1894 / 100 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 28 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

gethan, es muß dann auch noh eine fernere Abkürzung gebaut werden, nämlih von Striegau nah Kanth. Wenn diese beiden Linien aus- geführt sind, ergiebt si allerdings eine kürzere Verbindung von Breslau nach Hirschberg eine Verbindung, die auch im Betriebsinteresse günstiger ist, als die, welhe bisher besteht, über Königszelt. Aber, meine Herren, auf der anderen Seite ift die Belastung der jeßt zwischen Hirschberg und Breslau bestehenden Linie nit derartig, daß man aus diesem Grunde si zu sehr erheblichen Kosten entschließen müßte. Dagegen muß aber anerkannt werden, daß die Linie, die von Striegau nah Bolkenhain gebaut ist, auf die Dauer in Bolkenhain unmögli endigen kann, sondern daß sowohl im Interesse des be- treffenden Landestheils als im Interesse der Rentabilität dieser Linie deren Fortsezung nach Merzdorf oder irgend einem anderen Punkte angestrebt werden m. Die Unie hat nach der Auffassung der Staatsregierung andererseits ein vor- wiegend lokales Interesse; sie will der dortigen Industrie und Landwirthschaft zu Hilfe kommen, und aus diesem Grunde ift die Bahn als Nebenbahn projektiert worden. Nun hat Herr Graf von Frankenberg die Autoritäten angeführt, die in der Provinz Schlesien Ach eifrigst dafür ausgesprochen haben, daß die Bahn Bolkenhain— Merzdorf als Vollbahn ausgeführt werde. Die Interessenten sind aber mit Ausnahme der Provinz und der beiden Kreise folche Leute, die keinen Pfennig dazu geben, denen also die Erhöhung der Kosten auch keine Schmerzen verursachen.

Meine Herren, bereits im vorigen Jahre war in Aussicht genommen, die Bahn Bolkenhain—Merzdorf in das Programm der Nebenbahnen-Geseßesvorlage aufzunehmen. Es wäre das au wohl wahrscheinli erfolgt, allein die Herren Interessenten hinderten uns an der Aktion dadur, daß sie behaupteten, unsere Trace wäre ungünstig, es müßte eine ganz andere Trace gewählt werden. Es blieb also der Staatsregierung nihts Anderes übrig, als die Bahn aus dem Programm auszuscheiden und die Linien, die ihr von dem Comité vorgeschlagen wurden, untersuchen zu lassen. Dabei ergab fd, daß diese Linien nicht unerheblich theurer waren die eine war mit einem großen Tunnel, die andere mit tiefen Einschnitten ausgestattet, beide erforderten aber einen neuen Abzweigungs - Bahnhof; kurz und gut, es entstanden eine ganze Reihe Schwierigkeiten, die heutzutage noch nicht behoben find. Aber eins fonnte die Staats- regierung niht verkennen, in einem Punkt mußte sie den Bewohnern der Provinz Schlesien Necht geben. Die Verbindung nah dem Ge- birge war mangelhaft, es dauerte zu lange, um von Breslau nach Hirschberg zu kommen. Es handelte sich nur um den Personenverkehr, bei den Gütern ist es bekanntli gleichgültig, ob sie eine Stunde länger oder kürzer fahren. Aber bezüglich des Personenverkehrs mußte_das anerkannt werden, und aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, vom 1. Mai ab einen neuen, direkten, beshleunigten Schnellzug von Breslau nah Hirschberg einzulegen. Die ganze Differenz, um welche es sih handelt, die man mit dieser neuen Linie hätte herausbringen Fönnen, war einige 20 Minuten. Die Interessenten haben in ihrer Ein- gabe und in der Presse eine weit größere Differenz herausgerechnet; wenn ih nit irre, drei Stunden. Diese Rechnung is auch insofern richtig, als auf der einen Seite unsere bisherigen langsamen Züge eingeseßt worden sind, und auf der andern Seite auf der neuen Linie nämli wenn Kanth—Striegau und Merzdorf—Bolkenhain als Vollbahnen ausgebaut find, und wenn Striegau—Bolkenhain zur NVollbahn umgebaut is, was im ganzen 9 000 00074 fosten würde dann würde man allerdings mit einem gut fonstruierten Schnellzuge von Breslau nah Hirschberg die Fahrt erheblih abkürzen können. Das schrumpft aber zusammen auf einige zwanzig Minuten gegenüber dem neuen Schnellzug. Nun war die Staatsregierung der Meinung, daß in den gegenwärtigen \{chlechten Zeiten man doch versuhen möge, ob den berehtigten Interessen von Sghlesien in Bezug auf diese Verbindung, niht dur den neuen Schnellzug wird entsprochen werden. Hoffentlich findet inzwischen eine Verständigung zwischen den Interessenten statt, die es uns er- möglicht, die Bahn Bolkenhain—Merzdorf als Nebenbahn auszu- führen nah dem ursprünglichen Programm, und ih möchte namentlich den Herrn Grafen von Frankenberg bitten, seinen großen, weitreichen- den Einfluß in der Provinz dafür aufzuwenden. (Heiterkeit.)

Nittergutsbesizer von Pfuel bittet um endlihe Jnangriffnahme der Bahn Berlin—Wriezen, die hon seit langer Zeit bewilligt, zu der aber immer noch nicht der erste Spatenstich gesehen sei.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Auch die Staatseisenbahn-Verwaltung bedauert os auf das lebhafteste, daß diese Bahn noch niht zur Ausführung hat kommen fönnen. Schuld daran sind die eigenthümlichen Schwierig- Feiten, die ih in der Nähe Berlins gezeigt haben. Es ist bisher auch niht möglich gewesen, diese Schwierigkeiten zu beheben, troß aller Verhandlungen, die in dieser Beziehung stattfinden.

