1913 / 30 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 04 Feb 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Graf von Haeseler beantragt die StreiGung des leßten Absaßzes von § 177, wonach der NRegierungspräsident bestimmt, ob und in welchem Umfange der an Seen bisher üblihe Gemein-

ebrauch im Falle des inie auch fernerhin zulässig ist, und

erkt: Es kann eintreten, daß der Besißer eines Sees doch einmal diesen Gemeingebrauch verbietet; wenn aber der Regierungspräsident nun die Befugnis bekommt, hierüber zu bestimmen, so ist es ein Eingriff in das Eigentumsrecht. Dies halte ih für unangebradt, da die meisten Besiger so viel Wohlwollen haben, um andere berechtigte Interessen nicht zu {hädigen.

Die §8 175 bis 183 werden unverändert angenommen.

, Das Haus vertagt um 61/, Uhr die Weiterberatung auf Dienstag, 11 Uhr.

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Haus der Abgeordneten. 124. Sigung vom 3. Februar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphishem Bureau“.)

Ueber den Beginn der Sigzung, in der die zweite Beratung des Etats des Ministeriums des Jnnern, und zwar E die bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben, „Gehalt des Ministers“, übliche allgemeine Besprehung Fortgelegt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

__ Freiherr von Zedliß und Neukirch (freikon\.) führt, in seiner Rede fortfahrend, weiter aus: Das Reichsamt des Innern hat keine eigene Verwáltung, es kommt deshalb mit dem praktishen Leben nicht unmittelbar in Berührung; es arbeitet unter der Studierlampe. Seine ganze Tätigkeit konzentriert fich außerdem in der Geseggebung; um feine Cxristenzberechtigung zu bewetfen, liegt es nahe, alle Jahre Hunderte von Geseßetparagraphen zu produzieren. Dazu kommt, daß im Reichstage die üble Gewohn- heit herrscht, Hekatomben von Nesolutionen anzunehmen. Dazu kommt, daß in der Wilhelmstraße 74 eine Art Infektionsherd besteht; die Geschäfte werden dort geleitet nicht von Ministern, die die Parlamente führen können, fondern von solchen, die von einer sehr bedauerlihen Anpassungsfähigkeit auch an die Wünsche der Mehrheit des Reichstags nicht frei sind. Zur Löfung großer Aufgaben, wie der Ueberwtndung der Sozialdemokratie, reiht diese Art von Negierungskunst nicht aus. Der. Vorgang mit dem Wohnungsgeseß, auf dessen Vorlegung die Neichstagsmehrheit drängt, ist allgemein in der Welt als eine Drohung an Préußen aufgefaßt worden. Nach der ganzen Ein- rihtung unserer Behörden Herr von Dallwiyz hat cs ja bestätigt i das Neichsamt des Innern ständig in voller Kenntnis von ‘allen Schritten der preußishen Regierung gewesen, es hat Ce daß die Einbringung eines preußischen Geseßzes be- chlossen war, daß es sofort nah der Allechöchsten Genehmigung veröffentliht wérden sollte. Wenn Herr von Schorlemer hier neulih betont hat, daß es Aufgabe der Regierung sei, die Wirkung ihrer Erklärungen zu beachten, so wird ein fo kfluger Mann wie Herr Delbrü sich sagen “müssen, daß eine Erklärung wie die einige Staub aufwirbeln muß. Sie bat ja au sofort in der Presse den Gegensaß zwishen Delbrück und Dallwitz, die Regierungskrise im Reich und andere Dummheiten entstehen la sen. Auch seine Antwort auf die Frage des Schuyges der Arbeitswilligen hat befremden müssen. Daß ein gewaltiger sozialdemokratischer Terrorismus gegenüber der anderen Arbeiterschaft herrscht, ist zweifellos; die Tegten Zweifel haben die Zablen des Muisters beseitigt. Wenn es bei einem Ausstand zu 1700 Fällen von Be- strafungen wegen sozialdemokratischen Streikterrorismus hat kommen können, fo beweist dies genügend, wie unglaublich dieser Terrorismus ist. Der Abg. Cassel hat gemeint, daß gerade die große Zahl der Be- strafungen während des Streiks im Ruhrrevier mit Deutlichkeit den Beweis ergeben habe, daß die bestehenden Gesetze vollkommen aus- reihen, um die Arbeiter gegen terroristische Akte ider Sozialdemo- kratie zu shüßen. Wenn das richtig wäre, dann müßte unsere juristische Logik zum Teufel gehen. Diese Zahl der Verurteilungen beweist, daß die Justiz ihre Schuldigkeit getan hat, aber die Zahl der strafrechtlichen Verfolgungen beweist, daß die Vorbeugungs- maßregeln gegen folche Ansschreitungen nicht ausreichen. ir dürfen solhe Verheßungen unter den Arbeitern nicht dulden. Daß die Schärfe der tafsesevliten Bestimmungen gegen Be- leidigungen notwendig ist, unterliegt keinem Zweifel. Wenn der Staatssekretär sagt, daß in dem neuen Strafgeseß \chärfere Bestimmungen gegen Streikaus\shreitungen aufgenommen werden könnten, so muß ih doc) sagen, so lange Jahre können wir mit der \{ußlosen Preisgabe der Arbeitswilligen gegenüber der Sozial- demokratie nicht warten. Neben der Koalitionsfreibeit haben wir auch die persönliche Fretheit der Arbeiter zu hüten. Wenn von einem Vorredner behauptet wird, wir wollten den Gewerk- haften an den Leib, so muß ih dem doch widersprehen. Wenn wir den Terrorismus der Sozialdemokratie bekämpfen, dann tun wir es im eigenen Interesse der Gewerkschaften. Daß wir den Schuß der Arbeitswilligen dadur erreihen können, wenn wir die Gewerk- schaften für die Ausfchreitungen ihrer Organe haftbar machen, das glaube ich nit. “Jh bedaure, daß die nationalliberale es des Neichétaags im Sroenlas zu den sehr lobenswerten Ausführungen ihres Mitgliedes des Abg. Dr. Böttger den fonser- vativen Antrag auf Verbot des Streikpostenstehens abgelehnt hat. Unserer AMuffaltüng von æiner kräftigen deutsh-nationalen Politik widerstrebt ein Verhalten, wie es der Reichstag bewiesen hat. Das Wahlabkommen zwischen der Fortscrittlihen Volkspartei und der Sozialdemokratie von 1912 ist sehr bedauerlih. Damit hat sich die æortschrittlihe Volkspartei in ein kaudinishes Joch der \{chlimmsten Art begeben. Die Doktrin, daß man die Sozialdemokratie am besten da- durch bekämpfe, daß man sie zur praktischen Mitarbeit heranziehe, hat sich békanntlih in der Praxis nicht bestätigt. Der Aba. von Kardorff hat ausdrüdcklih zahlenmäßig nachgewiesen, daß die Stimmen der Sozialdemokratie unter der Herrschaft der Blocfpolitik in Baden si um das Doppelte vermehrt haben. Der Abg. Cassel hat’ dem Abg. von Kardorff vorgeworfen, er habe von einem Kampf derjenigen deut- schen Bundesstaaten, die ein anderes Wahlreht haben, als Preußen, gegen den preußischen Staat gesprochen, und hat eine solche Behaup- lung als unerhört bezeihnet. Dem Abg. von Kardorff ist das aber id nicht eingefallen. Er hat lediglich gesagt, der Ansturm der Demo- ratie gegen Preußen und den preußishen Staat würde nit so stark sein, wenn die süddeutshen Bundesstaaten sih nit so stark demokrati- siert hätten. Das war vollkommen recht. Jch muß daher den Vor- wurf des Abg. Cassel als völlig unbegründet entschieden zurücweisen, Wir werden angesihts der demokratischen Angriffe gegen Preußen dafür zu sorgen haben, daß die preußishe Monarchie in threr Cigen- art gewahrt bleibt. Jch stimme dem Abg. Friedberg darin zu, daß unser P Wahlrecht gegen jeden Angriff des Reichstags stand- haltèn muß. Wir halten an dem bewährten Grundgedanken unseres Wahlrechts fest, das nur so weit geändert werden darf, als es der wirklichen Wichtigkeit der Stimmen entspriht, und daß der über- wiegende Einfluß des Mittelstandes in G tritt. Dem demo- kratischen Ansturm werden wir mit aller Kraft entgegentreten und die Eigenart des preußischen Staates erhalten. j j Abg. Gronows ki (Zentr.): Die freikonservative Partei muß es hon dem Zentrum überlassen, wie es sein politishes Verhalten einzurichten hat. Es hat den Vorwurf der Neichsfeindlichkeit oft genug widerlegt. Haben Sie (zu den Freikonservativen) nicht selbst mit den Reichsfeinden das Feuerbestattungêgeseß hier zustande ge- braht? Der Abg. von Ou bekämpft das Verhalten des Reichs- tages. Die Herren wünschen doch sonst nicht, daß der Reichstag si in die Angelegenheiten des Abgeordnetenhauses einmisht; die Schärfe des Tones des Abg. von Zedliß war nicht geeignet, ein Zusammen- wirken zwischen Bundesrat und Reichstag zu erleichtern. Wir sind der Ansicht, daß das Enteignungsgeseß nichts weiter als eine Anleihe bei dem sozialdemokratishen Parteiprogramm ift. Daran können alle Defkitrinen der Staatsrechtslehrer- nichts ändern, Wir halten das Ent-

