1913 / 45 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 20 Feb 1913 18:00:01 GMT) scan diff

D :

E stark diskutiert worden ist. Man könnte ja die zielbewußten ge uiten fern halten und die nit zielbewußten hereinlassen. Am V Wuni 1912 machte im bayerischen Landtag der Staatsminister bon Soden diesen Vorschlag. Ér ist allerdings niht gemacht worden für die Jesuiten, sondern für die Sozialdemokratis. Man könnte aber ‘iese Grfindung des Ministers von Sodsn zuerst oinma] boi den Jesuiten Fn srproden. Das Henirum stolli 6s 18 dar, als ob os in dex Sogialdemokratie einen jesuitenfeindlichen Flügel gebe. Man spricht von einer Kölner Richtung bei uns. Ich habe allerdings nur immer bon ‘einer Berliner Richtung gehört, «Das Zentrum kann doch aber

uicht verlangen, daß es bei jeder Partei so wie bei ihm zugehe. Wir Sozialdemokraten \sttimmen Mann für Mann gegen das Jesuitengeseß. Das Zentrum wird es nie erleben, daß wir für ein Ausnahmegeseß zu haben find. Wir fürchten die Jesuiten nicht, auh wenn das Zentrum

_

M «ls Retter des Staates und der Gesellschaft anpreist. Die Jesuiten

llen imstande sein, die Sozialdemokratie zu vernichten. Das ist die chwerste Jesuitenmission, die sih denken läßt. Dieses Anpreisen der Jesuiten zeigt die ganze Hilflosigkeit und Verständnislosigkeit des Zentrums gegenüber der sozralisti]Wen Bewegung. Wer eine so große Bewegung durch Religion lahmlegen zu können glaubt, der kennt ihre ZSriebkräfte niht, So lange unser Vaterland mit Hilfe des Zentrums auf dem Boden der beutigen Gesellschaft steht, so lange hält man den Vormarsch der Sozialdemokratie niht auf. Es gibt allerdings ein Vilfsmittel gegen die drohende plöbßliche soziale Mevolution, das ist eine großzügige Sozialreform. Das erkannte selbst die „Kreuzzeitung ; die die Sozialdemokratie das Problem aller Politik nannte. Deshalb nuß die Macht erst noch geboren werden, die die Sozialdemokratie brechen kann,

Abg. Dr. Jun ck (nkl.): Die eben gehörte Rede ist nicht zu unterschäßen,- ganz besonders nicht wegen dieser Behandlung des Zen- trums mit Zuerbrot und Peitshe. Wenn sie aber nit gehalten werden wäre, dann würde doch der Antrag des Zentrums in diesem Hause in zweiter Lesung eine sehr erhebliche Mehrheit gefunden haben. Diese (Frscheinung 1st fc uns wichtiger als die Jesuitenfrage selbst, fe zeigt, daß zwei sich sonst diametral gegenüberstebende Parteien Jeder- zeit und mühelos eine Mehrheit bilden können, wo es negative Politik gu treiben gilt. Das Zentrum wollte sein ferneres Verhalten „ent- jprechend der Stellungnahme des- Reichskanzlers in der Jesuitenfrage einrichten. . Das haben ja auch {on Abstimmungen der leßten Tage gezeigt. : Man merkt die Absicht, und man wird verstimmt. Die ganze polttische Situation ist so markant und interessant, daß zu bedauern Ust, daß sih- weder der Reichskanzler noch ein Stellvertreter an der Beratung beteiligt. Vielleicht bolt man dies bei der zweiten Lesung nach, nit als ob wir der. Unterstüßung der Reichsregierung bedürfen. Hier bätte man doch die sonst übliche Zurückhaltung gegenüber Ini- tiativanträgen beiseite lassen können, ‘um so mehr, als das Schicksal dieses Geseßes ja nit in Frage steht. Wir haben so viel Verhand- lungen in früheren Jahren darüber {hon gehabt, daß man einfach die Stenogramme der gehaltenen Reden verlesen könnte. Eine neue Nuance war der Versuch des Freiherrn von Hertling, ein Reichsgeseß durch eine besondere Auslegung frish und munter aus der Welt zu schaffen. Der Versuch ift - gescheitert. Man stellt es als loyal hin, daß der Grlaß zurückgezogen worden ist, das war aber nah dem Spruch des Bundesrates einfahe Gehorsamspfliht. Cine weiter Nuance war die Erklärung des Grafen Prashma im Abgeordneten- hause, daß die Moral der Jesuiten die der Katholiken ist. Diesen Ausspruch hat ja heute der Âbg. Dr. Spahn ergänzt. Neu war dann ne Bemerkung, daß über dem geltenden Geseß die Gerechtigkeit tehe. Die Auffassung des modernen Staates geht aber .doh dahin, daß einem Gesetze, so lange es besteht, Achtung zu schulden ist. Es ist immerhin interessant, daß dieses Bekenntnis zu dem Naturrecht, das uber dem des Staates steht, hier abgegeben worden ist. Jm übrigen glaube i, im Ginverständnis mit meinen politischen Freunden mich auf eine ganz furze Darlegung bescränken zu müssen. Wir haben feine Veranlassung, uns daran zu beteiligen, die Temperatur der Volks- feele durch Wiederholungen zu erhißen, wie Sie (zum Zentrum) es tun. Das beantragte Gesetz is für uns unannehmbar. Gewiß sind die heutigen Jesuiten andere wie die früheren, obwohl an dem Saße „Sint-ut gunt, aut non sint“ nichts geandert worden ift, aber die Stellung“ des katholischen Volkes zu ihnen ist eine andere geworden. Wir überlassen die Bekämpfung der Moral der Jesuiten den Stimmen, wie sie _sih früher aus dem katholischen Lager selbst erhoben haben. Diese Stimmen sind jeßt verstummt oder, besser gesagt, zum Schwei- en gebracht. Das protestantische deutsckche Volk hat niht Furcht vor en. Jesuiten, ein solcher Ausdruck ist ein vergifteter Pfeil; aber es besteht. die Befürchtung, daß der konfessionelle Frieden leiden wird, wenn die Jesuiten- zurückberufen werden. Der Orden der Gesellschaft Jesu gilt für uns als der Anwalt jener Bestrebungen der romischen Kurie, die dabingehen, dic Kirche über die Geseße des Staats zu stellen, eines Anspruches, der immer wieder angemeldet wird. Auf Einzel- heiten - gehe ih nit ein. Die Aussprüche des Papstes über den Meodernisteneid, über die christlichen Gewerkschaften usw. haben diesen Anspruch beute wieder angemeldet, und zu unserem großen Bedauern ist -von dieser Stelle aus (Bundesratstish) Ihnen die gebührende Ant- wort nicht zuteil geworden. Eine Stunde wie die gegenwärtige zu benußen, um diejenigen zurückzurufen, die als das Garderegiment der Kurie bezeichnet worden sind, ist für uns vollkommen ausgeschlossen. Das bringe ih mit aller Entschiedenheit zum Ausdruck. Wird der Fm banirag angenommen, so wünschen“ wir, daß der Bundesrat ald mit einem deutlichen Ja oder Netn antwortet; wir halten nicht für wünschen#wert, daß der Antrag jahrelang wie 1899 in der Schwebe gebalten und dann eine neue Offerte des Reichstages angenommen wird, wie damals die Aufbebung des § 2. Ich spreche auch den Lunsch aus, daß die Erledigung der großen nationalen Aufgabe, der Stärkung unserer Wehrkraft nicht leiden möge unter den Jesuiten.

