1895 / 34 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 07 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Der junge Pianist Erneft HutchGeson, der schon öfter hier Diaigtidieede, Be Soi estern im Saal Bechstein zum ersten Mal ein igenes Konzert gab, ist unter Leitung Stavenhagen's ausgebildet und t alle Vorzüge eines Künstlers ersten Ranges. Sein s{höner angreicher Au mag nad die durchgebildete, tief eingehende Art feines Vortrags kamen in Mendels\sohn?s leider # selten gehörter Sonate F-dur, op. 8 sowie in mehreren beliebten Klavierstücken von Schubert, Schumann, Brockway, Chopin und Liszt vortrefflich zur Geltung. ‘Dem Konzertgeber fehlte es niht an der verdienten Anerkennung.

In seinem gestrigen zweiten Klavierabend brate Herr Eugen d’Albert die fünf leßten Sonaten von Beethoven zu Gehör und BuEEe die fast den ganzen Saal der Sing-Akademie füllende Zuhörerschaft, troß der Einseitigkeit des Programms, bis zum Schluß zu fesseln. Die A-dur-Sonate, op. 101, mit dem empfindungsvollen Allegro und dem sich anschließenden Saß im lebhaften Marsch- tempo wurde von dem Künstler vortreffliß gespielt; am meisten Bewunderung erregte aber die Wiedergabe der darauf folgenden großen B-dur-Sonate, op. 106, die, hohe Anforderungen an den Spieler stellend, Herrn d’Albert Gelegenheit gab, sein reihes Können zu entfalten und seine ganze Kraft und Fingergeläufigkeit einzufeten. Diese alles beherrshende Virtuosität blieb ihm aber auch hier nur das Mittel, die Gedanken des Komponisten in edle, wenn auch gewaltige Formen zu kleiden. Es folgten noch die E-dur-Sonate, op. 109, mit dem anmuthigen Andante und dem reihen Schmuck der Variationen, die As-dur-Sonate, e 110, und die C-mo1l-Sonate, op. 111, in welcher die Triller und Doppel- triller äußerst brillant ausgeführt wurden. Der Künstler erntete nah jedem Vortrag stürmishen Beifall und wurde zum Schluß dur mehrfachen Hervorruf ausgezeichnet. Der dritte und leßte Klavier- abend findet am Freitag, den 15. Februar, statt.

Im Königlichen Opernhause gelangen morgen Mascagni's „Cavalleria rusticana“ und LSeoncavallo's „Bajazzi“ zur Auf- führung. Die Damen Pierson, Herzog, Dietrich, Lammmert, die Herren Sommer, Philipp, Fränkel find darin beschäftigt; verr Sylva tritt zum ersten Mal nach seiner Krankheit wieder auf. Die Kapellmeister Sucher und Dr. Muck dirigieren. Der 7. Symphonie-Abend der Königlichen Kapelle unter Herrn Weingartner?'s Leitung am 15. d. M. bringt eine Gedächtnißfeier für Richard Wagner. In der Fastenzeit finden im Königlichen Opern- hause drei große musikalisWe Veranstaltungen statt. Zur Auf- führung gelangen: „Josua“, Oratorium von Georg Friedrich Händel (am Aschermittwoch, 27. d. M.), die „Matthäus- Passion“ von Johann Sebastian Bach, und die „Missa solemnis“ von Beethoven (Dirigent: Kapellmeister Dr. Muck, Mitwirkende: die Königliche Kapelle, der Königlihe Opernhor und Soliften der Königlichen Oper). Für diese Aufführungen wird ein Abonnement zu Konzertpreifen eröffnet. i :

Im Königlichen Schauspielhause wird morgen das Luftspiel „Wie die Alten sungen“ gegeben. Frau Schramm tritt ddrin wieder als Hökerin Hanne auf; außerdem sind die Herren Vollmer, Kable, Molenar, Purshian und die Damen Kahle und Richter darin beschäftigt. /

Im Deutschen Theater gelangt am Dienstag. den 12. Fe- bruar, die vieraftige Komödie von Carlot Reuling „Der Mann im Schatten“ zur ersten Aufführung. N

Im Berliner Theater wird Carl Gußkow’'s Trauerspiel „Uriel Acofta* am nächsten Sonntag und zwar zum ersten Mal unter der gegenwärtigen Direktion zur Aufführung gelangen. Otto Sommerstorff wird den Uriel, den er im Deutschen Theater oft mit so glänzendem Erfolg dargestellt hat, au im Berliner Theater spielen. Teresina Geßner wird die Judith, Gustav Kober den Arzt de Silva, Paul Nollet den Manasse Vanderstraten, Claudius Merten den Ben Akiba, Milly Rica den jugendlichen Baruch Spinoza darstellen. Die Neu- einstudierung des Dramas wird von Herrn Guftav Kober geleitet.

„Aus Berlin W.* betitelt si ein dreiaktiges Lustspiel von einem ungenannten Verfafser, das der Direktion des Lessing-Theaters durch den Theaterverlag von A. Entsh zur Aufführung eingereiht worden ift. Das Werk, das aus dem Berliner Salenleben ges{öpft ift, bat auf Herrn Dr. Oscar Blumenthal einen so gefälligen Eindruck gemacht, daß er auf Wunsch des Verfassers an der Schlußredaktion des Textes einen lebhaften Antheil genommen hat und die Novität noch im Laufe des Februar mit Jenny Groß und Maria Reisenhofer in den Hauptrollen zur Aufführung bringen wird.

Wetterbericht vom 7. Februar, S Ubr Morgens.

n

dem Gefrierpunkt gemeldet. Abends magnetishe Störung:

Im Lessfing-Theater wird am Sonntag Molière’'s fünf- aktiges Luftspiel „Der Geizige“ mit Ferd. Suske als pagon zur Aufführung kommen, und zwar in Verbindung mit em Schwank „Niobe“, in welhem Jenny Groß die Titelrolle spielen wird. Ob- wohl diese Doppelvorstellung nit weniger als aht Akte vmfaßt, wird fie gleihwobl die Dauer von drei Stunden niht überschreiten, da Moliòre’s Lustspiel mit nur einer Minute Pause nah jedem Akt gespielt wird. i Zwischen Herrn Direktor Frißshe und dem Londoner Theater- Direktor Herrn Harris wurde ein Vertrag abges{lossen, laut desen die „Burleske-Compagnie" des Prinz of Wales-Theaters, welhe im Shaftesbury-Theater 300 Gastvorstellungen absolvierte, noch im Laufe dieser Spielzeit zu einem längeren Gastspiel am Theater Unter den Linden verpflihtet worden ist.

