1894 / 115 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 18 May 1894 18:00:01 GMT) scan diff

“gesprochen hat, habe ih doch im Gegensaß zu dem Herrn Abg. Rickert den Muth, dem hohen Hause zu empfehlen, sich dem Votum seiner Kommission nicht anzuschließen. Die Gründe hierfür finde ih darin, daß nach meiner persönlichen Auffassung die Grundlagen und Stüßen der Vorlage weder in der Verhandlung der Kommission, noch bisher in denen des Plenums ershüttert worden sind, daß andererseits aber au keins der vielen Bedenken, die gegen die Vorlage vorgebracht wurden, bewiesen oder auch nur wahrscheinliß gemacht worden ist.

Meine Herren, die Bedenken lassen sih zusammenfassen in solche tehnischer und in solhe wirthschaftliher Natur. Auf die tehnishen Bedenken, soweit noch erforderli, hier näher einzugehen, möchte ih den Herren Kommissaren vorbehalten. Diese tehnischen Bedenken sind Zweifel, die von Laien geäußert, von Sachverständigen widerlegt sind. Daß diese Zweifel hier und in der Kommission vorgebracht worden sind, finde ih durchaus gerechtfertigt, die Erörterung derselben auch von meinem Standpunkt aus für unerläßlich. Aber, nahdem diese Zweifel von den verantwortlichen Sachverständigen meines Ministeriums sowohl, wie von denen des Ministeriums für Handel und Gewerbe, namentli also von dem Vertreter der Bergpartie, flar und bündig widerlegt worden sind, sind dieselben nah meiner Meinung abgethan.

Nach meiner persönlichen Meinung habe ih einen großen Theil dieser Bedenken auch eigentlich nur als Arabesken angesehen, um die eigentlihen Gründe der Ablehnung zu verzieren. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Die eigentlihen Gründe der Ablehnung liegen meines Erachtens durchaus auf wirthshaftlihem Gebiete. Im Vordergrunde steht als Klippe, an der das Kanalschiff zu scheitern droht, die Auffassung, daß der Staat hier 566 Millionen ausgiebt zu Gunsten der wirthschaftlich Starken und zum Nachtheil der wirth- sc{aftliÞch Schwachen, ausgiebt zu Gunsten der westlichen Provinzen und der Industrie und zum Nachtheil der östlicen Provinzen und der Landwirthschaft. Meine Herren, leider darin stimme ih mit dem Herrn Abg. Rickert vollständig überein is mehr und mehr ein System der Abrechnung zwischen Osten und Westen und zwischen Landwirthschaft und Industrie aufgekommen. Wer hieran die meiste Schuld trägt, will ih nit untersuchen ; aber darin stimme ich mit dem Herrn Abg. Rickert ebenfalls überein, daß es ein politisher und wirthshaftlicher Fehler war, wenn die westlihen Provinzen gegen die Staffeltarife dermaßen angestürmt haben, daß sie zu Falle gekommen sind. (Hört! hört!) Aber, meine Herren, ih würde es als einen noch weit größeren Fehler betraten, wenn nun dieses System weiter fortgeseßt und ver- \chärft würde. Bei diesem System erfährt niemand Heil, wir alle aber unzweifelhaft Unheil.

Meine Herren, ih möchte mir zunächst gestatten, hier hervor- zuheben, in welchen Punkten nah meiner Ansicht sowohl in der Kom- mission wie im Plenum des hohen Hauses eine Uebereinstimmung der Auffassungen zu konstatieren is, um diese Punkte zunächst aus meinen weiteren Betrachtungen auszusondern.

Vebereinstimmung herrscht meines Erachtens darüber, daß die Kanäle Dortmund—Rhein und Hamm—Datteln für die niederrheinish-westfälishe Industrie von weittragendster Be- deutung sind, daß sie die Entwickelung des gesammten Industrie- reviers und seiner Umgebung erheblich fördern werden; ferner, daß der Kanal Hamm—Datteln auch eine landwirthschaftliche Bedeutung hat insofern, als er eine für die Landwirthschaft sehr erwünschte und sehr gewünschte Regelung der Ent- und Bewässerung in den angrenzenden Theilen herbeiführt. ODrittens herrscht. Ueber- einstimmung darüber, daß erst durch Anlegung dieser Kanäle der im Bau begriffene Dortmund—Ems-Kanal ein größeres Leben gewinnen wird; viertens daß der Mittelland-Kanal nur möglich is, wenn fest- steht, daß der Dortmund—Rhein-Kanal ausgeführt wird. Ohne die Verbindung nah dem Rhein würde der Mittelland-Kanal in noch weit höherem Maße und in weit eingreifenderem Sinn ein Torso bleiben, wie es der Dortmund—Ems-Kanal; bleiben müßte, wenn ihm die Ver- bindung nah dem Rhein vorenthalten würde. Endlih glaube ih, daß do wohl troß mancher abweichenden Bemerkungen, die hier geäußert find, eine Uebereinstimmung darüber vorhanden ist, daß die beiden Kanäle, wenn auch nicht vielleicht sofort, so doch in naher Zukunft eine mäßige Verzinsung ihres Anlagekapitals bringen werden.

Meine Herren, wenn Ihnen das, fo positiv ausgedrückt, vielleicht noch etwas zu weit gehen sollte, so will ich mit dem Herrn Abg. Nickert sagen, daß noch niemals in Preußen ein Kanal gebaut worden ist und wohl auch niemals in Preußen ein Kanal gebaut werden wird, bei dem eine mäßige Verzinsung des Anlagekapitals mit einem \o hohen Grade von Wahrscheinlichkeit vorausgesagt werden kann.

Meine Herren, wenn bezüglich dieser Punkte eine Ueber- einstimmung herrsht und ich glaube wirklih, daß ih fie wohl annehmen darf —, so müssen es doch sehr gewichtige Be- denken sein, welhe in weiten Kreisen eine so entschiedene Abneigung gegen die Regierungsvorlage hervorgerufen haben. Den einen, ih möchte sagen psychishen Grund habe ich ja bereits hervorgehoben. Wenn man aber näher untersucht, ob wirkli eine Schädigung des Ostens dur Annahme dieses Kanalprojekts eintreten wird, so, glaube ih, kann man mit ziemlicher Sicherheit diese Frage verneinen. Es würde eine Schädigung dann eintreten, wenn der Kanal wirklih dazu beitragen würde, einen Absaß, den das östlihe Getreide heute noch in dem niederrheinisch - westfälishen Industriebezirk findet wenn dieser Absaß dur den Kanal infolge des billigeren Eindringens von auswärtigem Getreide unmöglih gemaht würde. Meine Herren, der Absaß, den das östlihe Getreide heute in diesem Bezirke findet, war auch zur Zeit des Staffeltarifs kein großer; es ist das von mir wiederholentlich in Zahlen denjenigen entgegengehalten worden, welche eine Schädigung des Westens durch den Staffeltarif nachzuweisen suhten. Es handelt sih im wesentlihen auch nur um den östlichen Roggen; denn, meine Herren, in Normaljahren werden Sie mit Ihrem jenseits der Elbe gezogenen Weizen gegen den amerikanischen Weizen in den mittleren Provinzen wie die Sachen liegen in diesem Bezirke {wer aufkommen können. (Bewegung rets!)

