1895 / 19 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 22 Jan 1895 18:00:01 GMT) scan diff

I D E a Cra 7

der Finanz-Minister seine ganze Aufmerksamkeit auf die Vorbereitun der Kommunalsteuerreform bätte rihten können, wenn er nit so vie von Reichésteuerprojekten, die verloren sind, in Anspruch genommen gewesen wäre, so würde der Grundgedanke der Kommunalsteuerrefzrm jeßt niht so gefährdet sein, wie es thatsälich der Fall ist. Die Klagen über die Armen- und Schullasten in den östlichen Provinzen, namentlich auch über die unzureihende Dotierung der Lehrer, bâtten fich recht wohl im Anschluß an die Kommunal- fteuerreform abstellen laffen, wie überhaupt die Ueber- weisung der Grund- und Gebäudesteuer an die Gemeinden die beste Gelegenheit für den Erlaß eines E ohne În- anspruchnahme allzu großer Staatsmittel geboten baben würde. Verfügt doch die Regierung noch über das Mehraufkommen der Ein- kommensfteuer aus drei Jahren, von 120 Millionen, das recht wohl zu einer organischen Reform auf diesem Gebiete hätte gebrauht werden können. Der Finanz-Minister- hat gewünscht, daß die Gemeinden mehr aus eigenen Mitteln aufbringen möchten, und doch enthält der Etat wieder neue erbenite Subventionen für Kleinbahnen. Was die Ausführungen des Finanz-Ministers über die Einkommensteuer betrifft, so muß man doch berüdcksihtigen, daß, wenn er von einer Entlastung der unteren und mittleren Klassen f\priht, es zum theil ganz andere Personen s\ind, die sch jezt in diesen Klafsen be- finden: Personen, die nach Selbsteinshäßung aufgerückt sind, aber früber in niedrigeren Klassen gefteuert haben. Wenn der Finanz- Minister von dem fünften Defizitjahre gesprochen hat, so hat er dabei schon das künftige und das laufende Etatsjahr mitgerechnet, von denen beiden man do no& nicht weiß, wie fie abschließen werden; denn auch für das laufende Jahr hoffe ih, daß das ursprünglih auf 70 Millionen verans{lagte und jeßt auf 19 Millionen E geshmolzene voraussi@tlihe Defizit ganz verschwinden wird. Aber au in der Summe der drei Defizits von 190 Millionen kann ih keine Erschütterung unserer Finanzen sehen. Wir haben den Mehrertrag der Einkommensteuer, wir haben 160 Millionen Schulden getilgt und haben 120 bis 140 Millionen in den Extra- ordinarien als werbendes Staatseigenthum fapitalisiert. Einen Privatmann, der derartig operierte, würde man beglückwünschen ; er wäre auf dem besten Wege, reich zu werden, und würde jedenfalls zur Einkommensteuer recht \{charf herangezogen werden. In Bezug auf unser Finanzverhältniß zum Reih hat der Finanz-Minister gemeint, daß, wenn man das Jahr 1892/93 mit 1895/96 verglihe, sih ein Untershied von 44 Millionen zu Ungunsten Preußens ergebe. Warum zieht denn der Herr Finanz-Minister das Tünftige Jahr, dessen Ergebniß wir nicht kennen, zur Vergleihung herän ? Im laufenden Jahre würde der Unterschied nur 24 Millionen be- tragen. Der Minister hat im vorigen Jahre die Korrekturen be- mängelt, die wir in den Einnahmen des Etats vorgenommen hätten, und der Abg. Freiherr von Zetliy hat unfer Verfahren als einen Vorstoß gegen die feften Grundsäße der Etatsaufstellung be- zeichnet. Und doch hat der Verlauf der Dinge die Richtigkeit unserer Korrekturen bestätigt. Der Minister hat für feine Steuer- projekte im Reiche keine günstigeren Aussichten als im Vor- jahr. Eine gewisse Refignation in dieser Beziehung klang au unverkennbar aus seiner Etatêrede hervor. Der Minister hob am Sóluß seiner Rede hervor, wie Sonderinteressen alle allgemeinen Interessen zu überwuchern drohten. Jch bin auch dieser Meinung. Dieses Geltendmahen von Sonderinteressen is der éigentidée Nährboden der Sozialdemokratie. Umsturzparagraphen helfen dagegen nicht. Ich . weiß nit, ob der Finanz - Minister niht auch jeßt die Hand im Spiele hat, um durch eine Aenderung der Zuckersteuer den Agrariern neue Liebesgaben zuzuführen. Materiell habe ih an dem vorliegenden Etat wenig auszuseßen. Gewisse

Veränderungen halte ih sogar für sehr berechtigt. Was die Reform der Eisenbahnverwaltung betrifft, so wünshe ich nur, daß die Er- \sparnisse, welche dabei in Ausficht gellet werden, auch wirklich zu

stande kommen. Vielleicht ließen sih noch größere Ersparnisse erzielen, wenn man eine Reform- der Tarife in Angriff! genommen hätte. Dabei ließe sich auch eine Aendernng des Reisekostenfonds bewerk- ftelligen. Wenn es gelingt, hier Ersparnisse zu erzielen, so werden wir gewiß alle gern bereit sein, sie zur Fortseßung der Aufbesserung der Beamtengehälter zu verwenden. Im Etat des Ministeriums des Innern begegnen wir einer Erhöhung der geheimen Ausgaben r die Polizei um 50% J weiß nicht, ob diese Forderung ein Werk des neuen Ministers des Innern ist. Wir sehen ja mehrere neue Minister vor uns. Der Minister für Landwirthschaft is ernannt worden, obwohl er ein entschiedener Gegner der E gewesen ist. Diese Ernennung mußte das Herz der Agrarier höher {lagen lassen. Der Justiz-Minister ift für uns noch ein unbeschriebenes Blatt. Er hat bisher zu den politischen Zeit- und Streitfragen keine Stellung genommen, und wir müssen abwarten, wie er sih dazu verhält. Der Herr Minister-Prä- sident hat in der Rede, mit der er sih hier einführte, hervorgeboben, daß er feit langer Zeit dem preußishen Staatsdienst entfremdet sei, und daß seine Thätigkeit es ihm ershwert habe, den Fragen der preußischen Politik zu folgen. Wenn wir fo aus der Initiative des Herrn Minister-Präsidenten wenig erwarten dürfen, so würde es, abgesehen von der Bedeutung, welche die Ernennung des Minister- Präsidenten hat, von Wichtigkeit sein, daß die Kollegialverfafsung des preußishen Ministeriums mehr gewahrt und die Solidarität des Ministeriums mehr zum Ausdruck gebraht würde. Die Kollegial- verfassung des Ministeriums wird durch die Art und Weise beein- trächtigt, wie bei uns Minister ernannt und verabschiedet ‘werden. Die Portefeuilles der jeyigen Minister stammen aus verschiedenen Zeiten, wo verschiedene Kurse maßgebend waren. Jn Bezug auf ihre politishen Anschauungen weichen die Minister erheblichß von einander ab. Mitunter werden die Minister von der Ernennung eines Kollegen ebenso überrascht wie das größere Publikum. Da die Er- nennung von Ministern unabhängig vom Rath des Ministerkollegiums erfolgt, fo halten si die einzelnen Minifter au von der Thatsache unabhângig, daß eine Verabschiedung exfolgt ist. Jm Jahre 1892 wurde das Schulgeseßz bom ganzen Ministerium einschließlich des Finanz-Ministers Miquel eingebraht. Als Schwierigkeiten entstanden und der Minister der geistli en x. Angelegenheiten seinen Abschied nahm, zog nur der Minister-Präsident für Ad die Konsequenz daraus. Nun ist wieder ein Wechsel eingetreten. Die andern Minister bleiben ruhig in ihrem Seife! und warten; die Folge davon ist, daß der einzelne Minister sih auf sein Ressort beshränkt. Dadurch wird das Zusammenwirken des Ministeriums in der Verwaltung wie in der Geseßgebung ershwert, und \g ergiebt sih ein Mangel an Stetigkeit. Heute wird fo regiert, morgen so und übermorgen wieder anders. Früher sprah man vom alten und neuen Kurse; jeßt spricht man im Volk nur noch von einem Zickzackurse. Dieser Mangel an Stetigkeit äußert \sih auch im Verhalten der Regierun gegenüber politischen Personen. Man kann vor drei Monaten noch ein auch gele Band geächteter politischer Parteiführer gewesen sein und

