1895 / 35 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 08 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

wischen den einzelnen Poften in den Fabriken, zwischen gelernten Arbeitern und Tagelöhnern, zwischen Direktoren, Aufsehern und Arbeitern. Jh behaupte durchaus nicht, es wir in der besten aller Welten leben, dT wir nit erhebliche äden haben, die beseitigt werden müssen. Diese Schäden rühren hauptsählich von der Kon- zentration der Arbeiter in Fabriken her. Sie sind doppelter Natur, und zwar Mgen sie einmal auf ethish-religiösem und dann auf materiellem Gebiete. f dem ersteren haben vor allem Kirche und Schule zu wirken, die VEedaciwg in geringerem Maße. Zum Scuße der Religion bin ih gern bereit, in der Kommission für die Umsturz- vorlage einzutreten. Was das materielle Gebiet anlangt, fo darf i daran erinnern, daß ih der erfte war, der 1869 eine staatlihe Ein- wirkung auf dem Gebiet des Arbeitershußes verlangte. Auf ganz demselben Boden steht die Kaiserlihe Botschaft von 1881. Wenn wir auf Grund dieser Thätigkeit jeßt zu unserer Arbeitergeseßgebung

ekommen find und sie fo geregelt baben, day uns ganz Europa darum R enaidit: fo können wir ftolz darauf sein und baben die Kritik von jener Seite nicht zu fürchten. Die Kaiserlichen Erlasse vom Jahre 1890 sind im preußischen Staats-Ministerium auf allen Gebieten, die davon berührt wurden, berüsichtigt worden, eine Vorlage ist dann an den Staats- rath und fpäter an den Reichstag gekommen, der, wie ih behaupte, durch seine Beschlüsse thatsählih iene Erlafse ausgeführt hat. Will man nun jeyt weitere Arkeiterorganisationen, so möge man diese auf dem Boden der Berufsgenossenshaften aufbauen. ill man diesen weitere Rechte geben, so bin ih bereit dazu; allerdings müßten wir dann aber au die Arbeiter zahlen lassen? JIch meine damit nicht, dag man die Arbeiter mehr belasten soll. Das läßt sich dur eine andere Vertheilung der Beiträge zu den verschiedenen Versicherungen ohne Mehrbelastung des Arbeiters erzielen. Dafür hat er marche Rechte; er nimmt theil an der Verwaltung. Da ist aber für mich die Grenze; jeden Eingriff in das persönliche Ver- hältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer weise ih zurück. Ich halte es niht nur nah christliher, sondern auch nach humaner Auf- faffung für gerechtfertigt, daß der Arbeitgeber zum Arbeiter als Mensch zum Mensdien füble. Nun wird gesagt, das würdige den Arbeiter berab. Ist etwa das Verhältniß des Bruders zum Bruder oder des Vaters zum Sohn weniger erhaben oder refpektabel, als das eines Soldaten zu einem anderen Soldaten denn fo ist es doch, wenn man die Klassen gegeneinanderstellt. Ich bin in dieser Beziehung kein Anderer und Besserer als meine Berufsgenossen; die Mehrzahl der industriellen Unternehmer faßt ihre Pflichten gegen die Arbeiter ebenso gewissenhaft auf, und auch die Aktiengefellshaften haben sehr gute Wohlfahrtseinrihtungen. Ich habe seit Jahren einen Arbeiter- ausshuß, den ich häufig zusammenberufe, von dem ih vieles Nüßlihe höre; aber es dürfen zwishen Arbeitgeber und Arbeiter keine fremden Personen treten, die, wenn sie Einfluß ge- winnen, diesen mißbrauchen und die allershlimmsten Schäden veranlassen können. Hierfür ist ein Beweis der Gang des Bierboykotts in Berlin. Hat hier denn die Entscheidung in den Händen der Arbeiter gelegen ? Gott bewahre! Sowie die Sache ernsthaft wurde, ift der Abg. Singer an die Spitze getreten und hat \{ließlich den Abg. Rösicke zur Kapitulation gezwungen. Wenn der Abg. Nösicke mir hier gute Rathschläge gegeben hat, so sage ih: mit cinem Arbeitgeber, der in dieser Weise die Interessen seines Standes verlegt hat, diskutiere ih überhaupt niht mehr. Der Weltanschauung, die ich kurz skizziert habe, steht eine andere Weltanshauung entgegen, welche die Staats- und Gesellshaftsordnung auf gewaltsamem Wege oder auf dem Wege ter Reform ändern will. Jh kenne drei Richtungen, die diesen Standpunkt vertreten: die sozialdemokratische, die auf gewaltsamem Wege ihr Ziel erreihen will, die Anarchisten, die es durch Schrecken erreihen wollen, und drittens gewisse. Rich- tungen, die mit den Sozialdemokraten in Beziehung stehen, sogenannte Reformparteien, Kathedersozialisten u. a. Man hat mir vorgeworfen, ih hâtte die Rednertribüne des Reichstags benußt, um Angriffe gegen gewisse Dinge in die Welt zu s{leudern. Wenn ih Uebelstände im Staat entdeckte, fo bin ih ibnen, fo lange ich hier stehe, stets mit Entschiedenheit entgegengetreten, und wenn ih dies thue, so mißbrauche ib meine

