1895 / 8 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 10 Jan 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Der § 131 mit der ominösen Bestimmung, daß au dann die Verbrei- tung von Behauptungen ftraffällig sein soll, wenn der Be- treffende „den Umständen nah annehmen mußte“, daß fie un- rihtig seien, würde für die Presse geradezu verhängniß- voll werden. Unmöglich kann ein Redakteur prüfen, ob alle Einzel- heiten einer ihm zugehenden Meldung den Thatsachen entsÞrechen, zumal, wenn ës-\ich Um politische Dinge handelt. Das Preßgefeß ift dazu da, Ausschreikungen der Preffe bintanzustellen, und es genügt seinem Zweck vollkommen. Den Inhalt des § 130 hat der Reichstag \{hón im Jahre 1875 abgelehnt. In dem Paragraphen ist von Be- \{chimpfung der Institute der Religion, der Monarchie, der Familie, der Che und des Eigenthums die Rede. Was ist Be- shimpfung? Jede scharfe Kritik kann vom Richter als fole aufgefaßt werden. Wenn wir die jeßige rechtliche Gestaltung des öffentlihen Lebens als unverleßlih hinstellen, so führen wir damit eine Art Chinesenthum, eine Stagnation der wirthschaft- lihen Entwicklung ein. Welche Religion foll durch das Geseß geschüßt werden? Die christliche, die des Mohammed, des Confucius, oder die des Herrn von Egidy? Und welcher Eigenthumsbegriff foll als maß- gend aufgestellt werden? Die Begriffserklärungen, welche die

ationalöfonomen über das Eigenthum gemacht haben, sind endlos. Die Hâufung der Verklausulierungen, welche der § 130 bezüglich der Straffälligkeit enthält, soll nur dazu dienen, die deutschen Professoren sicher zu stellen, auf welche die Regierung eine so große Rücksicht nimmt. Die Professoren aber, welhe seit ahrzehnten durch ihre Lehren verderblich wirken, sind hundertmal ftraf- fälliger als die Männer aus dem Volk, die, berausht von der felbst- erworbenen Wissenschaft, jeßt ihre Weltverbesserungspläne predigen. Professor Häkel verlangt absolute Lehrfreiheit ohne jede Rücksicht auf religiöse „Vorurtheile“. Für Professor Paulsen ist die Unsterblichkeit ein Traum und Professor Förster erklärt, daß in der naturwissen- schaftlichen Weltanshauung für übernatürlihe Kräfte keine Stätte sei. Gerade die Werke der gelehrten Herren bilden das Arsenal für die Sozialdemokratie. Aus diesen Lehren ziehen die unteren Schichten die Konsequenzen. Man ist jeßt hon im Hause darüber klar, daß man etwas Wesentliches mit dem Geseße nit erreihen wird. Auch der Abg. Freiherr von Stumm hat die Vorlage nur als einen ersten Schritt bezeihnet. Da muß denn doch die Volksvertretung fragen: Wohin geht der Weg? Hat h die Regierung einen festen Plan gemacht, oder is auch diese Vor- lage. wieder nur Stück- und Flickwerk? Hat sie sie nur gemacht, ut aliquid fecisse videatur. Sollen wir an dem Kampfe für die Er- haltung der Religion, des Eigenthums und des Staats mitwirken, so mahe man uns erst die Hände frei, gebe man die Drden frei, damit gerade sie mitfämpfen können. eis _un- erflärlihem Mißtrauen verfolgt man die fkatholishe Kirche und die Orden. Was soll es heißen, wenn man den Polen noch immer den Religionsunterriht in der Muttersprache vor- enthält? Wer hat denn mehr gegen die christlide Che gewirkt als der Staat mit seinem Zivilehegeseß? Man verlangt Schuß für das Eigenthum! Wer macht denn mehr Eingriffe in das Eigenthum als der Staat mit seinen übertriebenen Steuern ? Geseyzesbestim- mungen können nihts wirken, wenn das Volk nicht von innen heraus von einem andern Geist beseelt wird. Woher kommen der Haß und die Verbitterung; daher, daß die untersten Schihten niht in Ver- bindung mit den höheren bleiben, sondern daß man sie sich selbst überläßt. Man denke an das Wort des Kaisers, der seinerzeit den Arbeitgebern im westfälishen Kohlengebiet gegenüber die Mahnung aussprach, sie m&hten fsih in möglihst nahe Fühlung mit den Arbeitern seyen, damit solche Kalamitäten niht wieder vorkämen. Ja, die höheren Stände müssen mit gutem Beispiel vorangehen, und dazu fann sie in erster Linie die Kirhe ermahnen. Es giebt kein Heil außer Jesus Christus!

Staatssekretär Nieberding:

Meine Herren! Als ich mi der einleitenden Bemerkungen des lezten Herrn Redners erinnerte, in welchen er mit warmen Worten der Ziele gedenkt, die diese Vorlage verfolgt, in welchen er die Schattenseiten unseres staatlihen und gesellshaftlihen Lebens, die zu heilen die Vorlage mit helfen soll, sharf hervorhob, in denen er mit Entschiedenheit zurückwies die Prätentionen der Sozialdemokratie, die gegenüber dieser Vorlage laut geworden sind: da durfte ih hoffen, daß es mögli sein werde, mit der Partei, als deren Vertreter der Herr Redner hier aufgetreten ist, zu einer Verständigung zu gelangen, Wenn ih mi aber nun im weiteren Verlauf seiner Rede überzeugen mußte, wie der Herr Redner mit der ihm eigenen dialektishen Schärfe die einzelnen Bestimmungen der Vorlage behandelte, vernichtete von feinem Standpunkt aus, wenn ich dann an die allgemeinen Aus- führungen denke, die er zum Schluß seines Vortrags gemacht hat, in denen er so weit gelangte, das Steuerreht des Staats, wie es aus- geübt wird von Regierung und Ständen in Gemeinschaft in der Form von Gefeten, als einen Angriff auf das Eigenthum hinzustellen, da, meine Herren, ist es mir zweifelhaft geworden, ob wir auf einem Boden von gleihen Anschauungen stehen, die es möglich machen, in dieser Frage. zu einer Verständigung zu gelangen.