Das Programm des nächsten, VII[. Philharmonischen Konzerts (am 18. Februar), unter Leitung des Hof-Kapellmeisters Richard Strauß und solistisher Mitwirkung des Cellovirtuosen Hugo Becker, enthält u. a. an reinorhestralen Werken Beethoven'ss C-mol1ll - Symphonie, ns von Bülow's Orcester- Phantasie „Nirwana“ und Tschaikowsti's 111. Suite. Der Solift wird Haydn's Cello-Konzert zu Gehör bringen. Die französische Konzertsängerin Mme. Blanche Mar chesi wird in ihrem morgigen Konzert (Saal Bechstein) außer den bereits bekannt gege- benen Werken au ein Lied von Lully aus dem XVII. Jahrhundert und zwei Bergerettes (Schäferlieder) aus derfelben Epoche sowie eine Reihe moderner französisher Romanzen zu Gehör bringen. Das Terzett der holländishen Sängerinnen Fräulein de Jong, Corver und Snyders giebt am 9. Februar in der Sing-Akademie fein zweites Konzert. Das Programm enthält fast aus\ließlich folhe Kompositionen, die bier bisber noch nit ae- hört worden find. Es befinden fich darunter Terzette von Spohr, Jenner, Graf Hochberg und Floersheim, Duette von Edwin Schul, dânishe Madrigale von Fabrizius und deutsche und italienische Lieder. Fräulein Clotilde Kleeberg hat für ihren am 9. Februar stattfindenden Klavierabend (Saal Bechstein) ein ebenso reich- baltiges wie interessantes Programm zusammengestellt. Dasselbe bringt u. a. Prélude, Choral et Fugue H-moll von Géfar Frand, Schumann’s „Waldscenen“, Weber's As-dur-Sonate, Pierrette von Chaminade, Jonglerie von F. Gernsheim (leßtgenanntes Stück ift Fräulein Kleeberg gewidmet), Nubinstein's F-dur-Romanze 2c.

Zum Besten der Volkzskindergärten des Berliner Frôöbel- vereins veranstaltet die Gesanglehrerin Gertrude Ravoth mit ihren Schülern und Schülerinnen am Sonntag, den 10. Februar, in der Aula der Charlottenshule (Steglitzerstraße 29) eine Matinée. Den von Gustav Klitsher gedihteten Prolog, zu dem Alfred Sormann die musikalishe Begleitung komponiert hat, wird Herr Hofschauspieler Herter sprehen. Karten zu 1 4 sind bei Fräulein Navotb, Potsdamerstraße 1096b, zu haben.

Mannigfaltiges.

Hinsichtlich des bevorstehenden Umbaues bezw. Neubaues der Alsenbrücke bat die ftädtishe Bau-Deputation in ihrer geftern abgehaltenen Sitzung bes{lofsen, von der Herstellung einer fahr- baren Brücke über die Spree Abstand zu nebmen und daselbst nur eine Brücke für Fußgänger berzurihten, mit Rücksicht darauf, daß dem Bedürfnisse des Wagenverkehrs durch die benachbarte Moltke- und Kronprinzenbrüdcke in ausreichendem Maße genügt werde. Mit der Auswahl des Plaßes für das Denkmal Werner von Siemens? am Ausgange der Linden- und Markgrafenstraße, unweit der Stätte seines Wirkens, des Etablifiements der Firma Siemens und Halsfe, hat sih die Deputation einverstanden erklärt.

In der t ädtishen Waisenpflege befanden sih am 1. Ja- nuar d. I. 4637 Kinder (2480 Knaben, 2157 Mädchen), in Zwangs- erziebung 433 Kinder (364 Knaben, 69 Mädchen). Von den leßteren find entlaufen 28 (24 Knaben, 4 Mädchen) und befanden \sich im Ge- fängniß 4 Knaben. /

Zum Untergang des Bremer Schnelldampfers „Elbe“ meldet ,W. T. B.“ weiter: Die Shmack „Paradigm“ brachte gestern eine Leiche nah Lowestoft, welhe als die des Ober - Stewards H. Pschunder festgestellt wurde. Der Norddeutsche Lloyd hat die

Wilßbelmshaven hatte

Deutscbe Seewarte. Freitag:

3 Akten von M. West und

el

(0

Stationen. Wind. | Wetter. |

“Temperatur (F

in 9 50 N

Bar. auf 0 Gr. hi1, d. Meeressp.

& O

red. in Millim.

3 Schnee

3 balb bed.

9 bededt ; 1 Nebel

8 Schbnee 4'wolfenlos 3 Schnee libededt

Belmullet . Shristiansund! Kopenhagen . Stockbolm . L t. Peterébg Mosfau Cork, Queen®- O ¿»S Cherbourg .

E A L winemünde

Neufabrwafser Memel

E 4 Ms C5

S0 (N O

“Nascagni. von G. Ver Regisseur Tele

2 N n R 2) s

2 S6 D C3 D B -) O

4

S

—] R] I J “I

D D

einem Prolog.

O

5/bededckt

9 heiter |

1woltens[os ! ftillSdbnee

1iNebell)

2 wolkig

E DeDeclT

bededckt

[fenlos [fenlos [ence 21 [fenl.2) |—17 ededt —13 e) |—16 iter) —13 Schnee

Dunít

bededckt bededt 'bededt

s l) lw) 3(N (0) t O

M

Nis C O0 M D N p

sungen. mann. Grube.

(N S

t

O i N S P

R c

G

O

À d

5

rung in 3

1%) =ÌI| R l =) “J J J I

C en

O

—19

5

(O S

Le)

HABAH 5

Ae)

c

OSGOGS

A

fang 7+ Uhr.