Aber, meine Herren, Sie bauen. doch nicht bloß Noggen, und selbst wenn Sie diesen hinzurehnen wollen, den Weizen, Sie ver- kaufen auch Vieh, Sie verkaufen Kartoffeln, Stroh und Holz. Man wird mir sagen: für den Viehtransport wird der Kanal niht von erheblicher Bedeutung sein. Allerdings, folange er scine Fortseßung bis zur Elbe nicht gefunden hat, trifft dies zu. Hat aber der Kanal einmal seine Fortsetzung bis zur Elbe gefunden, so halte ih es sehr wohl für ausführbar, daß ein regelmäßiger Viehtransport vom Osten über den Kanal nach dem JIndustrierevier stattfindet. Für

Kartoffeln, für Stroh, für alle sonstigen Produkte der Land- wirthschaft ist ja unzweifelhaft der Kanalweg durhaus zweck- mäßig. Es is wiederholt hingewiesen worden auf die Bedeutung des Kanals für den Transport von östlih der Elbe gewahsenem Holz nach dem großen Holzkonsumtionsgebiet der Bergwerksbezirke. Der Konsum dieses Reviers an Grubenhölzern, also gerade an solchen Hölzern, die sich am allerschwersten sonst verwerthen lassen, ist ein so folossaler, daß, meine ich, der Osten ein erheblihes Interesse daran hat, schon aus diesem Grunde den Kanal zu wünschen.

Der Kanal würde aber auch namentlich den Provinzen Osft- und Westpreußen und zum theil au Pommern, welhe zweckmäßig zu den natürlichen Schiffahrtsstraßen gelegen sind, für den Export über See nach Rheinland-Westfalen willkommen sein, sie würden die Konkurrenz über See, namentlih nach Fertigstellung des Nord-Ostsee- Kanals und des Elbe-Trave-Kanals, gegen das ausländische Getreide jeden- falls auf diesem Wege mit mehr Erfolg bestehen können, als auf dem Schienenwege.

Meine Herren, wenn ih also der Meinung bin, daß die östliche Landwirthschaft durch Anlage des Kanals einen irgendwie bemerkbaren Nachtheil nicht erfahren wird, vielmehr nah meiner persönlichen Auf- fassung mannigfache Vortheile für die Landwirthschaft sich an diesen Kanal knüpfen, so will ich noch hinzufügen, daß eine Schädigung der unmittelbar den Kanal umgebenden Landwirthschaft kaum in Betracht kommt. Von einer Landwirthschaft im Sinne des Großbetriebes ist ohnedies im rheinish-westfälishen Industriegebiet ‘nur ausnahmsweise die Rede; das wissen die Herren, die in diesem Revier zu Hause sind, auch die Landwirthe. Es sind die ganzen Verhältnisse zu einem Großbetriebe dort niht mehr geeignet; die Landwirthschaft wird in meist kleinstem Umfang, vorwiegend als Nebengewerbe betrieben.

Meine Herren, ih darf mich da gewissermaßen als auf einen klassischen Zeugen darauf berufen, daß ja auch der Provinzial-Landtag der Provinz Westfalen, in welchem, soviel ih weiß, die Landwirth- haft die Majorität hat, fich für den Kanal ausgesprochen hat, was sicher niht geshehen wäre, wenn er daraus für seine landwirthschaft- lihen Interessen einen Schaden erblickt hätte.

Meine Herren, was nun den Werth der Kanäle für die Industrie anbetrifft, so habe ih {on ausgeführt, daß darüber wohl Ueberein- stimmung herrscht, daß das Nevier an \sich einen großen Vortheil von der Kanalanlage haben wird. Man könnte ja nun zweifelhaft sein, ob das allein eine Ausgabe von 56 Millionen rechtfertigt. Aber, meine Herren, es ist {on von verschiedenen Herren derjenigen Parteien, die dem Kanal freundlih gegenüberstehen, darauf hinge- wiesen worden, daß das niederrheinisch - westfälishe Kohlenrevier doch nicht eine rein lokale Bedeutung habe, sondern daß es von aller- größter Bedeutung für die gesammte Monarchie ist, daß ein Zurück- gehen oder auch nur ein Stillstand der dortigen Verhältnisse als ein nationales Unglück betrahtet werden müsse.

Meine Herren, ich möchte niht wiederholen, was meinerseits in dieser Beziehung bei den Kommissionsberathungen ausgeführt worden ist, ih darf mi vielmehr in diefer Richtung auf die getreue Wieder- gabe meiner Ausführungen in dem Berichte der Kommission beziehen. Allein das möchte ih doch noch bestätigen, was der Herr Abg. Ham- macher vorhin angeführt hat, daß eine dringende und \chwer- wiegende Gefahr für einen Theil der Produktion {hon heute besteht, und das ist die Noheisenproduïftion. Unsere Roheisenproduktion kann unter den heutigen Verhältnissen niht mehr konkurrieren mit den- jenigen Produzenten, die sich in einer günstigeren geogrgphishen Lage zu den Erzen befinden. (Sehr richtig!) Schon innerhalb des Reviers selbst überseßt sih diese Ueberzeugung in Thatsachen. Meine Herren, die Werke, welche unmittelbar am Nhein gelegen sind, also bei Nuhr- ort, Duisburg, Hochfeld, sind in ihren Produktionskosten {on den- jenigen, welhe nur 14 km vom Wasser entfernt liegen, weit über- legen. (Sehr richtig!)

