1913 / 95 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 22 Apr 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Sache ad calendas graccas vertagen. Gutwillig würde der Zweck- vetband nichts tun, aber dic MNegicrung hat anderseits auch keine geset- liche Handhabe, wie der Minister bereits gesagt hat. Also i} es Pflicht des Staates, die Stadtbahn auszubauen. Nun erhebt sich die ¿Frage, wie kommen wir am zweckmäßigsten zum Ziel. Warum zweifelt man an der Richtigkeit der Sachverständigenurteile der Eisen- bahnverwaltung? Wir habén uns do E immer auf die Ver- waltung vetfafen. Die Vorteile des elektrishen Betriebes liegen fo auf der Hand, daß man a priori sofort dafur sein kann. Der elek- trische Betrieb gestattet viel höhere Leistungen. Jch verkenne nicht, daß auch die Leistungsfähigkeit des Dampfbetriedes erhöht werden kann. Der Minister hat ja erklärt, daß man mit der neuen Loko- motive bis zu 40 Zügen fahren kann. * Aber es is wiederholt dar- gelegt: worden, daß ein besserer Fahrplan bei dem Dampfbetrieb nicht aufgestellt werden kann. Durch den elektrishen Betrieb wird auch viel erspart an Kohlen und Licht, weil derselbe immer betriebsfertig ist. Es wird auch an Personal erheblih gespart werden können. Cin großer Vorteil besteht auch darin, daß der elektrische Betrieb unabhängig ist von der Zufuhr von Kohlen. Das würde im Falle eines Streiks von großer Bedeutung sein. Der Dampfbetrieb wirkt auch fhâdlich auf die Häuser und auf den Anstrich der Bahnhöfe. Die großen Städte gehen immer mehr zu celektrishen Betrieben über, so vor allem London, Paris, Newyork, Melbourne und auch Wien. Alle diese Daten lassen von vornherein als höchstwahrscheinlich erscheinen, daß der elektrische Betrieb auch erheblich billiger sein wird, als der Damypfbetrieb. In der Tat hat die Eisenbahnverwaltung dies nach- gewiesen. So soll der Dampfbetrieb um 7,6 Millionen teurer sein, als der elektrische bei den gleichen Einnahmen. Dabei ist noch an- genommen, daß die elektrische Kraft aus fremden Werken bezogen wird. Nach neueren Feststellungen soll aber die Kraft aus staatseigenen Werken entnommen werden, wodurch der Betrieb weiter verbilligt wird. Wenn auch an der Berechnung des Ministers noch einige Aenderungen vorgenommen werden müssen, so spielen die aber keine große Rolle. Man darf auch nicht die Erhöhung der Kohlenpreise e ans lassen. Nach alledem besteht kein Zweifel, daß der elek- trische Betrieb erheblih wirts{aftliher und zwecktmäßiger sein wird, als der Dampfbetrieb. Es kommt nur noch die tehnishe Seite in Betracht, da interessiert es uns besonders, daß der Vertreter der Veeresperwaltung ohne jedes Bedenken bestimmt erklärt hat, daß für den Kriegsfall absolut kein Bedenken gegen den elektrischen Betrieb erhoben werden könne. Auch der Vertreter der Postverwaltung hat nicht bestritten, daß es möglich ift, beim elektrischen Betrieb geeignete Maßregeln zum Schuße der Shwachströme zu ergreifen. Den Ein- wand, daß beim elektrischen Betrieb infolge Kurzschlusses größere Be- triebsstörungen zu befürchten seien, kann 1ch nicht in vollem Umfange anerkennen. Jede technishe Neuheit bietet Vorteile und Nachteile. Aber wenn man nicht die Nachteile mit in Kauf nehmen will, dann muß man auch die großen Erfindungen, wie Automobile und Luft- schiffe, verwerfen. Der Abg. von Pappenheim hat eine Reibe von Professoren befragt, die sich gegen den elektrischen Betrieb ausgesprochen haben. Jch könnte ihm aber eine ganze Reihe Sachverständiger Rennen, die auf dem entgegengeseßten Standpunkte stehen. Einigkeit in technischen Fragen werden wir nie haben. Wenn wir darauf warten wollten, dann würden wir keinen Schritt weiter kommen. Was die Stromart betrifft, so herrs{cht bei den Sachverständigen fast allge- mein die Auffassung, daß für derartige Unternehmungen nur Wechsel- strom in Betracht kommen könne, da dieser wegen seiner Zwe- mäßigkeit und Wirtschaftlichkeit am geeignetsten ist. Der Einwand, daß über den Wechselstrom noch nicht genügende praktishe Erfahrungen vorliegen, ist ganz unbegründet. Auch die finanziellen Erträgnisse des elektrischen Betriebes gegenüber dem Dampfbetrieb sind bedeutend günstigere. Beim verbesserten Dampfbetrieb würde noch ein Fehl- betrag von 5,7 Millionen zu deten bleiben, während beim elettrifchen Vetrieb sih der Fehlbetrag auf nur 3,1 Millionen belaufen würde. Dann bietet der elektrishe Betrieb noch den Vorteil, daß die über- \hüssige elektrishe Kraft an Privatunternehmungen abgegeben werden kann. Immerhin würden beim elektrischen Betrieb größere Cinnahmen in Aussicht stehen, sodaß diese Betriebsart sich vorteil- hafter stellen würde als der Dampfbetrieb. Die 3 Millionen, die der Anirag Gerhärdus für Versuche fordert, reichen dafür bei weitem nicht aus. Dem Kommissionsbes{luß werden wir zustimmen.

