1895 / 28 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 31 Jan 1895 18:00:01 GMT) scan diff

der Gesellschaften als die Frage de nos revendications, also die Frage der Wiedererlangung von Elsaß-Lothringen, der Wiedervereini- gung Elsaß - Lothringens mit Frankreih. Es heißt ausdrücklich im Artikel 28, daß die Besprechung jeder anderen Frage als die Frage der Revindikation ausdrücklich untersagt sgi. Les discussions autres que celles concernant nos revendications sont formellement interdites dans les réunions,

Nun, meine Herren, es wird Ihnen wohl klar sein, daß hier in der That éin Aktionsmittel geschaffen ist, das nicht zu verachten ift, und demgegenüber wir verpflichtet sind, die Augen offen zu halten.

Noch weiter, meine Herren, aus der allerneuesten Zeit: Sie werden gelesen haben, daß die Wiedcrherstellung der ligue des patriotes

_in Aussicht genommen fei. Es wurde dics in französishen Blättern theils bejaht, theils in Abrede gestellt. Nach mir zugehenden Nach- richten ih habe bereits den proviforischen Statutenentwurf gedruckt hier, ift nun wirklich die Wiederherstellung der ligue des patriotes am vorigen Freitag, also am 25. Januar d. I., in Paris, 85 Rue Richelieu, erfolgt. Es ift ein comité d'’initiative gebildet worden ; es foll in kurzer Zeit eine Versammlung einberufen werden, um die Gesellschaft wieder definitiv zu konstituieren; sie nennt \sich nicht mehr ligue des patriotes, fondern ligue patriotique- des intérêts français. IJhr Ehren-Präsfident i Paul Déroulède, und sie hat, wie früher die alte Liga, das Merkzeichen: Qui vive? France! Quand même! und. in dem Schilde: L. d. P. mit der bekannten Ziffer 1870 bis 18.., das alte Fragezeihen. Da wir heute {hon 1895 haben, geben uns also die Herren fein langes Leben mehr in Elsaß-Lothringen. Diese Gesellshaft würde nun wieder eine einschneidendere Propaganda machen, eine \{ärfere Aktion von seiten der Emigration herbeiführen. Sie s\pricht in ihren Statuten in Art. 2, es sei der Zweck der Gesellschaft die Vertheidigung der französishen Interessen et la glorification de la patrie; sie müsse alle Mittel anwenden, pour préparèr les Français à leurs devoirs patriotiques, réveiller leurs souvenirs et entretenir leurs espérances; fie verlangt, daß jedes einzelne Mitglied nah dem Maße seiner Kraft den Kampf aufnehme zur Vertheidigung der französishen Interessen: Tous les membres s’engagent à poursuivre par tous les moyens d’action en leur pouvoir la lutte contre lantipatriotisme et pour la défense des intérêts français, fie {ließt alle innere politischen und religiösen Fragen aus und stellt sih ledigli auf den Boden der nationalfranzösishen Interessen. Was dies uns gegenüber bedeutet das ift wohl jedem klar, der Augen hat, zu sehen, und Ohren zu hören. Und ich muß doc nun sagen, daß es sehr eigenthümlich berührt, wenn von Stelle, wie der Herr Reichskanzler eben wenn von dieser Stelle gesagt wird: es sind Beziehungen und Einwirkungen agitatorisher Art, die vom Auslande herkommen und uns zwingen, fo ungern wir es auch mögen, das Sicherheitsgeseß aufrechtzuerhalten, wenn dem gegenüber auf alle diese Dinge kein Bezug genommen, sondern lediglih von dem loyalen Verhalten des elfaß-lothringischen Volks gesprohen wird. Darüber sind wir alle einig; darüber würde ih dieselben Worte sagen, die der Herr Abg. Guerber gesagt, wie auch der Herr Reichskanzler hervor- gehoben hat: gewiß, die Bevölkerung von Elsaß - Lothringen, in sich unbeirrt und unbeeinflußt durch agitatorishe Einwirkungen von außen her, würde durhaus niht die Beibehaltung diefes Gesetzes erheischen ; allein gegenüber diefen Einwirkungen, meine Herren, die gestützt werden auf tausendfache persönlihe Beziehungen, wie sie im sozialen Leben, im Familienleben, im perfönlihen Verkehr fih geltend machen, die sih völlig oder doch zum großen Theil entziehen der Kenntniß der Behörden, gegenüber diesen Agitationen sind wir doch verpflichtet, nicht diejenigen Waffen aus der Hand zu legen, die wir in einer, doch nur bescheidenen Weise in diefem Gesey zur Verfügung haben. Denn, meine Herren, wir wollen doch nicht glauben und uns hier bange und graulich machen lassen durch die Schilderungen, wie sie der Herr Abg. Bebel gegeben hat und denen der Herr Abg. Guerber ja beigetreten ift.

Abg. Lieber (Zentr.): In dem Ton des Staatssekretärs von Butler, haben wir einen Hauch des Diktaturparagraphen gespürt.

eine politishen Freunde stehen auf dem Standpunkt, daß sie einer- seits von den Bewohnern Elsaß-Lothringens die unbedingte Anerken- nung der Thatfachen des Frankfurter Friedens fordern, andererseits aber auch verlangen, daß die Elsaß - Lothringer als Deutsche, als gleichberechtigte Deutshe behandelt werden. Wir kein besseres Mittel, die Elsaß-Lothringer zu versöhnen, man ihnen mit Vertrauen entgegenkommt. Für den Reichs- kanzler kann es feine {chônere Aufgabe geben, als das Werk der Ver- \söhnung, das er als Statthalter Beadunen als Reichskanzler daturch zu vollenden, daß er der Bevölkerung von Elsaß-Lothringen das Joch des Diktaturparagraphen vom Halse nimmt.