Der Herr Vorredner hat am Eingang seiner Rede betont, daß alle die Uebelstände, die hier zur Sprache gekommen sind, in der Hauptsache zu bekämpfen sein würden niht auf dem Wege des Zwanges und der Gesetzgebung, sondern in der Hauptsache immer nur zu heilen sein würden, wie er sh ausdrückte, im Wege der inneren Herzens- überzeugung. Damals hatte der Herr Redner noch die Möglichkeit gelafsen für irgend eine geseßlihe Intervention des Staats; am Schlusse seiner Rede habe ich keine Aussichten mehr für eine solche Intervention erblickt. Wenn es nach dem Schlusse seiner Rede geht, dann wird die ganze Heilung der leidenden Gesellshaft und des be- drohten Staats nur vor sich gehen, wie er sih ausdrückte, auf dem Wege der inneren Herzensüberzeugung, auf dem Wege, meine Herren, auf dem wir uns seit Jahren befinden und auf dem wir es fo herrlih weit gebraht haben.

Der Herr Redner hat auf den Schluß meiner neulichen Aus- führungen Bezug genommen und hat gesagt oder wenigstens angedeutet, daß, indem ih zwei Welten einander gegenübergestellt habe, von denen die eine in Pflicht und Arbeit ihre Schuldigkeit gegen sich felbst, gegen Staat und Gesellschaft thue, dieandere dagegen in Haß und Vernichtungsfehnsucht dieser Gesellschaft gegenüberstehe, ih mit der einen gemeint habe die höheren Schichten der Gesellshaft und mit der anderen die unteren. Meine Herren, wie kann der Herr Redner meine Ausführungen in der Weise verkennen! Nichts hat mir ferner gelegen wie das. Ich weiß sehr wohl, daß auch in den höheren Schichten der Gesellschaft Elemente vorhanden sind, die, zerfallen mit Staat und Gesellschaft, bereit sind, einzutreten für die Vernichtung der bestehenden Ordnung. FIch kenne sehr wohl auch in den unteren Schichten Elemente, die, vollständig auf dem Boden der jeßigen Ordnung und Sitte stehend, bereit sind, weiter zu arbeiten in treuer Mitwirkung an dem gemein- samen Werke, das dem ganzen Volke durch die Vorsehung gefeßt ift. Mir aber zu unterstellen, daß ih hier einen Gegensaß gemacht habe zwischen den höheren Schihten der Gesellshaft und den niederen Schichten des Volks und den einen die Ehrlichkeit und Redlichkeit der Arbeit und den anderen den Haß und die Verachtung gegen das Bestehende zugemessen bätte, das, meine Herren, muß ih entschieden von mir weisen.

Der Herr Redner hat dann etwas ironisch gefragt, ob denn diese Vorlage alles sei, was die Regierung beabsichtige; nah seiner Ansicht sei die Wirkung der Vorlage eine verschwindende; es müßte doch die Regierung einen Plan haben, wohin denn, dieser Plan gehe. Er hat mih ersuht, ich möchte ihm diesen Plan entwickeln. Nun, meine Herren, wenn der Herr Redner von der gegenwärtigen Vorlage fo wenig an Wirkungen erwartet , weshalb . denn dieses Aufgebot von Ausführungen, die er gemaht hat? Er hat uns ja fast bei jedem Paragraphen nachgewiesen, wie verhängnißvoll die Wirkungen fein würden, die \ihch an das Gese knüpfen würden, und nun am Schluß seiner Ausführungen sehen wir die Wirkungen fast zu einem Nichts vershwinden.

Was den Plan der Regierung betrifft, so besteht er einfach in demjenigen, was, wie ich meinen möchte, \tillschweigendes Einvernehmen zwishen Haus und verbündeten Regierungen war, seitdem das Sozialistengesetz erlassen wurde. Der Plan besteht darin, die Schäden, die in dem Kampf der gesellshaftlihen Gegensäße hervorgetreten sind, durch Strafbestimmungen auszugleichen, die auf dem Boden des ge- meinen Rechts liegen und die von diesem Boden aus die s{härfsten Gefahren hintanhalten follen. Dieser Gedanke ist von der Partei, der der Herr Vorredner angehört, zu verschiedenen Malen vertreten worden, und wenn er uns hier ein Programm in einem Antrag des Abg. Windthorst vorgelesen hat, mit dem er die Aufmerksamkeit von der Vorlage, die uns hier beshäftigen soll, hinlenken will auf höhere und wichtigece Ziele, so möchte ih ihm auch meinerseits einen An- trag des Abg. Windthorst vorlesen, zu dessen Erledigung gerade die gegenwärtige Vorlage bestimmt ist. Der Abg. Windthorst hat im Jahre 1884 folgende Resolution beantragt :

In Erwägung, daß das Geseß gegen die gemeingefährlihen Bestrebungen der Sozialdemokratie nah der ursprünglichen Absicht der verbündeten Regierungen eine dauernde Einrichtung nicht werden sollte, den Bundesrath zu ersuchen, dem Reichstag rechtzeitig den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, welches das gemeine Reichsreht insoweit abändert oder ergänzt, als es dessen bedarf, um den Staat und die Gesellshaft nahhaltig und dauernd vor den besonderen Gefahren zu \{chüßen, deren zeitweilige Abwehr das vorgenannte außerordentlihe Gese bezweckte.

Darauf, meine Herren, is au der Plan der Regierung gerichtet. Dieser Plan i} aber nicht bloß von dem Abg. Windthorst in dem vorgelesenen Antrag vertreten worden, er kam gleih bei der Beschluß- fassung über das Sozialistengeseß im Jahre 1878 zur Anerkennung. Damals hat die Reichstagskommission, als sie dem Hause die An- nahme des Geseßes empfahl, ausdrücklich auch eine NRefolution an den Reichstag gebracht des Inhalts, daß dieses Gese nur ein provi- sorisches scin könne, daß es die Aufgabe der verbündeten Regierungen sein müsse, es baldmöglichst durch ein Geseß zu erseßen, das auf dem Boden des gemeinen Rechts stände, und daß der Reichstag bereit sein würde, an einem solchen Gese mitzuwirken.