Die Staatseisenbahn-Verwaltung hat sich bereit erklärt, ihrerseits dazu beizutragen, daß diese Schwierigkeiten beseitigt werden in der Form eines anderen Projekts dieses Projekt wird augenblicklich aus- gearbeitet —, welches dazu bestimmt ist, die Kosten zu ermäßigen und die Proteste, die gegen die Führung der Linikn von verschiedenen Besitzern erhoben worden sind, gegenstandslos zu machen. Leider sind aber auch für die Weiterführung der Linien noch eine Reihe von Protesten vorhanden von Interessenten, denen die jeßige Linie nicht paßt. Auch in dieser Beziehung müssen noch Verhandlungen stattfinden.

Der dritte Grund, warum die Sache sih fehr verzögert hat, sind die landespolizeilihen Anordnungen, die namentlich in der Nähe der Großstadt und ihrer Vorstädte sehr erheblihe gewesen sind. Ich kann deshalb auch beim besten Willen nicht in Aussicht stellen, daß in diesem Jahre noh, der Spaten in die Erde gesteckt werde; aber ih hoffe andererseits, daß der Beitrag von 95 000 M. in Anbetracht der Verhältnisse auch auf eine weitere Frist erstreckt werden wird.

Fürst von Haßfeldt-Trachenberg ließt sich den Aus- führungen des Grafen von Frankenberg an und spricht seine Freude aus über die entgegenkommende Erklärung des Ministers.

Ober - Bürgermeister Bender -Breslau: Die Verbindung von Breslau nah dem Gebirge ist, weil man mehrfach umsteigen Gnu und viel Zeit verliert, eine sehr \chlechte; man fann kaum einen furzen Ausflug dorthin mahen. Den besten Ausweg würde der Ausbau der Linie Bolkenhain—Merzdorf als Vollbahn bieten. | Bw

Damit ließt die Generaldiskussion.

In der Spezialdiskussion wird die Vorlage im” einzelnen genehmigt. :

Der Vorstand des oberschlesischen Berg- und hüttenmänni-

chen Vereins zu Kattowiß hat eine Petition eingereicht mit em Antrage: das Erforderliche zu veranlassen, daß bei dem nächsten Ablaufen des über die Verpachtung der Oberschl e-

sishen E mit dem Unternehmer Prings- heim abgeschlossenen Vertrags die Jnteressen sowohl des Staats, als Ah der oberschlesischen ontanindustrie seitens der Staatsverwaltung genügend gewahrt werden M

Die Kommission für isenbahn-Angelegenheiten s{lägt

vor: in der Ueberzeugung, daß das Staatsinteresse von der erhandlungen mit Pringsheim voll die Petition zur Tagesordnung über-

Regierung auch in den gewahrt worden, über zugehen.

Minister der offentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich kann der Kommission nur dankbar sein, daß sie mir _ Gelegenheit _ gegeben hat, über diese Angelegenheit hier eine Erklärung abzugeben. Meine Herren, die Staatsregierung hat die Erörterung dieser Angelegenheit nah keiner Nichtung hin zu \heuen. Die Maßregeln, die sie getroffen hat, kann sie vor dem Lande durchaus verantworten. Nur ein Umstand, den auch der Herr Berichterstatter bereits hervorgehoben hat, macht es7zur Zeit unthunlich, in ¡eine nähere Erörterung aller Einzelheiten einzugehen. Dieser Umstand besteht darin, daß die Staatsregierung vor dem Abschluß eines neuen Vertrags mit dem bisherigen Pächter steht und es unzweckmäßig und nach jeder Richtung hin störend sein würde, hier die Einzelheiten des neuen Vertrags zu diskutieren. Meine Herren, genau aus demselben Grunde hat auch die Budgetkommission des anderen Hauses es abgelehnt, eine Erörterung im Plenum eintreten zu lassen. Meine Herren, ih bitte daher, mit einigen furzen Bemerkungen meinerseits in sach- licher Beziehung vorlieb zu nehmen.] &

Der jeßige Pächter, Betriebsun+crnehmer Pringsheim, ist in das Pachtverhältniß eingetreten am 1. Oktober 1860, also noch zur Zeit, wo die Oberschlesishe Bahn felbständiges, vom Staate verwaltetes Unternehmen war. Der Vertrag wurde zunächst auf 12 Jahre ab- geshlossen und dann immer wieder erneuert. Der Vertrag ent- hält die Klausel, daß er, wenn er nicht ZL rechtzeitig gekündigt wird, dann von selbst auf 5 Jahre weiter geht. Meine Herren, mit den Leistungen des Betriebsunternehmers und Pächters Pringsheim ist das obershlesishe Revier jederzeit zufrieden gewesen, ebenso die Staatsregierung. Der Herr Präsident möge mir gestatten, aus einer Verhandlung in dieser Bezichung ein Zeugniß vorzulesen. Meine Herren, es haben bereits am 6. Januar 1892 Verhandlungen über die Erneuerung des Vertrags mit dem Betriebsunternehmer Pringsheim stattgefunden, zu denen sämmt- liche Werke des oberschlesischen Reviers ihre Vertreter gesandt haben, bei denen au der General-Direktor Bernhardi, dessen Unterschrift die gegenwärtige Petition trägt, zugegen gewesen ist. Herr General- Direktor Bernhardi hat damals vor den Vertretern der Staats-Eisen- bahnverwaltung und sämmtlicher obers{chlesischen Werke bezüglih des Pringsheim folgende Erklärung abgegeben :

„Herr General-Direktor Bernhardi bemerkt sodann zu Punkt 1 der Tagesordnung d. h. bezüglih des Betriebs \y stems der Ober- \{lesishen Schmalspurbahn, wie die Interessenten dieser Bahn im allgemeinen darüber einig seien, daß einer Verstaatlihung des Be- triebes der genannten Bahn nicht zugestimmt werden könne. Die gegenwärtige Betriebsführung dur den Transport-Unternehmer Pringsheim sei eine fo vorzüglihe und koulante und werde den so verschiedenen Interessen der einzelnen Werke dergestalt gerecht, daß eine andere Methode, namentlich die staatss\eitige Verwaltung, etwas Besseres nicht leisten könne."

