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eine Rechnung anstellen so: 10 Abgeordnete sind hier, welhe pro- testlerishen Charakters sind, wie Herr Preiß sagte — ih gebrauche den Auêdruck nicht, ich bin weit entfernt davon — und 5 sind, die sih mit den Verhältnifsen assimiliert haben. Das i} doch eine ganz falsche Anwendung der Statistik; dann müssen Sie doch die Ziffern der unterliegenden und der siegenden Parteien gegeneinander rechnen und sagen: so viel aus dem Kreise haben für den Gegenkandidaten gestimmt und, so viel für den, der gesiegt hat. Nur daraus kann man s\ich ein annäherndes Bild der herrshenden Anshauungen machen. Der Herr Abg. Preiß sagte, er selber vertrete einen Wahlkreis von #o und so viel Einwohnern. Ja, weiß denn Herr Preiß nicht, daß er überhaupt nur, wenn ich nit irre, mit 42 Stimmen Majorität gewählt is? (Große Heiterkeit.) Also er kann do nicht von dem ganzen Wahlkreis \prehen, sondern nur von den Wählern abzüglich derer, die seinen Vorgänger, Herrn Ruhland, einen sehr würdigen Herrn des Reichs[andes, gewählt haben. (Lebhafte Zwischenrufe ; Glode des *Präsidenten.) IY meine nun, diese Statistiken aus dem Reichsland über die Wahlziffern führen zu unrichtigen
_Sghlüssen._ Ebenso, wenn jemand darâus, daß in Straßburg ein Sozialdemokraï gewählt ift, {ließen wollte, daß Straßburg sozial-
demokratish i. Wenn man das einem Straßburger sagt, der lacht einem ins Gesiht. Jeder Straßburger weiß ganz genau, und ebenso jeder, der die Straßburger Verhältnisse kennt: es giebt da 10 000 Wäkhler, 5000 sind, die sich mit den ‘deutshen Ver- hältnissen vereinigt haben , die den deutshen Verhältnissen wohl- gesinnt sind, die jedem Kandidaten, der national deuts ist, ihre Stimme geben; den Unterschied zwischen konservátiv, reichsparteilich, nationalliberal kennen wir in Elsaß-Lothringen nicht — also rund 5000 nationale Stimmen; 2000 etwa sind katholische Stimmen und nit ganz 3000 sozialdemofratische. (Zuruf.) Nicht 6000, Herr Bebel! (Große Heiterkeit.) Bei der Wahl waren demgemäß 5000 Stimmen für den nationalen Kandidaten abgegeben, nicht ganz oder etwas über 3000 für den sfozialdemokratishen (Zuruf); ich komme gleich auf die 6000 — und die anderen 9000 warteten bis zur Stichwahl. Nun, meine Herren, in der Stichwahl wurde Herr Bebel gewählt. Nun kann der Herr Abg. Bebel, wenn er ehrlich is (Heiterkeit links), doch wohl nicht be- haupten, daß die 6000 Stimmen, die ihm gegeben worden sind, von lauter Sozialdemokraten herrühren; Sie können ganz Straßburg auf den Kopf stellen, Sie finden keine 6000 Sozialdemokraten. Aber da sind die Herren, die in Straßburg auh fortgeseßt die Un- zufriedenheit hüren. Es giebt ja Leute, die nicht nur in ihrer eigenen Heimath, sondern au außerhalb Unzufriedenheit {üren. Es giebt auch Leute, die sogar hier im Neichstag ih nicht \cheuen, Unzufriedenheit in ihren eigenen Reihen zu erregen. (Heiterkeit und Zurufe links.) Ja wohl, meine Herren, ih nenne keine Namen. Das interessiert ja auch nicht.
Meine Herren, diese Uebertreibungen, deren der Herr Abg. Preiß — er wolle mir den Ausdruck niht übel nehmen, ich weiß keinen andern zu finden — sich \{uldig gemacht hat, nügen in der That dem Lande, das er vertritt, nihts. Wenn Sie, meine Herren, vorhin gehört haben, daß der Herr Abg. Preiß erklärte, die Regierung sage: wählt doch einmal 6, oder 12, oder 15 Kreisdirektoren in den Reichstag, dann werden wir {hon den DiktaturparagraPhen aufheben, so kann ich Ihnen sagen, meine Herren, so liegt die Sache nicht, das is niemals verlangt und niemals gewünsht worden und wird auch, glaube ich, in Zukunft nicht gewünsht werden. Aber, meine Herren, wenn Sie die Be seitigung des Diktaturparagraphen ernstlich wollen und wünschen, dann kommen Sie hier nicht in den Reichstag her und halten Sie solche Reden, die einmal die Verhältnisse falsch schildern, die in diefem Hause ein ganz falshes Bild von Elsaß-Lothringen geben und die, was das allershlimmfste ist, in Ihrer Heimath die Leidenschaften auf- regen, während die Regierung mit Glück und Erfolg bis jeßt bemüht gewesen is, au gegen die Hepßereien der Agitatoren die Leidenschaften in Elsaß-Lothringen zu beshwihtigen und ein glückliches und fried- licheres Verhältniß im Laufe der Jahre zwischen Deutschland und Elfaß-Lothringen anzubahnen. (Lebhaftes Bravo rechts.)
