1913 / 49 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 25 Feb 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht: ___ dem Präsidenten der Oberzolldirektion für den Thüringischen E und Steuerverein, Geheimen Oberfinanzrat Richter in Srfurt den Charakter als Wirkliher Geheimer Oberfinanzrat mit dem Range der Räte erster Klasse zu verleihen und infolge der _von der Stadtverordnetenversammlung zu Merseburg getroffenen Wahl den besoldeten Stadtrat Ernst Wolff daselbst als unbesoldeten Beigeordneten der Stadt bestteTD für die geseßlihe Amtsdauer von sehs Jahren zu estätigen.

Seine Majestät der König haben durch Allerhöchste Order vom 3. Februar d. J. Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß die nachstehend bezeichneten bisherigen Departe- mentstierärzte: :

__Dr. Steinbach in Trier, Heyne in Posen, Peters in Wiesbaden, Schmidt in Stade, Preuße in Koblenz, Leistikow in Magdeburg, Dr. Lothes in Cöln, Tietze in Frankfurt a. O., Dr. Arndt in Breslau, Baraúski in Aachen, Blome in Arnsberg, Brießmann in Köslin, Holz- hauer in Erfurt, Klebba in Potsdam, Pauli in Stettin, Koschel in Berlin, Berndt in Gumbinnen, Dr. Kloster- femper in Osnabrück, Dr. Felisch in Merseburg, Matthiesen in Hannover, Bermbach in Oppeln, Jacob in Danzig, Dr. Foth in Münster, Romann in Aurich, Dr. Kampmann in Minden, Behrens in Hildesheim, Dr. Marks in Allenstein, Fredrih in Bromberg, Lorenz in Marienwerder, Braß in Stralsund, Eckardt in Düsseldorf, Dammann in Liegniß, Dr. Bartels in Schleswig, Simon in Lüneburg und Traeger in Königsberg, die erstgenannten drei unter Belassung des Charakters als Geheimer Veterinärrat, künftig den. Amtstitel „Regierungs- und Veterinärrat“ führen.

Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten. Die Klosteroberförsterstelle Lamspringe in der Provinz Hannover ist zum 1. Mai 1913 zu besegen; Bewer- bungen müssen zum 15. März d. J. eingehen.

Abgereist: __ Seine Exzellenz der Staatsminister und Minister für Land- wirtschaft, Domänen und ¿Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer nah der Rheinprovinz.

Nichkamlkliches.

Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 25. Februar 1913.

__Jhre Majestäten der König Christian X. und die Königin Alexandrine von Dänemark sind gestern zum offiziellen Besuh des Deutschen Kaiserpaares hier ein- getroffen. Zum Empfange hatten sih laut Meldung des B: D, B.“ auf dem Bahnhof Jhre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin, die in Berlin und Potsdam an- wesenden Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses, Vertreter der Reichs- und Staatsbehörden, die Herren des Yauptquartiers Seiner Majestät des Kaisers, die Generalität und Admiralität, die Herren der dänischen Gesandtschaft mit Ausnahme des Gesandten Grafen Moltke, der dem Königs- paar bis Neustreliß entgegerigefahren war, der Polizei- prästdeni von Jagow u. a. eingefunden. Als der Ds M die Bahnhofshalle einlief, präsentierte die auf dem Bahnsteig aufgestellle Ehrenkompagnie vom 2. Garderegiment zu Fuß, die Fahnen senkten ih und die Regimentsmusik spielte die dänishe Nationalhymne. Nach herzlicher Begrüßung und der Vorstellung der Gefolge begaben fich die hohen Herrschaften in die Fürstenzimmer des Bahnhofs, wo der Oberbürgermeister von Berlin Wermuth mit dem Bürgermeister Dr. Reicke und dem Stadtverordnetenvorsteher Michelet das dänische Königspaar bewillfommnete und folgende Ansprache an die Majestäten richtete : i

Königlichen Majestäten bittet des Deutshen Reiches ihren ehrerbietigasten Huldigungégruß entgegenbringen ju di _Mit Freude heißt sie die erlauhten Gäste unseres ge- liedten Kaiferpaares willkommen, das mit Ihnen erst soeben dur ein neues inniges Familienband verknüpft ist. Als frohes Zeichen, als eine sichere Gewähr für die Gefühle, welde die beiten Völker

im Norden und in der Mitte Europas natürli und berzlih zu-

sammenfübren, begrüzen wir den heutigen von heiterer Sonne be-

n Tag. In Eurer Majestät ehren wir das Oberhaupt einer vandten, nahbarlich befreundeten Nation, mit der wir

en [-bhaften Austausch an geistigen und wirtschaftlichen

en und für gemeinsame Aufgaben der Kultur Schulter

r arbeiten. Insonderheit unsere Stadt darf sich

Alters her eingewurzelten Beziehungen zum

olfe rühmen. Eine sftattliche Anzahl von Ein-

dänischer Herkunft weilt, gern und gasilich be-

Ansehen und Wohlstand innerhalb dieser

n. Und wiederum strömen alljährliÞß Scharen von

er Bürgern nach den Landen und Inseln Dänemarks und fehren beim erfrischt und voll föstliher (Srinnerungen an Meer und Buchenwald, an eine blühende Landwirtschaft, an die Schönheit der funstliebenden dänischen Hauptstadt. Mögen auch Eure Majest1ten bier einen Gindruck davon gewinnen, wie sehr deute und dänische

Bildrng sich nahesteht, und möge Ihnen diese Empfindung unjer

Land und unsere Stadt von vorr herein wert und vertraut machen.

Beglüdt sei der Einzug Eurer Majestäten in unsere Stadt.