E23 (in j è L) e ©

I N 5 N N C5 »| 00 A O ED fa G0 G5 G9 —1

fti

7

s

O t

Ot (9) Q

it

W| O

ftill

O

E Go Q! D O A

1) Raubfroft. 2) Reif. ?) Raubfroft. Cine. Uebersiht der Witterung.

lleber Norwegen ist das Barometer siark gefallen, dagegen über Zentral-Guropa geftiege sol die Luftdrockuntershiede zwischen Nord im allgemeinen eiwas auvégeglichen haben. ( Depresfion liegt über der südlichen Oftsce, auf ihrer Nortscite vielfach ftürmisdhe dôstlihe, an ter ofideutshen Küste ziemli frische südwestlihe Winde bedingend. In Deutschland dauert die sehr firenge Kälte, im Westen bei vielfach heiterer, im fien bei meist trüber Witterung fort; an der Küste ift fast überall Sckchncœe gefallen. Am Zlteslen ift eS in dem Streifen Kaiserslautern—

2g, wo tie Temperatur bis ¡u 26 Grad unter Mull liest: aub aus Paris werten 15 Grad unter !

Anfang 7

Theater-Anuzeigen. Königliche Schauspiele.

baus. 36. Vorstellung. Cavalleria rusticana. | (Vauern-Ehre.) Oper in 1 Aufzug von Pietro Tert nach dem gleichnamigen Volteftüdck ga. aff. Bajazzi. (Pagliacci.) Oper in 2 Akten und Musik und Dichtung von R. Leon- cavallo, deutsch von L. Hartmann. J n seßt vom Ober-Regifseur Teßlaff. Dirigent: Kapell- meister Sucher. Anfang 7F Ubr. Schauspielhaus. Lustspiel in 4 Aufzügen von Karl Nie- In Scene gese8t vom O Anfang 7 Uhr. Sonnabend: Opernhaus. Ring des Nibelungen. Richard Wagner. d erdäu ufzügen und 1 Vorspiel. Anfang 7 Uhr. Schauspielhaus. thätigen Zweek. s Franz von Schönthan und Gustav Kadelburg. An-

Deuisches Theater. Freitag (außer Abonne- ment): Weh dem, der lügt! ] Zum Beften nothleidender Weber im Eulengebirge: Die Weber.

Sonntag, 24 Ubr: Die Weber. Weh dem, der lügt!

Sonnabend :

Berliner Theater. Freitag. (22. Abonnements- Borístellung): Der Kompagnon. Anfang 7{ Uhr.

Sonnabend: Der Pfarrer von Kirchfeld.

Sonntag, 24 Ubr: Madame Sauns-Gêne. 7} Ubr: Uriel Acosta.

Lessing-Theater.

Uhr. Sonnabend: Die wilde Sag. s Sonntag: Der Geizige. Lustspiel in 5 Akten

ron Molière. Hierauf: Niobe. Montag: Der Fall Clémenceau.

Kapellmeister Adolph Ferron.

Freitag: Opern-

Residenz - Theater.

In Scene geseßzt vom Ober-

Dirigent: Kapellmeister Dr. Muck. arbeitung von Benno Jacobfon.

Foutrafït. In Scene ge-

reitag: 38. Vorstellung. Wie die Alten | 4 Atton ber-Regifs M Sonnabend: Demi-Monde. er-Regifseur Mar

37. Vorstellung. Der Bübhnenfestspiel von Dritter Abend: Götterdämme-

Siegfried Jelenko. für Volksunterbaltung.

37. Vorstellung. Zum wohl- Lustspiel in 4 Aufzügen von

Anfang 74 Ubr.

Ubr:

Thomas Freitag :

Salingré’s 7{ Ubr. In Vorkereitung:

Freitag: Ghi#monda.

Sonnabend : Hierauf: Anfang 74 Uhr.

Friedrih - Wilhelmfstädtisches Theater. Chaufieeftraße 25/26.

Der Obersteiger.

« Deld.

Carl Zeller. Regie: Herr Fredy. Dirigent: Herr

Anfang Uhr.

Sonnabend: Der Obersteiger.

Blumenstraße Nr. 9. Direktion: Sigmund Lautenburg. nand’s Ehekontrakt. (Fil à la patte.) S{chwank in 3 Akten von Georges Feydeau, in deutsher Be- Anfang 7{ Uhr.

Sonnabend und folgende Tage: Fernand’s Ehe-

Neues Theater. Siffbauerdamm 43./5. Das liebe Geld. 4 Akten von Elsa von Schabelski.

Sonntag: Zum erften Male: Liebe von Heut, BVolksftück in 4 Akten von Robert Misch.

Sonntag, Nachmittags: Vorstellung des Vereins

Theater Unter den Linden. Behrenstr. 55/57. Direktion: Julius Frißs@e. Freitag: Mit neuer Ausftattung: Der Probekuß. Operette in 3 Akten von Hugo Wittmann und Julius Bauer. Musik von Carl Millöcker. In Scene geseßt von Julius Frißshe. Dirigent: Herr Kapellmeister Federmann. Senf: Tanz-Divertissemeunt, Anfang 7ck Uhr.

Sonnabend: Der Probekufß.

BPentral-Theater. Alte Zakobftraße Nr. 30. Direktion: Richard SHult. Leßte Woche. Emil a. G. Anna Bâdckers. Zum 159. Male: O, diese Berliner! Große Poffe mit Gesang und Tanz in 6 Bildern (nach „Reise durch Berlin“) von Freund. Mußk von Julius Einödshofer. Anfang

Sonnabend: O, diese Berliner! Unsere Rentiers. Posse mit Gesang und Tanz in 4 Akten.

Adolph Ernfst-Theater. Freitag: Geshlofsen. Zum zweiten Male: Gefindeball. um 46. Male: Ein fideles Corps.