eute in den Staatsrath berufen werden. Jede Berechnung und jede Logik fehlt. Das zeigt sih auch in den Beziehungen nach unten hin. Die formelle Autorität des Ministeriums mag bestehen bleiben, aber mit der (E An des bloß militärishen Gehorsanis ist es do niht gethan. Kein inister weiß, wie lange er im Amt

- bleiben wird. Infolge dieser Veränderlihkeit greist das Gefühl der

Unsicherheit um fih und kommt in allerlei Gerüchten zum Ausdruck. Diese Gerüchte gehen niht von der Oppositionspresse aus; sie stammen zum theil aus den Mittelparteien. Namentlich jene Presse, die vom Fürsten Bismarck ressortiert, betreibt dies gewissermaßen als Sport. Der „Reichs-Anzeiger“ hat ja vorgestern die betreffenden Gerüchte dementiert. An dem Abend, an dem das Dementi erschien, lag jedenfalls die Sache so, wie der „Reichs-Anzeiger“ sie dar- tellte; aber wer - bürgt dafür, daß nicht am folgenden Urn {on die Dinge sih ganz verschoben hatten? Es ist jeßt soviel von der Bekämpfung des Umsturzes die Rede. Dieser Kampf bat damit begonnen, daß die leitenden Männer ih \clbs umftürzten. Die neuen Männer aber haben den Kampf in einer Weise auf- s daß die Sozialdemokratie, welche in inneren Fehden zer- plittcrt war, sich wieder fest zusammengeshlossen hat. Ehe man den Umsturz von unten bekämpft, fange man doch an, dafür zu sorgen,

