1913 / 50 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 26 Feb 1913 18:00:01 GMT) scan diff

__ Von dem Abg. Grafen We si arp (dkons.) ist der Antrag eingegangen, eventuell über den Antrag auf Gültigkeitserklärung der Wahl namentlih abzustimmen.

Abg Schwarze - Lippstadt (Zentr.) tritt für den Antrag der Komumijsion ‘ein.

Abg. Dex. Arendt (Np.): In Groß Wudike sollen amtliche Wakhlbezinflufsungen vorgekommen sein, und dies ist als unrichtig nachgewiesen worden. Im Falle Sprendlingen hat die Kommission jede Konsequenz abgelehnt, im Falle Groß Wudicke hat sie die Differenz der Stimmen abgezogen. Gerade von meinem Staudpunkte aus bin ih berechtigt in diesem Falle für die Ungültigkett zu stimmen.

__ Abg. Dr. von Veit (dkonf.): Der Fall liegt hier ähnlich wie bei dér Wabl in Sprendlingen. Zweifellos haben grobe Verstöße gegen das Wahlreglement stattgefunden. Was Groß Wudicke be- trifft, so hat der Abg. Neißhaus den Fall zu {aztf beurteilt. Es kommt darauf an, was der ominöfe Wahl- und Amtsvorsteher und der ominöse Amtsdiener eidlih ausgesagt haben. Von einer amtlihèn

Wakhlbeeinflussung kann dana keine Nede sein. Der Amitsdiener hat niemals von dem Amtsvorsteher eine Anweisung erhalten, s durch Verteilung von Stimmzetteln zu betätigen, und hat ai keine Amts- t getragen. Jch bitte, den Antrag Albrecht und Genossen ab- zulehnen und dem Antrage der Wablprüfungskommission zuzustimmen.

Abg. Neumann- Hofer (fortschr. Volksp.): Das Resultat der vorigen Abstimmung ist allein auf die Stimmenthaltung des Kollegen Haupt zurüczusühren. Der Fall in Groß Wudicke ist sicher anitliche Wahlbeeinflussung. Die Kommifsion hat jedo keine Folgen zugunsten des Abg. Neißhaus gezogen, weil die Behauptungen in etnem Gegenprotest standen und es Praxis der Kommission ift, in ‘folchen Fällen auf Schluß folgerungen zu- verzichten. Jch erinnere nur an die Wahl des Abg. Kop\h. Ver Ausfall der Absttmmung über die Wahl des Abg. Becker bestimmt mich, dem _Antrag- Albrecht ¿uzustimmen, die ganze Angelegenheit der Kommission . noch einmal zur Nachprüfung zu überweisen. Auch da hat sich das Haus in Gegensaß zur Mehrheit der Kommission gestellt. L

Abg. Smidt - Meißen (Soz.): Die Unregelmäßigkeiten in Möckèrn hat die Kommission gemißbilligt. Aber sie war ih nicht völlig élnig, ob alle 26 Stimmen und niht nur 6 von dem Ergebnis abzuziehen sind. Es “is untrihtig, daß es ständige Praxis der Wahlprüfungskommission ist, “aus Gegen- prötestén keine Folgerungen zu ziehen. Es händelt sih hier auch um gâr keinen Gegenprotest, da die Einsender gar niht auf den Protest Bezug nähmnèn. Der amtlihe Charakter der Kandidatur Byërn ift bädurh erwiesen, däß der Amts- und Wahlvorstehber von Groß- Wüdicke könservative Wahlzettel an die Gémeindevorsteher ver- s{icktc und dür einen Beisißer neue herbeiholen ließ. Die ganze Angelegenheit muß deshalb noch einmal nachgeprüft werden.

Dèr Antrag Albreht wird dahin abgeändert, daß nur verlangt wird, die Beratung auszusegen und die Angelegenheit noch einmal in der Kommission zu prüfen.

Nach einigen weiteren Ausführungen des Abg. Sch warze- Lippstadt schließt die Beratung. /

Die Sozialdemokraten modifizieren ihren Autrag dahin, die Wahl dés Abg. Haupt zur nochmaligen Berichterstattung in die Konimission zurückzuverweisen. :

Diesér Antrag wird in namentliher Abstimmung mit 170 gegen 142 Stimmen angenommen.

Vóôn dén auf der Tagesordnung stehenden Berichten der Petitionskfommission erledigt das Haus darauf noch diejenigen, zu denen feine Wortmeldungen oder Anträge vorliegen.

Die Petitionen wegen reichsgeseßliher Regelung der Wander- fürsorge und wegen beévorzugter Berücksichtigung des Kleingewerbes vor den Strafanstalten bei Vergebung von Arbeiten für die ‘Heeres- verwaltung werden dem Reichskanzler zur Berüsichtigung über- wiesen.

Eine Petition betreffend Einführung eines Befähigungs- nahweises für Tanzlehrer wird dem Reichskanzler zur Kenntnisnahme überwiesen.

Als Material überweist das Haus cine Petition wegen Aende- rung der Bestimmungen der Gewerbeordnung über den Legititnations- kartenzwang.

Schluß gegen 63/4, Uhr.

( Nächste Sizung Mittwo ch 1 Uhr. (Antrag Bassermann, betreffend das Submissions- wésen; Antrag von -Normann, betreffend die Belegung kleiner Städte mit Garnisonen, Gewährung fréier Fahrkarten an Militärurlauber usw. und Petitionen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 140. Sißung vom 25. Februar 1913, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von „Wolffs Telegraphishem Bureau“.)

Ueber den Beginn der Sißung, in der die zweite Beratung des Etats der Handels- und Gewerbeverwaltung bei den Zuschüssen zur Einrichtung und Unterhaltung der Fortbildungsschulen fortgeseßt wird, ist in ‘der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Nach dem Abg. Borchardt (Soz.) erhält das Wort