Abg. Höffel (Rp.): In der vorliegenden Frage ftehe ih auf einem anderen Standpunkte wie meine Fraftionsgenossen. Die An- gelegenheit, die uns beschäftigt, ist niht neu; fo lange el;aß-loth- ringische Abgeordnete hier sind, ist sie besprohen worden. Als der sogenannte Difktaturparagraph gemacht wurde, hberrshten in Elsaß-Lothringen abnorme Verhältnisse. Dec Staatssekretär von Puttkamer verneint, daß sie fih beute geändert hätten; ich bin anderer Ansicht. Die Beseitigung des Diktaturparagraphen würde im Lande nur eine gute Wirkung ausüben. In den leßten sieben Jahren ift er gar niht angewandt worden; darin liegt do ein deutlicher Fingerzeig. Das gemeine Recht reicht in Elsaß-Lothringen hin, um

gitationen zu unterdrücken, welhe die Ordnung \tôren wollen. Die elsaß -lothringische

gesprochen hat,

Bevölkerung ist eine ruhige und

eseßtreue; sie ist fonservativ gesinnt und weiß, daß Frei- beit ohne Ordnung cin Unding is. Jch finde keinen Grund, warum man uns die Gleichstellung mit der übrigen Bevölkerung Deutschlands vorenthalten will. Zu Anfang mochte der Diktatur- paragraph berechtigt sein, aber wo sind De FaTtEeeR, die seine Fort- dauer verlangen? Versuchen Sie es, den Weg einzuschlagen, den der vorliegende Antrag empfiehlt und die Wünsche der elsaß-lothringischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Die Fortdauer des Ausnabhmezustandes würde im Lande keinen guten Eindruck machen. Ich empfehle Jhnen die Aanahme des Antrags im Interesse Elsaß-Lothringens, im JInter- esse des Reichs.

Abg. Bueb (Soz.): Es muß traurig um Deutschland bestellt sein, wenn es ohne den Diktaturparagraphen in Elsaß-Lothringen nicht auskommen fann. Die Heranziehung der Patriotenliga zum Beweise für die Nothwendigkeit der Diktatur war fehr kennzeihnend. Ich Taube niht an die Wiedererstehung diefer Liga. Alle Einwürfe, die

eute gegen die Aufhebung des Diftaturparagraphen gemacht werden, find nicht neu. Wenn man auf die Agitationen im Lande hinweist, fo kann ich dagegen das Zeugniß des Barons Zorn von Bulach anführen, der heute im Ministerium von Elsaß-Lothringen sit, und der im Landesausfhuß betonte, daß von solchen Agitationen nihts zu spüren sei. Wenn wir dem chauvinistishen Treiben nachgeben wollten, so würden wir selbst am meisten unter den Folgen leiden. Der Staats - Minister Hofmann hat im Jahre 1887 im Landesaus\chuß selbst ausgesprochen, daß die Emigranten fich an Frankfreich versündigten, weil fie bei ihm die

so autoritativer |

wissen ! als daß |

Täuschung bervorriefen , Elsaß - Lothringen den Revanche- kri wolle. D geibfan 2D iftaturpara- 2 als eine Varaunl@tafe ina. Sie ift denn eine solche n un

nôthig? Die Erfahrungen haben doch gezeigt, daß die Geseh

ohnedies , “um der g nor fömehr all eguemen ungen zu dienen. in Bezug auf das Vereinsrecht u. |. w. geübte Praxis zu kennzeihnen, fehlen mir die Worte. Daß bei solchen Zuständen der patriotische Geist nicht gedeiht und die Sozialdemokratie zunimmt, kann doch nicht Wunder nehmen. Nach der nächsten Wahl kommen wir in verstärkter Zahl. Wir machen uns anheischig, die E wenn sie noch vorhan- den sein follte, furz und lein zu bekommen, wenn _ Sie uns die nöthige Bewegungsfreiheit geben. Bei der leßten Reichstagswahl gestand mein Gegenkandidat, ein fatholiscer Geistlicher, daß er, um seine Pfarrei zu “erhalten, der Regierung ein Schriftstük babe unterzeichnen müssen, dur das er sih cines Theils feiner politishen Rechte begeben habe. Da man uns zu Deutschen machen will, glauben wir niht mehr, aber wir wissen hon lange, daß man uns verpreußen will. Fahren Sie nur fo fort; Sie helfen damit der Sozialdemokratie in Elsaß-Lothringen Fortschritte machen.

Um 53/4 Uhr wird die weitere Berathung vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

8. Sißung vom Mittwoch, 30. Januar.

Jn der Een zweiten Berathung des Etats der landwirthschaftlihen Verwaltung (f. den Anfangs- bericht in der gestrigen Nr. d. Bl.) spricht der Abg. Richter, wie folgt, weiter:

Abg. Nichter (fr. Vp.): Nun spricht man von einer Berufung des Staatsraths ; ich bedauere das aus nationalen Gründen. Man spricht jeßt in Süddeutschland so {hon vonck preußisher Selbstherrlihkeit und Grofpreußenthum; die Stimmung wird noch gestärkt, wenn man An- gelegenheiten des Reichs dur eine preuptice Institution, wie es der Staatsrath ift, berathen lassen will. iese antiquierte Einrichtung will man wieder aus der Rumpelkammer hervorsuchen. Sie ist, um mit dem Fürsten Bismarck zu s\prehen, ein Quan- tum grünen Tuhhs mehr. Man wird in diesen Staatsrath einige konservative Mitglieder, ein paar Zentrumsmänner und ein paar un- schuldige Nationalliberale berufen, von denen man von vornherein weiß, daß fie keine Spielverderber sein werden. Man hat den Staatsrath seit 40 Jahren lediglih aus taktishen Gründen zweinal zusammenberufen. Im Jahre 1884 beabsichtigte Fürst Bismarck, den damaligen Kronprinzen zur Deckung seiner Politik zu gewinnen ; der Kronprinz merkte das und führte den Vorfiß nur ganz formell. Als Biémarck diesen seinen Zweck nicht erreichen konnte, lie) er den Staatsrath wieder fallen. Er respektierte das Urtbeil der Fachabtheilungen nicht und majorisierte das Plenum. Im Jahre 1890 beabsichtigte Fürst Bismarck gegenüber den Erlassen des Kaisers in der Arbeitershußzgeseßgebung einen Halt im Staatsrath zu gewinnen. Auch diesmal hatte er si verrechnet ; die Beschlüsse fielen im Sinne der Krone aus. In beiden Fällen wurde der Staatsrath nur als Kulisse behandelt. Jeßt will man diese Kulisse zur Deckung gegenüber den Konservativen und Agrariern für die Ablehnung des Antrags Kaniy benußen. Der Antrag Kanitz wurde im April vorigen Jahres mit 159 gegen 46 Stimmen im Reichstag abgelehnt. Auch der Abg. Gamp stimmte nicht dafür, er feblte in jener Sißung. Auch jeßt is die Stimmung für den Antrag Kaniß feine Fake starke, wie die Abstimmung in der wirthschaftliGen Vereinigung bezeugt. Graf Caprivi ' war keines- wegs zweifelhaft darüber, daß der Antrag Kaniß mit den Handels- verträgen nicht vereinbar sei. Er erklärte es für eine mala fides, die man uns im Auslande bei der Annahme des Antrages Kaniß unterlegen würde, mit der wir alles Vertrauen im Auslande verlieren würden. Es würde ein Vertrauensbruch \{chärfster Art sein. Nach der wirthshaftlichen Richtung hin würde man allerdings eine gleitende Skala mit dem Antrag einführen, aber eine solhe, die nur nah oben- hin gleite. Den Durchschnittépreis des Getreides will man zum Minimalpreise mahen. Zu Gunsten einzelner Klafsen will man einen Betrieb der Landwirthschaft, bei dem hauptsächlich Großgrundbesitzer betheiligt sind, auf Kosten anderer Stände bevorzugen. Hätte da niht auch die Festsezung einer Zinsrente und der Minimallohn der Arbeiter etne Berechtigung? Wer das Risiko des Eigenthums nicht tragen will, verliert überhaupt das Recht auf Eigenthum. Auch der Reichêtags-Abgeordnete von Bennigsen hat im Reichstage den Antrag als einen gemeingefährlihen bezeichnet, der Wasser auf die Mühle der Sozialdemokratie sei. Der Minister beklagt die Agitation, die dur den Antrag in die kleinste Hütte ge- tragen werde; aber dur die dilatorishe Haltung der Regierung wird diese Agitation nicht gehindert. Vertrauen erweckend ist diese Haltung der Regierung niht. Ich theile durhaus die Ansicht des Ministers, daß man von der Allmaht des Staates nicht alles erwarten darf; wirksamste Abhilfe wird vor allem von den zunächst betheiligten ! Kreisen selbst geschaffen werden können.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich will auf alle die Fragen, die hier zur Ver- hantlung gekommen find und nach meiner Meinung besser im Neichs- tage geführt woürden als hier im Landtage, ich fkann nur meine Ansicht wiederholen, daß ein Uebermaß von Verhandlungen von Reichsfragen in den Einzel-Landtagen, wie ich das hier oft aus- gesprochen habe, nah meiner Meinung nihts nüt, (Widerspruch links) ich sage, daß ih auf alle die Fragen nicht eingeben will, fondern nur auf diejenigen, welche in unmittelbarer Beziehung stehen zu meinem Ressort. Jh möchte aber eins voraus- \shicken.

Der Herr Abg. Nichter hat sich mißfällig geäußert über die be- absihtigte Berufung des Staatsraths. Ich will zuvörderst bemerken, daß die Frage, ob der König von Preußen einen \sahkundigen Beirath berufen will, um wihtige preußische Fragen zu entscheiden, die zugleich auch Reichéfragen sind, doch wohl allein auf den Anschauungen und Ueberzeugungen des Königs beruht, und daß es mir niht angemessen scheint, in dieser Beziehung eine Kritik zu üben, die obendrein, wie ih glei zeigen werde, gar feinen ‘inneren Boden hat. (Bravo rechts!)

Meine Herren, mit der größten Sicherheit hat der Abg. Richter behauptet, der Fürst Bismarck habe zum ersten Mal den Staatsrath berufen, um den damaligen Kronprinzen in feine Politik hinein- zuziehen. Jh möchte einfach die Frage stellen, woher weiß der Herr Abg. Richter das? (Bravo! rechts.) Wenn er es aber niht weiß und es niht beweisen kann, so darf er folche Behauptungen nicht aufstellen. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, ih bin selbs Mitglied dieses Staatsraths gewesen und weiß, daß auh nicht ein Schein hervor- getreten is von einer folchen Absiht (hört, bört! rets) nit der geringste Shein. Meine Herren, die verkehrte Meinung, die der Herr Abg. Richter hier ausspricht, kann man beispielsweise an feiner eigenen Behauptung ermessen, daß die Abtheilungen im damaligen Staatsrath sih gegen die Postsparkassen ausgesprochen ; hätten. Die Abtheilungen ih selbst glaube Referent gewesen zu * sein sprachen sich dafür aus (große Heiterkeit rets)

und wollten nur einige Modifikationen. (Aha! links) Ja

wohl, im Prinzip waren die Abtheilungen dafür. Auch der Fürst Bismarck und auch der Staatssekretär der Post, Herr

_ von Stephan, wollten niht die Vernichtung der Kommunalsparkassen,

Und: wir votierten sämmtlih für die Postsparkassen als eine hohe Wohlthat für das Land. Wir wollten nur gewisse Garantien dahin, daß nicht in zu shroffer Weise eingegriffen werde in die Entwickelung der Kommunalsparkassen. Nun möchte ih aber wissen, was das für eine Frage der großen Politik ist die Frage, der Postsparkassen ?! und wie man bei einer folhen Tagesordnung behaupten fann, Fürst Bis- marck hätte den Kronprinzen in seine besondere Politik hineinziehen wollen. Meine Herren, €s sind im Staatsrath folhe Fragen garnicht vorgekommen, bei der diese Absicht obwalten konnte.

Dann wird behauptet : Fürst Bismarck wollte den zweiten Staats- rath benußen gegen die Politik des Königs. Dieser zweite Staatsrath ist ebenso wie der kommende aus der Allerböchsten Jnitiative Seiner Majestät felbst hervorgegangen. Es kann also diese Absicht gar niht obgewaltet haben, und Fürst Bismarck hat auch nicht ein Wort gesprochen, was in dieser Beziehung gedeutet werden könnte. Wenn nun aber der Staatsrath wirkli gegen einen mächtigen, über- ragenden Mann wie Fürst Bitmarck in beiden Fällen seine Voten abgegeben hat, so ist damit doch wohl bewiesen, daß der Staatsrath ein Organ ift, welhes fich nicht beliebig ad nutum von itgend jemandem gebrauchen läßt.