Abg. Prinz zu Hohenlohe-Schillingsfürst (b. Le: F): Der Abg. Guerber hat erwähnt, ih hätte nah meiner Wahl mich dahin geäußert, ih hielte den Diktaturparagraphen für entbehrlich. Das ift nicht rihtig. Ih habe nur erklärt, daß ih die Rückkehr zu normalen Verhältnissen in Elsaß-Lothringen für wünschenswerth er- ate, namentlich hinsihtlich der Abschaffung der noch bestehenden ane veralteten französischen I Ob das in abseh- arer Zeit möglich sein werde, änge weniger von der Bevölkerung Elsaß-Lothringens als von den Verhältnissen in ei ab. Daß sih die Dinge in Elsaß-Lothringen sehr gebessert aben, ist unbestreitbar. Der Reichskanzler und der Staatssekretär von Puttkamer haben der Bevölkerung das Zeugniß einer ruhigen und gesegestreuen ausgestellt. Auch ih kann das nur bestätigen, aber es ist doch nit zu bestreiten, daß in Frankreich vielfache Bestrebungen vorhanden sind, die dahin zielen, die Gesundung der Verhältnisse in Elsaß-Lothringen zu stören. Demgegenüber wird s{werlich in allec- nächster Zeit an die Aufhebung des Diktaturparagraphen zu denken sein, und zwar im Interesse der elsaß-lothringishen Be- völkerung selbst. Die Mehrzahl dieser Bevölkerung regt sih wenig auf über die Frage des Diktaturparagraphen; die Hauptsadé ist S
e das materielle Wohlergehen. Die Frage, ob der Wein gerathen ist oder der Taback, ist für sie viel wihtiger als die Frage nah dem Diktaturparagraphen. Mit Recht! denn von diesem Para- graphen verspürt die Bevölkerung sehr wenig, er i nur vielleiht für einige Leute unangenehm. Der Abg. Bueb hat zum Schluß seiner Rede gesagt, nah der nächsten Wahl werde der Abgeordnete für Pans sih mit dem Legationsrathstitel begnügen müssen. Vielleicht bin ih über die Zu- kunft niht fo genau unterrichtet, wie der Herr Abgeordnete Bueb; a weiß niht, ob meine Wähler mih wieder mit dem Mandate be- ehren werden; aber wenn sie einen anderen Vertreter wählen, so bin id ganz ficher, daß es kein Sozialdemokrat sein wird. Dafür kenne ih die Bewohner dieses s{chönen Landes viel zu gut.
Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Schon im Jahre 1885 bin ih
r die Aufhebung der Diktatur-Paragraphen eingetreten. Cs läßt ih nit leugnen, daß die Elsaß-Lothringer anders behandelt werden als die iu Deutschen. ir verlangen, daß sie die durch den Frankfurter Frieden geiagenen Verhältnisse anerkennen; aber gerade, um dies zu erreichen, bekämpfen wir die Ausnahmestellun Elsaß: Lothringens, welche die Fruhtbarmahung der Ereinaensdaflen von 1870/71 hindert. __ Abg. Poehlmann (Hosp. d. Rp.); Ich stehe auf dem Stand- punkt des Abg. Höffel und halte es wie dieser im Interesse des engeren Anschlusses von Elsaß - Lothringen an As land für wünschenswerth, daß der Ausnahme-Zustand in Elsaß-Lothringen auf
öre. Gestehen will ich, daß das Auftreten des Abg. Preiß mir diese
tellungnahme wesentlih ershwert hat. Wenn man die Beibehaltung des Dikftatur-Paragraphen wünscht, dann muß man so reden, wie es dieser Abgeordnete gethan hat. S0 Dae G für meine Pflicht, dem falshen Bilde, das dadurh hervor-
erufen wird, ent egenen und protestiere im Namen der Me rzahl der elsaß-lothringishen Bevölkerung gegen die Auslassungen des Abg. Preiß. Ahg. Guerber hat erklärt, er und seine Freunde ständen auf dem Boden des Franfkfurtet Friedens. Die Aus- führungen des Abg. Preiß widersprehen dieser Erklärung dia- metral. Die elsaß-lothringische Bevölkerung nimmt ihr Inter- esse mehr und mehr Hand in Hand mit der Regierung wahr und es läßt sih_ nicht bestreiten, daß die E ung des Vertrauens zwischen Regierung und Bevölkerung eine Befferung der Verhältniffe
bekundet. enn eine Abstimmung in Elsaß-Lothringen über die Ausführungen des Abg. Höffel und die des Abg. Preiß stattfände; ih bin sicher, daß die Mehrheit auf Seite der ruhigen Aus führungen des
Abg. ‘Höffel treten würde. Es ist ja rihtig, daß in einzelnen Schichten der Bevölkerung die Aufhebung des Diktatur-Paragraphen gewünscht wird; die große Mehrzahl der Bevölkerung aber läßt fi dur das Bestehen dieses Paragraphen, von dem sie nichts merkt, die Lebens- freude nicht verbittern. Richtig is, daß viele aus Elsa -Loth- ringen auswandern, aber daran sind meist die wirtsda lichen Verhältnisse {uld. Die gegenwärtige Debatte hat na der einen Richtung Aufklärung bra daß der Fortbestand des Diktatur- paragraphen nur wegen der äußeren Agitatioren nothwendig ift. Ich hoffe, daß wir dei Ziele näher kommen werden. Wenn die Regie- rung die Ansicht gewinnt, daß die äußeren Verhältnisse es gestatten, den Diktaturparagraphen aufzuheben, so wird die Aufhebung sicher aus ihrer freien Willensentshließung gesehen: Bis-dahin ift es gut; ih vom Optimismus wie vom Pessimismus glei fern zu halten.
Abg. von Kardorff (Rp.): Der Logik der Antragsteller können wir nit folgen. Für uns ist maßgebend, daß die Regierung erklärt, sie könne niht die Verantwortung übernehmen, jeßt son auf den Diktaturparagraphen zu verzihten. Deshalb müssen wir heute gegen den Antrag stimmen, obwohl auch wir den Wuns haben, daß die Zeit nicht fern sein möge, wo, hon aus Rücksicht auf die auswärtigen Berhältnisse, die ja so ofen hier niht dargelegt werden können, der Difktaturparagraph aufgegeben werden könne.
Abg. Dr. Bart h (fr. Vg.) : Der Reichskanzler hat der elsaß- lothringishen Bevölkerung ein vorzügliches politisches Leumundszeugniß ausgestellt. Er hat erklärt, daß der Diktaturparagraph nur eine theoretishe Bedeutung, den Charakter einer Vogelsheuche habe. Aber man thut Herrn Déroulède und Genoffen zu viel Ehre an, wenn man ihretwegen dieses Ms aufrecht erhält.
Abg. Dr. von Marquard fen (nl.): Auch jeyt stehen wir noch auf dem Standpunkt, daß die Aufhebung des iftaturparagraphen wünschenswerth sein würde. Wir sind érireut über den wesentlichen Fortschritt in der Gesinnung der Elsaß-Lothringer, das jeßt alle Redner auf dem Boden des Frankfurter Friedens zu stehen erklären. Die Re- gierung erklärt indessen, daß sie die Verantwortung dem Ausland gegen- über nit tragen könne, wenn ihr die Vollmacht, die in dem Diktatur- paragraphen liegt, genommen werde. Bei den weselvollen politischen Verhältnissen Frankreichs ist es niht unmöglih, daß dort Elemente Oberwasser bekommen, auf deren Programm die Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens steht. Wenn die Regierung das erklärt, muß das für uns maßgebend sein, so sehr wir auch wünschen, daß der Zeitpunkt der Aufhebung des Diktaturparagraphen bald kommen möge.