Abg. Freiherr von Nichthofen (kons.): Mit dem Vorredner über die Bedeutung der Religion zu streiten, wäre vergeblidze Mühe; wir würden uns mit dem Übz. Borchardt doch aicht ver\tändigen. Der Apostel Paulus würde das zitierte Schriftwort vielleicht doch anders auslegen und vtelleicht auch ganz andere Worte gegen die ge- brauchen, die fih von dem Christentum abgekchrt haben. Zweifellos ist tn den sozialdemokratishen Kreisen eine erheblihe Feindschaft gégen die Religion vo handen, die ch allerdings dem Volke gegenüber hinter dem Deckmantel: „Reltgton ist Privatsache“, verbtrgt, was fn Wirklichkeit heißt: „Antireligion- ist Parteisahe“. W-6s die „Unter- ordnung“, die „Botmäßigkeit“ angeht, die in den Fortbildüungs\{hulen gelehrt werden soll, fo bemerke ich nur, däß gerade die Sözial- demokraten eine Unterordnung der Jugend erstreben, die ciner Klassen- \klaverei gleiht, fie wollen verhinoern, daß andere an die Jugend heränkömmen, sie wollen die Jugend vérgiften, in ihre N te ein- fangen, sie wollen diejenigen ausscalten, die noch Mittel haben, um religiós auf die Jugend einzuwirken; das ist der Zweck ihrer Agitation. Nicht die reaktionärèn Parteien, zu denen der Abg. Borchardt zu meiner Freude auch die Fortschrittspartei re{hnet, wollen die Staatseinrihtungen in ihren Dienst stellen. Keine Partei tut das in einem solchen Grate, wié die Sozialdemo- kratèn, die die ganze Neichsversiherung8geseßgcbung zu ihrer Domäne machen, die ihre ganze Organisation darauf zugeschnitten haben (Abg. Dit. Liebknecht: Sie gehören in den Zirkus! Vüepräsident Dr. Krause ruft den Abg. Dr. Liebknecht wegen dieses Zwischenrufs zur Ordnung). Je mehr das Abgeordnetenhaus setnem natürlichen Ende entgegengeht, desto mehr scheint die Neigung zur Legenden- bildung zu wachsen. So werden jeßt über unsere Stellung zum R Mg ge rurs, der uns vor zwei Jahren vorlag, ehauptungen verbreitet, die geradezu als Fabeln zu be- zeichnen sind. Jh nehme zur Chre dés Abg. Wenke an, daß sein Gedächtnis furz ist, sonst hätte ec am Sonnabend nicht behaupten können, die Konservativen Hätten damals, im März 1911, das Geseß zum Nachteil unserer Handwerkerkreise zu Falle gebracht In der Begründung des Entwurfs war ausdrückl:ch gesagt, der Zweck sei, neben déx nötigen fachmännischen Ausbildung aud die va'er- ländische und sittliche Gesinnung zu kräftigen. Da glaubtéên meine reunde, baß gérabe der Réligiónsunterriht das Gebiet set, auf dem diese Féstigüng erfolgén könnte; wir sagten ins, der \taatsbürgerliche

F Sis,

Unterricht allein kann dieses Ziel niht erreihen. Es kam dazu, daß in diesen Fortbildunäss{ülen do auch die Méñge der üngelernten Arbeitér Aufnahme finden sollte, diè niht unterrichtet werden sollten, um Handwêrkêr zu werden, sondern die noch etwas lérnen sollten, was sie auf ihrèm weiteren Lben*wege brauen fönnten, und da strebten wir dasselbe än, was ain Sonnabend Dr. Kaufmann fo großzügig dargelegt hat, n‘cht cine dogmatis{e S{ulung, fondern eine praktifhe Lebensfultur. Wir haben auf Grund der Beratungen in der Kommission die Forderungen der CEinfüßrung des obligatorischen Religionsuntèrrihts aufgegeben, da tvir eingesehen baben, daß er große techn]che Shwiecig- keiten bereiten würde, wenu man in der-ganzen Monarchie mit einem Schlage den Religionsunterricht in den Fortbildungsschulen obligatorisch machên wollte. Deshalb haben wir uns in der zweiten Lesung auf dên Ankrag geeinigt, den NReligfonsunterrit nicht obligatoris{, sondern fafultativ zu maGezn. Datnit hat {h auch die Regierung ein- vérstanden erklärt. Es bestéhen abèr auch nach einer anderen Richtung bin Differenzèn. Der Hauptdifferenzpunkt war die Frage, ob die jungen Leute, die von dem Religións ‘nterri{ht fortbleiben, bestraft werden folltén oder nicht und ob dem Unterrichtäminister eine Einwirkung auf bie Ausfühiung des Geseges zuteil werdet sollte. Nach eingehender Prüfung diéser beiden Fragen find wir zu dem Resultat gekommen, daß die Schüler {traffrei bleiben follken, wenn die Eltern, Vormünder oter Lebrheïrren damit einverstanden sind, daß die Schüler dem MNe- ligiöonsuntérrichßt fernbléiben. In der jebigen Zeit ilt es dringend noiwendig, die Autorität der Eltern und Vormünder zu stärken. Wir könnén es nit in das Grmcssen des Schülers stellen, ob er dem Neligionéuntkerriht fernbleiben will oder niht. Was die Zuständig- keit des Unterrichtsministers anlangt, so haben wir ausdrüdlih betont, - daß die Fortbildurgès{hulen unter dem Ressort des Handels- ministers bleiben \ollen. Wir wollten dem Unterrichtsministec nur etne gewisse Mitwirkung verschaffen. Der Handel8minister hat aller- dings gesagt, daß er dem nicht zustiumen könne. So ist das Geseß gescheitert. JIch glaube aber, die Differenzen find keineswegs un- überbrücbar. Gerate durch die zerseßende Tätigkeit dèr Sozial- demoträtie is es dringend notwendig, die Jugend zu belehren. Ich glaube, daß sich daher wobl cine Cinigung erzielen lassen wird, die auch die Zusttmmung der Liberalen fiuden wird. Jh hoffe, daß die Arbeit der Kommission vor 2 Jahren nicht vergebens gewesen ist, und daß wir doch einmal zu èinem geeigneten Fortbildungss{hulgesetz kommen werden zum Besten unseres Vaterlandes.

Die Debatte wird geschlossen.

Persönlich bemerkt

Abg. Borchardt (Soz): Dur den S{hluß der Debatte bin ih leider verhindert, nachzuweisen, daß es falsch ist, wenn der Vor- redner sagt, ih hâtte die Religion als e1was Verächtliches hingestellt. Es iît ebenfalls unrichtig, daß die Sozialdemokratie Feindschaft gegen die Religion hege, daß das Antichristentum Parteisahe ter Sozial- demokratie sei.

Bei den Zuschüssen zur Unterhaltung der vom Staate und von andêten genmeinschaftlich zu unterhaltenden untd der von Dritten zu unterhaltenden Fachshulen weist

Abg Thurm (fortshr. Volksp.) auf die Wichtigkeit der Förde- rung des heimis{hen Flachébaues hin und bittet die Negierung um größere Förderung und Bermehrung der Fachschulen für Textilindustrie. Die landwirtschaitlihen Wintershulen und auch die VBolkss{ulèn müßten es sich angelegen sein lassen, auf die große Wichtigkeit des Flachsbaues hinzuweisen.