daß oben Ordnung berrs{cht. Sonst wird die Autorität noch mehr

sinken und nicht blos beim Volke, sondern auch bei den Beamtea, bei allen denen, die fih noch frei von Byzantinismus gehalten und einen offenen Blick für die Kritik unserer Zustände und ein warmes Herz für das Wohl unseres Staats bewahrt haben. s Abg. Freiberrr von Zedliß undN eukirh (frkonf.): Jch glaube, es ist nicht für das Gemeinwohl „und den Patriotismus förderlich, wenn man, wie der Vorredner, keinen andern Gedanken hat, als die Steuermüdigkeit im Lande aufzuheßen und die breiten Schichten der Bevölkerung als diejenigen hbinzuftellen, denen Reih und Staat ungerehte Lasten auferlegen. Jh kann es auch nit als eine Förderung des Gemeinwohls, nicht als ein Zeichen eines warmen Herzens für das Vaterland ansehen, wenn man in einer Weise, die in den That- sachen keine Begründung findet, von der Unsicherheit in den obersten Regionen spricht. Es ist allerdings richtig, daß wir eine Einrichtung bis vor furzem hatten die Trennung des Minister-Präsidiums von der Würde des Reichskanzlers —, die nit dazu angethan war, den Gang unseres Staatswesens in der Harmonie zu halien, wie es nothwendig war. Dieser Zustand ist jeßt überwunden; es war ein Versuch, ver mißglüdckt ift, sowobl vom Standpunkt des Reichs als von demjenigen reußens. - Wenn der Vorredner fich einen Auëdruck, der mir vielfa in der Presse begegnet ift, den Ausdruck „Zickzackpolitik“ zu eigen ge- macht bat, fo glaube ich, kann man einen solhen Ausdruck auf die preußishe Politik jedenfalls niht anwenden, und wenn dieser Ausdruck einen Schein der Berechtigung in der Reichépolitik hatte, fo liegt das wefentlich darin, daß gerade von Blättern, die dem Vorredner nabe stehen, der Neichépolitik ein Kurs unterstellt worden ist, den sie niemals gehabt bat. Man hat sich in der demokratischen Presse jeder Richtung alle Mühe gegeben, die Handelsvertragspolitik als eine dauernde Abwendung von denjenigen wirthshaftlihen Grundsäßen binzustellen, welhe in früherer Zeit festgehalten worden sind. Aber Thatsache ist doch, daß diese aus vershiedenen Gründen einges{lagene Politik lediglih eine Episode bildete, daß auch während derselben nach den positiven Erklärungen der Vertreter der Reichêregierung an dem Grundsay des Schutzes der nationalen Arbeit unverrückt fest- gehalten worden ist, und daß wir jeßt, wo wir diese Episode ab- ges{lossen haben, den rihtigen Kurs wieder gerade fortsegen. Der Vorredner hat vor der Begehrlichkeit verschiedener Kreise der Be- völkerung gegenüber dem Staat gewarnt und bat natürlih wieder die Agrarier als diejenigen bezeihnet, die am Mark des Staats zehrten und den Nährboden für die Sozialdemokratie schaften. Nein, damit ist er doch stark im Jrrthum. Eins der festesten Bollwerke gegen- über der Sozialdemokratie ist ein gesunder Mittelstand in Stadt und Land, und darum ift es eine der ersten Aufgaben einer \staatserhaltenden Politik, auch in dem Sinn der Abwehr gegen die Umsturzbestrebungen dafür zu sorgen, daß die produktiven Klassen der Bepölkerung, aus denen sich der Mittelstand rekrutiert, gesund und lebensfähig erhalien werden. Man wird darübter feinen Zweifel hegen, daß die heutige Entwicklung unferer öffentlihen Ver- bâltnisse den Großbetrieben, besonders dem großen Geldverkehr, zum Nußen ift, und daß diejenigen Kreise, auf die es hierbei wesentlich anfommt: der kleine und mittlere Landwirth, der Handwerker und kleine Gewerbetreibende, unter der Konkurrenz theils des Auslands, theils des Großbetriebs oder unter Wuchergeshäften und sonstigem Druck schwer leiden; und ih habe es immer für eine der erften Aufgaben eines verständigen Staatsmanns erachtet, solchen schwäderen Gliedern des Erwerbslebens eine besondere Fürsorge zuzuwenden. Dem Abg. Richter ist ja der Gedanke fremd, daß der Schuß der Schwachen ein nobile officium des Staats ist; aber ih glaube, daß diejenigen, welche wirklich Sinn und Herz für das Vaterland und für die wirthsaftlihe Gesundheit unseres Volkes haben, dafür eintreten müfsen, daß der Staat für den Mittelstand in Stadt und Land thut, was er thun kann. Ich hoffe, daß, wenn die preußische Regierung es in dieser Richtung auch bisher nit an Tone hat feßlen laffen, wir in der Folge eine noch energisere grarpolitik baben werden als bisher. Es ift nicht meine Absicht, hier die in Betraht kommenden Fragen einzeln zu erörtern um so weniger, als wir noch nicht Gelegenheit gehabt haben, Aus- führungen des Herrn Ministers der Landwirthschaft über das, was er zu thun gedenkt, zu hören. Jh denke aber, der landwirthschaftliche Etat wird uns Gelegenheit geben, diese Fragen so eingehend zu be- handeln, wie sie es im Interesse des ganzen Staats und der ganzen Bevölkerung verdienen. Unter den wenigen Erwerbszweigen auf dem platten Lande gehörten die Zuckerindustrie und der Rübenbau noch zu den wenigen, die gesund und lebensfähig waren. Wir baben dur unfere Gesetzgebung sehr wesentlih dazu beigetragen, diefen gesunden Zweig am Baume unseres wirthshaftlihen Lebens auch noch morsh zu machen, und es wäre nah meiner Ueberzeugung je eber, je besser Hand an diese Gesetzgebung zu legen und dazu beizutragen, was wir können, um diefen Theil unferes nationalen Wohlstandes zu erbalten. Herr Richter ist der Ansiht, die künftige Vorlage zur Förderung des Kleinbahnwesens aus staatlichen Mitteln würde der Entwickelung auf diesem Gebiet des Kleinbahnwesens eber hinderlih als förderlichW sein. Er meint, eine {kräftige Ent- widelung würde eintreten, wenn man das Privatkapital nur von den jeßt noch entgegenstehenden Schranken entbinden würde. Das Privatkapital wendet sich heute mit energisher Bethätigung denjenigen Kleinbabnen zu, welche eine Rente erhoffen lassen, aber die Meliorationébahnen in den östlichen Provinzen lassen keine Rente erhoffen. Da wird man mit einer ganz mäßigen Ver- zinsung des Kapitals zufrieden sein müssen. Die Provinzen und die Kreise thun ja zum téeil sebr viel, so viel, daß es zweifelhaft erscheint, ob es mit ibrer wirthschaftlichen Leistungsfähigkeit noch vereinkar ist. Die öftlihen Provinzen sind zum theil gar niht in der Lage, jeßt erbeblide Mittel in diefer Richtung aufzuwenden, weil die Steuer- kraft der Bevölkerung durch die Aufgaben, die sie jeßt hon haben, wesentlich absorbiert ist. Was die Kreise anlangt, fo hat der Abg. Richter, wie gewöhnli, ein e Wesen daraus gemacht, wieviel ihnen aus der lex Huene zugefloffen ift ; aber im nädften Iabre hört das auf. Aufgespeichert konnten die Gelder doch nicht werden; das verbot das Gesetz. Und was is die Folge? Daß alle die Steuer- erlasse, die auf Grund der lex Huene - einiraten, in gewissem Sinne rückgängig gemacht werden müssen, daß die Kreiésteuern wesentlih ge- steigert werden und zum theil die Erleichterung der Grundsteuer wieder hinwegnebhmen. Dann fällt - auch die Erörterung des Abg. Richter über das Lehrerdotationsgesez in sih zusammen. Gerade diejenigen Gemeinden und Landestheile, in denen das dringendste Be- dürfniß zu einer festen geseßlihen Regelung der Materie im Sinne des § 25 der Verfassung besteht, sind uuch nah der Steuerreform niht in der Lage, den Beutel mehr zu ziehen als jeßt. Wenn wir das durchführen wollen, müssen wir die Aufwendungen für die Schule erbebliG erhöhen. Dazu fehlt es aber an Mitteln und wird es so lange fehlen, als nicht vom Reich geschieht, was geschehen foll, nämli, daß das Reich selbst für seine Ausgaben forgt. Der Abg. Richter bat unsere finanziellen Verhältnisse glänzend dargestellt; er hat sih dabei eines Vergleichs mit einem Privatmann bedient. Der Vergleih trifft nit zu. Er bat dabei das Moment vergessen, daß der Staat keine Abschreibungen maht. Wir baben 100 Millionen bis zu Anfang des laufenden Etaté- jahres in drei Jahren gebraucht, um das Gleihgewiht zwischen Ein- nahmen und Ausgaben herzustellen. Wir werden im laufenden Jahre voraus\ihtlich noch 20 Millionen gebrauhen, und auch der nähste Etat stellt ein Defizit von 4 Millionen in Aussicht. derr Richter hat die Bebauptung des Herrn Finanz-Ministers be- stritten, os Anschwellen der Zolleinnabmen im laufenden Etats- jahre die Wirkung einer ungewöhnlichen Mehreinfubr von Getreide sei. Das ist zahlenmäßig nachzuweisen. Die 15 Millionen Tonnen, die im laufenden Kalenderjahre an Brotgetreide eingeführt sind, sind mebr, als im Durchschnitt von mittleren Jahren überhaupt eingeführt worden ist, Eine ganze Reihe von Kennern der Verhältnisse giebt der Ueberzeugung Ausdruck, daß die Einfuhr den wirklichen Bedarf weit überstiegen hat, und daß sie zum theil fünstlih gemacht ift zum Zweck von Baissespekulationen an der Börse. Der Vorredner hat mit einem gewissen Stolz auf die Korrekturen bingewiefen, die beim vorigen Etat