Nun hat der Herr Abg. Nichter gesagt: den Staatsrath in diesem

Augenblick zu berufen, * sei besonders bedenklich, da das einen partikularistischen Arstrich bekommen könnte, als wenn man diesen Staatsrath mit Reichsfragen beschäftigte, mit denen er - eigentlich nichts zu thun hätte. Auch dies i} durhaus falsch. Der Herr Ab- geordnete seßt einfach voraus, der Staatsrath sei lediglih für den Antrag Kaniß berufen. Woher weiß der Abg. Richter das? (Heiter- keit.) Kennt er die Tagesordnung des Staatsraths, die überhaupt noch nit festgestellt is? Wir kennen sie noch nicht einmal! Daß aber eine große Anzahl Fragen, die die Landwirthschaft interessieren, die au unmittelbar auss{chließlich preußishe Fragen sind, auf die Tagesordnung kommen, daran ist garnicht zu zweifeln, und wenn die preußische Regierung bezro. der Kaiser wünscht, einen sachkundigen Beirath von Männern, die niht unmittelbar in der Verwaltung, sondern mitten im Leben ftehen, zu empfangen, um Stellung auch zu Reid;sfragen zu nehmen, wer könnte das tadeln! Herr Richter ift ja immer derjenige, der darüber klagt, daß vom grünen Tisch regiert wird. Nun wird einmal ein Organ berufen, in welchem au Männer des praktishen Lebens sfißen —, jeßt wird das wieder beklagt. Wer hätte jemals es überhaupt erlebt, das irgend etwas, das

‘von der Regierung ausgeht, von dem Abg. Richter gebilligt wird ?!

(Lebhaftes Bravo! rets, Zuruf links.) Warten Sie nur ab, Herr Abg. Richter, ih komme jeßt auf das Zuckersteuergeseßn. Der Abg. Richter, um einen gewissen Gegensaß zu konstruieren zwischen meinem verehrten Herrn Kollegen und mir, hat ebenso auc in einer unbe- wiesenen Weise mich als den Vater des Zuckersteuergeseßes für 1891 hingestellt. Das ist ebenso falsch. (Heiterkeit rechts.) Dieses Gesetz ist aus der Jnitiative allein der Reihsbehörden hervorgegangen und nicht aus der der preußischen, und es hat eine eingehende Verhandlung stattgefunden für und gegen, wie das in der Reichspolitik überhaupt geht : die ver- schiedenen Regierungen äußern ihre Meinungen, und \{ließlich kommt in der Regel ein Kompromißgeseß heraus, was bei der Zuckerindustrie erst recht natürlih ist, weil da allerdings die vershiedenen Staaten Deutschlands verschiedene Interessen zu vertreten haben. Ich stehe aber garnicht an, zu erklären, daß ich damals ich war eben ins Ministerium gekommen und beschäftigte mich namentlih mit der inne- ren preußischen Steuerreform noch nicht voll erkannt habe, welhe Wirkungen dies Zuckersteuergeseß von 1891 haben würde. Jch bemerke dabei, daß ich übrigens damals {hon auf dem Standpunkt gestanden habe des Neihs-Schaßsekretärs, der das Geseß hatte aus- arbeiten lassen, und der ausdrücklich im Reichstage erklärte: wenn die anderen Staaten ihre hohen Prämien beibehalten, wird man auf die Frage der Beseitigung der Prämien zurückkommen müfsen. Das war also von vornherein der Gedanke, den man damals batte, daß die Revision nothwendig sein würde, wenn sich zeigte, daß die übrigen Staaten ihre vollen Prämien beibehalten. Nun, die Voraus- seßung ift eingetreten. Frankreih, Oesterreich, Rußland, Belgien u. \. w. haben ihre Prämien in vollem Maße aufrecht erhalten, und unsere Industrie foll allein ihre Prämien verlieren ? Meine Herren, nach meiner Meinung is der Vorzug dieses Ge- seßes au heute noch anzuerkennen und unbestreitbar, daß nämlich dieses Gese die Besteuerung an dem Rübengewicht aufgehoben hat. Der Ansicht bin ich noch heute, und ich würde, was meine Person betrifft, einer Revision des Gesetzes dahin, die Rübensteuer wieder einzuführen, nicht zustimmen. Wir haben durch die Beseitigung der Gewichtssteuer ih hoffe, beim Taback wird’'s ähnlih gehen, und da wird Herr Abg. Nichter dieselben Prinzipien verfolgen das Monopol in gewisser Beziehung, das die besten Böden hat, durchbrohen, und das halte ich für richtig. Infolgedessen ist nach meiner Meinung allerdings zum theil die Ueber- produktion, die sih seit der Zeit in verstärktem Maße geltend gemacht hat, möglih geworden. Aber der eigentlihe Grund der Ueberproduk- tion ist ein anderer, der [iegt in der s{chwierigen Lage der Landwirth- schaft. (Sehr richtig! rechts.) Wenn die Körner garnihts mehr einbringen, \o greift der Landwirth s{hließlich zu dem leßten Noth- anker, und er {heut und kann nicht {euen das Nisiko, welches aller- dings mit der vermehrten Zuckerproduktion oerbunden ist. (Sehr richtig! rechts.) Wenn der Herr Abg. Richter also ‘behauptet, die Verstärkung der Zuckerproduktion bewiese, daß die Landwirthe felbst in der bevorstehenden Aufhebung der Zuckerausfuührprämien gar fein Bedenken gefunden, sondern neue Fabriken eingerihtet hätten, fo ist das durchaus irrig. Meine Herren, die Landleute wußten wohl das Risiko zu würdigen, aber fie waren gewissermaßen durch die allgemeine Lage gezwungen, zu diesem Mittel zu greifen. Der Herr Landwirthschafts-Minister hat einige Gesichtspunkte angegeben, nach welchen er glaubt, daß eine Revision, eine Reform der Zuckerbesteuerung eintreten müsse. Er hat damit niht sagen wollen und niht sagen können, daß in dieser Beziehung hon seitens der verbündeten Regierungen irgend. feste Beschlüsse gefaßt sind. Das hat der Herr Landwirth- \chafts-Minister, wenn ih mich recht erinnere, sogar ausdrücklih aus- gesprochen. Die ganze Frage ift noch schwebend; wann sie zur Ent- scheidung kommt, ist heute noch gar niht zu übersehen. Nach we!chen Richtungen hin das Geseß reformiert wird, ist nah Maßgabe der bis jeßt gepflogenen Berathungen noch garnicht bestimmt vorherzu-

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sagen. Ih möchte daher bitten, daß auf diese Frage hier im Ab- geordnetenhaus zur Zeit kein entsheidendes Gewicht gelegt wird.