Abg. von Henn igs-Techlin (kons.): Wohl noch nie hat eine Nede so überrascht wie die des Vorredners. Es kann wohl jeder einmal zu einer anderen Ansicht kommen, und ih habe mihch auch von der Regierung überzeugen lassen wollen; ih habe mih bemüht, weil ih großes Vertrauen zum Ministerium habe, einen Weg zu finden, um die Vorlage der Regierung annehmen und von meiner kritischen Haltung zurückommen zu können. Ès ist mir aber nicht gelungen. Dem Abg. Schmedding 1 es gelungen; er akzeptiert glatt die Zahlen der Negierung und findet mit einemmal alles das richtig, was uns von der Regierung dargestellt ist, und alle seine Kritik ift zu Ende. Von verschiedenen Rednern ist Kritik an unserer Haltung geübt worden, weil wir an die technishen und die wirtschaftlichen Fragen kritisch berangegangen sind, während doch die Autorität der Sachverständigen der Regierung hätte anerkannt werden müssen. Der Standpunkt des Abg. Hoffmann war der reine Interessenstandpunkt, nur eingewickelt in alle Unhöflichkeit gegen diejenigen, die es wagen, in politischer Hinsicht einer anderen Ansicht zu sein. Das sind wir von ihm ge- wöhnt, das ist die Form, in der hier sachliche Dinge behandelt werden, während der Abg. von Pappenheim durchaus sahlih sprach. Wenn wir auch die Autorität der Regierung anerkennen, \o hindert uns das nicht, Kritik zu üben. Der Abg. von Woyna meinte auch, daß binter unserer Haltung Interessenten ständen, als ob wir automatisc für irgendwelche Interessenten cinträten. Der springende Punkt ift für uns lediglich, ob das neue System wirtschaftlich ist. Wir wissen ganz genau, daß mit der Elektrizität ein tadelloser Betrieb einzurichten ist. Aber es fragt sich, welche Betriebsform wirtschaftlich ist. Der Abg. von Woyna hat der Industrie den Rat gegeben, ch lieber zu vertragen. Ich glaube nicht, daß die Industrie seinen Natschlag be- folgen wird, und für uns als Abgeordnete ist es sogar wünschens- wert, daß ein Gegensaß zwischen zwei verschiedenen Richtungen her- vortritt, denn wir finden ein unparteiishes Urteil besser, wenn fich verschiedene Industriearten nicht gegen uns zusammentun, fondern wenn sie sih gegenseitig fritisieren. Bei den 60 Millionen zum Ausbau des westlichen Bahnbetriebes handelt es sih um einen bestehenden Be- trieb, hier dagegen um etwas völlig Neues. Es ist ausgeführt worden, daß das vorliegende Projekt von cinem genialen Baurat ausgedacht worden ist. Troßdem können wir diëfer Vorlage nicht zustimmen, che niht genügende Erfahrungen gesammelt sind. Wir wollen ja in der ganzen Frage keinen absolut ablehnenden Standpunkt einnehmen. Hier wird eine Lokomotivart gefordert, die nur an einer einzigen

Stelle in der Welt, auf der Londoner Stadtbahn, verwendet wird, -

und wobei es sih um ein altes System handelt. Dazu kommt, daß die Verhältnisse des Londoner und des Berliner Verkehrs völlig ver- schieden sind. Man kann direkt sagen, da das Triebgestell hier die Hauptsache ist, daß eine derartige Lokomotive in der ganzen Welt noch nicht vorhanden ift. Die Lokomotive wurde erst während der Ausarbeituna dieser Vorlage konstruiert und erfunden, sodaß sie in Wirklichkeit nur in der Zeichnung besteht. Gs ‘ist doch bedenklih, daraufhin ohne Erfahrung gleich einen ganzen Betrieb aufzubauen. Vor dieser Prüfung können wir für cine so große Vorlage nicht stimmen. Gegen das Trieb- gestell hat sogar der Laie die größten Bedenken. Man hat hier das Zahnradsystem eingeführt, das nur bei bestimmten Geschwindigkeiten funktioniert. Ein zweiter Fehler des Gestells ist, daß der Führerstand sich nicht darauf befinden kann, sondern in den dahinterliegenden Wagen gelegt ift. Hinzu kommt, daß ein Transformator herübergeführt wer- den muß zum Triebgestell, und daß eine Hochstromleitung mit einer Spannung von 50 000 Volt erforderlih sein wird. Jh führe das alles nux an, um zu beweisen, daß in dem ersten Projekte der Negie- rung große Bedenken liegen. Ein zweites Bedenken, worauf mich auch die Hèrren von der Technischen Hochschule aufmerksam gemachk haben, liegt in der Tatsache, daß es nicht mehr möglich ist, mit zwet- achsigen Lokomotiven zu fahren, weil die Gefahr eines Achsenbruches zu groß ist und dreiasige Lokomotiven daher sicherer fahren. Die Bedenken in militärischer Hinsicht will ih aushalten nah den Er-