vorgenommen worden sind. Ih will anerkeñnen, daß in Bezug auf j

A g

die Korrektur der Zuckersteuer die EIENEGEE von denen der Reichstag ausgegangen ift, zutreffend waren. ict zutreffend aber ist die Vorausseßung gewesen bei der Postverwaltung und der Eisen. bahnverwaltung. Ich meine, es ist eines der gefährlichsten und un- folidesten Unternehmen, die Veranlagungsgrundsäye für die Einnahmen ad hoc zu einem bestimmten Zweck zu ändern. Es wird jedenfais dadur ein Element der Subjektivität und der Willkür in die Etats. veranschlagung gebraht, das mit einer sicheren] Etatsveran- chlagung auf die Dauer nihcht vereinbar ist. Es sind wesentlich grundsäglihe Bedenken dieser Art, die gegen den Modus, der im Reichstag im vorigen Jahre beliebt worden ist, zu erheben sind. An diesen halten wir unverändert fest, gleich- viel, ob in Bezug auf den Verbrauch von Zucker im vorigen Jahre zufällig die Rechnung sich einmal als richtig ergeben hat. Ergeben sich in einer Reihe von Jahren die Veranshlagungsgrundsäte bei den Einnahmen einmal als unrihtig, so mag man mit der Regierung in Verhandlung treten über eine neue sichere Art der Veranfschlagung; diefe soll dann aber dauernd bleiben. Ein bemerkenswerthez Moment ist, daß der verhältnißmäßig bessere Zuschnitt des laufenden Etats herrührt von dem starken Mehrüberschuß, den die Staats-Eisenbahn- verwaltung in Aussicht stellt. Dieses Moment ift Herrn Richter ent- gangen. Der Abg. Richter bat bei der Eisenbahnverstaatlihung immer uns entgegengchalten, daß wir mit dem ‘Uebergange zum Staatêeisenbahnfyftem den Ruin unserer Staatsfinanzen berbeiführten. Iett, sehen wir, basiert im wesentlichen unser preußischer Etat auf dem Rückgrat der Cinnahmen aus den Eisenbahnen“ mehr, als nach meiner Meinung gut ist. Ein \olher Mißerfolg der früheren Prophezeiungen des Herrn Richter kann au an der Richtigkeit seiner jeßigen Prophezeiungen in Bezug auf die finanzielle Entwicklung begründete Zweifel erwecken. Im Jahre 1893 ferner hat der Abg. Richter bei der Berathung der finanziellen Lage in der Militär- kommission zahlenmäßig nahgewiesen, daß man nicht nur im Reich 64 Millionen zur Durchführung der Militärvorlagen, sondecn noch ungezählte Steuern mehr brauhen würde. Heute sind niht ganz zwei Jahre wverflossen: welch ein anderes Bild! Es unterliegt keinem Zweifel, daß wir auf die Dauer mit einer so starken Inanspruchnahme der e ae der Staatseisenbahn-Verwaltung zur Deckung unserer allgemeinen Staats- ausaaben nicht werden rechnen Tônnen, daß wir sogar dafür sorgen müssen, möglihst von einer folchen Inanspruchnahme abzusehen. L begrüße es daher auc als Fortschritt, daß jeßt in das Extraordinarium des Etats der Eisenbahnverwaltung diejenigen Aufwendungen für die bestebenden Bahnen eingestellt sind, die nicht durch Vermehrung der Bahnlänge und des Bahnnetes, fondern lediglich durch Ver- mehrung des Verkehrs hervorgerufen sind. Solche Ausgaben det man solider Weise aus den Betriebseinnahmen, ebe man etwas für die allgemeinen Staatsausgahen daraus ent- nimmt. Insofern is mit Freuden zu begrüßen, daß in diesem Etat der erste Anfang vorliegt zu einer korrekten Ordnung des Finanz- verbältnifses des preußishen Staats und der Eisenbahnverwaltung. Auf der ganzen Linie des Etats sehe ih weder bei den Einnabmen noch bei den Auëgaben die Möglichkeit einer starken Besserung aus den Verkbältnifsen heraus, durch die Verbältniffe selbft. Die Forstverwaltung zeigt jeßt {on Mindereinnahmen ; ih fürchte, die nächsten Jahre werden dieseibe Ersheinung bringen. Die Domänen- einnahmen erbalten sich noch etwa auf der alten Höbe; aber die Nachweisung der Verpachtungen der Domänenvorwerke zeigt, daß auch die Landestheile, welhe bizher den Ausgleih gegen die Minder- einnahmen in den getreidebauenden Laxsdestheilen gaben, die zuder- rübenbauenden gleihfalls anfangen, aus dem Plus in das Minus binüberzugehen. Die Einkommensteuer ftellt niht, wie der Vorredner meint, einen sicheren starfen Zuwahs in Ausésiht. Obwohl die Veranlagung eine - sichere is, und obwohl eine ganze Reibe von Per- fonen mehr zur Steuer herangezogen sind, ift das Ergebniß der Ver- anlagung im Vorjahre zurückgeblieben gegen die des ersten Jahres, und wenn nicht alles trügt, werden wir diesmal einen erheblichen Ausfall haben. Die Verkehréeinnahmen, die auf die Bauvérwaltung Übertragen find, werden planmäßig revidiert, aber ein finanzzeller Effekt ist daraus wobl nicht zu erboffen. Meistens sind es alte Wasserstraßen, deren Tarife mit den Verkehrsbedürfnissen der betreffenden Gegend fo eng verknüpft sind, daß man nicht viel daran rütteln kann, ohne Gefahr zu laufen, daß der Verkehr überhaupt aufhört. Durch eine Revision der Stempelsteuer findet vielleicht eine kleine Vermehrung, ein fleiner Ausgleich statt, aber erbeblich fann das nit sein. Die Ausgabe-Etats geben kaum nach irgend einer Richtung bin zu Be- merkungen Anlaß. Dankentwerthberweise ift eine fleine Summe zur Förderung des Fortbildungswesens, des tehnischen Unterrihtswesens in den Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe eingestellt. Im landwirtbsc{haftliben Etat sind die Dispositionéfonds in er- freuliher Weise erhöht worden. Wir werden voraussihtlib den- selben Vorgang wieder erleben wie sonst, daß von keiner Absetung die Rede sein wird, viclmebr auf eine Auëgabenvermehrung gedrängt werden wird und zwar auch auf Ausgaben, die faum abzuweisen sind, wenn wir hinter den Kulturaufgaben nit zurückbleiben wollen. Wir konnten nicht einmal an die ortfeßung der Aufbesserung der Beamtenbefoldungen, die Ordnung des * edizinal- wesens, die Durchführung eines Lehrerbefoldungêgeseßes denken. Wir werden, um nicht immer wieder neue Schulden machen zu müfsen, dazu schreiten müssen, die eigenen Einnahmen Preußens zu vermehren, es sei denn, daß das Reich seinerseits für seine Bedürfnisse Deckung shaff}t. Jh habe es außer- ordentli bedauert, daß man von der Forderung eines festen Reichs- zushusses an die Bundesftaaten Abstand genommen hat. Die Ge- währung eines festen Zuschusses oder eines Antheils an den Reichéeinnahmen und zwar in der Höhe, wie sie erforderlih ist, um die mit der Vermehrung der indirekten Steuern im Reih Hand in Hand gehende Reform der eigenen di- reten Steuern im Sinne der Erleihterung der Shwächeren dur- zuführen, bildete die Vorausseßung für die Bewilligungen des Jahres 1878. Der Gedanke ift ausdrücklich, wenn auch in einer sehr wenig glüdlichen Form, in der clausula Franckenfstein zum Auëdruck getommen, und au bei der Steuervermehrung des Jahres 1887, bei der Bewilligung der Branntweinverbrauhsabgabe is man bei der Bemessung der Höhe auêgesprochenermaßen von der Vorausseßung ausgegangen, daß den Bundesftaaten ein Theil der Einnahmen ver- bleiben Tolle. Diese Vorausseßung, auf der ein Theil unseres Staatshaushalts - Etats aufgebaut ist, if mit einem Strich auf- gegeben worden. Wir haben à conto dieser Reichéeinnahmen die beiden untersten Stufen der Klassensteuer aufgehoben, in anderen Ermäßigungen der Klassensteuer eingeführt; wir baben einen Theil der Volksshullaften auf den Staat übernommen: Aufwendungen, die mebr als 50 Millionen betragen, für die wir jeßt aus unseren eigenen Mitteln Deckung finden müssen. Nachdem die Freigebung der untersten Stufen der Klassensteuey durchgeführt ist, fällt die Dun daß das Reich die Mittel dazu gewährt, fort, und es liegt in der That die Frage nahe, ob wir die Freilafsung der Einkommen unter 900 Æ# noch länger aufrecht erhalten wollen. Meine Herren, ih glaube, es wird ernstlich in Erwägung zu nehmen sein, wenn wider Verhoffen der Reichstag niht dasjenige Maß von Reichseinnahmen bewilligt, welhes nothwendig ift, um ein festes und gesichertes Verhältniß zwishen Preußen und dem Reich herbeizuführen, ob wir nit, bis eine solhe Ver- mehrung der Reichseinnahmen erfolgt, dazu übergehen müssen, die Einkommen bis zu 900 wieder zu den Steuern heranzuziehen. Ich glaube, es würde außerordentlich erziehlich wirken, wenn wir 1 einem Geseße als außerordentlihe Steuer zur Leistung des Beitrags an das Reih die unteren Stufen in dieser Weise heranzögen. werden dann an ihrem eigenen Leibe fühlen fönnen, ob es wünf wertber ift, den betreffenden Betrag in Form von direkten Steuern aufzubringen, die jeder tragen muß, die sih gleihmäßig vertheilen, ob einer leistungsfäbig ift oder nit, oder in der Form einer Lur steuer das ist die Tabadckfteuer doch am leßten Ende —, der jeder entziehen fann, indem er seinen Konsum beschränkt. Zu laube, daß das ernst zu erwägen ist. Und wenn der inanz-Minister einen Appell an das Haus gerichtet hat, we