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) Firma des „Staatêwohls" tann man alle mögliden Bestrebungen decken. Ich veriveise auf Portugal. Ein Volksstamm, der immer geprügelt wird, wie ein Kind, ist kein sicherer Gewinn für uns, Die Polen haben Deutschlands Einheit miterkämpft. Die preußishe Staatsregierung würde \ih nichts vergeben, wenn sie als erste die Hand zur Versöhnung böte. Die Fehler der Polen will ih keinesfalls beschönigen, aber ein solches Cntgegenkommen würde für alle Teile vorteilhaft sein. Es ist das ort Una TegeteS chuß der Arbeitswilligen gefallen. Durch Ausnahmen würden Sie auch in Zukunft nichts wie Märtyrer schaffen. Die Sozialdemokrateu wären nicht so stark, wenn das Ausnahmegeseßz nicht bestanden hätte. 1878 hatten wir 35 000 Gewerkshaftsmitglieder, nach Aufhebung des Sozialistengesetes das Zehnfache. Durch solche Mittel haft man nür Erbitterung und vermehrt die Zahl der Sozialdemo- traten. Man verlangt einen größeren Schuß der Arbeitswilligen, sagt aber nicht, durch welche Mittel. Das Streikverbot wäre nur ein Privileg für Fabrikanten und Unternehmer. Die bestehenden Schut- maßregeln reichen aus. Natürlich verurteile ih jeden leichtfertigen Streik auf das äußerste. Die Gewerkschaften sollen zum Kampf, zum Streik nur greifen, wenn alle übrigen Mittel wirkungslos sind; es ist damit so wie in jedem Streik. Auswüchse des Streikpostenstehens verurteilen wir gleihfalls. Jn Westfalen haben leßthin die crist- lichen Gewerkschaften alle Ausschreitungen zurückgehalten. Wie will man diejenigen denn \{üßen, die gegen ihren Willen ausgesperrt werden, Arbeiter, die 10, 20 Jahre in dem Betriebe tätig gewesen find und gar nicht selbst am Streik sich beteiligt haben? Die Arbeiter tampfen weniger um ein paar Pfennige mehr Lohn als um ihr Organisationsrecht. Dies aber wollen die Unternehmer den Arbeitern- nil einräumen. Es ist fals, daß bei allen diesen Aussperrungen und Mißständen die Arbeiter die alleinigen Sünder wären. Nein, auf der Seite der Arbeitgeber sind vielfah noch größere Sünder. Es ist sehr bedauerlich, daß die Behörden, die Negierungspräsidenten wochen- lang ruhig zusehen, ohne die Parteien zusammenzubringen. Es wäre Pflicht des Negierungspräsidenten, au ohne angerufen zu werden, ein- zugreifen. Wir werden unseren Grundsäßen treu bleiben. Wer es wirklich ernst mit der Bekämpfung des Umsturzes meint, darf den cristlichen Gewerkschaften nihts in den Weg legen. Die gelben nationalen und Werkvereine werden von den Behörden direkt be- güustigt, und das is} geeignet, die Entwicklung der christlichen Ge- werkschaften zu beeinträchtigen. Derselbe NRegierungspräsident, der diese Begünstigung der Gelben in langen Erlassen betreibt, hat es bei den leßten NReichstagéwahlen fertig bekommen, bei der Stichwahl zwischen einem Zentrumsmann und einem Sozialdemokraten von der Wahl wegzubleiben, Wir wollen kein Ausnahmegeseß, wir werden mit der Sozialdemokratie {hon fertig, aber man darf uns _fkeine Knüppel zwischen die Beine werfen. Der Abg. von Kardorff hat einen Angriff auf die katholishe Kirhe unternommen, den der Abg. von Zedliß. vergeblih abzuschwächen versucht hat. Bei der leßten MNeichstagswahl haben die Sozialdemokraten nicht aus dem Lager der Katholiken, Joan aus den evangelischen Landesteilen ihren enormen Zuwachs bekommen; nur 12 von den 110 sind in Kreisen gewählt worden, wo mehr als 50 % der Bevölkerung katholisch sind. Gerade die Zentrumspartei hat also die größte Widerstandskraft gegen die Sozialdemokratie bewiesen. Daß leßtere niht nur christus- und kircenfeindlih ist, sondern auch die Diener der Kirche verspottet und verhöhnt, ist leiht nachzuweisen, wenn auch der Abg. Dr. Liebknecht sich und seine Partei von diesem Vorwurf zu reinigen unternommen hat. Auch die 110 Genossen im Reichstag können für die Arbeiter nichts ausbrichten, da R ein Ausweg gefunden werden, und so inszenierte man den großen Ruhrfkohlenarbeiterstreik, der elend ¿Fiasko machte und die Arbeiterschaft schwer geschädigt hat. Nur die Politik der Be- fonnenheit, nicht die pa der Leidenschaft und des Hasses kann uns vorwärts bringen. Nicht die 1700 Bestraften sind die eigentlich Scbuldigen, sondern die roten Heßredakteure, die im Hintergrunde standen. Eine Mehrheit für das MNeichstagswahlrecht ist in diesem Hause nicht vorhanden, es ist ein Verhältnis von 280 zu 160, d. h. die Zahl der Gegner ist um 120 höher. Was kann da das Zentrum dazu tun? Wenn die Zahl der Freunde des NReichstagswahlrechts seit den lebten 5 Jahren zurückgegangen ist, so haben die Sozialdemokraten die Hauptschuld; ih erinnere bloß an den Pfuiempfang, den sie im ebruar 1910 dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg bei seinem Eintritt in diesen Saal bereiteten. An der Reform des Wahlrechts werden wir mit größtem Eifer weiter mitarbeiten; von der Forderung des geheimen Wahlrehts können wir nicht ablassen. Man verlangt mehr Bürgerliche in den höheren Negierungsstellen ; aber es sollte do auch selbst von Herrn von Campe mehr Parität für die Konfessionen verlangt werden. Aber das Ministerium des Innern ist katholikenfrei, und von 500 Landräten sind nur einige 60 katholis. Besonders ungünstig stellt sih in dieser Beziehung die Provinz Schlesien. Jm Lande hat sich neuerdings ein gewisses Gefühl der Unsicherheit in der Vevölkerung festgeseßt, eine angesichts der ershreckenden Vermehrung der Morde, Ueberfälle usw. wohl begreiflihe Erscheinung. De Urte sache für diese Steigerung der Unsicherheit liegt auch in den üblen Wirkungen gewisser Kinovorführungen; hier sollte eine Konzessions- pflicht eingeführt werden. Für das ganze Deutsche Reich sollte eine einheitliche Filmzensur errichtet werden. Die Regierung würde si ein Verdienst erwerben, wenn sie sih bei der Erteilung der Kon- zession für Kinotheater mit dem Verband jugendlicher Arbeitervereine in Verbindung seßen würde. Die Reklame der Kinos ist außerdrdent- lich gefährlih und wirkt auf die Jugend überaus aufreizend. Wenn hier von der Negierung \chnell Abhilfe geschaffen werden würde, dann würde die öffentliche Sicherheit sehr gefördert werden und nit mehr so viel zu wünschen übrig lassen, wie es heute der Fall ist. Jch be- dauere im Interesse der Versiherungspflichtigen, daß das Kranken- versicherungsgeseß erst am 1. Januar 1914 in Kraft treten oll: Nh bitte den Minister, daß er nur solche Leute zu Vorsißenden der Ver- sicherungsämter zuläßt, die mit der sozialen Frage vertraut sind. Jch begrüße mit Freuden, daß die Wohnungsreform jeßt nun endlich dur{- geführt werden soll. Die Zentrumspartei freut \ih überhaupt über jeden sozialen Fortschritt. Wir wissen, daß die \{chlechten Wohnungen, besonders in den Großstädten, der Herd von vielen Krankheiten und Verbrechen sind. Wenn wir Abhilfe schaffen, wird auch eine Ver- minderung der Krankheiten und Verbrechen eintreten. Es wäre sehr erwünscht, daß man auf dem Lande die Leute mehr auf die Gefahren und das Elend unserer Großstädte aufmerksam maht. Dann wird auc der Zustrom zu den Großstädten abnehmen. Ueberhaupt kann sih ein Mensch, der die Natur liebt, in der Großstadt gar nicht wohl- fühlen. Die Zentrumspartei hat nach der sozialen Seite hin voll- ständig ihre Pilicht erfüllt. Wir wollen nit entnervte Menschen haben, sondern ein Geshlech{t, das si, von Glaubenstreue, Vater- landsliebe und Opferfreudigkeit erfüllt, dur die vielen Klippen dieser konfliftsreihen Zeit durcharbeitet.