Summe von 100 Pfd. Sterl. als Belohnung für den- Kapitän und | die Mannschaft des Fisherboots „Wildflower“ angewtesen. :

In der Urania werden morgen, am Sonnabend und Sonntag die leßten Vorführungen des dekorativen Vortrags „Durch alle Welten stattfinden. Von der nächsten Woche ab wird die „Amerikafahrt* welche die Reise eines Schnelldampfers des Norddeutshen Lloyd schildert, wieder das Repertoire beherrschen. Der Ertrag der erften Vorführungen is zum Besten der Hinterblieb-znen der bei dem Untergang der „Elbe“ Verunglückten bestimmt.

Lüb edck, 7. Februar. Die Bucht von Travemünde if mit großen Gismassen bedeckt. Ein von der Handelskammer aus- gesandter Eisbreber gelangte jedoch heute Mittag an die ofene See, die Schiffahrt ist demnach unbehindert.

Wien, 6. Februar. In fast ganz Oesterreich hberrscht ab- norme Witterung und starke Kälte; in der Bukowina ist der Bahnverkehr in ausgedehntem Maße gestört. Wien hatte, wie W. T. B.* meldet, heute früh 18, Mittags 9 Grad Kälte.

Laibach, 6. Februar. Durh einen außer Gebrau geseßten Bergwerks stollen brachen in ter Nähe des Dorfes Littai zwei Wasferstürze hervor, wodur die vor dem Stollen befindliche Schutthalde abgeschwemmt und 5 Häuser, die Gärten des Dorfes, fowie die Landstraße vollständig von der Muhr übershüttet wurden. Das Waffer drang in die zu ebener Erde gelegenen Wohnungen ein. Der Schaden ift dem ,W. T. B.“ zufolge bedeutend; Menschen sind ma E worden. Die Ursache des Wafssersturzes if noch nit aufgetlärt.

Czernowiß, 7. Februar. JInfolge Schneesturms find in der Nacht vom 5. auf den 6. d. M. vier Personen auf der Land- ftraße erfroren.

Queenstown, 6. Februar. Der Dampfer , Majestic *, der beute Abend von New-York nah stürmischer Fahrt hier eintraf, theilt laut Meldung des „W. T. B.* mit, er habe Dienstag früh 200 Meilen westlih von der irländishen Küste ein kleines Boot bemerkt, das Nothsignale gab. Als der „Majestic“ herankam, war das Boot verschwunden. Zweifellos liegt ein Schiffsunglück vor.

Paris, 7. Februar. - Von dem Dampfer „Gascogne“ der „Compagnie Générale Transatlantique“*, der am Montag in New- York hâtte eintreffen sollen, liegt dem ,„W. T. B.* zufolge noh keine Nachricht vor.

Montceau-les-Mines, 6. Februar. Die genaue Zahl der durch die shlagenden Wetter in den Gruben von Sainte Cugénie Umgekommenen (vergl. die Nrn. 32 u. 33 d. Bl.) beträgt 28, von denen 21 geborgen find; die Zahl der Verwundeten ist 8. Das Be- gräbniß der Bergleute fand, wie „W. T. B.“ meldet, heute Vor- mittag unter großer E statt. Der Arbeits-Minister Dupuy- Dutemps hielt eine Rede zum Gedächtniß der Verunglückten, die au dem Felde der Ehre gefallen seien, und erklärte, die Regierung werde ihre Augebörigen nit im Stich lassen.

Antwerpen, 7. Februar. Die Schelde ist, wie „W. T. B.“ meldet, seit heute früh von Austruweed ab für Se el- und Dampf- \chiffahrt geschlossen. Lootsen werden den Schiffen niht mebr mitgegeben. Die Kälte beträgt 15 Grad. Mehrere Dampfer sind im

Eis eingeschlossen. O

New-York, 6. Februar. In den nördlichen Staaten der Union herrscht sehr starke Kälte. In New-York war gestern die Temperatur niedriger als feit 15 Jahren. Die Gisenbahnzüge erleiden,

wie dem „W. T. B.“ gemeldet wird, durch Stürme und Schnee- verwehungen große Verspätungen.

(Fortsezung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)

Konzerte.

Konzert-Haus. Freitag: Karl Megyder- Konzert. Ouv. „Eine nord. Heerfahrt“, Hartmann. „Der Freishütz“, Weber. „Krondiamanten“, Auber. Slavishe Tänze Nr. 7 u. 8 v. Dvorak. Phantasie a. „Der Maskenball“ v. Verdi. „Frauenliebe und Leben“, Walzer v. Blon. „Kol Nidrey* f. Cello v. Bruch (Herr Sasbach). „’s Sträußli“ f. Piftor v. Hoh (Herr Werner).

Operetie in Musik von

Saal Bechstein. Linfkstraße 42. Freitag, Anfang 7# Uhr: L. Konzert (Französischer Lieder- Abend) von Blanche Marchefi aus Paris, unt. güt. Mitw. des Klaviervirtuosen Herrn Felix

Dreyschock.

Zirkus Renz (Karlstraße). Freitag: Große Komiker-Vorstellung. Humor! Wiß! Laune! - Auf- treten fämmtliher Clowns und des „August“ Vèr. Lavater Lee in ihren wirkungsvollsten Entrées. Außerdem: Auftreten sämmtlicher Spezialitäten, Damen und Herren, Vorführen und Reiten der beft- dressierten Freiheits-, Spring- und Schulpferde. Zum Schluß der Vorstellung: Tjo Ni En. (Beim - Jahreswehsel in Peking.) Sensationelle Tänze, u. a. Original, le grelots vivants, jeu des barbichons x. Original! Neue Musßik-Einlagen. Anfang 7X Uhr.

Sonnabend, Abends 7# Uhr : Gala-Borstellung.

Sonntag: 2 Vorstellungen, Nachmittags 4 Ubr (ermäßigte Preise): Die luftigen Heidelberger. Abends 73 Uhr: Tjo Ni En.

E: Lp e t L a E N CHE Familien-Nachrichten.

Geboren: Ein Sohn: Hrn. Prem.-Lieut. Otto von Arnim (Stendal). Hrn. Professor Dr. Biermann (Friedenau). Hrn. Gerichts-Affsef|or Dr. Köster (Kottbus). Hrn. Leo von Zyhlinseki Schüsselndorf).

Gestorben: Hr. Hauptmann a. D. Carl vor Czernicki (Berlin).