[lärungen der Militärverwaltung. Jch habe diese Bedenken in der Kommission nur deshalb erhoben, weil gewisse Anforderungen der Militärverwaltung die wirtschaftlide Seite der Frage berühren können. Cine Frage von großer Bedeutung ist das Stromsystem. Nach den gemachten Erfahrungen kann man sagen, daß sich der Gleichstrom in der Regel mehr für den Stadtbahnbetrieb eignet, wäh- rend der Wechselstrom mehr für die Fernbahn in Betracht kommt. Den Wechselstrom auf der Stadtbahn einzuführen, ist also ein Novum. Die Wirtschaftlichkeit des Wechselstromes ist also sehr zweifelhaft. Daß durch den Wechselstrom Schwachstromleitungen gefährdet werden, ist zweifellos. Die Postverwaltung hat ja nun auch gesagt, wir können das leßte Wort erst dann sagen, wenn die Vorlage bewilligt ijt, erst dann werden wir Versuhe machen. Wir haben aber zu prüfen, ob die Vorlage wirt|\chaftlih ist. Dazu wäre es notwendig, daß solche Versuche vorher gemacht werden. Ein Nein seßen wir der Regierung nicht entgegen, fondern wir wollen nur abwarten. Wenn wir jeßt A sagen und die erste Nate bewilligen, dann müssen wir auch B sagen. Die Sache mag dann gehen, wie sic will. Dann ist unter Umständen aber die Wirtschaftlichkeit aanz vershoben. Nach der MNegierungs- vorlage stellt sih die Wirtschaftlichkeit des elektrischen Betriebes um etwa 10—12 % besser, als die des Dampfbetriebes, aber ein nur ganz geringfugiger Umstand kann diese ganze Berechnung verschieben. Dann \tußt sich die Vorlage auf die Verzinsung des Kapitals. Wir werden der Resolution zustimmen, daß auch das alte Kapital verzinst werden muß. Daß das erreiht wird, halte ich für unmöglich. Da liegen alte Fehler vor, die wir nicht mit einem Schlage beseitigen können. Man hat Tarife eingeseßt, bei denen cine Wirtschaftlichkeit niht möglich ijt. Daß man eine Stadtbahn auch wirtshaftlih machen kann, das hat die Hoch- und Untergrundbahn bewiesen, die doch immerhin einen Nußen von ca. 6 % abwirft. Der Hauptfehler liegt in den Monats- tarten. Wir müssen natürli sehr vorsichtig sein, daß wir die Tarife nicht unbegrenzt erhöhen, also au in wirtschaftlicher Beziehung fehlt die nôtige Sicherheit in der Berechnung. Solange ih noch nicht sicher bin, was ich an Strom verbrauche und welches System das beste Ut, kann ih auch noch nit beurteilen, ob der elektrische oder der Dampf- betrieb wirtschaftlicher ist, und ob wir noch Hunderte von Millionen hinterherwerfen müssen, ganz abgesehen von dem Verzicht auf die Ver- ¿êlnsung des Anlagekapitals, und troßdem die alten Mißstände bei- behalten. Die Berechnungen über den Strom- und Kohlenverbrauch sind keineswegs einwandfrei. Die Berechnungen \{chweben noch in der Lust. Gs ist auch ganz falsh, die Berehnung auf die Spißen des Verkehrs einzurichten. Zu gewissen Zeiten und Stunden wird in ¡edem Vetrieb ein Gedränge eintreten. Das i} au in London und Paris der Fall. Im übrigen ist nach den bei den Versuchsfahrten ge- machten Erfahrungen eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der T 12 Lokomotive unbedingt zu erwarten. Allerdings können Störungen vorkommen; aber selbst, wenn man diese berückichtigt, wird es immer noch möglich sein, etwa 30 bis 32 Züge in der Stunde zu befördern. Die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens beruht zum großen Teil auch darauf, ob die nôtige Frequenzsteigerung zu erwarten ist. Denn der elektrische Betrieb macht sich nur da bezahlt, wo ein gewisser Massenvertehr stattfindet. Jn Philadelphia, Newyork und anderen großen Städten ist nun allerdings die nötige Frequenz vorhanden, ja fie wird sogar noch überschritten. Ob das aber bei uns in Berlin der Fall sein wird, scheint mir doch mehr als zweifelhaft. Jn den ebengenannten Städten werden pro Kilometer 3 Millionen Per- sonen jährlih befördert, während man die durchschnittliche Frequenz in Berlin nur auf 0,7 Millionen Personen pro Kilometer berechnet hat. Unsere Tarife sind gegenüber den Tarifen in Großstädten anderer Länder viel zu niedrig. Eine entsprecbende Tariferhöhung halten auch wir für notwendig. Jedenfalls muß sie so fein, daß die ganze Rentabilität einigermaßen verbürgt ist. Was die Errichtung der Krafianlagen anbetrifft, so sind auch meine Freunde dafür, daß das Krastwerk von der Negterung selbst erbaut wird. Aber über die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerkes sind auch in der Vorlage, wie bei allen Punkten, nur Hoffnungen und Bermutungen ausgesprochen wor- den. So rechnet man mit der Möglichkeit, Nebenprodukte zu gewinnen und elektrische Kraft an andere Unternehmungen abzugeben. Darauf aber die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens schon heute zu basie- ren, {eint mir doch ein Optimismus zu sein, der nicht angebracht ijt und den wir nicht verantworten können. Treffen die VBorausseßun- gen ein, fo ist es ja erfreulih, aber hon jeßt mit ihnen zu rechnen, ist doh etwas unvorsihtig. Dann sind die teuren Kohlenpreise gegen den Dampfbetrieb ins Feld geführt worden. Aber die Glektrizität ist doch cine in Strom umgescßte Kohle und somit auch von den jeweiligen Kohlenpreisen abhängig. Dann möchte ih dem Anschein entgegentreten, als ob wir irgend eine Abneigung gegen die Groß- städte hätten. Davon kann nit die Nede sein. Wir freuen uns an dem Aufblühen Berlins und werden immer den berechtigten Wün- [cen unserer MNesidenzstadt Rechnung tragen. Aber hier bei dieser Angelegenheit halten wir es nicht für ganz richtig, wenn man Berlin bei Verkehrsverbesserungen subventioniert. Andere Städte müssen ja auch selbst für die Verbesserung ihrer Verkehrsverhältnisse sorgen. Ich gebe zu, daß der augenblicklihe Verkehr auf unserer Stadt- bahn zu groß 1 und Abhilfe geschaffen werden muß. Aber wie ist denn dieser große Verkehr entstanden? Doch nur durch die Tarif- politif, durch die zu niedrigen Preise. Wenn die Verkehrsmittel nicht mehr ausreichen, dann hat eben die Stadt die Pflicht, für bessere WBerkehrsgelegenheiten zu sorgen. Wir übernehmen voll und ganz die Verantwortung für unsere Stellungnahme zu dieser Borlage. Wenn die Gefahren für die Betriebssicherheit unserer Stadtbahn wirklich fo groß wären, dann hätte doh die Negierung diejenigen Verbesserungen des Dampfbetriebes bereits eingeführt, die sie für erforderlich halt, und hâtte die Angelegenheit nicht länger aufgeshoben. Es muß alfo nicht fo schlimm mit der Gefahr sein. Wir können die Verantwor- tung ruhig tragen, noch weitere Unterlagen für die Prüfung diefer Vorlage zu fordern. Wir sollen hier einfach in vollem Vertrauen be- willigen. Wir haben aber keinen Einfluß auf die Tarife und auf kie tecmsche Seite der Frage, und wenn die Kommission in ihrer Neso- lution noch eine Denkschrift verlangt, so hängt das der Sache nur ein Maäntelchen um. Die technischen Fragen sind noch nicht genügend ge- klärt. Wir stehen durhaus nicht auf dem einseitigen Standpunkt der Dampfinteressenten, aber die Elektrizitätsgesellshaften sind die NRatgeber der Negiezung bei dieser Vorlage gewesen. Die Damyf- lokomotivenfabriken haben jedenfalls {on eine große Vergangenheit hinter sih. Jch habe Dutende von Zeitungsartifkeln und alle Borträge von Hochschulprofessoren durchgelesen und finde da überall die aller- ernstesten Bedenken, ja sogar scharfe Warnungen, und an solchen Acußerungen kann ih nicht achtlos vorübergehen. Aus allen Ver- handlungen, in denen auch die Glektrotechnifker zur Sprache gekommen sind, ersieht man, wie fadenscheinig die Gründe der Clektrizitätsinter- cssenten sind. Wir haben dem Minister stets das größte Vertrauen entgegengebracht, ih kann mir fein größeres denken, und wenn i die innere Möglichkeit gehabt hätte, mit der Negierung zu gehen, so hätte ih kleinere Bedenken mit Vergnügen zurückgestellt: nichts ist uns un- angenehmer, als dem Minister, dem wir immer unbegrenztes Ver- trauen entgegenbringen werden, in diesem Falle Schwierigkeiten machen zu müssen, aber wir bitten ihn, auch anzuerkennen, daß dies lediglich das Resultat eingehender Nachprüfung „einer schwierigen Sache ist. (Sr wird von uns nie erwarten, daß wir gegen unsere Üeberzeugung nur ibm zuliebe uns entscheiden sollen. Wir haben Pflichten gegen das ganze Land zu vertreten, und müssen weder nach rechts noch links blidend Stellung nehmen. Wenn wir zu dem Resultat kommen, daß die Sache noch ungeklärt ist, dann ‘ien wir die Anerkennung ver- langen, daß das unser pflihtgemäßer Standpunkt ist, von dem wir nicht abgehen können, fo unangenehm es uns ist. Ich bitte Sie, den Antrag Gerhardus anzunehmen, niht wegen der Summe, auf die es niht ankommt, sondern weil er die Sache hinaus\chiebt, die noch niht genügend geklärt ist.