Abg. von Strombeck (Zentr.): Der große Aufs{chwung der Industrie in den leßten Fahren i1t hauptsähiich der tatkräftigen Untér- stüßung der Staatsregierung in bezug äuf- das gewerblihe Unter- rihtswesen und des tehnifchen Hochshulwesens zu verdanken. Für dén Mittelstand, die kleinen Gewerbetietbenden, kann dur Fahschulen noch manches geschehen, denn es handelt 'sich darum, das Handroërk gegenübèér den großen Untérnehmüngen konfurrenzfähig zu erhalten. Dies kann auch ges{chehen durch Förtcrung dés Genossenschaftswefens. Einem Stönd it bisher keine Förderung zuteil gewo:den, dem Hausiererständ. Daß sich in ihm vicle verlotterte Elemente befinden, ist zuzugeben, es gibt aber in ihm auch zahlreihe ehrlihe und an- ständige Elemente. Ich denke dabet namentlich an das Gichsfeld. Es wäre eine Härte, ihnèn dêèn Beruf noch mehr zu erschweren. Wenn der Wandergéwerbeschein nur denjenigen gegebèn werden follte, die keine harte Arbeit leisten können, so würde Tausenden vön Hausierern die Möglichkeit abgeschnitten werden, ihre Familien zu “ernähren. Ebenso bedenklich wäre es, die Gewährung des Wandergewerbes{etnes bon ‘der Bédürfnisfräge abhängig zu maGen. Wer foll denn darüber entscheiden. In vielen Gegenden ist dér Hausierer ntcht eine Plage, fondern eine Wobltat. Der Gruadsag „leben und lebën lassen“ solite au{ch für diésen Teil des Mittelstandes gelten.

Abg. Wenke (fortschr. Volksp.): Für die Hol;shnißschule in Warmbrunn werden in dem diesjährigen Etat 5500 46 mehr gefordert äls bisher. In der Begründung hetßt es, es soll eine Einschränkung des Werkstattbetriebs, Erweite Uung des theoretishen Unterrichts, Neu- régelung der Finanzverhältnisse und etatsmäßige Anstellung einiger Lehrer stattfinden. Die Schule ist eine Fachshule für Holzs{niter. Eine Kunstgewerbeschule hat dein Stifter nicht vorges{webt. Es wird nun darüber geklagt, daß diese Schule den Handwerkern und felb- ständigen Holzshnitern große Konkurrenz macht, da sie sich zu einem fäbrikmäßigen Betriebe entwickelt hat. Es {st bedauerlih, wenn Fach- \chulen und Kunstgewerbe{Gulen vom Staate derartig mit Aufträgen verseben werden, daß dadurch die im freien Wettbewerb stehenden Meiiter geschädigt werden. Ferner wird darübèr geklagt, daß die Lehrer derarti,„er Schulèn viel zu viel Privatarbéit haben, die ebenfalls eine Schädigung der Privatunterneßbmungen bedeutet. Es wird nun ge- fordert, daß au selbständige Meister in das Kuratorium hinein- kommen. Die Fach- und Förtbildüngöshulen haben unter ter Liturg des Handelsministers eine fehr eifreulide Entwicklung genommen. Bon dér Hineinziehung des Kultusrniniskeriums in die Leitung ver- sprechen wir uns gar nichts und sind deshalb dagegen. Bezüglich der Frage der Hausierèr {ließe ih mich der Metnung des Vorredners an. Es gibt doch eine ganze Reibe von Leuten, die in landitrt- \haftilich ungünstigen Gegenden wohnen und die sich gern dem Hausicrerberufe zuwenden. Es ist festgeitellt, daß in einzelnen Kolonten der Hauüfsterer ein gern gesehener Gast ist.

Ein NRegierungskommissar: Wir fordern in diesem Etat eine höhere Summe für die Holz;shnißs{chule in Warmbrunn, weil wir mit Hilfe dieser Gelder în der Lige sind, den Werkstatt- be:rieb einzushränken. Die Lehrer dürfen unter keinen Umständen in einen Wettbewerb ‘mit den Handwerkern eintretèn. Andererseits muß man auch anerkénnen, daß, wenn die Lehrer ihre Tätigkeit rihtig aus- üben follen, sie in der Praxts bleiten müssen.

Abg. Eickhoff (forts@r Volksp.): Den Ausführungen des Abg. von Strombeck über die Hausßfierer im Eichsfeld {ließe tch mich an. Es wäre besser, wenn man aus der Fahshule in Wermels- ftithen etne Staatsanstalt macht, da die Finauzlaae der Stadt fehr ungünstig ist uüd der Hauptindustriczweig, die Seidenbandwirkerei, im Ausiterben begriffen i1t. Ein Neubau dieser Schule erweist {ih als erforderli* Die Auslagen für die Schule sind deshalb so große, weil zur Geineinde außer der Stadt noch 58 Av»fenorte gehören.

Die Stadt sieht fich außerstande, die großen Lasten für die Schule zu

trägen, da fie von ihr selbst wenig Nußen hat und nur wênig Ein- heimische die Schule besuchen.

Abg. Cassel (fortschr. Volksp.) wünscht, daß die Lehrer der Berlinêr Baugewerksshule ebenso gestellt werden wie die der staat- lien Anstalten.

Geheimer Oberregierungsrat Dönhoff: Es ist der Regierung woh! bekannt, daß fi die Städt Wermelskirchèn in einer ungünstigen Finanzlage befindet. Deshalb ist ja im verflossenen Jahre ein ertöhter

uschuß in dén Etat eingestellt worden. Eine Verstaatlichung der Schule ann nicht stättfinden, aber es werben -dèr Stadt nach Möglichkeit die Lasten erleichtert werdèn. Was den Wunsh des Abgeordneten Cassel betrifft, fo hat dex Ministèr {hon darauf bezügliGe Vérhand- litngen aufgenommen,

___ Bei den Ausgaben zur Förderung der Haus- industrie durch Schul- und Wanderunterricht usw. tritt

Abg. von Strombeck (Zentr.) für die Förderung d : 3, industrie im Eichsfelde ein. f 5 g der Haus

Bei den Zuschüssen zu den Veranstaltungen der Handwerkskammern und anderer Körper- schaften zur Hebung des Kleingewerbes bemerkt