nit versagen werde, wenn der Reichstag bersagf nun, ich glaube, dieser pell ift niht unbegründet. Wir haben bei der ganzen Steuerreform den Gedanken gehegt und sind uns der Pflicht bewußt

esen, durch eine schärfére Heranziehung der größeren Einkommen und Vermögen zu ten Lasten des Staats der Gerechtigkeit vollen Auédruck zu f an und zwar gerade deshalb, weil die bezüglichen Klassen der Bevölkerung auf die Wahl dieses Hauses den meisten Einfluß haben. Wir werden auch in der Folge daran habe ich feinen Zweifel —, wenn der Appell an uns ergeht, in patriotischer Meise unsere Pflicht erfüllen und das thun, was nothwendig ist, um die Finanzen des Reichs und Preußens zu sichern.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meiae Herren! Ich werde mich zur Zeit darauf beschränken, einigen Ausführungen des Herrn Abg. Richter zu begegnen, während ih demnächst Gelegenheit haben werde, über den Gang der General- debatte mi später zu äußern. :

Herr Abg. Richter hat den Versuh gemaht, meine Rechnung in Beziehung auf das finanzielle Ergebniß der Steuerreform in Preußen zu bemängeln, wenn auch nicht gerade unbedingt zu bestreiten. Es sind ihm aber dabei verschiedene gänzlich mißverständlihe oder un- rihtige Bemerkungen untergelaufen.

Er sagte zuerst: der Fiskus hätte ja nun drei Jahre hintereinander 40 Millionen Mehraufkfommen von der Einkommensteuer in die Tasche gesteckt, und daraus gehe doch hervor, daß der Fiskus ein außerordentlich gutes Geschäft bei dieser Steuerreform gemacht habe. Ich habe schon oft meine Verwunderung ausgesprohen, und daß es mir absolut unbe- greiflih sei, wie Männern, wele sih mit unseren Finanzen beschäftigen, und namentlich in fo eingehender Weise mit unseren Finanzen sich beschäftigen, wie der Herr Abg. Richter, immer noch über denselben Puyrkt dieselben Mißverständnisse begegnen. Meine Herren, die 40 Millionen find eben dem Fiskus niht zu- gute gekommen, auch niht solange sie tbesauriert waren; fie lagen vershlossen im Schranke, und der Finánz-Minister konnte an diese 40 Millionen niht herankommen. Was pasfiert nun jeßt? Jett ist über die Zinsen, diese 120 Millionen oder wieviel fonst s{chließlich die Summe betragen mag, was man noch nicht übersehen kann disponiert zu Lasten der Staatskasse und zu Gunsten der Schule. Also auch nah- ber werden diese aufgefammelten 40 Millionen dem Fiskus nicht zu gute kommen, weder während der Auffammlung noch nah der Auffsammlung.

Meine Herren, der Redner hat dann gesagt, diese lex Huene werde zu gering „angeseßt mit 23 Millionen. Wir hatten bei der Bilanz im Jahre À891 nur 24 Millionen auf die lex Huene ge- rehnet, und die Bilanz der Steuerreform konnte jeßt nur einiger- maßen hergestellt werden dadur, daß wir in diesen Etat 34 Millionen einstellten. Wenn Sie den Durchschnitt des Auf- fommens aus der sogenannten lex Huene berechnen, so kommen Sie lange nicht auf 34 Millionen. Also auch hier ist ja die Behauptung, daß in künstliher Weise die Bilanz zum Nachtheil der General- Staatskasse vershoben fei, durchaus unzulässig.