Das Schlußwort erhält zunächst
Abg. Bebel (Soz.): Unter sämmtlihen unabhängigen Ein- wohnern Elfaß-Lothringens befindet sih niemand, der nicht für eine Aufhebung des Diktaturparagraphen sein würde, wenn man ihn fragte. Auch die größte Partei hier im Hause, das Zentrum, ift, wie aus der Debatte hervorging, kein Freund des Diktaturparagraphen. Ebenso die Linke des Hauses, wie denn überhaupt keine Partei hier diesen Sg Maat durchaus billigt. So hat denn die Debatte eine erwünschte Klarheit gebracht. Und dennoch hält man die Diktatur aufrecht, während doch unser Strafgeseßbuch genug Bestimmungen enthält, um auch im Reihsland die Ordnung aufrecht zu erhalten. Sh denke da hauptsächlih an den Hochverrathsparagraphen. Der Diktaturparagraph ist also nicht nothwendig. Der Reichskanzler hat gesagt, etwas Peinliches liege in der Diktatur; so denkt er in seines Herzens Schrein. Gewiß, kein anständiger Mann kann \ch in der Verantwortlichkeit der Diktatur wohl fühlen. Jeßt i} der Fürst Hohenlohe in einer entscheidenderen Stellung ; da möge er den Diktaturparagraphen abschaffen. Der Beamte, der in diesen Verhältnissen lebt, z. B. ein Kreisdirektor, wie gere Pöhlmann, wird leiht abgestumpft; er hat kein Gefühl für die polizei- lihen Serereien, denen wir auf Grund des Diktaturparagraphen ausgeseßt sind. Einen Mißbrauch der Diktatur giebt es freilih nit, das ist eine contradictio in adjecto; Diftatur ist an sich {hon absolute Willkür. Ein Krimskrams ist das doch wahrlih nit, was ih gestern nachgewiesen habe! Das beweist eben, wie der Zustand, in dem der Staatssekretär lebt, ohne daß es ihm bewußt geworden wäre, auf sein ganzes Denken und Fühlen eingewirkt hat. enn der Staatsfekretär mit einer Volksvertretung umzugehen wüßte, hätte er diesen Ton des Schullehrers gegen seine Schulknaben sich niht herausgenommen. Sie weisen auf Württemberg und Frankreich hin. Wenn s\ich die Regierung, wenigstens in Frankreich, so zu regieren herausnähme, niht 24 Stunden würde diese Regierung erleben. Es ift thatsählich und objektiv eine Tyrannenherrsha\t, wenn man sih au den Fürsten E sehr {wer in der Rolle eines Tyrannen vor- tellen . kann. Der Minister sagt, ich verdanke meine Wahl den Protestlern. Jch kann mir das denken; fie haben eben dann das kleinere Uebel gewählt. Jeßt sagen Sie, niht 6000 Sozialdemokraten sind in Straßburg. Sonst rechnen Sie uns den leßten Mann vor und begründen mit dem Wachsthum der Sozialdemokratie die Umfsturz- vorlage. Das nächste Mal werde ih aber auch ohne Hilfe der BOteer gewählt werden. Der Prinz Hohenlohe meint, daß
aback- und Hopfenpreis die Elfaß - Lothringer weit mehr bekümmere als der Diktaturparagraph. Wir sind die leßten, die bestreiten, daß es vor allem auf die materiellen, Inter- essen ankomme. ber der Minister von Köller hätte dagegen protestieren müssen, daß die Elsaß-Lothringer als reine Materialisten gezeichnet werden. Der Prinz Hohenlohe meint, es sei unpatriotish, wenn der Abg. Bueb deutsch und sozialdemokratisch gegenüberstelle. Ein Mitglied einer Familie, die wie keine andere einen inter- nationalen Charakter besipt, die in Bayern, Württemberg, Sachsen- Weimar, Preußen, Rußland begütert ist, von der ein Mitglied Kardinal in Rom is, ein anderes einen der höchsten Beamtenposten in S G hat, die also vielfa in die Lage kommt, dem preußischen Patriotismus einen anderen entgegenzustellen, sollte doch weniger engherzig über den Patriotismus denken. Wenn der Wahlkreis des Prinzen obenlohe das nächste Mal noch keinen Sozialdemokraten wählen sollte, so liegt das daran, daß es ein fklein- bürgerliher und kleinbäuerliher Wahlkreis ist. Sie wissen offenbar garniht, obglei Sie immer über die Sozialdemokratie reden, daß gewisse Konstruktionen unserer gesell shaftlihen Verhältnisse vorläufig der ug r der Sozialdemokratie noch einen Damm entgegen- segen. Jeyt sind Sie belehrt, beurtheilen Sie uns in Zukunft ob- jeftiver. — Nicht der Schatten eines Grundes liegt vor für die Auf- rechterhaltung des Diktaturparagraphen, darum nieder mit ihm!
Das Schlußwort für den Antrag Colbus u. Gen. erhält
Abg. Simonis (b. k. F.), der namentlich dem Zentrum dafür dankt, daß es immer für die Interessen Elsaß-Lothringens eingetreten sei, und dann schildert, wie durch die Diktatur das Entstehen von Zeitungen von vornherein verhindert sei und wie erscheinende Zeitungen kurzer Hand unterdrückt würden. Man habe das Land belastet, um die Armee zu vermehren. Wenn die Armee einen Werth habe, dann brauche man zum Schutze gegen das Ausland nicht solche Diktatur- bestimmungen. ä __ Damit ließt die erste Lesung ; eine Kommissionsberathung ist niht beantragt. Die zweite Lesung wird später im Plenum
lgen. u Schluß 61/5 Uhr.