Nun hat der Herr. Abg. Rilter bei diefer Gelegenheit einen Say ausgesprochen, auf den ih hier noch mit- zwei Worten zurüdck- kommen will. Er sagt: dieses Bestreben, die kleineren Fabriken weniger zu besteuern als die größeren, ist ein Hemmniß der modernen Entwickelung, eine Besteuerung der Produktion. Es if mir sehr erfreulich, hier ‘mal meine Meinung, bestimmt. darüber ausfprehen zu können. Meine Herren, für die direkte Besteuerung ift kein Zweifel bei allen verständigen Menschen vorhanden, daß man die Besteuerung einrichten muß nach der Leistungsfähigkeit, und daß größere Vermögen verhältnißmäßig leistungsfähiger sind gegenüber den jeweiligen Bedürfnissen der Vermögensinhaber als die kleinen. Nun weiß ich wohl, - daß für die Verbrauchsabgaben die alte nationalökonomishe Theorie dahin ging, die der Herr Abg. Richter vertritt: Zucker is Zucker, Branntwein ijt Branntwein, sie müssen gleihbesteuert werden; der * Staat fümmert sich nicht um die Frage, woher der Zucker kommt und woher der Branntwein -kommt; er greift das Produkt und besteuert es. Das iff eben eine Verbrauchsabgabe. Nun, meine Herren, dem sftelle ich folgenden Gedanken ent- gegen: Der Zucker und der Branntwein, der in kleineren Fabriken mit größeren Generalunkosten mit mangelhafteren Maschinen u. \. w. eben theurer produziert wird, ist zwar Zucker und Branntwein, ihn aber gleich zu besteuern mit demjenigen Produkt, welches aus einer größeren Fabrik kommt, heißt den Großen pri- vilegieren zum Nachtheil des Kleinen. (Sehr richtig!) Meine Herren, ih möchte dringend bitten, daß Sie dieser Frage durch eigenes Nachdenken etwas nachgehen. Der Preis eines großen Konsum- artikels, der im Inlande produziert wird, bestimmt sihch zwar nicht immer nach den hôhsten Produktionskosten . der \{chlechtesten Fabrik, sondern in der Regel nach dem Durchschnitt der Produktionskosten. Wenn Sie also den Gesammtzucker und den Gesammtbranntwein, einerlei aus welhen Fabriken er fommt, gleich besteuern, so beshweren Sie den kleinen Fabrikanten und begünstigen die großen Fabrikanten. (Sehr richtig) Das Prinzip der Leistungsfähigkeit muß man bei der Besteuerung foweit in Anwendung bringen, als es überhaupt geht. (Abg. Richter: Maschinensteuer!) Nein, betreffs der Maschinensteuer is die Frage eine andere. Erlauben Sie, Herr Rihter: wenn wir eine Maschinenfsteuer über- haupt hätten oder einführten, dann würde ich die kleinen Maschinen- fabriken allerdings geringer besteuern als die großen. (Sehr gut! rechts.) Aber wir haben eben keine Maschinensteuer und wollen sie auch nit haben. Das ift der Unterschied.

Meine Herren, man s\pricht soviel vom Schuß der Mittel- flassen; jeder sagt: die Mittelklassen müssen geschüßt werden. Wenn die Sahe aber "mal praftisch wird, wenn gefragt wird: sollen wie in England drei große Sprit- fabriken alle anderen kleinen Fabriken vernichten in der Konkurrenz, und zwar mit Hilfe der Besteuerung des Staats, der durch die mechanish gleiche Besteuerung den Vortheil der großen Fabriken, den sie an sih haben und den wir ihnen auch gar nicht nehmen können noch wollen, verstärkt und verdoppelt? Aber es heißt, ih behaupte, in der Brannt- weinbesteuerung haben wir den Beweis geführt, daß es wirkli geht, und troy aller Angriffe, die namentlich gegen mich persönlih in Bezug auf die Branntweinsteuer gerichtet sind, bleibe ih noch beute dabei stehen, daß dieses Gescy feinen großen Zweck, die Branntweinproduktion als landwirthschaftlißes Nebengewerbe zu erhalten und die moderne fkapitalistishe Entwickelung zum Ruin unserer Landwirthschaft wie in England abzuhalten, in vollem Maße erreiht hat. (Sehr gut! und Bravo! rets).

Soviel bierüber! Aehnlich liegt die Sache, wenn man der Frage . der Exportprämien nahgeht. Da balten die alten natioralökonomischen Anschauungen au nicht immer mehr vor. Ich sehe ganz davon ab, ob dann nit hier gekämpft werden muß zwischen Nation und Nation, ob nit ein allgemeines Reißen um den Weltmarkt vorhanden ift und bei den Kulturvölkern nothwendig vorhanden sein muß, ob nicht die Lage unserer deutschen Handelsþolitik eine ganz antere sein muß, wenn wir mit Staaten konkurrieren, die hohe Exportprämien haben, als wenn wir mit Staaten konkurrieren, die keine Erportprämien haben. Davon sehe ih ’mal ganz ab. Man fann als Nationalskonom sehr wohl der An- ficht sein, die Exportprämien an ih für ein Uebel zu erahten, und doch gleichzeitig der Meinung sein, daß fie unter gewissen Umständen ein nothwendiges Uebel und garnicht zu entbehren sind, wenn wir nit selbst den größten Schaten haben wollen. Aber ganz abgesehen von diesem Gesichtspunkt: wenn zwanzig Großindustrielle, weil sie allein sind, sih verabreden, im Inland theuer zu verkaufen und im Ausland billiger, um ihren Gesammtbetrieb aufrecht zu er- halten, würde das jemand tadeln? Nicht im ent- ferntesten! Ich habe es hier tadeln hôren zu meinem Be- dauern. Ich halte das für ganz berechtigt, finde das für durchaus berechtigt.

Nun haben wir aber in der Zuckerindustrie sowohl wie in der Branntweinindustrie eine sehr große Anzahl von Produzenten, die so verschieden sind in ihren Interessen und Verhältnissen, daß fie \ich nit einigen können. Wenn der Staat nun seine vermittelnde Hand dazwischen legt und sagt: ih nehme von den Produzenten eine Steuer, und diese Steuer verwende ih für sie, um ihren Export zu er- möglichen, ist das wirthshaftlich etwas Anderes ? Nein! der Staat hilft hier nur den Shwachen, weil sie nit stark genug sind, sich selbst zu helfen. Diese alten nationalokönomishen Säße haben si eben durch die moderne Entwickelung auch sehr verändert, Herr Richter (Heiterkeit), und es ist klug, die Schlüsse, die man aus veränderten Verhältnissen ziehen muß, auch wirklich zu ziehen und nicht bei Schlüssen und Theorien und Begriffen steben zu bleiben, die aus einer ganz anderen wirthschaftlichen Lage entstanden. (Sehr richtig! rets.)