Also, meine Herren, der Plan der Regierung is loyal und ein- fa, und ih glaube nicht, daß der Herr Abgeordnete, wenn er auf die Vergangenheit der ganzen Frage zurückblickt, Grund hat, in so ironischer Weise die Regierung zu fragen, welche Pläne sie überhaupt habe, oder ob sie immer nur von heute auf morgen ihre Gedanken zusammen- nehme.

Meine Herren, wenn ih gleihwohl die Ausführungen des Herrn Vorredners noch mit einigem Vertrauen begrüße, so liegt es darin, daß er, wie ich annehme, namens seiner Partei si bereit er- flärt, die Vorlage in dem Schoße einer Kommission zu berathen. Ich glaube, alle die Bedenken, die er uns hier entwickelt hat, werden dort zwar nicht erledigt werden, da sie sich voll niht erledigen lassen, denn wenn ih mit dem kritischen Maßstabe und mit der logishen Schärfe, mit denen er den Entwurf der verbündeten Regierungen behandelt hat, an das Strafgeseßbuh selbst gehen wollte, ih mache mich anheischig, daß von vielen Bestimmungen des Straf- geseßes dann wenig übrig bleiben würde. Aber, meine Herren, ih glaube, wenn wir uns in der Kommission ruhig und ohne diese all- gemeinen Betrachtungen hochpolitischer Art, die der Herr Abgeordnete in seinen Vortrag eingeflohten hat, über das Einzelne, was wir be- fämpfen wollen, und üker die Mittel, die dazu nöthig sind, unter- halten werden, dann werden wir doch noch zu einer Verständigung gelangen. Ich kann nur wiederholt versichern, daß es den verbündeten Regierungen durchaus fern liegt, diese Vorlage zu benußen, um ein Gesetz zu stande zu bringen, mit dem allerhand Belästigungen und Trakasserien gegenüber den freien Meinungsäußerungen gerecht- fertigt werden fönnen. Vollständig fern liegt es den ver- bündeten Regierungen, ein Geseß mit solcher Tendenz zu schaffen; was sie wünschen, ist eine Einschränkung von Presse und Vereinen in den engsten Grenzen, um die nah dem, was wir bis jegt hier gehört haben, doch zweifellos vorhandenen Wühlereien und Agitationen verderblihster Art zu hemmen. Die Freiheit der Bewegung in Presse und Vereinen wird dadurch nicht empfindlih berührt. Wenn Sie in der Kommisfion in der Lage sind, bessere Fassungen für die einzelnen Bestimmungen vorzu- schlagen, meine Herren, die verbündeten Regierungen werden das nicht ablehnen. Sie wollen auch nit, daß das Gesetz irgend wie zu Straf- verfolgungen Anlaß gebe, die seinem Sinne nicht entsprehen, die dem allgemeinen Rechtsgefühle entgegenlaufen würden und die von den Gerichten \{ließlih nicht aufrecht erhalten werden könnten. Sie wünschen die Sicherung der Ordnung des Staats, daneben aber auch die Aufrechterhaltung der Würde der Rechtspflege, denn auch sie ist eine Stütze der Staatsordnung.

Nun, meine Herren, glaube i, daß ih es niht nöthig habe, auf alle Ausführungen des Herrn Vorredners einzugehen. Das allgemeine Mißtrauen, welches er gegenüber der Politik der verbündeten Ne- gierungen namentli auf religiösem Gebiete ausgesprochen hat, würde ih von meiner bescheidenen Stelle aus doch nicht besiegen können; nachdem es dem Herrn Abgeordneten gegenüber anscheinend vergeblich gewesen ist, daß der Herr Reichskanzler neulich sih bemüht hat, seinen versöhnlihen und entgegenkommenden Standpunkt auch der Partei des Herrn Redners gegenüber darzulegen, werde ih mich, glaube ih, enthalten können, auf diesen Punkt einzugehen.

Ich möchte nur einige Fragen berühren, welhe der Herr Redner direkt an mich gerichtet hat über die Tragweite der Vorlage und die Be- deutung einzelner ihrer Bestimmungen. Meine Herren, da hat er nun zunächst gefragt, was denn unter diesem Umsturz verstanden werden soll: ob darunter nur Bestrebungen zu, verstehen seien, die sich direkt auf Gewaltsamkeiten rihten, oder auch solhe Bestrebungen, die all- mählich dahin führen können, den Boden der Gesellschaft so zu unter-

%

wühlen, daß mit Nothwendigkeit oder doch mit Wahrscheinlichkeit Ge, waltsamkeiten und Umsturz zu erwarten seien.

Meine Herren, ich darf in dieser Beziehung den Herrn Ab- geordneten hinweisen auf den sehr ausführlihen und gründlihen Be-

“richt. der Kommission, die im Jahre 1878 das Sozialistengesez dem

Reichstag zur zweiten Lesung unterbreitet hat.

Bekanntlich hat das Sozialistengeseß den Begriff des gewalt- samen Umsturzes nit; es spricht nur vom Umsturz, und in dem Kommissionsberiht, der damals dem Hause vorgelegt wurde, ift in durchaus zutreffender Weise der Unterschied des gewaltsamen Umsturzes und des Umsturzes ohne dieses einshränkende Prädikat dargelegt worden. Indem die verbündeten Regierungen in die gegenwärtige Vorlage nicht aufgenommen haben die allgemeine Fassung, die dem Sozialisten- geseß eigen war, fondern im Anschlusse an die Ausführungen dieses Berichtes \sich dahin präzisiert haben, den Umsturz als eincn gewaltsamen zu bezeichnen, glaube ih, kann gar fein Zweifel darüber sein und wenn er bestehen sollte, will ih ihn dur diese Erklärung gern beseitigen —, daß im Sinne der Vorlage nur solche

“Bestrebungen auf den Umsturz gerichtet sein können, die den Umsturz

direkt ins Auge fassen. Das brauchen ja nicht Bestrebungen gu sein, die von heut auf morgen zum Umsturz führen, aber fie müssen doch dahin gehen, daß sie an sih auf den Umsturz gerihtet erscheinen.

Im übrigen, meine Herren, glaube ih niht, daß, wenn Sie nah dieser Richtung hin die Vorlage noch mehr präzisieren wollen, Sie glüdlicher darin sein werden, als es die verbündeten Regierungen ge- wesen sind, und ih möchte auch meinen, daß, nachdem das Sozialisten- geseß 12 Jahre in der Praxis gestanden hat, sich der Begriff dessen, was unter Umsturz überhaupt und was unter gewaltsamem Umsturz verstanden werden kann, genügend verdihtet hat, um als Grundlage für eine neue Vorlage zu dienen.