Meine Herren, eigentlich könnte ih damit s{ließen, denn es geht daraus meines Erachtens durchaus beweiskräftig hervor, daß die ge- sammte oberschlesische &Fndustrie mit dem Betriebe der Schmalspur- bahnen dur Privatunternehmer, und speziell durh Pringsheim, durch- aus einverstanden ist. Meine Herren, der leßte Vertrag, der mit Pringsheim geschlossen war, lief zum 1. Januar 1894 ab, wenn er er niht vor dem 1. Januar 1893 gekündigt wurde. Bereits im Jahre 1891 hat die Staats-Gisenbahnverwaltung die Frage in Crwägung ge- zogen, ob das System des Betriebes zu ändern sei, ob und welche anderen Bedingungen von Pringsheim bei einer etwaigen Erneuerung des Vertrages gefordert werden müßten. Was ih Ihnen verlesen habe, ist aus einer Verhandlung, die zu diesem Zwecke mit den únteressenten stattgefunden hat. Es sind die Inter- essenten von der Staats-Eisenbahnverwaltung vom ersten Moment an zugezogen und haben fortlaufend Gelegenheit gehabt, ihre Gutachten in dieser Frage zu erstatten. Meine Herren, als es der Königlichen Staatsregierung bekannt geworden war, daß innerhalb der ober- \{lesishen Industrie der Plan ventiliert würde, ob nicht vielleicht die Transportinteressenten selbst die Pachtung übernehmen follten in der Form, daß ein Konsortium zu diesem Zecke gebildet würde, hat sie bei dem obershlesischen Berg- und Hüttenmännischen Verein angefragt, ob diese Pläne noch bestehen, und an den Verein die Aufforderung gerichtet, in diesem Fall binnen 14 Tagen eine Erklärung abzugeben. Es erfolgte eine Erklärung, und zwar eine ablehnende unter Hervor- hebung der außerordentlich kurzen Frist, die gestellt worden sei. Eine längere Frist konnte unter den obwaltenden Umständen nicht gestellt werden, war aber auch niht nöthig, denn was geschehen sollte, das war von den oberschlesishen Interessenten bereits in verschiedenen Versammlungen berathen ; fie konnten also diese Erklärung wohl innerhalb der gestellten Frist abgeben. Unter diesen Umständen mußte sich die Staatsregierung die Frage vorlegen : sollte fie den Vertrag mit Pringsheim fortseßen, oder sollte sie vor dem 31. Dezember 1892 kündigen. Sie entschied sich für das erstere, und zwar aus folgenden Gründen. Zunächst war der Zeitpunkt für die Uebernahme des staats\eitigen Betriebs der denkbar ungünstigste. Die Staats-Eisenbahnverwaltung würde für die Uebernahme des Be- triebs sehr erheblihe Kapitalien aufzuwenden gehabt haben, deren Flüssigmachung in der gegenwärtigen Zeit bei der Finanzverwaltung immerhin auf erheblihe Bedenken gestoßen wäre. Sie konnte aber au nicht voraussetzen, daß etwa dur eine öffentlihe Ausschreibung ein geeigneter Betriebsunternehmer wäre gefunden worden. Sie mußte auch ihrerseits in Uebereinstimmung mit der Industrie an- erkennen, daß Pringsheim in jeder Beziehung den Anforderungen ents- \sprochen hat, die man gerechterweise an ihn stellen kann. Unter ihm ist seit 1860 der Betrieb auf der Schmalspurbahn in erfreulicher Weise entwickelt worden, hat für die Staats - Eisenbahnverwal- tung eine stetig steigende Rente ergeben und hat naturgemäß au für den Unternehmer einen steigenden Gewinn gebracht. Die Interessenten endlih sind befriedigt worden und es wäre daher meines Erachtens unzweckmäßig gewesen, sih ohne Noth in dasNisiko zu stürzen, mit irgend einem anderen Unternehmer einen Versuch zu

machen. Außerdem aber war dur die Verhandlungen mit Prings- heim das son festgestellt, daß Pringsheim seinerseits ebenfalls ein Interesse daran hatte, den Vertrag verlängert zu sehen. Meine Herren, die Verhandlungen, die vor dem Ablauf des Ver- trags gepflogen worden waren, ließen das deutlich erkennen, daß Prings- heim geneigt sein würde, günstigere Bedingungen für den Staat und die Transportinteressenten einzugehen, und der Erfolg hat diese Er- wägungen bestätigt. Leider ist der Vertrag heute noch nicht formal zum Abschluß gelangt und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil Pringsheim seit etwa zwei Monaten in Italien ift und erst anfangs Mai zurückehrt. Es bestehen auch bei zwei oder drei Nebenpunkten noch Differenzen, die aber unzweifelhaft demnächst werden bereinigt werden, und ist daher zu erwarten, daß die neue Vorlage den Forderungen des Staats und der Industrie wird gerecht werden. Aus diesen Gründen, glaube ih, kann der Staatsregierung fein Vorwurf gemaht werden, daß sie von ihrem Kündigungsrecht feinen Gebrauh gemacht hat, sondern den Vertrag mit dem lang- jährigen, leistungsfähigen und bewährten Unternehmer fortgeseßt hat. Das Haus beschließt dem Antrage der Kommission gemäß. Es folgt der Bericht der Finanzkommission über den

C

O E für 1894—95 und das Anleihe- geseß.

General-Berichterstatter ist Rittergutsbesißer . von Pfuel: als Spezialberichterstatter fungieren Graf von Königsmarck und die Ober-Bürgermeister von Kemniß-Frankfurt (Oder), Boie-Potsdam und Schmieding-Dortmund.

Ueber die allgemeine Finanzlage zu berichten behält sich die Kommission vor, im Anschluß an die betreffenden Ver- handlungen des anderen Hauses.