Stellung niht. Niemand wird mir einen Vorwurf machen, wenn ih

Uebelstände in so vorsihtiger Weise aufdecke, wie es in meiner Rede vom 9. Januar geschehen ist. Jh muß aber sagen, daß ih mich damals zu zaghaft ausgedrückt habe. Jch habe damals nit gewußt, wie weit bereits die sozialistischen Ideen in wissenschaftlih gebildete Kreise eingedrungen find. Beweis dafür ist das Studentenblatt : ¿Der ialistishe Akademiker“. Es is vielfah gesagt worden, ih hätte behauptet, die evangelischen Arbeitervereine seien fozialistis{ch durhseuht. Jh habe ausdrücklich erklärt, wenn die evangelishen Arbeitervereine sh von der Richtung des Pfarrers Naumann bestimmen ließen, marschierten sie direkt in das sozialdemokratische Lager. Ich konstatiere, pas verschiedene Arbeiter- vereine Protest dagegen eingelegt haben, daß sie mit den Ansichten des Pfarrers Naumann übereinstimmten. Eine Anzahl anderer Vereine hat erklärt, daß sie die Ansichten des Pfarrers Naumann theilten ; ih war daher wobl zu meinen Ausführungen berehtigt. Der Pfarrer Nau- mann hat ausdrüdlih erklärt, fein chriftliher Sozialismus sei ein Bruder der Sozialdemokratie, und jene Herren (zu den Sozialdemokraten) häben ihn auch als Bruder behandelt. Jch behaupte auch, daß Naumann und Konsorten auch in Bezug auf die Königstreue bereits auf dem Standpunkt der Sozialdemokraten angekommen sind. Wenn ihre kritischen Bemerkungen ins Volk dringen, fo hört do jeder Begriff des Königthums von Gottes Gnaden auf. Die drei bezeichneten Richtungen sind in ihren Zielen einig, sie suhen Unzufriedenheit zu erregen, während wir Zufriedenheit schaffen wollen. Sie (zu den Sozialdemokraten) entlehnen der von mir vertretenen Weltanschauung die Waffen zu unserer Bekämpfung. Als der Kaplan Dasbach den Rechts\hußverein gründete, bemächtigten sih die Sozialdemokraten dieses Vereins und verdrängten Dasbach. s Verlangen nach Organisation ist künstlich in die Arbeiterkreise getragen worden. Wenn die ruhigen Arbeiter, die in großer Anzahl vorhanden, vielleiht in der Majorität sind, niht mehr den agitatorischen Reden und Verdrehungen ausgesezckt scin würden, würden sie bald vom So- zialismus geheilt werden. Würden wir Arbeiter haben, die, losgelôst von der Sozialdemokratie, die Interessen ihres Standes verträten, so könnten wir mit ihnen auf einen gemeinsamen Boden treten. Die Interpellanten haben das redlice Bestreben, auf Grund der Erlasse und der Cen A 0B IgSneg CRO Schritt weiter zu gehen; aber ih bin fest überzeugt, daß diese Absicht nicht zum guten Ziele führen, daß sie eine Stärkung der Sozialdemo- fratie zeitigen wird. Käme es zu der Ausarbeitung eines solchen Gesetzes, wie es die Interpellanten wünschen, so würde die Regierung den Ast absägen, auf dem sie sitzt. Z /