Jn seiner Erwiderung dankte Seine Majestät der König von Dänemark für die liebenswürdige Begrüßung, die ihm als Gast des Kaiserpaares von der Bürgerschaft Berlins zuteil geworden sei, und bat, dieser seinen Dank zum Ausdruck zu bringen. Nah dem Abrücfen der Ehrenkompagnie durhschriti das Königspaar eine Ehrenpforte, an der etwa 70 Mitglieder der hiesigen dänischen Kolonie zur Bewillklommnung Aufstellung genommen hatten, bestieg mit Jhren Majestäten dem Kaiser und der Kaiserin die Wagen, die von einer Eskadron des Garde- fürasfierregiments geleitet wurden und denen sich die übrigen Fürsilichkeiten, bie Gefolge und die Begleitung anschlossen, und fuhr unter lebhaften Kundgebungen einer nah Tausenden

zählenden Menschenmenge nah dem Königlichen Schlosse. Der glänzende gus bewegte sih über die Moltkebrücke durch die Moltkestraße, über den Königsplaß, durch die Siegesallee und Charlottenburger Chaussee dur das Brandenburger Tor und die Linden entlang. Bis zum Brandenburger Tor bildeten Jnnungen und Kriegervereine, von dort bis zum Schloß Truppen der Standorte Berlin und Charlottenburg mit Fahnen und Musik Reihen. Beim Herannahen der Majestäten wurde regimenterweise präsentiert, das Spiel gerührt und ein dreifaches Hurra ausgebracht. Als die Wagen das Denkmal Friedrih des Großen passierten, feuerte die im Lustgarten . aufgestelle Leibbatterie des 1. Gardefeld- artillerieregiments einen Ehrensalut von 101 Schüssen ab. Jm Königlichen Schlosse angelangt, nahmen Jhre Majestäten der Kaiser und der König Christian den Vorbeimarsh der im kleinen Schloßhofe aufgestellten Ehrenkompagnie vom Kaiser Alexander Gardegrenadierregiment Nr. 1 entgegen, worauf im Garde-du-Corpssaal Empfang unter großem Vortritt stattfand. Seinen Abschluß fand der feierlihe Einzug des dänischen Königspaares mit einem Vorbeimarsh der gesamten Berliner Garnison im Lustgarten, dem Jhre Majestäten der Kaiser und der König vor dem Königlichen Schlosse beiwohnten, während die Fürstlihen Damen dem militärischen Schauspiel vom großen Mittelfenster des Schlosses aus zusahen. Abends fand im Königlichen Schloß Familientafel und für die Gefolge Marschalltafel statt und darnah Théâtre paré im Königlichen Opernhaus.

Der dänische Minister des Auswärtigen Graf von Ahle- feldt-Laurvigen stattete gestern nachmittag dem Reichs- kanzler Dr. von Bethmann Hollweg einen Besuch ab, den dieser später erwiderte.

__ Der Ausschuß des Bundesrats für Handel und Verkehr hielt heute nahmittag eine Sizung.

__ Laut Meldung des „B, D. D.“ sind S. M. Tpdbt S 90 am 22. Februar in Schanghai, S. M. S. „Leipzig am 23. Februar in Schanghai und an demselben Tage S. M. S. „Eber“ in Monrovia und S. M. S. „Seeadler“ in Mikandani eingetroffen.

Fn der Dritten Beilage zur heutigen Nummer des „MReichs- und Staatsanzeigers“ wird eine Genehmigun gsurkunde, betreffend die Ausgabe von Schuldverschreibungen auf den Jnhaber durhch die Stadt Elbing, ver- öffentlicht. /

Württemberg. __ Seine Majestät der König vollendet heute sein 65. Lebensjahr.

Oesterreich-Ungarn.

Der Kaiser Franz Joseph hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ die erbetene Enthebung des Marinekomman- danten, Admirals Grafen Montecuccoli genehmigt und ihm das Großkreuz des St. Stefan-Ordens verliehen. Gleichzeitig hat der Kaiser den Vizeadmiral Anton Haus zum Marine- fommandanten und Chef der Marinesektion des Kriegs- ministeriums bei Belassung in seiner Eigenschaft als Flotten- inspektor ernannt.

: In der gestrigen Sißung des ungarischen Ab geord- netenhauses erschienen die Mitglieder der Opposition nicht, obwohl der Endtermin für die Dauer der Ausschließung für sämtliche renitente Abgeordneten der oppositionellen Parteien abgelaufen ist. Die Opposition hat eine Erklärung erlassen, daß sie erst bei den Verhandlungen über die Wahlreform in den Sißungen erscheinen werde. Auf die Jnterpellation eines Mitgliedes der Regierungspartei führte der Minister- prästdent Luk acz laut Meldung des „W. T. B.“ aus:

__ Gs set eine widerwärtige Heuchelei, daß die Oppositionellen über die Wahlkasse entrüstet seien, da sie während ihrer Negierungszeit selbst eine Wahlkasse besässen hätten. Er habe niemals in Abrede gestellt, daß die Regierungspartei eine Wahlkasse besessen habe und taß ihr verschiedene Gelder zugeflossen scien, doch fkönne er ganz entschieden behaupten, daß niema!s ein Heller aus solhen LZransaktionen der Wahlkasse zugefloffen set, deren Erträgnis dem Staat gehört hätte. Die moralischen Beweggründe dieser Kampagne erschienen sehr seltsam, da es bekannt lei, daß, falls der Ministerpräsident si entschlossen bätte, mit der Vpposition auf Grund einer Beteiligung im Kabinett ein Kompromiß zu ließen, man ihn einen charaftervollen Politker genannt hâtte. In dem Augenblick aber, als offenbar geworden sei, daß dies un- möglich fei, sei er als Panamist hingestellt und gegen ihn die Ver- leumdungsfampagne eröffnet worden.

Frankreich.

Gestern fand in der Deputiertenkammer eine Jnter- pellationsdebatte über den Schiffbruch des Postdampfers „St. Augustin“ statt, in der der Marseiller Abg. Moisson und der ehemalige Minister Thomson die Compagnie Trans- atlantique in scharfer Weise angriffen, weil sie den Dienst zwischen Marseille, Algerien und Tunis mit Schiffen versehe, deren Seetüchtigkeit sehr zweifelhaft sei. Wie „W. T. B.“ meldet, nahm die Kammer \gließlich mit 462 gegen 103 Stimmen einen Beschlußantrag an, in dem sie die Re- gierung unter dem Ausdruck des ita ns Kf Ab] die Verträge über die Postverbindung zwischen Franfreih und Nordasfrika schleunigst zu erneuern‘ und die Borsten für die Sicherheit der Seeschiffahrt, besonders bezüglich dex Einrichtung der Funkentelegraphie, der Rettungsmittel und der Seetüchtig- keit der Schiffe, zu verschärfen. i

__— Der Finanzminister Klo hat gestern dem Budget- aus\{chuß der Kammer einen Gesezentwurf über eine neue Automobilsteuer vorgelegt, die je nah den Pferdekräften 50 bis 250 Francs jährlich betragen würde. Der Ertrag diejer neuen Steuer, der auf aht Millionen geschäßt wird, soll zur Unterhaltung der staatlichen Straßen verwandt werden.