Fer-

Freitag:

SHauspiel in Anfang 7# Uhr.

egie :

Josefine Dora.

Julius

Große Verantwortlicher Redakteur:

J. V.: Siemenroth in Berlin. Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.

Druck der Norddeutshen Buchdruckerei und Verlagé* Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.

Sechs Beilagen (einschließlih Börsen-Beilage).

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich P

Erste Beilage

reußischen Staats-Anzeiger.

M 34. Berlin, Donnerstag, den 7. Februar ÜVOS. E —————————————P

Deutscher Reichstag. 30. Sißzung vom Mittwoch, 6. Februar.

Ueber den Beginn der Sizung ist gestern berihtet worden. Nachdem der Abg. Dr. „Hiße die von ihm eingebrachte Fier ation über die geseßliche Anerkennung der

erufsvereine und die Errichtung von Arbeiter- kammern begründet hatte, nahm das Wort der

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe:

Meine Herren! Die verbündeten Regierungen baben \ih mit der Frage der Herstellung einer Vertretung der Arbeiter behufs Wahr- nehmung ihrer Interessen bisher {hon bei Gelegenheit der Be- rathung einzelner Gesegentwürfe, wie derjenigen, welche si auf die Einrichtung von Gewerbegerichten, auf die Abänderung der Gewerbe- ordnung und auf die Versicherungsgeseßgebung beziehen, zu beshäftigen Anlaß gehabt.

Die dabei von ihnen eingenommene Stellung ift aus den dem Reichstag zugegangenen Entwürfen ersichtlich.

Generell ist die Frage bisher im Bundesrath nicht behandelt.

Es besteht indeffen bei der Königlich preußischen Regierung, über deren Auffassung allein zur Zeit Auskunft gegeben werden kann, fein Zweifel, daß es ihre Aufgabe ist, das Programm, welches der Erlaß Seiner Majestät des Königs von Preußen vom 4. Februar 1890 auf- stellt, zur Durchführung zu bringen.

Eine Beantwortung der Frage, ob baldigst die Vorlage eines Geseßentwurfs im Sinne des zweiten Theils der Interpellation er- wartet werden darf, ist zur Zeit niht mögli, weil die in diefer Beziehung unternommenen Vorarbeiten zu einer Beschlußfassung des Königlichen Staats-Ministeriums noch nit geführt haben.

Auf Antrag des Abg. Dr. Lieber (Zentr.) tritt das e in eine Besprechung Per Sntrcnetctine E Wort er

Abg. Möller (nl.): Wenn ih und die Mehrzahl meiner Fraktion der Ansicht sind, dah ¿unächst auf dem Wege der fozialen Reformen nit in der bisherigen Weise fortgeschritten werden kann, so vertreten wir diese Meinung in dem Sinne, daß uns zunächst das Ausland folgen muß, ehe wir weiterè Schritte thun können. Auf dem Kongreß zu Mailand haben wir die Ueberzeugun peponuea, daß unsere Pro- aganda in dieser Richtung nicht erfo glos ist; in den anderen ändern, au in Frankreich, gewinnt eine jüngere Schule die Ober- Hand über das alte Manchesterthum. Nur England wehrt \sih noch hartnädig. Wenn uns das Ausland gefolgt sein wixd, dann werde ih unter den ersten fein, die eine weitere Entwickelung unserer Sozial- géfeßgebun befürworten. Uebtigens stebt die Behauptung der fozial- demofratishen Partei, die bisherige Versicherungs eseßgebung habe für die Arbeiter keinen Werth, durchaus nicht im Einklang mit der Ansicht, welche ausländische Gesinnungsgenofsen der Herren darüber haben. Es ist mir von solchen in Mailand gesagt worden, daß sie unsere Orga- nifationen als bewundernswerth dankbar anerkennen. Wenn der Abg. Hiye den Arbeitervertretungen den Arbéitsnahweis überlassen will, fs wird er sh den Dank der fozialdemokrätishen Partei verdienen, denn deren Geschäfte besorgt er damit. Wer den Arbeitsnahweis hat, der hat die Mat über die Arbeiter, und der soziale Kampf wird fich in der nächsten Zeit wesentlich um diese Frage dréhen. Der Abg. he vertrat früher die Auffaffung, daß Vertretungen geschaffen werden müßten, in denen Arbeitgeber und Arbeiter gemeinsam säßen; fs ist er auf den Standpunkt der gesonderten Arbeitervertretungen inübergetreten. Ich bin der Meinung, daß diese ein Unding sind. Die Interessen der Arbeitgeber und der Arbeiter hängen aufs engste zusammen. In England i|ff das nah grauen- haften Kämpfen, die hon am Schluß des vórigen Jahrhunderts begannen, von den aus diesen Kämpfen hèrvorgegangenen trade - unions anerkannt worden; man begriff dórt, daß getrennte _Arbeitervertretungen über fkurz oder ang zum politischen Terrorismus führten. _Erst die jüngere Generation, die jene Kämpfz niht mehr kennt, entfernt sich von dem bewährten Grundsage, und die sozialistishe Partei elangt mehr und mehr zur Herrschaft. Es würde gänzli be ehlt fein, die englishe Einrihtung auf unsere völlig abweichenden Verhältnisse zu übertragen. Wir baben so shwere Kämpfe garnidt gehabt. Wohl waren in früberer Zeit vielfach shauderbafte Zustände vorhanden, aber zu einer D als die Handarbeit vorherrschte. Bent 1 Die age der arbeiténden Bevölkerung unendlich viel besser geworden. Wenn dies in Schlesien niht in gleihem Maße der Fall ift, wie beispielsweise in meiner Heimath Westfalen, so mag dies vielleicht an einer gewissen Indolenz der Bevölkerung liegen, die sih von der überlieferten Arbeitsweise nicht loszumachen vermag. Bereits Schulze- Delißsch hatte den Antrag gestellt, Organisationen nah dem uster der englishen Gewerkvereine zu schaffen; als ihm aber Lasker er- widerte, die englischen Gewerkyereine seien Kampforganisationen, ver- lor er den Muth. Die politishen Parteien haben ih der Arbeiter- bewegung bemächtigt, bei der es sih jeßt nicht um wirthschaftliche sondern um politishe Gesichtspunkte handelt. Die Industrie ist dur die neuere Geseggebung \chon so belastet geworden, daß, wenn weitere Lasten hinzukommen, sie im Wettbewerb mit den anderen Nationen