Es ist vorhin gesagt worden, unsere Roheisenproduktion beruht auf den phosphorreihen Erzen; das ist eine Thatsache, die seit der Er- findung des Entphosphorungsverfahrens unbestritten ist. Diese phosphorreichen Erze finden sich in Lothringen und Luxemburg; infolge- dessen haben nicht bloß Hüttenwerke von der Nuhr, sondern auch aus dem Aachener Nevier, aus dem Saarrevier beispielsweise au Herr von Stumm dort Hochöfen bereits jeßt angelegt, weil es zur Aufrecht- erhaltung der Konkurrenz unbedingt erforderlich ist, die Produktions- kosten des Noheisens zu verringern; neuerdings find andere Erze noch mit in Betracht gekommen; insbesondere die südschwedischen, aber au diese sind nur für denjenigen rentabel, der unmittelbar am Wasser liegt. Müssen diese Erze erst umgeshlagen werden von den Schiffen, auf denen sie von Rotterdam hergekommen find, in den Eisenbahn- wagen und die Eisenbahnfracht bis zum Hochofen tragen, so {ind die Kosten so erheblih, daß das aus denselben hergestellte Noheisen nicht mehr konkurrieren kann mit demjenigen, welches unmittelbar am Rhein oder auf den Hütten in Elsaß-Lothringen erblasen i}. Hier liegt also eine eminente Gefahr vor. Würde sih der Prozeß der Ver- legung unserer Noheisenindustrie in \tärkerem Maße vollziehen, als es bisher der Fall gewesen ist, so würde dem preußishen Staat ein ganz enormer Verlust erwachsen.

Meine Herren, eine Frage und ein Bedenken, dessen Schwere ih vollständig anerkenne, is heute noch nicht zur Sprache gekommèn, wird aber wahrsheinlich im weiteren Verlauf der Verhandlungen noch vorgebraht werden; das ist der Einfluß des Kanals auf die Eisen- bahnen. Man hat es vermißt, daß méinerseits in dieser Beziehung keine bestimmten Zahlen gegeben worden sind, daß nicht gesagt worden ist: nah den Nehnungen, die wir angestellt haben, nimmt der Kanal der Eisenbahn ungefähr so und soviel Millionen Tonnen jährli ab. Diese x Millionen bringen brutto so und soviel uns ein; davon ist netto zu rechnen so und soviel, also haben wir das klare Exempel, welches Risiko die Eisenbahnen laufen. Ein derartiges Exempel auf-

zustellen wäre natürliherweise verhältnißmäßig einfah. Aber, meine Herren, Ihnen ein solches Rechenexempel zu geben, verbietet mir meine Ehrlichkeit. Jch kann nit dafür einstehen, daß ein solches Exempel richtig sei oder der Wirklichkeit nur nahe kommen würde. Welchen Theil der Kanal den Eisenbahnen wegnehmen wird, hängt in erster Linie von der Frage ab, wie rasch und in welhem Umfange werden die betheiligten Werke, Zechen, Hütten u. \. w., ih einen Anschluß, sei es einen Stichkanal, sei es eine Eisenbahn, sei es eine Seilbahn, herstellen? Geschieht das in rashem Tempo, so wächst natürlich auch rasch die Quote desjenigen Verkehrs, welcher von der Eisenbahn auf den Kanal übergeht. Vollzieht ih der Anschluß langsam und das seße ih nach meiner Kenntniß der Verhältnisse voraus —, so wird das Abbröckeln der Eisenbahneinnahmen auch nur langsam erfolgen.

SFch darf wohk ad hominem hinzufügen, daß ich einige 20 Jahre l; den Verhältnissen in diesem Revier sehr nahe gestanden habe alz Mitglied und als Vorsißender der Eisenbahngesellschaft bezw. der Königlichen Eisenbahn-Direktion, die in diesem Revier thätig sind; ist das aber der Fall, und berücksihtigt man ferner, daß zwischen der Bewilligung des. Kanals durch das Geseß und der Eröffnung des Kanals doch mindestens fünf Jahre liegen, und daß in den fünf Sahren der Bergbau auch nicht \tillsteht und niht stillstehen kann, selbs wenn er mit Zubuße arbeiten müßte der Bergbau ist \o geartet, daß er auch in der ungünstigsten Zeit betrieben werden muß, das haben die Gewerke an der Nuhr jahrzehntelang zu ihrem größten Nachtheil erfahren dann sind die Ziffern, mit denen wir heute rechnen, längst überholt. Dann i} dag Quantum, welches der Eisenbahn inzwischen zugewasen ist, ein so erhebliches, daß der Verlust, den man auf Grund der heutigen Ein- nahmen herausrehnet, längst niht mehr zutrifft, vielmehr mehr als ausgeglichen ist. Ich glaube daher, daß man in dieser Frage, wie vorhin einer der Herren Abgeordneten, meines Erachtens sehr richtig, bemerkt hat, mehr dem Gefühl als den Zahlen folgen muß. Denn die Zahlen sind unzuverlässig; das Gefühl aber, wenn es auf einer genaueren Kenntniß der dortigen Verhältnisse basiert, is meines Ex- atens viel zuverlässiger. Ich nehme also niht an, daß der Verlust, den die Staatseisenbahnverwaltung gegenüber den jeßigen Einnahmen aus den Transporten in Zukunft erleiden wird, irgendwie erheblich sein fann. Daß die Staatseisenbahnverwaltungen vorübergehend einen Verlust, fei es als lucrum cessans, fei es damnum emergens, erleiden werden, ist selbstverständlich, denn darum werden die Kanäle gebaut, daß der Eisenbahn ein Theil des Verkehrs abgenommen wird, Aber es wird der Theil des Verkehrs sein, der mit verhältnißmäßig geringem Nußen bewältigt wird. Es wird der Verkehr sein, der sich innerhalb des Reviers selbst vollzieht, und von dem wiederholentlich auch von mir shon gesagt worden ist, daß die heutigen Tarife dieses Verkehrs innerhalb der Reviere wohl überhaupt niht mehr einer er- heblihen Ermäßigung fähig sind. Diese Ermäßigung kann nur herbeigeführt werden durch den Kanal, durch die Wasserstraße. Es wird ferner ‘in zweiter Linie der Umschlag sein zwischen dem Revier und dem Nhein, der auch ein sehr erheblicher heute ist, der aber für die Eisenbahn zu den ganz kurzen Transporten gehört, von der Zeche, vom Hüttenwerk, vom Walzwerk nah Ruhrort oder Duisburg, und der mit sehr erheblihen Selbstkosten belastet ist, infolgedessen also au keinen großen Reingewinn abwirft.