__— In der Finanzkommission des Senats haben der Kriegs- minister Etienne und der Finanzminister Kloß, obiger Quelle zufolge. um die Genehmigung nachgesuht, 72 Millionen für Luftschiffahxtszwecke, für die Verstärkung der Artillerie mit neuen Festungsgeschüßen, die eine Tragweite

von 14 Kilometern besißen, usw. einzustelle; mehrunÿ des Effektivbestandes war nit die Rebe: per Ver- mission zeigte sih den angeforderten Krediten geneigt le Kom-

Nußland.

Wie die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ sxxz werden die Gnadenakte, die zum Ania genie erfährt, L E E die ol Serung vorgesehen sind, auch edie

elresfen, und zwar joll einigen Kategorien von V f y Gefängnishaft verkürzt werden. Berurteilten die

In der gestrigen Sitzung der deuts{-russishen K zur Schaffung einer Ürheberrechtsfo T TaE ist itens der Konvention nah einer Depesche des „W. T. Y“ Meni nommen worden. ange: Portugal.

Jn der Deputiertenkammer erklärte 9 Minister des Aeußern Teixeira, daß die Nad e angebliche deutsh-englishe Verhandlungen über portu, giesishe Jnteressen unrichtig seien, und fügte nah dem Bericht des „W. T. B.“ hinzu: ' M

England denkt nit daran, eine internationale Ko übe koloniale Angelegenheiten zu veranlassen. England e fis Gefühle gegenüber seinen Verbündeten ihm nicht gestatten, in Untex handlungen einzutreten über einen Vertrag, eine Konvention oder k Abkommen, die so beschaffen wären, daß sie die Souveränität und Integrität der portugiesishen Kolonien antasten fönnten Zwischen England und Deutschland besteht kein Vertrag, keine Kon. vention und kein Abkommen solcher Art. Es ist unrichtiz, daß Unter, handlungen in diesem Sinne angeknüpft worden sind. Deut chland befaßt fih durchaus niht mit einer internationalen Konferenz zur Beratung der Kolonialfrage, und es weist den Gedanken zurüd, eine Verleßung unserer Souveränitätsrehte ins Auge gefaßt zu baben.

Türkei.

Ein offizielles türkishes Kriegs bulletin vom 24. Fe- bruar besagt laut Meldung des „W. T. B.“: i:

Im Laufe des gestrigen Tages bombardierte der Feind A dria- nopel, doch war die Kanonade nur {wach. Zwischen der Hauyt: linie und den feindlihen Batterien entwickelte ih ein kleineres Ar. tillertegefeht. Die militärishe Lage vor Bulair ift unverändert. Bei Tschatald\cha sind die Bäche aus ihren Ufern getreten und erschweren die Bewegungen der Erkundungskolonnen. In dem Kampfe, der westlich von Albassan bei Ts\chataldscha stattfand, hatten unsere Truppen 5 Tote und 22 Verroundete. Die Verluste des Feindes sind bedeutend größer. :

Bulgarien.

Die Regierung hat den Vertretern der Mächte die Antwort auf deren vorgestrigen Schritt übergeben. Wie die „Agence Bulgare“ meldet, erklärt die Regierung, daß sie im Vertrauen auf den hohen Gerechtigkeitssinn der Großmächte deren Vorschlag, sih bezüglih der Lösung des rumänis{- bulgarischen Streitfalles der Entscheidung der sechs Mächte zu fügen, annehme, falls dies auch Rumänien tue. ;

Amzerika.

Die genauen Umstände des Todes Maderos und Suarez find noh unbekannt. Der Präsident Huerta erklärt wie bereits gemeldet, Madero und Suarez seien durch Zufal bei dem Zusammenstoße der Wache mit Maderos Part anhängern gefallen, die den Versuh machten, die Gefangena zu_ befreien. Dela Barra erklärt, einer Meldung dts „W. T. B.“ zufolge, die Gefangenen seien getötet worden, als ne zu entweihen versuchten. Keiner von beiden sagte indessen, wer die tödlichen Schüsse abgegeben habe: vielleicht ist es beiden unbekannt. Das Volk steht in seiner Mehrheit den amtlichen Berichten \keptisch gegenüber. Die Regierung versichert, sie werde die Umstände des Todes Maderos und Suarez untersuchen und die Schuldigen bestrafen. Die Familie Maderos hat die Erlaubnis erhalten, seinen Leichnam auf der Besißung der ¿Familie im Staate Coahuila beizuseßzen. Die Leiche Suarez ist auf den spanischen Friedhof gebracht worden. j

Aus El Paso wird gemeldet, daß 95 Freiwillige von den Bundestruppen am Montag bei Juarez erscho\\en worden seien. Sie waren Mitglieder der Garnison und hatten am Sonntag gemeutert, weil sie mit der Erschießung Maderos nicht einverstanden waren.

Parlamentarische Nachrichten.

/ Auf der Tagesordnung der heutigen (119.) Sizung des Neichstags standen zunächst Wahlprüfungen.

Die Wahl des Abg. Kölsch (nl.) für 7. Baden ist von der Wahlprüfungskommission nah dem Ergebnis der über die Protestpunkte gepflogenen Beweiserhebungen für ungültig er- klärt worden. Bei der Wahl hatte Kölsch 12713, Schüler (Zentr.) 12709 Stimmen erhalten. Nach der Beschlußfassung der Kom- mission sind Kölsch 7 Stimmen abzuziehen, sodaß er nur noch 12706, also weniger als die absolute Mehrheit, behält.