Abg. Graf Kan itz (dkonf.): Ich habe namens meiner Fraktion folgende Erklärung abzugeben: Bei unserer Stellungnahme zum Jesuitengesez wissen wir uns vollkommen fret von kulturkämpferis{en Bestrebungen. Wir können ‘nur wiederholen, es liegt uns jede Un- freundlihkeit gegen die fkatholishe Konfession fern. Wir sind der Meinung, daß die auf dem Boden des Bekenntnisses stehenden Teile des evangelischen und des fatholishen Volkes dur nahe Berührungs- punkte miteinander verbunden sind, weil beide eine gemeinsame Front- stellung - gegen den Unglauben haben. Wir find niht gewillt, evangelische Interessen pre:szugeben. Gerade weil wir den konfessio- nellen Frieden wollen, müssen wir auf dle Ueberzeugungen Nücksicht nehmen, die in ‘unserer evangelishen Bevölkerung auf Grund der ge- \chihtlichen Entwicklung tief eingewurzelt find. Solange diesen Be- forgnifsen niht genügend Rehnung getragen ist, werten wir einem Untrag wie dem vorliegenden, -der die Aufhebung des Jesuitengesezes verlangt, niht zustimmen.

Abg. Dr. Müller - Meiningen (fortschr. Volksp): Die Fraktion der fortsrittlicen Volkspartei erkennt an, daß der Wort- aut tes § 1 des Gesetzes vom 4. Juli 1872 der erwünschten Klar- beit entbehrt, und daß diese Unklarheit auch durch die Auslegung des Bundesra1s nicht beseitigt worden ist. Ein kleiner Teil meiner politishen Freunde wird für die Aufhebung des § 1 stimmen, vor allem deshalb, weil er ihn als ein Ausnahmegesetz betrachtet und die Anschauung vertritt, daß die Aufrehterhaltung bei der jeßigen Aus- legung ohne praftishe Bedeutung sei. Die große Mehrheit lehnt dagegen die Aufkbebung des § 1 des Gesetzes ab. Der Charakter des Geseges als Ausnahmegeseg wird verneint in der Erwägung, daß dite Regelung der geseßlichen Beziehungen zwishen Staat und Kirche auch fonst zu individualisierender Bebandlung zwingt. Die überwiegende Mehrheit der Fraftion befürchtet von der Aufhebung des Gesetzes eine Störung des konfessionellen Friedèns und sicht sich in dieser Auffassung beitäikt dur die zahlreidten Versuche in leßter Zeit, die Grenze zwischen der staatlichen und kirchlichen Autorität zu- únstén der letzteren zu verschieben. Sie betrahtet den Orden der

esellshaft Jesu nach seiner Saßung, nah seiner Entwicklung und nah seiner fast 400 jährigen Tätigkeit als eine Organisation zur Be- fämyfung Andersgläubiger, fie“ besorgt von der ihm vorge- schriebenen Tätigkeit auf dem Gebiete des Unterrichts und der Snziehung eie schwere Schädigung nnseceer Jugend und er- blift in dem von der Ordenbsagung geforderten unbedingten

E F L

Gehorsam gegen die Oberen eine {were Gefahr für den Staat. Sie verschließt si der Einsicht nicht, daß die Aufhebung des Gesetzes dem Orden durch die Gewährung des Schußes des § 166 des Neichs- strafge!ezbuchs eine privilegierte und bei jeinen Prinzipien besonders betentikhe tellung veileihen würde; fie befürchiet endli, daß die durch die Aufhebung des Neichsge]eyes bedingte Verpflanzung d:68 Kampfes in die Einzelstaaten nicht zu einer E IRARS: fondern zu einer Verschärfung führen würde; denn tarüber be1ieht bei der fort- shrittlihen Volkspartei volle Uebereinstimmung, daß au nach einer etwaigen Aufhebung des Gesetzes die Zuständigkeit der Eizzelstaaten zur Regelung des Verhältniss zum Ocden der G-csellschaft Jesu aufrecht erhaiten bleibt. Wir haben etnen die Feststellung dieses Rechtszustandes bezweckenden Antrag eingebraht, um jeden Zweifel auszuschließen, um dessen Annahme wir das ganze Haus bitten.

Abg. Graf M orawski-Dzierzykraj (Pole) nimmt unter großer andauernder Unrubße des Hauses, die der Vizepräsident Paasche wiederholt zu dämpfen versuht, das Wort: Es handelt nh hier um eine allgemeine Prinzipienfrage. Die Jesuiten können auf die Verfolgungen, denen sie auegeseßt sind, stolz fein. Das un- glaublihste Zeug wird in Artikeln und Broschüren über sie verbreitet. Unbegreiflih ift insbesondere die Haltung der Liberalen zu dem Ge- seß von 1872. Die Polenfraktion verwirft alle Ausnahmegeseßze und stimmt daher auch fär den beutigen Antrag. :

