentwurfs liege zunächst in der Schaffung einer alle Landwirthe umfassenden unabhängigen und einflußreichen Organisation, welche die landwirthschaftliche VFnteressenvertretung zu übernehmen und der Landwirthschaft die ihr im Staats- und Wirthschaftsleben gebührende Stellung zu ver- hafen und zu erhalten haben würde.

Er hat gemeint: wenn die Staatsregierung die Landwirthschaft nicht in der ihr bisher im wirthschaftlichen Leben gebührenden Stellung erhalten und gewahrt habe, so habe sie damit ihre Pflicht verletzt. Das i} sehr leiht gesagt, meine Herren. Aber die Situation ist doch eine etwas andere. Wenn Sie sih vergegenwärtigen, von wann an wirthschaftspolitishe Frageu für die Landwirthschaft eine ebenso hervorragende Bedeutung wie für die Industrie und den Handel haben, so werden Sie dahin kommen; die Frist liegt noch gar nicht fo lange hinter uns. So lange wir in Deutschland ein Vieh und Korn exportierendes Land waren, waren für die Landwirthschaft diese Fragen von nicht hervorragender Bedeutung ; sie sind es erst geworden, seitdem wir zu einem Importland ge- worden sind. Nun, meine Herren, find wir Preußen doch aus einem reinen Agrarstaat herausgewachsen und fo lange wie dieser Agrarstaat ständish gegliedert war, waren die Interessen der Landwirthschaft in allen einzelnen Vertretungsforporationen, Staat, Provinz, Kreis voll- ständig ausgiebig vertreten.

Meine Herren, seitdem wir in den konstitutionellen Staat um- gewandelt sind, haben sich diefe Verhältnisse geändert. Wir haben und darüber ist niemand im Zweifel, daß unser ganzes Staats- leben und unsere Verhältnisse nur gedeihen können, wenn nicht bloß die Landwirthschaft, sondern wenn Landwirthschaft, Handel und In- dustrie gleichmäßig prosperieren wir haben, weil früher die Agrarverhältnisse vorherrschten, fett langer Seit“ gestreot mit len Mitteln \ die wir hatten, Handel uno Sitouitule zu fördern, und wir haben sie so gefördert, daß sie die Landwirthschaft ütberwuchert haben. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Meine Herren, in dem fonstitutionellen Staat is seiner ganzen Verfassung und Gnt- stehung nah das Interesse der Landwirthschaft niht in dem Grade gesichert, wie in dem alten ständischen Staat: das kann gar keinem Zweifel unterliegen. Es ist dies ganz natürli, weil anfänglich für die Landwirthschaft keine dringliGen wirthschaftlihen Inter- essen zu vertreten waren, weil, wie ich s{chon erwähnte, die ganzen wirthschaftépolitishen Fragen für dieselbe erst in neuerer Zeit in den Vordergrund getreten sind. Wie dieser Fall eintrat, da hatte die Landwirthschaft keine sie vertretende, die sie interessierenden Fragen bearbeitende und vertiefendeInteressenvertretung. Der Handelsstand hatte eine solche in denHandelskammern. Es wurde von dem HerrnVorredner ausgeführt, große Städte mit kaufmännischen Korporationen hätten es abgelehnt, Handelskammern einzurichten. Ja, das ist möglich. Aber die vorhandenen Handelskammern, ihre Verbindung unter-

befähigt sie, alle den Handelsstand gleihmäßig zu bearbeiten? das Material zusammenzutragen, und in Jahre langer vorbereitender Arbeit zur Reife zu bringen. Eine derartige Organisation und Thätigkeit fehlt der Landwirthschaft. Die Landwirthschaft muß eine solche Interessenvertretung haben, um diejenigen Fragen, die sie interessieren, in der öffentlihen Meinung zu besprehen und \o vorzubereiten- daß die große Masse dez Volks überzeugt wird, daß und wie die Fragen, welche im Interesse der Landwirthschaft begründet sind, gelöst werden müssen. Deshalb, meine Herren, ist eine Organisation der landwirth, schaftlichen Interessenvertretung erforderlih, und die Staatsregierung ist bereit, in dieser Vorlage sie der Landwirthschaft zu geben und mit den Häusern zu vereinbaren.

Aber noch ein anderer Gesichtspunkt war für die Staatsregierung maßgebend, die Landwirthschaftskammern nicht fakultativ, sondern obligatorisch zu gestalten. Meine Herren, ih will das niht im Detail weiter ausführen; es ist die Beurtheilung der Lage der Landwirthschaft in weiten Landestheilen unseres Vaterlandes.