_sittliche
Preußischer Landtag. 2 Haus der Abgeordneten. 9. Sigung vom Donnerstag, 31. Januar. Im weiteren Verlauf der fortgesetzten zweiten Berathung
des Etats der landwirthschaftlihen Verwaltung“
nimmt nah dem Abg. Dr. Arendt (fr. kons.) das Wort der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lafa (konf.): Wenn der e Richter es für eine unbegründete Verdächtigung feiner Partei ärt hat, daß der Abg. von Puttkamer ihr vorwarf, sie habe noch niemals etwas zum Wohle der Landwirthschaft gethan, so war feine gestrige Rede der beste Beweis für diese Behauptung. Was oll es heißen, wenn er immer wieder von einem Gegen-
say zwishen Klein- und Großgrundbesißern spricht und den armen Mann gegen den reihen Großgrundbesißer aus- ie Interessen von
E Ich wiederhole es heute nochmals: Die ‘ roß- und Kleingrundbesit sind identish, das wird die Landwirth- schaft sich niemals nehmen lassen. Was heißt es ferner, wenn der Abg. Richter auch gestern wieder von dem 40-Millioneu-Geschenk spra ?. Gerade dur die Kontingentierung der Spiritussteuer ist der kleine und mittlere Brennereibetrieb über Wasser gehalten worden. Die Squtzölle bedeuten keine Bereicherung für die Landwirthe, sondern Find- geschaffen, um ihre. Existenz zu ermöglichen; das ift ihre Bedeutung. Was die Hilfsmittel im gegenwärgen ugenbli® anlangt, fo glauben wir, daß, soll der Lañd- wirthschaft wirkli geholfen werden, man um eine Fixierung der Getrgdepreise niht herumkommen wird. Der Getreidebau kann der Landwirthschaft durch keinen anderen Wirthschaftszweig erseßt werden. Kleine Mittel haben für uns nur den Werth eines Stroh- halmes, nah dem der Ertrinkende greift. Wohl wissen wir, welchen \hwierigen Faktoren der Minister gegenübersteht, aber wir haben das Vertrauen zu ihm, daß er niht nur Wohlwollen und Verständniß, sondern auch die Thatkraft haben wird, \ich auf die Höhe der \hwierigen Aufgaben zu e, Nur wenn diese Eigenschaften zu- sammenwirken, wird es ihm gelingen, das Ziel zu erreichen.
Abg. Klose (Zentr.): Die Landwirthschaft meiner Heimath Schlesien hat unter der gegenwärtigen Wirthschaftspolitik doppelt zu leiden, nämlich durch den russishen Handelsvertrag und die Auf- bebung der Staffeltarife. Durh den Handelsvertrag ift Schlesien mit russishem Getreide übershwemmt worden, und dur die zweite Maßregel if den dortigen Landwirthen der Absay fast unmöglich ge- macht worden. Zu diesen {hädlihen Maßregeln kommt noch der Nachtheil durch den russishen Rubelkurs, der auf unsere heimischen Getreidepreise drückt. Der Herr Minister für Landwirthschaft hat es fo dargestellt, als ob den Landwirthen durch die Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer gleihsam ein Geschenk gemaht worden sei. Aber durch die Vermögenssteuer und durch den Fortfall der 30 bis 40 Millionen aus der lex Huene wird doch reihlich aufge- wogen, was ihnen an Grund- und Gebäudesteuer zugewendet ist. Dabei hatte man es früher mit einer feststehenden, jeßt mit einer \chwankenden Steuer zu thun, und nun kommt noch die shwere Be- lastung der Landwirthschaft dur die Arbeiterversiherungen hinzu. Wenn auch die Krisis eine allgemeine ist, so möge der Herr Minister doch alles thun, um der Landwirthschaft zu helfen.
Abg. Schröder (Pole): Der Herr Minister hat die Nothlage der Landwirthschaft anerkannt. Daß dieser Nothlage bisher nit erfolgreih entgegengetreten wurde, liegt weniger an dem fehlenden Entgegenkommen der Regierung, als an der Auffassung der Lage seitens der Regierung. Die Landwirthschaft ist das wichtigste Gewerbe, und die landwirthschaftlihe Bevölkerung bildet den Kern einer Nation. Die Mittel, welhe der Minister zur Hebung der Landwirthschaft empfoblen hat, werden der Mehrzahl derLandwirthe gewiß willkommen sein, namentlich soweit sie auf dem Gebiete des Tarifwesens, der Klein- Bahnen, des Kanalbaues liegen. Die Aufhebung der Staffeltarife ist sehr zu bedauern ; die Aufhebung des JIdentitätsnachweises bietet keineswegs eine ausreihende Entschädigung. Den Vorschlag der Errichtung von Getreide-Silos halte ih für zweischueidig; die Aus- führung würde meiner Ansicht nah mehr Schaden als Nuyen bringen. Dagegen würde die Landwirtbschaft die Einführung der Deklarations- pfliht beim - Verkauf von Futter- und Düngemitteln- mit Freuden begrüßen. Die Kreditanstalten für die Land- wirthshaft mehr nuybar zu machen, wäre eine schöne Aufgabe für die Regierung. Daß die Militärverwaltung jeßt ihre Einkäufe direkt von den M lnten machen will, begrüßen wir mit Freuden. Durch die Begünstigung der kleinen landwirthschaft- lichen Brennereien gegenüber den Rin fapitalistishen Unternehmungen wird der Kartoffelbau gehoben werden : ein bei den niedrigen Getreides preisen wünschenswerthes Resultat.
Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten Freiherr von Hammerstein:
Meine Herren! Zwei Gründe sind es gewesen, die mich bewogen haben, vorgestern eine vielleiht nach Ansicht vieler Herren zu weit- \chweifige Etatsrede zu halten. Der eine Grund war eine Ehren- pfliht. Meine Herren, ih war schuldig, durh eingehende Dar- legungen hier kund zu geben, daß {hon vor mir — ih bin ja erst seit 13 Monaten in die Verwaltung eingetreten — ein durchaus reger pflichtgetreuer Fleiß und Eifer in der landwirthschaftlichen Verwal- tung im Interesse der Landwirthschaft bestanden hat, und, meine Herren, fast das ganze Budget habe ih fertig vorgefunden, und fast alle die Dinge, deren JInangriffnahme ih mitgetheilt habe, hat mein Herr Dienstvorgänger vorbereitet, und ih habe sie mehr oder weniger fertig vorgefunden.
Aber auch ein zweiter Grund hat mich veranlaßt, sehr eingehend bei meiner ersten Rede hier im Hause zu den landwirthschaftlichen Fragen mich zu äußern. Ih will es ganz offen einräumen : das, was ih hier gesagt habe, war nit allein für das Haus, sondern es war für weitere Kreise im Lande mit bestimmt. Denn mir war, ehe ih Minister wurde, sehr häufig die Meinung aus der Bevölkerung ent- gegengetreten, daß die landwirthschaftlichße Verwaltung das, was fie zu thun verpflichtet sei, und was sie thun fönne, nit thue, und da habe ich geglaubt, einmal eingehend auch dem Lande gegenüber ein flares Bild über dasjenige geben zu sollen, was bereits geschehen ift, und was in Zukunft geschehen soll. Wenn ih vielleiht zu weit ge- gangen bin, meine Herren (O nein! rechts), zu weitshweifig gewsrden bin, dann müssen Sie das entschuldigen: ich bin im parla- mentarishen Leben vollständig unbewandert , ih habe dem politishen Treiben bisher vollständig fern gestanden; ih habe es aber für eine Pflicht gehalten, so zu handeln, wie ih gethan habe. (Bravo! rechts.)