Abg. Mertin (Rp.): Ih möchte zunähst namens meiner Freunde unscrem Bedauern Ausdruck geben darüber, daß wir diese Debatte haben müssen, daß wir fie haben müssen gerade in einer Zeit, wo alle Parteien sih aufs engste zusammenschließen sollten. Ih erkläre für die Reichspartei, daß wir gegen den Antrag des Zentrums stimmen werden, Wir stehen auf dem Standpunkte, den Fürst Bismarck 1885 einnahm, also zu einer Zeit, wo er seinen Frieden mit dem Zentrum längst gemacht hatte; und dieser Standpunkt war: wir bekämpfen die Jesuiten niht wegen ihres Katholizismus, sondern wegen ihrer Internationalität. Was Bismarck damals gesagt hat, gilt für heute durchaus auch noh. Papst Leo XI1!. kat felbst an- erkannt, daß die katholische Kirche in keinem anderen Linde der Welt eine ‘fo gesiherte Stellung einnimmt wie in Deutschland. Die evangelische Bevölkerung will der katholishen Kirche diese Stellung durchaus erhalten. MPean hat das Jesuitengesey ein Ausnahme- geseß genannt. Tatsächlich ist es als ein Notgesetz, ein Not\tand8geseß erlassen worden. Cs gibt ja auch andere Ausnahmegeseße auf bürgerlihem Gebiet. Man bat gesagt, das Jesuitengeseß würde aus Angst vor den Jesuiten nit aufgehoben. Vas evangelische Bekenntnis ist so tief befestigt, daß es nah meiner Ueberzeugung durch irgendwelche Angriffe“ niht ers{hüttert werden kann. Man hat die Aufhebung des Jesuitengesetzes zur Bekämpfung umstürzlerisher, anaristischer und sozialistisher Bestrebungen ver- langt. Die Erfahrungen auf diesem Gebiete in Belgien sind nicht vielversprehend. Das Wesentliche ist aber, daß die Zurückberufung der Jesuiten au nach dec Meinung überzeugter Katholiken eine tiefe Störung des konfessionellen Friedens hervorrufen würde. Die Be- wegung gegen den Jesuttenorten ist niht von. protestantisher Seite künstlich erzeugt. Eine solhe Bewegung kann man verstärken und an- feuern, aber nicht fkünstlih schaffen. Die Ueberzeugung, daß der Jesuitenorden schädlich ist, ist da, die Ueberzeuguna, daß der Jesuitenorden etne Kampfesorganisation ist, diese Ueberzeugung ist in den verschiedensten Zeiten vorhanden gewesen, zum Beispiel in Bayern. Glauben Sie mir, wir wollen den Frirden. Wir reihen den katholis{en Mitbürgern unsere Hände weit entgegen. Wir wollen den Frieden haben, weil das Vaterland ihn auf das allernotwendigste braucht. Der geistreiche preußishe König Friedrich W'lhelm 1V. sagte einmal von den Meyerbeëershen „Hugenotten“ : Katholik:n und Protestanten \{lagen sich gegenseitig die Köpfe ein und der Jude macht die Musik dazu. Heute ist derjenige, der zu dieser gegenseitigen Bekämpfung die Musik macht, ein anderer, es ist die religionsfetndliche, vaterlandsfeindlihe Sozialdemokratic.

Abg. Graf D ppersdorff (b. k. F): Es ist wiederholt betont worden. es handele sich bet diesem Geseß nicht um einen Angriff gegen die katholische Kirche. Hierbei scheint mir jedoch d'e Logik nicht auf seiten der Gegner der I suiten zu sein. Dec Jesuit ist in erster Linie Priester und in zweiter Linie ers Ordensmann. Er gehö1t zu- erst der Kirche an, die ibm die Mittel und Wege zur Verfü, ung stellt, deéhalb darf er niemals den Boden verlas. n, den dic Kirche festgeseßt hat. Das festzustellen, ist wichtig, ganz besonders gegenüber dem legten Buudesratöbes{hluß. Wenn ein einzelner Jesuit Missionen abhbält, so muß man die P-rsönlichkeit des einzelnen und seine Tât gkeit unterscheiden. Der einzelne gehört natürl.ch dem Orden an. In seiner Tätigkeit untersteht er aber der Aufsicht des betreffenden Pfarrers, der es niht zulassen wird, daß der Jesuit 1h in seine Gemeinde cindrängt. Wenn der Jesuitenorden wirklich staatsfeindlihe Ziele verfolgte, dann würde ihn die katholische Kiuche einfah nicht dulden. Der Kanzler sprach vom evangelischen WVolksempfinden, das sich gegen die Tätigkeit der Jesuiten richte, und - führt es auf geschichtliße Tatsachea zurü. Gr meinte, au jet noch sickere die Erinnerung an jene Zeiten durch, wo fanatisher Haß unser Vaterland zeiriß. Aber man darf doch Leute von heute nit für die Taten der Leute von damals ver- antwortlih machen. Das \ch{eint aber immer mehr modern zu werden. Das kam auch bet den Polendebatten zum Ausdruck. Was würde man aber sagen, wenn man für die Tatsahe, daß, als Napoleon 1806 in Bertin etnzog, sieben preußishe Minister ibm buldigten, die jeßigen Minister verantwortlih machen wollte ? In Gngland und Holland kenyt man nichts von diesem Jesuitenkoller, und das find doch keine \{lechteren Protestanten als die Deutschen. Dazu kommt, daß die Jesuiten im Auslande von hervorragenden Deutschen ganz anders beurteilt werden. Nur nah Deutschland dürfen sie nicht kommen. Den § 2 hat man doch aufgehoben. Weshalb hat der jeßige Kanzler, der doch damals nicht ganz einfluß!os war, dies nit verhindert? Damals \träubte ich das evangelishe Emrfinden niht dagegen. Evangelische Kreise find allerdings stark gegen die Jesuiten eingenommen. Das kommt aber daher, weil alte geshicht- lie Lügen noch nachwirken, die längst abgetan und beiseite ge- schoben find. Der Jesuit ist deshalb für fic der Inbegriff alles Bösen. So ist jeßt im Reichstage ein Buch verteilt worden mit dem Titel: Jesuitenmoral. Es ist geradezu eine Sammlung von Un- gebeuerltikeiten und Unwahiheiten. Ich habe da cin anderes Buch auf den Tisch des Hau)es gelegt von Dr. Victor Naumann, das den Jesuiten gerecht wird. Das erste Büchlein is ein Beispiel, das zeigt, mit welcher Gehässigkeit Bücher ges{hrieben werden. Das evangelishe Volkêempfinden wollen wir auch unangetastet lassen. Dieses wird aber dur solche Vorgänge irregeführt. Jh wünsche, daß fih endlih das alte Bismarcksche Wort erfüllen möge, daß E Bolk nur den Herrgott fürchtet und sonst nichts auf der Welt.

Abg. Mumm (wirtsch. Vgg.): Dadurl, daß Deutschland neben einem Drittel katholisher zwei Drittel evangelisher Ein- wohner hat, besißt es eine Bevölkerungsmishung, die sich in teinem anderen Staate der Erde wiederfindet. Das legt dem deutschen Volke eine durhaus {were Aufgabe auf. Seit dem Dretßigjährigen Kricge bis zu den Freibeitskriegen sehen wir, wie schwer es den Deutschen war, sich zur nationalen Einheit durch- zuringen. Ernste Katholiken und ernste Evangelishe haben das ehr- lihe Verlangen, miteinander gut aus¡ukommen. Jh weiß, daß das Jesutitengeseß aus dem Kulturkampfe heraus geboren ist, und weiß auc, daß man es auf katholischer Seite chwer empfindet. Man kann des- halb den Wunsch nach Aufhebung verstehen. Wie man die Sache aber auch drehen und deuteln will, immer wird man finden, daß diese ganze Frage weiter - nihts ist als cin kleiner Ausschnitt aus dem groß. n Kapitel von dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Der fozialdemokratishe Redner sagte, unter dem Kreuze würden \ih Protestanten und Katholiken niemals zusamménfinden. JIch meiner- laue hoffe zu Gott, daß wir unter dem Kreuze zusammengehen werden.