Abg. Möller - Waldenburg (Soz.) führt aus, daß die Woblfahrts- einrihtungen der Arbeitgeber ein Ausfluß“ der Spekulation und nicht der christlichen Liebe seien. Die Erklärungen des Reichskanzlers und des Handels-Ministers bewiesen, daß die Sozialdemokraten Recht gehabt bâtten, als sie sagten, mit der Ausführung der Kaiserlichen Erlasse habe es gute Wege. Das Arbeitershuygeseß habe den Berg- arbeitern nichts genügt; ihre Lage sei nach wie vor eine traurige. Im Dortmunder Revier fehle es an allen Wohlfahrts- einrihtungen; nicht einmal den Geboten der Sittlichkeit werde ge- nügt. Männer und Frauen müßten \fih gemeinsam waschen und fh dabei wegen der rußigen Arbeit bis aufs Hemd entblößen. Redner {ließt seine Rede mit der Bemerkung, daß der Kaiserlihe Erlaß vom 4. Februar 1890 für die Kaße sei. i

Präsident von Leveßow: Der Abgeordnete hat seine Aus- führungen mit cinem Saye geschlcfsen, wegen dessen ih ibn zur Orknung rufen muß: Er sprach von dem Kaiserlichen Erlaß und sagte, er sei für die Kate!

Darauf vertagt das Haus die weitere Berathung.

Persönlich bemerkt

Abg. Rösicke (b. k. F.) dem Abg. von Stumm gegenüber : ob er die Interessen seiner Standesgenossen geschädigt habe, darüber hätten niht rheinische Gisenindustrielle, sondern seine Berufs- genossen zu urtheilen. Der Boytott, den der Abg. von Stumm über ihn verhängen wclle, indem er es ablehne, weiter wit ihm zu disfu-

.

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tieren, sei ilm gleihgültig, -denn niemand fördere die Interessen der Sozialdemokraten in diesem Hause derart wie der Abg. von Stumm. Abg. Freiherr von Stumm-Halberg (Rp.) bemerkt dem- egenüber: ob der Abg. Rösicke oder er die Interessen der Sezial- okratie mehr förderte, zeige das shallende Bravo, mit dem die Sozialdemokraten die Ausführungen des Abg. Rösicke begleitet hätten.

Schluß 5L/S Uhr.

Berichtigung. Die Aeußerung des Präsidenten des Reichstags. von Levezow am Schluß der Sizung vom 5. Februar lautete nah dem stenographischen Bericht, wie folgt:

Der Namensaufruf hat die Anwesenheit von 166 Mitgliedern des Hauses ergeben ; das Haus ift also nicht bes{lußfähig, und es würde auch nit beschlußfähig gewesen sein, wenn niht eine Anzahl Don Mitgliedern vor dem Aufruf ihres Namens den Saal verlassen

atten.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 14. Sißung vom Donnerstag, 7. Februar.

Beim Beginn der Gencraldiskussion des Etats der Eisenbahnverwaltung nimmt nah dem Berichterstatter der Budgetkommission, Abg. Dr. Sattler (s. den Anfangsbericht in der gestrigen Nummer d. Bl.) das Wort der

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Jch entsprehe einer tief empfundenen Pflicht, wenn ich zunächst der Budgetkommission und insbesondere dem Präsidenten und Referenten derselben den Dank der Eisenbahn- verwaltung für die eben so sahlihe wie wohlwollende Art und Weise auêspreche, mit der sie sih ihrer Aufgabe bezüglih der Berathung und Prüfung des Eisenbahn-Etats und der si an denselben anknüpfenden Fragen entledigt hat.

Meine Herren, wenn ich nun dem Bericht des Herrn Referenten noch einige Bemerkungen hinzuzufügen mir gestatte, so geschieht es nit, weil ih etwa in dem eingehenden, durchaus erschöpfenden Bericht einige Lücken entdeckte, sondern nur, weil es mir zweckmäßig erscheint, einen Anschluß herzustellen an meine früheren Ausführungen über die allgemeine Finanzlage der Eisenbahnverwaltung.