Abg. Dr. Bollert (nl ): Namens meiner Freunde stelle ich den Antrag, die Beschlußfassung über die Wahl auszuseßen und die Angelegenheit nochmals an die Kommission zurückzuverweisen. Wir können nit anerkennen, daß diejenigen Schlußfolgerunzen aus den Beweiserhebungen zulässig sind, die die Kommission gezogen hat. (Es handelt sich hier nur um cinen Unterschied von 7 Stimmen ; deshalb ist es notwendig, bei diesem winzigen Unterschied die einzelnen Fragen noch einmal genau zu prüfen. Etn Teil der Beweiserhebungen hat sih zudem als unrichtig erwiesen. Dazu kommt, daß es nicht rihtig war, daß man es für unstatthaft erklärte, die Wahlliste am 2. Januar zu s{ließen, da doch der 1. Januar ein iFetertag war.

Abg. von Brockhausen (dk.): Ih möht: bitten, dem An- trage ncht zuzustimmen. Es handelt sh hier um eine Angelegen- heit, die in der Kommission tagelang schr eingehend erörtert worden ist. Es ersheint mir zweifelhaft, ob bei nohmaliger eingehender Prüfung der Sachlage die Kommission zu einer anderen Entscheidung kommen wird. Es i} moniert worden, daß zu Unreht der Listenshluß am 2. Januar für unzulässig erklärt wurde. In der Kommission war man jedo der Ansicht, daß ein Feterlag am Schluß nicht die Verlängerung um einen Tag in sich ließe. Selbst wenn man aber den Einwand für richtig erachtet, dann würde dem Abg. Kölsh noch immer eine Stimme an der Mehrheit fehlen. Der Reichstag muß deshalb die Ungültigkeit der Wahl erklären. Die Kommission hat eine Nethe von Punkten nicht erörtert, weil ihre Beratung cine längere Zit in Anspruch genommen hätte und sie deract waren, daß sie am Ergebnis do vichts geändert hätten.

(Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten seßte in der heutigen 140.) Sigung, welcher der Minister für Handel und Gewerbe N Sydow beiwohnte, die zweite Beratung des Etats der Handel s- und Gewerbeverwaltung bei den Zu-

üssen zur Einrichtung und Unterhaltung der

O rtbildungssculen fort.