Aus diesen Gründen kann ich auch als Vertreter der Staats- eisenbahnverwaltung und als derjenige, der in erster Linie au dafür ver- antwortlich ist, daß die Rente der Staatseisenbahnen niht ungebührlih geshmälert wird, mich warm für diesen Kanal aussprechen. Ih bin der festen Ueberzeugung, daß durch die Entwicklung, welche die Jn- dustrie des großen niederrheinish-westfälishen Reviers erfahren wird durch den Kanal, der Staatseisenbahnverwaltung ein vollgültiger Ersatz für die verloren gehenden Einnahmen zu theil werden wird.

Meine Herren, i - glaube, das sind die beiden Hauptbedenken, die gegen den Dortmund—NRhein-Kanal vorgebraht werden können. Ich möchte zum Schluß nochmals darauf hinweisen, daß für den Dort- mund—Nhein-Kanal die Frage eine brennende ist. Sie ift eine brennende einmal aus den Gründen, die ih bezüglich der Industrie angeführt habe; fie ist aber zweitens eine brennende aus Gründen, die in dem Kanalbau felbst liegen. Schon jeßt is die Tracierung des Kanals mit den größten Schwierigkeiten verbunden. Diese Schwierigkeiten wachsen von Tag zu Tag, und es is nicht abzusehen, ob, wenn noch mehrere Jahre ins Land gehen, ehe der Kanal in Angriff ge- nommen wird, oder wenigstens che der Kanal in seiner Trace landespolizeilih festgestellt wird, dann überhaupt die südemscher Linie noch wird gebaut werden können. Nach dem über- einstimmenden Urtheil des Reviers selber, dem \sich die Majorität in der Provinz Westfalen angeschlossen hat, ist aber die südemscher Linie diejenige, welhe allein dem Kanal folche Vortheile zuwenden kann, wie sie hier vorausgeseßt sind. Die Lippelinie gehört der Zukunft an; diese Ueberzeugung habe ih bereits in der ersten Lesung und habe sie auch in den Kommissionsverhandlungen aus- gesprohen. Die Lippe-Linie verfolgt ganz andere Zwecke als der Dortmund—Rhein-Kanal.

Meine Herren, ich möchte daher dringend bitten, nochmals alle diejenigen Gründe zu erwägen, welhe dafür sprechen, im gegen- wärtigen Moment der Staatsregierung Ihre Genehmigung zu der Ausführung der vorgeschlagenen wichtigen Wasserstraßen nicht zu versagen, Meine Herren, ich kann auch nicht glauben, daß die Gründe, welhe seitens der konservativen Partei für eine Verschiebung der Entscheidung über den Kanal an- geführt worden sind, entgegengehalten denjenigen, welche für die so- fortige Ausführung sprechen, von entscheidendem Gewicht sein können. Als diese Gründe sind angeführt worden: erstens, daß zunächst eine allgemeine Regelung der Kanalgebühren oder vielmehr der Gebühren für die Wasserstraßen vorhergehen müsse Meine Herren, die Staatsregierung und . besonders der Herr Finanz-Minister hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß eine Negelung der Gebühren für die Wasserstraßen durhaus erforderlich sei, und daß die Staatsregierung bereit sei, diese Frage in die Hand zu nehmen. Meine Herren, deswegen braucht aber doch cine Kanal- vorlage nicht zurückgestellt werden, bei der diese Frage bereits in der Vorlage geregelt is, und zwar mit einem Tarifsaßz geregelt ist, den wir voraus- sichtlich in Zukunft bei keinem anderen Kanal werden anwenden können, wenigstens bei keinem Kanal rechts der Elbe; dafür ist er viel zu hoh. Ich meine daher, daß aus diesem Grunde eine Hinaut- shiebung der Entscheidung auch für die konservative Partei nicht ge- boten ift.

Der zweite Grund liegt in den allgemeinen Finanzverhältnissen des Staats. Meine Herren, wenn es richtig ist, daß eine mäßige Verzinsung des Kanals oder der beiden Kanäle, dle

hier in Frage stehen, mit großer Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft

erwartet werden darf, verliert dieses Bedenken nah meiner Auffassung erheblih an Gewicht. Es verliert aber ferner noch an Gewi, wenn man si vergegenwärtigt, daß Ausgaben auf Grund eines in diesem Jahre bewilligten Kanalgeseßes ja in den näthsten Jahren noch nit zu erwarten sind, und daß doch wohl einiger Grund zu der Hoffnung vorhanden ist, daß unsere gegenwärtige Finanzlage bis dahin ih geklärt hat.

Meine Herren, ih appelliere daher namentlich an die Herre!

der beiden konservativen Parteien: lassen Sie Ihre Bedenken fallen,

Ï Hinnenkanäle wohl nicht konkurrieren können. Jch bin kein F

} werden gar niht an den Kanal herankommen.

E egellen Sie nicht Gleihes mit Gleichem, sondern

(Heiterkeit) i i ch habe vorhin meiner Auffassung Ausdruck gegeben, daß der

Westen nicht rihtig gehandelt, wenn er gegen die Staffeltarife des Ostens sich so energisch gewehrt hat. Deswegen und im Hinblick auf die zu Anfang der heutigen Debatte erfolgte Kundgebung darf ih wohl sagen: vergelten Sie nicht Gleiches mit Gleichem, sondern sprechen Sie sich für die Regierungsvorlage im Gegensaß zum Votum Ihrer Kommission aus. (Bravo!)

Abg. Stengel (frkons.): Der Transport von Getreide nah.dem Westen hat über See son stattgefunden, und damit werden ar reun

Aufrechnung zwischen dem Osten und dem Westen; ih bin ein d ete Kanäle, weil ih dieselben für überflüssig halte, da wir in den Eisenbahnen ein besseres Verkehrsmittel haben. Kanäle entsprechen unseren flimatishen und sonstigen Verhältnissen überhaupt nicht. Die sachlichen Bedenken sind idt bloße Arabesken gewesen, sondern ín der Kommissinsberathung haben sie entshieden das Uebergewicht ehabt gegenüber den mehr phantasievollen Gründen der Freunde der Norlage. Die in Betraht kommenden Flüsse sind wasserarm; man wird fast nur mit dem niedrigsten Wasserstande renen können, jedenfalls vom Juni bis zum Oktober. Die Gefahr der Durhbrüche ist nicht galten: und namentlich sind Erd- senkungen zu befürchten. an hat in der Kommission von Erd- senkungen bis zu 10 und 20 m gesprohen. Der Kanal kann nur 6 bis 8 Millionen Tonnen befördern, die in seiner Nähe liegenden Zechen haben aber 183 Millionen Tonnen Kohlen gefördert; es werden also die in allernächster Nähe liegenden 12 bis 15 Zechen den Kanal beseßen und von ihm einen Vortheil haben. Die anderen Dadurch sinkt doch der Kanal zu einem recht lokalen Projekt herab. Man fagt: Wenn

