1913 / 127 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 31 May 1913 18:00:01 GMT) scan diff

mit einem Nachtwächter,_ ino ‘Zusammenstoß haite; er mußte dafür eine geringfügige Geldslr/¡e zahlen. Nach zwei mir zugegangenen * Depeschen handelt es sih bei der Bestrafung wegen Diebstahls darum, daß der Mann als Schulknabe mit Spielgenossen zusammen ih etwas Obst angeeignet hat. Er hat deshalb cine Verwarnung ek- halten. Wie- der NRegierungsvertreter solche Bagatellsachen darstellt, grenzt an groben Unfug.

Direktor im Reihsamt des Innern Dr. Lewald: Jch habe über diesen Fall gestern mitgeieilt, was_ mir nach dem Bericht der Behörden vorliegt. Jch bin bereit der Sache nachzugehen und, wenn fie sit so verhält, das bei der dritten Lesung zu bemerken. (Ruf bei den Sozialdemokraten: Zuverlässigkeit der Behörden! Große Unruhe. Vizepräsident Dr. Paas che: Ich glaube, Sie können von einem Negiérungsvertreter feine andere Erklärung“ erwarten. Abg. Ledebour: Das ist ja ganz gleich! Andauernde Unruhe. Vize- präsident Dr. Paasche: Jch bitte um Ruhe! Abg. Ledebour: Erst soll ih der preußische Regierungsrat entschuldigen. Vize- präsident Dr. Paasche: Sie haben nicht das Wort, Herr Abg. Ledebour!)

Die 88 13 und 14 werden nah Ablehnung der Anträge

unverändert in der Kommissionsfassung angenommen. _ Zu § 15, ver bestimmt, daß: zur Entlassung einer Person, die unter elterliher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts notwendig Ut, diese aber nicht nötig -ist, wenn der Vater oder die Mutter die Entlassung für sih oder zugleich kraft elterliher Gemwalt' für ein Kind beantragt, beantragt der Abg. Dr. Blunck (fortschr. Volksp.), daß diesè Genehmigung auch bei Ehescheidungen in den Fällen notwendig ist, wo die Jnstitution der Sorge für die Person des Kindes in Frage kommt. Der Paragraph wird mit diesem Zusaß angenommen. : a

8 0 der Vorlage, wonach der Angehörige eines Bundes- staates die Staatsangehörigkeit in diesem Staate mit der Auf- nahme in einen anderen Bundesstaat verliert, ist von der Kom- mission abgelehnt worden. |

Ohne Diskussion wird die Streichung vom Hause ge- nehmigt. ( S: f ;

Nach § 22 verliert ein militärpflichtiger Deutscher, der im Jnlande weder seinen Wohnsiß noch seinen dauernden Auf- enthalt hat, seine Staatsangehörigkeit mit der Vollendung des 31. Lebensjahres, soforn er bis zu diesem Zeitpunkte noch feine endgültige Entscheidung über seine Dienslpflicht herbei- geführt hat, auch eine Zurückstellung über diesen Zeitpunkt hinaus nicht erfolgt ist. Éin fahnenflüchtiger Deutscher verliert unter denselben Vorausseßungen seine Staatsangehörigkeit mit dem Ablauf von zwei Jahren nah Bekanntmachung des Be- schlusses, durch den er für fahnenflüchtig erklärt worden ilt.

Mer auf Grund dieser Vorschriften seine Staatsangehörig- Feix vérloren hat, kann von einem Bundesstaat nur nach An- höruñg der Militärbehörde eingebürgert werden. Weist er nach, daß ihm ein Verschulden nicht zur Last fällt, so darf ihm die Einbürgerung von einem Bundesstaat, dem er früher angehört hatte, nicht versagt werden. : i 2

Die Sozialdemokraten beantragen die Streichung des § 22 und für den Fall der Ablehnung dieses Antrages die Ein- haltung der Worte „oder daß er militäruntauglih war“ hinter den Worten „zur Last fällt“.

Abg. Landsberg (Soz.): Nach diesem Paragraphen verliert die Staatsangehörigkeit auch derjenige, für den eine Dienstpflicht gar nit bestand. Nun sollen allerdings die Behörden entsprechenden- falls darauf Rüksicht nehmen. Wir haben aber eben gehört, daß €s Behörden gibt, die sih niht s{heuen, durch wissentlih falsche Berichte die Zentralbehörden irrezuführen.

Vizepräsident Dr. Paa s che: Ih nehme an, daß Sie mit Ihrer Acußerung nicht den vorhin erwähnten Fall gemeint haben.

Abg. Landsberg (Soz.): Ih habe allerdings den Fall im Auge gehabt, den Kollege Hanésen hier angeführt hak. : :

Nizepräsident Dr. Paas che: In diesem Falle muß ih Sie zur Ordnung rufen. “V

Abg. Landsberg (Soz.): Ih habe nur von den Behörden gesprochen, die den Regierungspertreter irregeführt haben.

Vizepräsident Dr. Paas che: Es ist kein Beweis dafür erbracht worden, daß die Behörden in diesem Falle wissentlich fals berichtet haben. Ich bitte, in Zukunft derartige Aeußerungen zu uaterlassen.

Der § 22 wird unter Ablehnung aller anderen Anträge in der Kommissionsfassung angenommen. |

Nach § 2% soll sich der Verlust und der Wiedererwerb der Staatsangehörigfeit in den Fällen des § 22 zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder erstrecken, deren geseß- liche Vertretung dem Ausgeschiedenen “oder dem Wleder- eingebürgerten kraft elterliher Gewalt zusteht, soweit sich die Ehefrau oder die Kinder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft befinden. Ausgenommen sind Töchter, die verheiratet sind oder verheiratet gewesen sind. i

Der 8 25 wird entgegen einem Antrage der Sozialdemo- fraten auf Streichung angenommen. :

8 Ha der Kommissionsbeschlüsse gelangt in folgender, von dem Abg. Belzer (Zentr.) beantragten redaktionell verbesserten Fassung zur Annahme:

„Ein ehemaliger Deutscher, der vor dem Inkcasttreten dieses Gesetzes die Neichsangehörigkeit durch Entlassung verloren hat, aber bei Anwendung des § 19 (die Gntlassung gilt als nicht er- folgt, wenn der Entlassene beim Ablauf eines Jahres nah der Aushändigung der Entlassungsurkunde seinen Wohnsiß oder seinen dauernden Aufenthalt im Inlande hat) als nicht entlassen gelten würde, muß auf jeinen Antrag von dem Bundesstaat, in dessen Gebiet er fich niedergelassen hat, eingebürgert werden, wenn er seit dem im § 19 bezeichneten Zeitpunkt seinen Wohnsiß im In- lande behalten hat und den Anforderungen des § 7 Absaß 1 ent- spricht, au den Antrag innerhalb eines Jahres nah dem Inkraft- treten dieses Gesezes stellt. Die Vorschrift des § 7 Absay 2 findet Anwendung.“