Meine Herren, der Herr Abg. von Puttkamer hat mi apostro- phiert nah dem Gesihtêspunkt, man möge doh bei der Rentenbildung vorsichtig sein, damit niht auch die Rentenzahlung an den Staat gefährdet werden könnte und man si da ein neues Proletariat affe. Ich nehme diese Warnung gern entgegen; ich möchte nur Herrn von Puttkamer sagen, daß was hier von der Zentralstelle aus geschehen kann, nah der Richtung gesHeben is. Es kann sein, daß im ersten Anfang der Rertenbildung der Werth der Güter, welhe in kleine Renten: güter zers{lagen werden sollten, folgeweise die Preise, die zu zahlen waren, hier und da übershäßt find, wie überhaupt der Werth des Grund und Bodens, wenn er verkauft wird, vielfach überschäßt wird; das lehrt die Erfahrung. Wir haben aber sehr bald in dieser

Beziehung die Behörden zur größten Vorsiht aufgefordert, und ih glaube au, man hat selb {on und man mußte ja auch* lernen, weil dies eine ganz neue Materie war aus der Erfahrung gelernt, und man wird vorsihtiger und vorsihtiger werden. Es ift dabei wohl zu bedauern, daß die Rentengutsbildung dann etwas lang- samer erfolgt, als nach vielen Nichtungen gewünscht wird. Alle solche großen sozialen Maßregeln muß man aber überhaupt nicht über- stürzen, die müssen Schritt für Schritt mit wachsender Erfahrung aller Betheiligten sowohl des Réntengutsgebers als des Rentenguts- nehmers als auch der Behörden ausgeführt werden. Jch hoffe also, daß wir wenigstens für die Zukunft ‘in dieser Beziehung die Fehler, die möglicherweise begangen sind, werden vermeiden können.

Meine Herren, soviel, glaube ich, teht fest, daß wenigstens in diesein Hause, ih glaube au felbst bei der freisinnigen Partei, heut- zutage niht mehr bestritten wird, daß die Landwirthschaft gegenwärtig, obwohl gewiß die Krisis eine allgemeine Weltkrifis ift, und obwohl sie nit bloß die Landwirthschaft, sendern auch alle übrigen Gewerbe ergriffen hat, der am allerstärkften gefährdete Gewerb8zweig if. Es ist noch nit lange her, da wurde die Noth der Landwirthschaft von einer gewissen Seite konstant béstritten und wurde die Frage ledigli als eine Frage des großen Grundeigenthums in den östlihen Provinzen bezeichnet. Ueber dieses Stadium sind wir hinweg. (Sehr richtig! rechts.) Das, glaube ich, kann man fonstatieren; es wird kaum jemand mehr behaupten, daß die Bauern überhaupt nit gefährdet seien, daß es ihnen ganz erträglich gehe, daß der Kleinbesiß in keiner Weise einer Fürsorge bedürfe.

Ich glaube, weiteres wird aus den Erklärungen des Herrn Landwirthschafts - Ministers, wie aus der Haltung der Staatsregierung überhaupt fklar hervorgehen, daß die Staatsregierung dasjenige, was se innerhalb der großen Aufgaben des Staatslebens und unter Berücksichtigung der Interessen der übrigen Klassen der Bevölkerung für die Landwirthschaft Nüßz- lihes thun fann, um ihr über diese Krisis hinwegzuhelfen, zu thun entshlossen ist ; man kann sich höchstens über die Mittel streiten, und ih möchte dringend bitten, daß die Herrn, die in dieser Beziehung hier und. da Mittel vorschlagen, welche eine all- gemeine Anerkennung als nüßlich und wirksam noch niht gefunden haben, oder welhe auf gegentheilige Meinungen der Staatsregierung ftoßen, doch die Sache niht von dem Standpunkt aus betrachten mögen, daß nun alle diejenigen Abhilfsmittel, welche man wirklich ergreifen kann, nichts werth seien; damit schadet ih die Landwirth- schaft nach meiner Meinung selbst. Ja, ich bin der Meinung, daß in einer folhen Situation, in der wir heute sind, die Politiker, welche die Interessen der Landwirthschaft im wesentlihen vertreten, sehr vor- sihtig sein müssen in der Erzeugung undSchaffung von Gegensäten, zwischen Anschauungen, die an und für sih dasselbe Ziel verfolgen. Das ift eine bödst gefährlihe Sache; es können dadurch Maßregeln vielleicht verloren gehen, die sehr wohl auéführbar gewesen wären, namentlich wenn denjenigen, die überhaupt Abhilfemaßregeln nit für nothwendig halten, damit der Vorwand in die Hände gegeben wird, daß die Landwirthschaft auf diese Maßregeln ja selb kein Gewicht lege, weil fie keine großartigen Erfolge zu verzeihnen hätte. Ich glaube, damit würde die Landwirthschaft sich selbs am allermeisten schaden. Alle diese großen sozialen Erscheinungen, ebenso wie die foziale Frage überhaupt, können nicht mit einem Mittel kuriert werden ; in der Regel is eine Summe von Gesammtwirkungen, von Mitteln erforderlich, die nur sehr allmählich zum Ziele führen. (Bravo! rets.)

Minister für Landwirthschaft, Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Jch beabsichtige nit, auf alle Erörterungen ein- zugehen, die der Herr Abg. Richter hier vorgetragen hat; aber in zwei Punkten muß ih Aeußerungen, die er rücksichtlih meiner gestrigen Ausführungen gemacht hat, richtig stellen. Ih will gleih sagen, was ih gestern gesagt habe; dann wird Herr Abg. Richter finden, wie weit er die Sache seinerseits fals dargestellt bat.