È cin Kanal rentiert, so ist es dieser; aber das „wenn“ möchte ih

recht sehr unterstreichen, ih glaube, ah überhaupt niemals ein Kanal rentieren wird, Die Eisenbahnen können vollständig den steigenden Verkehr bewältigen. Es wäre auch fehr bedenklich, wenn das niht der Fall wäre, da die klimatishen Verhältnisse die Wasserstraßen während des Winters unbenußbar machen. Nur

Ï für die nächsten Anlieger hat der Kanal eine Bedeutung und zwar

nur, so lange billig transportiert werden kann. Sind die Gefälle zu hoh, so schrumpft der Verkehr zusammen. Der Erie-Kanal in Nord- Amerika, der reihlich Wasser und die günstigste Lage hat, hat seit 90 Jahren nihts von dem reihen Verkehrszuwahs auf fich abgelenkt, sondern fogar um 20 %/% abgenommen. Der Elbing-Oberländische Kanal, welcher eine belebte Schiffahrts\traße war, so lange er mit den Fracht-Fuhrwerken konkurrierte, ift, seitdem dort Eisenbahnen ebaut find, verödet, und der Staat bezahlt jährlih 90 000 Unter- Mliungse und Verwaltungskosten, während die Einnahmen 30 000 M, betragen. Der preußishe Staat sollte sih darauf beschränken, seine natürlihen Wasserstraßen in gutem Zustande zu erhalten. Zu groß- artigen Kunst-Wasserstraßen fehlen uns zwei Dinge: das Geld und namentlich das Wasser! Das Geld könnte beshafft werden, aber

| das Wasser nur dur künstlihe Mittel unter Benachtheiligung berech-

tigter Interessen. Wenn eine neue Kanalära anbrechen follte, dann wird der Finanz-Minister für die Verzinsung der Hunderte von Millionen Anlagekapital sorgen müssen. Die Zufriedenheit der Steuerzahler wird dadurch jedenfalls niht vermehrt werden. Der größte Theil meiner Freunde wird gegen die Vorlage stimmen, und ih hoffe, daß die Mehrheit des Hauses das Votum der Kom-

mission bestätigen wird.

Darauf wird gegen 4%, Uhr die weitere Berathung auf

| Freitag 11 Uhr vertagt.

Nr. 20 der „Verösffentlihungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts“ vom 17. Mai hat folgenden Inhalt !Personal- nahriht. Gesundheits\tand und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maßregeln gegen Cholera 2c. Sanitäts- und Medizinal- wesen im Regierungsbezirk Köslin, 1889/91. Aus dem italienischen statistischen Jahrbuch, 1892. Gesetzgebung u. \. w. (Deutsches Reich.) Viehseuhen. (Preußen.) Magermilh. (Regierungsbezirk Merse- burg.) Meldepflicht der Medizinalpersonen. Bezirkshebammentaxe.

E (Württemberg.) Schafshau. (Oesterreih. Bosnien und Herzego-

wina.) Lungenseuhe. (Schweiz, St. Gallen.) Sanitätswesen. (Argentinien.) See-Sanitätsreglement. L der Thierseuchen in der Schweiz, 1. Vierteljahr. Desgl. in Luxemburg, 1. Januar 1893 bis 1. März 1894. De Maßregeln gegen Thierseuchen. (Sachsen, Württemberg.) NRechtsprehung. (Ober-Landesgericht Stuttgart.) Thierheilmittel. Vermischtes. (Preußen, Berlin.) Eiskalte Getränke 2c. (Braunschweig.) Fleishbeshau. Wochen- tabelle über die Sterbefälle in deutschen Städten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Er- krankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutshen Stadt- und Landbezirken. Witterung.

Statistik und Volkswirthschaft.

Evangelish-sozialer Kongreß in Frankfurt a. M.

Ueber das Referat des Pastors Göhre betreffs der Lage der deutshen Landarbeiter, welhes am Mittwoch erstattet wurde, entnehmen wir der „Frankf. Ztg.“ Folgendes: Der Kongreß hatte über die Lage der Landarbeiter eine Enquête veranstaltet. Ueber das ledige Gesinde lief verhältnißmäßig wenig Material ein. Das Gesinde- institut ist im innersten Wesen gele und unentbehrlih; etwaige Uebelstände sind auf die zum theil veraltete Gesindeordnung zurück- juführen. Was die Verhältnisse der eigentlichen Landarbeiter anbetrifft, so schildert der Referent die Eigenbauern in Westfalen und das treff- lihe System der Heuerleute, das im Nordwesten keine Landarbeiterfrage aufkommen lasse. Auch in Niedersachsen seien die Verhältnisse erträglich, weil der Großgrundbesiß nicht so überwiegt wie in den ostelbischen Landen. Der Redner giebt dann eine Skizze der Verhältnisse im deutschen Osten. Er zeigt kurz das Institut der sogenannten „JInstleute", De- putanden“ und „Scharwerker". Jetzt sei durch die veränderte land- wirthschaftlihe Produktionsweise die Verwandlung des „Instmannes“ in einen freien Taglöhner unaufhaltsam. Was könne dagegen geschehen ? Das System der Heuerleute lasse sih niht einführen, wenn man nicht ¡ugleih den westfälishen Bauernhof nah dem Osten verpflanze. Arbeiter- tolonien hätten keinen Erfolg. Dagegen habe die Ansiedelung in pol- nischen Landen gezeigt, daß die Umwandlung des Großgrundbesißes in ¡guerndörfer erreihbar fei: Dazu müsse As die R ere ildung im größerem Stile als bisher vom Staat selbs durchgeführt werden, zugleih als Schuß gegen die Slavisierung des Ostens. Ueber le Leistungsfähigkeit der Instleute in dieser Pinsiht bestehe fein pweifel, und sicher sei auch aus wirthschaftlichen Gründen der Bauern- en allein auf die Dauer bestandfähig, während der Großgrund- 18 nit im stande {e eine ug Tab dultur zu betreiben. Pro- chor Dr. Max Weber- Berlin hält es für nothwendig, im Osten que Bauernkolonie zu schaffen. Landes-Oekonomie-Nath Nobbe Me davor, von A wegen als ethishe Forderung die Expro- deglion des Mengrunene ißes etwa aufzustellen. Die Entwikelung Lx Broßgrundbesißes im Osten sei in der That eine unglück- dde, „die Sünde des Bauernlegens räche sih jeßt, aber ohne dere räftigen Grundbesitz lasse si reußen - Deutschland doch nicht fol en. Der Junkeradel habe nicht sittli abgewirthschaftet. Deshalb man den Agnes niht „ekrasieren“, aber denno