Minister der öffentlihen Arbeiten von Breitenbach:

Melne Herren! Man könnte der Meinung sein, daß ih ata- demischen Erörterungen zuneige, wenn ih die in der Kommission

bereits erörterte Frage aufwerfe, ob und in wie wett cin Parlament

oder cine Kommission desselben in der Lage is, in vorwicgend te- nischen Fragen entsheidend mitzuwirken. Die Frage ift akadcmisch, weil Jhre Kommission monatelang kaum etwas anderes getan hat, als die speziell technishen Fragen dur{zuprüfen und zu kritisieren. Ebenso haben wir ja von dem Herrn Abg. von Hennigs “soeben erneut cine Kritik aller techntschen Vorgänge gehört.

Es liegt mir nun außerordentli fern, dem Parlament das Recht zu bestreiten, daß es berechtigt ist, auch technische Fragen in den Kreis seiner Erörterungen zu ziehen; es kommt nur auf die Grenzen an, die das Parlament sih in solchen Fällen steckt. Es liegt doch sicher eine sehr große Gefahr darin, tehnische Fragen, die eingehende tech- nischc Kenntnisse voraussezen, hier zum Gegenstand des Streits und Widerstreits zu machen.

Die Ausführungen des Herrn Abg. von Hennigs haben mich in dieser Auffassung bestärkt. Er sagte: als wir an das Triebgestell in Bitterfeld herantraten und es besichtigten, war es für jeden Laien erkennbar, daß das eine unmöglihe Konstruktion ist. Meine Herren, Herr Abg. von Hennigs unternimmt es, einen solchen Ausspruch zu tun, obwohl das Triebgestell von einem der ersten Techniker der preußtishen Staatseisenbahnen konstruiert, von dem Leiter der Abteilung, der dieser Mitarbeiter angehört, sanktioniert und s\elbst- verständlih auch von mir gebilligt ist. Dem Herrn Abg. Schmedding warf er aber vor, daß er ausgesprochen habe, auf den erften Bli wäre es erkennbar, daß diese oder jene technishe Auffassung der Staatseisenbahnverwaltung zutreffend gewesen wäre. Und er selbst nimmt für sh das Recht einer unfehlbaren Kritik in Anspruch.

Herr Abg. von Hennigs meinte, daß ih in der Kommission geäußert habe, ih wäre ja selbst in diesen speziell technishen Fragen Laie. Das trifft durchaus zu; ih bin nicht Elektrotehniker und nicht Maschinentehniker. Aber ich habe doch einen erheblihen Vorsprung vor Herrn Abg. von Hennigs: ih stehe 35 Jahre in der Staatseisen- bahnverwaltung, kenne ihre Betriebsverhältnisse das kann ih für mich in Anspruch nehmen im ganzen Lande; ih kenne die einfachen, ih kenne die {wierigsten Verhältnisse und habe mir selbstverständlich in meinem langen Berufsleben avch Erfahrungen in der Beurteilung sfoler Verhältnisse angeeignet. Wenn meine ersten technischen Be- rater mit derartig umfassenden Entwürfen, wie die vorliegenden, kommen und mir auseinanderseßen, wie dieselben Erfolg haben werden, dann bin ih sehr wohl in der Lage, zu beurteilen, ob fie cins{lagen werden, ob etn Erfolg zu gewärtigen ist. (Sehr richtig! links.)

In meiner Einführungsrede habe ih auseinandergeseßt, daß es garniht fo sehr darauf ankommt, hier festzustellen, ob das elektrische Triebgestell oder die elektrische Lokomotive die richtige Konstruktion ist; cs kommt vielmehr darauf au, festzusiellen, wie eine folche Kon- struktion im Betriebe wirkt, und diese Frage, wie eine elektrische Lokomotive im Betriebe arbeitet, wie eine Dampflokomotive, gleih- viel welcher Konstruktion, im Betriebe sh bewährt, das können do nur Eisenbahnbetrtiebstechniker entsheiden. (Sehr richtig! links und bei den Freikonservativen.) Aus diesen Erwägungen heraus befinde ih mich eben in einer grundfäßlih abweihenden Auffassung von der- jentgen der Herren, die in dieser Frage die s{härfsten Opponenten sind.

Metne Herren, mein Reffort wäre ja durchaus in der Lage, dte tehnischen Einwendungen des Herrn Abg. von Hennigs erneut zu widerlegen, wie sie {hon wiederholt in der Kommission widerlegt worden sind, felbsiverständlih von meinen Technikern. (Sehr richtig! links.)

Sie werden selbstverständlih viel größeren Wert darauf legen, über diese speziell technishen Fragen den Techniker zu hören als den Minister, der über dem Techniker steht und diese teGnisGen Vor- gänge als solhe niht beherrscht. Es ist mir aber doch zweifelhaft, ob es bei dem jeßigen Stande der Verhandlungen überhaupt ange- zeigt ist, in die Erörterung der technts{chen Vorgänge näher hinein- zusteigen.