Der Herr Vorredner hat freilih gesagt, die Bestimmungen und die Motive des Sozialistengesezes könnten nicht maßgebend fein für eine Vorlage wie die gegenwärtige, die bestimmt fei, in die Praxis der Gerichte überzugehen. Allein, meine Herren, weshalb foll denn nicht, wenn es sih darum handelt, einen Begriff festzustellen, der hon früher in der Gesetzgebung festgelegt war, zurückgegangen werden auf diejenigen Umrißlinien, die die Gesetzgebung damals adoptiert hat ?

Im übrigen möchte ih doch darauf hinweisen, daß es selbst in einem Lande, wie die Schweiz, möglich gewesen ist, mit so allgemeinen Begriffen an die Gesetzgebung heranzutreten. Als im vorigen Jahre in der Schweiz auh ein Anarchistengeseß vorgelegt werden follte, wurde die Ausarbeitung dieses Entwurfs einem der hervorragendsten Nechtsgelehrten der Schweiz übertragen, einem Manne, der in der ganzen Rechtswissenschaft anerkannt is als Kenner in der Wissenschaft, und au als hervorragend. befähigt auf dem Gebiete der Gesetzgebung. Das ist der Professor Stoß in Bern, der Verfasser des Entwurfs zu dem neuen \{chweizerischen Strafgeseßbuch ein Entwurf, der sich durch Klarheit der Ideen, durch folgerehte scharfe Sprache und dur einen ruhigen, maßvoklen Inhalt in gleiher Weise auszeihnet. Nun, meine Herren, dieser Mann hat den geseßgebenden Faktoren einen Entwurf zu dem Anarwistengeseß vorgelegt, der ganz dieselben Worte enthielt wie unser Entwurf, der gerade fo wie unser Entrourf von den Be- \trebungen zum gewaltsamen Umsturz der Staatsordnung sprach.

Meine Herren, gegenüber den Anfechtungen, die hier erhoben worden sind, glaube ich, kann ich mich damit beruhigen, daß ein so maßvoller und s{charffinniger Mann eine derartige Bestimmung für ausreichend Flar hält, um in einer Geseßesvorlage Aufnahme zu finden. Die \chweizerishe Legislative hat den betreffenden Para- graphen zwar nicht adoptiert, aber niht aus den Gründen der Un- deutlihkeit, die hier gegen die Vorlage geltend gemaht worden sind.

Meine Herren, der Herr Vorredner is dann auf den § 111la der Vorlage gekommen, der von der Glorifikation der Verbrehen und Vergehen \priht. Er hat da eine Menge Beispiele gebracht und er- fennen lassen, daß er eine Aufklärung darüber von mir zu erhalten wünsche, wie in allen diesen Fällen der Richter dann verfahren soll. Ja, meine Herren, das werden wir dem besonderen Urtheil der Richter überlassen; wir haben noch das Vertrauen, daß die Gerichte bei der Prüfung der Frage, ob ein Thatbestand rechtswidrig ist und unter das Gese fällt, ohne vorherige Erläuterung das Richtige zu treffen wissen werden. Wie liegen denn die Dinge, meine Herren, in diesem Punkte? Bevor unser deutshes Strafgeseßbuh erlassen worden war, haben wir in: Deutschland eine Anzahl Strafgeseßze be- sefsen, die doch auch zu stande gekommen sind unter der Mitwirkung von Volksvertretungen von Volksvertretungen, in denen, ohne hier dem Reichstag nahezutreten, ebenso tüchtige Männer von juristisher und politisher Bildung saßen. Nun, meine Herren, auch in diesen Straf- gefeßbüchern stand die Bestimmung des § 111a in etwas anderer Fassung, aber salich dieselbe Bestimmung. Was is denn passiert im Lande auf Grund dieser jeßt so bedenklich befundenen Bestimmung? Ist es irgendwie versuht worden, den Staatsanwalt in Bewegung zu seßen, weil etwa ein Stück von Schiller aufgeführt wurde oder weil irgend ein übershäumendes Freiheitsgedicht zitiert wurde? Haben wir denn damals besonnenere Richter gehabt als jeßt, stehen wir denn soweit unter anderen Verhältnissen, daß unsere Richter nicht mehr beurtheilen fönnen, was damals, wie die Praxis zeigte, rihtig beurtheilt ward ? Waren damals die höheren Gerichte im deutshen Land unabhängiger und sicherer gegen Eingriffe als jeßt unter dem Schuß des Reichs- Gerichtsverfassungsgeseßes? Damals ist möglich gewesen, was jeßt für unmöglich erflärt wird, und feiner hat daran Anstoß genommen ; die Praxis hat sich sehr wohl damit zurecht gefunden. Und wie ist es denn mit den anderen Staaten? Wir haben gleiche Bestimmungen in Oesterrei, in Ungarn, in Frankrei und in Italiem Bestimmungen, nit gleihlautend, aber sachlich gleiher Tragweite mit den unsrigen; au sie sind zu stande gekommen unter Mitwirkung der parlamen- tarishen Vertretungen, die gewiß eifersüchtig sind auf die Rechte und Freiheiten des Volkes. Nach der Richtung hin, die Herr Gröber ein- geschlagen, sind keine Einwendungen erhoben worden und keiner wird behaupten wollen, daß in den genannten Ländern die Bestimmungen Anwendung finden in einer dem Rechtsgefühl und der Tendenz des Geseßes widersprehenden Weise. Nein, meine Herren, mit solchen fritishen Bemerkungen, die den Wortlaut zerp flücken, den Sinn über- gehen, dürfen Sie nicht kommen; damit können Sie, wie ich mir schon erlaubte zu sagen, noch viele andere und wichtigere Säße der Strafgeseßzbuhs umstoßen. ;