Es ift heute von keiner Seite und auch nicht von seiten des Vertreters dec freisinnigen Partei die Nothlage der Landwirthschaft bestritten worden ; aber ih glaube do, daß es zweckmäßig ist, über meine Auffassung keinen Zweifel zu lassen. Jch werde hierzu ver- anlaßt, weil ich wahrgenommen zu haben glaube, daß in einem Theile der Tagespresse do die Situation viel leihter genommen wird, als sie genommen werden darf.

Meine Herren, die Verhältnisse der Landwirthschaft, und zwar niht bloß der Gutsbesißer, sondern auch der bäuerlihe Besißer sind in meinen Augen so ernst, daß sie die vollste Aufmerksamkeit in jeder Beziehung erfordern. (Sehr gut! rechts und im Zentrum.) Es ist von einer Enquôête gesprohen worden, welche die Staatsregierung veranlassen solle. Ja, meine Herren, umfangreihe Enquêten auf diesem Gebiete werden sehr lange Zeit erfordern, und gerade, um flar zu sehen über die Verhältnisse in den einzelnen Theilen des Landes, dazu bedarf die Regierung der Mitarbeit der organisierten Landwirthschaft. Wir haben inzwischen bereits eine Enquête, die über- rashende Ergebnisse geliefert hat; das i die Veranlagung zur Einkommensteuer. Jh weiß niht, ob der Herr Finänz-Minister vielleicht in der Lage ist, hierüber nähere Auskunft zu geben. Mir ist von den Zahlen, die sih bei der Bearbeitung des Einkommensteuer- veranlagungsmaterials ergeben haben, augenblicklid) in Erinnerung, daß von dem Einkommen aus ländlihem Grundbesitz, welches 3000 A übersteigt, zur Bezahlung der Schuldenzinsen in Anspruh genommen werden in einem Regierungsbezirk der östlichen Landestheile 65 9/0, in anderen 60 9/0; in den westlihen Landestheilen dagegen nur 14 bis 20 9%, Meine Herren, Sie werden es daher sehr ertlärlich finden, weshalb der Ernst der Lage, in der sich die Landwirthschaft befindet, in den einzelnen Landestheilen verschieden gewürdigt wird. Meine Herren, wenn ferner die Thatsache feststeht, daß die Verschuldung des länd- lihen Grundbesitzes in den leßten 10 Jahren um ca. 15 Milliarde gewachsen is (hört! hört !), daß auch in dem leßten Jahre, dessen Ermittelungen jeßt au abgeschlossen find, die Vershuldung wiederum um 200 bis 220 Millionen zugenommen hat (hört! hört!); wenn Sie si vergegenwärtigen, daß man den Werth unseres ländlichen Grund- besißes auf 20 bis 24 Milliarden {äßen kann und innerhalb zehn Fahren cine Mehrbelastung von 1s Milliarden stattgefunden hat; wenn Sie sih vergegenwärtigen, daß diefe Mehröelastung nicht den ganzen Werth des Grund und Bodens trifft, sondern nur denjenigen Theil, der noch den Besißern verblieben ist und das ist der gerin gere Theil —, fo werden Sie niht verkennen Tönnen, daß das Er \{heinungen sind, an denen man nicht achtlos vorübergehen darf. (Sehr richtig! rets.) L

Meine Herren, in meinen Augen besteht nun kein Zweifel darüber, daß, wenn man sich nit dazu entshließt, dem weiteren Fortschreiten dieser Verschuldung eine Grenze zu ziehen und die Quellen abzugraber, aus denen sie fließt, dann ein unabhängiger, felbständiger Grund besißerstand in einem großen Theile unseres Landes verschwinden wird, Es bleibt nichts übrig als eine Verwaltung des Grund und Bod für fremde Rechnung. Das ist ein Ausblick, der dazu zwi iber Mittel und Wege nachzudenken, ob und wie das zu verhindn ist. Aber die Fragen sind so schwierig, sie bedürfen einer fo ei gehenden Diskussion und Erwägung in den einzelnen Landestheilen, daß die Staatsregierung dazu der organisierten Landwirthschaft bedar.