Herr Abg. von Hennigs hat alle Fragen, die wir tin der Kom- mission erörtert haben, im einzelnen wieder dur&genommen, die Frage des Triebgestells oder einer elecktrishen Lokomotive, und hat sich darauf berufen, daß cine elektrishe Lokomotive nnr auf einer Bahn, foviel ihm bekannt, auf einer Londoner Nöhrenbahn verwendet werde. Er hat nur vergessen, hinzuzufügen, daß au auf der New York-Newhaven- Bahn elekirische Lokomotiven fahren, im Fern- und im Stadtverkchr. Das ist eine Tatsache, die nit vergessen werden darf.

Ferner hat er auf die auch in der Kommission gerade vom Abg. Macco erörterte Frage hingewiesen, daß es im höchsten Maße ¿weifelhaft wäre, ob das Zahnradsystem zur Uebertragung das geeignetste wäre. Meine Herren, da muß ih doch bitten, meinen er- fahrenen Technikern und Konstrukteuren mehr zu trauen als dritten.

Damit komme ich noch einmal auf die Frage der Interessen- politik. Herr Abg. von Hennigs hat die Dampflokomotivinterefsenten in Schuß genommen. Nun, meine Herren, i habe aus den Aeußerungen fast sämtlicher Herren Vorredner in diesem Haufe den Cindruck gewonnen, daß das Vorgehen der Dampflokomotivinteressenten {were Mißbilligung verdient (schr richtig! links), namentlich die Kampfesmethode. (Sehr rihtig! links.) Der elektrishe Konzern hat sih, soweit ih beobahtet und nahgeprüft habe, zurücktgehalten. Beide Fragen scheiden aber für die Staatsregierung ganz aus. Wir sind weder für die Dampflokomotivindustrie noch für die elektrische Industrie in dieser Frage zu haben (fehr richtig! links); wir steben über beiden. (Sehr richtig! links und bet ven Freikonservativen.) Wir akzeptieren nit blind, was uns oferiert wird; wir konstruteren selber, beraten selbstverständliß auh mit der Interessentenscaft. Genau fo, wie wir uns zu der Zeit, als wir die Heißdampflokomotive auf den preußischen Staatsbahnen einführten, in engster Verbindung haben halten müssen mit den Lokomotivinteressenten, genau so haben wir mit den Interessenten der Elektrotehnik Fühlung halten müssen, als es sich um die Vorbereitungen dieser wihtigen Frage handelte. Darauf habe ich auch in der Kommission immer wieder hinweisen müssen, daß wir, die Regierung und das Ressort der Staatsregterung, welches diese Frage zu vertreten hat, unmöglich in eine Partei- stellung hineingedrängt werden dürfen. (Sehr gut! links.) Was haben wir wohl für ein Interesse daran, meine Herren, die cine oder andere Betriebsart gewählt zu sehen? Wir wollen nur das Beste und glauben, daß diese Vorlage technisch das Beste bietet, was zurzeit geboten werden kann.

(Schluß in der Dritten Beilage.)

Dritte Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

M2 9D.

Berlin, Dienstag, den 22. April

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Auch die wirtschaftlißen Bemänglungen des Herrn Abg. von Hennigs haben mich nit überzeugen können, daß wir uns auf fashem Wege befinden. Er führte aus, daß alle unsere Unterlagen doch noch in der Luft {webten. Ich stelle die Frage, ob unsere Unterlagen für die Kosten des elektrishen Betriebes niht ganz zweifellos find, wenn wir nahweisen, daß der Elektrokonzern, der doch sicherlich keine \chlechten Geschäfte machen will (sehr wahr! links), uns einen Strom- preis anbietet, der die Grundlage für die ganze Kalkulation bildet. In Uebereinstimmung mit der Mehrzahl der Mitglieder dieses hohen Hauses sind wir der Auffassung, daß, wenn wir selbsi den Betrieb der Kraftwerke . in die Hand nehmen und alle Chancen des eigenen Betriebes ausnußtzen, wir noch billiger produzieren werden als 2: dzn Angebotépreisen. Auch für eine vergleihende Berehuung mit dem Dampflokomotivbetrieb sind die Grundlagen nicht anfe{tbar, zunächst bezüglich der sählihen Kosten, insbesondere der Kohlenfeuerung. Jch bitte, uns doch Vertrauen zu senken, daß wir genau wissen, ohne daß vergleichende Versuche stattfinden, welche Mengen Kohlen eine Maschine unter beslimmten Voraussetzungen verbraucht. Das find Dinge, die uns so geläufig sind,® daß wir gar nicht darüber streiten oder rechten können. (Sehr wahr! links.) Es find aber sfolhe Versuche angestellt worden, und diese Versuche haben uns durchaus recht gegeben. Wenn der Herr Berichterstatter, Abg. Macco, die Nichtigkeit dieser Versuche an- gezweifelt hat und zu anderen Ergebnissen gelangt ist, so hat er nicht damit gerechnet, daß wir eine um 20% erhöhte Fahrgeschwindigkeit bei dem elektrischen Betrieb verlangt haben. Er hat mit der Fahr- geschwindigleit gerehnet, die heute auf der Stadt-, Ring- und den Vorortbahnen in Uebung ist, die wir für einen großen weltstädtischen Betrieb für durhaus ungenügend halten. (Sehr richtig! links.) Die Kosten des Stromes und die Kosten der Kohlen stehen fest, daran ist nicht zu rütteln. Auch die Personalkosten sind nicht anzuzweifeln. Wenn wir den Beweis antreten, daß der elektrishe Betrieb, wie wir ihn anstreben, jährlich um rund 6 Millionen billiger sein wird als ein Dampflokomotivenbetrieb, der \sich seinen Leistungen nur nähert, so beruht dieser im wesentlichen auf der Ersparnis an Personal- kosten. Wie wir die elektrishen Züge zu beseßen haben, ist aber für uns außer jedem Zweifel. Dartn liegen schr große Er- sparnisse. Man wird nicht behaupten dürfen, daß diese Ersparnisse aus der Luft gegriffen sind; denn sie beruhen auf Erwägungen, die eine in solchen Fragen durchaus erfahrene Verwaltung anstellt. Ih kann daher die Bemängelungen des Herrn Abg. von Hennigs auch nah dieser Nichtung als zutreffend niht anerkennen.