Endlich sagt der Herr Abg. Richter: Der Staat hat si aber jeßt steigende Steuerquellen geschaffen, während die Steuerquellen, die er abgegeben hat, tedt Tagen. Bei der Grundsteuer ift das richtig, bei der Gebäude- und Gewerbesteuer ift gerade das Gegentheil der Fall. Jch habe dies oft genug ausgeführt, und es liegt auch für jeden Menschen, der objektiv denkt, klar auf der Hand, daß Steuern, die aus Bruttoeinnahmen berrühren, rascher steigen als Steuern aus Netto-, aus Reineinnahmen. Vergleichen Sie das Steigen der Gebäudesteuer mit dem Steigen der Einkommensteuer, so können Sie si die vergleihende Skala selbft machen. Daraus wird sich ergeben, daß die Gebäudesteuer viel s{hneller gestiegen ist als die Einkommensteuer, und dasselbe würde mit der Gewerbesteuer der Fall sein nach der neuen Grundlage, die man ihr gegeben hat. Bei der ganzen Rechnung, die ih angestellt habe, sind aber die 6 Millionen aus der Revision der Gebäudesteuer niht berechnet worden. Wenn ih dieselben noch dazushlüge, so würde das Resultat für den Staat noh viel ungünstiger werden. Hieraus ergiebt sich tlar, daß der Say, den ih ausgesprochen habe, richtig ift: daß alle Vorwürfe, die damals gegen mich erhoben find, durhaus haltlos waren.

Nun kommt der Herr Abg. Richter weiter auf die Frage der Entlastung. Er bat die Zahlen, die ih vorgelegt habe, nicht be- streiten können, und daher können mir diese Reden, die mit diesen Zablen im Widerspruch stehen, auch niht im geringsten Respekt ein- flôßen. (Heiterkeit rechts.) So lange Herr Abg. Richter nit be- weisen kann, daß die von mir vorgelegten Zahlen falsch sind, so lange muß er nothwendig die Konsequenz zugeben, die ich aus den Zahlen gezogen habe. Gewiß, einzelne Personen aus den Mittel- flassen find aus dem Grunde in die Höhe gekommen, weil bei ibnen das Einkommen bisher nicht ganz zu Tage getreten war, welches doch den Charakter eines steuerpflihtigen Einkommens hatte. Davor kann ich niemanden {üßen, das war vielmehr der Zweck der ganzen Steuerreform, daß möglihst wenig steuerpflihtiges Ein- kommen verborgen bleiben follte. Aber im großen und ganzen sind die Mittelklassen heruntergekommen in der Steuer und noch viel mehr die untern Volksstufen. Bei der Statistik, die ih damals angeführt habe, war die Ermäßigung, die beispiels- weise aus der Kinderzahl bei den einzelnen Stufen sh ergab, auch noch nit berehnet, das macht auch über 2 Millionen. Also nah allen Richtungen hin treffen diese Bemängelungen meiner Behauptung nit zu,

Nun beklagt der Herr Abg. Richter, daß die Staatsregierung, statt mit neuen Steuerprojekten sich zu beschäftigen, niht alle ihre Kraft auf eine forrekte Durchführung der Kommunalsteuer- reform verwendet habe. Meine Herren, ih glaube behaupten zu können, daß niemals in einer gründlicheren und, foweit es in der Hand der Staatsregierung lag, erschöpfenderen Art und Weise den Gemeinden die Reform ihres Steuerwesens erleichtert worden ist als diesmal. Wenn Sie die Ausführungsanweisung zur Kommunal- steuerreform lesen, wenn Sie die mündlichen Berathungen und shrift- lihen Auseinandersezungen zwishen den Behörden aller Stufen in Betracht ziehen, wenn Sie die Steuermusterstatuten, die wir ent- worfen haben, lesen: so müssen Sie zugeben, daß in der aller- gewissenhaftesten Weise man bemüht war, den Gemeinden die Durchführung der Kommunalsteuerreform zu erleichtern. Daß in den ersten Jahren namentlich eine gewisse, {chließlich nothwendige, Umgestaltung der staatlihen Realsteuern bei der Grund- und Ge- bäudesteuer und bei der Gewerbesteuer nicht durchgängig

in den Gemeinden platgreifen würde, das habe ih auch s{on bei der Berathung des Gesetzes selbs ausgesprochen. Allerdings Werden dazu längere Jahre gehören. Es stürmte auf die Gemeinden

viel zu viel ein, als daß von ihnen erwartet werden fonnte, daß sie in dieser Beziehung gleih in den ersten Jahren das Erforderliche beschlossen. Nichtsdestoweniger sind auh in dieser Beziehung in den Gemeinden sehr gute Ansäte gemacht, und ih zweifle garniht, daß nah fünf, sechs Fahren unser Kommunalabgabenwesen si den eigentlichen Prinzipien des Kommu- nalabgabengeseßes weit mehr angeschlossen haben wird, als das jeßt der Fall ift. Allerdings muß ich dem Hercn Abg. Richter zustimmen, wenn er seinerseits sagt, daß die Interessengegensäße, welche sich in den Gemeinden geltend machei, namentlich in den Ver- hältnissen derjenigen, welhe von den Realsteuern, und derjenigen, welWe von Personalsteuern vorzugsweise betreffen werden, sehr vielfach hinderlih sind. Meine Herren, in England kann feine Kommune irgend Steuern erheben, als auf Grund einer Parlamentsakte, die genau das Objekt vorschreibt, meist die Höhe, die Art der Erhebung. In andern Ländern ift es ähnli. In Frankreich werden auch jahraus jahrein die Centimes additionell für die Departements, für die Kantons und Kommunen von der Gesetz- gebung festgelegt. Wenn wir dieses System durchzuführen ver- fuht hätten ich habe das {on damals ausgesprohen —, so würden wir auf ganz unüberwindlihe Widerstände ge- stoßen fein, weil nun einmal in Preußen, aber auch in den übrigen deutschen Ländern die Anschauung, daß nicht bloß die Verwendung des Steueraufkommens, sondern auch die Regulierung der Umlagen felbst Sache der Selbstverwaltung und nicht staatlih zu regeln scìi, so tief eingewurzelt war, daß keine Art von Geseßz- gebung mehr dagegen aufkommen fonnte; wir mußten uns beshränken, in dieses anarhishe und buntscheckige Wesen unserer Kommunalsteuern einige Ordnung zu bringen, allmählich Grundsäße in die Vertheilung dieser Laften hineinzutragen und geseßlite Schranken bis auf eine gewisse mäßige Grenze festzuseßen. Es hat sich gezeigt, daß wir in der Vorlage des Kommunalabgabengeseßes in dieser Be- ziehung den Anschauungen des hohen Hauses noch zu weit gegangen waren, und gerade an dem entscheidenden Punkt des verhältniß- mäßigen Heranziehens der Realabgaben zu den Personalabgaben hat ja dieses Haus die Vorschläge der Régierung wesentlich abge- \chwäht. Ih habe darüber damals {on mein lebhaftes Bedauern ausgesprochen; und allerdings läßt sich nicht leugnen, daß die Wirkungen jeßt vorhanden find, und es hat sich dabei au heraus- gestellt, daß die Anschauungen in denselben politishen Parteien nah dieser Richtung hin vor den verschiedenen Interessen zurücktreten.