Abg. Hammer (kons.): Der Abg. Cassel hat als Vertreter der Siadt Berlin Angriffe gegen die Selbstverwaltung des Kreises Teltow gerichtet, die ih auf das entschiedenste zurückweisen muß. Berlin hat sih stets gegen die Gingemeindung der Nachbargemeinden gesträubt, und der Abg. Cassel, der hon damals ein einflußreiches Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung war, ist stets dagegen aufge- treten. Im Jahre 1896 fand die letzte Verhandlung über diese Frage statt, und Berlin bat hier auédrücklih die Regterung, von jeder arößeren Eingemeindung absehen zu wollen. Inzwischen waren die Vororte groß und blühend geworden, und die Anschauungen über die Gingemeindungsfrage haben \ich wesentlih verändert. Jm Jahre 1909 fing Berlin wiederum an und eröffnete den Kampf um das Tempelhofer Feld. Heute aber, das erkläre ih im Namen sämtlicher Fraktionsmitglieder, können wir der Cingemeidnung Treptows nicht mehr zustimmen. Das Zweckverbandsgeseß sollte die Schwierigkeiten beheben, die sih aus der Regelung der Waldfrage, der Wasserver- sorgung für die einzelnen Gemeinden Groß Berlins ergeben fönnen. Wir standen dabei auf dem Standpunkt, daß wir CEingemeindungen in Berlin niht mehr zustimmen können und werden. Für notwendige Cingemeindungen an anderen Stellen der Monarchie werden wir natürlih immer eintreten, Wenn der Kreis Teltow Treptow nicht hergeben will, fo ist das nur Notwehr. Der Kreis hat bisher nur fapitalfräftige Gemeinden verloren, aber seine Lasten sind dieselben