Meine Herren, nun will ich mir gestatten, auf eine Reihe vor
Bemerkungen der einzelnen Redner überzugehen. Ih will voraus- {iden und darf das, glaube ich, wohl fagen, daß ih persönli über den Empfang, den ih hier im Hause gefunden habe, in hohem Grade befriedigt bin. Es is mir sogar gelungen, rüdcksihtlich einzelner Dar- legungen die Zustimmung des Herrn Abg. Richter zu erlangen (Heiterkeit), mit dem ih zweifellos auf absolut diametralem Boden stehe (Bravo! rechts), wie ich das nachher in der Entgegnung auf einzelne Punkte noch darlegen werde. Mit den Aeußerungen der Rechten kann ih fast in allen Punkten mich einverstanden erklären, nur will ich den Unterschied noch einmal genau präzisieren, der sih zwischen der dortigen Auffassung zu der Monopolisierungsfrage und der meinigen herausgestellt hat.
Ih habe namens der Staatsregierung zu der formellen Lage der
E E E
Monopolisierungsfrage nur Stellung genommen und nur Stellung nehmen fönnen, also zu der Frage, wie weit diese Gedanken mit den Handelsverträgen vereinbar sind; zu der Frage, wie formell die Sachen liegen, ob sie und wie weit sie hier in das Haus bineingehören, und ih nehme gar feinen Akftand, ausdrücklih für das Haus das Recht in Anspruch zu nehmen, so wihtige Fragen, wie die vorliegende, wenn sie auch zur Zuständigkeit des Reichs gehören, ‘den preußischen Staat aber so tief berühren, hier in eine eingehende Verhandlung einzutreten. (Bravo! und: Sehr gut! rechts.) Auch aus einem anderen Gesichtspunkt halte ih das hohe Haus für berechtigt, in eine eingehende Diskussion solcher Fragen einzutreten : weil es nothwendig ist, daß die preußishe Staatsregierung darüber instruiert wird, wie sie ihre Abstimmung im Bundesrath abgeben foll. (Sehr gut! rechts.) Die Staatsregierung hat daneben noch die Erklärung abgegeben : über die materielle Frage könne sie sich noch nicht äußern; fie sei aber gewillt, ehrlich in eine materielle Prüfung einzutreten; sie sei gewillt, festzustellen, ob der“Antrag ausführbar sei, welche sozialen und politis@en Bedenken dem Antrag entgegenstehen, und ob auch das Ziel, welches die Heren Wit dem Antrag verfolgen, erreiht werden könne. Es sind das s@werwiegende Fragen, wenigstens für die Staatsregierung, die, wenn sie für die Mönopolisierung si entscheiden würde, doch eine weit größere Verantwortung für die- Ausführung und für die Folgen übernimmt wie Sie, meine Herren, die Sie hier im Parlament sigen. (Sehr wahr! rets.) Also werden Sie es der Staatsregierung doh niht verdenken fönnen, wenn fie Anstand nimmt, im gegenwärtigen Stadium {hon zu materiellen Fragen irgend welde entsheidende Stellung einzunehmen, und sih auf den Standpunkt stellt, sie will ehrlich prüfen, ob die Sache geht, oder ob wenigstens ein Theil der Ideen, die darin begraben sind, vielleiht durchführbar ift, und si nit voreilig binden und erklären: sie könne und wolle sich für die Sache erklären.
Nun haben die Herren von der Rechten durch den Mund des Herrn Grafen Limburg-Stirum {hon ganz bestimmt erklärt, daß sie für den Ankrag Kaniß seien. Darin liegt der wesentlihe Unterschied. Wenn, daran anknüpfend, der Herr von Puttkamer gesagt hat, meine Ausführungen bedeuten ein anständiges Begräbniß für den Antrag Kaniy oder für den Monopolisierungsgedanken, so ist diese Aeußerung doch_ nicht zutreffend. Ih habe die Sache dilatorisch behandelt und habe die Gesichtspunkte dargelegt, nah denen die Staatsregierung diese Fragen weiter behandeln und prüfen will. Sollte wirklich ein Begräbniß daraus hervorgehen, so wird jedenfalls dann die Staats- regierung in der Lage sein, sei es nah Anhörung des Staatsraths, sei es nach ihrer eigenen Kognition der Sache, au die Gründe in die weitesten Kreise hineinzutragen und ihr Votum näher zu be- gründen, weshalb sie zu den Anträgen eine ablehnende Stellung cinnehme.
Dann hat Herr von Puttkamer gesagt, es sei zu bedauern, daß ih nit in vollem Umfang meinen Einfluß im Staats-Ministerium dahin geltend mache, daß die Zuckersteuernovelle noh dem jeßigen Reichstag vorgelegt werde. Meine Herren, ih fann darauf nur er- widern: Soweit ih bei der Sache betheiligt bin, und soweit mein Einfluß reiht, werde ih, weil ih anerkenne, daß schnelle Hilfe doppelt hilft, und weil ich ‘der Meinung bin, daß fhnelle Hilfe noth thut, meinen Einfluß dahin geltend zu machen suchen, daß womöglih noch in diesem Reichstag ein den Bedürfnissen genügendes Zuckersteuergeseß zur Vorlage gelangt. (Bravo! rets.) Die Gründe, welche mög- licherweise vorhanden sind, daß das nicht geschieht, bin ih darzulegen nicht in der Lage; das sind Erwägungen, die aus anderen Gesichts- punkten bei der Staatsregierung geführt werden.
Dann hat Herr von Puttkamer gesagt: Warum ergreift die Reichs- regierung in der Silberfrage niht die Initiative zu weiteren Ver- handlungen? Meine Herren, auh darüber kann ih keine bindende Erklärung abgeben. Einmal liegt die Entscheidung der Frage bei der Reichsregierung. Alsdann dürfte auch für die Reichsregierung die Entschließung nicht so einfa liegen, weil sie sih vollkommen darüber aufklären muß; ob sie sich niht einem échec ausseßzt, wenn sie ohne Garantie irgend welchen Erfolgs in eine solche Verhandlung eintritt.