8 96 der Kommissionsbeschlüsse besagt :

„Ein ehemaliger Deutscher, der vor dem Inkrafttreten dieses Gesezes die Netchsangehörigkeit nah dem Gesey von 1870 durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande verloren hat, muß von dem Bundesstaat, in dessen Gebiet er sich niedergelassen hat, eingebürgert werden, wenn er keinem Staate angehört. : i

Das gleiche gilt von dem ehemaligen Angehörigen eines Bundesstaates oder eines in demselben einverleibten Staates, der bereits vor dem Inkrafttreten des Geseßes vom 1. Juni 1870 nah Landesrecht seine Staatsangehö1igkeit durch Aufenthalt außerhalb seines Heimatstaates verloren hat.“

Die Sozialdemokraten wollen hier hinter den Worten Wenn er feinem Staate angehört“ die Worte hinzufügen : „Oder die auswärtige Staatsangehörigkeit durch die Einbürge- rung verliert.“ Denselben Antrag hat die Fortschrittliche Volkspartei gestellt.

Abg. Landsberg (Soz.): Unser Antrag bezweckt nur eine Klarstellung. Es gibt eine Rethe von Staaten, die eine Gntlassung aus dem Staatsverbande nit kennen. Wir dürfen eine Person, die aus einem fremden Staatenverband entlassen worden ist, nit besser stellen, als eine solche, die daraus gar nit entlassen werden kann.

Abg. Dr. Blun ck (Fortschr. Volkep.) : Da sich unser Antrag inhaltlich mit dem der Sozialdemokratie deckt, so ziehe ih den unserigen zurück.

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Direktor im Auswärtigen Amt Dr. Kr ie g e: Die Regierungsvorlage geht von dem Gedanken aus, daß man die Staatsangehörigkeit, die man durch zehnjährige Abwêsenbeit verlo:en hat, wiedèrerwerben kann. Es ist deshalb fein Grund vorhanden, noch über die vorliegenden Be- stimmungen hinau8szugehen. Insbesondere darf man nicht denjenigen, die noch im Besitz einer fremden Staatsangehörigkeit sind, ein Recht geben, die deutsche Staatéangehöriakeit zu erwerben. er Geseßz- entwurf gibt ja. hon im- weitesten Maße die Möglichkeit, das deutsche Staatsbürgerrecht wieder zu erwerben. Wird der vorliegende Antrag angenommen, dann fönnen leiht allerhand Schwierigkeiten entstehen, wie es schon der Fall gewesen ist. Das kann dadur geschehen, daß der Betreffende ja als Angehöriger eines fremden Staates auch an dessen politischem Leben regen Anteil nehmen wird.

Der 8 2% wird in der Kommissionsfassung angenommen. Der Rest des zweiten Abschnittes, §§ 27—29, wird nach den Kommissionsvorschlägen erledigt. Der dritte Abschnitt, §8 30, 30a und 30þb, handelt von der „unmittelbaren Reichsangehörigkeit“. 8 30 der Kommissionsvorschläge lautet: „Die unmittelbare Reichsangehörigkeit kann verliehen werden

1) einem Ausländer, der sih in einem Scbußtgebiet niedergelassen

hat, oder einem Eingeborenen in einem Schußzgebiete, 2) einem

ehemaligen Deutschen, der sich nicht im Inland niedergelassen hat; einem ehemaligen Deutschen steht glei, wer von ihm abstammt oder an Kindesstatt angenommen ist.“

Ueber den Begriff „Eingeborenen“ in § 30 gibt der

Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald folgende Erklärung ab: „Auf die Anfrage des Abg. von Liebert in der Sitzung vom 28. Mai, welchen Eingeborenen in den deutshen Schuß- gebieten die Neichsangehörigkeit verliehen werden soll, habe id folgendes zu erklären: Die Befugnis des Neichskanzlers, Ein- geborenen in den Schußzgebieten die Neichs8angehörigkeit zu ver- leiben, wird niht erst durch den § 30 der Geseßesvorlage be- gründet, sondern besteht bereits auf Grund des § 9 des Schuß- gebietsgesctes, dessen Inhalt, soweit cr den Erwerb und Verlust der unmittelbaren Neichsangehörigkeit bebandelt, lediglih in § 30 wiedergegeben tit, wie das auch die Begründung der Geseßtes- vorlage zum § 30 hervorhebt. An den Grundsätzen, die hon bisher für die Verleihung der Reichsangehörigkeit an Eingeborene in den Schuygebieten maßgebend waren, wird daher nichts geändert. Die Kolonialverwaltung versteht unter Eingeborenen die Angehörigen der in den Schutgebieten heimischen eingesessenen Stämme, die ihnen rechtlich gleihgestellten Angehörigen fremder farbiger Stämme und die Mischlinge, indessen nur, insofern niht die Stammesangehörigen oder Mischlinge die NReichsangehörigkeit oder eine ausländishe Staats- angehörigkeit besitzen. Die Verleihung der Neichsangehörigkeit an Eingeborene i\stt bisher nur unter der Vorausseßung er-

folgt, daß der Bildungs- und Wirtschaftsssttand, sowie die sittliche Lebensführung des Eingeborenen die bürger- rechtlih2 Gleichstellung mit den Nichteingeborenen reht-

fertigten. Die Kolonialverwaltung hat mangels dieser Vorauéseßungen bislang überhaupt davon abgesehen, rein rassishe Cingeborene einzu- bürgern, und wird au für die Zukunft, sofern die angegebenen Boraussetzungen fehlen, davon Abstand nehmen. Dagegen hat sie in einzelnen Ausnahmefällen Mischlingen, bei denen die Vorausfezungen zutrafen, die Neichsangehörigkeit verliehen, um Härten zu beseitigen, die sich aus einer Gleichstellung mit den Eingeborenen ergaben. Diese Fälle werden jedo, wi: auch in der Begründung der Geseßz28- vorlage zum § 30 ausgeführt ist, auch in Zukunft eine seltene Aus- nahme bilden.“ i

8 30 wird angenommen.

Die Sozialdemokraten beantragen einen neuen § 30e, wonach gegen ablehnende Bescheide auf Grund dieses Gesetzes das Verwaltungsstreitverfahren bzw. der Rekurs zugelassen wird. Von den Nationalliberalen ist beantragt, den Rekurs zuzulassen; die Fortschrittliche Volkspartei beantragt die -Er- teilung schriftlicher Bescheide und die Zulassung des Verwal- tungsstreitverfahrens bzw. des Rekurses, sowie in einer Reso- lution die baldige Einbringung eines Geseßes, welches ein Reichsverwaltungsgericht schafft, dem auch die Entscheidung dieser Streitfrage in leßter Jnstanz obliegt.