Graf von Mirbach: Bisher habe ih es für ein nobile officium gehalten, an der Meinung festzuhalten, die man hat, auch wenn man nicht mit der Partei, der man angehört, über- einstimmt. Als ih dem frühren Landwirthschafts - Minister von Lucius nahe legte, daß in Frankreih ein besserer Schuß der Land- wirthschaft zu finden sei, da erwiderte er mir, der Reichs- fanzler Fürst Bismarck behalte sih die Entscheidung in solchen Fragen vor. Jeyt wird von dem Neichskanzler eine andere Anschauung vertreten, troßdem Do Der U & Der Verfassung mit dem Münzwesen, der Freizügigkeit, dem Bankwesen, dem Heimathsreht, der Neterinärpolizeïi, den Steuern und Zöllen auch in die Verhältnisse der Landwirthschaft eingreift. Jh fee mich nicht gern einem zweimaligen Nefus aus und wende mih nun an die preußische Regierung, unter Hinweis auf Art. 45 der Ver- fassung, wona im Interesse der Landwirthschaft, die an erster Stelle genannt wird, die Fisenbahntarife ermäßigt werden follen, mit der Bitte, den Artikel baldigst zur Durchführung bringen zu helfen ; denn was in den leßten Jahren geschehen ist, war gerade das Gegentheil davon. Die Aufhebung des JIdentitätsnachweises ist dankend anzu- erkennen, wenn sie auch sehr spät und infolge eines gewissen Zwanges kam. Cffeft habe,

Damit die Maßregel aber nur keinen hat man die Staffeltarife aufgehoben, was dem Art. 45 direkt widerspriht. Herr von Stumm hat die Aufhebung der Staffel- tarife als eine Vorbedingung für die Annahme des russischen Handelsvertrags bezeichnet. Dem Minister der öffentlichen Arbeiten t durdhzaus fein Vorwurf zu machen ; wir haben an ibm eine tüchtige Kraft gewonnen. Das Staats-Ministerium befand sich in einer Zwangslage. Daß ein gutes Verhältniß zwischen JIn- dustrie und Landwirthschaft bestehen möge, ist wünschenswerth; aber die Abweisung der Wünsche der Landwirthschaft seitens der Industrie beim Zollbeirath hat nicht gut gewirkt. Man sollte den Gegner nicht mit Hohn behandeln, der manchmal nur von der Unwissenheit übertroffen wird. Ich bin kein Unterzeichner des Antrags des Grafen Kanitz ; man hätte diesen Antrag, dessen Grundgedanke richtig war, erst zur öffentlihen Diskussion stellen sollen, ehe man ihn der Instanz des Reichstags unterbreitete. Denn man mußte darauf rechnen, daß nicht nur die besonderen Freunde der Regierung, die Sozialdemo- fraten und Freisinnigen, sondern auch die anderen Freunde des Handelsvertrags die Gelegenheit benußen würden, um den Freunden der Landwirthschaft eine Niederlage zu bereiten. Die Annahme des Antrags des Grafen Kaniy hätte überall auf allen Wirthschafts- gebieten gut gewirkt; es wäre auch die hochgehende landroirthshaftliche Bewegung etwas besänftigt worden. Mit dem Getreidebau {teht und fällt die deutsche Landwirthschaft; sie kann nicht bestehen bei Preisen, die unter den Selbstkosten stehen. Von der äußersten Linken widerstrebt man allen Maßregeln zur Hebung der Preise, weil davon nur ein Theil der Landwirthe Vortheil haben würde ; die Pächter und die fleinen Landwirthe niht. Diese wünschen aber den Untergang der übrigen Landwirthschaft nicht. Die Whne bleiben \stabil und folgen nit den Getreidepreisen, wenn diese sinken. Die kleinen Leute waren in Bezug auf die Shweinezucht besser geshüßt unter dem Fürsten Bismarck als jeßt. Das Vertrauen des Auslandes zur Regierung mag gewachsen sein, aber das Vertrauen der eigenen Landeskinder zur Negierung ist viel werthvoller, und dieses ist sehr {wer erschüttert worden. Wenn wir keine Vogel-Strauß-Politik treiben wollen, o müssen wir anerkennen, daß wir \{chweren Gefahren entgegengehen. Graf von Klinkowström stimmt dem Vorredner bei und weist darauf hin, daß der Reichstag leider alle Reformen ablehne, die im Interesse der Reichs- und Staatsfinanzen nothwendig seien. Das liege an dem verschiedenen Wahlrecht, und es würde gut sein, wenn bei den Reichstagswahlen etwas mehr Autorität statt der Majorität zur Geltung käme; mit Unrecht habe der Reichskanzler nad) dieser Richtung hin den Konservativen die Beachtung der Autorität empfohlen. Die Aufhebung der Staffeltarife berühre den Osten besonders empfindlih, nicht bloß wegen der finanziellen Folgen, fon- dern weil man einsehe, daß die preußishe Regierung nicht mehr den Einfluß ausübe, der ihr zukommt. Wie konnte man, fährt Redner fort, nachdem man den Verkehr des Ostens nah dem Westen abgeschnitten hat, den Osten anschließen an die russischen Staffeltarift durch den Zusayartikel 19 des russischen Handelsvertrages , de Preußen in Bezug auf die Tarife nach Danzig, Königsberg un! Memel des Hoheitsrechts der Tariffeststellung beraubt? Wie kann dd Reich in dieser preußischen Frage die Entscheidung treffen? Man müßte dafür etgentlih die Genehmigung des Landtags noch nachträglid nachsuchen. Die Wünsche der östlithen Seestädte sind erfüllt ; haben den russischen Handelsvertrag, sie haben die Beseitigung der Staffeltarife erreiht, und die Ausfuhr aus Nußland ist nicht mehr auf den Weg über See beschränkt; alles das schadet der Landwirth- \{aft, nur die Aufhebung des JFdentitätêsnachweises kommt auch der Landwirthschaft zu gute. Die Tarife für russishes Getreide follen um 40 9/9 ermäßigt sein, und das ist für den Westen auch bedenklid), denn die Kanalshwärmer werden das russische Getreide bald im Westen sehen. Danach würden die Russen also auf der preußischen Strecke von 195 km statt früher 39 nur 99 Nbl. Fracht zahlen, während das deutshe Getreide 91 M bezahlen muß. Die Aufhebung der Ausfuhr „über See“ schadet der Landwirthschast, denn das geführte russische Getreide wird infolge Aufhebung des Identität? nahweises inländishes Getreide und drückt auf den Preis. V!é deutshe Landwirthschaft muß verlangen, daß ihre Produkte_ zu “den selben Preisen gefahren werden, wie die russishen. Eine Schwlerlß/ keit kann höchstens auf dem finanziellen Gebiete liegen. Aber wenn die Gisenbahnverwaltung zu Gunsten der russischen Gxporteure aus Millionen von Einnahmen verzichtet, dann fann sie auch eintgé Hunderttausend Mark der deutschen Landwirthschaft opfern. Die