Wenn der leßte Herr Vorredner gesagt hat, daß mit dieser Vor lage der Landwirthschaftskammern und mit der Anregung diefer Fragen Hoffnungen erregt werden, die nicht erfüllt werden könnten, und das er deshalb die Vorlage verwerfen wolle, so darf ih darauf hinweisen, daß die Staatsregierung bereits bei den früheren Verhandlungen et flärt hat, daß fie von dieser Vorlage eine Abhilfe der augenblickliden Noth nicht erwartet. Sollte in den Worten des Herrn Vorredner? eine Andeutung dahin gelegen haben, daß unter den Grundbesfißern die Hoffnung erweckt würde, man wolle sie kurzer Hand von ihrer Hypo thefenschuld befreien, fo kann davon felbstverständlih keine Rede [etn und ist auch nicht die Rede gewesen. Ich bin mir bewußt, bei allen Erörterungen in dieser Angelegenheit auf das peinlichste alles ver mieden zu haben, wodurhch irgendwelche unerfüllbaren Hoffnung" erregt werden konnten, weil alle niht erfüllten NBersyrechungel stets mit Unzufriedenheit “enden. ——

Meine Herren, ih habe {hon eingangs erwähnt: ich gebe mid betreffs des Schicksals der Vorlage keinen JIllusionen hin. Die Kom- mission hat vorgeschlagen, es bei den von der Regierung vorgesclagent! obligatorishen Kammern zu belassen. Ich wünsche das au. L! beiden zum § 1 gestellten Anträge, welche eine fakultative Gestaltung der Vorlage bezwecken, befinden sh auf Nr. 141 und 144 der Nef sahen. Der Antrag des Herrn Reinecke will die Errichtung der Land! wirthschaftskammer nur auf Antrag des Provinzial-Landtags E Meine Herren, ih glaube nicht, daß es sich empfiehlt, den Ov Landtag mit dieser Frage zu befassen, und würde empfehlen, diee Schlußsay zu \treichen. : 5

Der Antrag des Herrn Abg. vom Heede will die Errichtung Landwirthschaftskammern von dem Antrag der landwirthschaft Zentralvereine abhängig machen. Jch rathe davon ab, diesem Ant10s Folge zu geben.

Das von einer Seite ausgesprochene Bedenken, m Zentralvereine bei der Errichtung der Landwirthschaftskammern schieben, ist unbegründet; davon kann garnicht die Rede sein. ind als sfelbstverständlih angesehen worden, daß man bor Erlaß 5 ú Statuts für eine Landwirthschaftskammer mit dem Zentralvereln

an wolle e bei Seilt

(Fô

und mehr eine weitverbreitete Abneigung gegen den Erlaß neuer Gesetze überhaupt zu Tage getreten ist. (Sehr richtig !)

einander und ihre geseßlich anerkannte Organisation genügt und

; 2 Befstitl“ Berathung treten werde, sodaß es deshalb einer bezüglichen Vel

interessierenden Fragen

mung im Geseß garniht bedürfte. Jch habe das bei der ersten Be- rathung so bestimmt ausgesprochen, daß darüber kein Zweifel sein fann, daß man bei. diesen Verhandlungen die landwirthschaftlichen Zentralvereine betheiligen will. Dagegen würde ih erhebliche Be-* denken tragen, den Say: oder auf Antrag der Mehrheit der in einer Provinz vorhandenen landwirthschaftlihen Vereine können Landwirthschaftskammern er- rihtet werden für eine geordnete Grundlage zu halten.

Die Forderung, daß der Antrag von einer Mehrheit der in einer Provinz vorhandenen landwirthschaftlichen Vereine gestellt werden soll, ist zu unbestimmt, denu es wird sofort gefragt werden: welche landwirthschaftlichen Vereine kommen in Frage? nur die mit dem Zentralverein verbundenen Vereine oder auch alle fonstigen Vereine, die sih mit landwirthschaftlihen Angelegenheiten befassen auss{ließlih der Vogelschußvereine; ferner aber tritt sofort die Schwierigkeit da ein, wo mehrere landwirthschaftlihe Zentralvereine bestehen. Der Gedanke des Herrn vom Heede, der an sih sympathisch sein kann, ist praftish nicht ausführbar. Jch würde aus diesen Rük- sichten empfehlen, den Antrag abzulehnen.

Nun komme ih noch auf einige Bemerkungen, die von den Herren Borrednern gemacht sind. Herr von Erffa wünschte eine beruhigende Erklärung seitens des Herrn Finanz-Ministers dahin, daß die- jenigen Fonds, welche aus Staatsmitteln bisher den landwirth- \chaftlihen Vereinen zugeflossen sind, in der Folge den etwa gebildelen Landwirthschaftskammern wegen des ihnen bei- gelegten VBesteuerungsrehts nicht entzogen würden. Ich bin nicht zweifelhaft nah dem ganzen Stande der Verhandlungen, daß der Herr Finanz-Minister mih nicht desavouieren wird, wenn ih erkläre, daß in dieser Beziehung bei der Staatsregierung, wenigstens bei den jeßt in Frage stehenden Persönlichkeiten, nie der Gedanke be- standen hat, daß man aus dem Erlaß dieses Geseßes Veranlassung nehmen könnte, den Landwirthshaftskammern resy. den späteren Ver- tretern der landwirthschaftlihen Interessen das zu entziehen, was für landwirthschaftlißhe Zwecke bis jeßt in dem Staatshaushalt disponibel gestellt ift ; vielmehr hat das Bedauern bestanden, daß man mit Nück- ficht auf die Finanzlage zur Zeit nicht mehr für diefe Zwecke hat zur Disposition stellen können.