Abg. Dr. Liebkn e cht (Soz.): Im § 22 heißt es, daß dem- jenigen, der seine Staatsangehörigkeit verloren hat, die Aufnahme nicht versagt werden darf. Damit is ein Recht auf Einbürgerung verliehen. Das Geseß muß aber vollkommen sein, deshalb muß auch ein Rechts\{huß gewahrt werden für das Necht der Einbürgerung. Bereits das allgemeine Landreht hat den Grundsaß aufgestellt, daß das Recht auch mit einem MNechts\{huß versehen werden muß. Bedenken formaler Art können nicht erhoben werden. Wir haben zahlreiche . Präzedenzfälle. Jn Preußen unterliegen z. B. der ver- waltungsgerichtlichen Entscheidung die Berufungen gegen Ent- \cheidungen auf Grund des Vagabundengeseßes. In Preußen heißt es durchaus noch nicht, daß man ein Recht auch ausüben kann, wenn man ein Recht hat; der preußischen Negierung gegenüber muß man sehr vorsichtig sein, man darf ihr nicht trauen. Dafür sind erst in der gestrigen und auch in der heutigen Sißung Beweise geliefert worden. Das ganze Verhalten der preußischen Megierung, die natürlich der Inspirator der Vertreter der Reichsregierung ist, hat bewiesen, daß die Regierung die Gewissenhaftigkeit, die sie von jedem Staatsbürger verlangt, ih vershlucke lieber das Weikére, denn jeder weiß, was ich sagen will. Von den drei vorliegenden Anträgen ist der nationalliberale Antrag entschieden der \chlechteste, denn dieser ver- langt nur das Rechtsmittel des Nekurses. Unser Antrag und der fortschrittliche Antrag dagegen erfordern wenigstens das Verwaltungs- \treitverfahren. Das ist ein entschiedener Vorzug. Wir haben nicht das Vertrauen zur preußischen Negierung, daß, wenn der national- liberale Antrag angenommen wird, sie dann auf diese Dinge das Ver- waltungsstreitverfahren anwenden würde. Mit Rücksicht auf dieses abtrünnige Mißtrauen bitten wir, unsern Antrag anzunehmen.

Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald bittet, den sozialdemokratischen Antrag abzulehnen. : : G

Abg. Bee ck - Heidelberg (nl.): Auch wir wollen die Schaffung eines solchen Rechts\hußes als den Anfang für die Grfüllung des Wunsches auf Einseßung eines Reichsverwaltungsgerihts. Lbenn wir darauf verzichten, in einem ganz bestimmten einzelnen Fall dies Necht in Anspruch zu nehmen, so haben wir uns dazu entschlossen aus den gewihtigen Gründen, die wir von dem Regierungsvertreter vernommen haben. Wir wünschen also bei dieser Gelegenheit die Ein- führung des Reichsverwaltungsgerihts anzubahnen. Ich bitte Ste, unseren Antrag anzunehmen und die anderen Anträge abzulehnen.

Abg. Sie h r (fortschr. Volksp.): Ohne richterliche Entscheidung würde das Necht des Antragstellers wertlos sein. Man hat empfohlen, diese ganze Sache am besten den Einzelstaaten zu überlassen, denen man bereits Rechtsgarantien gegeben habe. Darauf können wir uns nicht verlassen. Nur einzelne Bundesstaaten haben diese Frage ge- regelt, und sie können diese geseßliche Regelung nah Belieben jeder- zeit wieder ändern. Nachdem wir einmal das Recht auf Einbürgerung geschaffen haben, muß auch reichsgeseßlich dafür gesorgt werden, daß Garantien für die Durchführung dieses Rechtes gegeben werden. Diese Rechtsgarantien müssen {on im Geseß festgelegt werden. Jn den Bundesstaaten, die kein Verwaltungsstreitverfahren haben, fann der Rekurs Plaß greifen. Ich hatte gehofft, daß die nationalliberale Partei rüchaltslos für das Neichsverwaltungsstreitverfahren eintreten würde. Ihre Wortführer ließen erkennnen, daß sie dies tun würden. Nun kommt der nationalliberale Antrag, der diese Hoffnung vernichtet. Die Herren wollen solche Fälle, wo es sich um die (Finbürgerung von Ausländern handelt, die im Heer gedient haben, nit der Ent- \cheidung des Verwaltungögerichts unterbreiten, weil diese Entschei- dung zu s{wierig sei. Nach dem neuen Spionagegeseß foll der höchste Gerichtshof noch über viel s{wierigere Fragen ent cheiden. Wir

/ wurf, betreffend Aenderung des

‘.

Teil unseres Antrages ift allerdings nur ein gewisser Notbehelf, des-

halb verlangen wir im zweiten Teil eine einheitliche Spiße durch das

Neichsverwaltungsgeriht. Wird eine einheitliche Spibe der Neichs-

fontrolle geschaffen, so werden auch diejenigen Einzelstaaten, die noch

kein Verwaltungsstreitverfahren kennen, eher geneigt sein, es ein-

“i rata Hoffen wir, daß der gute Wille zur Durchführung dieser eform an keiner Stelle fehlt.

Die Anträge Ablaß und Albrecht werden abgelehnt, der Antrag Bassermann gelangt gegen die Stimmen der- Sbzikil- demokraten zur Annahme.

Ohne Debatte wird der Rest des Geseßentwurfs nach der Kommissionsfassung angenommen. Die Resolution Bassermann auf Schaffung eines Reichsverwaltungsgerichts wir eben- falls angenommen, die Resolution der Sozialdemokraten be- treffend die Einbringung eines Gesetzes über ein einheitlihes Reichsindigenat M :

Der mit der Vorlage in Verbisdung stehende Gesetent-

eihsmilitär- gesetes, und des Gesetes, betreffend Aenderung der Wehrpflicht, wird hierauf ebenfalls in zweiter Lesung er- L Gegen die neue Fassung des: §& 11 des Reichsmilitär- gelebßes: i

im Meichsgebiet oder in einem Schußgebiet dauernd aufhalten, zur

Erfüllung der Wehrpflicht wie Deutsche herangezogen werden.“ erklärt sich namens der Sozialdemokraten der Abg. Bern - stein. §11 wird unverändert angenommen, ebenso ohne De- batte der Rest der Vorlage nah den Kommissionsvorschlägen..-

Es folgt die Jnterpellation Albrecht (Soz.):

„Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft darüber zu er- teilen, ob im Bundesrat neue Diktaturgeseße (Einschränkung des MNeichsvereinsgeseßes und des Prebgeseges) für Elsaß-Lothringen vorgeschlagen sind? Billigt der Herr Reichskanzler die zuerst in Pariser Blättern veröffentlichte Vorlage und ihre Begründung?“