Wenn der Herr Abg. Richter als Führer der Fortschrittépartei die Beschlüsse des Städtetages in Westpreußen sich ansieht, so wird er au sagen: in dieser Beziehung bin ih kein Führer, die Interessen sind nah der Richtung hin vor allem entscheidend gewesen. Troßdem aber bleibe ih dabei, daß in dem ersten Jahre schon ein sehr erhebliher Erfolg erzielt worden. Im großen Ganzen ift doch eine ganz neue Richtung in das Kommunalsteuerwesen ge- kommen. Auch die Anschauungen von der Gerechtigkeit der Ver- theilung: der Kommunallasten haben \sich schon jeßt sehr wesentlich geändert, und wir haben ganze Regierungsbezirke, wo man mit den Erfolgen nach den Berichten der Regierung {hon jeßt im großen Ganzen durchaus zufrieden sein kann. Ih zweifle nicht, daß, wenn diese neuen Grundsäße und Prinzipien allmählich in das allgemeine Bewußtsein eindringen, wenn die momentanen stark erregten Interefsengegensäße sh etwas abschwähen, und wenn auch die Staatsregierung konsequent zehn Jahre hintereinander nah der- selben Richtung hin ihre Politik den Kommunen gegenüber aufrecht erbält, daß wir dann in einer gegebenen Zeit zu einem durchaus be- friedigenden Zustand kommen werden.

Meine Herren, wer tägli diese Berichte liest und vergleiht, wie die Zustände in den Kommunen bisher waren, wie sie sich in Zukunft gestalten werden , beziehungéweise durch die Beschlüsse schon jeßt geändert sind, dex wird erft recht davon durchdrungen werden, wie gerade auf dem Gebiet des kommunalen Abgabenwesens die Reform am allernotbwendizsten war und \{ließlich auch die besten Früchte gezeitigt hat.

Meine Herren, der Herr Abg. Nichter hat hieran an- \ließend seine Bedenken ausgesprochen, daß nun in diesem Etat oder sogar dur eine Anleihe für die Kleinbahnen eine Subvention ein- gestellt werden solle; er bat gefürhtet, daß dadurch die Selbsthilfe und die Selbstverwaltung abgeshwäht und, wie bei den Sekundär- bahnen, nun wieder aufs neue die Neigung entstehen würde, alle Ausgaben auf den großen Staatssädtel zu werfen. Ich leugne garnicht, daß diese Bedenken auch in der Regierung obgewaltet haben und daß sie diese Be- fürhtung allerdings nicht ganz von sich hat abweisen können. Der

Herr Abg. Richter hat gemeint, das Kleinbabnengefeß habe si nit

bewährt, es seien zu viel Formalität-n und Weiterungen damit ver- bunden, es würden auch zu {were Bedingungen geftellt, das Privat- fapital werde abgeshreck und daraus refultiere es, daß das Klein- bahnwesen sich so hwach entwickele. Nein, meine Herren, das Klein- bahnwesen hat sich seit Erlaß des Kleinbahnengeseßes durchaus nicht s{chwach entwidelt; im Gegentbeil in überraschend großem Um- fange ist die private und Selbstverwaltungsthätigkeit ans Werk gegangen, und wir können {on jeßt übersehen, daß s{chon in den nächsten Jahren eine sehr große Anzahl neuer Bahnen das Land bedecken werden. Wenn bis dahin allerdings das Kleinbahn- wesen keinen großen Erfolg baben fonnte, fo lag das eben daran, daß der Staat nah der damaligen Eisenbahnpolitik die gesammte Thätigkeit auf diesem Gebiet thatsählich mit Beschlag belegte und sih darauf beschränkte, große Linien und Sekundärbahnen zu bauen. Gerade von dem allein finanziellen Standpunkte aus wird es höchst erfreulich sein, wenn in solhen Fällen, wo eine Bahn an sich ein dringendes Be- dürfniß ift, wo aber sehr wohl eine Kleinbahn ausreiht, während man früher dieses Bedürfniß dur cine viel theurere, in der Herstellung und im Betriebe viel kostspieligere Sekundärbahn befriedigte, in Zu- kunft dur die Tertiärbahn die Aufgabe erfüllt wird. Wir haben kFeineówegs dic Absicht, zur Zeit sehr große Summen für die Sub- ventionierung von Kleinbahnen einzustellen; es wird das eine mäßige Summe sein, weil auch die Verwendung dieser Summe \sch an ganz bestimmte Bedingungen knüpft und namentlich nur da, wie ich {hon früher aussprach, zur Anwendung kommen kann, wo die betreffende Gegend wirkli nicht in der Lage ist, si selbst zu helfen und wo doch ein Projekt vorliegt, welhes cinige Rente mit einer gewissen Sicherheit in Aus- sicht stellt. Kleinbahnen, die überhaupt keinerlei Rente ermöglichen, werden nur in den allerseltensten Fällen und wesentlich nur wegen vorhandener Nothstände gerechtfertigt sein, und nah diesen Gesichts-

punkten ift es auch zuläsfig erachtet worden, diesen mäßigen Zuschuß für die Förderung des Kleinbahnwesens in die An- leihe aufzunehmen, weil man eben davon ausgehen muß, daß ein folches Unternehmen dem Staat auch wieder eine ent- sprechende Rente gewährt.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter, in der Absicht, die Finanz- lage des Staats als eine bös glänzende darzustellen, beruft sich darauf, daß wir in den leßten 5 Jahren wenn ih mich recht er- innere 100 Millionen Mark Schulden getilgt hätten. Ich habe Ihnen die Ziffer der Tilgung der Schulden seit dem Fahre 1880 son oft mitgetheilt. Ih habe nachgewiesen, daß wir noch nit einmal ein halbes Prozent Schulden ohne zuwahsende Zinsen seit dieser Zeit getilgt haben, - während andererseits der Gesammtbetrag unserer Schulden heute über sechs Milliarden beträgt. Ich habe hon oft genug dargethan, daß wir unser Eisenbahnwesen, überhaupt alle unsere Betriebsverwaltungen niht ganz mit der Vor- siht und Solidität, die ‘man von einem vorsihtigen und soliden Privatunternehmen verlangen kann, verwalten. _ Herr. Abg. Freiherr von. Zedliß hat das in dieser Richtung hon näher dargelegt, ih will darauf zur Zeit niht eingehen; aber ih bin fest überzeugt, es wäre im bö@sten Grade wünschenswerth, wenn wir noh viel solidere Grundsäße nah unsern Mitteln anwenden könnten, als das bisher gesehen ift.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat gemeint, ih hätte