Dann hat der Herr Vorredner den § 130 der Vorlage einer Würdigung unterzogen, er hat mich gefragt, was denn unter Eigen- thum zu verstehen sei und was unter Religion verstanden werden soll ; er hat aus verschiedenen Schriftstellen entwickelt, wie der Eigenthums-

begriff bei den Gelehrten ‘vershieden aufgefaßt wird, und hat mir anheim gegeben, : aus diesen verschiedenen gelehrten Définitionen eine auszuwählen. Nein, meine Herren, troß dieser gelehrten Bedenken sage -ih, was unter-Eigenthum- hier verstanden werden foll, das ift außer Zweifel. Daß - wir niht die Produkte einer überspannten Gelehrsamkeit hier dem Geseße zu Grunde legen wollen, das wissen Sie selbst, das brauche ih dem Herrn Abgeordneten und dem Reichstag nicht ausdrüdlih zu versichern. Und das Gleiche ist bei der Religion der Fall. Ich habe neulih doch Beispiele gebracht, die klar machen, in welcher Form die Religion als solche öffentlih angegriffen wird, und daß ge- rade gegen diese Weise des Angriffes die Vorlage sich rihten foll. Daß die positiven Einrichtungen der verschiedenen religiösen Bekenntnisse und die staatlichen Institutionen, die darauf Bezug haben, nicht unter den Shuß des Paragraphen gestellt werden sollen, das, meine Herren, kann nicht im Zweifel sein; denn dafür ist ja der § 166 des Strafgeseßtz- buhs gegeben. Also ich kann den Herrn Vorredner in dem Punkte beruhigen: Die Möglichkeit von Angriffen, selbs s{mähenden An- griffen, auf die Zivilehe soll durch diese Vorschrift niht abgeschnitten werden; ein besonderer Schuß dieser positiven Einrichtungen unseres Landes ist nicht beabsichtigt.

Meine Herren, der Herr Vorredner hat gesagt, die Vorlage habe allerdings in dem § 130 eine gewisse Einshränkung zu schaffen gesucht, indem sie nur solhe Angriffe (Zurufe) ja, meine Herren, ih kann nicht lauter sprehen, wenn das Haus nicht die Güte hat, mir zuzuhören (Glockte des Präsidenten) nur folche Angriffe unter Strafe stellen wolle, welche einen be- \{impfenden Charakter an sih tragen. Der Herr Redner hat daran die Bemerkung geknüpft, das habe ja doch nur den Zweck, die deutschen Professoren zu {chüßen, man wolle den Professoren in ihrer Freiheit jeder beliebigen Kritik gegenüber den grundlegenden Institutionen des Staates und der Gesellschaft freie Hand lassen, die niederen Klassen dagegen wolle man einshränken. Jch weiß nit, welcher Punkt der Motive, welches Wort meiner früheren Auéführungen dem Herrn Abgeordneten zu dieser Unterstellung die Veranlassung giebt. Wenn sih die Professoren beshimpfende Aeußerungen gegen die Institutionen des Eigenthums, der Ehe u. \. w. unter den sonstigen Vorausseßungen der Bestimmung zu Schulden kommen lassen, nun, meine Herren, diese fallen auch unter die Strafe. Ich verstehe nicht, wie die Ausführungen aus den Büchern, die uns der Herr Redner hier vorgelesen hat, irgend etwas beweisen sollen. Nah meiner Meinung find sie auch niht beschimpfend. Wären sie es, und träten die übrigen Bedingungen der Strafbarkeit hinzu, so würde ih kein Be- denken tragen zu sagen: ja, sie sind unzulässig und sollen getroffen werden durch die Vorlage.

Wenn der Herr Vorredner den Wunsch hat, daß die deutsche Professorenthätigkeit unter \{härfere Schranken des Strafgeseßes ge- stellt werde, so steht ihm ja der Weg frei, Anträge zu der Vorlage zu stellen. Will er dagegen sagen: entweder die Regierungen follen auf dem Gebiete der Unterrichtsfreiheit in .seinem Sinne ein- zuschreiten ih verpflihten, oder wir lassen der wilden Agitation und Wühlerei, von der ih neulih die Ehre hatte, Ihnen Beispiele an- zuführen, nah wie vor freien Raum, -— dann kann kein Zweifel sein : dann wird nur der legte Weg bleiben, dann werden wir nach wie vor die Auswüchse in der Presse sh breit machen sehen, von denen ih die Beispiele Ihnen vorgehalten habe. Ich weiß aber nicht, ob es zu Gunften der Interessen, die die Partei des Herrn Vorredners vertritt, sein wird, wenn dieser Zustand so weiter fortgeht.

Meine Herren, ih glaube, die Vorlage hat sih in so maßvollen Grenzen gehalten, daß, wenn wir überhaupt das hat der Herr Abg. Freiherr von Stumm mit Recht hervorgehoben mit einiger Virkung vorgehen wollen, wir uns in engeren Schranken, als es hier geschehen ist, nicht bewegen können. Ich kann auch niht annehmen, daß der Herr Vorredner oder seine Partei geneigt ist, nah dieser Richtung hin in der That der Aktion des Staats noch engere Schranken zu ziehen. :

Meine Herren, mir liegt hier eine Denkschrift vor, die von den deutschen Bischöfen dem Herrn Neichskanzler vorgelegt ift, die sich betitelt : Die moderne Literatur in ihren Beziehungen zu Glaube und Sitte. Jn dieser Denkschrift werden in einer sehr gründlichen Weise alle die Uebel- stände und Schattenseiten dargelegt, die sich an die Entartung darf ih wohl sagen in Presse und Literatur anknüpfen; da wird denn der Wunsch ausgesprochen, daß der Staat gegen diese Dinge einschreiten möge. Ih möchte den Herrn Vorredner mit seiner Kritik hören, wenn die verbündeten Regierungen mit Vor- {lägen kommen sollten, die auf ‘dem Boden dieser Wünsche der Bischöfe ständen. (Hört! hört! rechts.)