Die Beantwortung der Interpellation is für Ende der Woche seitens des Vertreters des Reichskanzlers zugesagt worden. :

Zur Begründung der Interpellation bemerkt d * __ Abg. Emmel (Soz.): Unsere erste Frage an den Reichskanzler ist durch die Tatsachen überholt. In der elsaß-lothringischen Kammer hat die dortige Regierung zugegeben daß sie solche Vorschläge an den Bundesrat hat gelangen lassen. Es bleibt also nur die zweite übrig. Die elsaß-lothringishe Regierung scheint das Bedürfnis zu haben, wieder einmal im Vordergrund des öffentlichen Interesses zu stehen. Sonst hätte sie sich niht mit solchen Dingen beschäftigt. Es wäre auch unverständlich, daß die Regierung immer wieder die Bevölkerung provoziert. Sonderbar is}, daß von diesen Vorgängen zuerst die Pariser Tagespresse Kenntnis erlangt hat. Das muß zu allerlei Ge- danken veranlassen. Es heißt, der jeßige Statthalter sei amtsmüde und der Regent von Braunschweig solle “an seine Stelle treten. Daraus kann man schließen, daß in den oberen Regierungskreisen doch nicht eine solche Uebereinstimmung herrsht. Das ét fen Mate- rial war doch nur den engsten Negiéxunasbroilen bekannt und kann nur von dort in die Pariser Tagespresse geleitet worden sein. Mit der Einführung des Meichspreßgeseßes für Elsaß-Lothringen könnte man einverstanden sein, da dadurch die Kautionspflicht fortfiele. Aber man verlangt dafür die Möglichkeit des Verbots von Zeitungen, vor=- läufig allerdings nur von solchen in französischer Cs Das ist eine Ausnahmebestimmung für Elsaß-Lothringen. Es 1 nicht zu- lässig und widerspricht unbedingt dem Geiste der Reichsverfassung, wenn man durh Neichsgeseße besondere Bestimmungen für einzelne Bundesstaaten schafft. Mit demselben Recht, mit dem man solche Ausnahmebestimmungen für einen Bundesstaat seitens des Reiches er- lassen wollte, könnte Immer die Reichsgeseßgebung in die Landesgescß- gebung eingreifen. Mit demselben Nechte könnte äh D - ßishe Gnteignungsgeseß aufheben, und mit demselben. Rechte könnte man in Preußen, Mecklenburg und in verschiedenen anderen Bundes- staaten auch von Reichs wegen die Wahlrechtsfrage lösen. Wenn der Bundesrat und die Reichsregierung sih auf den Standpunkt stellen sollten, daß solche Ausnahmebestimmungen innerhalb der Reichsgeseß- gebung zulässig sein sollten, dann wäre es selbstverständlich, daß dies nicht auf ein Land und auf die jeßt vorgeschlagene Materie beschränkt sein könnte, sondern daß es auh möglich wäre, über den Rahmen der jeßigen Vorschläge hinaus eine reichsgeseßliche Regelnug solcher Dinge vorzunehmen, die bisher durch die Bevölkerung der Einzel- staaten selbst geregelt wurden. Wenn man nun sagt, es sind Spezial- geseße für ein einzelnes Land, so könnten auch auf allen anderen Ge- bieten mit demselben Rechte Spezialgeseße erlassen werden, die noch viel weiter einschneiden in die einzelstaatlihen Verhältnisse, als es jeßt der Fall sein würde. Von diesem Gesichtspunkt aus is das Vor- gehen bedenklich, das jeßt auf Anregung der elsaß-lothringischen Regie- rung im Reiche eingeschlagen werden soll. Es stellt ein Novum dar, das nicht sehr empfehlenswert ist. Die Scharfmacherpresse, die „Nheinish-Westfälische Zeitung" und alle diese Blätter sind sofort damit einverstanden gewesen, daß man nicht Ausnahmege]eße macht für Elsaß-Lothringen, sondern daß man diese Bestimmungen sofort als allgemeine Neichsgesebe erläßt, und daß man dann diese Bestim- mungen nicht nur in der Östmark, sondern auch in Schleswig-Holstein anwendet, und daß man diese Bestimmungen da anzuwenden berechtigt sein foll, wo es der Negierung gefällt. Diesen Blättern wäre es am liebsten, jene Ausnahmebestimmungen vielleicht auh gegen die Sozial- demokratie anzuwenden, was schon lange der Wunsch dieser Kreise ist, der aber bis jeßt noch nicht verwirklicht worden is. Die Schaffung solcher Ausnahmcebestimmungen widerspricht dem Geist der Neichs- verfassung. Die MReichsgeseße haben für das ganze Reich zu gelten. Es ift außerordentlich bedenkflih, wenn man für einzelne Landesteile besondere Spezialgeseße erläßt. Die reichsländische Regierung hat bis jeßt ausländische Zeitungen verboten. Sie will aber auch Romane usw., Bücher verbieten und darüber hinaus die Möglichkeit haben, daß Zeitungen, die in Elsaß-Lothringen in S Sprache er- scheinen, verboten werden. Sie will vor allem die Möglichkeit haben, das „Journal d’Alsace-Lorraine“ und den „Nouvelliste“ des Abg. MWetterlé zu verbieten; das würde aber ein Schlag ins Wasser sein, denn Wetterlé hat bereits angekündigt, daß er in diesem Falle sein Blatt in deutscher Sprache erscheinen lassen würde. Dann würden auch diejenigen das Blatt lesen, welche die französische Zeitung nicht gelesen haben. Denn bisher hat nach der eigenen Meinung der Negierung nur cine dünne Schicht- der Bourgeoisie diese Blätter ge- lesen. Die Megierung würde also das gerade Gegenteil von dem er- reichen, was sie erreichen will: die betreffenden Blätter würden in die breiten Massen des Volkes eindringen, und der Nationalismus würde in Kreise hineingetragen werden, die ihm bisher fernstanden. Auch im Landtage hat der Staatssekretär Zorn von Bulach keine besseren Gründe angeführt, als sie von der französischen Presse aus der Be-