Abg. Dr. Haegy (Elsasser): Aus den Reden der Vorredner flang- heraus, daß der Kultürkampf tot ist und nie wieder erwachen wird. Das Jesuitengeseß ist cin Ausnahmegese und gehört zu den

leßten Reffen des Kulturkampfes. Der Jcsuitenorden will nur scheidener Ast ag dem Baurn des katholi|chen Mön8wesens sein n bes Gegner dieses Ordens kennen ibn nicht. Die Zulassung der Sehugte in Preußen kann den preußiscen Staat lange nicht so crsüttee wie man es befürchtet. Man sagt, der Orden sei gegründet Word zur Bekämpfung der epangelishen Kirhe. Dies ist E richtig, Gewiß arbeitet er mit an der Selbstbchazptung L katholishen Kirche in Abwehr der Angriffe der Reformation, aber E tut dabei da-selre wie die fatholishe Kirche als folhe aud. Jn der geistlichen Wettbewerb hat sih der Staat nicht einzumishen. - O evangelische Bund ist 1587 ganz ausdrüdcklich zu dem Zweek gegründet worden, die durch den Abb-uch der Kulturkmpfgesexg- bung dur den Fürsten Bismarck inaugurierte Friedenspolitik zu bekämpfen. Blefs RNüctsicht auf Gefühle hat Fürst Bismarck niemals gelten lassen Wohin wären wir gekommen, wenn wir mit Rücksicht auf anti. semitijhe Getühle eine Entrehtung des israelitischen Volksteils vor, genommen hätten? Der Geist gegenseitiger Nachgiebigkeit muß ge- pflegt werden. Die religiöse Spaltung seit der Reformation ist gf bitter empfunden worden, diese Wunde ist durch den Kulturkamyf noch erweitert worden, und deshalb hat Bièmarck den Kultukampf abge. brochen, Es ist Zeit, daß wir den letztenNest des Kulturkampfes ausräumen müssen. Im Namen der El'ässer muß ih erklären, daß der Iesuiten- orten bei uns fegensreich gewirkt hat ; deshalb ist das Jesuitengeseg von uns aufs s{hmerzli{ste empfunden worden. A18 Inugenderzieher sind die Jesuiten im Elsaß tätig gewesen, wie in Schlesien unter Friedrich 11. Deshalb haben fih Klerus und Volk einmütig gegen die Vertreibung der Jesuiten erklärt. Das Iesuitengefetz widerspricht der Gerechtigkeit. Die Zeit wird und muß kommen, wo die Jesuiten wiederkfommen.

Damit schließt die erste Beratung.

In der zweiten Beratung bemerkt zu § 1 der

Abg. Dr. Erdmann (Soz.): Wir sind gegen den Anirag Abloß, weil er etwas Selbstverständliches enthält. Inzwischen haben die Antragsteller ihrem Antrag den Zusatz gegeben „soweit fie den Neichsgeseßzen niht widersprehen“. Wir müssen uns auch gegen diese Formulierung aus\prehen. Es ist allerdings negative Arbeit, die wir hier mad: n; ih halte die Abschaffung des Jesuitengeseßzes nicht für positive Arbeit. Auch die Abschaffung des preußi)hen Wahl1echts, dieses brutalsten aller Wahlgeseße, wäre keine positive Arbeit. Positive Arbeit wäre die Abschzffung der Wucherzölle, die die Teuerung verursahen. Die Nationalliberalen wollen das Jesuiter geseß aus nationalem FJnteresse aufrecht erhalten. i ind sle es, die nachgerade das ganze Volksschulwesen dem Klerikalismus überantwortet haben. Dahin sind die National: liberalen mit ihrer nationalen Kulturkämpferei gekommen. Mit der Aufhebung des Jesuitengesezes würde man auch nur einer altpreußischen Tradition folgen. Das Zentrum hat ja {on fo viel Kanonen, Soldaten und Schiffe bewilligt, daß es unbillig wäre, ihm länger den verdienten Lohn vorzuenthalten. Wenn man 40 Jahre lang regierende und ausshlaggebende Partei ist, kann man {on etwas erreichen; das Zentrum hätte seine geliebten Iejuiten längst, wenn es für die Aufhebung des Geseßes nur die Hälfte der Energie aufgewendet hâtte, wie gegen die Erbschaftssteuer.

S 1 wird mit den Stimmen des Zentrums, der Sozial demokraten, Polen, des Grafen Oppersdorf} und des Abg, von Payer (fortshr. Volksp.) angenommen.

Zu §8 2 liegt der abgeänderte Antrag Ablaß vor.

Abg. Müller - Meiningen (fortshr. Volksp.): Ih möchte den Abg. Spahn fragen, ob die Herren der Meinung sind, daß die [aided geseuliben Vorschriften auch ohne eine folhe Bestimmung, wie sie u! ser Amendement enthält, unberührt bleiben. Es wäre mir sehr wertvoll, ob die Zentrumspartei dieser A: shauung ist, dann würden wir den Antrag eventuell gern zurückziehen. Schenkt man uns darüber niht flaren Wein ein, dann muß eine fsolche Bestimmung nah unserer Meinung in das Gesetz aufgenommen werden. Sehr bedauerlich ist es, daß der Bundesrat während der ganzen Verhandlung unvertreten geblieben ist. Jn Württemberg ist eine foihe E:klärung durch die Negierung abgegeben worden. Es würde sonst ein Vakuum entstehen, der Jesuitenorden würde allen anderen Oden und Kongregationen gegenüber p:iv.legiert sein. (8 ift eine große Gefahr, daß der Bundesrat vielleiht aus stiner Schublade plöy:ih auf einen aiten, vielleiht vor 5 oder 10 Jah en gefaßten Beschluß des Parlamrnts zurückgreift; eine Wiederholung so!ches Mißbrauchs, wie sie 1904 erfolgte, sollte unter allen Um: itänden vermieden werden. :

Abg. Graf We star p (dkonf.): Wir können den Antrag nit annehmen. Unserer Auffassung nach bleiben selbstverständlih au dann, wenn das Geseß aufgehoben werden sollte, die lande: geseßlichen Borschriften unberührt.

Abg. Schult - Bromberg (Rp.): Wir lehnen den Antrag ab in der Befürchtung, daß er Untlarheiten herbeiführen Tann.