Meine Herren, am 6. April vorigen Jahres habe ih in der Plenarsißung dieses hohen Hauses über den voraussihtlihen Betriebs- abs{luß der Staats-Gisenbahnverwaltung für 1893/94 vorläufige Mit- theilungen gemacht, die natürliherweise damals auf Schäßung be- ruhten, ebenso wie diejenigen Mittheilungen, die ih im weiteren Verlauf meiner Bemerkungen machen werde über das voraussihtliche Ergebniß des laufenden Etatsjahres.

Meine Herren, es ist durhaus geboten, die Shäßzungen der Ein- nahme und Ausgakte des leßten Vierteljahres des Etats mit aller Vorsicht zu geben ; denn zu keiner andern Zeit des Jahres lassen si Einnahme und Ausgabe sp {wer s{chäßen, als in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März. Die Witterungsverhältnifse spielen in diesem Vierteljahr eine ganz andere Rolle, bezüglich der Einnahme sowohl wie bezüglich- der Ausgabe, wie in irgend einem andern Theil des Jahres. Es liegt das auf der Hand. Wir werden voraus- sichtlih nicht eine, sondern wahrscheinlich mehrere Millionen zu veraus- gaben haben für die Beseitigung derjenigen elementaren Hindernisse, die uns in den lezten Wochen den Betrieb auf der Eisenbahn erheblich erschwert haben. Wir werden auch Ausfälle in den Ein- nahmen zu verzeihnen haben, da das Reisen bekanntlich in dieser Jahreszeit niht zu den Annehmlichkeiten gehört und auch dem Güter- verkehr sch mancherlei Hindernisse entgegenstellen. . Ich bitte bei meinen Bemerkungen über die voraussihtlihen Ergebnisse dies gütigst nicht außer Acht zu lassen.

Die im Etat für 1893/94 auf 937 400 000 4 veranshlagte Ge- sammteinnahme wurde damals, am 6. April v. J., auf rund 960 Millionen geshäßt. Die Schäßung ist ungefähr eingetroffen; die Einnahmen betrugen 961 300 000 46 Die im Etat 1893/94 auf rund 595 180 000 A veranshlagte Gefammtausgabe wurde damals auf 581 Millionen Mark geschäßt. Der Finalabshluß hat noch eine etwas günstigere Summe ergeben; es hat sich die Gesammtautgabe auf nur rund 579 160 000 M gestellt. Der Betriebsübershuß für 1893/94, im Etat veranshlagt auf 342 220 000 4, wurde damals ges{häßt auf 378 Millionen, ergab aber in Wirklichkeit bei dem Finalabs{chluß 382160000 Æ, Überstig also dem Etatsanshlag um 40 Millionen. Der Betriebskoeffizient das ist das Verhältniß der Betriebs8ausgaben zu den Betriebs8einnabmen —, welher noch im Etatésjahr 1891/92 65 % betrug, war nah Schluß des Jahres 1893/94 auf 60} 9/9 hberuntergegangen.

Ich will nur noch kurz hinzufügen, daß, obwohl die Gesammt- einnahme des Jahres 1893/94 gegen das Vorjahr 1892/93 um 40 374000 A gestiegen ift, doch die Gesammtausgabe gegen das Vor- jahr um 1 889000 4 zurückgeblieben ift, also das Verhältniß der Ausgaben zu den Einnahmen ein ganz wesentli günstigeres geworden ist.