ründung mitgeteilt worden sind. In Lothringen sollen diese Be- Mlrimüngen nicht angewendet werden, weil man dort ohne französische Blätter nit auskommen kann. Die Ausnahmebestimmungen richten sich also eigentlih nur gegen die beiden erwähnten Blätter. Man hat mit dem persönlichen Vorgehen gegen Wetterlé eine unnöttfe Reklame für den kleinen Abbé gemacht. Niemand hat sich mehr Kefreut als Wetterlé über dies ungeschikte Vorgehen der Negierung. Es war eine unbezahlbare Reklame für ihn. Die Ver- anlassung des ganzen geseßlihen Vorgehens is die Tour des Abg. Ietterlé und zweier anderer nah Frankreih. Wegen dieser drei Personen verlangt man Ausnahmegeseße für ganz Elsaß-Lothringen! Die ganze nationalistishe Gruppe fallt zahlenmäßig kaum ins Ge- wicht. Sie hat bei den Wahlen von 1911 nur'32 % aller Stimmen erhalten, troßdem sie uns als faiserlihe Sozialdemokraten bekämpfte. Diese Bewegung hat keinen Boden im elsaß-lothringischen Volke, nur éine dünne Oberschicht hat für sie ein Jnteresse. Bei den Reichs4

fönnen also diesen Einwand nicht als stichhaltig ansehen. Der erste

„Personen, die keinem Staat angehören, können, wenn sie si! *

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nichts gemerkt. Aba Zentrum, Liberalen, L und Sozial- demokraten gäb es keine andere Partei, die überhaupt aufgetreten ist. Wetterlé wäre als Kandidat des Nationalbundes durchgefallen; er ist nur durhgekommen, weil das Zentrum ihn unterstüßt hat. Man {ießt also mit Kanonen gegen Spaten und will nur die Oeffent- lichkeit täuschen, ihr blauen Dunst vormachen, wenn man es so hin- stellt, als gäbe es in Elsaß-Lothringen eine ernsthafte nationalistische Bewegung. Die reichsländische Regierung kann ernstlih so etwas nicht behaupten, und daß geseßgeberische Maßnahmen gegen sie not- wendig wären. Was wirft man denn den dortigen Blättern vor? Gewiß enthalten sie Geschmadlosigkeiten, aber ein Verbot zu er- lassen, liegt keine Veranlassung vor. Auch andere Blätter haben faule Wiße über die Einfälle des Zeppelin gemacht usw. Alles, was man anführen kann, zeigt höchstens, daß die Schreiber wenig taktvoll und ziemlich geshmadcklos fich ausgedrückt haben, aber ein Ausnahmegeseß gegen die ganze Bevölkerung rechtfertigt das nicht. Der Unterstaatssekretär Mandel meinte im Landtage denn auch: das Geseß solle nur eine a nungatale sein, es solle wie ein Damokles- shwert über den Leuten \{chweben, um eventuell auf sie niederzusausen. Cixe solche ständige Bedrohung eines Blattes mit dem Verbot sehe ih aber {hon als direkt unmoralisch an. Die Vegierung verliert A Maßstab für die wirkliche Meinung der Bevölkerung, wenn sie erart eine Betätigung dieser Nichtung in der Presse verhindern will ; und wirksam wäre ein solches Verbot doch nicht. Wenn die Negie-

rung ausnahmsweise einmal vernünftig denken würde, müßte sie das"

selbjt einsehen. Weiter ist eine Einschränkung des Vereinsrehts beabsichtigt. Man will Vereine auflöjen köanen, niht bloß auf Grund des Neichsvereinsgeseßes, sondern auh_ weun fie durch ihre Tätigkeit die öffentlihe Sicherheit, den öffentliben Frieden ge- fährden. Sie alle wissen, was hinter diesen shönen Ausdrücken steht. Sie sollen. aber au aufgelöst werden, wenn sie andere als in den Statuten festgestellte Zwecke verfolgen. Dann ‘würden {ließli die Polizeispißel der Regierung die leßte Entscheidung in der Hand haben. Beim Verein der Fremdenlegtonäre, eben'o wie beim fran- zösischen Luftschifferverein bat es sih nur um Behauptungen von Spiteln gehandelt. Die Negierung hat diese Behauptungen zu den ihrigen gemaht. Der Verein der ehemaligen Fremdenlegionäre hat den Zweck, junge Leute durch Wort und Schrift von dem Eintritt in die Fremdenlegion abzuhalten sowie zurückgekehtte Fremdeulegionäre zu unterstüßen und {ließli} GefeUigkeit und Kameradschast zu pflegen; Diskussionen über Politik und Religion sind unter allen Umständen ausgeschloffen. Nur deutsze YMeichsbürger

können Mitglieder sein; Ausländer, welhe zum Aufent- halt in Clsaß - Lothringen berechtigt sind, könncn Miit- alieder des Vereins, aber niht des Vorstandes werden.

Das sind die fürhterlihen Statuten dieses Vereins, dessen Tätkgkeit man für die Begründung von Ausnahmegesetßzen heranzieht ! Die Fahne des Vereins, die au beanstandet worden war, hat etn Land- tagsfollege von mix in den Landtag mitgebracht, und es hat sich heraus- gejtellt, daß keine staatsgefährlihe Zusammenstellung von Farben vor- handen war. Der Unterstaatssekretäcr Mandel meinte aber, wenn die Fahne im Winde flattere, könne man blau-weiß-rot ertennen. Sowett geht also die Unterstellung autgesuchter Bosheiten in diefer Nichtung ; und der Unterstaatssekretär Mandel wollte fih durch1us nit belehren lassen. Einem Soldaten in Uniform, der zum Vorsitzenden kam und ihm mitteilte, er wolle desertieren und in die Fremdenlegion eintreten, und uin Rat fragte, ist die Tür gewiesen worden ; gegen diesen Scldaten, der ganz gewiß nicht aus eigenem Antrieb kam, der dem Borsißenden offenbar eine Falle stellen wollte, ist bisher nicht eingeschritten worden. Es handelt sih unzweifelhaft um eine ganz nichtswürdtge Polizeifalle. Jn der für den Bundesrat bestimmten Begründung wird weiter gesagt, es habe sih eine 300 Köpfe starke Gruppe des französischen Wftschiffervereins gearündet, der für die Entwicklung der "französischen Uuftflotte arbeiten soll. Es gibt in Mülhausen, wie wir jeßt er- fahren haben, allerdings Einzelmitglieder dieses Vereins, «aber keine Artégruppe; auch handelt «s sich da nur um rein sportlihe Be-

tigung. Wenn eine Ortsgruppe niht besteht, kann fie d au nicht aufgelöst werden. Von ciner Unterstüßung a franzöfishen nationalen Bestrebungen auf “diesem Gebiete