eignungsgesebß- für verderblich. Unter der

gebliebem So droht auch Stegliß mit seinen 80 000 Einwohnern aus

dem Kreise uezuscheiden; 30 Vororte Berlins bringen für den Kreis Teltow neun Zehntel sämtlicher Steuern auf. Treptow steht dabei an siebenter Stelle. Diesen Ort will sich Berlin einverleiben. Wir zahlen alljährlih über eine Million Zuschuß für den Teltowkanal. Dieser ist gerade im Interesse der Vororte ai worden. Die Nähe Berlins legt uns aber auch noch andere roße Pflichten auf. Jch möchte nur auf den großen Automobilperkekr hinweisen. Für ihn mußten ‘in leßter Zeit allein 56 Kilometer Kreischausseen ausgebaut werden. Im ganzen hat der Automobilverkehr der Großstädte den Ausbau von 83 Meilen Kreischausseen notwendig gemacht. Diese müssen in Zukunft unterhalten werden, genau so wie die Kranken- häuser, die doch in jeder Beziehung den Vergleich mit denen Berlins aushalten. Der Kreis zahlt jährlih 1,6 Million Mark Pro- vinzialabgaben, dazu kommen 70 Millionen Mark Sc{ulden. Wie soll das alles gedeckt werden, wenn uns ununterbrochen die leistungs- fähigen Gemeinden fortgenommen werden? Der Abg. Cassel hat in seiner Rede alles vermieden, was die eigentlichen Beweggründe Berlins hätte zum Vorschein kommen lassen. Er stellte es so hin, als ob Treptow allein von Berlin Vorteile erwarte. Er hat aber vergessen, mitzuteilen, welche Steuerkräfte in Treptow liegen. Die Steuer- summe, die Tréptow abzuführen hat, ist von 225 000 M auf 310 000 Mark im Jahre 1911 gestiegen. Nun wird man einwenden, daß ja Berlin bereit ist, diese Summe in irgendeiner Form abzulösen. Das ist wohl richtig, aber die Progression, die sih überall bemerkbar macht, würde dem Kreise Teltow verloren gehen. Dagegen müssen wir uns energisch wehren. Berlin hat etwa für 40—50 Millionen Mark Grund- besiß in Treptow. Dieser würde ohne weiteres frei werden für Berlin, wenn es Treptow eingemeinden kann. Die ganze Umsabsteuer, die Ge- meindesteuer und die Wertzuwachs\teuer, dieses alles würde Berlin mit einem Schlage in die Tasche stecken zuungunsten des Staates, des Neiches und des Kreises. Deshalb hat eben Berlin an der Ein- gemeindung so großes Interesse. Der Herr Vertreter von Berlin hat dann weiter ausgeführt, Treptow sei jeßt zur Arrondierung und Abgrenzung Berlins notwendig. Wer sich aber den Plan genau an- sieht, der wird finden, daß sich Berlin hier nur einen (Saprivizipfel annektieren will. Merkwürdig ist es auch, daß man den Kreis wie die Provinz erst benachrichtigt, nahdem man \ich mit Treptow ver- ständigt hatte. Die Verwaltung des Kreises sowie die der Provinz hat mit fester Einmütigkeit jede Ausgemeindung Treptows nah Berlin abgelehnt. Nun hat der Oberbürgermeister von Berlin an den Vor- sikenden des Kreisausschusses einen Brief geschrieben und verlangt, daß derselbe sih gewissermaßen ihm zur Verfügung stellen \oll. Der Vorsißende des Kreisaus\chusses hat aber darauf erwidert, daß es ihm unmöglich sei, auf das Verlangen der Stadt Berlin einzugehen, weil der Kreisausschuß einen ablehnenden Beschluß gefaßt habe. Das ignoriert der Oberbürgermeister vollständig. In einem Artikel der „Vossischen Zeituna“ wird verlangt, der Vorsißende des Kreisaus- [usses solle vom Minister des Innern wegen seines Verhaltens ge- rüffelt werden. Wenn nun aber der Oberbürgermeister zum Minister des Innern gegangen sein und sih beschwert haben sollte über den Borsißenden des Kreisaus\chusses, so würde ih das aufs tiefste be- dauern. Jn einer sehr unangenehmen Lage befinden sich die Berliner Beamten, die nah den Vororten ziehen wollen, um fich in freier Luft zu erholen. Auf Grund cines Paragraphen des Allgemeinen Land rechts verbietet die Stadt Berlin diesen Beamten, in Zukunft na den Vororten zu ziehen. Als dieses Geseß geschaffen wurde, gab es aber noch keine Vororte. Folglih kann dieser Paragraph nicht mehr zutreffen. Wir bitten deshalb die Staatsregierung, ihrerseits Stellung zu nehmen, ob die Stadtverwaltung von Berlin sich inner- halb des geseßlihen Rahmens befindet, wenn sie den Beamten, die nach den Vororten ziehen wollen, dies grundsäßlich verweigert. Jn der Frage des Schußes der Arbeitswilligen hat der Slaaissekretär Dr. Delbrück eine Haltung eingenommen, die der gewerbliche Mittel- stand nicht verstehen kann. Es ist eine wenig vorausschende Politik, die der Staatssekretär treibt. Der Staatssekreiär hat behauptet, das Streikpostenstehen könne man nicht dur ein besonderes Geseß ver- bieien. Gegen Ausschreitungen könne man nur durh_ eine Ver- s{ärfung der strafgeseßlihen Bestimmungen vorgehen. Das sagt der Staatssekretär in demselben Moment, wo die Kommission des Straf geseßbuches den Beschluß faßt, daß eine strafrehtliche Regelung diese Verhältnisse in ein*Spezialgeseß hineingehöre. Der Staatssekretä hat sih hier ebenso sehr geirrt wie in der Angelegenheit des 2 nungsgeseßes. Aus Arbeitgeberkreisen werden mir zahlreiche erbitterie Briefe geschrieben; darin wird gesagt, das sei der Fluch der bösen Tat, daß der Staatssekretär, der die Verfassung in Elsaß-Lothringen durchgeseßt hat, jeßt niht wagt, gegen die Sozialdemokratie aufzu- treten. 0