Ich habe gestern gesagt, es sei in der Generaldiskussion von anderer Seite die Frage angeregt, ob es nicht möglich und autführbar sei, in eine Revision der Handelsverträge einzutreten, und anknüpfend an diese Bemerkung habe ih gesagt, die Frage würde außerordentlich schwierig sein ob sie zum Ziele führen werde, fei zweifel- haft; jedenfalls bedürfe sie, ehe man an sie herantrete, der reiflichen Erwägung, und diese Erwägungen liegen nit allein bei der preußischen Staatsregierung, während Herr Abg. Richter es \o dargestellt hat, es sei die Anregung von mir gegeben, daß man in die Revision der Handelsverträge eintreten folle.

Eine zweite Aeußerung, meine Herren, muß ich auch heute {on rihtig stellen. Sie werden \ih genau erinnern, daß ich bei meinen Darlegungen über den Antrag Kaniß im Anfang ausgeführt habe, daß ein konkret formulierter Antrag Kaniß noch nicht vorliege, daß ih allerdings gehört habe, es sei in der freien wirthschaftlihen Vereinigung jeßt ein solcher Antrag formuliert. An diese Ausführung anknüpfend, habe ih zunächst gesagt, die Staatsregierung sei unzweifel- haft entshlofssen und gewillt, die Handelsverträge zu halten und fie auszuführen, habe dann aber ausgeführt, wenn nun ein fkonfreter Autrag noch nicht vorliege, fo sei es außerordentlich \{wierig, zu der Frage Stellung zu nehmen, welhe von den in dem Rahmen des Kanitz’\{hen Antrags angeregten Gedanken troß der Handelsverträge ausführbar seien oder dazu im Widerspruch ständen. Ich habe dann gesagt, die Monopolisierung der Einfuhr an sich halte ich, ohne eine Er- klärung namens der Staatsregierung abgeben zu können oder zu wollen, mit den Handelsverträgen vereinbar; würde aber der Zufaßz, der das Wesentliche von dem Antrag Kaniß ist, in einer konkreten Form an den Reichstag gebraht, daß nah einem Durchschnittspreis der leßten 40 Jahre die monopolisierte Einfuhr in den Verkehr gebracht werden soll, so habe ich ausdrüdcklih gesagt, daß, wenn der Antrag Kaniß eine sfol&e Form annähme, ih diese mit den Handelêverträgen nicht ver- einbar halte.

Es ift also eine thatsählich unrichtige Darstellung, die der Herr Abg. Richter, wie gewöhnlih, gerne in die Diskussion hineinträgt, um der Staatsregierung, namens deren ih gestern gesprochen, \{chwankende Haltung vorzuwerfen. Die Richter’she Darstellung ift geeignet, in der öffentlihen Meinung die Ansicht zu verbreiten, die Staatsregierung nehme Anstand, zu dieser Frage öffentlih Stellung zu nehmen. Der Grund, weshalb ih zu dem Antrag Kani cine be- stimmte Stellung nicht nehmen konnte, lag darin, daß ein fkonkreter Antrag Kani überhaupt noch nit vorlag.

Domänen und Forsten

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Diskussion ich glaube au, daß das im Interesse des Hauses liegt auf eine ganze Reibe von Aeußerungen des Herrn Richter zurück- zukommen, die ich dann in Verbindung mit anderen Aeußerungen anderer Herren Redner widerlegen kann. Jh gehe auf die weiteren Ausführungen des Herrn Richter um \o weniger ein, als die bedenk- lichsten Aeußerungen des Herrn Abgeordneten {on von meinem Kollegen, dem Herrn Finanz-Minister, in der ausführlihsten Weise widerlegt worden find.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Herr Richter sieht die vorliegenden Hilfsmittel für die Landwirthschaft nur von dem Standpunkt des Konsumenten an. Man muß aber doch erwägen, wie ftark die Krank- heit eines einzelnen Produktionszweiges auf die gesammte Wohlfahrt des Landes wirkt. Die Wohlfahrt des Bauernstandes muß uns im Interesse des gesammten Vaterlandes am Herzen liegen. Er- leihterungen des Verkehrswesens, geeignete Es müssen zur Hebung der Landwirthschaft eingeführt werden. Thöricht wäre es allerdings, die Staffeltarife nur bis Berlin in Geltung zu segen. Auch Wegebau- und Kanalanlagen müssen gefördert werden. Leßtere kommen ganz? befonders auch der Landwirthschaft zu pes und dienen keineswegs hauptsählih dem Import. Was die

teuerreform betrifft, so hat sie unzweifelhaft den Grundbesiß stärker belastet. Mit dem Herrn Minister stimme ih überein, daß man bei der Branntwein- und Zuckerbesteuerung hauptsä lich auf die Er- haltung der mittleren und kleineren Betriebë Rücksihf nehmen muß. Von der Aufhebung der Zuckerausfuhrprämien möchte ih abrathen, da andere Staaten auch an dieser Einrihtung festgehalten haben. Wir fönnen also dem Herrn Landwirthschafts - Minister unsere Unter- stüßung auf dem Gebiet der Zukersteuer in Aussicht stellen. Eintreten muß der Staat ferner für Meliorationen aller Art und für sonftige sogenannte kleine Mittel. Aber auch über- die großen Mittel sind wir zum überwiegenden Theil mit dem Herrn Minifter einverstanden ; denn dem Antrag Kaniß gegenüber hat der Herr Minister zunächst eine Prüfung zugesagt und die Erwägung alles dessen, was den Handels- verträgen nicht widerspriht. Warum foll man über diese Frage nicht auh die Sachverständigen des Staatsraths befragen? Wenn das Parlament die Anschauungen dieser Körperschaft nicht theilt, braucht es den Beschlüssen nicht zuzustimmen. Das Urtheil und die Zusammen- seßung des Staatsraths is bis jet keineswegs Ges gewesen; hat man doch auch einen Sozialdemokraten zu den Berathungen hinzugezogen. Bei einem Vergleih der Landwirthschaft im Osten und Westen ist die Lage der ersteren thatsählih die {limmere, und unsere Bestrebungen müssen daher namentlih auf die Besserung der östlichen Landwirthschaft gerichtet sein. Auch jeßt find wir bereit, weitere dahin gehende Maütégela zu befürworten, wie wir es {on hinsichtlih des Rentengüter- und Ansiedelungsgeseßes gethan haben. Wir müssen mehr Menschen nah dem Osten bringen und dadurch auch der Industrie im Osten einen fruchtbaren Boden hafen. Nicht zustimmen kann ih daher dem Herrn Minister, wenn er die Bildung von Fidei- fommissen befürwortet; es wird dadurch do gerade verhindert, neues Blut in jene Gegenden zu s{chafen. Die Bildung von Latifundien wirkt, wie wir an England sehen, auf die Dauer immer s{chädlich. Mindestens müßte man über eine bestimmte Größe des Besißes hinaus feine Fideifommißbildungen zulassen und in dieser Beziehung eine Maximalgrenze ziehen. Wir können also Vertrauen zu der Führung des Herrn Ministers haben und werden ihn nah Kräften unterstüßen.