fun nach der Aussage dieser Mitglieder gar keine Nede scin. Ler ganze Jahresbeitrag beträgt 6 Fr. gleih 4,580 4. Dafür be- immen sie eine Vereins\chrift, eine reine Sportschrift, zugeschickt, und die Mitglieder des Vereins haben zu allen Sportveranstaltungen in Frankreich freien Zutritt oder Preisermäßigungen. Den Mit- gliedern des Vereins sind Zwecke der Sportveranstaltung gegen Deutschland nicht bekannt. Als Delegierter des Pariser Vorstandes eristiert im Elsaß nur cine Peison. Dieser war beauftragt bei der Beerdigung des verunglückten Leutnants Neumann einen Kranz niederzulegen. Die Leute verfolgen also rein \portlihe Zwecke, keinen politisGen Zweck. Die Behörden haben sihch gar niht an zuständiger Stelle informiert, sie stüßen fih auf den Bericht eines Polslizeispigels. Als dritter gefährliher Verein muß der lothringishe Verein herhalten. Der Souvenir Lorrain hat sich aufgelöst und ist jeßt ein elsaß-lothringischer Verein. Seine Mitglieder bestehen allerdings auch aus solchen, die 1870 bis 71 im französishen Heere gedient haben. Wollen Ste tem Sohne eines solchen Vaters verargen, daß er seines Vaters ge- denkt ? Das ist do rein menschlich. Was hat die Negie: ung mit ihrem Vorgehen gegen den Verein erreicht? Die Auflösung des Vereins ist zu Unrecht geschehen, die Regierung hat von dem Gericht in Meß eine eklatante ODhrfeige erbalten, denn der Vorsizende des Vereins ist freigesprohen worden. An den Feiern des Vereius haben NRegierungsvertreter tetlgenommen. Es ist ein merkwürdiger Zickzack- iurs der Regierung, wenn sie“ einen solchen Verein erst einführt und dann sagt, wie kann ich ihn wieder loswerden. Vielleicht wird man jagen, es handle fich nicht um Ausnahmebestimmungen gegen die elsaß-lothringishe Bevölkerung, scndern nur gegen die Nationalisten. Die Erfahrung lehrt, daß in der Praxis es ganz anders kommt, aber gegen Ausnahmemaßregeln gegen die Nationalisten müssen wir pro- testieren, gegen diese kleinen vorlauten Gruppen, wie fie der Unter- staats\ckretär Mandel genannt hat. Nebrigens haben für die Resolution der Zweiten Kammer nicht alle Mitglieder gestimmt. (Der Nedner zitiert die Nesolution) Die Nesolution ist an- genommen mit allen Stimmen mit Ausnahme der Wetterlés und eines Kollegen ven ihm, die sih der Abstimmung ent- halten haben. Die Regierung kann daran ersehen, daß alle Kreise der elsaß-lothringishen Bevölkerung bis auf dic keinen vorlauten Sruppen gegen Ausnahmemaßnahmen sind. Diese würden diese Gruppen nur stärken. Auch die Erste Kammer hat gegen das Bor- gehen der Regierung Stellung genommen, darunter auch 9 sogenannte Naisermitglieder. (Der Redner zitiert auh die Resolution der Ersten Kammer.) Gegen die Resolution haben einige Generale, Professor band und Blumenthal gestimmt. Glaubt dle Reichsregierung, daß auf dem vorgeschlagenen Wege ihr Ziel erreiht wird? Der tationalismus ist {on tatsählih niedergezwungen worden bei den Andtagswáählen von 1911. Daran hat die Soztaldemokratie ein 0rößeres Verdienst als die ungeschickte Regierung. Die Régierung g dem Nationalismus mit solhen Autnahmebe|stimmungen nur auf M Beine helfen. Ste überschäßt diese Leute und hat nicht das aktgefühl gehabt, das Neich mit solchen Dingen zu verschonen, und e handelt sich um Lappalien, die noch dazu übertrieben sind. Die Presse der Nechten ist daran {chuld, daß der Nattonalismus noch dei ganz versch{Gunden ist, namentlih die „Rheinish-Westfälifche Fung . Solche Preßstimmen tragen niht zur Versöhnung bet. le Alldeutschen und die Nationalisten wetteifern in der Aufheßzung S Bevölkerung, sie haben sih nichts vorzuwerfen. Mit herbens{lagen, Neden usw. macht man die Dinge nicht besser. defi Berner Konferenz hat nirgends einen solhen Widerhall Dia wie in Elsaß-Lothringen. Eine friedlihe Verständigung loteten, Deutschland und Frankrelch is das Ideal der elsaß- la Ungischen Bevölkerung. In diese ruhige stetige Entwicklung sollte maß niht ungeschickt ‘eingreifen, wie es durch diese Ausnahme- be: regeln geschehen würde. Der Reichskanzler sollte eine Be-

tagêswahlen von 1912 haben wir von den Nationalisten überhaupt

zu Frankreich gestaltet sei. Das ist ganz richtig. Den elsaß-lothringi-

Lothringen werden ohne diese besser fertig werden mit dem Nationalismus. Der Zickzackurs der Regierung hat diese Ent- wicklung géstört. Die Regierung sollte ruhiger, weniger neross sein und einsehen, daß ein Eingreifen mit Ausnahmebestimmungen nur shädlich sein kann. Wir sind selbstverständlih gegen jede Aus- nahmegesetßze und wir erwarten, daß auch der Neichstag sie ablehnt, selbst wenn die Regierung dafür eintreten wollte.

Zur Beantwortung nimmt das Wort der

Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg:

Meine Herren! Da die Anträge der elsaß-lothringischen Re- gierung, welhe den Gegenstand Jhrer Interpellation bilden, vom Bundesrat noch nicht verhandelt worden sind, kann ih heute nicht im Namen der verbündeten Regierungen sprechen. Es liegt mir aber daran, für meine Person einer Reihe von Vorstellungen entgegenzu- treten, welche die Kritik namentlih in Elsaß-Lothringen an diese An- träge geknüpft hat.

Man hat in Elsaß-Lothringen darüber geklagt, daß die Anträge der reichsländischen Regierung ein Schlag ins Gesicht der vor zwei Jahren gewährten Verfassung sind. Meine Herren, mit der Ve r- fassung von Elsaß-Lothringen haben diese Anträge gar nichts zu tun. Die durch die Verfassung dem Reichsland gewährte Selbständigkeit der Landesgesetgebung, die beiden Kammern, die Be- teiligung Elsaß-Lothringens am Bundesrate bleiben vollständig da- von unberührt, welches Vereinsgeseß oder welches Pressegeseß in Elsaß- Lothringen besteht. Die durch die Verfassung gewährte größere Selbständigkeit staatlichen Cigenlebens fordert in keiner Weise, daß nun alle einzelnen Materien im -Reichslande genau ebenso geordnet sind wie in den anderen Bundesstaaten oder wie im Reich. So ist es doch, meine Herren, gerade bei den Materien der Fall gewesen, die uns hier beschäftigen: beim Vereinsrecht und beim Pressegeseßz. Elsaß-Lothringen ist, als das Meichsvereinsgeseß erlassen wurde, in seinen Bereich einbezogen worden, und niemand hat damals danach gefragt, * wie die elsaß-lothringishen Verfassungszustände gestaltet werden sollten. Und als vor zwei Jahren die Verfassung erlassen wurde, da ist in gleicher Weise niht in Frage gekommen, um des- willen nun auch das NReichspreßrecht auf Elsaß-Lothringen auszu- dehnen. Die Dinge stehen eben in keinerlei ursächlichem Zusammen- hang.