9 Millionen für Vermehrung von Betriebêmitteln auf alten Linien

lediglih in den Etat eingestellt, weil das das Defizit vergrößere und es mir daran läge, zur Zeit die Finanzlage möglichft ungünstig dar- zustellen. Er hat aber selbs den natürlihen Einwand schon hervor- gehoben, daß das hohe Haus das verlangt hat. Das ift der Antrag des Herrn Dr. Lieber, der hier damals zur An- nahme gelangte, und mit dem ich mich sachlich sofort vollkommen einverftanden erklärte. Die Kontroverse is zwar vor- handen gewesen, aber sie ist jeßt eigentlich doch überwunden. Sowohl der Minister für öffentlihe Arbeiten als der Finanz-Minister baben seit vier, fünf Jahren anerkannt, daß das bisherige System, die Ver- mehrung der Betriebsmittel durch Anleihen zu decken, auf die Dauer gänzlih unhaltbar sei. Wenn nun jeßt die Eisenbahnverwaltung mit so bedeutenden Uebershüfsen kommt und allein einen einigermaßen zulässigen Zustand unseres Finanzwesens aufrecht erbält, dann war es doch wohl erft recht an der Zeit, nunmehr endli wenigstens den laufenden Betriebseinnahmen die laufenden Ausgaben zur Last zu renen, die aus der Vermehrung der Einnahmen selbst resultieren. Sachlich hat der Herr Abgeordnete Richter eigentlich gegen die Be- gründetheit einer solhen Maßnahme nichts vorgebracht, und es kommt nur darauf an, daß man jeßt endlih dasjenige thut; was man längst bätte thun follen.

Wenn ih nun noch einige Worte sage, im Anshluß an die Darstellung des Herrn Abgeordneten Richter über die Finanzlage des Reichs und Preußens und über das Verhältniß beider, so babe ih aus der Presse ersehen, daß man meine Aeußerungen, daß es f{chließ- lich doch wohl bei gutem Fortgang der Betriebsverwaltungen in Preußen gelingen könnte, auG ohne Mehrbewilligung von Einnahmen im Reich zu einer Bilancierung des Etats zu kommen, vielfach mißverstanden und geradezu gesagt hat: der Finanz-Minister gesteht ja selbst zu, daß es keiner Reihshilfe bedarf, Preußen könne sich selbst helfen. Ich habe diese Aeußerung sehr wohl überlegt und absihtlih gemaht, weil die leider noch in unserem Vaterlande vorhandenen Gegensäße dahin geführt haben, daß man den Bewohnern anderer Staaten in Deutschland eingeredet batte, das ganze Verlangen auf Vermehrung der Reichseinnahmen und auf eine Sicherung der Einzelstaaten gegen die fortwährenden Uebergriffe in ihre Finanzen seitens des Reichs basiere lediglih auf preußischen Bedürfnissen. Nein, meine Herren, ih habe klar mahen wollen, daß dieses allgemeine Bedürfnisse sind, und wenn die Herren fh nur die Mühe geben, die Etats- und die Finanzlage der kleineren Staaten Deutschlands zu prüfen, so werden sie sehen, wie nothwendig es war, eine solche Aeußerung zu machen, bez. auf die fôderative Geftaltung Deutschlands und ihre Gefährdung hinzuweisen. Wenn der Reichstag uns in keiner Weise zu Hilfe kommt, dann müssen wir und können es im äußersten Fall au, davon bin ih überzeugt diejenigen Maß- nahmen treffen, mit {weren Opfern, welche erforderlih sind, um das Gleihgewiht wieder herzustellen. Jh bleibe dabei, ein Zustand, der offenbar als ein dauernder Zustand sich entwiFelt hat, wo die festen Ausgaben, die wir niht mehr vermindern können, die dauernden Ein- nahmen des Staats übersteigen das ift in Preußen unerhört und kann nit fortdauern. (Sehr richtig! rechts.)

Das also wird immer die Frage sein: ift wirklich ein folcher Zustand vorhanden oder ift durch besondere Umstände, nah der beson- deren Lage der Dinge, anzunehmen, daß die Finanzkalamität im Reich und in den Einzelstaaten von selbst verschwinden wird? Diese Frage hat der Herr Abg. Richter bier sowohl wie im Reichstag nah meiner Meinung gänzlich unrichtig gestellt. (Hört, hört! rechts.) Es kommt darauf garniht an, ob der Reihs-Etat augenblicklih einmal balanciert, das ift für die dauernde organische solide Gestaltung des Finanzwesens und des Verhältnisses des Reichs zu den Einzelstaaten vollkommen gleichgültig; eine plôßlih ftark eingetretene Vermehrung der Zölle aus der Getreideeinfuhr kann unmögli für einen Finanzmann, der ja nit mit Momenten rechnet, sondern mit dauernden Zuständen, entscheidend sein. Aber wenn ich davon ganz absehe wir haben uns bis jeßt be- schränkt, wir haben auf die Mehrüberweisungen verzihtet, wir haben nur verlangt, daß das Reich für sih selber sorgen soll —, so konnte es doch nur unter der Vorausseßung geshehen, daß das Reich die Garantie liefert, daß es nicht bloß in diesem Jahre zufällig für sih selber sorgt und die Einnahmen und Ausgaben balanciert, sondern daß es dauernd der Fall sei wird. Wir könnten ja viel eher verzihten auf Mehrüberweisungen, die uns ja möglicherweise in diesem Jahre hätten zufallen können, wenn wir uns nicht gesagt hätten: es ist doch noch immer besser für die Lage der Einzelstaaten, wenn sie befreit werden von den s{chwankenden und steigenden Matrikular- umlagen der Zukunft, auch selbs dann, wenn sie heute auf eine Mehr- überweisung aus dem Reich verzichten, die sie bisher genossen haben und die sie berechtigt waren, in dauernde Ausgaben zu verwandeln nach der ganzen Tendenz der Vermehrung der Reichseinnahmen im Jahre 1879/80.

Die Thatsache wird kein Mensch bestreiten können, auch nit der Abg. Richter, daß seit dem Jahre 1891 das Verhältniß der Finanzen des Reichs zu den Einzelstaaten um rund 100 Millionen \ich ver- \{lechtert hat. (Sehr rihtig! rechts.) Wo find nun die 100 Mil- lionen hingekommen? Wie sollen sie gedeckt sein oder werden? Daß