Abg. Lieneweg (kons.): Die Handwerkskammern haben die Hauptaufgabe, das Lehrlingêwesen zu heben, Innungen zu gründen, ein vertrauensvolles Verhältnis zwishen Meister und Gesellen herbei- zuführen und für die gewerbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge zu sorgen. Ferner liegt ihnen die Entscheidung von Streitigkeiten zwishen Innungen ob. An Stelle der Erziehung und Ausbildung der Lehrlinge hat mehr und mehr die Ausnußzung derselben Platz ge- griffen. Diese Erscheinung ift bis in die neuere Zeit von den Hand- wéerkskammern immer nvch beobachtet worden. Erst nah der Ein- schränkung der zügellosen Gewerbefretheit von 1869 sind einigermaßen geordnete Zustände im Handwerk herbeigeführt worden. Das gesamte Handwerk? müßte den Männern und Parteien dankbar sein, die feiner- zeit das Handwerksgesey von 1897 autêgearbeitet, eingebracht und be- {lossen haben. Sie hatten lange Votber zielbewußt erkannt, daß es eine staatserhaltende Notwendigkeit sei, daß man den Handwerker- stand erhält. Anfängs war man in Handwerkcrkreisen von dem neuen ees nicht fo fehr erbaitt, denn die Handweiksinnungen mußten zu der Existenz der Handwerkskammern einen Beitrag zahlen. Aber nah ünd nach, als sog. Vertretèrtage eingerichtet wurden, wo die Haudwerker ihre Meinung frei äußern konnten, shwand das Mißtrauen immer mehr. Die Handwerkskammern haben es auch im großen und ganzen ver- standen, fi verdient zu machen und da, wo es notwendig wax, auch einzugreifen. Sie haben hie und da aufgeklärt, Versammlungen abgehalten, Innungen gegründet, Buchführungskurse und Fachkurse abgehalten. Es wurden Einziehungsämter gegründet für ausstehende Forderungen. Ferner wurdén Kranken- und Sterbekafsen ins Leben gerufen usw. usw. Dén Handwerksmeistern, die tagsüber mit ihrer Arbeit beschäftigt sind, ist Gelegenheit geboten, {h abends in ihrein Fah auszubilden und Neuerungen in ihrem Fah kennen zu lernen. Nah Prüfung der Lehtiverträgé wird jeden Lehrling von der Handwerskämmer ein kleines Büchlein ausgehändigt, in dem seine Verpflichtungen gegenüber dem . Mefster enthalten find, und welches gleichzeitig auf die Lehrlings- prüfung vorbereitet. Außerdem erhält jeder Lehrwmeister eine Zusamtnenstellung der Vorschriflen uud Bltmungen über das Lehrlingswesen und über die Lehrlings- und Gesellenprüfung. Inzwischen hat man auch den Anfang gemacht, für sämtliche Ge- werbe Lebrbüicher zwecks Fortbildung anzufertigen. Für das Leöorlings8- und Gesellenwesen werden von dem Handwerk große Aufwendungen gemacht. Diese Aufwendungen bleiben nicht ohne Erfolg, wenn auch nur höchstens der dritte Teil der ausgebildeten Lehrlinge im Handwerk bleibt. Der größte Teil déèr Gesellenshaft geht in Fabrikbetriebe über. Die ausgedehnten Eisenbahnanlagen mit den vielen Werksiätten, - die Arbeiîtér mit handwerksmäßiger Ausbildung haben müssen, die Bauverwaltung und vor allen Dingen unsere Reichsmarine braüthen jährlihß eine große Anzahl ausgelernter Hand- werksgesellen. Dadurh werden dem Handwerk die tüchtigsten und besten Gesellen entzogen. Wir freuen uns, daß wir auf diese Weise dem Staat dienen können. Wir sind auch nit darüber unzufrieden, daß ein Teil der tüchtigen Handwerker in Fabrikbctriebe übergeht. Aber wir dürfen doch wohl den slillen Wunsch äußern, daß dem Handwerk, weil es fo große Leistungen übernommen hat, ein Teil feiner Aufwendungen wieder zurückerftattet wird. Dics ift um so mehr erforderli&, weil die Existenz der Handwerker durch die Erfindung neuer Maschinen immer mehr ers{hwert wird. Es i} vor allem nôtig, daß man dem Han-werk mehr Quälitätsarbeit überträgt, damit es seine Gesellen damit ausbilden fann. Daran fehlt es in vielen Fällen. Besonders das Schlosse gewerbe follte noch mehr gefördert werden, damit cs fkünstlerishe Arbeiten beim Hausbau machèn kann. Das S@Whlossérgewerbe leidet sehr unter der Massen- fabrikation. Durch den kleinen Befähigungsnahweis hat die Zahl rér Meisterp üfungen {#{ch wesentli vermehrt; besondérs er- freulih ist es, den Eifer zu sêhen, mit weélchem fich die jungen Meister auf die Prüfung vorbereiten. Hinsichtlih der Preise für die Handwerkserzeugnisse haben wir unter Zuziehung der Sath- verstandigen aus der Negterung Ermittlungen angestellt. Bei einem Staatsbau in Bielefeld haben je drei Meister für die einzelnen Gewerbe angemessene Preise für die erforderlihen Arbeiten feitgeseßt, darauf wurden die für dite Arbeiten eingegangenen Offerten geöffnet, und der Zuschlag wurde derjenigen Offerte erteilt, die ten festgeseßten angemessenen Preisen am nächsten kam. Offerten, deren Preise um 10% darüber oder darunter gingen, wurden überhaupt nicht berück- sichtigt. Von einem folhen Verfahren, angemessene Preise festzu- setzen, versprehé i{ch mir sehr viel für das Handwerk. Der angemessene Preis muß natürli unter Rücksicht auf ‘die örtlihen Verhältnisse festgelegt werden, Die Scchmußzkonkurrenz werdêèn wir auf diese Welse bekämpfen können. In dem staatlihen Submissionswesen herrshen nech immer viele Mängel. Ich freue mi, daß der Minister fich dem Gedanken der Sub- missionsätnter freundliß geaenüberst-lli und sogar Mittel dafür in Aussicht gestellt hat. Die : Bielefelder Handwerkskammer hat bereits 1500 \# zur Vildung eines Submissionsamtes zur Ver- fügung gestellt. Das Suüubmissionsamt foll den Handwerkern bei dér Aufstellung ihrer Offerten mit seinem Nat zur Seite stehen, es soll der Vermittler zwischen dem Auftraggeber und dem Handwerker sein. Es ist gerade Sache der Han-werkskammern, Submissions- ämter einzuseßen; ein staatlihés Submissionsgamt würde ein zu \{werfälliger Apparat sein. Dié Handwerkskammern “haben bisher ihre Pflicht getan, um das Handwerk zu heben, und werden es auch in Zukunft tun. Die Bälereiverordnung hat mit Necht viel Staub aufgewirbelt. Ein Honigkuhenbäcker in meinem Wahlkreis hat RNäumlichkeiteu, die durchaus der Bä{kereiverordnung entsprethen, aber cr hat in einem Keller nében einem Honigkuchentrog eine Knet- maschine zu stehen; diese Näume hat ‘r \{licßen müssen, weil dic Knétmaschine ‘ein bis zwei Stunden täglih dort arbeitet. Jch bitte das Ministerium, in diesem Falle Milde walten zu lass-n. Dás Ministerium sollte ferner endl'@ zu einer Lösung der Frage der Unterscheidung zwishen Handwerk und Fabrik kommen. Verschiedene Handwerker in meinem Bezirk haben die Aufforderung erhalten, fh in das Handelsregister eintragen zu lassen. Das ist eine große Er- \{chwerung für das Handwerk, abgesehen von den Gebübren. Jch bitte, auch bter Milde walten zu A, damit das Handwerk ‘erhalten verden fann.