Regierung sollte so shnell wie möglich helfen. Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg:

Meine Herren! Gegenüber den beiden Reden, die Sie eben gé“

Natur

hört hatten, bin ih genöthigt, ‘einige Bemerkungen allgemeiner

A

zu machen. Zunächst ist es immer eine mißlihe Sache, wenn Angriffe erfolgen auf die Politik, namenllih aber auf die Aeußerungen, die in einem anderen Hause gemacht sind und wo der, von dem sie ausge- gangen sind, nicht in der Lage ift, sih dagegen selbst zu vertheidigen. (Sehr richtig!)

Fh bin auch nicht in der Lage, jedes einzelne von den Worten die dem Herrn Reichskanzler hier vorgehalten werden und die ibm zum Vorwurf gemaht worden sind, zu erläutern und auf die An- griffe, die gegen thn gemaht worden sind, im einzelnen zu antworten. (Zuruf des Grafen von Mirbach: Ih habe den Herrn Reichskanzler nit genannt.)

Herr Graf von Mirbach sagt, er habe den Reichskanzler nicht genannt. Wenn Herr Graf von Mirbach die Absicht hätte, die von ihm soeben verworfene Vogel-Strauß-Politik zu treiben, dann wäre die Bemerkung vielleiht rihtig. Wer hier gemeint war, darüber wird in diesem Hause wohl kein Zweifel fein (sehr wahr!), und er würde sih wohl nur gewundert haben, wenn ich auf diese Art der Angriffe niht geantwortet hätte. Meine Herren, ih wiederhole, es ist hier nicht der Ort und ih habe nicht die Absicht, auf jede einzelne der angegriffenen Aeußerungen einzugehen, die nur in threm Zusammenhange erörtert und nur von demjenigen von dem sie ausgegangen find, vertheidigt werden können; ih nuf jedoh und zwar aus vollster Ueberzeugung die Ansicht aus\prechen, daß sämmtliche Insinuationen, die dem Herrn Reichskanzler gemacht wor: den, daß er nämli in einer wenig freundlichen oder gar gleihgültigen und feindlihen Art und Weise der Landwirthschaft gegenübersteht, auf einem vollkommenen Irrthum beruhen. Meine Herren, keine Kämpfe in der Politik sind schärfer, als die auf wirthschaftlihem Gebiet, und daß da abweichende Meinungen vorkommen, auf der einen und der anderen Seite, und daß die mit Entschiedenheit ver- fohten werden, kann nicht Wunder nehmen; aber daß diese Kämpfe damit verbunden werden, dem Reichskanzler bösen Willen und eine Vernachlässigung der Landwirthschaft unterzuschieben, da- gegen bin ih genöthigt, auf das allerentschiedenste einzutreten. (Bravo!) Es wird niemand in der Lage sein, das zu beweisen. In diese Kategorie der Angriffe gehört die Beleuchtung, die Herr Graf von Mirbach den Aeußerungen des Herrn Reichskanzlers hat zu theil werden lassen, daß von der Fürsorge für die Landwirthschaft in der Reichsverfassung nihts \tünde; nun, meine Herren, ih frage Sie, fönnen Sie eine folhe Meinung dem Herrn Reichskanzler überhaupt zutrauen? also daß auf dem Gebiet der Zölle, des Verkehrs- wesens, der Tarife kein Einfluß auf die Landwirthschaft ausgeübt werden könnte? Nein, meine Herren, das hat er nicht gesagt, daß auf diesem Gebiet der Landwirthschaft nit zu helfen oder zu schaden wäre. Er hat nur gemeint, direkte Maßregeln zur Hebung der Land- wirthschaft, wie Meliorationen und dergleichen, gehören nicht zur Zuständigkeit des Reichs.

Niemals if} verkannt worden, daß die Verkehrspolitik und die Zollpolitik von höchstem Einfluß auf die Landwirthschaft sei, und wenn Sie die Neden des Herrn Reichskanzlers im Zusammenhang verfolgen, dann werden Sie den Gedanken durchgehends ausgedrückt finden, daß die gesammten Verhältnisse des Reichs eine Politik in Bezieb.ung auf die Zollverhältnisse erforderten, wie sie eingeschlagen wurde vor drei Jahren, und das ist niemals motiviert worden in dem Sinne, wie Herr Graf von Mirbach das gemeint hat. Ich wieder- ole, daß ich mi auf einen Streit über einzelne Worte nicht ein- lassen kann, aber in dem von mir angegebenen Sinne hat der Herr Reichskanzler seine Ansicht vertheidigt und nur fo ist sie aufzufassen.

- So viel zur Vertheidigung des Herrn Reichskanzlers.

Dann if} weiter bei der Besprehung der Angelegenheit hier in den Vordergrund gestellt und namentlich von Herrn Grafen von Klinkowström gesagt worden, daß die preußishe Regierung keine ge- nügende Machtstellung \o glaube ih hat er sih ausgedrückt im Reich habe, und Herr Graf von Mirbach hat scherzweise darauf an- gespielt, das hinge vielleiht auch damit zusammen, daß ih im Bundesrath nicht mitzureden habe und vielleiht auh niht in der Lage wäre, die Prüfung abzulegen, welhe zu dem Ein- tritt in den Bundesrath befähigte. Jh kann niht ver- langen, daß Herr Graf von Mirbach die Angelegenheiten, welche mih angehen, so im Gedächtniß hat, daß er wissen sollte, daß ih bereits zweimal längere Zeit Mitglied des Bundesraths gewésen bin, daß also diese kleine Anspielung niht zutreffend war. Aber, meine Herren, cs ist auch sahlich diese Angelegenheit niht von der Bedeutung, wie man sie von verschiedenen Seiten aufzubauschen liebt. Unsere Reichsverfassung beruht darauf, daß im Bundesrath nicht die persönlihe Meinung des einzelnen Vertreters zum Ausdru kommt, fondern daß die Stimmen abgegeben werden nah der Instruktion der Staaten, welche sie vertreten (sehr richtig !), und Sie werden mir zu-