i auf die Dauer nit wird bestehen können. Ich bin gern bereit, vor-

wärts zu marscieren, aber wir dürfen den anderen Nationen nicht zu weit voraneilen. Was der Kaiserliche Erlaß von 1890 versprochen hat, ift bereits zum großen Theil erfüllt worden. Die Organisation kann nur dann nüßlich sein, wenn in ihr Arbeiter und Arbeitteber gemeinsam vertreten sind. Seien wir vorsichtig in der weiteren

erfólgung unserer sozialpolitishen Geseßgebung! Das, was man der Induftrie auflegt, zu viel auflegt, entzieht man den Arbeitern selbft. Zweifellos hat sich die wirthschaftliche Lage der Arbeiter in den leßten Jahren bedeutend gebessert; wir hoffen, daß diese Besserung lortschreitet, aber verhindern wir, daß unreife Projekte zur Ausführung

ngen.

Abg. Fischer (Soz.): Warum haben die Jnterpellanten nur den einen Punkt, den Sie vorbringen, aus den Februar-Erlafsen herausgegriffen ? Es find viel wichtigere Fragen darin enthalten, die noch dér Beantwortung bedürfen, so die Frage einer gesegiien Regelung der Zeit und Dauer der Arbeit. Wenn in den leitenden reisen guter Wille vorhanden wäre, so hätten in den 5 Jahren seit zeröffentlichung der Erlasse alle Versprechungen derselben erfüllt Fn ônúen. Nach denErklärungen, welche die Regierung heute abgegeben hat, grd aber kaum noch „jemand irgend welche Zutfimungen in dieser ihtung hegen. Das Zentrum hat diese Interpellation nur cin- sevracht, um vor den fatholishen Arbeitern seinen Umfall in der wsturzkommission zu bemänteln; denn niemattd wird mehr in Abrede stellen, daß die Umsturzvorlage die Unterwerfung des neuen Kurses ntr die Ausbeutungsinteressen der kapitalistishen Großindustrie be- eutet, W ordert das Zentrum nicht den Normalarbeitstag,

arum für den der Abg. Hité noch im Jahre 1893 eingetreten is ? Wenn der

Abg. Groeber jüngst die chriftlihe Charitas betont hat, so bemerke ih dem gegenüber, daß diese in den sozialen Kämpfen gänzlich bedeutungs- los ‘ist. An den eigentlihsten Stéllen diefer Hristlihen Charitas werden die Arbeiter gerade so auégebeutet, wie von der Großindustrie, wie die tlôfterlichen Wohlthätigkeitëartalten in Frankreich und Belgien beweisen. Läßt doch eine folhe Woblthätigkeitsanstalt in Belgien Hunderte von Kindern in zwölf- bis vierzehnstündiger Arbeitszeit be- \châftigen gegen einen Tagelohn von 12 bis 14 4! Die Jnter- pellariten verlangen die eseBlihe Anerkennung der Berufsvereine und Arbeiterkammern. Auch wir treten dafüc ein, obwohl wir uns von der Wirksamkeit dieser _ Einrichtungen niht viel versprechen. Geben Sie den Arbeitern die volle, wirkliße Koalitions- freiheit, dann verzihtet die Sozialdemokratie gern auf all den fozialpolitishen Krimskrams, an dem Sie fo große Freude zu haben scheinen. Wir haben Feineëwegs, wie gesagt wird, Furt vor Arbeiterauësschüfsen, wir verlangen aber Garantien dafür, daß die Mitglieder derselben auch ihre Pflicht erfüllen können und nit Werk- zeuge der Arbeitgeber sind. Wenn wir für Arbeiteraus\{chÜüsse ein- treten sollen, müßten wir vor allem verlangen, daß fein Mitglied während der Dauer feines Amtes entlassen werden darf; alle Vorarbeiter und Werkmeister wären auszuschließen, da sie zu eng mit den Unternehmern verbunden find. Es liegt aber auf der Hand, was wir von der Regierung in dieser Hinsicht zu er- warten haben. Der Staatssekretär von Boetticher erklärte ja, daß es nit Aufgabe der Regierung sei, sozialdemokratishe Konstitutionen zu fördern. Die Rede, mit der der Minister von Berlepsh die inter- nationale Arbeiterkonferenz eröffnet hat, sticht gewaltig ab voón den neuen Thronreden. Nach der Umsturzvorlage soll der Kampf gegen alle die aufgenommen werden, die glauben, daß die jetzige Gefellshafts- ordnung auf Ungere@tigkeit beruhe. Ein König kann nur König der Armen, der Arbeitslosen, oder ein König der Reichen sein. Unser soziales Königthum „hat fkapituliert zu Gunsten der Reichen. _Was ist für die Arbeiter in den Staatsbetrieben ge- schehen? Sie sollten in Wahrheit Musteranstalten fein, sie find aber Musteranftalten für Ausbeutung und kapitalistishe Knehtung. Die elementarsten Bedingungen zu einer Arbeitershußgeseßgebung bleiben unberüdcksi{tigt. soll da das Vertrauen in den unteren Sichten herkomimen ? Man spricht viel vom Arbeitsnahweis und seiner polt- tischen Bedeutung. Die E Arbeitênahweise sind nur Unterneh- mungen der Arbeitgeber; das follte au der Abg. Möller bedenken, der seine Wahl nur einem s{amiosen Parteigetriebe verdankt, das ja auch zur Ungültigkeitserklärung feiner Wabl geführt hatte. Die Sozial- reform, die die Reichs- enwattung im Sinne hat, geht recht deutlich aus ihrem Ver alten gegenüber dem Post-Assistentenverein und aus dem Heirathsverbot für die Unteren Beamten hérvor. Eine Durchführung dex Kaiserlihen Erlasse kain man von unseren Reichs- behörden nit erhoffen, sie messen alle mit zweierlei Maß gegenüber Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Jenen wird verboten, Sozial- demokraten zu beshäftigen, und diefen wird {on eine Agitation auf Lohnerhöhung als Umfturzbestrebung ausgelegt. Das ist einé Geseßz- gébung, die geeignet ist, Propaganda für unfere Sozialpolitik zu machen und auch dem Blödesten die Augen zu öffnen.