Abg. W enke (sorts{r. Volksp.): Von oben herab wird versucht, die freien Innnngen zu Zwangsinnungen umzugestalten. Die Freien Inningèi sind aber segensreiche Einrichtungen. "Wenn alle Innungeit freie Innungen fein würden, wäre der ganze § 100g hinfällig. Ein Kaufmann in Nadevormwald, der nur hin und wieder cinmal eincn Anzug liefert, wurde gezwungén, der Zwangéöschneiderinnung tn Lennep beizutreten, Daß eln folcher Mann nicht geräde mit Freuden in die Innung hineingeht, ist erklärlih. Der Besuch der Zwangsinnungen wird aber durch hohe Geldstrafen er- zwüngen. In Niederschlesien geht die Eisenbahnverwaltung bei Vergebungen ‘nit rihtig ‘vor, dic Aufträge bei Brückenbauten be- font tinmer die Köntgs- und Laurahütte in Oberschlesien oder eine andere ‘ähnliche große Firma; die kleineren und mittleren Firmen werden dadur rutniért. “Im Kriegsfälle ist es gerade von großem Wert, daß kleinere Firmen lebensfähig sind, wenn êtwa größere Be- lriébe zetslört wörden find. Die Twubinen für die Talsperre von Mauer sind an eine württembergishe Fabrik vergeben worden, obwohl die Hirschberger Maschinenfabrik fie sehr gut hätte mach?n können. Es wäre wünschenswert, wenn die Söhne von Handwerkern wioke! Händwerker würden, aber es herrscht gerade dèr Fehler, taß die andwerker ihre Söhne ltèber etnen gelehrten Beruf ergreifen assen, Den Handiwerkèrn ist cs schwer, thre Forderungen elnznu-

treiben: es hat sich deéhalb die Einrichtung des Vaysabuades be-

währt, der seinerseits die Schuldner mahnen läßt. uldner bezahlt leichter, wenn er von dritter Seite gemahnt wird. ir ift au bekannt, daß andwerker veranlaßt En sih in das D. register eintragen zu lassen: dadurch müssen diese doppelte Beiträge bezahlen, an die Handwerkskammer und an die Handelskammer. Der Abg. Lieneweg hat in einer Versammlung gesagt, der Hansa- bund sei cin Feind des Miltelstandes, er treibe einseitige Zutereslenpaütil, und es herrshe in ihm das Kapital. Gerade dos Gegenteil ist aber rihtig, der Handwerkerstand ist im Hansabund stark vertreten. Die konservativen Handwerkerfrêunde wünschen, daß mehr Handwerker in den Landtag kommen; warum aber nicht auch in den Reichstag? Vielleicht fürhtet man, daß in den Reichstag mehr liberale Handwerker hineinfommen. Werden die Herren auf der Nechten auch geneigt sein, Handwerkerkandidaten zu unterstüßen, die von der Linken aufgestellt sind? Euie Handwertskammer benußt sogar die Beiträge, um die Liberalen zu bekämpfen. Eine Forderung der Handwerker ist auch der Schutz vor dem Boykott; deshalb verlangen wir auch die Einführung der direkten und geheimen Wahi, diese Forderung müßte auch in das Programm der Handwerker aufgenommen werden. Als ich in einer Bersammlang etnen solchén Antrag stellte, kam ih sehr \{lecht an. Der Abg. Rahardt bâat mich, guf den Antrag zu verzihten. Der Abg. Nahardt hat aber andererseits gesagt, das preußishe Wahlrecht ließe den Handwerkern und Mittelständlern nur die Wahl zwischen der Stimménthaltung oder dem wirts{haftlihen Boykott, und ein Urteil der Breslauer Handwerkskämmer lautet, daß für die kleinen Gewerbe- treibenden von einer freien Wahl nicht mehr die Rede sein fönne, weil fie die Vernichtung ihrer Existenz befürchten müßten. Der Abg. Hammer sagt, diè Aufrechterhaltu: g des Dreiklassenwahl- rechts set im Interesse des Mittelstandes geboten. Die Handwerker wählen aber in der dritten Abteilung und sind dort ganz einflußlos. Wenn der Abg. Hammer sagt, das Handwerk und der Mittelitand wollten die geheime und direkte Wahl gar nitt, so kennt er die Stimmung im Handwerk nicht, oder er behauptet wider besseres Wissen etwas Unrichtiges. Ich nehme zugunsten des Herrn Hammer das erstere an, ‘denn die Zeit, wo Herr Hammer seiu Handwerk ausübte, liegt ja ein halbes Menschenalter zurück. Nur durch ein besseres Wahlrecht kann das Handwerk an Einfluß gewinnen.

Abg. Borchardt (Soz.): Es is bezeichnend, daß auch bei dieser Gelegenheit die Wünsche und Forderungen der Handwerker von dem Abg. Lieneweg wiederholt werden, die \{hon bei der General- debatte vorgebracht worden sind. Interefsant ist, daß au der Abg. Lieneweg den Schuß der Arbeitswilligen als im Interesse des Hand- werks fördert. Es ist mir auch sehr lieb, von Herrn Hamn er ein Bekenntnis zum Terrorismus zu hören, indem er sich für die Beibehaltung der öffentlichen Wahl aussprah. Ein besonders krafser Fall von ‘Ter- rorismus ist in Magd-burg vorgekommen. Do:t hat die Bäckerinnung die einzelnen Väter gezwungen, den Lohnvereinbarungen bei- zutreten. Eine Strafanzige gegen den Obermelster wegen diéser Ver- seßung der Gewerbeordnung wurde von dem Amtsanwalt zurückzewktesen G-enso wurde auch die Beschwerde an die Staatsanwaltschaft ver- worfen mit der Begründung, daß der Beschluß der. Innung zweifellos im festen Glauben an die Geseßzmäßigkeit gefaßt worden set. Auch das Oberlandesgeriht hat fih auf denselben Standpunkt gestellt und die Beschwerde gleichfalls abgewiesen. Dieses Beispiel zeigt deutlih, daß die Arbeiter in Preußen keine Gerechtigkeit zu erwarten haben. Wir werden dafür sorgen, daß jeder erfährt, warum die Be- hörden versagen.