Ich beschränke mi auf diese Bemerkungen gegenüber dem Herrn Vorredner und bitte, mir zu gestatten, ncch einige Ausführungen mit Bezug auf die Rede des Herrn Abg. Auer von gestern hinzuzufügen ; ih werde nicht lang sein. Ich habe aber das Bedürfniß, einiges dar- über zu sagen, weil der Herr Abgeordnete meine Zitate an- gefohten hat, indem er wiederholt hervorhob, in Ueber- einstimmung mit der sozialdemokratishen Presse, daß ich sie aus einem alten Zitatensack hervorgesucht hätte. Jch kann dagegen nur dasjenige, was ih auf einen mir bei meiner neulihen Rede von der linken Seite des Hauses {on gemachten Einwurf bemerkte, wieder- holen, daß diese von mir hier angeführten Schriften keineswegs der Vergangenheit angehören, sondern aktuelle Bedeutung haben. Auch das, was aus den Bakunin’shen Schriften angeführt wurde, ist aus Literaturerzeugnissen entnommen, die den leßten Jahren angehören. Ich habe überhaupt nichts angeführt, was nicht in den leßten Jahren erschienen, in den leßten Jahren verbreitet und in den leßten Jahren in die Hände der Behörden gelangt wäre. Daß manche dieser Flug- schriften ihr Material aus Schriften entnehmen, die in der Vergangen- heit liegen, kann doch kein Grund sein, uns zu hindern, gegen der- arlige Flugschriften aufzutreten; denn das darin enthaltene Gift bleibt doch deshalb dasselbe. Jch verwahre mich also dagegen, als wenn ih hier mit alterthümlihem Gerümpel die Vorlage vertreten hätte. Was ih fagte, gehört leider der neuesten Zeit an.

j Der Herr Abgeordnete Auer hat mir dann vorgeworfen, ih hätte mich in einem meiner Zitate einer Fälschung \{chuldig gemacht. Er hatte zwar die Freundlihkeit zu sagen, diese Fälshung sei nicht ab- sichtlih gewesen, aber er hielt do das Wort „Fälschung" aufrecht und gab mir zu erkennen, daß ih: mindestens sehr leihtfertig ver- fahren fei. Der Sachverhalt ist anders. Ich habe, was ich verlas, getreu dem Texte verlesen; es handelte sich um eine Ausführung in einer Bakunin’schen Schrift, daß alle Religionen grausain seien. Diese \{chmähende Behauptung wurde daraus hergeleitet, daß alle Religionen

auf Blut beruhten. Es wird mir von Herrn Auer vorgeworfen, ih hätte niht vorgelesen: „auf Blut beruhten“, fondern „auf Lug be- ruhten“; und in der That, der \tenographische Bericht enthält dies Wort. Nein, eine solche Sinnlofigkeit häite ich nit vorgetragen ; denn die Grausamkeit der Religionen daraus herzuleiten, daß be- hauptet wird, sie beruhten auf Lug, wäre sinnlos. Ih habe richtig verlesen, wie es im gedruckten Tert steht; und wenn die Herren am Stenographentish ftatt des von mir verlesenen Wortes „Blut“ das Wort „Lug“ geschrieben haben, so wird das an der Undeutlichkeit meines Ausdrucks und an der Unruhe des Hauses gelegen haben ; aber der Herr Abgeordnete ist niht in der Lage, mir deshalb Fälshung vorzuwerfen. Jch hätte diese Stelle überhaupt nicht angeführt, wenn da bloß gestanden bätte, die Religionen beruhten auf Lug. Daß die Religionen auf Lug und Betrug beruhen, is eine Behauptung, die {hon so gang und gäbe geworden ist, daß ich es nicht gewagt bätte, mit derartigen Vorlesungen einen Eindruck auf das Haus zu machen. Aber darin hat der Herr Abg. Auer das Schmähende, ih möchte sagen das Blasphemische der von mir vorgelesenen Stelle gar nicht erkannt, daß- in dieser Stelle behauptet wird, die Grausamkeit der Religionen rühre daher, daß sie auf Blut, d. h. auf der Idee des Opfers beruhen. Tiefe Mysterien, die jeder positiven Religion eigen find, werden hier herangezogen, um daraus eine Shmähung gegen die Neligionsidee herzunehmen ; das erhabene Ideal des Opfers, was sowohl der jüdischen, wie der christlihen Religion eigen ist, wird ver- werthet, um die Religionsidee im allgemeinen {mähend herunter- zuziehen. Das ist es ja, was ih durh mein Zitat kennzeihnen wollte.

Der Herr Abg. Auer hat gestern derartige Deklamationen der Flugschriften ziemlih leiht behandelt. Aber, meine Herren, wenn in folcher Weise tiefe Gedanken einer positiven Religion, der doch die Mehrzahl der Bevölkerung des Deutshen Neichs noch angehören will, heruntergezogen werden, wenn Schriften, in denen das geschieht, in die Hände und ihr Inhalt in die Herzen der Jugend kommen, wenn der Staat selbst sie zu verbreiten gestattet mit Hilfe seiner Verkehrs- mittel, die der Bürger doch \{ließlich aus seiner Tasche erhält und bezahlt, wenn alles das gesehen darf ja, meine Herren, ein Volk, das derartigen Dingen faltblütig zusieht, is nach meinem Gefühl in Gefahr, fich selbt zu erniedrigen.

Meine Herren, der Herr Abg. Auer hat dann gesagt, wir hätten bloß die Absicht gehabt, etwas zu machen, weil doch etwas gemacht werden müsse, und deshalb bätte, wie er sih ausdrückte, wieder der Arbeiter der Prügeljunge sein müssen. Wie kommt denn der Herr Abgeordnete dazu, diesem Gesetzentwurf, in dessen Begründung in den schriftlihen Motiven und hier im Hause von dem Arbeiter überhaupt nicht die Nede ist, den Vorwurf zu machen, er set bestimmt, die Arbeiter zu treffen und zu drücken ? Sind denn die Arbeiter diejenigen, die Flugblätter schreiben, oder die {mähenden Artikel in die Zeitungen bringen oder Versamm- lungen arrangieren, in denen Staat und Gesellschaft verähtlich gemacht werden? Nein, meine Herren, der Arbeiter kann seine Interessen weiter verfolgen troß eines solhen Gesetzes, die Arbeiterwelt kann fih organisieren, kann die gemeinsamen Arbeitsinteressen stärken und erweitern, ihre Fretheit wird in keiner Weise beschränkt. Was wir beschränken wollen, sind die Agitatoren, jene Agitatoren, die den ruhigen Arbeiter aufregen, die ihrerseits zerfallen sind mit der Gesell- chaft, feindlich dem Staat gegenüberstehen, die bestrebt sind, die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft zu {chwächen, wo möglih zu vernichten, auch diejenigen Grundlagen, die das Leben der Arbeiter {üßen und stüßen. Diese Leute will die Vorlage treffen, und ich glaube, die überwiegende Mehrheit im Lande wird auf dem Stand- punkt stehen: es geschieht ihnen recht, wenn sie getroffen werden.