Gine bestimmte Erklärung kann ih nicht abgeben. Es ist ja immerhin denkbar, daß man zu der Ansicht gelangt — der Herr Reichskanzler Graf von Caprivi hat ja auch eine ähnlihe Erklärung abgegeben —, daß man möglicherweise in der Lage fei, deutscher- seits die Initiative zu Maßnahmen zur Hebung des Silberpreises zu ergreifen. (Hört! hört!) Ich muß aber betonen, daß diese Er- klärungen niht namens der Staatsregierung abgegeben sind.
Dann hat Herr von Puttkamer hervorgehoben, daß ih den Ausbau von ‘Kanälen, namentlich im Interesse des Ostens, empfohlen habe. Er meint, das habe wohl darin seinen Grund, daß ich über die östlichen Verhältnisse niht unterrichtet sei. Meine Herren, ih habe bereits zugegeben, daß mir die Verhältnisse im Osten nicht ge- nügend bekannt sind; aber ih habe doh gewisse authentische Nach- rihten meinen Darlegungen zu Gründe gelegt. Jch habe für den Westen verglichen, in welchem Verhältniß die Kilometerzahl der Wege zu dem Umfange des Gebiets und zu der Seelenzahl steht. Eine gleihe Betrachtung habe ih über den Osten angestellt und dabei ge- funden, daß jedenfalls im Osten das Wegeneß außerordentlich viel weitmashiger is als im Westen. Daraus ergiebt sich die Erwägung seines weiteren Ausbaus durch Wasserstraßen. Ich glaube aber nicht, daß es zweckmäßig is, jet über diese Frage eine eingehendere Diskussion meinerseits einzuleiten. Aber einen von Herrn von Puttkamer gemachten Vorwurf muß ih berühren. Er hat gesagt, ih hätte für den Dsten nur von dem ma- surishen Kanal gesprochen, weitere Wasserstraßen für diesen Landes- theil aber nicht erwähnt. Meine Herren, rücksihtlich meiner Aeußerung über den masurischen Kanal muß ih zuvörderst eine Bemerkung, die mißverstanden ist, rihtig stellen. Indem ih den Nutzen, den die Forstverwaltung aus dem masurishen Kanal für den Absay der staatlihen Forstprodukte erwartet, auf 44 bis 5 Millionen angegeben habe, so ist darunter nit ein jährlicher, sondern ein fapitalisierter Nuyen zum Werthe von dieser Höhe zu verstehen.
Dann habe ih außer dem masurishen Kanal noch das Projekt eines Schiffahrtskanals von Tschicherzig an der Oder im Kreise Züllihau nah der Kreisstadt Meseriy erwähnt, das im Fälle seiner Ausführung zu einer Wasserverbindung zwischen Oder und Warthe und damit eines erheblich kürzeren Verkehrsweges, wie bisher zwischen den Provinzen Schlesien und Posen Veranlassung geben kann.
Ferner darf ih an die Regulierung der Weichselmündung erinnern, die in diesem Jahre vollendet werden wird. Anschließend an diese dem Osten zum Vortheil gereichende Bauausführung, steht
in Aussicht, daß nach auswärts der weitere Lauf der Weichsel bis dahin, wo die Nogat abzweigt, planmäßig reguliert wird. Ferner befindet sih eine Verkehrsftraße in voller Arbeit, um eine für größere Seeschiffe benußbare Wasserverbindung im Frischen Haff von Pillau bis Königsberg herzustellen; sodann - wird die Regulierung der Netze zur Zeit ausgeführt. Kurz, auch im Osten der Monarchie sind bedeutende Wasserstraßen projektiert oder in der Ausführung oder in der Verbesserung begriffen.
Als wesentlihes Moment möchte ich noch hervorheben, daß zweifellos der Osten des preußishen Staats, dank der weisen Politik der früheren Könige, ein weit günstigeres und dihteres Ney namentlich von künstlihen Wasserstraßen besitzt, als es sich in Mitteldeutschland oder in dem Westen vorfindet. Nunmehr i} in Ausficht genommen das östlihe Kanalnes — dessen Verbindung nah Berlin, nah der See und der Elbe bereits erreicht is — in Verbindung zu bringen mit einem Kanalnet, das im Westen, und zwar - bis nah Elsaß- Lothringen theils in natürlichen, theils in künstlichen Wasserstraßen vorhanden is. Meine Herren, ih bin au jezt noch troy der Be- denken, die Herr von Puttkamer dagegen ausgeführt hat, der Meinung, daß es von hohem Werthe sein wird, ein inneres einheitlihes Wirth- \chaftsgebiet au in -der Richtung herzustellen, daß seine Bewohner dur ein Neß von Eisenbahnen und Wasserstraßen in der Lage find, alle inner- halb dieses Gebiets erreihbaren Vortheile möglich#| in gleihem Maße \sich nuyßbar zu machen. Dies kann nur geschehen, wenn zu- nächst die bestehenden Wasserstraßen unter einander verbunden werden. (Sehr richtig!) Hierfür spricht au, daß es im Osten eine große Menge von Massenprodukten giebt, bei denen, wie z. B. beim Holz, die. Staatsforstverwaltung und die Privatforstbesißer ein großes Interesse haben, einen besseren Absatz wie bisher nah dem Westen zu bekommen. Jeßt vermögen aus dem Osten Forstprodukte, soweit sie nicht zur See nah dem Westen gebracht werden, dorthin nur bis auf den Berliner Markt zu gelangen, der durch die Konkurrenz aus den mittleren Provinzea häufig überfüllt ist. Es würde für die östlichen Theile von Bedeutung sein, wenn durh weitere Wasserstraßen es ge- lingt, dem, was westlich von Berlin Absaß finden kann, dorthin auch cinen Absay bis in das westfälishe Gebiet zu \haffen, sodaß der Berliner Markt dadur entlastet und der Preis für Forstprodukte aus dem Osten gesteigert wird.