Abg. Gröber (Zentr.): Ich muß mih namens des Zentrums gegen den Antrag Ablaß aus]prehen. Entweder ist er richtig, dann ist er selbsiverständlich, oder er enthält Unrichtiges, und dann müssin wir ihn verwerfen. Es handelt sich in der Frage um das Verhältnis von Neichsrcht zu Landesreht. Das FJesuitengesetz ist erlassen worden, ohne daß man Bestimmung traf über die landesrectliche! Bestimmungen zu dem Jesuitenorden. MNeichsreht geht dem Landes recht vor; im Zweifelsfalle Haben die Gerichte zu entscheiden. Ob die landesrechtlihen Vorschriften mit der Aufhebung de Geseßes auch aufgehoben bleiben, oder ob fie dann von seblst wkcder in Kraft treten, mögen die Gerichte entscheiden. Die Sache ist um so \s{chwieriger, da inzwishen das deutsche Reichsvereins- und Versammlungsgeseß eilassen worden isk Es kann doch nicht bestritten werden, daß man das Neichsvereins und Versammlungs8gesetz auch auf Jesuiten anwendet. Sie dürfen 1 Bolksversammlungen nicht über Religion sprechen, was de keinem anderen Staatsbürger verboten ist. So will es die Auslegung des Bundetrats. Wir kennen die einzelnen Vorschriften in den einzelnen Bundesstaaten nicht genau. Sollen wir nun, obne diese zu kennen, unsere Genehmigung vielleiht zu irgendeinem bundesratlichen Plunder aus\prehen 2 Das fällt uns- niht ein. Wir haben keine Veranlassung, irgendein Ausnahmegeseß in einem Bundebstaate aus recht zu erhalten.

Abg. Dr. Jun ck (nl.): Wir sind der Ansicht, daß, wenn das Neichsgeset aufgehoben werden soll, es niht wünschenswert ist, auc di: bundes|taatlichhen Gesegze zu beseitigen. Den Antrag Ablaß hallken wir eigentlih nit für notwendig. * Troßdem werden wir [Uur Den Antrag sti1nmen, weil wir seine Tendenz billigen und er vielleicht dic Frage mit klären helfen kann. A

Abg. Dr. M üller - Meiningen (forts{chr. Volksp): Wir würden gern unsern Antrag zurückziehen, wenn die Mehrheitöparteien seit Selbstverständlihkeit anerkennen würden. Aber gerade dieses Herun drücken und Versteckspiclen hat den Anlaß zu unserem Antrage gt geben. Der Abg. Gröber hat das Vereinsgese herangezogen. Er ba! aber den Hauptpunkt verschwiegen, daß nämli der § 27 die geist- lichen Orden und Kongregationen freiläßt. Daß, wenn das Nee geseß fällt, die bundesstaatlidzen Geseße wieder in Kraft treten, 6 Pei die württembergishe Regierung für selbstvezrftändlich. idt wir volle Klarheit wollen, können wir unseren Antrag M! zurückziehen.

8 2 des Gesegentwurfs wird mit der vorigen M angenommen, der Antrag Ablaß gegen Fortschrittliche partei und Nationalliberale abgelehnt, auch § 3 wil genommen, ebenso Einleitung und Ueberschrift.

ehrheit Nolks2

114

(S#luß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königli

M 45.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Da ein Widerspruch aus dem Hause nicht erfolgt, wird auf Antrag Spahn gleich die dritte Lesung vorgenommen und das Geseß in DVTILCT Lesung ohne Debatte endgültig ver- abschiedet. Dafür stimmen geschlossen Sozialdemokraten, Zentrum, Polen, Elsaß-Lothringer und die Abgg. Payer,

r. Braband, Dr. Kerschensteiner und der Däne Hanssen.

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Schluß nah 5 Uhr. Nächste Sißung Donnerstag 1 Uhr. (Kleinere Vorlagen; Fortsezung der Etatsberatung : Postetat, Reichseisenbahnamt und Reichseisenbahnen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 136. Sißung vóm 19. Februar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berihtet worden.

Das Haus seyt zunächst die zweite Beratung des Etats der Justizverwaltung und zwar die Besprechung der ein- maligen und außerordentlichen Ausgaben fort.

Für den Neubau eines Geschäftsgebäudes für die Zivil- abteilung des Landgerichts und des Amtsgerichts in Beuthen in Oberschlesien wird eine erste Rate von 200 000 #6 (Ge- samtbedarf 732 400. 6) gefordert.

Die Budgetkommission beantragt, diese Forderung zu streichen, eine Petition um Bewilligung dieser Mittel für erledigt zu erklären und über eine Petition um Errichtung eines neuen Landgerichts in Oberschlesien zur Tagesordnung überzugehen.

Die Abgg. Dr. Porsch (Zentr.) und Genossen be- antragen die Wiederherstellung der Etatsposition.

Berichterstatter Abg. von dem Hagen (Zentr.): Die Kom- mission hat die Position mit neun gegen neun Stimmen abgelehnt. Dieser Beschluß ist aber vielleiht darauf zurückzuführen, daß die be- treffende Sißung bis gegen 12 Uhr Abends gedauert hat und infolgedessen niht voll beseßt war. Es ist daher begreiflih, daß der Wunsch ausgesprohen worden ist, die Position wieder herzustellen.

Justizminister Dr. Besele r:

Meine Herren! Das Geschäftsgebäude für das Land- und Amts- grit in Beuthen ist von vornherein nur ein sehr mäßiges gewesen G bestand anfangs nur aus dem alten Kreisgerihtsgebäude, welches son an sich recht erhebliße Mängel zeigte und überdies bet weitem zu klein war. Nach einiger Zeit hat man deshalb cinen Anbau errichtet, der nit sehr viel Naum hinzufügte. Jn- folgedessen hat si -bald- nach Fertigstellung des Erweiterungs- baues die Notwendigkeit ergeben, weitere Räume für Geschäftezwecke

anzumieten. Jn Beuthen hefinden si die jezigen Geshäftsräume an dret verschiedenen Stellan; es sind zwei Privathäuser mit rund 90 Ginzelräumen gemictet worden, um dem augenblicklichen größten Notstand zu begegnen; die Räume in diesen Mietshäusern find durch- aus unzureichend und für die Zwecke der Gerichte niht geeignet. Es ist daher die höchste Zeit, daß für Beuthen etwas geschieht. Nach langen und gründlihen Grwägungen is man zu dem Vorschlag ge- langt, einen Neubau zu errichten, der bestimmt ist, die Zivilabteilungen aufzunehmen, während das alte Geschäftshaus sch für die Straf- abteilungen wird einrihten laffen.

Meine Herren, der Bezirk Beuthen ist räumlih niht auszedehnt , hat jedoch naturgemäß mit der Zeit einen großen Bevölkerungszuwachs erfahren, wie das in Industriebezirken die Regel ist. Trotzdem ist das Landgericht durhaus in der Lage, die Nehtspflege fo zu üben, wie es den allseitigen Interessen entspciht. Das Amtsgericht bleibt, wie es ift ; es isl ein großes Gericht und nimmt den größten Teil der Räume, die in Frage kommen, ein.