Dagegen glaube ih, eins nicht unwidersprocchen lassen zu dürfen resp. mein Bedauern ausdrücken zu müssen, daß Herr von Erffa es für nothwendig gehalten hat, in dieser Diskussion auszusprehen, daß bei der Reichsregierung und bei dem Reichstag kein Herz und kein Verständniß für die Landwirthschaft vorhanden sei (Zuruf rechts), und weiter ausgeführt hat, daß dies daraus hervorgehe, weil der Herr Reichskanzler im Reichstag au®geführt habe, daß die Angelegenheit der Landwirthschaft nicht Angelegenheit des Reichs sei. Meine Herren, ich habe bercits einmal Veranlassung gehabt, diese Frage hier zu berühren. Auch bei der leßten Verhandlung im Reichstag hat es sih nicht bloß im allgemeinen um die Lage der Landwirthschaft gehandelt, soweit sie mit den Maßnahmen des Reichs in Zoll- und Steuerfragen im Zu- sammenhang steht, sondern um die technische Förderung der Land- wirthshaft und Hebung der Nothlage; auch nah den leßten Ausfüh- rungen des Herrn Reichskanzlers ist es mir nicht zweifelhaft gewesen, daß diese Aeußerung so gemeint war. (Unruhe.) Meine Herren, ih hörte da eben das Wort „Verdrehung“; ih weiß nicht, ob der Herr Präsident das gehört hat.

Vize-Präsident Dr. Freiherr von Heereman: Er habe diesen Ruf nicht gehört, sonst hätte er ihn zweifellos gerügt.

Minister für Landwirthschaft 2c. von Heyden:

Meine Herren! Die fonstigen Ausführungen, welche bisher ge- macht worden sind, geben mir in diesem Augenblick keine Veranlassung, meinerseits weitere Ausführungen daran zu knüpfen. Jch kann aber mit der Bemerkung \{ließen: wenn von einer Seite gesagt ist, „es sei zu befürchten, wenn die gesetzgebenden Körperschaften diese von der Regierung gemachte Vorlage niht annehmen würden, würde ih die Regierung später darauf zurückziehen, wenn Beschwerden der Landwirthschaft kämen, und sagen: wir haben euch die Hand geboten, wir haben euch eine Organisation geben wollen, ihr habt fie nicht haben wollen, ihr habt keinen Gebrauch davon gemacht“, so fann ih darauf erwidern: in dieser Beziehung brauchen Sie keine Befürchtungen zu hegen. Die Staatsregierung steht dieser Angelegen- heit, wie ih {on vorhin erwähnte, sehr ruhig gegenüber. Jch glaube, daß mit dieser Vorlage zu Nuyen und Frommen der Landwirthschaft ein erster Schritt gemacht werden kann. Ist die Mehrheit des Hauses nicht dieser Ansicht, so wird daraus die Regierung keine Veranlassung nehmen, threrseits den Shmollenden zu spielen, wie der Herr Vor- redner es darstellte, sondern in derselben Richtung weiter arbeiten, um vielleiht später zu einer Uebereinstimmung zu kommen. Jn unseren Augen ist die obligatorishe Einrichtung der Landwirthschafts- kammern nothwendig; ih sage aber nicht, daß die fakultative Ge- staltung unannehmbar sei. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Hansen (fr. kons.): Jh habe die Vorlage mit Freuden begrüßt; ih glaube niht, daß dadurch alle Noth der Landwirthschaft beseitigt wird, das werden auh die Landwirthe niht glauben, Eine Organisation der Landwirthschaft hat nur dann eine Bedeutung, wenn sie obligatorisch für ganz Preußen eingerichtet wird. Dann muß aber das neue Gebäude eine Krönung erhalten; es fehlt sonst dem Hause das Dach. Zukünftig sollen in allen landwirthschaftlichen Fragen die Landwirthschaftskammern gehört werden. Wenn die einzelnen Kammern ihr Gutachten abgeben, so muß eine Durcharbeitung und eine Ausgleichung der Gutachten erfolgen. Wenn der Minister felbst sich diese Ausgleichung der verschiedenen Gutachten anschaffen soll, so wird das sehr \s{chwierig sein. Eine Zentralisierung kann nie einheitlißes Gutachten herstellen. Mein Antrag hat bei privaten Er- kundigungen eigentli keinen Widerspruch gefunden, man hat ihn höchstens für verfrüht gehalten. Aber wenn das Geseß jeßt verab- schiedet wird, dann können wir mit der Geltendmachung unserer Wünsche nicht warten bis zur nächsten Session.