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So muß es kommen, wenn die Regierung vom Wege abgerät. Mir haben geborene Straßburger gesagt, die Verhältnisse sind bei uns jeßt derart, daß wir niht mehr wissen, wer Koch und wer Kellner ist. Deshalb ist der Statthalter von Elsaß-Lothringen jeßt mit allen Kräften bestrebt, den Mittelstand zu erhalten, weil nur dadur eine Neorganisation möglich wird. Der sozialdemokratische Abg. Hirsch hat dem Abg. von Kardorff zugerufen, es gäbe keine Akte des Terrorismus, die man beweisen könne. “Demgegenüber will ich Ihnen nur zwei Fälle nennen. In Bayern sind 38 christliche Arbeiter, die sich nicht der sozialdemokratischen Organisation anschließen wollten, von den Sozialdemokraten brotlos gemacht worden, bis he der jozialdemoëtrati- {en Organisation beigetreten sind. Auch in Halberstadt ist ein ähn- licher Fall vorgekommen, den der „Vorwärts“ selbst mitgeteilt hat. Jch bin erfreut, daß die Freikonservativen einen so energischen Ton angeschlagen haben. Unter den Kaufleuten und Handwerkern macht sih eine gewisse Niedergeschlagenheit bemerkbar, die Leute haben niht mehr den Mut, sih gegen die Sozialdemokratie zu wehren. Daher kommt es, daß Hunderttausende hingehen und Sozialdemokraten werden. Aus allen diesen Gründen wünschen wir, daß eine ziel- bewußte Regierung sich dieser Leute erbarme. Wenn Deutschland ein MNechts\staat bleiben soll, muß unbedingt eingegriffen werden. Es fehli an Gendarmerie, in diesem Etat sind nur 48 neùe Stellen für Gendarmen eingestellt worden. Wenn ein Streik. stattfindet wie im Nuhrrevier, müssen die Gendarmen überall herbeigeholt werden. Bei dem Aufruhr in Moabit, als die Arbeitswilligen bedroht wurden, sammelte sih der Plebs auf der Straße, und die Streikposten be- kamen Zulguf aus Kreisen, die den Sozialdemokraten selbst wohl unliebsam sind, aber die Sozialdemokraten haben das provoziert. Als der Polizeipräsident endlih am leßten Tage die Schußleute mit Ne- volvern bewaffnete, da waren die Leute mit einem Male von der Straße weg. Als bei dem Streik an der Nuhr, den die ‘Noten inszentert hatten, die Militärpatrouillen durh die Straßen gingen, \tob alles auseinander und wurde bescheiden. Die Heter sind immer die allerfeigsten. Wir verlangen, daß die Regierung zielbewußt zu- faßt. Ueber das Wahlrecht, das sonst Berufenere in meiner Partei behandeln, will ih als Mann des Mittelstandes sprehen. Der Abg. Lohmann behauptete neulih, daß der Mittelstand die geheime Wahl wünsche. Jch würde diese für ein Unglück halten. Jch habe in zahl- reihen MRiesenversammlungen vor dem Mittelstande darüber ge- sprochen, und der Mittelstand ift stußig geworden, als er die Leistungen der jeßigen Mehrheit des Reichstags auf diesem Gebiete und dagegen die Leistungen des preußischen Landtags sah. Jeder 25iährige Deutsche, mag er aub Zuchthaus gehabt haben oder Zuhälter sein, hat im Neiche dasselbe Wahlreht wie der höchste Beamte des Neiches. Das ist so demokratisch, daß man damit zufrieden sein sollte, aber dicses Wahlrecht soll nun auch auf Preußen ausgedehnt werden! Der MNeichstag hat ja andere wihtiae Aufgaben, die Sozialpolitik, Militär und Marine, und hat nicht die Zeit wie der Landtag, die Wünsche des Mittelstandes zu bearbeiten. Aber in den leßten Jahren sind die Leistungen des Reichstags doch derartig gering gewesen, daß der Mittelstand von der jeßigen Mehrheit des Reichstags nihts zu er- hoffen hat. Das ist eine bittere Kritik dafür, wenn der Abg. Loh- mann sagt, das preußishe Wahlreht müsse geändert werden, um dem Mittelstand größere Bedeutung zu geben. Im Reichstag kann man die besten Mittelstandsanträge stellen, sie fallen \{lankweg durch, dex Mittelstand kann da niht hochkommen. Nur bei unserem jebiget preußischen Wahlreht kommt der Mittelstand zu seinem Recht.

(S{hluß in der Zweiten Beilage.)

er Bericht des Ministers aus.

2011/5# c j l, daß Sie

(

monstrationen in Posen wird ja Lt verbreiten. N nihts zurücknehmen, und kann nur wiéderholen, daß die Exzesse off nit nur in geschlossenen Räumen zugetragen haben, fondern auf e Straße am Mikiewicz-Denkmal und sogar tn einer Pfarr- nie 2 S dem Plan und dem Verbot des Geistlichen pol-

erdotene Liedèr an E l : 2% worden sind, Stellé von Kircenliedern -angestimmt

den Gesang verbotener aufreizender Lieder überslimmt worden ist.

ihnen die Ohren beshneiden“ usw. empfangen worden ist, ist, glaube

zum Deutschen Reichsanzeiger und K

V2 O.

Zweite Beilage

Berlin, Dienstag, den 4. Februar

öniglih Preußischen Staatsanzeiger.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Die agrarifche Bevölkerung, die Konservativen, die Freifkonservativen, das Zentrum und auch ein ‘Teil der Nationalliberalen sind von ‘jeher mittelstandsfreundlich gewejen und haben dessen Forderunaen unter- übt. as [inden Sie nur beim Dreiklässenwahlrecht. Der Ee r Nod 7 j »DFF í ; f Veinister des Innern hat mit trefflichen Worten gejagt, daß. das Wählen mcht Selbstzweck sei, sondern was man mit dem Wahltecht Éo » »fT p, E “er 2 bezwede, und daß man desen Wirkungen beachten müsse. Wirkung Eu Herartig wie in keinem anderen Staat einschließlich England; efsere Sinanzen, bessere Schulen, bessere rbnung als wir hat fein anderer Staat. Wenn Die es-mit dem Mittelstand ehrlich halten Sie das preußische Wahlrecht gufrecht

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Abg. Dr. Se y da (Pole): Ich habe schon im vorigen Jahre auf die Benachteiligung der Einwohner der Gutsbezirke in verschiedener Hinsicht, namentlih in bezug auf die Verteilung der Lasten, hin- gewtie}en; der Unterstaatssekretär- erwiderte darauf, daß die Leistungen in den Gutsbezirken ebenso gut seien wie in den Landgemeinden. Aber er vergißt, daß bei der Verteilung der Lasten die Güutsherrschaft immer 1m. Sorteil is, Jch bitte wiederholt deù Minister, eine itistil über die Lästen in den Gutsbezirken vorzulegen. Gin Arzt wollte ih in Westpreußen um die Stelle eines Kreisarztes- bewerben ein anderer Kreisarzt s{chrieb ihm aber, daß er Jude zu sein cheine und daß nur evangelis-christlihe Aerzte Aussicht auf Anstellung balten. Alle Angaben, die wir tim Reichstage über die Wahl: sallungen dei der Wahl des Abg. von Halem gemacht haben haben id Inzwischen ‘als. wahr erwiesen, und der Reichskanzler hat sich clbst veranlaßt gejehen, den Wahlkomnissar auf’ das Irrige seines oersabrens aufmertsam zu machen: der Neichstag hat beschlossen den neichsfanzler zu erquchen, dem Wahlkommissar eine Nuüge zu elen, Me Wahlvorstände sind angewiesen worden, nur“ von ‘den Polen eme Zahllegitimation zu verlangen, und Hunderte von polni- [chen ¿Wählern 1nd bet der Wahl zurückgewiesen worden weil s leine polizeiliche Anmeldung vorlegen founten. Der deutsche Wah aus] u} hat die Arbeitgeber dazu aufgefordert, durch: allerhand Mitte