Abg. Borchardt (Soz.): Nachdem der Zentrumsredner so aus- chri die Forderung des obligatorischen WMeligtonsunterrichts führlih die in den Fortbildungsshulen behandelt bat, muß ich diefe Fra. e eingehender erörtern, als es meine Absicht war. Die Folt- bildungs\hule t ein Notbehelf. Wir wollen die einheitliche Ausbildung aller Kinder, fowohl der reihen wie der armen Kinder in der Volksshule bis zum 14. Lebensjahre als Unter- bau für die weitere Ausbildung derjenigen, die eine höhere Schule besudben wollen. Wollten wir eine Politik der Bosheit treiben, so würden wir für den obligatorishen Neligionsunierriht sein, denn damit würde den Schülern die Religion noch mehr ver- efelt werden. Allein eine Politik der Bosheit treiben wtr nicht; wir wollen * nicht, daß der Lehrplan überlastet wird. Was der Abg. Dr. Kaufmann ols Gegenstand des Reltgionsunter- rihts bezeihnet, ist eigentlich nichts weiter als Lebenskunde. Dahinter muß sich doch etwas anderes verstecken. Themata, wie die Entstehung der Welt usro.,, gehören auch nicht in die ortbildungs\hule, fie müssen in der Volkéshule behandelt werden. Sch möchte eine Tarnkappe haben, um zu sehen, wie ein katholischer oder evangelischen Pfarrer über die Abstammung doztiert. Von der Darwinschen Theorie wird da wohl niht die Rede sein. Abg. Kaufmann meinte, den jungen Leuten fehle die Reife des Urteils. Ob durch den RNeligtonsunterrißt das Urteil 1eifer wird, ist doch wohl sehr die Frage. Ein \chönes Kompliment vor dem Meligionsunterriht in der Volksschule, wenn der Junge" in der Fortbildungs\{chule Zweiflern gegenüber hilflos dasteht! Dabei ist der Junge in der Volksschule mit Religtonsunterriht förmlich überfüttert worden. Das ist ein Cin- geständnis, daß die Religion von den Kindern innerlich nicht aufgenommen wird. Das muß am Wesen der Religion und des Religionsunterrihts liegen. Der eigentlihe Zweck des NReligtions- unterrihts ist der Gehorsam gegen die Kirche, dieser foll den jungen Leuten immer noch mehr beigebraht werden, als es {hon in der Velks\chule geschehen ist. Sie sollen zum Dienen erzogen werden, zur Autoritätsfurcht. Natürlich handelt es sich dabet nicht um die Religion, sondern um das, was Sie daraus gemacht haben. Sie haben nicht sowchl dos Soziale des Christentums im Auge als das Dogmatische, d. h. diejenigen Lehren, die die Unterordnung unter die göttliche und irdisch-: Autorität lehren. Wir müssen diesen Untecriht ablehnen, auch den Vermittlungsvorshlag, daß der Religionsunterriht nur fakuïtativ gelehrt werden solle, der be- treffende Pfarrer aber hauptamtlich angestellt werde. Diese Pfarrer hätten gar nihcht genügend zu tun. Es handelt fih hier um den Versuch, den Geistlihen erst einmal in die Forbildungs- shule hineinzubekommen; das weitere soll sich dann schon finden. Wenn der Abg. Kaufmann weiter nichts beabsichtigt, als den fakul- tativen Religionsunterriht in den Fortbildungs\chulen einzuführen, warum stellt denn die Kirhe niht solhe Unterrihtspläne auf und läßt verkünden, daß jeder, der ein Bedürfnis nach MNMe- ligionsunterriht empfindet, ihr willkommen fei? Die Kirche müßte natürli den Unterriht Sonntags abhalten, da den Fortbildungsshulen forst zu viel Zeit verloren gehen würde. Bedenken Sie, daß man mit 14 Jahren religionsmündig wird, und was wollen Sie dann machen, wenn ein vierzehnjähriger junger Mann erklärt, daß er überhaupt an nichts glaube und aus der Landeskirche austrete? Wir Sozialdemokraten beschäftigen uns auch mit den jungen Leuten. Aber wir können keinen jungen Mann zwingen, în unsere Jugendvereine einzutreten. Im Gegenteil, die jungen Leute werden noch durch polizeilichen Zwang gehindert, in unsere Vereine zu kommen. Aber daß troßdem noch so viele in unsere Vereine gehen, beweist doch, daß unser neuer Glaube etwas besser ift, als der Ihrige. Das Fortbildungsschulgeseßz ist nur zu Fall gebraht worden, weil Jhnen Ihre Bestrebungen, den NReligionsunterricht in den Fortbildungsschulen einzuführen, nicht geglückt find. Hoffentlich werden fie Ihnen auch in Zukunft nicht glücken. Wir wollen freie Menschen, und Sie wollen geknechtete Menschen erziehen. „Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben.“ Das ift der Grund, weshalb Sie das Gesetz zu Fall gebracht haben. Der Abz. Lieneweg hat es als schlimm bezeichnet, daß fich die Fortbildungsscüler in Bielefeld niht von ibren Lehrern prügeln lassen wollen, und daß aus diesem Anlasse die Sozialdemokraten in Bielefeld eine große Hete gegen den Leiter der Fortbildungs\hule angezettelt hätten. Das ift eine Unterstellung \{hlimmster Art. Ich habe die betreffenden Vorgänge in Bielereld zwar niht genau verfolgt, aber eins habe ich festgestellt, daß es si hier ledigli um die Frage der Prügelpädagogik handelte und daß das sozialdemokratische Parteiblatt energisch gegen fie Stellung genommen hat. Wer heute nicht versteht, ohne Pcügel zu erziehen, der versteht überhaupt nicht zu erzichen und soll die Finger davon lassen. Es ist nit angebracht, Leute im Alter von 14 bis 17 Jahren noch prügeln zu wollen. Was würden die Lehrer der For1bildungsshulen tun, wenn alle jungen Leute, die geschlagen werden, zurückschlagen? Glauben Sie denn, daß diese Leute weniger Chre haben, als etwa Kadetten? Ih muß mtch dagegen wenden, daß die Fortbildungs\culen zu politishen Zwecken mißbraucht werden. Ich war darüber erstaunt, daß in diesem Jahre bei den Verhant- lungen der Budgetkommission gefordert wurde, daß die Fortbildungs- \hulen für die Zwecke der sogenannten Jugendpflege nußbar gemacht werden sollen. Sie können uns- bezüglich der Jugendpflege kein X für ein U vormachhen. Darüber find wir alle einig, daß die Iugendpflege eine politishe Veranstaltung ist und den Zweck bat, die jungen Leute gegen die Sozialdemokratie aufzuheßen. Mit allem Nachdruck müssen wir dagegen prote|tieren, daß die Forts- bildungsshule für diesen Zweck herangezogen wird. Es ist doch etn sehr fragwürdiges Unternehmen, wenn, wie in Königsberg, programm- mäßig in der Fortbildungsshule die Neichsversicherungsordnung als eine „nationale Großtat“ gefetert werden foll. Sehr auffällig ift ferner, daß während des Unterrichts in manchen dieser Schulen fär die Gründung von besonderen Jugendpflegevereinen agitiert und denjenigen Schülern, die niht mitmachen wollen, mit cinem s{lechten Abgangszeugnis gedroht wird. Es wird sodann für ein Abonnement auf die Zeitung „Fetiecrabend“ ebenfalls in den Unterrichtsstunden Propaganda gemaht. Soweit ist aiso der Mißbrauch in der Ln bildungs\hule gediehen. Ganz neuerdings hat in einer Berliner Fort- bildungs\hule tn der Pappelallee ein O'fizier in Uniform während des Unter: ichts einen Vortrag über die Hereros gehalten und danach für den Pfadfinderbund Reklame gemacht; ein Teil der Zeit ist für diese politishe Propaganda eines Offiziers ohne weiteres ge- fordert worden. Hat sich übrigens die Polizei darum ge- kümmert, ob der Offizier einen Unterrichtserlaubnis\hein hatte?

möchte direkt den Minister danach fragen, denn es wird ihm vielleicht nicht untekannt sein, daß in diesem Punkte wir Sozialdemokraten \chikaniert werden, und es is wichtig, festzustellen, ob und wie mit zweierlei Maß gemessen wird. Auch hier sieht man, wie die sogenannten \taatserhaltenden Parteien alle Staatseinrihtungen für ihre Parteizwecke mißbrauhen; Sie ver- kennen dabei au noch den Begriff des Christentums, das gerade im Gegensaß zu der nationalen Nelegierung des Judentums zum ersten Male den Grundsaß der Internattonalität aufstellte. Der Apostel Paulus sagt auódrücklich: „Da ist weder Jude, noch Heide, noch Grteche.“ Wir werden diese reakttonären Bestrebungen, zu denen ih auch die der in Berlin herrschenden Fortschrittspartei rechne, stets und immer bekämpfen, und wir werden sie überwinden.

(Schluß des Blattes.)

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Wladiwostok wird dem ,W. T. B.“ telegraphiert: Das Gesuch von 13 Mitgliedern der Börse, gelbe Arbeit er zuzulassen, hat den cinmütigen Widerspruch der Gewerbekreise und der Arbeiterbevölkerung hervorgerufen. In einer Versammlung der Vertreter dieser Vereine wurde beschlossen, ein telegraphisches Gesuch an den Ministerpräsidenten und an den Handeléminister um Ab- lehnung dieses Gesuhs und um ausgedehnte Anwendung der Bestim- mungen gegen die Verwendung gelber Arbeitskräfte zu richten. Die Chinesen hätten bereits viele Gebiete des Handels und des Gewerbes an si gerissen. Das Gesuch richte sich direkt gegen die Interessen der russischen Arbeiter.

(Weitere „Statistische Nachrichten" \. i. d. Zweiten Beilage.)

WohlfaHhrtspflege.