Die weitere Berathung wird vertagt.

In einer persönlichen Bemerkung verwahrt sih der Abg. Freiherr von Stumm-Halberg (Rp.) gegen eine Aeußerung des Abg. Gröber, die ihm die Auffassung unterlegte, daß im Kampfe gegen die Sozialdemokratie lediglich Gewaltmittel angewandt werden sollten. Er sei immer für die Hebung der Arbeiter-Wohlfahrt eingetreten und habe auch als erster die Einrichtung einer Rentenversichherung für die Arbeiter befürwortet.

Schluß 41/5 Uhr.

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstage ist der folgende Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung der Gewerbe- ordnung, zugegangen:

Artikel 1.

Der § 30 Absay 1 der Gewerbeordnung erhält folgenden Zusaß :

c. wenn die Anstalt durch ihre örtliche Lage für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publifum über- haupt erheblihe Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen hervorrufen fann. Vor Ertheilung der Konzession sind die Ortspolizei und die Gemeindebehörden zu hören.

Artikel 2.

Der § 32 der Gewerbeordnung erhält folgende Fassung :

Schauspielunternehmer bedürfen zum Betrieb ihres Gewerbes der Grlaubniß. Dieselbe gilt nur für das bei Ertheilung der Erlaubniß bezeichnete Unternehmen. Zum Betrieb eines neuen oder eines i veränderten Unternehmens bedarf es einer anderen Er- aubniß.

Die Erlaubniß is zu versagen, wenn der Nachsuchende den Besiß der zu dem Unternehmen nöthigen Mittel niht nachzuweisen vermag oder wenn die Behörde auf Grund von Thatsachen die Ueberzeugung gewinnt, daß derselbe die zu dem beabsichtigten Gewerbebetrieb er- forderlihe Zuverlässigkeit, insbesondere in sittlicher, artistisher und finanzieller Hinsicht nicht besitzt.

Artikel 3.

Zus “ags 8 33 der Gewerbeordnung erbält als fünften Absaß folgenden usaß :

Die Landesregierungen können anordnen, daß die Bestimmungen über den Betrieb der Gast- und Schankwirthschaft sowie über den Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus auf Konsum- und andere Vereine auch dann Anwendung finden, wenn der Betrieb auf den Kreis der Mitglieder beschränkt ist.

Artikel 4. :

Der § 35 Abs. 2 der Gewerbeordnung erhält folgende Fassung:

Unter derselben Vorausseßung sind zu untersagen: der Trödel- handel (Handel mit gebrauchten Kleidern, gebrauhten Betten oder gebrauchter Wäsche, Kleinhandel mit altem Metallgeräth, mit Metall- bru oder dergleichen), sowie der Kleinhandel mit Garnabfällen oder Dräumen von Seide, Wolle, Baumwolle oder Leinen, der Kleinhandel mit Bier, der Handel mit Dynamit oder anderen Sprengstoffen und der Handel mit Droguen und chemischen Präparaten.

Artikel 5,

Zwischen dem dritten und vierten Absaß des § 35 der Gewerbe- ordnung wird folgender neuer Absaß eingeschaltet :

Jt die Untersagung erfolgt, so kann die Landes-Zentralbehörde oder eine andere von ihr zu bestimmende Behörde die Wiederaufnahme des Gerwerbebetriebes gestatten, fofern seit der Untersagung mindestens drei Jahre verflossen sind.

Artikel 6.

Der § 42þ der Gewerbeordnung wird wie folgt abgeändert :

1) Im Abs. 1 werden die Worte „auf Grund eines Gemeinde- d mai geftrihen; der Schlußsaß dieses Absatzes erhält folgende

assung :

_ Diese Bestimmung kann auf einzelne Theile des Gemeinde- bezirks, sowie auf gewisse Gattungen von Waaren und Leistungen bes{hränkt werden. ;

2) Im erften S des Abf. 3 werden die Worte „auch wenn dieselben nit zu den jselbstgewonnenen oder selbstverfertigten gehören“ gestrihen.

_Im zweiten Sah désfelben Absatzes werden zwischen dem Wort „beschränkt" und dem Wort „werden“ die Worte „und gemäß § 60b Abj. 3 verboten“ eingeschaltet.

Der § 44 Abs. 3 d Gébeibieo d: h

er ; er Gewerbeordnung erhält folgende Fassung :

Das Aufkaufen darf ferner nur bei Kaufleuten her fol anna: sonen, welche die Waaren produzieren, oder in offenen Verkaufsstellen erfolgen. Ingleihen darf das Aufsuhen von Bestellungen auf Waaren, soweit nicht der Bundesrath für bestimmte Waaren Aus- nahmen zuläßt, nur bei Gewerbtreibenden geschehen, in deren Gewerbe- betriebe Waaren der arigebotenen Art Verwendung finden.

i Artikel 8. : n

Dem Absf. 3 des § 53 der Gewerbeordnung wird als zweiter Say hinzugefügt :

Ist die Untersagung erfolgt, so kann die Landes-Zentralbehörde oder eine andere von ihr zu bestimmende Behörde die Wiederauf- nähme des Gewerbebetriebs gestatten, sofern seit der Unterfagung mindestens drei Jahre verflossen sind.

- Artikel 9. M S 56 der Gewerbeordnung werden hinter Ziff. 9 folgende Ziffern hinzugefügt:

10) Bäume aller Art, Sträucher, Sämereien und Blumenzwie- beln, Schnitt- und Wurzelreben und Futtermittel;

11) Shmucksachen, Bijouterien, Brillen und optische Instrumente.

Die jetbige Ziff. 10 wird Ziff. 12. i

D S601 G i Artikel 2M fol

er » der Gewerbeordnung wird folgendermaßen abgeändert:

1) Der Abs. 1 erhält den Zusaß: : 6 G

Die gleiche Befugniß steht den Landesregierungen für ihr Gebiet oder Theile desselben hinsichtlih der im § 56 Abs. 2 Ziff. 10 be- zeihneten Gegenstände zu.