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sr die Veschäftigung der Arbeiter in weiter Entférnung, die polni- \hen Arbeiter von der Wahl abzuhalten. Auf diese Weise ist es glich geworden, daz das Wahlresultat in Schweß zum zweiten tale gefälscht wurde. ch frage den Minister, ob ein Wahlkommissar ver In Schweß noch eines Staatsamtes würdig sei. Ungeseßlich

i auch, wenn Anmeldungen in ‘polnischer Spräche auf den Ftandesamtern in Posen ntt angenommen werden. ie Forde iung, daz die Firmenscilder niht in bþolniscer Sprache abgefaßt verden 2 ürfen, muß ich zurUckweisen. Das’ Vereins- und Versamm- j srecht wird namentlich in Dstpreußen gebeugt. Jch bitte den iter, dag alle Fâlle, die in dieser Beziehung vorgefomtmen find, prüft und die betreffenden Beamten, die daran. \{uld sind, R 2 r owidrigfeit ihrer Handlungsweise hingewiesen werden. MoNene Mgliedervérsammlungen- werden “von der Polizei-

Pra E. H TCRICE A o Cut A \ ' n «Clpaitung tnhibiert. Den landwirtschaftlichen Vereinen wird mccht in La nie da n Î

allet, -in- polnischer Sprache untereinander zu verhandeln. Die “Vnenzbvereine bat die „Polizetverwaltung zu politischen gestempelt

nut der Bearünd11 daß ‘jeder. voli Novst +1 s Z4IL Dad „Begründung, daß ‘eder. polnische Verein politis{ t. e ers Nark geht die Polizeibehörde gegen die Lotalvereine der polni-

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ih, von Herrn Seyda auch nit in Abrede gestellt, beamten vielleicht dann auch ihrerseits entsprehende jenigen gegenüber, die sie mit diesen Titeln

Ausdrücke bedacht

als sie gefallen sind, das ergibt

wo ih von einem Gütern gesprochen haben soll. Jch habe das Stenogramm hier. „In dem vorliegenden Falle aber“, so habe ih gefagt,

daß vier kleinere Güter aus Anlaß eines Besitzwesels

zu Besiedlungszwecken in Anspruch genommen worden D A

werden mir zugeben,

find, um nicht etwaige Empfindungen der Pietät usw. zu verletzen. einem „Tleineren Besißwechsel“ im Wege der Gnteignung habe ih kein Wort gefagt. Aber ih meine, das ist so ret kennzeihnend für die Art und Weife, wie die Polemik auf polnischer Seite geführt wird. (Sehr richtig ! rets.)

Was nun die Wahl im- Kreise Schwetz anbetrifft, so hat det Herr Vorredner, der Abg. Dr. -Seyda, gesagt, es wären bet den leßten Wahlen folhe Unregelmäßtgkeiter passiert, daß der Herr Neichskanzler sich veranlaßt gesehen hôtte, den Wahlkommissar zu rektifizieren. Das ist insofern nicht ritig, als nicht der Herr MReichs- kanzler, sondern ih bereits im Februar vorigen Jahres den Wahl- kommisfsar reftifiziert und ihn darauf aufmerksam gemacht habe, daß er niht berechtigt gewesen wäre, die zwei Stimmen zu streichen, die zu der Ungültigkeitserklärung Anlaß gegeben haben. Daß also dtes- seits solche Ünregelmäßigkeiten, wo sie passiert sind, nidht gerügt worden seien, ist unrihtig. Es sind aber im vorigen Jahre daraus, daß was zweifellos wohl der Fall war eine Reihe von Un- regelmäßigkeiten bei der Schweßer Wahl vorgekommen war, gegen den Landrat von Halem felbst Beschuldigungen erhoben worden, als ob er selbst diese Ünregelmäßigkeiten veranlaßt hätte oder von ihnen Kenntnis gehabt habe.

/ Die Ermittlungen haben nit ergeben, daß er taran beteiligt war, (Zuruf bei den Polen) Ja, Sie vermuten das, Sie haben aber auch niht den Schatten eines Beweises dafür erbracht, daß das der

[en Berufsvereine vor; ohne den. geringsten Anhalt wird gegen die „*orllandsmitglieder ein Strafverfahren eingeleitet. Die Behaup- heft “due degad daß der polnische Voykott gegen deutshe Ge f AUEI O L Ss 1848 herrühre, ift unrihig; gerade damals R E olen Schulter an Schulter mit den loyalen Deutschen v ven die evolution. Der Boykott wird. erst aufgehoben werden wenn die Grunde, die dazu geführt haben, beseitigt. sind. Das An- lasten der fundamentalen Grundsäße der Gerechtigkeit und Sitte durch 2as Gntetgnungsgeseß nennt der Minister einen kleinen Besißwe{sel, 9 n olz darauf, daß ih ein anderes Nechtöbewußtsein habe wie eer mster. Die Polenpolitik, besonders die Enteignung, ist aufs [char}]te zu verurteilen. Wenn wir qus diesem Grunde- jetzt Boykott treiben, fo hat daran nur die preußische egierung f{chuld. Wir be dauern die Notwendigkeit der Boykottbewegung, sie ift aber für uns elne zwtngende Notwendigkeit geworden. Ein hoher Negierunas- r hat in tner Verjammlung, die er im Dezentber 1912 ab t, behauptet, daß der Beichtstuhl dazu dient, Frauen und Männer ce zu assen, nur bei Polen zu faufen. “Der Land“«at wurde _„Polmschen Zeitung offentlich aufgefordert, den Beweis für ponttib aufgestellte Behauptung zu fübren, aber er hat es nicht can. olche Vorgänge müssen die Grbitterung in der Bevyölk ung fleigern. Die Regierung ist uns den Beweis für ihre Behaup ung schuldig geblteben, wonach die Polen staatsfeindliche Umtriebe 1c zu schulden kommen lassen. Bezüglich der polnischen Feier am “-. wanuar in Posen hat der Minister hier einen Bericht- verlefen m win allerdings mißtrauisch gegenüberstehen. werden uns „Net nicht nehmen lassen, wichtige Vorgänge unserer Geschichte „cler, JFch_ muß herborheben, daß es fh um einen ge\{lofsenen ¿eis von Personen handelte, die den Veranstaltern personlich be- ant waren. Wenn die Polizei dort eingeschritten ist, so hat fe Nor nelnem Vasürhalten eine grobe Verleßung des Vereins- und crtammlungsrehtes begangen. Nichtig ist, daß verbotene Lieder „gen wurden. Warum wollen Sie, daß wir solche Lieder aufgeben L vel deren RKlange die polnischen Regimenter Jhnen die Eiu- 17 des Veutschen Reiches erkämpfen halfen? Solche Lieder werden il nen felbst in Konzerten und von Militärkapellen gespielt. Uebri- ens Uk es mckcht strafbar, wenn verbotene Liedet in geschlossenen Ver- sammlungen gelungen werden. Wir vermissen in dem - Bericht des L nisters Angaben uber die Leistungen der beteiligten Polizeibeamten. s 3, B. eine Stauung des Verkehrs eintrat und die Straßenbahn 7 welterfahren fonnte, rief. ein Polizeikommissar dem Schaffner ommer weiter fahren! Die Polizei ging- in einer Weise vor © das Leben und die Gesundheit der Bevölkeruna zu schonen, daß Grregung begreiflih ist. Üeber alle diese Vorgänge \{chweigt sich “erit. U ( Wir sind“ nit im Zweifel, daß A En den Þpolniscben Landesteilen berrs{ende starke Erregung v orgerufen baben dur den sogenannten „Ttleinen Besißwechsel“ n dem der Minister fo euphemistish gesprochen bat. Wir werden Fi PNTeT Vandlungsweise immer die Konsequenzen zieben und weiter vrtichreiten auf dem Wege des Geseßes und Rechtes. Wir sind über- A j fruber ‘oder später selbst zugeben müssen, daß Sie ewaltmaßrègeln gegen uns begängen haben.