Abg. Knebel (nl.) wendet sich gegen den Abg. Grafen Hoens- broeh, der den Liberalismus der Abneigung gegen die Landwirth- schaft beschuldigt habe. Er, Redner, habe wohl zuerst auf die Noth- lage der Landwirthschaft hingewiesen; das sollte dem Grafen Hoens- broeh bekannt sein. Graf Hoensbrocch, fährt Nedner fort, behauptet, der Rheinische Zentralverein sei eine bureaukratishe Gestaltung. Vieses einseitige Urtheil dürfte nicht berechtigt sein ; denn der Fraktions- genosse des Grafen Hoensbroeh, Herr Schmitz-Erkelenz, gehört dem Borstande des Vereins an, der 20 000 Mitglieder zählt, die durch- aus niht alle Bureaukraten scin dürften. Hat ein solcher Verein nicht [Fühlung mit dem Volke? Freilih unter dem Volke scheint

raf Hoensbroech nur solche zu verstehen, die das Bedürfniß nah ührung von anderer Seite haben. Die. finden sich allerdings im heinishen Zentralverein niht. Dieser Verein arbeitet mit großen Gan, sodaß dabei die Staatsbeihilfen wenig in Betracht kommen. rittel der nationalliberalen Fraktion besteht aus praktischen

Haltung der Fraktion. r von Erffa - besier vor s der Dfittel, end Klcinbest e ias Ercbleimna scheint ihm vollständig fern zu liegen. Redner verweist auf die Entwiklung des landwirthschaftlichen Genossenschaftswesens im NRkeinland. In der Presse des Nheinishen Bauern- vereins wird den Landwirthen allerdings vorgeredet, daß die Landwirthschaftskammern Einrichtungen treffen sollen, um den Zinsfuß für Landwirthe von 4 und 5 auf 24 und 30%/ zu ermäßigen, und ein anderes Blatt \priht davon, daß dem Bauern hohe Preise für den Verkauf feines Getreides vorgeschrieben werden sollen, also ganz im Sinne des Grafen Kaniß. Im Anschluß an eine solche Zwangsorganisation kann das o senschaflithe Leben sich nicht weiter entwideln. Die Freunde der Vorlage stimmen in ihren Zielen durh- aus nicht überein. Herr von Loë will etroas Anderes als die Negie- rung; diefe will kein direftes Eingreifen in die landwirthschaftlichen Verhältnisse, welches Herr von Loë direkt befürwortet. Die land- wirthschaftlihen Vereine follen nicht genügen, weil sie nicht alle Land- wirthe vertreten und hier haft man eine Vertretung, welche die größte Zahl der Landwirthe, und zwar diejenigen, welche sih in der shwierigsten Lage befinden, nicht umfaßt. Warum hat man denn die landwirthschaftlihen Vereine bisher niemals über geseßgeberische Dinge befragt ? Vielleicht hätte man erfahren, daß sie alles ebenso- gut leisten können wie die Landwirthschastskammern. Besonders selt- jam ist die Annahme, daß man glaubt, die Zentralvereine beseitigen und die Lokalvereine aufrecht erhalten zu können. Mag man das Geseß für die andern Provinzen machen für die Rheinprovinz würde es nur eine Zertrümmerung bestehender guter Einrichtungen mit ih bringen.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Ich habe dem Anfang der Sißung zu meinem Bedauern nicht beiwohnen können, höre aber, daß Herr von Erffa an den Finanz- Minister die Frage gerichtet hat, . ob die Königliche Staatsregierung etwa beabsichtige, nah Uebertragung des Rechts der Besteuerung an die Landwirthschaftskammern diejenigen Zuwendungen zurücfzuziehen, welhe bisher den landwirthschaftlichen Zentralvereinen seitens de Siaats geworden finde L kann diele Frage auf das allerbestimmteste verneinen. Wo die landwirthschaftlichen Zentralvereine in Zukunft durch die Landwirthschaftskammern erseßt werden sollten, da wird die Staatsregierung ganz unzweifelhaft diejenigen Zuwendungen , die bisher den Zentralvereinen aus der Staatskasse geworden sind, auf die Land- wirthschaftskammern übertragen (Bravo! rechts), und aus der Thatsahe, daß die Landwirthschaftskammern ein Be- steuerungsrecht erhalten, niht herleiten, daß nunmehr solche Zuwendungen wegfallen könnten. (Bravo! rechts.) Wo etwa diese Zentralvereine in einzelnen Provinzen neben den Landwirthschaftskammern bestehen blieben das Gesetz hebt ja an und für sih die Zentralvereine niht auf —, da wird natürli erwogen werden müssen, an welcher Stelle und zu welhem Zweck diese Zuwendungen in Zukunft zu verbleiben haben. (Hört! hört! links.)