Dann hat Herr von Puttkamer noch die Rentengüter gestreift und ausgeführt, daß dur die bisherige Art der Ausführung sich ein ländlihes Proletariat bilde. Wir werden wahrscheinlich eingehender auf die Rentengüterfrage bei den betreffenden Etatstiteln zurückkommen. Ich will aber hon jeßt einräumen, daß das Rentengütergeseß, dessen Ausführung an si sehr schwer ist, in vereinzelten Fällen zu Uebel- ständen geführt hat. Diese Uebelstände sind, soweit an ihrer Ent- stehung die General-Kommissionen betheiligt sind, bei der Neuheit dieser Gesetzgebung jedenfalls entschuldbar. Bei der Ausgebung von Renten- gütern bildet die Taxe derjenigen Grundstücke, die in Rentengüter umgewandelt werden sollen, ein sehr wesentlihes Moment. Wenn die Taxe zu hoch ist, so wird der Rentengutsnehmer, sofern er auf Grund derselben das Rentengut übernimmt, in feiner Existenzfähigkeit ge- fährdet. Ich muß jedo die General-Kommissionen, die ihre Taxen von Sachverständigen aufnehmen lassen, entshuldigen. Wenn die Preise im Niedergang \ich befinden, is die Möglichkeit vorhanden, daß eine zur Zeit der Aufnahme nach allen Richtungen un- antastbare Taxe zu dem Zeitpunkt, wo sie in die Praxis übergeführt wird, nicht mehr zutrifft. In einer folchen Lage befinden wir uns jeßt, und es is deshalb Pflicht der land- wirthshaftlihen Verwaltung, dahin zu wirken, daß die Aufnahme der Taxe sehr vorsichtig erfolgt. Ferner wird zu prüfen sein, ob nicht auch bezüglich der Wahl der zu Taxen verwendeten Personen mit be- sonderer Vorsicht vorzugehen sein wird, weil hin und wieder Taxatoren — ich will ihnen keinen Vorwurf mahen — unter besonderer Be- rücksihtigung des Interesses des einen oder anderen Betheiligten, alfo nit objektiv, verfahren find. Fedenfalls kann ih die Versicherung abgeben, daß ih es für meine ernste Pflicht halte, die General- fommissionen nah allen Richtungen zu kontrolieren und sie auf Be- denken aufmerksam zu machen. Denn es wäre in hohem Grade bedauerlih, wenn wir dur dieses Geseß statt wirthschaftlih lebens- fähiger Bauernnahrungen von vornherein verkrahte Existenzen, oder, wie Herr von Puttkamer sagt, ein ländlihes Proletariat schaffen würden. Uebrigens geben die bisherigen Erfahrungen zu solhen Be- denken noch keinen Anlaß. Den Generalkommissionen is das Ver- fahren neu; auch die Taxatoren haben nah neuen Gesichtspunkten zu schäßen. Die äußeren Verhältnisse sind ungünstig für die Ausführung des Gesetzes; besonders wegen des Rückgangs der Güterpreise dürfen wir aber erwarten, daß die Sache sich mit der Zeit günstiger ge- stalten wird.
Nun, meine Herren, wende ih mich zu dem Herrn Abg. Richter, der, wie ih sehe, zu meinem Bedauern nicht da ist, der hoffentlih den stenographischen Bericht lesen wird.
Herr Richter hat zunächst gesagt, ih befinde mich im Widerspruch mit meinen Aeußerungen rücksihtlich der Kleinbahnen; während ih im Landes-Oekonómie- Kollegium ausgesprochen habe, daß ih eineStaats- hilfe für Kleinbahnen nicht für nothwendig halte, habe i in meinen leßten Ausführungen mich dahin geäußert, daß die Kleinbahnen unterstüßt werden müßten. Der Herr Abg. Richter hat wohl meine Ausführungen im Landes-Oekonomie-Kollegium niht gründlich gelesen, sonst würde er gesehen haben, daß ih dort gesagt habe, für die Provinz Hannover halte ih eine Staats- hilfe für den Bau von Kleinbahnen nicht für nothwendig, weil ih der Meinung sei, daß dort die landwirthschaftlichen Agrarverhältnisse noch gesund seien, und daß deshalb Provinzialverband, Kreis und Kommune wohl in der Lage seien, auch ohne Staatsbeihilfe diefen Verkehrsmitteln die nöthige Fürsorge zu theil werden zu laffen.
Meine Herren, dann hat Herr Abg. Richter si sehr eingehend über meine Anshauungen wegen der Zukersteuergesezgebung geäußert. Er hat natürli, wie gewöhnli, wenn es ihm paßt, darauf hin- gewiesen, die Sache gehöre nicht hierher, sondern vor den Reichstag. Meine Herren, ih wiederhole in der Beziehung dasfelbe, was ih vorhin {on gesagt habe: ich nehme für das hohe Haus das volle Recht in Anspruch, zu einer Frage, die in die wirthschaftlichen Ver- hältnisse des Staats so tief eingreift wie das Zuckersteuergesez, auch materiell Stellung zu nehmen. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, dann hat Herr Richter ausgeführt: wenn man ein neues Zuckergeseß nah den Grundzügen ausführe, die ih dargelegt habe, so würde daraus eine Vertheuerung eines Volksnahrungsmittels zu Gunsten einzelner hervorgehen. Ich habe schon bei der General-
diskussion ausgeführt, daß ih Feinem. Konsumenten das Recht ein- räumen fann, zu verlangen, daß ein Volksnahrungsmittel fich unter dem Niveau derjenigen Preise befindet, welche erforderlich find, um dem Produzenten einen Ersaß für die aufgewandte Arbeit und anderen- theils auch den erforderlihen Nußzen zu gewähren. (Sehr richtig! rechts.) ¿Augenblicklich steht der Zucker auf einem Preise, der diefen beiden Anforderungen nit entspricht.
Meine Herren, bei . der Gelegenheit hat der Herr Abg. Richter .auch gesagt, daß es sehr verkehrt sei, aus wirthschafts- politishen Gründen in gegenwärtiger Zeit mit einer solhen Um- gestaltung vorzugehen. Er hat das Geseß von 1891 sehr in Shuß genommen. Auf alle diese Dinge will ih näher niht eingehen, weil der Herr Finanz-Mirtister darauf {hon eingehend erwidert hat. Prinzipiell werde ih mi nie mit dem Herrn Abg. Richter über ge- wisse Fragen und so auch über diese niht einigen können. (Sehr rihhtig! rets.) Der Herr Abg. Richter will die Wirthschaftspolitik des Staats in theoretische Fesseln legen und zwar in die Fesseln solher Theorien, die, wie auf diefer Seite des Hauses {hon auêge- führt ift, sich vollsiändig überlebt haben. (Sehr richtig!) Ich meine
* dagegen, daß in einer fo fluktuierenden Zeit wie der, wgrin wir uns
jetzt befinden, _ wo alles, was Produktion, was Konsumtion betrifft, mehr oder weniger von Tag zu Tag fast eine vollständige Umwälzung erleidet, es absolut unmöglich ist, sich an Théoríen zu binden und nah Theorien zu handeln; da muß man die Politik der praktischen, der offenen Hand verfolgen und denjenigen Bedürfnissen Rechnung tragen, die sich momentan herausstellen, soweit man das kann, und, soweit einem nicht aus \taatsrechtlichen oder fonstigen Gründen Feffeln an- gelegt find. (Bravo! rets.) Das ist der einzige Weg, wie man in einer Uebergangszeit — und in der befinden wir uns auf wirthschaft- lichem Gebiete — sich schirmen und {hüten kann gegen die Gefahren, die von Tag zu Tag wachsen. (Bravo! rets.)