die Kolonisation die kleine Landbevölkerung erhalten, ohne da

cie in niedriger Technik zu verharren brauhe. Pastor Nau - Pom-

| a sieht die Gefahr nahe, daß man in Pommern und Ostpreußen

werde, wenn man liest, was hier an sozialen Vorschlägen ge-

»

macht wird: die aut sind in Frankfurt a. M. zu Sozial- demokraten gemaht worden. (Heiterkeit.) E sei nicht die Aufgabe der Geistlihen, an die Spiye von Land- arbeitervereinen zu treten, für die der Often überdies nit reif sei. Das Nächstliegende für uns sei, ein richtiges kirhlihes Gemeinde- leben zu weden. Professor Adolf Wagner hat einige fahmännische Bedenken gegen die Ausführungen Göhre's und Weber's. - Den S Pionier des oder mindestens Großpächterstand brauchen wir als

ionier des technischen Fortschritts, außerdem war das preußische

coßgrundbesierthum oft Saft und Mark des Staates im Kriegs- und Zivildienst. Wenn der Großgrundbesiß in der That nicht zu halten wäre, dann allerdings müßte man troß riesiger finanzieller und administrativer Schwierigkeiten die bäuerliche Kolonisation betreiben. Die Gefahr liegt dann darin, daß s\tädtishes Kapital sih der Sache bemächtigt und Börfenmatadore an Stelle der Junker treten. Also müssen wir fuchen, den iefigen Grundbesizerstand, den Jungbrunnen der Nation zu erhalten. Beschlüsse wurden nicht gefaßt.

In der gestrigen Sitzung referierte Amtsrichter Kul emann- Braunschweig über die Gewerkschaftsbewegung, legte die Ziele derselben dar und erklärte, diese Bewegung werde immer unpolitisher und deshalb ersprießliher, das gelte sowohl von den Hirsch’schen Gewerkvereinen wie von den sozialistishen Fachgenossenschaften ; ersteren könnten die evangelischen Arbeiter beitreten, den leßteren vor- läufig nicht. Ferner sprachen noch Professor von Schulze- Gäver- niß, Sozialdemokrat Dr. David und Professor Adolf Wagner. Schließlich wurde eine Resolution über die Nothwendigkeit einer ge- werkschaftlichen Organisation der deutschen Arbeiterschaft angenommen. Hierauf folgte cin Vortrag des Professors Harnack über die evangelish-soziale Aufgabe im Lichte der Geschichte der Kirche, worin er ein Bild von der sozialen Thätigkeit der Kirche seit den Zeiten des Urchristenthums bis heute gab. Daran {loß si eine kurze Debatte. von Egidy wurde in seiner Ausführung, weil diese eine Propagandarede wäre, von dem Vorsißenden unterbrochen. Auch der Versuch eines anderen Redners, Professor Harnack perfönlih anzugreifen, wurde durch Landes-Oekonomie-Rath Nobbe zurückgewiesen. Hofprediger a. D. Stöcker \prah die Hoffnung aus, daß die Mißklänge vershwinden, der E bleiben würde. Darauf wurde eine Resolution in dem Sinne der Ausführungen des Referenten angenommen. Hofprediger Braun - Stuttgart dankte den Veranstaltern des Kongresses und \{chloß mit einem Hoch auf die Stadt Frankfurt. Pfarrer Rade-Frankfurt spra das Schlußgebet. S wurde der Kongreß durch Landes - Oekonomie - Nath Robbe geschlofsen.

Zur Arbeiterbewegung. Ueber

eber den weiteren Verlauf der Verhandlungen auf dem hier in Berlin A fünften internationalen Bergarbeiterkongreß entnehmen wir die nachstehenden Mittheilungen den Berichten der „Voss. Ztg.“:

Gestern Vormittag 10 Uhr eröffnete der Borsißende Schröder- Dortmund den Kongreß. Zu Nebenvorsißenden wurden bestellt f Cavrot (Belgien) und Woods (England). Auf der Tagesordnung tand die Frage des Ahtstundentages. Dazu hat der Bergarbeiter- bund von Großbritannien folgende Erklärung eingebraht: „Der Kongreß hält an dem Prinzip eines geseßlichen Achtstundentages fest, Einfahrt und Ausfahrt eingeschlossen, da seiner Meinung nach nur auf diesem Wege der Achtstundeniag gewonnen und dauernd gesichert werden kann für alle Nationalitäten, die auf diesem Kongreß ver- treten sind.“ Von „dem Vertreter der Bergarbeiter von Carmaux, Maire Calvignac wird dazu der Unterantrag gestellt, daß der Kongreß bei der Erklärung beharrt, die er auf dem Kongreß in London gefaßt

hat, die Grubenarbeit unter Tage durch Geseg dauernd zu fixieren, daß die Arbeitszeit nur acht Stunden dauert, Ausfahrt und Einfahrt eingerechnet, und daß dieses Gese sih gleiherweise auch auf die Arbeiter über Ee die beim Bergbau thätig sind, erstrecken \oll. Die

Delegirten Ralph Young (Northumberland) und John Johnson (Durham) beantragen namens der Minderheit der englischen Berg- arbeiter: „Der Kongreß hält es in Anerkennung der großen Ver- schiedenheiten in den Lebensverhältnissen der E hier ver- tretenen Nationen nicht für rathsam, der Geseßgebung die Vollmacht zu übertragen, die Arbeitszeit der Erwachsenen in den Bergwerken festzuseßen, empfiehlt dagegen einer jeden Nation, jede sih darbietende Gelegenheit zu benußen, um ihre Arbeitsstunden zu verkürzen, soweit es thunlih und ohne Schädigung ihres eigenen Wohlergehens durch- führbar ift.“

Bei der nah längerer Berathung in der Nachmittagssitzung vor- genommenen Abstimmung erklärte sih die englishe Vertretung mit 39 gegen 10 Stimmen für den geseßlihen Achtstundentag. Die Deutschen stimmten geschlossen dafür, ebenso die Belgier und Fran- zosen. Im ganzen stimmten 78 Delegirte für und 10 Delegirte gegen den geseßlihen Achtstundentag; erstere \ollen 1050000, leßtere 120000 Bergleute vertreten. Nach weiterer Debatte wurde über den Unter- antrag Calvignac abgestimmt; einstimmig für ihn find die Deut- schen, von den Engländern stimmten zwei dafür, sieben dagegen, die A enthielten sih der Stimme, die beiden Walliser Abgeord- neten fehlten. Na den Berechnungen des Bureaus sollen für den Antrag eingetreten sein die Vertreter von 122 300 Deutschen, 100000 Desterreihern, 100 000 Franzosen, 72 000 Belgiern, etwa 30 000 Engländern, zusammen 492 000 Bergleuten, denen 120 000 Engländer (Durham und Northumberland) entgegenstehen. Die Englänoer, Be sich der Abstimmung enthalten aben vertreten 445 000 Berg- arbeiter.