Nun will uns der Herr Abg. von Hennigs auf Grund seiner, wie ich ohne weiteres anerkenne, sorgfältigen Durcharbeitung der Vor- lage glauben machen, daß wir mit einem Lokomotivtyp, der heute bereits auf der Stadtbahn verkehrt, dem Lokomotivtyp T 12, dasfelbe erireihen oder uns dem nähern können, was wir mit dem elek- trishen Betrieb erreihen wollen. Wir kennen die Leistungen der Maschine, die heute in mehreren hundert Exemplaren auf der Stadt- bahn verkehrt, es ist eine drcifah gekuppelte Heißdampflokomotive. Wenn wir feststellen, daß diese Maschine selbst bei aus\chließlicher Verwendung nur geringe Verbesserungen des heutigen Verkehrs herbei- führen wird, so können Sie uns nicht zumuten, mit dieser Maschine für eine längere Zukunft zu renen.

Herr von Hennigs meinte, an die Frage der Elektrisierung dürfe man nur herangehen, wenn alles klipp und klar gestellt fei. Ja, meine Herren, dann werden wir niemals zu dem elektrishen Betrieb kommen. (Sehr richtig! links.) Die ersten Dampflokomotiven sind nach unserer heutigen Auffassung von einer außerordentlihßena Unvoll- kommenheit gewesen, und diese Unvollkommenheit hat Jahrzehntelang angehalten, bis geniale Erfinder uns die Heißdampflokomotive brachten, die einen eminenten Fortschritt in unserm Betr:ebe darstellt, die Heiß- dampflokomotive, die wir heute auf den Staatsbahnen in rund 5000 Exemplaren besitzen, und in der ein Kapital von fast } Milliarde investiert ist. Als wir den großen Sprung zur Heißdampflokomotive unternahmen, hat hier in diesem hohen Hause niemand Zweifel erhoben, ob wir tehnisch auf dem richtigen Wege wären, und der Uebergang zur Heißdampfmaschine bedeutete erheblich mehr als die Elektrisierung des Stadt-, Ning- und Vorortbahnnetzes; denn die technischen Ver- besserungen setzen sih in eminentem Maße in wirtschaftliße Erfolge um. Die Verbesserung unserer Betriebsziffer muß zum großen Teil zurückgeführt werden auf die Leistungssteigerung, die uns die Heiß- dampfmaschine gebraht hat. Damals haben Sie es nicht nah- kontrolliert. In dieser Spezialfrage kontrollieren Sie uns nach und verlangen, daß wir einen juristishen Beweis dafür bringen, daß der Fortschritt des Betriebes eintreten? wird, den wir erwarten. (Sehr gut! links.)

Es hat mich mit einer gewissen Befriedigung erfüllt, daß Herr von Hennigs die von den Lokomotivfabrikanten präsentierte Kampflokomotive, die meines Erachtens ganz mißlungen ist, preisgibt und nicht mehr die Behauptung aufstellt, daß wir mit dieser Maschine die großen Vorteile erzielen werden, die wir erzielen wollen. Es freut mi auch, daß er anerkennt, daß die Bedenken, die im Inter- esse der Landesverteidigung geltend gemaht find, geschwunden sind. Freilih bält er seine Bedenken aufrecht wegen Gefährdung der Interessen der Neichstelegraphenverwaltung und die Bedenken, die sich daraus ergeben, daß insbesondere Entschädigungsansprüche an die preußishe Staatsbahn erhoben werden können. Wenn ich bereits am Sonnabend festgestellt habe, daß der Chef der Reichspostverwaltung amtlich ausgesprohen hat, daß von keiner amtlichen Stelle éine Summe von 50 Millionen als Entschädigung bezeichnet ist, so sollte man sfich damit zufrieden geben. Die Herren von der Reichspostverwaltung Haben in der Kommission ausdrülich ausgesprochen im Anschluß an thre formelle Erklärung, daß mit den Schutzeinrihtungen, die wir vorsehen, die Bedenken der Neichstelegraphenverwaltung beseitigt sein werden, daß jedoch Versuche vorzubehalten eien.

Ich möchte noh kurz auf die Tariferhöhung eingehen. Die Lage der Staatsregierung bei Durchbringung der Vorlage ist deshalb be- sonders s{hwierig, weil von den Freunden der Vorlage ein Teil über- zeugte Gegner der Tariferhöhung ist, und von den Gegnern der Vor- lage wohl sämtlihe ausgesprohene Anhänger der Tariferhöhung {ind, zum teil über das noch hinausgehen wollen, was die Staatsregierung in Ausficht genommen hat. Die Staatsregierung ist meines Erachtens von Anfang an den rihtigen Weg gegangen, sie hält die Mitte. Sie will keinesfalls durch diese Vorlage den Staat erneut finanziell be- lasten. Sie glaubt, daß die Tariferhöshung vollkommen genügt, um das neu investierte Kapital zu verzinsen. Herr Abg. Quehl hat richtig hervorgehoben, daß es \#ch nur um 123 Millionen handelt ; denn die Kosten des Kraftwerkes kann man nicht in Nechnung stellen, weil wir andernfalls den Strom kaufen müssen. Jh hoffe zuversihtlih, daß bei Eigenbetrieb des Kraftwerks ein Teil des alten Anlagekapitals mitverzinst werden wird. So bestimmt ich zusihern kann, daß im Augenblick, wo wir die Elektrisierung durhführen werden, auch die Tariferhöung, wle wir sie planen, durchgeführt werden wird, so wenig bin ih der Meinung, daß wir weiter gehen dürfen. Wir würden damit eine Verantwortung übernehmen, die wir angesichts der Wohnungsfürsorge für die Be- völkerung von Groß Berlin nicht tragea können.

Was das Maß der Tariferhöhungen betrifft, so follen sie etwa rund 8 Millionen einbringen. Von diesem Betrage werden 75 9/6 zu tragen haben die einfachen Karten im Stadt- und Ringbahn- sowte im Vorortverkehr im Gegensaß zu den Monatskarten. Die Tarif- erhöhungen werden für diese einfahen Karten nicht drückend sein; aber sie bringen zusammen doch immerhin eine Mehreinnahme von an- nähernd 6 Millionen. Die Monatskarten werden im Stadt- und Ringbahnverkehr stärker belastet werden als im Vorortverkehr, weil dieselben im Stadt- und Ringbahnverkehr ganz abnorm billig find; die Passagiere werden hier im Durchschnitt zu etwa 4 4 für die Fahrt befördert. Nach unserer Auffassung, zu der wir nach Durchprüfung der Sache gelangt sind, wird diese Erhöhung hingenommen roerden können. Die Arbeiterwochenkarten werden nur sehr wenig getroffen. Es handelt sich hier mehr um einen Ausgleich von Unregelmäßig- keiten gröbster Art, die immer zu Becrafungen des Ostens auf den Westen Anlaß gegeben haben. Die Arbeiterwochenkarte wird im Durchschnitt für die Fahrt nur mit dem Bruchteil eines Pfennigs tevaht werden.