Staats-Minister Freiherr von Berlepsch:

Meine Herren! Nur einige wenige Worte! Inder Rede des Herrn Vorredners ift ja das eigentlihe Thema, das uns beschäftigt, wenig behandelt worden. Sie gehörte zu den Reden, die gehalten werden, um die Arbeitermassen außerhalb des Hauses gegen die Negierung und gegen bie bestehende Staats- und Gesellshaftsordnung aufs neue aufzuhegen. (Sehr richtig! rechts.) Es ergab sich das auh s{chon aus der reiten Sammlung von Material, das jedenfalls nit in der kurzen Zeit seit Einbringung der Interpellation gesam- melt worden ist, sondern längst in den Schränken der Sozialdemokratie gelegen hat, um bei geeigneter Gelegenheit hier vor das Haus und die Oeffentlichkeit gebraht zu werden. è

Dér Herr Redner hat es für nöthig gehalten, einige Dinge zu berühren, die mein Ressort speziell betreffen. Ich muß deshalb mit einigen Worten darauf antworten. Der Herr Redner hat bemerkt, daß bei der Königlich preußischen Bergwerks-Verwaltung zu Saar- brüden Tausende von Arbeiterexistenzen in brutalster Weise ver- nihtet worden seien, daß es dort noch täglich vorkomme, daß aus fisfalischen Rücksihten die Arbeiter in großen Mengen entlassen würden. Das leßtere is thatsäGlich absolut unrihtig. Das erstere betrifft einen Vorgang, der dem Reichstag ja s{on bekannt ift, nämli den leßten Saarbrückener Aufstand, infolgedessen eine Anzahl von Arbeitern zur Arbeit zunähst nicht wieder angenommen wurden, und zwar aus dem einfahen Grunde, weil ste seit Monaten bemüht gewesen waren, die Arbeiterschaft gegen die Verwaltung und die Beamten in der unerhörtesten Weise zu verheßen und das Verhältniß zwishen Beamtenthum und Arbeitern zu vershlehtern.

Ich habe mir gestattet, schon damals diese Frage hier im Reichs- tag des näheren zu erläutern und die Gründe anzuführen, warum dieser Theil der Arbeiterschaft in die Arbeit nit wieder aufgenommen wurde. Die Direktion der Gruben machte von dem Recht eines jeden Mannes Gebrauch, der einen Hausgenossen, der im eigenen Hause Unfrieden zu stiften sucht, nicht wieder in sein Haus einläßt. Dieser Standpunkt wird als rihtig nicht zu bestreiten sein.

Meine Herren, die Arbeiter, die damals in besonders aus- gesprohener Weise si gegen die Verwaltung der Bergwerke gewendet hatten, unterlagen der Führung sozialdemokrätischer Ngitatoren, und dieser Fall liegt, wie viele Fälle dér Art, ja wir können wohl sagen, fast die meisten Fälle. Wir können doch wohl annehmen, daß in der kleineren Zahl von Fällen die berehtigte Beshwérde über Lohnverkürzung, über sonstige ungünstige Bedingungen der Arbeitsverhältnisse der Grund des Strikes ist. Man wird niht ganz mit Unrecht behaupten können, daß die größere Zahl der Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Veranlassung' sozialdemokratischer Agitatoren zu seßen ist. (Widerspruch bei den Soziäldemokräten. Sehr wahr! rets.) Ja, meine Herren, wer si einigermaßen eingehend mit dieser Frage beschäftigt und sie verfolgt, ih kann Sie versichern, der fommt zu dieser Ueberzeugung, und es ist das auch an si nihts Unwahrscheinlihes. Es ist bekannt, daß die Sozialdemokratie die deutsche Arbeitershaft in einer, man kann sagen, ftrengen Zucht hält; wer nicht mit ihr geht, wer niht ihrem Willen folgt, hat si sehr empfindlihen Folgen auszuseßen; er wird aus ber Genossenschaft ausgeshlossen, er wird in seinen häuslichen und sonstigen Verhält-

nissen in der verschiedensten Weise verfolgt, und fo fommt es denn, daß den fozialdemokratishen Agitatoren und Führern der Partei gelungen ist, daß die Arbeiterschaft in sehr vielen Fällen unbedingt ihrem Ruf zur Einstellung der Arbeit Folge leistet.

Daß dies so liegt, muß auch der Regierung das Bedenken geben, ob sie nit genöthigt ift, in der sozialpolitishen Geseßgebung, die sie eingeshlagen hat, immer das Moment mit in Frage zu stellen, in- wie weit wird eine geseßliche Bestimmung zur Stärkung der Stellung der sozialdemokratishen Agitatoren beitragen, und so etflärt es sih auch, daß in den Bestrebungen zu Gunsten der Arbeiter und in der Ausführung des Kaiserlichen Erlasses vom „Februar -1890 gegenüber dem Jahre 1899 allerdings eine Verzögerung eingetreten is; diese Verzögerung if aber niht darauf zurückzuführen, daß, wie der Herr Vorredner sagt, das soziale Königthum vor den Interessen der Arbeit- geber fapituliert hat, nicht darauf zurückzuführen, daß die Staats- regierungen, wie die Herren \ich geschmackvoll auszudrüden belieben, die Kommis des Unternehmerthums sind, sondern darauf, daß jede Maßnahme, mag sie noch so wohlmeinend, noch so nüßlich für die Arbeiter fein, von der sozialdemokratischen Agitation und Füh- rung vergiftet wird bis in ihr letztes Moment. (Sehr wahr! rets. Widerspru bei den Sozialdemokraten.)