Abg. von Mendel-Steinfels (fkons.): Die kleinen Mittel, die der ere Minister genannt -hat, können der zu Grunde gehenden Landwirthschaft nit mehr helfen. Einen Ertrinkenden känn man durch Rettungsmittel, die man erst konstruieren will, nicht retten. Der Nothstand in der Landwirthschaft ist so groß, daß von einem einigermaßen auskömmlihen Standard of life niht mehr die Rede sein kann. Unser „Geheimmittel“, das wir einschlagen, ist ledigli darauf gerichtet, die Landwirthschaft existenzfähig zu machen. Weiß die Regierung ein besseres Mittel dazu wie den Antrag Kanit, fo werden wir es ergreifen und den Antrag Kaniß fallen lassen. Aber unser Vertrauen is durch die Maßregeln der Regierung in den leßten Jahren nit gestärkt worden, namentli niht durch die Handelsverträge. Die Viehzucht, zu der man uns räth, ist nicht auf allen Gebielen und in allen Gegenden einzuführen; wo blieben aber auch die ländlichen Arbeiter, die durch Aufgabe des Getreidebaues brodlos würden? Hat man ni@t auch durch laxe Handhabung des Seuchengeseßes die Vieh- zucht benachtheiligt und Unsicherheit in diesen Gewerbebetrieb gebracht ? Unser Vieherxport is dadurch namentli in gewissen Jahreszeiten fast lahm gelegt. Für die Ausführungen des Herrn Ministers über die Zuckersteuer bin ih dankbar; ein so unentbehrliher Theil der Land- wirthschaft muß erhalten bleiben. Die Unzufriedenheit, die auf allen Gebieten berrsht, wird potenziert durch die Lähmung der Kaufkraft der ländlichen Bevölkerung, die niht nur Agrarfanatiker, sondern alle Klassen der Bevölkerung in Stadt und Land berührt. Deutschland ist aber kein Industriestaat, sondern ist und bleibt ein Agrarstaat. Die Noth wird daher auch die Regierung zwingen, auskömmliche Getreide- preise zu normieren, die die Landwirthschaft am Leben erhalten. Die Waffen aus der Vorrathskammer der Manchestershule nüßen uns nichts, wenn dieselben Maßregeln nicht auch vom Ausland ergriffen werden; so ist es auch mit der Abschaffung der Zuckerprämien. Die Zucker- industrie ift keineswegs für die Landwirthschaft entbehrlih, da gerade der Rübenbau zu einer rationellen Fruchtfolge und zur intensiven Wirthschaft nothwendig ist. Ih möchte den Herrn Reichskanzler bitten, alle Mittel in Bewegung zu seßen, noch in dieser Neichstags- session eine -Novelle zum Zuckersteuergeseß zur Verabschiedung zu bringen, damit wir in die neue Kampagne unter besseren Bedingungen eintreten. Auf dem Gebiet der Margarinegeseßzgebung kann uns Frankreich und Amerika ein gutes Beispiel geben; auch wir wollen nur eine Verschärfung der Bestrafung des Fälschers. Wir wollen keineswegs einen Ruin der Margarine - Fabrikation, wir wollen nur Verfälshungen durch Mishung mit Naturbutter

verhindern, durch welche die Preise der leßteren herab- gedrückt werden bis unter die Produftionsfosten. Ebenso wie man den Wucher bestraft hat, müßte man au Fälschungen der landwirth- shaftlihen Produkte bestrafen, namentlich auch die Fälshungen der Düngemittel, und der Herr Minister hat ja deren Bestrafung in Aus- sicht gestellt. Auch damit bin i einverstanden, daß das in Aussicht

enommene Wassergeseß lediglich die Interessen des Verkehrs und der

ndustrie wahrnimmt und diejenigen der Landwirthschaft ganz außer Acht läßt. Bitten möchte ih den Herrn Minister, mehrere von den Positionen für wissenschaftlihe Zwecke und zur Hebung der Viehzucht aus dem Extraordinarium auf das Ordinarium zu übernehmen und niht nur auf den Osten, sondern auch auf den Westen aus- zudebnen. Eine Vermehrung der Banne und der niederen Pen Ug Qu ese ist dringend nothwendig. Die Genossenschaften önnen sih_niht bilden ohne Staatshilfe ; namentli bezieht fich das auf die Kassen, die sich mit einem Zinéfaß von 1 bis 29/ begnügen müssen, denn nur ein solcher entspriht dem jeßigen Stande der Land- wirthschaft. Auf veterinärem Gebiet können wir der Reichsregierung für ihre Maßregeln nur - dankbar sein, namentlich gegenüber Amerika; denn die Gefahr einer Einführung der Terxasfieber und der Perlsucht war keineswegs fo gering, wie die liberale Presse nah amerikanishen Quellen es darstellt. Für eine Kreu- zung mit amcrikanishen Nassen bedanken wir uns. Vorsicht muß gegenüber dem Schmuggel geübt werden, durch den alle Veterinär- maßregeln illusorisch gemacht werden. Dieser Shmuggel besteht ramentlich an der russishen und holländishen Grenze, alfo an der Grenze von Ländern, die keineêwegs als L gelten können. Das Hândlerelement müßte, so lange nicht nachgewiesen ist, daß ein Grenzland seuhcfrei ist, ganz vom Import des Viehs ausgeschlossen sein. Was man auch zur Hebung der Viehzucht thun mag, den Getreidebau wird fie der Landwirthschaft niemals erseßen können ; seine Hebung ist eine Lebensfrage für die Landwirthschaft.

D von Tiedemann-Labischin (fr. kons.): Unter den kleinen Mitteln, die der Herr Minister zur Hilfe der Landwirthschaft genannt bat. fann ich eins niht als flein ansehen: es ift dies die

Reform der Arbeiter-Versiherung. Die Lasten der gegenwärtigen

Im übrigen, meine Herren, behalte ih mir vor, am Schluß der i Arbeiter-Versicherung bilden einen Hauptgrund zu der herrschenden