E. Lr

Mt 5 Minister des Jnnern Dr. vo n Dallwißt: Meine Herren! Ueber die Vorgänge bei den polnischen De-

die Untersuhung das nôötige Ih kann von den Angaben, die ih gestern gemacht

wo die von dem Organisten intonierte Melodie dur

Daß die Polizei mit den Bezeichnungen „Hundeblut", „man soll

Fall gewesen fet.

Was nun speziell die beiden Sachen betrifft, - die der Herr Vor- redner erwähnt hat, so hat -er ja selbst “behauptet, daß - das eine Schreiben von einem „Deutschen Wahlaus\{chuß;" stammt, und zwar ein vertraulihes Schreiben dieses Ausschusses, in dem Natschläge ge- geben worden find darüber, wie polnische Wähler von der Ausübung des Wahlrechts zurückgehalten werden könnten. Dieses Schreiben ist tatsächlich verfandt worden. Von wem es ausgegangen ist, hat fi nicht feststellen lassen: es ift fogar von offiziellen Persönlichkeiten des ¿Deutschen Wahlaus\{chu}ses* in der Presse erklärt worden, daß sie mit dem Schreiben nihts zu tun haben. Ich gebe zu, däß dieses Schreiben ein an ih durchaus tadelnswertes Wahlmanöver darstellt, es ist aber ebenso tadelnswert, es ohne irgend welche Beweisgründe jemand direkt in die Schuhe zu schieben, der nihts damit zu tun ge- habt hat. Ferner ist ein Schreiben versandt, welches unterschrieben il „der Gutsvorsteher“ ohne irgendwelhe Namen. In diesem Schreiben wird deutschen Wählern, die seit der Neichstagswahl vom Januar 1912 aus dem Wahlkreis verzogen sind, der Weg gewiesen, wie fie durch vorübergehende Nückehr. in den Wahlkreis und dur Anmeldung bei den Ortsbehörden ihre auf der alten Wählerliste be- ruhende formelle Wahlberechtigung auch bet der neuen Wahl aus- nußen können. Wenn folch ein Schreiben von einzelnen Ortsbehörden versandt sein follte, so fam das in teiner Weise gebilligt werden, da ‘ein fh lediglich -auf eine vorübergehende Nück- kehr in den Wahlkreis tüßendes Wahlrecht zwar formell auf Grund der Gültigkeit der alten Liste, aber nicht materiell besteht. Der Landrat ist au hierbei nit beteiligt; der Landrat bat ledigli in bezug auf die Wäbhlerlisten und auf die Legitimationsführung eine Verfügung erlaffen, durch welche die Wahlvorsteher darauf hingewiesen worden sind, daß die alte Wäkhslerlistè zwar für die Wahlberechtigung maßgebend sei, daß aber Wäbler, die auf Grund der Liste wählen wollen, die aber inzwischen eine materielle Voraussetzung für das Wahlrecht, z. B. den Wohnsitz im Wahlkreise verloren haben, auf diese Mängel und die etwaigen strafredtlißen Folgen unbeschadet ihrer Zulassung zur Wahl hin- zuweisen sind. Das ist die einzige landrätliche Berfügung, die er- gangen ‘ist, und diese ist durhaus zutreffend. Im übrigen werden ja die GErmittlungen, die vom Neichstage über die Gültigkeit der Wahl angestellt werden, das Weitere ergeben. Ich glaube, daß es keinen reten Zweck hat, die Sache hier weiter zur Sprache zu bringen. (Abg. Dr. Seyda: Inzwischen hat Herr von Halem daë Mandat !)

Herr Abg. Dr. Seyda ist darauf zu sprechen gekommen, daß in Oberschlesien aroße Gutsbezirke bestehen, und bat den Wunsch ausgesprochen, daß diese in die statistisckÆen Gemeindeerhebungen ein- bezogen werden möchten. Dieser Versuch ist im vorigen Jahre gemacht worden; es ist angeordnet worden, die Finanzkommunal- statistik auf diese Gutsbezirke auszudehnen. Das hat sich aber als undurchführbar herausgestellt, weil es niht mögli. war, die privat- rechtlichen von den öffentlih-rehtlihen Leistungen der Gutsbesiger zu trennen, namentli in bezug auf Schullasten, Armenlasten usw. Der Versuch ist also ledigli ‘an der praktischen Undurchführbarkeit ge- scheitert. Wenn aber Herr Abg. Dr. Sevyda der Ansicht war, daß die Gutsinfassen steuerlich benacteiligt würden, fo stimmt das nicht; denn sie haben keine Kommunalsteuern zu zahlen, wie sie in den Ge-

Daß die Polizet-

den- haben, gebrauckcht haben löônnen, das dürfte an sich nit allzu wunderbar sein. Wie aber Herr Abg. Seyda es versteht, Aeußerungen anders zu deuten, sih aus dem von ihm zitterten an- geblihen Auédruck, den ih bei der ersten Lesung gebraucht haben soll, „kleinen Besißwechsel“ durch Enteignung von vier

ist es auch nicht rihtig, daß der Boykott dadur hervorgerufen sei, ß V : ] fie waren nämli vorher verkauft worden feitens der Ansiedlungskommission

Meine Herren, ich glaube, alle, die deuts sprechen und verstehen, i daß das ganz etwas anderes ist (sehr richtig! rechts), daß. ih ledigli gesagt habe, daß kleinere Güter, die vorher verkauft worden waren, zu Zwecken der Enteignung ausgesuht worden und zwar aus Nücksichtnahme auf länger angesessene Besitzer, Von

auf ftatutaris&em Wege herangezogen. Diese find aber erheblich geringer, als sie im Falle der Umgestaltung der Gutsbezirke zu Ge- meinden sein würden. Jm übrigen sind gerade diese großen in- duftriellen Gutsbezirke sehr leistungéfähig, die Gutsbesigzer lnd größtenteils leistungsfähige Aktiengesellschaften, fodaß gerade auf finanziellem Gebiete in diesen Bezirken zu Ausstellungen kein Anlaß gegeben ist.

i Wenn der Herr Abgeordnete Dr. Sevda fih darüber beschwert aefühlt hat, daß ein Professor tn Bonn, ein bekannter Arzt, bei einem an Granu lofe erfranften Zuwanderer aus tem Osten gesagt hat, daß er die Krankheit wohl aus feiner durchseuchten Heimat mit- gebraht haben mag, so glaube ih, ist dieser Aus\pruch vorausfichtlich zutreffend; denn es ist eine bekannte Tatsache, daß in Ostpreußen und in einzelnen Gegenden Westpreußens die Granulose endemisch ist, \o- daß wir alljährlih recht bedeutende Summen in den Etat einstellen, um diese Granuloseherde zu beseitigen. Daß damit irgendeine An- spielung auf die Nationalität oder die polnische Gegend hat gemadt werden sollen, ist dôch wirklich eine Vermutung, die meines Dafür- haltens jedes Anhaltes entbehrt. (Abg. Dr. Seyda: Der Mann war auch nicht aus Westpreußen!)