Daß das der Staatsregierung zu Bedenken Anlaß giebt und ihr den Gedanken nahe legt, zu zögern und wohl zu überlegen, ob sie niht dieser Vergiftungsmaxime dur ihre Maßregeln Vorschub leistet, das ist doch wohl ein begreifliher Standpunkt; die Herren Sozial- demokraten sollten si klar machen, wie das ommt, und dann würden sie nit so ungerehte Anklagen erheben, wie das heute wieder von ihrer Seite gesehen ist.

Ja, meine Herren, die Geseßze, die zu Gunften der Arbeiter- haft gemacht worden sind, wie die Versicherungsgeseße, wie auch das Gewerbegerihtsgesez, werden von der sozialdemo- kratishen Parteileitung nicht begrüßt und niht hohgehalten, weil sie glaubt, daß der Arbeiterschaft damit genügt wird ; nicht des- halb, weil durch das Krankenversicherungsgesetz einem kranken Arbeiter rechtzeitig eine wohlverdiente Unterstüßung zu theil wird sondern deshalb, weil die fozialdemokratische Agitation der Meinung ist, daß sie in der Verwaltung der Krankenkassen ein geeignetes Mittel findet, ióre Agitation zu verstärken. (Sehr wahr! rechts; Lachen links.) Die s\ozialdemokratishe Führung bemähtigt #sch der Ver- waltung der Ortskrankenkassen, sie suht Leute, die sie felbst in der Agitation nüßlich verwerthen kann, in die Stellen zu segen, die recht gut bezahlt werden. Mit diefen Stellen sucht sie ihre Agitatoren zu bezahlen, und das is der Grund, weshalb sie dieses Geseg für nüßlich hält, und nit, weil es dem Arbeiter wirklich eine Wohlthat wiederfahren läßt. Das kann auh garnicht der Grund sein, weil erfahrungsgemäß ihre ganzen Be- strebungen dahin gehen, immer und immer wieder Unzufriédenhbeit in den arbeitenden Klassen zu shüren. Also nochmals kurz: nit der Umstand, daß die Staatsregierung si in den Dienst der Unternebtter stellt diese Phrafe ist hon so oft gebraucht und gehört zu den- jenigen, die der Herr Kriegs-Minister neulich mit Recht als nur Ver- ahtung verdienend bezeihnet hat ift es, der fie abhält, in der Frage der Regelung der Arbeitercertretung \{chneller weiter zu gehen, als es bisher gesehen ift, fondern ledigli das Gebot der Vorsicht, niht ein Gefeß zu maten, ehe es dahin geprüft ist, ob nicht die sozialdemokratishe Agitation durh dasselbe gestärkt wird, ob nit die sozialdemokratischen Agitatoren durch ein folhes Geseß in diè Lage geseßt werden, das Gift, welches sie in unfere Arbeiterklassen trägen, in stärkeren Dosen anzuwenden. (Beifall rechts und aus der Mitte.)

Abg. von Kardorff (Rp.): Hatte ih aus der Erklärung des Reichskanzlers den Eindruck gewonnen, daß optimistishe Herren daraus folgern könnten, es würden bald Schritte in der Richtung der Jnter- pellation gesehen, so haben „mi darüber die Aeußerungen des Ministers von Berlepsch beruhigt und mir die Ueberzeugung gegeben, daß es mit Experimenten, wie sie in der Interpellation angedeutet sind, vorläufig noch gute E haben wird. Wenn der Abg. Ee sagt, das foziale Königthum habe kapituliert, man habe géitaiu t, der König werde ein König der Bettler sein, und jeßt scheine es, als sei er der König der Unternehmer was ift das für eine Au assung des Königthums! Das Königthum hat allen Klassen der evölkerung gerecht zu werden: dem Reichen wie dem Armen, dem Kapitalistén wie dem Arbeiter. Der Abg. Hitze verlangte zunächst, daß die Arbeiteraus\hüsse obligatorisch eingeführt würden, und diese Forderung hat die große Mehrheit des Reichstags abgelehnt. Und mit vollem Recht; denn diejenigen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrèn mit den Arbeiterauss{hüssen an verschiedenen Stellen gemaht haben, dienen wahrhaftig niht dazu, die Meinung zu bestärken, daß in diefen Aus- schüssen der Friede zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf eine sichere Grundlage gestellt wäre. Bei dem Strike im Saargebiet hat ih ge- eigt, wie sich fofort die Sozialdemokratie der Arbeiteraus\{chüsse be-, mächtigt und sie zu einem Kampfmittel maht. Wenn also die Regierung billig Bedenken trägt, jeßt mit der obligatorischen Organi- fation folher Ausschüsse vorzugehen, so ist dies durhaus gereht- fertigt. Der Abg. Hive will ferner die englishe Gewerkvereins- Gon im Prinzip auf unsere Verhältnisse übertragen. Die n bas ReY die man in England mit den Trade- Unions ge- macht hat, find durchaus nicht \o unbestrittene. Wenn nian vorher glaubte, dur die Trade-Unions sei verhindert worden, daß die Sozialdemokratie in England Boden gewinne, so verfolgen dieselben heute eine stark sozialdémokratische Richtung, und wir würdén dur) derartige Organisatiónéèn mit korporativei Rechten nur der Sozialdemokratie eine feste Grundlage geben. Diejenigen Bedürfnifse, für welche die Trade-Unions ins Leben gerufen wurden, haben in Deutschland durch die sozialpolitishe Gesetzgebung volle Befriedigun gefunden, und ein Bedürfniß für derartige Organisationen ift nit vorhanden. bin überzeugt, daß der Aba Hiße von den besten Absichten erfüllt ist, ebenso wie die evangelishen Geiste lichen, die in demselben Sinne auf die Arbeiterschaft zu wirken suchen; aber diese Herren erre sehr bâäufig nur, daß sie der Sozialdemokratie L Eule von Anhängern zuführen ; ia wollen dié Arbeiterschaft für das Christenthum gewinnen und be- enken nit, daß sie mit ihren f arfen Angriffen gegen die bestehenden Verhältnisse das Gefühl der Zufriedenheit in den Massen untergraben. Ich bin mit dem Abg. Möller durchaus der Meinung, daß ein ter- gehen in der Arbeiterschubgesezäebun niht mögli ist, ehe die Frage

nternational geregelt fein wird. Ert diesen Morgen habe ich éitien