geben, ohne die Thatsache untershäßen zu wollen, daß eine bedeutende Persönlichkeit auch unter folhen Verhältnissen sich eine große Bedeu- tung verschaffen und einen großen Einfluß gewinnen kann, daß nah der staatsrehtlihen Konstruktion des Bundesraths, soweit es auf die Stimmenabgabe ankommt, der betreffende Vertreter lediglich als Beauftragter und Bevollmächtigter desjenigen Staats, von dem er ausgegangen ist, zu handeln hat. Wir haben siebzehn preußische Be- vollmächtigte im Bundesrath, welche die Pfliht und die Aufgabe haben, die Interessen des preußishen Staats im Nahmen der Reichsverfassung wahrzunehmen, und zwar so wahrzunehmen, wie es in allen wichtigeren Angelegenheiten von der preußischen Staatsregierung festgestellt wird. Also, meine Herren, das ist ein Irrthum, wenn behauptet wird, daß wir niht ge- nügend Vertreter wären im Bundesrath und die preußishe Stimme niht zur Geltung käme. Es konnte auch kein unglücklieres Beispiel von Herrn Grafen von Klinckowström angeführt werden, um nach, dieser Richtung hin den Beweis zu führen. Er sagte, die Auf- hebung der Staffeltarife sei ein Beweis dafür, daß wir uns zu sehr von den Ansichten der anderen Bundesstaaten beeinflussen lassen. Nun, meine Herren, ich weiß ret gut, daß die östlichen Provinzen am meisten bedrängt sind in der Landwirthschaft ; aber fie sind do nit die einzigen in unserem Staat, auf die wir Rücksicht zu nehmen haben. Woher kam die Aufhebung der Staffeltarife ? Laher, weil ein sehr großer Theil des preußischen Staats die Aufhebung verlangte (sehr rihtig!) und weil er sich dur dieselbe geshädigt glaubte. Darauf sind wir in forgfältige Prüfung der Angelegenheit einge- treten und haben nah Anhörung des berufenen Organs, des Landes- Eisenbahnrathes, uns s{lüssig gemacht geglaubt, daß es im allgemeinen Interesse besser sei, uns für die Aufhebung der Staffeltarife zu er- Élären. Nachdem wir {in den vorangegangenen Verhandlungen mit

anderen Bundesstaaten, welhe den Zweck hatten, die thatsächlihen M aufzuklären und die Wirkung der Staffeltarife nach allen

tungen festzustellen, haben wir nihts weiter gethan, als zu erklären, daß wir uns in einer Ewägung der Frage be- fänden. Davon, daß die preußishe Regierung ihre Macht- stellung nihcht genügend gewahrt Habe, fann also gar feine Nede sein. Ich habe, als ih vor zwei Jahren mein Amt an- trat, Gelegenheit gehabt, meine Auffassung über das Verhältniß zwischen dem Reih und Preußen, namentlich in Beziehung auf die Trennung der beiden höchsten Aemter ausführlih auszusprehen. Ich bin weit davon entfernt gewesen, mih nah der einen oder der anderen Richtung hin zu begeistern. Ich bin der Meinunz, das ist eine Frage, welche je nah Umständen und Persönlichkeiten einmal in dem einen, einmal in dem anderen Sinne besser zu entscheiden sein wird. Aber, meine Herren, die Erfahrungen der zwei Jahre, die hinter uns liegen, beweisen man mag sonst über die Frage urtheilen, wie man will —, daß der Einfluß von Preußen bisher niht zu kurz gekommen ist im Neich, und darum möchte ih zum Schluß um Eins bitten: es ist ja unvermeidlih, daß Angelegenheiten des Reichs, die wie auf alle Einzelstaaten, so auch auf Preußen in mächtiger Weise zurückwirken, auch hier zur Sprache kommen; aber ih möchte die Bitte an die Herren richten, wenn das geschieht, dann lassen Sie die Angriffe, die Sie auf die Reichsverwaltung und deren Vertreter aus\prehen wollen, wenn Sie glauben, dazu Anlaß zu haben, ‘in dem Neben- gebäude ertönen. (Bravo!)

Hier sind wir Ihnen verantwortlih und wir find bereit, Ihnen Nede zu stehen. (Lebhaftes Bravo!)

Was im übrigen die Tariffrage betrifft, so ist mein Herr Kollege bereit, nähere Aufklärungen zu geben.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Fch fühle mich verpflihtet, zunächst dem Herrn Grafen Mirbach für feine freundlichen meiner Person gewidmeten Worte meinen wärmsten “Dank abzustatten. (Heiterkeit.) Freilich weiche ih von seinem Urtheil in dieser Hinsicht ganz erheblih ab; ih kann viel- mehr nur den Wunsch und die Hoffnung aussprechen , daß in Zukunft ein Theil der Anerkennung wenigstens verdient sein möge, die er mir hat zu theil werden lassen.