Dann ist der Herr Abgeordnete Dr. Seyda dagegen -vorstellig geworden, daß Standesbeamte in Oberschlesien von den zwecks Eintragung bei thnen erschetnenden Personen verlangt haben, daß sie der deutschen Sprache sih bedienen möchten. Ja, meine Herren, der Standesbeamte ist nicht in der Lage, dauernd einen Dolmetscher in seinem Bureau zu haben, und um so wentger kann das in Oberschlesien verlangt werden, als gerade der Stand ber Schulen in Oberschlesien eine vollkommene Gewähr dafür bietet, daß die polnisch s\prehende Jugend in Vberschlesien genügend deutsche Kenntnisse sih erwirbt, um die Anmeldung bei den Standesämtern in deutscher Sprache zu bewirken.

Dann hat Herr Abg. Or. Seyda von einem angeblich verfeblten Erlaß des Regierungspräsidenten in Marienwerder gesprochen, in dem darauf hingewiesen sein soll, daß die Versammlungen polnischer Bolksvereine als öffentlihe Verfammlungen anzusehen seien, weil die Mitglieder dieser Vereine keinen in fih abgeschlossenen Personenkreis bilden. Das ist ein altbekannter Grundfay, der immer anerkannt worden ist, au in einer Entscheidung, die der Herr Abg. Dr. Seyda felbst vorgetragen hat. Es ist mir niht ganz klar geworden, inwte- weit der Erlaß des Regierungspräsidenten verfehlt sein soll, da die vorgetragene Sache mir nit bekannt ist, und ih daher nicht ganz in der Lage bin, beurteilen zu können, inwteweit die von Herrn Dr. Seyda in dieser Beziehung vorgebra ten Beschwerden einen tatsächlichen Untergrund haben oder nit.

Herr Abg. Dr. Seyda hat si dann dagegen gewendet, daß tch bet der ersten Lesung des Etats erwähnt habe, ‘daß bereits im Jahre 1848 si die ersten Anfänge des polnischen Boykotts gezeigt haben, und zwar insofern, als das polnische Kolo, welches damals in Berlin tagte, einen Plan zu ciner polnischen Liga nah dem Muster der irländischen Bewegung entworfen hatte, in dem zum ersten Male die Forderung aufgestellt worden war, daß der Pole nur beim Landsmann faufen folle Dieses Kolo oder Komitee war auch noch nach Unterdrückuvg der polnischen Aufstandsbewegung in Berlin versammelt. Herrn Abg. Seyda kann ich mitteilen, daß speziell diese Notiz aus dem Buch von Hans Schmidt „Die polnishe Revolution von 1848 im Groß- herzogtum Posen“, erschienen in Weimar 1912, entnommen ift. Der Autor, ein Deutschrufsse, ist an fich abfolut kein Freund der Enteignung, im Gegenteil, sodaß nach dieser Nichtung hin die Authentizität seiner Angaben wohl einem besonderen Ver- daht nicht ausgeseßt ist. Ih verweise thn aber noch auf N. Hepke, „Die polnische Liga und der polnische Bund“, Posen 1848 erschienen, auf von Noeder, „Die polnische Frage“, Ostrowo 1849, und andere Werke mehr. Jedenfalls, glaube ih, wird er, wenn er ih die Mühe gibt, der Sache nachzugehen, einiges Matertal finden, und wenn er alte Zeitungen \studieren will, fo kann ich ihn auf den «Wielkopolanin“ aus dem Jahre 1849 hinweisen, dann auf den „Przyjaziel ludu“ aus den sechziger Jahren usw. (Heiterkeit). —— Meine Herren, ich bin der poluishen Sprache nicht mädtig. Es lommen dann noch tin Betracht der „Görniec* in Posen 1882 und andere polnische Zeitungen, vor allen aus den Jahrgängen 1893, 1895, [900 und 1904. Ich könnte eine ganze Reihe davon anführen. Wenn Herr Abg. Dr. Seyda nähere Auskunft wünscht, bin ih gern bereit, ihm die cinzelnen Zeitungen zu nennen, die in allen diefen Jahren wiederholt zum Boykott aufgefordert haben.

Bei seinen Ausführungen über die Enteignting wie ich gesagt habe, handelt es fich um die Enteignung von vier kleineren Gütern : ich habe nicht von cinem „leinen Besißwechsel“ gesprochen, ih wiederhole das übersieht jedenfalls Herr Abg. Seyda, daß dte Inanspruch- nahme diefer vier kleineren Güter lFediglih eine Konsequenz einer bereits im Jahre 1908 dur die Verabschiedung des Gnteignungsgeseßes vom 20. März 1908 prinzipiell getroffenen Entscheidung ist. Es wäre ja allenfalls verständlich gewesen, wenn die Erregung, die \ih jetzt: breit macht, damals Plaß gegriffen hätte. Wie wenig berechtigt aber heut- zutage diese Erregung ist, ergibt sich {hon aus der Tatsache, daß die Königliche Staatsregierung durch. die polnischerseits auh nach 1908 weiter verfolgte Taktik, jeden Verkauf eines Stücks Landes an einen Deutschen als eine verräteris{e, verwerflihe und gemeine Handlungs- weife zu brandmarken, geradezu dazu gezwungen worden ift, daß ibr gar kein anderer Weg gelassen worden ist, als von den Kampfmitteln Gebrauch zu machen, welche das Gesetz derartigen Treibereten gegen- über ausdrücklîch der Regierung in die Hand gegeben hat. Lassen Sie von diesem Boykott ab, dann wird auch die Notwendigkeit der Ent- eignung von selbst entfallen. (Sehr richtig ! rets. Abg. Korfanty : Das glaubt Jhnen do kein Mensch!)

Wenn ih nun die Ansiedlungskommission auf die Ent- eignung von 4 Gütern beschränkt hat, wenn sie ferner bei der Aus- wahl sich an folhe Güter gehalten hat, bet denen erst vor verhältnismäßig

meinden gezahlt werden; fie werden lediglih zu gewissen Leistungen

kurzer Zeit ein Besizwethsel stattgefunden hatte, zur Schonung etwaiger