Abg. Dr. Maurer (nl.): Die zunehmende Elektrisierung des Landes legt der Negierung die Pflicht auf, diese Entwicklung vor- sorglihst zu beachten und die Tendenz der großen Elektrizitäts- gesellschaften, ein Installations- und aterialmonopol zu erhalten, ins Auge zu fassen. Die Regierung hat zu der großen Monopolfrage in - einem Ministerialerlaß Stellung genommen, der sih gegen ein folches Monopol wendet. Dieser Erlaß, der außerordentli klar und deutlich ift, wird aber noch nicht überal be- achtet, besonders nicht an den Stellen, wo man es erwarten sollte Der 12. Deutsche Handwerks- und Gewerbekammertag in Düsseldorf hat sih mit dieser Frage auch befaßt und gesagt, daß die Interessen des deutschen Handwerks bei der Errichtung einer Ueberlandzentrale durch ein verstecktes In‘'allations- und Materialmonopol geschädigt werde. Ich bitte den Minister, mit aller Macht für den gesunden Wettbewerb einzutreten und dafür zu sorgen, daß cer auf diesem Gebiet erhalten bleibt.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Ich bin dem Herrn Vorredner dankbar, daß ec mir dur seine Bemerkungen wiederum Gelegenheit gegeben hat, auf die Frage der Installations- und Materialienmonopols mit einigen Worten einzu- gehen. Ih muß ihm leider darin zustimmen, daß der Erlaß von 1912, der sich in detaillterter und, man darf wohl sagen, durhdacter Weise gegen alle die verschiedenen Möglichkeiten wendet, solche In- stallations- und Materialienmonopole für die Teilnehmer an den CGlektrizitätszentralen zu s{hafen, noch niht in dem Maße, wie wir es selbst wünschen müssen, überall von durhs{hlagender Wirkung si er- wiesen hat. (Sehr wahr! rets.) Das liegt zum Téil daran, daß die Kommunen und die Kommunalverbände im Abschluß; der Verträge häufig ganz selbständig find, ohne daß die Aufsihtsbehörden eine Möglichkeit besißen, auf sie direkt einzuwirken. Nur wenn die Ge- nehmigung der Aufsihtsbehörden für die Aufnahme von Darlehen seitens der Kommunen oder Kommunalverbände in Frage kommt, oder aber, wenn diese oder die Zentralen das Enteignungsrecht brauchen, ist der Megierung die Möglichkeit gegeben, die Bedingungen, unter denen die Zentralen zustande kommen, maßgeblih zu beeinflussen. Und da kann ih versichern, daß jeder solcher Enteignungsantrag, der hier- her kommt, von dem Gesichtspunkt aus geprüft wird, ob dem Erlaß von 1912 entsprochen und ob kein Installations- oder Materialienmonopol, sei es ein offenes, sei es ein verstecktes, darin begründet ist. Findet sih ein solhes darin, so wird die Gewährung der Enteignung von der Aenderung der bezüglichen Bestimmungen abhängig gemacht, und wir haben in dieser Beziebung manche gute Erfolge erzielt.

Ich werde weiter daran festhalten, daß die Bekämpfung eines Monopols in erster Linie im Interesse des Handwerks grboten ift, denn gerade das Installationsgewerbe bietet einen neuen ausfits- reihen Zweig für strebsame Handwerker (sehr wahr!), ch in den verschiedensten Orten des Landes gewinunbringend zu betätigen.

Die Sache hat aber noch eine andere Seite. Es ist nit zu leugnen, daß, wenn Elektrizitätszentralen einmal bestehen, sie auch im übrigen, in bezug auf die Stromlieferung, eine gewisse Monopolisierungstendenz haben, weil“ es ja sehr \chwer ist, neben einer bestehenden Zentrale noch eine neue zu errichten, felbst wenn die Kommunen die Erlaubnis zur Benutzung der Wege geben. Da ‘entsteht eine Frage, die über die Installations- und Materialienmonopole hinausgeht, nämlich die, ob wir nit von Staats wegen etwas dagegen tun follen, daß die Elektrizitätszentralen den Konsumenten -gegenüber nit übermächtig werden (sehr wahr! rechts), mit anderen Worten, ob der Staat nicht suchen foll, einen Einfluß zu gewinnen auf die Tarife und überhaupt auf die Anlagen; denn billige und zweckmäßige Elektrizitätszuführung ist nur mögli, wenn wir nicht zu viele kleine Zentralen nebenein- ander Þekommêèên. (Sehr wahr! rechts.) Ein Einfluß daräuf, daß die Elektrizitätsneße für Starkstrom zweckmäßig angelegt werden, daß sie einen nicht zu kleinen, natürlich aber auch nicht" zu großen

“ist au die Bedeutung des Vorschlages von 1912.

Schlagkrcis haben, sondern einen so großen Séhlagkfreis, daß unter Berücksichtigung aller Verhältnisse der Strom mögli{hst billig pro- duziert und geliefert werden kann, ist jeßt dem Staat nicht gegeben, ebensowenig ein Einfluß auf die Tarife. Das wird aber nur möglich sein, wenn man si entschließt, in diesem Punkte die Gewerbefreiheit einzuschränken. (Sehr richtig! rechts.) Wie das zu machen ist, ist vielfach durchgedaht worden, es is noch nicht zu greifbaren Vor- {lägen gekommen. Jedenfalls möchte ih nicht unterlafien, zu be- merken, daß au diese Frage einen Gegenstand des Nachdenkens und der Fürsorge der Regierung bildet. (Bravo!)

_Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Der Minister hat nit auf die Fragen ünd Mitteilungen meines Freundes Borchardt in der Magdeburger Angelegenheit geantwortet. Leider ist nit die Meoglichkeit gegeben, die Sache vor die ordentlichen Gerichte zu brin- gen, denn die Maßnahmen der Jnuungen sind nur anfechtbar durch Beschwerden beim Megierungs- und Oberpräsidenten und \{ließlich beim Minister als Aufsichtsinstanz. Daß die Regierungs- und Obet- präsidenten die Beschlüsse der Jnnungen gutheißen, ist ja selbstver- ständlih, So ergibt sich also eine völlige Hilflosigkeit gegenüber den Beschlüssen der Innung. Diese Art der Ausnußung der Jnrung zur Bekämpfung der Arbeitermassen Und zur Terrorisierung von Arbeit- gebern, die bereit sind, den Ansprüchen der Arbeiter zu genügen, ist zu etner öffentlichen Gefahr geworden. Diese Frage is so wichtig, daß man verlangen Tann, daß der Minister sih dazu äußert.

Minister für Handel und Gewerbe Dr. Sydow:

Die Angriffe, die der Herr Abg. Liebkneht gegen die Fnnungen in Magdeburg gerihtet hat, nötigen mich, seine Bemerkungen doch niht unerwidert zu lassen, obwohl ich anfänglich nit die Absicht hatte, darauf einzugehen: (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten Sehr gut! rets.) Ich kann es aber {on deshalb nicht ganz ver- meiden, weil die Angelegenheit mir augenblicklich auf eine Beschwerde, die von der Antwaltsfirma des Herrn Liebkneht ausgeht, vorliegt und ih kein Hehl aus dem Bescheide zu machen Veranlassung habe, den zu geben ih mi entschlossen habe.