Was nun die Ausführungen des Herrn Grafen von Mirbach betrifft in Bezug auf die Güter, die im Art. 45 der Reichs- verfassung als solche bezeichnet sind, hinsihtlih deren im Reich eine Herabsetzung der Tarife bei größeren Entfernungen und zwar zunächst thunlichst auf der Grundlage des Pfennigstarifs eingeführt werden möge, so möchte ih mir gestatten, Folgendes zu bemerken: In Art. 45 find genannt folgende Güter: 1) Kohlen. Für Kohlen be- steht der Einpfennigstarif schon längst, wir haben sogar eine ganze Reihe von Ausnahmetarifen, die schon erheblich unter den Einpfennigstarif herunter gehen. Dasselbe gilt für Koks, die mit den Kohlen immer gleichmäßig behandelt worden find. Dann kommen Erze. Erze stehen in dem Einpfennigstarif, aber auch für Erze sind billigere Ausnahmetarife eingeführt worden, noch in den lezten Jahren sind diese ermäßigten Ausnahmetarife erheblich er- weitert. Steine, rohe und ein Theil der behauenen, befinden sich in dem Pfennigstarif. Salz desgleichen. Roheisen zahlt den Pfennigs- tarif, theilweise noch weniger, die Düngemittel genießen den Pfennigstarif oder noch billigere Tarife, wenigstens alle diejenigen Düngemittel, die in großeren Massen Vbesorderr werden. Durch die neueren Tarife ist eine erheblihe Ermäßigung auch in dieser Beziehung eingeführt. Es bleibt Holz. Meine Herren, - aus der Zusammenstellung mit Kohle und Koks geht {on her- vor, daß die Reichsverfassung nur das Brennholz gemeint hat! Brennholz wird zum Pfennigstarif gefahren. Die Eisen- bahnverwaltung is aber nicht dabei stehen geblieben, sondern befördert au zum Einpfennigstarif Eisenbahnschwellen und worauf es der Landwirthschaft und Forstwirthschaft wohl wesentlich ankommen wird auch Grubenholz; ebenso Stab-, Reifenholz, Stakholz und sonstige geringwerthigere Hölzer. Im übrigen wird nur außereuro- päishes Holz zum Spezialtarif T gefahren, europäisches Nußholz aber nah Tarif 11, und neuerdings in Ausnahmetarifen zu Säßen, die zwishen IT und IIT liegen. Es is also die preußische Eisenbahn- verwaltung den Intentionen des Art. 45 der Reichsverfafsung in vollstem Maße nachgekommen, und zwar, ohne daß dazu eine Ver- vpflihtung vorliegt, denn Art. 45 der Reichsverfassung sagt nur, daß das Neich dahin wirken soll, es ift aber keine Erxekutive dem Reich in dieser Beziehung übertragen.

Meine Herren, die beiden Herren Vorredner Graf von Mirbach und Graf von Klinckowström haben gesagt, sie wollten in eine Erörterung über die Staffeltarife hier niht mehr“ eintreten —, aus nahe liegenden Gründen, denn die Staffeltarife gehören der Ber- gangenheit an, wenigstens die Staffeltarife für Getreide und Mühlenfabrikate. Die Ansichten der Staatsregierung über den Werth der Staffeltarife haben sich niht geändert. die Staatsregierung steht heute wie früher auf dem Standpunkte, daß das System der Staffeltarife an und für sih ein wirthshaftliß und finanziell richtiges ist.

Die Gründe, die zur Aufhebung der Staffeltarife geführt haben, hat der Herr Präsident des Staats-Ministeriums vorhin {hon an- geführt; ih erlaube mir nur noch ergänzend das zu bemerken, daß der ganze Westen, und zwar der Westen von Berlin ab gerechnet, für die Aufhebung der Staffeltarife gewesen ist. Zweitens möchte ih be- merken, daß auch die Staatsregierung von Anfang an die Einführung der Staffeltarife als einen Versuch bezeihnet hat. Wenn die Staats- regierung sih nun veranlaßt gesehen hat, nah schr ernsten Erwägungen die Staffeltarife für Getreide und Mühlenfabrikate aufzuheben, fo hat sie damit das Prinzip der Staffeltarife niht preisgegeben.

Meine Herren, ih darf mich nun wohl zu den Ausführungen des Herrn Grafen von Klinckowström wenden. Herr Graf von Klinckow- \tröm hat auf das lebhafteste bedauert, daß durch den russischen Handelsvertrag der Import russischer landwirthschaftliher Erzeugnisse, insbesondere von Getreide und Mehl, zu sehr viel billigeren Säßen als das inländishe Getreide zu den Häfen befördert wird. Meine Herren, an den Tarifen, die vor dem Handelsvertrage für russishes Getreide, Mehl, Hülsenfrüchte, Kleie u. st. w. bestanden, hat sich seit der Einführung des russishen Handelsvertrages nihts geändert; nur das hat sih geändert, wie der Herr Graf von Klinckowström mit Recht hervorgehoben hat, daß diefe Tarife nicht mehr nur für den überseeishen Export gelten, sondern daß sie auch gelten für Königsberg, Danzig, Memel loko. Diese Tarife kommen

aber nur dann zur Anwendung, wenn das betreffende Gut an diesen

drei Plägen au wirklich zur Ausladung kommt. Soll das Getreide weiter befördert werden per Eisenbahn, so wird das als ein neuer Transport angesehen. Nah den sorgfältigen Berechnungen, die wir angestellt haben, würde auf diese Weise eine Rückwirkung der russischen Tarife nur auf die Entfernung von ungefähr 15 km eintreten. | Meine Herren, Herr Graf von Klinckowström hat nun mitgetheilt, daß nach Berichten, die ihm zugegangen seien, der Antrag gestellt worden sei wenn ih nicht irre, sagte Herr Graf Klinckowström: von den rufsischen Verwaltungen —, diese Tarife um 40 9/6 zu ermäßigen. Meine Herren, davon is der Staats-Eisenbahn- verwaltung nihchts bekannt. Es haben in der leßten Zeit Tarifkonferenzen in St. Petersburg stattgefunden. Von keiner Seite i diefer Antrag gestellt worden. Cs muß das wohl eine Verwechselung sein mit den Tarifen, die während des Zoll- krieges die russishen Bahnen nah Oesterreich eingerichtet [haben, um auf diese Weise den Kampf durch Desterreih und Galizien führen zu können. Diese Tarife sind oder werden in diesen Tagen aufgehoben, sodaß also der heutige Zustand der ist, daß genau dieselben Tarife, die russischerseits vor dem Handelsverträge bestanden haben, au heute wieder in Geltung geseßt sind. Aus allen Verhandlungen, die seit dem russi- hen Handelsvertrag mit den Vertretern der russishen Regierung wie der russishen Eisenbahnen gepflogen worden sind, hat sich unzweifel- haft und deutli erkennen lassen, daß die russishen Verwaltungen be- strebt sind, in durhaus loyaler Weise in Bezug auf das Tarifwesen zu verfahren, und keine Absicht vorherrsht, etwa die Konzessionen, die Rußland im Zoll gemacht hat, dur ¡die Tarife wieder wett zu machen.