Ein Bedürfnis für den Neubau besteht also ganz unzweifelhaft. Der Rechtspflege kann nur gedient fein, wenn die gegenwärtige Organisation erhalten bleibt. Wie ih {on erwähnte, ist der Bezirk des Landgerichts klein, und die Verbindungsmöglichkeiten in ihm sind sehr gut, sehr viel besser als in vielen anderen Landgerichtsbezirken. Dazu kommt, daß das Verbleiben des Gerichts in seiner jeßigen Gestalt vom Standpunkt der Strafrcehtspflege aus ceigentlich eine Notwendigkeit ist. Das folgt daraus, daß, wie ja auch hier vielfach beklagt worden ist, in der dortigen Gegend sih Banden von Ver- brechern bilden (sehr wahr !), die über den ganzen Bezirk sich ver- breiten. Deren Verfolgung ist eine wichtige Aufgabe der Staats- anwaltshaft (Zustimmung); die Verfolgung wird aber sehr ers{chwert, wenn das ganze Vorgehen niht von einer Stelle geleitet wird. Das ist ein sehr wesentlihes und dringendes Interesse.

Also im allgemeinen würde, wenn nicht ganz besondere Gründe vorliegen, alles dafür sprechen, daß man das Landgericht in Beuthen beläßt und ihm die nôtigen Geschäftsräume gewährt. Das ist der Standpunkt der Regierungsvorlage. i

Nun ist, wie Sie - wissen, und wie. der Herr Berichterstatter beute auch {hon erwähnt ‘hat, “bei der Nachbarstadt Kattowiy der: Wünsch hervorgetrèten, auch in * ihren Mauern ein Landgericht - zu haben, das si zum größten Teile aus Teilen ‘des jeßigen Landgerichts Beuthen zusammenseßèn soll. Hier ergibt si die Frage, ‘ob es im Interesse der Rechtspflege geboten ist, ein Ländgericht nach- Kattowiß èu Tegen, um dadurch eine bessere Verwaltung der Rechtspflege zu ermöglichen. Meine Herren, ich kann zurzeit keineswegs anerkennen, daß ein derartiges Gebot vorläge. Wie erwähnt, find die Verbindungen nah Beuthen durGweg gut. ‘Da es ih“ hier um ein Land- geriht handelt die Amtsgerichte sollen ja bleiben, wie ste find —,, lo kommt es für die Bevölkerung - zumeist darauf hinaus, daß hin und wieder bei“ Prozessen in: Strafkammérsachen das. Geticht auf gesuht werden muß. Das trifft den Ginzelüen im Bezirk nur selten, ind wenn es thn. trifft, so heißt es : nichts“ anderes, als daß. ec eine kurze Strecke Wegs weiter zu fahren* hat. Das ist eine \o gering-

liche - Entwicklung nicht - nur - der Finanzen ,

Zweite Beilage

Berlin, Donnerstag, den 20. Februar

fügige ErsGwerung, daß fie gegenüber den wesantlihcn Interessen, die zugunsten von Beuthen ins Gewicht fallen, niht gut ins Feld geführt werden kann.

Wenn man dem Wunsche, ein Landgericht in Kattowitz zu er- rihten, überhaupt näher treten wollte, so würde die selbstverständliche Folge sein, daß zurzeit. gar nihts ges{chehen köwnte. Denn ein Land- gericht läßt sich nicht binnen kurzem herstellen. Die Herren werden ih aus den Verhandlungen zwischen Crefeld umd Gladbach erinnern. was für Interessen da aufeinanderstoßen, und was alles zu berück- sichtigen ist. Es vergehen Jahre darüber, ehe |ch ein Ausgleich herbeiführen läßt. Schon die Prüfung der Frage, wie der Landgerichtsbezirk Beuthen geteilt werden könnte, würde geraume Zeit in Anspruch nehmen, und unterdessen würde in Beuthen geradezu ein Notstand eintreten, denn der Raummangel ist \o groß, daß man auch in Kattowitz ein neues Landgeriht bauen in Beuthen jedenfalls auch gebaut werden muß (sehr rihtig!); es bleibt also für Beuthen auf alle Fälle ein Raumbedarf zu erfüllen, der dur die vorhandenen Räume nicht annähernd gedeckt wird. (Sehr richtig!) Bei dieser Sachlage kann ih die Ablehnung der jeßt geforderten Baurate nicht für gerehtfertigt halten, bin vielmehr der Meinung, daß es im staat- lihen Interesse und insbesondere im Interesse des Bezirks? Beuthen- Kattowiß geboten ist, das von der Regierung vorgelegte Bauprojekt alsbald auszuführen. (Sehr richtig !)

Meine Herren, daß Kattowitz, eine aufblühende {höne Stadt, den Wunsch hat, auch ein Landgericht zu erhalten, ist ja ganz begreiflich. Dieser Wunsch läßt ih zurzeit niht erfüllen, daß er überhaupt unerfüllbar sei, kann ih heute nit sagen. Die Frage, ob und wo man im ober- \{lefischen Jndustriebezirk ein drittes Landgericht einrihten soll, ift noh nicht \spruchreif. Muß sie später erörtert werden, weil der Um- fang der Geschäfte des Landgerihts Beuthen eine Teilung des Bezirks geboten ersheinen läßt, so würde damit auch die Frage, ob nit Kattowiß Sitz eines Landgerichts werden soll, von neuem bervortreten und zu prüfen fein. Ein Präjudiz gegen Kattowitz erfolgt also keines- wegs, wenn die heute von mir vertretene Etatsposition genehmigt wird. Den in Ausficht genommenen Neubau aber halte ih für un- bedingt nötig und möchte deshalb dringend darum bitten, daß der jeßt gestellte Antrag auf Wiederherstellung der Etatsposition vom hohen Hause genehmigt werde und es bet der Vorlage verbleibe. (Bravo!)

Abg. Graf Henkel von Donnersmarck (Zentr.) Auch ih möchte das hohe Haus bitten, für die Wiederherstellung der Position zu stimmen. Die jeßigen Räume des Gebäudes sind gänz- lih unzureichend. Beuthen entwickelt sich immer mehr, und es ist auch eine sehr bequeme Verbindung nah Beuthen vorhanden. Auch zur Verfolgung der Verbrecherbanden ist Beuthen als Zentralpunkt besonders geeignet.

Abg. Peter - Gleiwitz (Zentr.) tritt für die Wiederherstellung der Position ein und bittet, die Interessen der Stadt Gleiwitz zu berüctsichtigen.