Es handelt sih um etne Beschwerde im Aufficht8wege, - nahdem der Negierungspräsident und der Magisirat die Beschwerde gegen den Innungsbeshluß abgelehnt haben. Jh werde versuchen, in der niht ganz einfahen Sache mich möglihst kurz zu fassen. Es wicd aber damit auch die Antwort gegeben werden auf die Frage, ob hier ein unberehtigter Terrorismus von seiten der Arbeitgeber gegen die Arbeiter vorliegt

Die Bäkerinnung in Magdeburg ‘hatte im März 1912 cinen Beschluß gefaßt, durch welchen fie thren Mitgliedern bei einer Ordnungsstrafe von 20 4 verbot, irgend welche Ginzelverträge mit dem foztaldemokratischen Zentralverband der Bäcker und Konditoren (Nufe bei den Sozialdemokraten : Soztaldemokratishen ?), der seinen Siß in Hamburg hat, über Taärifangelegenheiten zu {ließen. Wenn Sie an dem. Ausdruck „sozialdemokratischen“ Anstoß nehmen, so will ih sagen: „Jhren Spuren folgenden“. „Die genannte Ordnungs- strafe gilt für jeden Tag des Verstoßes gegen die Beschlüsse." Leßterer Saß ift inzwischen durch den Magistrat bei der Straffestsezung auf- gehoben, es sind im ganzen sechs Ordnungsstrafen zu 20 #, also im ganzen 120 4, verfügt worden.

Um diesen Beschluß zu verstehen, muß man wissen, um was für Tarifverträge es sich handelt. Der Tarifvorschlag, der damals ge- mat war, enthielt bezüglih des Arbeitsnahweises- einen Passus, der ziemli harmkos klingt:

Der Arbeitsnachweis wird auf paritätischer Grundlage mit dem Siß tn Magdeburg errihtet. Spätestens vier Wochen nah dem Tarifabschluß muß derselbe in Kraft treten.

Auch die Bedeutung dieses Passus aufzuklären, ist nötig, und man muß fowohl auf das Vorhergegangene wie auf das Nachfolgende dabei eingehen.

Bereits im Jahre 1910 hatte der Bäckerverband den Bäter- meistern in Magdeburg, die mit einer großen Zahl meistertreuer Ge- sellen seit dem Jahre 1907 ein anderes Tarifabkommen geschlossen hatten, einen ähnlihen Vorschlag gemacht. Er lautete in dem Passus wegen der Arbeitêvermittlung folgendermaßen :

Arbeitsvermittlung, Der Arbeitsnahweis wird auf paritätischer Grundlage geregelt. Derselbe wird von einem Kuratortum ver- waltet

2c, 2c. In Ausführung dieses damaligen Tarifvorschlags hat dann der Verband den etnzelnen Bädermeistern einen Tarifvertrag vor- gelegt, der zunäwhst die Ueberschrift trug: „Ehrenwörtlihe Ver- pflihtung“", und der dann in Nr. 7 „Arbeitsvermittlung“ den Passus enthtelt:

Sämtliche Arbeitskräfte werden vom Arbeitsnahweis des Ver- bandes Magdeburg, Große Storchstraße 7, bezogen.

Als ein Bäermeister, der diesen Vertrag abges{lossen hatte, si beikommen ließ, cinen Gesellen durch den Innungsarbeitsnachweis zu beziehen, ging ihm von dem Zentralverbande der Bäcker, Kon- ditoren und Berufsgenossen ein Schreiben zu, worin er zur Nede gestellt wurde, er habe sich wiederum einen Gesellen vom Innungs- nahwets beforgt. Wir find aber hieß es weiter absolut richt in der Lage, daß wir einen \olchen offenfihtli®en Tarifbruch ohne weiteres dahingehen lassen und ersuhen Sie um- gehend, uns bis spätestens Sonnabend, den 29. April, mitteilen zu wollen, ob Sie jeßt nun den Tarifvertrag einhalten wollen oder niht. Nichtbeantwortung dieses Schreibens würden wir so auf- fassen müssen, daß Sie tarifbrüchig bleiben wollen, und müßten wir dann dementsprehend unsere Konsequenzen ziehen, Zum Schluß heißt es: Bemerke au gleichzeitig, taß wir diesmal auch die Sache nicht aus der Welt geschafft schen, wenn der Geselle herkommt und in den Verband eintritt, sondern es muß der Geselle an Stelle des Kollegen Pöhlig von dem Arbeitsnahweise bezogen werden, den Sie ‘anerkannt haben, widrigenfalls wir Sie als tarif- _brüchig der Oeffentlichkeit bekanntgeben müssen.

Das war die Bedeutung des Vorschlages von 1910, und das Das ergibt sich aus folgendem :

Nachdem die Innung ihren Angehörigen verboten hatte, mit dem Verband zu verhandeln, trat an die Innungsmitglieder die Kom- mission des Gewerkschaftskartels Magdeburg zur Beseitigung des Kost- und Logiswesens heran. Zum Gewerk schaftskartell gehören auch die Verbandsangehörigen in Magdeburg. Diese Kommission handelte also im Auftrage und im Sinne des Verbandes, Wre Legt fle

den Meistern eine ehrenwörllihe Verpflihtung vor, und in Nr des Verpflichtungs[chreibens heißt es: LLN Die Errichtung eines paritätisch-n Arbeitsnahweises soll un- verzüglih in Angriff genommen werden. Bis zur Schaffüng des- selben werden sämtlihe Arbeitskräfte vom Arbeitänachweis des Zentralverbandes der Bäter, Konditoren 2c. bezogen. Also Ausf@haltung des Jnnungsnachweises, zunächst Ersatz des Innungsnachweises dur diesen Arbeitsnahweis des Zentralperbandes, später durch den paritätishen Arbeitsnahweis. Das ist also der Tarifvertrag, von dessen Abs{luß die Bäcktereiinnung ihre Angehörigen zurückhalten will. j

Nun kann ih in einer Beziehung Herrn Abg. Dr. Liebknecht zu- stimmen. Jh bin der Meinung, daß die Bestimmungen der & 152 und 153 au für Zwangsinnungen gelten, nämlih die Bestimmungen, welche die Koalitionsfreiheit einräumen und den Koalitionszwang unter Strafe stellen. Auf der anderen Seite aber bin ich der Mei- nung und das dürfte keinem Zweifel unterliegen —, daß daneben die Bestimmungen für Jnnungen gelten, die in § 81a der Gewerbe- ordnung enthalten sind und als Aufgabe der Innungen bezeichnen : die Pflege des Gemeingeistes sowie die Aufrehierhaltang und Stär- kung der Standesehre unter den Innungsmitgliedern, ferner die För- derung eines gedeihlihen Verhältnisses zwishen Meistern und Gesellen sowie die Fürsorge für das Herbergswegen und den Arbeitsnachweis. Also auch wenn die Innungsmitglieder Tarife s{chließen, mit wem sie wollen, dürfen sie nihts tun, was diesen allgemeinen Bestimmungen entgegen ift.