Es ist in Zweifel gezogen worden, ob die Wirkung der Tarif- erhöhung zutreffend berechnet ist. Jh meine, in dieser Frage könnten Sie der Staatsregierung und meinem Ressort ebenfalls Vertrauen schenken. Ich könnte eine große Anzahl von' Fällen aufführen, in denen unser Voranschlag der Wirkung einer Tartfänderung auf dem Bebiete des Güter- wie des Personenverkehrs durchaus zutreffend ge- wesen ist. Jch erinnere àn die Personentarifreform vom Jahre 1908. Der ganze Personentar{f wurde revidiert und neu aufgestellt, erhöht und ermäßigt; der ganze Gepäcktarif wunde umgemodelt. Unsere Millionenberechnungen sind auf die Mark zugetroffen; das Ergebnis ist genau so gewesen, wie wir es vorausgeseßt haben. Bei der Ein- führung des Nohstofftarifs vor einer Reihe von Jahren haben wir uns nicht geirrt, und jeßt bei der Ermäßigung dec Ab- fertigungsgebühr für großräumige Waren find unsere Be- rechnungen durchaus zugetroffen. Wir glauben, daß wir uns auh hier nicht verrehnet haben. Daß der Bau von Nadial- linien scwie die Motoromnibusse eine gewisse Einwirkung auf den Verkehr des NRingbahnneßzes haben werden, kann nicht zweifelhaft sein. Aber wenn Sie ih die wachsenden Vororte, namentli die an der Ningbahn liegenden, ansehen, dann werden Sie mit mir wohl auch der Meinung sein, daß das, was uns zeitweilig entzogen wird, in ganz kurzer Zeit durch die Zunahme der Frequenz infolge des Steigens der Bevölkerung ausgeglihen fein wird und ausgeglichen sein muß.

Meine Herren, zu dem Antrag der Abgg. Gerhardus und Ge- nossen habe ich mich {hon zu Beginn der zweiten Lesung geäußert. Ich muß aber nohmals aussprechen, daß dieser Antrag nicht einmal einen Wechsel auf die Zukunft bedeutet. Eine grundsäßlihe Stellung- nahme, die wir gebrauchen, läßt er durdhaus vermissen. Ih wieder- hole: wtr können nihts unternehmen, wenn wir niht wissen, ob das hohe Haus \sih grundsäßlih auf den Standpunkt der Staatsregierung stellt, daß elcktrisiert werten soll. Wenn diese Entscheidung niht fällt, {weben diese Summen in der Luft, und es bedeutet das eine Verzögerung der Vorlage nicht um ein Jahr, sondern um eine Reihe von Jahren. (Hört, hört! links.) Ob das hohe Haus diese Verantwortung übernehmen [kann oder will, das hat es ganz auss{chließlich selbst zu beurteilen. Eine eigene Ver- antwortung trägt es aber unter allen Umständen, wenn die Vorlage troß der dringenden Begründung von meiner Seite, und troßdem ih auf die {ädlichen Wirkungen der Ablehnung oder der Verzögerung hingewiesen habe, abgelehnt werden follte. Die Staatsregierung hat ein gutes Gewissen in dieser Sacbe und eine unanfehtbare Stellung. Ste ist troy der besonderen Dringlichkeit erst nach reifliher und jahrelanger Ueberlegung vorgegangen. Diese hat fo lange gedauert, daß man mir heute den Vorwurf gemacht hat, wir hätten zu spät angefangen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Weil die Negierung so vorgegangen ist, kann fie mit Ruhe dem Ausgang ent- gegensehen und kann selbst cinen negativen Beschluß des Hauses er- tragen. Ob ein solher von dem hohen Hause ertragen werden kann, ist mir mehr als zweifelhaft. (Lebhafter Beifall links.)

S rortschr. Volksp.): Der Abg. Hennigs wird ir Bee E va wic A éaisben Acofüteungen und Bbracbnuigon größeres Gewicht beilegen als denjentgen des Ministers. Wollen wir vom Parlament denn dem Minister die Ver- antwortung abnehmen? Damit will ih natürlich nicht sagen, daß wir niht das Necht der Kritik haben. Daß große Mißstände auf der Stadtbahn bestehen, hat außer dem Kollegen Schaube niemand

bestritten. Es fragt sich nun, wie wollen wir denselben abhelfen ? Sollen wir A E Mittel aufwenden, nur um das Alte zu er-

halten ? Die von der Regterung gemachten Erfahrungen sind durhaus

1943.

ausreihend. Warum wollen Sie päpstlicher sein als der Papst? Ihre Versicherungen, daß Sic Ihre Gegnerschaft niht gegen Berlin richten, müssen wir de sehr vorsichtig aufnehmen. Ich gebe zu, daß die Stadt Berlin vom Staat in erster Linie berücksichtigt wird. Sind denn die 50 Millionen, die Berlin durch die Ein- kfommensteuer aufbringt, gegenüber den 379 Millionen in ganz Preußen gar nichts? Die Tatsache, daß Berlin mit einem Steuerzuschlag von 100 9/6 ausfommt, fann do feinen Anhalt dafür geben, daß nicht von seiten des Staates etwas geschieht, um diese große Stadr vorwärts zu bringen. In der ganzen Welt ist jeder auf seine Hauptstadt 1tolz. Bei uns ist aber Berlin der Wasserkopf, der nit begünstigt werden daxf. Es gibt feinen einzigen plausiblen Gcund dafür, diese Vorlage zu bekämpfen. -Durch die Vorlage wollen wir nur den ersten Schritt auf dem Wege der Besserung machen. Cin bestimmtes System wird in keiner Weise festgelegt. Es ist s{chlimm genug, daß die Vorlage niht schon früher gekommen ist. Wenn fie aber nun endlich kommt, s\ollte man dem Minister nicht in den Arm fallen. Bei der Tariferhöhung sollte man jede Neberspannung vermeiden. Das Kraftwerk sollte vom Staate er- rihtet werden. Wir sollten dem Minister die völlige Verantwortung überlaffen und nicht zögern, den Kommissionsantrag anzunehmen. Die Annahme des Antrages Gerhardus würde völlig in der L.ft schweben. Die Megierung hat kein Recht, den Zweckverband zu zwingen. Ich bitte deshalb, diesen Antrag abzulehnen.