Gehe ich nun auf das laufende Etatsjahr 1894/95 über, so sind über das vorauésichtlihe Betriebs8ergebniß desselben im gegenwärtigen Zeitpunkt, wie ih bereits vorhin mir zu bemerken erlaubte, mit Sicherheit noch keine Zablen zu geben gegenüber den im Etat veran- {lagten Gefammteinnahmen von 962 272000 A Nehmen wir an, daß in Wirklichkeit einige Millionen Mark Mehreinnahmen troß der Ungunst der Witterung doch werden erzielt werden. Dabei ist in Betracht zu ziehen, daß schon der Herr Refereät erwähnt hat, daß zur Durchführung der Grundsäße des neuen Etatsschemas und der neueren Rehnungs- und Buchführung {hon jeßt vorbereitende Maßregeln nach zwei Richtungen hin getroffen werden müssen, die das laufende Jahr in den Einnahmen niht unwesentlih beein- trächtigen : einmal die Absetzung der Fracht für die Dienstgüter, zwei- tens die Nichtbewerthung des Materialwerths für diejenigen gewon- nenen alten Materialien, welhe demnächst wieder verwendet werden sollen. Es waren diese Maßregeln, wie ih bereits mir erlaubt habe bei der ersten Lesung auszuführen, durchaus nothwendig, um nicht eine einseitige ungerechtfertigte Belastung des nähsten Jahres eintreten zu lassen. Um welhe Summen es si dabei handelt, läßt sich allerdings erst nach Abschluß des Jahres übersehen. Wie die im Etat 1894/95 auf rund 590 959 000 #4 veranshlagte Ausgabe \ih gestalten wird, läßt sich aus den angeführten Gründen noch weniger bestimmt sagen. Nach vorläufigen Shätßungen wird auf eine Minder- ausgabe zu renen fein, und zwar von etwa 9 Millionen Mark, fodaß sich der auf 371 300000 ÆA veranshlagte Uebershuß um etwa 12 Millionen günstiger gestalten und der Betriebskocffizient rund auf

60/6 zurückgehen wird.

Um das Bild nun vollständig zu machen, möhte ih auch noch die Zahlen anführen, die si parallel ergeben für den heute bier zur Berathung stehenden Etat des Jahres 1895/96. Die Betriebs, einnahme ist veranschlagt auf 994 506 000 Æ,. gegen den Etat von 1894/95 mehr 32 Millionen Mark, gegen die Wirklichkeit von 1893/94 mehr rund 33 Millionen Mark. Als Gesammtbetriebsausgabe sind angenommen 580 Millionen Mark, gegen den Etat von 1894/95 weniger 10 700 000 M, gegen die Wirklichkeit von 1893/94 mehr 1 085 721 4% Dana ergiebt sich ein Betriebsübershuß von 414 257 000 , gegen den Etat 1894/95 mehr rund 43 Millionen, gegen die Wirklichkeit von 1893/94 mehr 32 Millionen Mark. Der Betriebskoeffizient für den zur Erörterung stehenden Etat 1895/96 berehnet sich nach dem alten Etatsshema auf 58 9/0, nah dem neuen Etatsschema, welches ja Verschiebungen herbeiführt, auf 578/10 °/o, ift also-demnach von 1891/92 bis 1895/96 von über 65 9/o auf 58 bezw. 57,8 9% zurüdckgegangen.

Meine Herren, ih führe diese Zahlen niht an, um damit zu prunken, sondern nur, um dem hohen Hause und dem ganzen Lande die Ueberzeugung zu verschaffen, daß die gesammte Finanzlage der Eisenbahnverwaltung eine durhaus gesunde ift. Jch kann dazu noch anführen, daß die Veranschlagung der Einnahmen vorsihtig erfolgt ist nah denselben Grundsätzen, die in den früheren Jahren gehandhabt worden sind, und die ja auch im allgemeinen die Billigung des hohen Hauses erfahren. Eine. vorsihtige Veranschlagung der Betriebsein- nahme bei einem so foloffalen Unternehmen, dem größten, welches auf der Welt eristiert, ist durhaus Pflicht für die. Verwaltung. Bei der Veranschlagung der Betriebsausgaben is nihts unberücksichtigt geblieben, was zur ordnungsmäßigen und zur sicheren Ausführung kes Betriebs nothwendig ist. Meine Herren, Sie wissen, daß abweihend von früheren Grundsäßen in die Betriebsausgaben und zwar in das Ordinariu:n sowohl als in das Extraordinarium eine ganze Reibe einen bedeutenden Betrag ausmachender Ausgaken aufgenommen worden find, welche früher im Wege der Anleihe beshaffft wurden. Auch dieser Umstand muß meines Erachtens, wenn man ein Urtheil über die Finanzlage der Eisenbahnverwaltung gewinnen will, niht außer Acht gelassen werden.