Dabei will ih aber eins zugeben. Als ih vor zwei Jahren hier im NMeichstag die elsaß-lothringishe Verfassung vertrat, da habe ih es in dem ausgesprochenen Vertrauen getan, daß der Kern der elsaß-lothringischen Bevölkerung nichts anderes wolle, als unter Wahrung feiner Eigenart friedlicher Arbeit nachzugehen, daß er in größerer Selbständigkeit als zuvor sein eigenes Haus in eigener Ent- schließung auszubauen wünscht, und daß es auf diesem Wege gelingen werde, die innere Verschmelzung Elsaß-Lothringens mit dem Reiche besser als zuvor zu fördern.

e Meine Herren, troß des Widerspruches, dem ih auf manchen Seiten, namentlich hier auf der Rechten (Sehr richtig! rechts), be- gegnen werde, halte ih an der Auffassung fest, daß 1ch mi in dieser Beurteilung der großen Masse des werktätigen elsaß-lothringischen Volkes nicht geirrt habe. (Lebhafte Zustimmung.) Jch halte auch heute noch an der Ueberzeugung fest, daß mit der Zeit das Verfassungs- werk das leisten wird, was es leisten soll. (Sehr richtig!) Und weil ich an dieser Ueberzeugung festhalte, kann ih mich in die Gefühle der- jenigen Elsaß-Lothringer hineindenken, die in allen Ausnahmebe- stimmungen eine capitis diminutio erbliden. (Erneute Zustimmung.) i Aber ih möchte doch die Herren in den Meichslanden und auch die Herren hier im Reichstage bitten, zu bedenken, daß diese Aus- nahmebestimmungen, über die sih der Herr Vorredner so beschwert hat, gar nicht, wie er richtig gesagt hat, gegen diejenigen Glemente Elsaß-Lothringens gerichtet sind, welche eine ruhige und friedliche Ver- ständigungspolitik wollen, sondern gerade gegen diejenigen Elemente, welche diese Verständigungspolitik zu hintertreiben versuchen. Jch ver- kenne durchaus nicht, daß sih in neuerer Zeit in Elsaß-Lothringen eine entschiedene Opposition gegen den Nationalismus zu bilden beginnt. (Lachen bei den Soz.) Jch weiß nicht, was darüber zu Tachen ist. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Ueber das „be- ginnt!) Gewiß, meine Herren, „beginnt“! Genau dieselbe An- sicht hat der Vertreter derjenigen Herren hier eben ausgesprochen, die jeßt durch meine Worte zur Heiterkeit gestimmt werden. (Sehr richtig!) Also, meine Herren, ih habe den Eindruck, daß sich diese Opposition zu bilden beginnt. Aber gerade diejenigen Herren in den Neichslanden, welche diese Opposition zu fördern suchen, welche in dieser Opposition tätig sind, werden mir zugeben müssen, daß seit langem der Nationalismus in Elsaß-Lothringen nicht so herausfordernd aufgetreten ist wie in den leßten Jahren. (Sehr richtig!)

Nun verlangt der Herr Vorredner, man solle diesen Nationalis- mus nicht überschäßen. Jch halte das für richtig. Man soll der- artige Bestrebungen nicht übershäßen, man soll ihnen nicht ein Relief geben, das sie niht haben und das sie nicht verdienen. Aber man soll auch solche Bestrebungen nicht untershäßen. (Sehr richtig!) Wenn der Herr Abg. Emmel gemeint hat, daß diese ganze nationa- listishe Bewegung eine absolute quantité négligeable sei, so seßt er sih damit in Widerspruch mit der berechtigten Entrüstung, mit der weite elsaß-lothringische Kreise die nationalistischen Taten, nament- lich des Herrn Wetterlé in diesem Winter, von sih gewiesen haben. (Sehr richtig!)

Sie wollen, meine Herren, auch noch ein weiteres dabei bedenken. Mir ist einmal die Ansicht entgegengetreten, man soll über die Aeuße- rungen des Nationalismus nicht nervös werden was durchaus richtig ist —, denn dieser Nationalismus, das Steigen und Fallen des Nationalismus hinge davon ab, wie die auswärtige Lage Deutschlands

schen Nationalisten s{hwillt der Kamm ganz besonders stark, wenn die nationalen Gefühle in Frankreich stark erregt sind. Der elsaß- lothringishe Nationalismus macht sih die Spannung der äußeren Lage, wenn sie cinmal eintritt, für sih dienst- und nußbar, und, meine Herren, darin liegt eine große über Elsaß-Lothringen hinausgehende Gefahr des Nationalismus, die man niht untershäßen soll. Der Nationalismus is} der ärgste Feind niht nur Elsaß-Lothringens, sondern unserer gesamten deutschen Politik, und jede Maßregel, welche bezweckt, diesem Nationalismus sein Handwerk zu erschweren, befördert das Wohl des Landes und des Neiches.

Nun, meine Herren, die Anträge der elsaß-lothringischen Negie- rung sind lediglih darauf gerichtet, diesen Machenschaften entgegen- zutreten, Auswüchse der Preßfreiheit und der Vereinsfreiheit zu be- tämpfen, die das Land nicht zur Nuhe kommen lassen wollen und die

‘ligung daran ablehnen. Die politishen Parteien in Elsaß-

lebten Ende nichts anderes predigen, als den Revanchekrieg Frankz reichs gegen Deutschland. (Sehr richtig! rechts. Zurufe bei den Sozialdemokraten.) “21S, Vf

Diejenige Bevölkerung Elsaß-Lothringens dagegen, die diess nationaliftische Bewegung verurteilt, würde durch die Ausnahme bestimmungen, wie sie vorgeschlagen sind, in keiner Weise betroffen werden, Es ist daher eine völlige Verkennung der Sachlage, wenn behauptet wird und ih möchte das gegenüber den Stimmen in Elsaß-Lothringen ausdrücklih feststellen —, daß diese Ausnahme- bestimmungen eine Abkehr von der Politik seien, welche zur Ver, fassung geführt hat. vil 11 nl A