Meine Herren, aber auh die Ausführungen des Herrn Grafen Klinckowström in Bezug auf die Tarife selbst bedürfen einiger Berichti- gungen. Die Frachtsäße für Getreide von russischen Stationen nah Danzig und Königsberg sind von solchen russishen Stationen, welche in der Nähe der Grenze liegen, höher als diejenigen Säße, die das binnländische Getreide nach diesen beiden Pläßen bezahlt (Zuruf), sie find abfolut höher, und zwar ift dabei noch zu berücksihtigen, daß der Import nach den beiden Pläßen naturgemäß zumeist von den näher gelegenen Stationen kommt, wenigstens in der leßten Zeit; es mag früher vielleiht anders gewesen sein, es wird vielleicht auch in der Zukunft anders sein, es rihtet sich das im wesentlihen nah dem Ausfall der Ernte in den verschietenen Theilen des russischen Reichs, im wesentlichen sind aber für die leßten Perioden die Stationen in der Nähe der Grenze in Betracht gekommen.

Ferner, meine Herren, die Antheile, die die preußischen Bahnen, die Staats- wie die Privatbahnen, aus den direkten russishen Getreidetarifen beziehen, sind naturgemäß ver- schieden. Der russishe Tarif ist ein sehr wirksamer Staffel- tarif, und die Vertheilung des Frachteinkommens geschieht nah der filometrishen Entfernung. Es find also die Antheilssäße der preußishen Staats- und Privatbahnen verschieden, je nachdem die Entfernung verschieden ist, aus der das Getreide originiert. Bei Transporten aus näher gelegenen russishen Stationen sind die deutshen Antheile sogar höher als die Frachtsäße im internen Ge- treideverkehr, also es sind nicht bloß die Tarife absolut höher, sondern es sind auch die Antheile der deutshen Bahnen höher.

Meine Herren, in erster Linie sind bei den Transporten, wie Herr Graf von Klinckowström schon hervorgehoben hat, niht die Staats- bahnen, sondern die Privatbahnen, die Ostpreußishe Südbahn und Marienburg-Mlawkaer Bahn betheiligt. Von der Marienburg- Mlawkaer Bahn liegt mir eine Zusammenstellung vor, die Fol- gendes ergiebt: Im Jahre 1890 haben die Grenze bei Jllowo passiert 1088 Waggons Roggen. Auf den Roggen kommt es ja haupt- \ächlich an. Der dafür durhschnittlich erhobene Frachtantheil hat für den Wagen betragen 75,35 A, während der normale Tarif für Fnlandsgetreide auf derselben Strecke also Getreide, welches von Illowo nach Danzig aufgegeben ist, 79 F beträgt. Meine * Herren, hier is also im Durchschnitt ein etwas mäßigerer Saß für russishes Getreide wie für inländishes und zwar um 3,65 4 Meine Herren, was ih aber hauptsächlih damit beweisen möchte, ist das, was ih {hon vorhin angeführt habe, daß nit die weiten Entfernungen die maßgebenden sind, sondern die furzen. Wenn diese 1088 Wagen Roggen aus weiten Entfernungen von Rußland gekommen wären, so würde es niht möglich fein, daß der Frachtantheil ungefähr den normalen Antheilen für die Binnen- landsfraht gleihgekommen wäre.

Meine Herren, ih hoffe, daß Sie aus diefen Zahlen einige Bes ruhigung entnehmen werden bezüglich der Wirkung des Art. 19 des russishen Handelsvertrags. Meine Herren, vor mir liegt eine Notiz, was denn nun nach Einführung des rufsishen Handelsvertrags von Rußland gekommen ist, und zwar sind in der Zeit vom 20. März bis eins{ließlich 21. April d. J. mit der Eisenbahn . aus Nußland in den Provinzen Ost- und Westpreußen fowie in Posen eingegangen im ganzen an Speifegetreide 2336 t, davon nah den drei Hafenstädten 1566 t, das sind also 156 Wagen; an Futter- mitteln dagegen im ganzen 26 885 t (hört! hört !), davon nah den drei Hafenstädten 20214, also 2021 Wagen Kleie, Oelkuchen, Hülsenfrüchte und was dazu gehört alles solche Artikel, bezügli deren im Zollbeirath ausdrücklich erklärt worden ist, daß es im Interesse der diesseitigen Landwirthschaft liege, für diese Artikel billige Sätze zu gewähren, also auch billige Eisenbahntarife. Meine Herren, Sie ersehen daraus, daß zur Zeit die befürchtete Ueber- s{wemmung durh das angeblih hinter der rufsishen Zollgrenze massenhaft aufgespeicherte russishe Getreide nit eingetreten 0 bin au fest überzeugt, daß das in Zukunft lange niht in dem befürhteten Maße eintreten wird. Ich bin namentli nicht über- zeugt, daß durch die Neuerung, die in dem Art. 19 des russischen Handelsvertrags gegen die Vergangenheit eingeführt worden ist, daß auch das Loko-Getreide für Danzig, Königsberg und Memel zu den- selben Sägen gefahren wird, ein erheblicher nachtheiliger Einfluß auf unsere Landwirthschaft geübt werden wird. Meine Herren, unter diesen Umständen kann die Staatsregierung sich nicht entschließen, zur Zeit {hon Tarifmaßregeln zu treffen, die dahin gehen, dur Herabseßung der diesseitigen Lokaltarife den aus dem russischen Handelsvertrage sich etwa ergebenden Nachtheilen für die einheimische - Landwirthshaft ein Paroli zu bieten. Sie glaubt, daß es entschieden anzurathen ist, mit allen derartigen Maßregeln zu- näch} abzuwarten, um so mehr abzuwarten, da ja durch die Auf- hebung des Identitätsnahweises die Situation auch für diese Provinzen vollständig verändert ist. Und, meine Herren, wenn wir nun wirklich

dem Wunsche des Herrn Grafen von Klinckowström, der ja au von