Dann hat mein Herr Kollege der Landwirthschafts - Minister mich aufgefordert, einige nähere Mittbeilungen über die Höhe der Verschuldung in den einzelnen Provinzen zu machen. Es ist im Neichstag. viel von einer landwirthschaftlißen Enquête die Rede gewesen, und ih persönli halte auch eine folche bessere Kenntniß der landwirth\chaftlihen Zustände für eine absolute Nothwendigkeit. (Sehr richtig! links.) Ih kenne aber kein besseres Mittel, zu dieser genaueren Kenntniß dieser landwirthschaftlichen Verhältnisse zu kommen, als dur Herstellung geordneter und ständiger Organe der Landwirthschaft, wie sie hier geplant werden. (Sehr richtig! rets.) C wird fehr \Mwver fem allein du die Deamten des Staats zu einer solhen durchgreifenden Kenntniß zu fommen und zumal zu einem fortlaufenden Erkenntniß aller Ver - änderungen in diesen Zuständen. Das ist vielleiht noch richtiger, als eine einmalige Aufnahme. Meine Herren, ih glaube, seitens der Königlichen Staatsregierung muß zugestanden werden, daß wir über die landwirthschaftlihen Zustände und über die Ent- widelung derselben seit den leßten Jahrzehnten, über die Veränderungen in den Besitverhältnissen, in den Ver- \{uldungsverhältnissen, den RMeinertragsverhältnissen u. |. w. nicht genügend unterrichtet sind. (Hört! hört! rechts.) Die Bemer- kungen, die gestern von mir angeführt sind, hatten wesentlih den Zweck, auch darzulegen, daß in Zukunft auf diese s{hwierigen, fozial- politis so entscheidend wichtigen Verhältnisse eine weit größere Auf- merksamkeit gerichtet werden muß, als das bisher der Fall war. (Hört! hört! rets.)

Meine Herren, so fehlt es uns au an einer Verschuldungê- statistik. Schon vor längeren Jahren hat man versucht, durch probe- weise Aufnahwe einer Verschuldungsstatistik in den einzelnen Pro- vinzen zu einem einigermaßen sicheren Resultat zu kommen. Aber die Ergeknisse sind doch im ganzen und großen ret dürftig gewesen. So viel hat sich allerdings, glaube ih, mit einiger Sicherheit aus der - da- maligen aus Musterbezirken gewissermaßen der einzelnen Landestheile aufgenommenen Verschuldungsstatistik ergeben, daß erstens die Ver- \{uldung im Osten der Monarchie durch\chnittlich erheblih größer ist als im Westen, und daß zweitens der kleine und mittlere Besi nit in dem Grade mit Schulden belastet is wie der Großgrund- besig. (Hört ! hört ! links.)

Nun haben wir bei Gelegenheit die Materialien, die bei der Ver- anlagung zur Einkommensteuer uns zu Gebote gestellt wurden, im Finanz-Ministerium benußt, um einmal den Versuch zu machen, zu einer wenigstens besseren Statistik des Vershuldungswesens des Grund- besißes zu kommen, wie solche bisher vorlag. Wir konnten das natürlich nur bei den Einkommensteuerpflichtigen thun, welche zur Deklaration verpflichtet sind, d. h. bei denjenigen, die zu cinem höheren Cinkommen als 3000 6 veranlagt sind. Diese Statistik, die ih hier in der Hand habe, bezieht {ich ‘also nur auf die leßteren und niht auf diejenigen Ein- fommensteuerpflihtigen, die ein geringeres Einkommen als 3000 M aben.