Darauf wendete sich der Kongreß dem zweiten Punkt der Tagesordnung zu: „Geseßliche Haftbarkeit der Arbeit-

eber den Arbeitnehmern gegenüber bei Unfällen während der Arbeit." Dazu haben Cavrot, Marville und Callewaert (Belgien) folgenden Antrag gestellt: „Jn Anbetraht der zahlreichen Un- fâlle, die in den belgishen Bergwerken vorkommen, fordert der Kongreß, daß die Unternehmer durhaus entshädigungs- pflihtig gemaht werden für Unfälle, die den Arbeitern in den Gruben zustoßen, auf welhe Art der Unfall auch si ereignet haben mag.“ Die Deutschen stimmten für den Antrag der Belgier. Den Engländern is die Erklärung nicht klar genug gefaßt, sie erklärten, daß der Ausdruck „alle Unfälle" zu Mee sei, es gebe doch au elementare Einflüsse. Es stimmten 9 Engländer für den Antrag, 11 dagegen, die übrigen enthielten ih der Abstimmung. In- folgedessen wurde die Abstimmung unterbrochen und# eine Geschäfts- kommisfion eingeseßt, die eine Umarbeitung des Antrags vornehmen soll.

Sodann wurde die Berathung des dritten Punkts der Tages- ordnung vorgenommen: „Die Frauenarbeit in den Gruben.“ Bon englisher Seite wurde beantragt: „Der Kongreß wolle be- ließen, daß die Beschäftigung der Frauen in den Bergwerken über und unter Tage in allen Ländern der Welt verboten werde.“ Die Erklärung fand einstimmig Annahme. i

Zum Bergarbeiterausstand im Ostrauer Kohlen-

revier wird dem „W. T. B.“ aus Privoz berichtet: :

In dem mährischen Theil des Reviers Äehen nur noch zwei Nordbahnshächte im Strike, welcher sonst entschieden im Abnehmen be- griffen ist. Auf dem Tiefbau scha cht in Mährish-Ostrau fuhren gestern 9009/0, auf dem Karolinenschacht 80 9/ der Arbeiter an. Man nimmtan, daß diéser Eo auf die Unterhandlungen der Behörden mit den Deputationen der Arbeiterschaft vom Mittwoch zurückzuführen ist. Die Vertreter der Behörden beschränken ih darauf, die Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen. Der Statthalter von Mähren, Freiherr Spèns von Booden, ist in Privoz eingetroffen und hat den mährishen Theil des Kohlenreviers esihtigt. Nach einem Telegramm der 0M Dt0 betrug gestern die Zahl der Ausftän- digen nur noch 5000 Mann. E i

Der Ausstand der Hafenarbeiter in Stettin ist, wie „W. T. B.“ heute meldet, beendet. Dagegen haben die Getreide- träger beschlossen, von heute ab zu striken.

Wie das „Hamb. Echo“ meldet, befindet sich der Ausstand der Schauerleute in Hamburg (vergl. Nr. 111 d. Bl.) noch in dem-

selben Stadium. zwei Versammlungen haben die Arbeiter erklä für den ihnen Cte Lohn, der nah demselben Blatt 4,50 T 9 4 für den Tag beträgt, nicht R arbeiten zu wollen.

Die von dem Verein der Berliner Brauereien in An- As des Brauereiböttcher-Ausstands am 15. d. M. in Ausführung gebrachte Maßregel, wegen Au echterhaltung des Verrufs gegen die Rirxdorfer Vereinsbrauerei etwa 20 9% der organisierten

rbeiter zu entlassen (vergl. Nr. 113 d. Bl.), ist, wie wir der. „Voss. tg.“ entnehmen, von den Ausständigen mit einer Verrufser- lärung weiterer sechs Brauereien beantwortet worden. Außer der Rixdorfer Vereinsbrauerei werden geächtet die Schultheiß-Brauerei Aktiengesellschaft, Berlin QA Tivoli) ; Brauerei F.Happoldt; öhmisches Brauhaus, Kommandit-Gesellschaft auf Aktien, A. Knoblau ; Brauerei Karl Gregory, Berlin (Adler-Brauerei) ; Spandauerberg-Brauerei, vormals C. Bechmann; Aktien-Gesellshaft Schloßbrauerei Schöne- berg. Die gesammte Arbeiterschaft is aufgefor ert, fein Bier von diesen Brauereien mehr zu faufen oder zu trinken. Der allgemeine Verruf sämmtlicher im Verein befindlihen Brauereien wurde wegen der großen Bedeutung des Biergenusses für die Arbeiter abgelehnt. Der Vorstand des Vereins der Brauereien verwahrt sich in einer längeren Erklärung noch einmal dagegen, daß er der Urheber des Streits gewesen sei. Die e Böttcher hätten vielmehr im Vertrauen auf ihre Kraft durch die Forderung der achtstündigen Arbeitszeit den Kampf heraufbeschworen. Eine Versammlung von Brauerei- Arbeitern, welhe am 16.. d. M. stattfand und äußerst zahlreich, auch von Frauen, besuht war, nahm, wie die hiesige „Volks-Ztg.* berichtet, nah einem vom Uhrmacher Näther ehaltenen Referat über die Stellungnahme zu der von dem Brauerei- esißer-Verein beschlossenen Aussperrung der Brauereiarbeiter eine Reso- lution an, in welcher sie sih mit den ausgesperrten Brauereiarbeitern folidarisch erklärte und fich zur Unterstüßung derselben verpflichtete. Es wurden zunächst folgende Unterstüßungsgelder bewilligt : Berhei- rathete mit mehr als drei Kindern erhalten 2 4, mit weniger als drei Kindern 1,50 #, Unverheirathete 1 M für den Tag. Etwa 300 Personen, die noch in Arbeit stehen, erklärten ih bereit, 10 % von ihrem Lohn der gemeinfamen Unterstüßungskasse der Böttcher und us En zu fen. ihaf ie Tishlergenossenshaft in Wien beschloß, nah cinem Wolff'schen Telegramm vom gestrigen Tage, die O der strikenden Tischler auch fernerhin abzulehnen, und stellte fest, daß der Strike fast in sämmtlichen Wiener Werkstätten (vergl. Nrn. 112 und 114 d. Bl.) fortdauere.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Cholera.