Die Berufsvormundschaft in Berlin. Vor einem Jahre hat der Magistrat der Reichshauptstadt die

Einführung der Berufsvormundschaft beschlossen. Die günstigen Er- fahrungen, die man bereits in anderen deutshen Großstädten mit dieser Einrichtung gemacht hatte, konnten für Berlin niht ohne Ein- druck bleiben, werngleich man wohl begreifen kann, daß die eigen- artigen Verhältnisse der Bevölkerung der Reichshauptstadt auch in den Fürsorgefragen oft andere Auffassungen bedingen, ols dies bei anderen Großstadtverwaltungen der Fall ist. Das neue Vormundschaftsamt der Stadt Berlin eröffnete am 1. April 1912 mit drei amtierenden Berufêvorntündern scine Tätigkeit, sodaß am Jahres\{luß der Ueber- blick über eine dreivierteljährige Tätiakeit vorlag. Ueber den Ge- scäfisgang is aus einem in den „Blättern“ der Armenverwaltung (1913, Nr. 1) veröffentlihten Berichte folgendes zu ersehen:

Auf Grund eines Erlasses des Oberpräsidenten haben die Standes- ämter seit dem 1. April 1912 sämtliche Nachrihten von Geburten uneheliher Kinder in Berlin an das Vormundschäftsamt einzureichen. Letzteres läßt in jedem Einzelfalle mit der Mutter des Kindes einen Fragebogen aufnehmen, um diesen, ergänzt durch den Vorschlag eines Bormundes, der Geburtsanzeige beizufügen und an das Vor- mundshaftsgericht weiterzugeben. Bis zum 27. Dezember 1912 wurden über 6500 so ergänzte standesamtlihe Nachrichten abgeführt. Es ist natürlichß fowohl im Interesse von Mutter und Kind als auch für das Vormundschaftsamt erwünsht, daß der Fragebogen und die Wahl des Vormundes {hon vor Eingang der standesamt- lichen Ncchricht erfolgt. In etwa der Hälfie der Fälle konnte dte vor- hertge Erledigung der Fragebogen erfolgen, weil erfreuliherweise dem neuen Amt eine große Zahl Helferinnen zur Verfügung stehen, die sich in den Entbindungsanstalten rechtzeitig mit der Mutter in Verbin- dung seßten; andererseits wirkten die Säuglingsfürsorgestellen in gleihem Sinne hinsihtliß bevorstehender Hausentbtndungen. Es fehlte also der Hälfte der Mütter {on vor ihrer Niederkunft nicht an freundliher und geschulter fürsorgender Teilnahme. Auch bei den erst durch Eingang der standesamtlihen Nachrichten bekannt ge- wordenen Hausentbindungen war die Nat- und Hilfeerteilung der sieben Säuglingsfürsorgestellen sofort bei der Hand, und es ist gewtß gern zuzugeben, daß diefe Berliner Einrichtung einen gewaltigen Fortschritt auf dem Gebiete der Säuglingsfürsorge darstellt. Die Tätigkeit der Helferinnen in den Entbindungsanstalten und Wohnungen erschöpft fich nit in der Aufnahme der Fragebogen und dem Hinweis auf die Säuglingsfürsorgestellen, sondern sie be- mühten sich auch, den Müttern bei der wichtigen Frage der ersten Unterkunft ratend und belfend zur Seite zu stehen.

Einige Zahlenangaben mögen die weitreihende Tätigkeit des Bormundschaftsamts beleuhten: Bis zum -27. Dezember 1912 war in mehr als 3100 Fällen einer der Berufsvormünder als Vormund verpflihtet werden. Bis dahin sind drei Berufsvormünder im Vor- mundschaftsamt tätig gewesen. Die Einstellung eines vierten zum 1. Januar 1915 haite der Magistrat bes{chlossen. Verpflihtungs- termine finden fast an jedem Wodentage statt, doch ist die Einrich- tung getroffen, daß jeder Ritter nur mit einem Berufsvormurd zu tun hat. Auf diese Weise hat es sich ermöglithen lassen, regelmäßig in ganz kurzer Zeit die Bestellung eines Vormundes zu erwirken, währerd früher meist Monate bis zur Bestellung des Vormundes vergingen. Der Bericht hebt hier mit besonderem Dan? hervor, daß die neue Einrichtung seitens sämtlicher beteiligten 24 Berliner Vor- mundschastérihter in weitestgehendem Maße gefördert und unterstüßt wird, sodaß erfreuliherweise hier ein wirklich harmonises Zusammen- arbeiten festgestellt werden kann. Das gleiche Entgegenkommen hat die neue Einrichtung auch bei dem Polizeipräsidenten gefunden. Jeder Berufs- vormund bearbeitet die ihm übertragenen Vormund\caften selbständig, und es fann gesagt werden, daß jede einzelne Vormundschaft au individuell behandelt wird. Der Vormund steht der Mutter an drei Tagen in der WoFe zu mündlihen Besprehungen zur Verfügung. Hiervon wird reichlich Gebrauch gemacht, und es kann ih so ein perfönlihes Band zwishen Vormund und den Angehörigen des Mündels knüpfen. In jedem einzelnen Falle wirkt der Berufs- vormund namentlich darauf hin, daß der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen seinen Erzeuger verfolgt wird. Erkennt der Erzeuger nicht fret- willig die Vaterschaft und seine Unterhaltsverpflihtung an, so wird die Unterhaltsklage erhoben. Höchst bemerkenswert ist hierbei nun aber, daß troß der 3100 Vormundschasten bisher nur etwa 650 Pro- zesse angestrengt werden mußten, in den übrigen Fällen also eine freiwillige Anerkennung der Unterhaltäpfliht erfolgte. Soweit das Verhältnis zwishen Mündelmutter und Erzeuger es gestattet, geben die Berufsvormünder thre Einwilligung dazu, daß der Erzeuger scine Zahlungen direkt an die Mutter oder die Haltefrau leistet. Auch diefe Fälle überwiegen so sehr, daß der Geldverkehr des Vor- mundschaftsamtes bisher verhältnismäßig nicht allzu groß gewesen ist.