4 Sodann muß i hervorheben, daß diese Aufnahme, welche eine Vergleichung der Schuldenzinsen mit den deklarierten Erträgnissen des Grund und Bodens darstellt, do nur Durchschnittszahlen geben kann. Nicht bloß ist für die einzelnen Kreise die Statistik noch niht]aufgenommen, sondern die Statistik zeigt auh nicht das Verhältniß der Vershuldung in den verschiedenen Bodengrößen; sie giebt nur Durchschnittszahlen, aber dennoch halte ih sie für ungemein lehrreih. Diese Statistik ist aufgenommen nah Regierungsbezirken und vergleicht die Schulden- zinsen, die gegenwärtig zu zahlen sind, mit den drei- jährigen Durchschnittserträgnissen der Landwirthschaft. Insofern giebt sie ein noch zu günstiges Bild, weil ih aller- dings glaube, daß der Ertrag der Landwirthschaft in dem leßten drei- jährigen Durchschnitt wohl noch?größer ist, als im laufenden Jahre.

Landwirthen, und dieses Drittel ist do nit ohne Einfluß auf die

(Sehr richtig! rechts.)

Danach ergiebt \ih, daß im Regierungsbezirk Königsberg ab- gerechnet sind von dem Ertrage 51%/ Schuldenzinsen, Gumbinnen 449/06, Danzig 4809/9, Marienwerder 5809/6, Berlin 53 0/6, Potsdam 5899/0, Frankfurt 48%/0, Stettin 489/06, Köslin 659/6 (hört, hört! rechts), Stral- fund 500/09, Posen 60%/6, Bromberg 609/06, Breslau 449/69, Liegnitz 509/0, Oppeln 48 9/0, Magdeburg 239% (Bewegung), Merseburg 28 9/0, Erfurt 27 9%, Schleswig 25 9/9, Hannover 20 9/0, Hildesheim 20 9/9, Lüneburg 209/69, Stade 21%, Osnabrück 149%, Aurih 17%, Münster - 189%/, Minden 229/o, Arnsberg 27 9%, Cassel 23 9%, Wiesbaden 20/6, Koblenz 1909/9, Düsseldorf 26/4, Köln 1990/0, Trier 16 9/0, Aachen 149/90. (Hört! hört! Bewegung.)

Meine Herren, hieraus ergiebt sich nah meiner Meinung, wenn man den Inhalt dieser Statistik etwas! beleuhten will, nicht bloß, daß verhältnißmßig das Land diesseits der Elbe viel stärker verschuldet ist als der Westen jenseits der Elbe, sondern es ergiebt sich daraus auch anderes höchst Lehrreihe. Meine Herren, vergleichen Sie die Bezirke {freier Naturaltheilung, so finden Sie etwa die gleiche Verschuldung mit den Bezirken festen, bäuerlihen Besißzes und An- erbenrechts. In Hannover ist es am allergünstigsten. Da haben wir beispielsweise in Osnabrück 1409/9 Verschuldung, in Aachen au 149/64. Aber, meine Herren, ich möchte gleich hinzufügen : dies beweist nicht viel ; denn die Personalvershuldung, welhe nicht so bestimmt zum Vor- hein kommt in den Ländern der freien Theilbarkeit, is verhältniß- mäßig wohl größer als in den Ländern mit Anerbenrecht, mit bäuer- lichem festen Besiß. (Zuruf.) Ja, Herr Abg. Richter, Sie brauchen Sich darüber niht zu echauffieren, ih \prehe ja nur von Thatsachen (Bravo! rets; Heiterkeit.) Konsequenzen, die wir aus solchen Thatsachen herleiten, bleiben vorbehalten. (Zuruf : Personalvershuldung.) Nein, aber darüber, glaube ih, wird jeder Kenner der Verhältnisse gar- niht im Zweifel sein, daß in Ländern der freien Naturaltheilung die Personalvershuldung und der Wucher bei den Grundbesißzen unter 3000 G viel stärker ist als in den Ländern mit festem bäuerlichen Besiy. Nun ergiebt sih aber weiter daraus, daß die Ver- huldung da am größten, wo die gleihe Bedenkung der Erben Geseg und zugleih Sitte is, und doch die Güter von der Beschaffenheit sind, daß sie ihrer wirthschaftlihen Natur, Lage und gesammten Verhältnissen nach nicht getheilt werden können. (Sehr richtig! rechts.) Ich glaube, wenn wir in allen Provinzen Landwirthschaftskammern hätten, so würde sich schr bald herausstellen, daß die große Vershuldung in dem Osten der Monarchie daher ent- standen ist hauptsächlih, daß der Sat, der hier in den Motiven zur Begründung der Stein-Hardenberg’shen Geseßgebung- angeführt ift, daß eine übermäßige Verschuldung verhütet werden würde durch zweck- mäßige Abverkäufe, sih nicht in der Praxis bewährte (sehr richtig! rechts), und sih auch nach der Natur der gesammten wirthschaftlichen Lage in diesen Ländern nicht bewähren konnte.