Die Debatte wird geschlossen.

Zur Geschäftsordnung bemerkt

Abg. Ziethen (freikons\.), daß er durh die Schließurg der Debatte verhindert sei, für die Vorlage einzutreten.

Die Abstimmung soll erst am Dienstag vorgenommen werden, und zwar soll sie über den ersten Teil des Antrages Gerhardus namentlih erfolgen. Auf Wunsch des Vizepräsidenten Dr. Porsch einigt sih das Haus über die Reihenfolge der Ab- stimmungen; entgegen einem Antrag von Pappenheim, zuerst über den Antrag Gerhardus abzustimmen, beschließt das Haus, die Abstimmung über den Kommissionsantrag voraus- gehen zu lassen.

Abg. von Pappenheim (konf.) beantragt darauf, auch über die Regierungsvorlage selbst namcntlih abzustimmen.

_ Abg. Dr. Pachni cke (forts{r. Volksp.) stellt hierauf den Antrag, daß nicht über den Antrag Gerhardus, sondern über den Kommissions- antcag namentlich abgestimmt wird.

Es folgt die zweite Beratung des Gesetzentwurfs, betr, allere Hypothelfen in Neuvorpommern und Nügen, dessen unveränderte Annahme die Justizkommission beantragt.

Nach kurzer Befürwartung des Kommissionsantrags durch die Abgg. Dr. Rewoldt (freikon\) und Lippmann . (fortshr. Volksp.) beschließt das Haus demgemäß.

Bei ‘der sofort erfolgenden dritten Lesung wird der Gesetzentwurf endgültig angenommen.

Es folgt die zweite Beratung des Geseßentwurfs, betr. Erweiterung des Stadikreises Linden (Ein- gemeindung der Landgemeinde Rilingen in Linden).

Die verstärkte Gemeindekommission beantragt die Annahme der Vorlage mit dem Zusaß, daß hinsichtlich der Kommunal- besteuerung und hinsichtlih des Austritts der Bürgervorsteher, die nah dem bestimmungsmäßigen Turnus aus dem Kollegium der BVBürgervorsteher am 1. April 1913 hätten ausscheiden müssen, das Geseß rücckwirkende Kraft vom 1. April 1913 ab erhält, sodaß die erwähnten Bürgervorsteher bis zu dem Ein- tritt der Vertreter der Gemeinde Ricklingen noch im Amt bleiben können.

Abg. Leinert (Soz.): Es ist nicht richtig, daß an der Zahl von 24 Vürgervorstehern in Linden fesigehalten wird. Seinerzeit hat man auch bet der Eingemeindung verschiedener Vororte in Hannover die Zahl der Bürgervorsteher von 36 auf 48 dur das Gingemeindungsgeseß erhöht. Wir beantragen daher eine Ver- mehrung der Bürgervorsteher und eine andere Einteilung der Wakhl- bezirke. Wir wollen die dret Bürgervorsteher, die in Riklingen cewählt werden sollen, der jeßigen Zahl der Bürgervorsteher hinzufügen. An eine Eingemeindung von Linden nach Hannover is nicht zu denken, sie ist immer abgelehnt worden. Linden is eine Arbeiter- stadt und daber eine arme Stadt. Jhre Steuerkraft ist bis aufs äußerste angespannt. Der Zuschuß des Staates zu den Volks\chul- lasten Lindens von 45 000 4 bedarf dringend der Erhöhung. Ferner bitte ih, in Linden ein Amteêgericht zu errichten.

Abg. von Brandenstein (koaf.): Jh bitte, den Antrag Leinert abzulehnen. Die Frage ist in der Kommission auf das ein- gehendsie erörtert worden, und man is dort auch zu einem ab- lehnenden Beschlusse gekommen. Daß die allgemeinen Bestrebungen dahin gehen, die Städteordnung für Hannover zu ändern, ist ja ritig. Aber man darf doch beim Erlaß eines einzelnen Geseßes der Ent- wicklung nit vorgreifen. Alles, was der Vorredner außerdem ge- sagt hat, {eint mir durhaus niht zur Sache zu gehören. Jch bitte, den Geseßentwurf in der vorliegenden Fassung anzunehmen.

Abg. Hausmann (nl.): Den Wunsh nah Errichtung eines Amtsgerichtes in Linden kann ih durchaus unterstüßen. Der Abg. Leinert tut der Stadt aber absolut keinen guten Dienst, wenn (r einen derartigen Antrag stellt, der unter Umständen die Etngemeindung illuforisch macht. Das Herrenhaus würde seinen Antrag dech nicht annehmen, wetl dadurch die Städteordnung geändert werden müßte. Aus diesem Grunde wurde auch in der Kommission dieser Antrag ab-

elehnt. : Abg. Leinert (Soz.): Das Geseß würde auch zustande kommen,

wenn mein Antrag angenommen würde. Das Herrenhaus würde wohl meinem Antrage zustimmen, da es ja auch 1907 der Vermehrung der Bürgervorsteher in Hannover zugestimmt bat. Wenn \chon in naher Zeit eine Aenderung der hannoverschen Städteordnung vor- genommen würde, könnte man sich noch bis dahin mit den bestebenden Verhältnissen abfinden, so aber kann ich meinen Antrag nit zurück- ziehen. ° dit Ein Negierungskommissar: Eine Erklärung darüber, ob und wann eine Aenderung der hannoverschen Städteordnung vor- gelegt werden wird, kann ih niht abgeben. Die Zahl von 24 Bürger- vorstehern beruht auf geseßliher Bestimmung, und diese Beschränkung auf eine geringe Zahl ist begründet darin, daß die gemeinschaftlichen Sitzungen mit dem Magistrat möglichst erleihtert werden sollen.

Die Vorlage wird unter Ablehnung des Antrages der Sozialdemokraten in der Kommissionsfassung angenommen. Bei der sofort erfolgenden dritten Beratung wird sie ohne Debatte endgültig angenommen.

Es folgt die zweite Beratung des Gesezentwurfs, be- treffend Abänderung der rheinishenZusammen- legungs8- und Gemeinheitsteilungsgeseze.

Die Kommission hat die Beschränkung dieser Vorlage auf

die Rheinprovinz fallengelassen und sie auf den ganzen Staat