Die Mitte Februar beshlossene Vermehrung der städtischen Berliner Säuglingsfürsorgestellen von sieben auf neun \priht dafür, daß das enge Zusammenwirken von Vormundschaftsamt und diesen Stellen weiter ausgebaut wird. Man kann si von diesem Zusammen- arbeiten ein Bild machen, wenn man aus dem Bericht heraus- greift, daß allein im Monat November 1912 von den Helferinnen der Säuglingsfürsorzestellen rund 3800 Hautbesuhe gemacht worden sind und daß im gleihen Zeitraum rund 2600 ärztlihe Vorstellungen von Säugltngen stattfanden. Durch die planmäßige Fürsorge für das uneheliche Kind ist die Nethshauptstadt zweifellos in eine neue fegens- reiche, für das glüdcklihe Zusammenwirken aller beteiligten amtlichen Kreise mit der privaten Ltebestätigkeit zeugende Phase eingetreten.

Im Reichspostgebiet treten vom 1. März ab im Bezirk jeder Oberpostdirektion besondere Krankenkassen für Unterbeamte in Wirksamkeit. Diese Einrichtung entspriht einem langjährigen Wunsche der Postunterbeamten. Die neuen Krankenkassen gewähren in Erkrankungsfällen den Unterbeamten, f\oweit sie nicht kranken- versiherung8pflihtige Mitglieder der Postkrankenkasse find, gegen mäßige Beiträge uad mit Hilfe eines Reichszushusses ärztliche Hilfe, Arznei und Heilmittel für ihre eigene Person und die An- gehörigen ihres Hausstands. Den Unterbeamten is recht- zeitig Gelegenheit gegeben worden, iu dem Entwurf der Satzungen lhre Wünsche zu äußern. Eine gr oße Zahl dieser Wünsche bat bei der endgültigen Feststellung der Saßungen Berücksichtigung gefunden, namentlich auch die freie Arztwahl. Von der Entwicklung der neuen Krankenkassen wird es abhängen, ob sch späterhin au solhe Wünsche verwirklichen lassen, die auf eine Erhöhung der Kassenleistungen und eine Erweiterung des Kreises der anspruhsberechtigten Personen bin- zielen. Beigetreten sind der neuen Einrichtung {hon jeßt 54 000 Unterbeamte und mit Einschluß ihrer Familienmitglieder nahezu 200 000 Personen.

Land- und Forstwirtschaft.

Wie alljährlich während der gleihzeitigen Tagung der Deutschen Landwirtschaftsgesellshaft bielt der „Verein der Spiritus- fabrikanten in Deutschland“ in den leßten Tagen seine ordentlihe Generalversammlung, die einundsechzigite, in Berlin ab. Den Bericht über die Arbeiten des vergangenen Jahres erstattete wle immer der Geheime Regierungsrat, Professor Dr. Delbrüdck, wobet er u. a. ausführte: Eine Uebersicht über die Entwicklung der Hack- frucht-Jndustrie in den leßten 25 Jahren und ein Rüblick empfiehlt sich gerade in diesem Augenblick, weil ebenso lange die Herrschaft des im leßten Jahre beseitigten Spirituskonting?ntes bestanden fat. Die Hackfruht-Industrien sind notwendia, damit der Uebers{huß der Ernten sicher verwertet werden kann. Diese Ernten, Zuckerrüben und Kartoffeln zusammen, übertreffen, auf Trockensubstanz berehnet, die Brotgetreideernte um 2 Millionen Tonnen. In ihnen liegt die landwictschaftlihe Ueberlegenheit. Deutschlands über die benahbarten Völker. Die Zuckerrüben gehen sämtlih an die Judustrie. Von der Kartoffelernte dagegen werden nur 10 % (im Osten eiwa das Doppelte) von Fabriken auf- genommen. In den vergangenen 25 Jahren hat die Rübenernte si fast verdoppelt, die Kartoffelernte bleibt nicht weit dahinter zurück. Allein während die Rübenzuckerindustrie ihre Produktion entwickelt hat, kann dies von der Kartoffelindustrie niht gesagt werden. Sie wurde durch die Branntweinbesteuerung gehemmt. Das Quantum Kartoffeln, das die Brennereien nehmen, ist z. Zt. nicht größer als vor 25 Jahren. Nur die Stärkeindustrie hat fh gehoben, und mit 9 Millionen Doppelzentnern ist die Kartoffeltrocknerei neu hinzugetreten. Entsprechend stellt fich der Konsum der Fabrikate. Der Zuckerverbrauch ist von 7 auf 21 kg auf den Kopf der Bevölkerung gestiegen, der Verbrauch an Trinkbranntwein von 6,2 auf 3 1 auf den Kopf ge- fallen. So befriedigend die Entwicklung des WVerbrauhs an Spiritus für technische Zwecke war (von 0,32 auf 2,3 1 auf den Kopf), der Gesamtverbrau}h von Spiritus ging um 1 1 pro Kopf zurück. Der Verbrauch an Stärkezucker hat sich zwar ver- doppelt, bleibt aber hinter dem der Vereinigten Staaten erheblich zurück, in Deutschland 1,1 kg, dort 4,8 kg pro Kopf der Bevölkerung. Große Verluste durch Fäulnis haben das nase Jahr 1912 und der vorzeitige Frost der Kartoffelernte gebraht. Geeignete Trockner waren niht überall zur Verfügung. Hier is ein Wandel dringend zu empfehlen. Wir bedürfen der Aufstellung von Allestrocknern neben den der Herstellung von Qualitätsware (Kartoffelfloken) dicnenden Trocknern, Allestrockner nämli, die neben Kartoffeln auch Kartoffel- kraut und Nübenblätter sowie nasses Getreide zu trocknen vermögen. Das ideale Ziel bleibt, auch Getreide im Stroh rentabel tn einfacher Weise zu trocknen. Es wird nicht unerreihbar sein. Aber auch die Einsäuerung der Futtermittel {eint fich zu enlwickeln. Gelingt eé, die Kaltmtilh\säurebazillen als Impsmaterial einzuführen, dann wird auch das Einsäueren von Kartoffeln ausgeführt werden können. Das Institut für Gärungsgewerbe hat im Jahre 1912 nicht weniger als. 21817 JImpfkulturen von Milchsäurebakterien verschiedener Artabgegeben. Auf 31 Feldern sind wiederum Anbauversuhe ausgeführt worden. Die Fütterungsversuhe haben cinen großen Umfang angenommen. Zeitweise hatte der Bestand von großen Tieren in der betreffenden Abteilung des Instituts die Zahl 56 erreiht. Das Hauptinteresse besteht für die Versuche mit Schlempe und Hefe. Die Versuchsessig- fabrik ist völlig umgebaut worden. Es wird jeßt durchweg mit Neinzuchtessigbakterien gearbeitet und hiervon eine Betriebs- verbesserung für die deutshe Gärungsesfigindustrie erwartet. —— Die Trinkbranntweinfrage hat nach verschiedenen Richtungen Be- arbeltung gefunden. In der ernährungsphysiologischen Abteilung wurden die Bedingungen e1mittelt, unter denen die Schädigung des Alkoholgenufses am wenigsten hervortritt und eine gute Ausnußung des EGnergiegehalts für den Körper zur Geltung gelangt. Besondere Sorgfalt wurde der Reinheit des Trinkbrannt- weins gewidmet. 2105 Proben aus Städten mit über 30000 Ein- wohnern ergaben, daß auh die ordiniren Tuinkbranntweine nur selten verunreintgt find, ihre Stärke aber weiter im Rückgang begriffen ist. Ein interessantes Ergebnis ist, daß reiner Kartoffel- branntwein nur durch eigenartige Lagerung, ohne irgend welhe Zusäße, ein dem amerikanishen Whisky gleich- wertiges Fabrikat liefert. Durch die Abteilung für Trinkbrannt- wein am Institut für Gärungsögewerbe, der die 200 ersten Likör- fabrikanten Deuts{lands angehören, ist nachgewiesen, daß es ein tôörihtes Vorurteil is, daß LTrinkbranntweine nur edel sein könnten, wenn fie aus dem Auslande kommen. Die deutsche Edellikörfabrikation steht in hoher Blüte. Zum Schluß wies der Berichterstatter noch darauf bin, daß die diesjährige Generalversamm- lung die 40. seit dem Beginne der neuen Technologie des Brannt- weingewerbes ist. Denn am 19. Februar 1873 hat Geheimrat Maercker seinen ersten Bericht über Brennereiuntersuhungen erstattet und Herr Henze die Erfindung des inzwishen über die ganze Erde verbretteten Henze-Dämpfers mitgeteilt. Die vg Ain: e Ent- wicklung in diesen 40 Jahren ist eine glänzende gewesen. Nicht ausgeschlossen it die Möglichkeit einer neuen Entwicklung, die fih ganz anderer Mittel der Gärung bedienen wird.