Wir haben neuerdings nah meiner Meinung einen fehr heilsamen Versuch gemacht, gegen den Widerspruch der Herren von der linken Seite solche Abverkäufe zu erleihtern in der Form des Rentenguts und die Zahl der Kleinbesißzer in dem Osten der Monarchie zu ver- größern. Ich bin überzeugt, daß, wenn dieser Weg weiter energisch beschritten wird, und daß, wenn ohne Vorurtheil, die Großgrund- besißer der Förderung dieser ganzen Maßnahmen ih anschließen, manche Uebelstände werden kuriert werden können. Jedenfalls fordert doch die Erfahrung, daß wir in einzelnen Provinzen durchschnittlih eine Verschuldung von 60 9/9 des ganzen Besißes haben, in anderen sogar darüber hinaus, in dem ganzen Often der Monarchie nahezu die Hälfte Schuldenzinsen gegen den Ertrag gezahlt werden müssen, die fernere Thatsache, die man nicht wird bestreiten können, daß dieser Entwickelungsprozeß im Wachsen is, das fordert doch zu einer erneuten Erwägung der Frage auf: was kann die Geseßgebung gegen diesen gefährlichen Entwickelungësweg thun? (Sehr richtig! rechts.) Ich glaube, der Herr landwirthschaftliche Minister hat mit Recht gesagt, wir stehen hier vor der Frage, ob es möglich ist, durch \taatlihe Ein- wirkung, dur die Gesetzgebung, dur die Mitwirkung von Verbänden und Genossenschaften u. \. w. überhaupt noch einen leistungsfähigen Grundbesig zu erhalten. Meine Herren, wenn hier in Berlin der Grundbesiß, wo doch sehr viele shuldenfreie Grundstücke vorhanden sind, bereits nahezu 7009/0, Schuldenzinsen vom Ertrage zahlt, und das in anderen Städten sogar noch in höherem Grade der Fall ist merlwürdigerweise sind beispiels- weise in Stralsund die Schuldenzinsen höher als das ermittelte Erträgniß —, fo ist das doch eine Thatsache, die beweist, daß mehr oder weniger das Eigenthum eine nuda proprietas zu werden droht und die Eigenthümer Verwalter der Hypothekenzinsen werden.

Meine Herxen, diese Betrachtung hauptsächlih, den Gründen nachzuspüren, woraus diese Zustände sich entwickelt haben, zu fragen: welche Maßregeln kann man dagegen ergreifen? die zweifellose Gewißheit, daß die Maßnahmen ganz verschiedene sein müssen nah den verschiedenen Verhältnissen in den einzelnen Provinzen unseres Landes, haben gerade die Staatsregierung unter anderem dazu geführt, diese Vorlage wegen einer Herstellung obligatorisher Organisation des landwirthschaftlißen Berufes Jhnen zu unterbreiten. Denn darüber kann gar kein Zweifel sein, daß wir niht, wenn wir über- haupt zu dur{greifenden Maßregeln kommen, gleiche Regeln geseß- lier Natur geben können für alle Provinzen des Landes, da die historishe Entwikelung, Sitten, Gewohnheiten, wirthshaftlihen und sozialen Verhältnisse dazu viel zu verschieden sind. Ich sage immer, wenn man der Meinung is und das find doch heute niht bloß Fnteressierte, sondern au eine schr große Anzahl von Männern der Wissenschaft —, daß der Versuch, den wir in Deutschland gemacht haben, ges{hlossene Güter zu behaupten mit einer thatfählihen und rechtmäßig absolut gleihmäßigen Bedenkung der Erben, zwei unver- einbare Prinzipien sind, dann wird man zweifellos nothwendig haben cine große Summe Ansnahmen nach den verschiedenen Entwicklungen, die fi in den einzelnen Landestheilen und in iden Verhältnissen des Grundbesitzes ergeben. Dazu bedarf es aber eben der Vertretung der Landwirthschaft dur sahkundige, ständige, erfahrene und in den Interessen des Berufs stehende Männer.

Meine Herren, die Herren aus dem Westen sollen ja nicht glauben i bin ja selbs ein Mann des Westens —, daß derartige Organisationen dort niht nöthig wären. Gewiß, meine Herren, wenn die Landwirthschaftskammern dahin führen werden, wovon der Herr Vorredner gesprochen hat, daß die \egensreihe Entwicklung von Genossenschaften, die ih mit ihm für den Kleinbesiß für eine absolute Nothwendigkeit halte, gefährdet werden würde, dann würde

ih auch die Einrichtung solcher Landwirthschaftskammern für die west-