Oesterreih-Ungarn. Die Zahl der in Galizien vom 7. bis einshließlich 30. April erkrankten Personen belief sih dem „Oest. San. Wes.“ zufolge auf 35, davon kamen auf die Gemeinde Skala, polit. Bez. Borszczow, 9 (4 gestorben), Sikierzynce, polit. . Bez. Husiatyn, 23 (9) und Zielona, in demselben Bezirk gelegen, 3. Vom 1. bis 7. Mai wurden 4 Cholerafälle (3 in Skala, j in Sikierzynce) festgestellt, davon 2 mit tödtlihem Verlauf ; außerdem \tarben von den früher Erkrankten noch 2.

Rußland. In der am linken Weichselufer und etwa 10 km von der preußishen Grenze entfernt gelegenen Stadt Wlozlawsk (Gouv. Warschau ) wurden, wie in den „Veröffentlichungen des Kaiser- lihen Gesundheitsamts“ mitgetheilt wird, vom 26. April bis 4. Mai s Erkrankungen (2 Todesfälle) festgestellt, in der Stadt Warschau vom 28. April bis 6. Mai 4 (4), în den Gouvernements Nadom vom 25. bis 30. April 70 (25) und Plock vom %. April bis 2. Mai 28 (5). Bei dem Medizinal-Departement des Ministeriums des Innern wurden während des Monats April (n. St.) folgende Erkrankungen (und Todesfälle) angezeigt: in der Stadt Warschau für die Zeit vom 11. bis 25. April 2 (2), in den Gouvernements Plock vom 18. März bis 21. April 75 (40), Radom vom 6. bis 21. April 20 (10), Kowno vom 18. März bis 21. April 53 (36), Podolien vom 6. bis 23. April 20 (5).

Portugal. An den fünf Tagen vom 27. April bis 1. Mai sind, wie in den e gen des Kaiserlihen Gesundheits- amts" berichtet wird, in Lissabon naheinander 78, 70, 45, 26 und 29 Perfonen oleraverdähtig erkrankt; ein Todesfall wurde nit gee meldet. Nach dem Bericht des Bakteriologen Dr. Pestana geben die aus den Ausleerungen der Kranken gezüchteten Kommabazillen nicht die Cholerarothreaktion; die Mehrheit des Gesundheitsraths hat ih daher gegen die Annahme asiatisher Cholera ausgesproten.

Ostindien. Kalkutta. Vom 1. bis 7. April sind 104 Per- sonen an Cholera gestorben.

i Gelbfieber.

In Rio de Janeiro wurden nach dem „Abstr. of sanit. rep.“

vom 4. bis 10. März 589, vom 11. bis 17. ds\. Mts. 413 Sterbefälle

festgestellt. / __ _Flecktyphus.

Regierungsbezirk Königsberg. Einem Beriht vom 9. April zufolge sind neuerdings noch 19 Erkrankungen P worden, davon in den Kreisen Pr. Eylau 8 (1 mit tôdtlihem Aus- gang), Allenstein, Friedland, Rössel und Wehlau je 1, in den Städten Königsberg 2 und Braunsberg 9; der früher aus Allenstein gemeldete Fall ift tódtlih verlaufen. Insgesammt wurden bis dahin 109 Er- krankungen mit 11 Todesfällen angezeigt.

Der Gesundheitsstand in Berlin war auh in der Woche vom 29. April bis 5. Mai ein günstiger und die Sterblichkeit eine kleine (von je 1000 Einwohnern starben, aufs Jahr berechnet, 16,2 ersonen). Unter den Todesurfachen kamen Erkrankungen an akuten Entzün- dungen der Athmungsorgane etwas seltener zum Vorschein, doh war die Zahl der dur diese Krankheitsformen bedingten Sterbe- fälle cine erheblich höhere, als sonst um diese Jahreszeit. Erkran- kungen an Grippe wurden wenig beobachtet, jedoch noch ein Todes- fall als Tee derselben mitgetheilt. Erheblih seltener als in der Vorwoche führten akute Darmkrankheiten zum Tode; die Theil- nahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit blieb eine kleine; von je 10000 Lebenden starben, aufs Jahr berechnet, 41 Säug- linge. Von den Infektionskrankheiten blieb das Vorkommen von Unterleibstyphus ein feltenes. Erkrankungen an Masern, zeigten sih in fast gleih beshränkter Zahl wie in der - Vorwoche. Erkrankungen an Scharlah und Diphtherie wurden etwas häufiger zur Anzeige gebraht, und zwar erstere aus dem Stralauer Viertel, leßtere aus der jenseitigen Luisenstadt, der Rosenthaler Vorstadt und dem Wedding am zahlreihsten. Erkrankungen an Kindbettfieber wurden 4 bekannt; auch 1 Erkrankung an Pocken gelangte zur An- zeige. Seltener wurden rosenartige Entzündungen des Leltgerwebes der Haut beobachtet. Erkrankungen an Keuchhusten waren nicht selten, die Zahl der durch sie bedingten Sterbefälle blieb cine kleine. Rheu- matische Beschwerden aller Art zeigten im Vergleih zur Vorwoche keine wesentliche Aenderung in ihrem Vorkommen.

Land- und Forstwirthschaft.

Saatenstand in Oesterreich. Bericht des K. K. Ackerbau - Minifteriuums nah dem Stande vom 10. Mai 1894.

Der lang ersehnte Regen stellte fih im Laufe der Berichtsperiode endlich mit seltenen, Galizien und die Bukowina betreffenden Aus- nahmen überall ein, nahdem die ununterbrochene Trocktenheit wenigstens bis Mitte April und darüber hinaus (in vielen Gegenden der Nordost- Länder sogar bis Anfang Mai) angehalten hatte. Das Maß der Niederschläge befriedigte ziemli allgemein; Klagen über ein Ueberma nd verhältnißmäßig selten, obwohl heftige, mitunter auch von E chlägen begleitete Budrezen und in manchen Gegenden von Steier- ma und Kärnten auch

ochwasser hier und da einigen Schaden verursachten. Dagegen wird in Galizien und der Buko-