Nach der Erstattung des Jahresberichts spra Negierungsrat a. D. Kreth (Berlin) über die wirt schaftlihe Lage des Brennerci- gewerbes: Das Jahr 1912 brate einen sehr |chlechten, regnerishen Sommer, einen ungewöhnlich zeitigen Frost und infolgedessen starke Verluste an der Kartoffelernte durch Fäulnis. Hinzu trat eine neue Belastung des Gewerbes durch die Aufhebung des Kontingents. Es war schwierig, für diese Sachlage das Richtige in der Leitung der in. der Spirituszentrale vereinigten Interessen zu treffen. Die Versuchung lag schr nahe; die Spritpreise weiter zu erhöhen. Es geschah nicht, obgleich es einen Augenblick gab, in dem die Leitung im Zwetfel war, ob sie mit der Ablehnung neuer Erhöhungen den richtigen Weg eingeshlagen habe. Das war, als die Brenner zu erhöhten Lieferungen aufgefordert wurden und es anfänglih \chien, als ob dieser Ruf unbeachtet bieibe. Aber \{ließlih täuschte das Vertrauen zu den Brennern niht: der Bedarf konnte durch verstärkte Produktion glatt gedeckt werden. Nun aber wurde aus Abnehmerkreisen der Wunsch einer Ermäßigung des Spritpreises laut. Es ist auch dieser Forderung gegenüber am Preise festgehalten worden, weil eine Ermäßigung des Preises in diesem Moment viele geschädigt hätte, die zu dem höberen Preite {hon gekauft batten. Die Schwierigkeiten der Uebergangszeit 1911/12 dürften jett als über- wunden gelten; aber die wirishaftlihen Folgen sind unerfreuli: Der Rückgang des Trinkbranntweinkonsums hält an, und die Na(- wirkungen des immerhin hohen Preises werden s|{ch noch lange füblbar machen. Durch die Aufhebung des Kon- tingents sind in erster Reibe die Brenner ges{chädiat. Die Leltung wird Verbesserung der Zustände zu bringen trachten durch den Ausbau des genossenschaftlihen Gedankens unter den Brennern und durch Festigung der Organisation. Eine bald zur Entscheidung drängende Frage ist die Verlängerung der Geltungszeit des Syndikatsvertrags, die ihrem Ablauf nabe ist. Es wird feitens der Zentrale in Kürze mit Vorschläzen darüber an die Mitglieder des Vereins hberangetreten werden. In dem ih an diesen Bericht anschließenden Meinungsaustausch wurde von einem an seiner Kartoffelernte schwer geshädigten Rittergutsbesitzer die Frage angeregt, ob niht zur Aufrehterhaltung des Brennereibetriebs felbit- geernteter Roggen gebrannt werden dürfe. Die Frage wurde jedoh unter Hinweis auf das Gefeß, das die Kornbrennerei dem Gewerbe vorbebalte und nur bei {weren Notständen eine Ausnahme gestatte, entschieden verneint.

Am zweiten Verbandlungstage folgten technishe Erörterungen. Professor Dr. von Eckenbrecher hielt einen Vortrag über „fünf« UNEGRIA, Jahre Kartoffelanbauversuhe“ und über die Ergernisse der im Jahre 1912 unternommenen Anbauyersue der Deutschen Kartoffelkulturstation, der ein erfreulißes Bild von dem binsicht- lih des Ertrages und des Stärkegehaltes der Kartoffel dur geeignete Sortenwabl seit 1888 erreihten großen For!s{ritte gewährte. Im

vorigen Jahre wurden Anbauversuhe mit 20 Sorten aubgefühbrt.

S E T E