Mit \{uld an diesem unrichtigen Urteil sind gewisse maßlose Üebertreibungen, mit denen man namentlih im Anfang, als die Vor- \läge der elsaß-lothringischen Regierung jedenfalls durch einen groben E Ra in’ die Oeffentlichkeit gekommen sind, den Inhalt der Anträge dem Publikum dargestellt hat. Ein Teil der französischen Presse, in der ja die Veröffentlichungen zuerst erschienen sind, hat sich mit den Anträgen befaßt, als ob es sih um eine französische Ange- legenheit handelte. Dieser Teil der Presse wird sih damit be- scheiden müssen, daß die elsaß-lothringischen Verhältnisse bei uns in Deutschland reguliert werden. Aber auch in der deutschen Presse, allerdings, wie ich gern anerkenne, eigentli nur in wenigen Aus=- nahmen, habe ih scharfe Worte gelesen, als ob diese Anträge ein drakonishes Ausnahmerecht, die Nückkehr zur Diktaturherrschaft dar= stellten. Solche Behauptungen richten sich doch selbst. i

Was wollen denn die Anträge? Die Abänderung zum Vereins-

recht will den Vereinen zu Leibe gehen, die den öffentlichen Frieden und die öffentlihe Sicherheit stören und andere Zwecke als die saßungsgemäßen verfolgen. Meine Herren, kein vernünftiger Mensch in Deutschland hat ein Jnteresse daran, daß solche Vereine bestehen, und am wenigsten, daß sie in Elsaß-Lothringen ihr Wesen treiben. Und, meine Herren, die Bestimmungen für das Vereinsrecht, die hier von der elsaß-lothringishen Regierung in Aussicht genommen sind, bewegen sich fast genau in der gleichen Linie, in der das elsässische Vereinsgeseß von 1905 sih bewegt, und sind seinerzeit vom Landes- aus\cchuß in Straßburg einstimmig angenommen worden. Dabei sind diese Bestimmungen damals im Landesaus\{huß ich glaube, der Herr Staatssekretär Zorn von Bulach hat das unlängst zitiert noch ausdrücklih als liberal gelobt worden im Verhältnis zu den im benachbarten Frankreich bestehenden Vorschriften. ; Meine Herren, dann die Bestimmungen über die Presse. Es soll das MNeichspreßrecht unter Aufgabe bisher be- stehender Beschränkungen auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt werden. Dabei soll eine schon jeßt bestehende Spezialbesugnis der elsaß- lothringischen NMegierung aufrecht erhalten werden, ausländische Zeit- schriften zu verbieten, und als Neuerung soll im wesentlichen nur die Handhabe eingeführt werden, fremdsprachige inländische Presse- erscheinungen zu verbieten. Die leßtere Bestimmung ist bekanntlich in dem republikanischen Frankreich rechtens, und ist dort, wie mir be- kannt ist, in zwei konkreten Fällen ausgeführt worden, und zwar mit dem ganzen Nachdruk, mit dem in Frankreich polizeiliche Bestim- mungen in Kraft geseßt zu werden pflegen. Jch glaube wirklich, daß diese eine Vorschrift die Behauptung nicht rechtfertigt, daß wir es hier mit unerträglichen Ausnahmebestimmungen zu tun haben sollen. Auch diese Pressebestimmungen sind lediglich auf diejenigen Machen- schaften gemünzt, die deutschfeindlih sind, und was deutschfeindlich ist, meine Herren, hat in Deutschland kein Necht auf Existenz. (Sehr uchtig! rechts.)

Also, meine Herren, man sollte alle diese Vorschriften doc ruhig beurteilen und an sie niht mit der Aufregung herantreten, wie es teilweise geschehen ist.

( Nun muß ih es mir selbstverständlich versagen, in dem gegen- wärtigen Stadium der Angelegenheit auf die Einzelheiten der Be- gründung so einzugehen, wie es der Herr Vorredner getan hat. Der Herr Vorredner hat wenn ih mir diese Kritik erlauben darf hier eine Nede gehalten, als ob Jhnen bereits bestimmte gesetgeberifche Ses Vundesrats vorlägen. (Zustimmung rets.) Solange das nicht der Fall ist, muß ich mir selbstverständlih cine gewisse Zurückhaltung auferlegen. Jch habe nur versucht, Ihnen die Grund- linien der Anträge der elsaß-lothringishen Negierung darzulegen, aber ich meine, diese Grundlinien sind doch für das Urteil über das Ganze maßgebend. Jch habe mich gefreut, aus den Ausführungen des Herrn Vorredners entnehmen zu können, daß auch er den Nationalismus auf das schärfste verurteilt. Jch hoffe, man wird auch in Elsaß-Lothringen weiterhin immer mehr Verständnis für das Gefühl finden, daß es bei uns in Deutschland als unerträglih empfunden wird, wenn auf deutschem Boden eine Presse ihr Wesen treibt, die sich häufig s{limmer gebärdet als die deutschfeindlichste Presse des Auslandes (Sehr richtig! rechts), und wenn Vereine an der Arbeit sind, die nicht die Zwecke des Inlandes, sondern die Zwecke des Auslandes fördern. Wenn die elsaß-lothringishe Regierung den Wunsch hat, diesen Machen- schaften mit größerer Energie entgegentreten zu können, als sie es bisher vermag, so verdient sie keinen Tadel, fondern sie handelt in dem Pflichtbewußtsein, das ihr gegenüber dem Wohle des eigenen Landes und des gesamten Neiches obliegt. (Zustimmung rets.) Jh bitte die Herren, auch diejenigen, welche bei dieser Gelegenheit etwa glauben sollten: fiat justitia, pereat mundus, und welcbe deshalb gegen alle Ausnahmevorschriften stimmen, auch wenn dann das Wohl des Landes und des Neiches nicht so qut gefördert werden kann, wie cs sonst möglih wäre, ich bitte Sie alle, mit ruhiger Erwägung an die Materie heranzutreten: es handelt sih darum, die stetige ‘und friedlihe Gntwicklung Elsaß-Lothringens im MNahmen der gegebenen Verfassung zu fördern (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) und diejenigen Machenschaften zu bekämpfen, denen es ein Dorn im Auge ist, daß Elsaß-Lothringen unlöslih mit Deutschland verbunden ist. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.) i

: Auf Antrag des Abg. Haase (Soz.) wird die Be- sprehung der Jnterpellation beschlossen.

Abg. Fe hrenbach (Zentr.): Wenn der Neichskanzler bittet, ruhig an die Materie heranzutreten, fo glaube -id, daß das ganze Haus gewillt ist, durhaus ruhtg an die Materie heranzutreten, daß aber ein weiteres Herantreten an diese Materie niht mehr erforder- lih ist. Wenn noch Zweifel bestanden hätten über die Zweckmäßig- keit der Anreaung der elsaß-lothringishen Regierung: durch die Art der Behandlung dieser Angelegenheit in beiden elsaß lothringishen Kammern müßte diese Sache für die Reichsleitung ent- chieden sein. Wenn vielleiht die Negierung von ibrem Stand- punkt aus auf die Anschauungen der demokratishen Zweiten Kammer

ja, meine Herren, darüber müssen wir uns klar sein in ihrem

geringes Gewicht legen follte, so erinnere ih daran, daß die