Abg. Haarmann (nl.) spriht sich ebenfalls für die Be- willigung aus.

Abg. Krau \ e - Waldenburg (freikonf.): Leider hat der Minister eine bestimmte Erklärung darüber niht abgegeben, ob das Landgericht in Beuthen geteilt werden foll, und welcher Ort Schlesiens das andere Landgericht erhalten foll. Dadurch scheint die Cntscheidung dieser Frage in weite Entfernung gerückt zu sein. Wir werden für die Wieder- herstellung dieser Position stimmen, bitten aber den Minister, die Frage der Errichtung eines zweiten Landgerichts fortgeseßt im Auge zu behalten. G8 spredhen gewihtige Gründe für die Teilung des Landgerichtsbeziukes Beutten. Es gibt eine große Zahl von Orten, die sehr weit vom Landgericht Beuthen entfernt liegen. Der Redner setzt si sodann mit der Haltung des Zentrums zu dieser Frage auseinander und verweist {ließlich auf die Entwicklung des Koblenbergbaues in Oberschlesien, die die Errichtung eines zweiten Landgerichts notwendig mache.

Abg. Cassel (fortschr. Volksp.): Die Errichtung eines zweiten Landgerichts würde so lange dauern, daß mit diesem Umbau nicht ge- wartet werden darf. Dazu kommt, auh die Geschäfte des Amts- gerihts eine bedeutende Grweiterung erfahren werden.

Abg. Dr. Por \ch (Zentr.): Ich könnte dem Abg. Krause in einigen Punkten wideisprehen, mit Rücksiht auf die Geschäftslage will ich- das aber für cine spätere Gelegenheit ver|hieben und hoffe, daß die Position mit überwtegender Mehrheit genehmigt wird.

Dem Antrage Porsch entsprehend wird die Forderung mit sehr großer Mehrheit wieder hergestellt; die Petitionen werden für erledigt erflärt.

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.) weist darauf hin, daß eine ganze Netihe von extraordinären Forderungen für den Neubau von Gerichts- gebäuden damit begründet werde, daß die in den bisherigen Gerichts- gebäuden vorhandenen Gefängnisräume in sanitärer Beziehung zu wünschen übrig lassen. Der Regierungsvertreter, der gestern über diese Sache gesprochen habe, scheine über diese Zustände niht genügend unterrichtet zu fein. Den Ton, den er gegen thn anzuschlagen gewagt habe, und der parlamentaris nidt charakterisiert werden dürfe, würde sich eine Mehrheitspartei mcht haben gefallen lassen. Ueber die Zu- stände der Gefängnisse müsse dem Hause eine Denkschrift vorgelegt werden.

Abg. Win ckler (kons): Ih spreche meine besondere Befriedigung darüber aus, daß für den Neubau eines - Geshäftsgebäudes für das Oberlandetgericht in Naumburg die ‘erste Rate in den Etat eingestellt worden ist, weil damit das Oberlandesgeriht dauernd der Stadt Naumburg gesichert wird. Dies -liegt niht allein im Interesse der Stadt Naumburg, für - die . das - Oberlandesgeriht eine Lebens- frage bedeutet, sondern auch im Interesse des Oberlandesgerichts felbst, weil keine geetgnetere Stadt als Naumburg für den Sig des Ober- lande8gerichts -gefunden- werden fann. i: |

Abg. Dr. Grunenberg (Zentr.)- spricht : seine“ Befriedigung darüber aus, daß. in Rothenburg ein Dienstwohnungsgebäude für den Amtsrichter errichtet -wird.

Der Rest des “Just izetat s wird - ohne Debatte b e- willigt. A

Es folgt die Beratung des Etats der Handels- und Gewerbeverwaltung. ; /

Die: Einnahmen "werden ohne Debatte * bewilligi. Bei den

‘dauernden, Ausgaben, und zwar beim Titel Minister -

gehalt, bemerkt Abg. Ha m mer (konf): Wenn ich auch im allgemeinen nur

, über! Dinge rede, : die mich und meinen. Stand- angehén, so kann

ih ckdohz nidt umhin, auf - die wirtschaftlihe Lage des deutschen Volkes einzugehen. ; Der Finanzminister hat {on dic außerordent- sondern auch der

ch Preußischen Staatsanzeiger.

1983.