Nun find, wie ich dargelegt habe, dem beabsihtigtnn Tarifvertrage gewesen, die, wie ich meine, gegen diefe grundsäßlihen Bestimmungen verstoßen. Einmal die échrenwörtlihe Verpflihtung. Das Reichsgericht hat in einem Streit um die Konkurrenzklausel anerkannt, daß es gegen die gufen Sitten sei, derartige Wirtschaftsverpflihtungen zwischen Arbeitgebern und Arbeltnehmern durch ehrenwörtlihe Verpflichtung zu verstärken. (Sehr rihtig!) Was gegen die guten Sitten ist, i au gegen die Standesehre. (Sehr rihtig!) Es ist Aufgabe der Innungen, den Arbeitsnahweis zu fördern ; die Innungsmitglieder dürfen \sih also zu keinen Abkommen verstehen, welhes den Jnnungsarbeitsnahweis aus- schaltet. Jh behaupte gar nit, daß die alleinige Benußung des Innungsarbeitsnahweises thnen zur Pflicht gemacht werden kann. Darum hat es sich in dem Frankfurter Erkenntnis gehandelt; das ist. als Verstoß gegen § 41 der Gewerbeordnung vom Landgericht in Frank- furt beanstandet worden. Aber eine Klausel, die, wie ih nachgewiesen habe, darauf hinausläuft, den Fnnungsarbeitsnahweis auszuschalten, dürfen die Innungsmitglieder unter keinen Umständen zulassen. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten. Sehr rihtig! bei den Nationalliberalen und rechts.) Wenn ein folcher Vertragsabs{luß den Innungsmitgltedern durch die Innungen verboten wird, so handelt die Innung im Necht, im Kreise ihrer Pflichten. (Sehr richtig !) Ih werde im Auffihtswege die Entscheidung des Negierungs- präâfidenten zu Mazdeburg, ganz unbeshadet, wie man über ihre Be- gründung im einzelnen denken mag, nicht beanstanden, (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten. Bravo! bei den Nationalliberalen und rets), weil fie im Endergebnis richtig ist. Es Handelt ih in , Magdeburg um den Kampf des Zentralverbandes der Bäder gegen die niht zur foztaldemokratishen Rihtung gehörenden Bätermeister und meistertreuen Gesellen. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Sie darin zu \{üßen, wird meine Aufgabe sein, soweit es mit dem Recht vereinbar is (Bravo! bei den Nationalliberalen und re{chts), und daß es hier mit dem Recht vereinbar fist, habe ih, glaube ih, dargelegt. (Lebhaftes Bravo ! bei den Nationalliberalen nnd rechts. Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Hammer (kons.): Aus den Ausführungen des Ministers haben wir gehört, daß au er R daß gegen die Monopolz bestrebungen der Elektrizitätsgesellshaften mit ‘Erlassen wenig ausz gerichtét werden kann. Hiergegen läßt sich nur etwas duxch SWaffüñg eines Gesebes erreihen. Darin unterscheiden wir uus von der fréi- sinnigen Bolkspartei. Die ganze Rede des Abg. Wenke war nur ein persönlicher Angriff gegen mich. Er hat mir vorgeworfen, 1h hätte wider besseres Wissen behauptet, das Handwerk und der Mittel= stand wollten die geheime und dirette Wahl gar niht. Das ist nicht richtig. Jh habe ausgeführt, man möge mir einmal ein Parz lament zeigen, das mittelstandsfreurdlicer sei, als das preußische, Um dem Handwerk wieder einmal in Erinnerung t rufen, wie bie Fortschrittlice Volkspartei sih in der Frage der Mittelstandöpolitik benommen hat, will ich Ihnen hier einiges vorlesen. Man müß oen Mut bewundern, den unter solhen Umständen der Abg. Wenke be- wiesen hat, wenn er die Mittelftandsfréundlithkëéit des Freistnns be- hauptet. Der Freisinn hat gegen allé Rechte der Innung gestimmt, gegen das Geseß zur Einschränkung des Dau er agheise gegen den allgemeinen Befähigungsnachweis, gegen die Novelle zur“ Einschrät- fung der Abzahlungsgeschäfte, gegen die Novelle zur Einschrän- kung der Warenhäujer für Offiziere und Beamte, gegen “die "Vet steuerung der Konsumvereine usw. Merkwürdig ist dabei, daß die Freisinnigen in den verschiedenen Kommissionen gêgeneinander ge- stimmi haben. Das deutsche Handwerk möge sih doch cinmal diese freisinnige Partei ansehen, von der die „Berliner Morgenpost“ schreibt: die Politik der Freisinnigen richtet ih nah den Wünschen ibrer Geldgeber.

Die Debatte wird geschlossen,

Persönlich bemerkt „Abg. Drx. Liebknecht (Svz.): Dex SGluß der Debälte it immer eine Flucht vor der Blamage. (Vizepräsident Dr. Por s ch: Aber das ist doch kein Ausdru, den i zulassen kann.) Zch bin nun nicht in der Lage, dem Minister einiges zu erwidern auf seine Mit- teilungen in der Magdeburger Angelegenheit. Jch hoffe, noch Ge- legenheit zu haben, nachzuprüfen, ob der Minister bei seiner Eit- scheidung rechilich verständig und objektiv gehandelt hat.

Abg. Dr. Mugdan (forts{hr. Volksp.): Durch. dén S@{hlüß

der Debatte ist es mix unmoglich, die Angriffe des Abg. Hammer gegen den Freisinn zu beantworten. Einen größen Mut haben die Konservativen damit nicht bewiesen. __ Abg. Wenke (fortshr. Volksp.): Der Abg. Hanuner bat ges sagt, in mehreren Fällen hätten die Freisinnigen gegeneinander ge- stimmt, so u. a. au in der Kommission für Handel und Gewerbe. In dieser Kommission sipe ih mit meinem Kollegen Rosenow. Jch muß sagen, daß es bisher nicht vorgekommen ist, daß wir gegenein- ander gestimmt haben. Nur einmal hat sih mein Salege Rosenow der Stimme enthalten, wodürch das betreffende Geséß abgelehnt wurde. Jch muß den Vorwurf des Abg. Hammer als unrichtig zurückweisen.

Abg, Hamme r (kons.): Der Abg. Wenke hat selbst bestätigt, daß durch die Stimmenthaltung beide Freisinnige verschieden gestimmt baben. Dem: Abg. Dr. Mugdan erwidere 1b, daß moine Rede kein Angriff war, fondern nur eine notwendige Abwe! 6 é

Bei dem Fonds von 90 000 # zur Förderung der nicht gewerbsmäßigen Arbeitsvekmittlung U Nechtsberatung für die minderbemittelten Bepölkerungs- kreise bemerkt N e

zwei Bestimmungen in

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me aje (Sau ewa Simi ne ee mt qi mitra a Giécir n dh a A S