Meine Herren, dann habe ih auch folgendem Ausspruche des Herrn Abg. Richter zu begegnen. Ich will mich yom Ausëlande unabhängig stellen und habe des weiteren ausgeführt, daß wir in der Beschaffung unserer Volksnahrungsmittel, sowohl was Fleis, als was Körner betrifft, in der Lage sind, uns mehr oder weniger vom Auslande un- abhängig zu ftellen. (Sehr richtig! rechts.) Des Herrn Abg. Richter Deduktionen gehen von dem Standpunkt aus, daß das unausführbar sei; und darin liegt die gegensäßlihe Auffassung bei uns: er giebt es zu für die Fleishproduktion und bestreitet, daß es möglich sei für die Getreideproduktion. Und nun knüpft er daran Folgerungen, die ih {hon deshalb nit als richtig anerkennen kann, weil ih die Prämissen, auf denen sie beruhen, nicht zugebe. Ich habe {on in der General- diskussion darauf hingewiesen, däß, wenn der Getreidebau wieder lohnend werde, und zwar reichlich lohnend, es zweifellos uns gelingen würde, durch die Kultur unserer großen Moor- und Haideflächen, durch intensivere Kultur in ‘nicht allzu ferner Zeit zu erreihen, daß wir uns unabhängig von der ausländishen Produktion stellen können. (Sehr richtig! rets.)
Dann hat sich der Herr Abg. Richter über die Krisis uss gefprohen. Ja, meine Herren, im allgemeinen find wir derselben Meinung. Aber doch is, wenn man der Sache näher triit, ein himmelweiter Unterschied zwishen meinen Anschauungen und denen des Herrn Abg. Richter. Ich habe in der Generaldiskussion anerkannt, daß au Handel, Gewerbe und Industrie sich in einer kritishen Lage befinden, habe aber auch darauf hingewiesen, daß die kritishe Lage der Landwirthschaft um deswillen jeßt der s{leunigen Hilfe bedürfe, weil die Ursachen der Krisis auf agrarem Gebiete nah meiner Aufs fassung nicht rasch vorübergehender Natur seien, während die Krisen auf industriellem Gebiet, auf den Gebieten des Handels und der Ge- werbe im wesentlichen rasch aufträten, aber auch rasch vorübergingen ; die Ursachen seien dort niht so s{chwerwiegend, wie bei der agraren Krisis. :
Ferner hat der Herr Abg. Richter eine ganze Reihe von Aus- führungen über die Domanialverwaltung gemacht; wir werden ja den Domanial-Etat eingehend zu besprehen no5 Gelegenheit haben, und ih bin in der Lage, Ihnen dort noch sehr wichtige und interessante Mittheilungen zu geben, mit denen ich einstweilen noch zurückhalten muß.
Der Herr Abg. Nichter hat aus der Zunahme des Kartoffel- baus, die ich bei Darlegung der Entwicklung unserer agraren Verhältnisse berührt habe, gefolgert, daß damit allen Bedürfnissen Rechnung getragen sei, und hat dann darauf hingewiesen, daß wir vor allen Dingen eines Spiritusgesetzes, weil dies die bekannte Liebesgabe enthalte, nicht bedürften. Jh bin umgekehrt der Meinung, meine Herren : gerade weil der Kartoffelbau in Preußen eine erheblihe Zu- nahme gewonnen hat, müssen wir dafür sorgen, daß wir für die Ver- werthung der Kartoffel gute Preise erzielen. (Sehr richtig! rechts.) Und das können wir nur dann, wenn wir die landwirthschaftliche Spritindustrie gesund und lebensfähig erhalten. (Bravo! rets.) Dann werden wir neben den Bedürfnissen, die der täglihe Konfum an Kartoffeln erfordert, au in der Lage sein, die vermehrte Produk- tion im Kartoffelbau günstig zu verwerthen.
Meine Herren, ih muß noch auf zwei Punkte zurückommen, die ih bei der Zuckersteuer zu erwähnen vergessen habe; — ih hatte mir allerdings Notizen darüber gemacht. Bei den Darlegungen über die Zuckersteuer übersieht der Herr Abg. Richter nah meiner Auffassung zwei Punkte, die von der allergrößten Bedeutung find. In der Zucker- steuerfrage liegt eine große soziale Frage und auch in gewisser Be- ziehung eine industrielle Frage. Die foziale Frage ist die, daß im NRübenbau und in der Zuckerindustrie ungefähr eine halbe Million Menschen — ich habe die Ermittelungen genau anstellen lafsen — zum theil zu einer Zeit den Haupterwerb findet, wo die Arbeiten in den übrigen landwirthschaftlihen Betrieben nicht mehr so umfangreih und lohnend sind. (Sehr richtig! rechts.) Bekanntlih arbeitet die Zuckerindustrie gerade in der Zeit von etwa Mitte Oktober bis Mitte Februar, und in dieser Industrie werden weiblihe und männliche Arbeiter, und zwar zu bisher sehr lohnenden Preisen und in gesunder Weise beshäftigt (sehr richtig! rechts), und im Sommer zwishen der Ernte und der Bestellzeit finden eine große Zahl, namentli weibliher Arbeiter, auch Kinder, Beschäftigung im Rübenbau, während vielleiht andere lohnende Arbeit nicht zu finden ift; gerade für diese beiden Kategorien von Arbeitern ift deshalb diese Arbeit von der allergrößten Bedeutung.
Zweitens, meine Herren, liegt eine ganz wesentlihe industrielle und agrarishe Frage in der Sache; — die industrielle insofern, als ein großer Theil der Maschinenindustrie wie die ganze Kunstdünger- industrie wesentlich von dem Fortgang, von dem Blühen des Rüben- baus und der Zuckerindustrie abhängig if. Wenn also die Zucker-
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