Industrie und der Landwirtschaft betont. IchG will dies nur mit wenigen Zahlen ergänzen. Die Eisenproduktion in Deutschland hat fich um 13% gegen das Vorjahr gehoben. Die deutsche CEisenproduktion hat im vorigen Jahre England und Frankrei auf diesem Gebiet überflügelt dank dem jegensreihen Schußzoll. Auh die Kohlenprodukíion hat sich ganz bedeutend gesteigert. Infolge dieser günstigen Entwicklung ift der Güterverkehr um 7 9%/g gestiegen, der Import um 4 °%/9 und der Auétfuhrverkchr um 11- 9%. Verschiedene Handelskammern betonen ausdrücklich, daß die Wider- ¡tandsfraft des inländischen Marktes gegenüber dem ausländtschen Markt auf der Kauffraft unserer Landwirtschaft beruht. Au die Handelskammer Berlin hat in ihrem Bericht hervorgehoben, daß die Kaufkraft der Landwirtschaft die Grundlage unserer wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt. Aber eins . muß hervorgehoben werden, auch die Berliner Handelskammer bemerkt rihtig, daß wir wohl eine gute Arbeitskonjunktur gehabt haben, daß aber von einer Preitfkonjunktur leine Rede sei, weil die Löhne so außerordentlich gestiegen seien. Die Handelskammer betont außerdem no, daß die große Dürre und die Viehseuchen im Jahre 1911 die Landwirtschaft stark geschädigt und damit das Handwerk auf dem platten Lande {wer getroffen haben. Die Handelskammer in Breslau hat betont, daß Blei, Erz und Kies über 1009/6 gestiegen seien. Jn verschiedenen Handelsblättern wird seit Jahren die Steigerung der Rohstoffe auf die Schutzollpolitik zurückgeführt. Das ist nit zutreffend. Es gibt eine ganze Reihe von Nobstoffen, die den Zöllen niht unterworfen sind. Besonders schlecht ist die Steinindustrie weggekommen. Die Preise sind derartig gestiegen, daß au die Arbeiter in dieser Industrie stark gefährdet e: heinen. Zieht man nun das Fazit alles dessen, was der Finanz- minister mit.eteilt hat, so muß man mit Entschiedenheit betonen, daß wir alle Ursache baben, am Schutze unserer nationalen Arbeit festzuhalten. Dabei können nur alle Stände gewinnen, wenn man au zugeben muß, daß ein kleiner Zweig unserer Industrie, die Erportinduftrie, darunter zu leiden hat. Wenn man die Vieh- und Getreidezöle abbauen will, N man ebenso bei der Industrie vor- geben. Industrie und Landwirt|schaft müssen zum Segen des Mittel- standes zusammenhalten. (58 ist eine erfreulihe Tatsache, daß wir heute nur 26000 Menschen an das Ausland jährlich abgeben, während wir vor 12 Jahren noch 220 000 Einwohner im Dur(þ- schnitt jährlih verloren. Ich freue mich, daß der Handelsetat mit 248 Millionen abschließt, also 1,5 Millionen mehr als im Vorjahre. Seit Jahren werden in den Etat 100 000 4 als Zubuße für Hand- wertetammern eingeseßt. Die Regierung hält dies für ausreichend, {ich persönli will dahinter ein Fragezeichen seßen und glaube, dez weitere Anforderungen auf diesem Gebiete notwendig sein werden. Gs werden heute erst 16 9%/o sämtlicher militärisher Aufträge an Hand- werker vi rgeben. Sie müssen mir zugeben, daß auf dieléw Gebiete noch m. hr geschehen könnte, dann würde eine große Reihe von Hand- werkszweigen lebensfähig echalten werden. Es ift ja ohne weiteres zuzugeben, daß auf seiten der Submittenten au viele Fehler gemaht werden. Der Reichsdeutshe Mittelstandsverband, der feinen Sig in Leipzig hat, hat im Königreih Sachsen erfreuliherweise einen ziem- lihen Ginfluß g- wonnen, weil die Königlich sähsishe Regierung ein- geschen hat, daß, wenn man den Mittelstand in Stadt und Land nicht \hügt, die rote Flut immer höher steigen wird. Wir müssen den Mittelstand so stark wie mö„lich erbalten. Die Regierung des König- reihs Sachsen hat in dankenswerter Weise im Vorjahre 30 000 4 mehr gegeben, um ein Submissionsamt für das Königreih Sachsen zu er« rihten. Meine Auffassung über Submissionsämter geht nun dahin, daß Submissionsämter, wie sie in Sachsen bestehen, auch für uns eine dringende Notwendigkeit sind. Die Aufgabe des Submissions- amtes ist, das Angebot von Staats- und Kommunalaufträgen zu überwachen und auf eine {leunige Bekanntmachung derselben binzu- wirken. Wir würden hier viel besser abschneiten, wenn wir {on Submissionsämter hätten, weil man dann Normalstatute aufstellen könnte. Gs gibt einzelne Handwerkskreise, welche glauben, wenn Submisfons- ämter eingeführt werden, daß damit eine gewifse Kontrolle der Regierung verbunden set. Dicser Auffassung sind meine politishen Freunde nicht. Die Handwerker können durch Einspruch, Beschwerde und Petitionen an das Abgeordnetenhaus ihre Nechte vollkommen wahren. Das Sub- missionsamt könnte an die Handwerkskammern und an andere Orga- nisationen angegliedert werden. Der Reichsdeutshe Mittelstands- verband hält die Handwerkskammern niht für geeignet, aber man kann doch nicht ad hoc in einer Stadt einige Sachverständige zusammenrufen, die das Submissionsamt zu bilden hätten. Aller- dings müßten Vertreter der Behörden und event. au der Handels- kammern in dem Submissionsamt vertreten sein. Die Kosten müßten zu zwei Dritteln vom Handelsministeriuum übernommen werden. In Sachsen werden die ganzen Kosten vom Staat getragen ; ih halte das niht für richtig, die Beteiligten müssen vielmehr beitragen. In jeder Provinz müßten wir ay und nah ein Submissionsamt erhalten. Als vorsichtiger Mann bin ich dafür, daß erst einmal in einer Provinz ein Versu gemacht wird. Vorschläge sind {on von den Handwerkskammern in Stettin und Breslau gemacht worden; eine trefflihe Initiative hat die Breslauer Handwerkskammer er- griffen, sie hat bereits ein Submissionsamt errihtet und, wie die Schlesier einmal sind, glaubt die Kammer, daß fie nur einen Zushuß in Höhe der Hälfte der Kosten, etwa 12000 4, brauchen wird. Die Frage der Sicherung der Bauforderungen bedarf dringend der vollkommenen Lösung; der zweite Abschnitt des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen muß eingeführt werden. Die Negierung hat fih bisher ablehnend verhalten, und deshalb hat die Kommission für Handel und Gewerbe einen Antrag angenommen, wo- nah der zweite Abschnitt des Gesetzes in den Städten, wo Bau- \{windel festgestellt wurde, auf 10 Jahre eingeführt werden möge. Die Einführung ist allerdings nicht möglich, solange niht auch die Tarämter mit öffentlih-rehtlihem Charakter unter amtlihem Vorsitz eingeführt find. Dann wird auch wieder Sicherheit auf dem ODypothekenmarkte eintreten. Der erste Abschnitt des Gesetzes zur Sicherung der Bauforderungen enthält allerdings auß Mängel, die R' gierung hat bisher noch kein Mittel zur Abstellung der Mißstände ergriffen; nach der Erklärung cines Regierungöskommisfars ist das aber wenigstens noch zu erwarten. Die Bestimmung über den Anschlag der Bauvorschriften auf jeden Bau wird vielfah nicht beachtet; der Polizeipräsident hat erklärt, daß er kein Mittel zur Kontrolle habe. Ich bitte desha!b den Minister um Abhilfe. Die Interpellation des Abg. Dr. Arendt, die au - von meinen Freunden- unterstüßt. war, wegen der Einführung von amortisablen Sicherbeitshypotheken fann fegensreich * wirken; der Haus- und Grundbesiterverein in Spandau hat sich . auf denselben maßvollen Standpunkt ge- stellt, den die Freikonservativen und Konservativen eingenommen haben. Der Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag hat eine Revision der Gewerbeordnung . in - manchen Punkten gewünscht, und meine Freunde stehen hinter diesen Wünschen. Z. B. muß die Frage der Unterscheidung zwischen Handwerks. und abr es öst werden. Der Erlaß des früheren, Ministers Möller, der alle Intelligenzen dem Handwerk , entzog, - indem er sie zu Fabrikanten stempelte, muß aufgehoben. werden. , Ferner muß die Frage der Lehrling8ausbildung geregelt - werden ; - jeßt feblen dem Ha»dwerk ausgebildete Gehilfen. s muß auf diefem Gebiete dezentralisiert werden. Es muß wieder der Anreiz gefördert werden, ein Handwerk zu erlernen. Jh stehe nicht auf dem Standpunkt, daß das Handwerk bereits verloren sei. Die Dentisten bitten, daß man die dreijährige Lehrzeit für sie obligatorisch mae, und daß man sie unter die Gewerbeordnung

Lire

E S T T STE

S

Tir Le: Ce FSUPCMN N E B s 76 Zen