2) Der Abs. 3 erhält die Fassung:

Durch die Landesregierungen kann das Umherziehen mit Zucht- hengsten zur Deckung von Stuten, sowie auf bestimmte Dauer der Handel mit Schweinen oder Geflügel im Umherziehen untersagt oder Beschränkungen unterworfen werden.

Sur S -brBIE 3 Þ N y

Im § 97 Ziff. 3 der Gewerbeordnung sind nach dem Worte „Menschen“ die Worte einzuschalten : E Ï

„Wegen Land- oder Hauffriedensbruchs, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.“

Bi. 1 des & y N 12. N

if. es § 57a der Gewerbeordnung erhält folgende Fassung : ___1) wenn der Nachsuchende das fünfundzwanzigste Lebensja nicht vollendet hat. Y O E s Artikel 13.

Ziff. 2 des § 57b der Gewerbeordnung erhält folgende Fassung: 2) wenn er wegen strafbarer Handlungen aus Gewinnsuht gegen das Eigenthum, gegen die Sittlichkeit, wegen vorsäßliher Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der Menschen, wegen Land- oder Hausfriedensbruchs, wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, wegen vorsäßliher Brandstiftung, wegen Zuwiderhandlungen gegen Verbote oder Sicherheitsmaßregeln, betreffend Einführung oder Verbreitung ansteckender Krankheiten oder Viehseuchen, zu einer Freiheits\trafe von mindestens einer Woche verurtheilt is und seit der Verbüßung der Strafe fünf Jahre noch nicht verflossen sind. : Artikel 14. Dem § 60b der Gewerbeordnung ist als Abs. 3 folgender Zusaß e n a ._ Das Feilbieten der im § 59 Ziff. 1 und 2 bezeichneten Gegen- stände durch \chulpflihtige Kinder kann von der Sun gogen: verboten werden. Artikel 15.

Die Ziff. 7a und 7b des § 148 Abs. 1 der Gewerbcord erhalten folgende Fassung: i R: Ta Wer ben S 96 Abs, 1, Ab 2 Ziff. 1 bis:5, 7 bis 11 Abs. N 8 24 oder I Len zuwiderhandelt, : », wer den Vorschriften der §§ 56 c, 60 a, 60b Abs. 2 und 3 oder 60 c Abs. 2 und 3 zuwiderhandelt. : : Artikel 16. Die Schauspielunternehmern zum Betrieb ihres Gewerbes bisher ertheilte Erlaubniß gilt nur für das beim Inkrafttreten dieses Gesetzes betriebene Unternehmen,

__ Die Einbringung des Geseßentwurfs wird im allgemeinen wie folgt begründet:

1) Das Gesetz, betreffend Abänderung der Gewerbeordnung, vom 1. Juli 1883 (Neichs-Gesebbl. S. 159) hat den Gawerbebetrick im Umherziehen im Interesse der öffentlihen Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheitspflege und Ordnung neu geregelt. Die Klagen und Be- {werden über diese Form des Gewerbebetriebes sind indessen nicht verstummt. Vielmehr i insbesondere aus den Kreisen der seß- haften Gewerbetreibenden fortgeseßt das Verlangen - nah einer weiteren Vershärfung der das Wandergewerbe betreffenden Bestim- iti jo des Tit. 111 der Gewerbeordnung laut geworden.

[n den Reichskanzler, den Bundesrath und den Reichstag sind S uin gerihtet worden, welhe auf die Beschränkung oder das Verbot des Wandergewerbebetriebes abzielen. Die Petitions- kommission des Reichstags hat wiederholt über solche Eingaben ver- handelt (Drucksachen des Reichstags 1885/86 Nr. 184, 1887 1 Nr. 154, 1888/89 Nr. 122, 1890/91 Nr. 350) und befürwortet, die Gesuche dem Reichskanzler zur Erwägung zu überweisen. Im Jahre 1892 hat die Königlih bayerische Regierung einen auf wesentliche Ein- s{hränkung des Hausiergewerbes gerihteten Antrag beim Bundesrath eingebracht. Der Reichstag hat sih in der Sißung vom 9. Dezem- ber 1892 mit dem Gegenstand beschäftigt und demnächst in seiner Sitzung vom 1. Februar 1893 einen von den Abgeordneten Gröber, Hiße und Genossen eingebrahten Geseßentwurf, betreffend die Ab- änderung der einschlägigen Bestimmungen der Gewerbeordnung, in erster Lesung berathen (Stenographische Berichte 1892/93 Seite 195f., 781 f.). Der Entwurf, über welchen die IX. Reichstagskommission Bericht erstattet hat (Drucksachen des Reichstags 1892/93 Nr. 231), ist im Plenum nicht erledigt worden.

„In diesem Geseßesvorschlage sind die auf eine weitgehende Be- \{hränkung des Wandergewerbes gerichteten Wünshe zum Ausdruck gekommen. _ :

Die diefen Wünschen zu Grunde liegende Annahme, daß eine wesentliche Ursache für die ungünstige Lage der feßhaften Gerwerb- treibenden an kleinen Orten in der erbeblihen Zunahme des Wett- bewerbs der Hausierer zu erblicken sei, erweist sih nah der Statistik über die Zahl der in neuerer Zeit zugelassenen Wandergewerbtreibenden nicht als zutreffend. Vielmehr wird der wahre Grund für die un- günstige Geschäftslage und die Verringerung des Absatzes, über welche jene fefbaften Gewerbtreibenden vielfach klagen, in anderen Ver- änderungen des wirthschaftlichen Lebens gesucht werden müssen. Es mag beispielsweise auf die Wahrnehmung hingewiesen werden, da weite Kreise der Bevölkerung bei ihren Einkäufen und Bestellungen 4 niht mehr an die Gewerbtreibenden ihres Wohnorts zu wenden pflegen, sondern si daran gewöhnt haben, ihren Bedarf aus Waaren- häusern und Versandgeschäften der großen Städte oder direkt von den Produzenten zu beziehen. Zu Gunsten dieser Erklärung spricht die aus der beigefügten statistishen Uebersiht sich ergebende That- sache, daß wäbrend der Jahre 1884 bis 1889 die im Deutschen Reich

ertheilten Wandergewerbescheine nur eine der natürlihen Vermehrung