Meine Herren, daß die Lage sih wesentlich günstiger gestaltet hat, ist in erster Linie dem Pflichteifer und auch der Pflichttreue der mir unte stellten Beamten zuzuschreiben. Dies hier nochmals hervorzu- heben, ift meine Pflicht. Nicht unwesentlih hat indessen dazu auch mit beigetragen, daß eine gewisse Beschränkung eingetreten is bezüglih der Disponierung namentlich über die in den technishen Titeln, jeßt also 7, 8 und 9 des neuen Etats, vorgesehenen Ausgaben. Bekanntlich wird die Veranschlagung der Ausgaben in einer der Ausführung weit vor- greifenden Zeit vorgenommen. Es fann also niht befremden, daß im Laufe der Zeit einmal die allgemeine Lage der Gisenbahnverwaltung, die ja im wesentlihen durch Konjunkturen beeinflußt wird, deren sie nicht Herr ist, dann aber auch das spezielle Bedürfniß, das seiner Zeit vor anderthalb oder zwei Jahren vorhanden war, sich vielleiht wvershoben hat, daß Dinge, die damals als dringend angesehen worden und auch dringend gewesen sind, diefen Charakter verloren haben, vielleiht infolge anderweiter Dispositionen und Einrichtungen gar niht mehr nothwendig sind, daß aber inzwishen andere Bauausführungen und Beschaffungen sh als dringend herausgestellt haben, die bei der Etatisierung nit vorausgesehen werden konnten. Beide Nücksichten: die Nücksicht auf die thunlichst sonomische Verwaltung und die Nücksicht, keine dringenden Aus- gaben rechtzeitig unbefriedigt zu laffen, haben uns dazu geführt, in der Zentralverwaltung gewisse Fonds zurückzuhalten und sie nur dann freizugeben, wenn das Bedürfniß vor der Verwendung nohmals forg- fältig geprüft ift.

Meine Herren, dies System wird seit etwa zwei Jahren beobs- achtet, und es hat zu sehr ersprießlihen Ergebnissen geführt, sodaß es sih empfehlen möchte, daran festzuhalten. Jch muß hier nohmals hervorheben, daß von sämmitlihen Beamten der Provinzialverwaltungen und den unter den Provinzialverwaltungen ftehenden ih in dieser Beziehung auf das eifrigste und mit vollem Verständniß unterstüßt worden bin. Meine Herren, ih bege auch die feste Ueberzeugung, daß troß allen Ansturms und troß der hier und da hervortretenden Anzeichen, daß das Gespenft unserer Zeit, der Geist der Unzufriedenheit, des Neides und der Mißgunst sich auch in dieReihen der Eisenbahnverwaltung einzushleihen sucht Pflichttreue und Pflichteifer au in Zukunft die Beamten der Verwaltung beseelen, und die Eisenbahnverwaltung dadurch in den Stand gesetzt wird, die großen bedeutungsvollen Aufgaben zn erfüllen, die ihr im Leben des Staats zuertheilt find. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Gothein (fr. Vgg.): Im Eisenbahnwesen haben wir, wenn auch noch einige Privatbahnen existieren, im wesentlihen eine Monopol-Verwaltung. Das hat zur Folge. daß wir gezwungen sind, auch die Monopoltarife zu zahlen, welhe die Verwaltung feststellt. Daber rühren auch die Unterschiede in den Tarifen. Da, wo Wasser- wege oder Privatbahnen den Staatsbahnen eine Konkurrenz schaffen, sind die Tarife weit niedriger als da, wo diese Konkurrenz niht besteht. Symptomatisch if, daß der Herr Minister in - seiner Rede nur die großen Summen aufgeführt hat, die er aus den Staatsbahnen herausgewirthschaftet hat, daß er aber niht mit einem Wort der eigentlichen Aufgabe des Staatsbahnwesens gedachte : der Förderung des wirthschaftlichen Lebens. Technisch und fiskalisch mögen die Staatsbahnen gut verwaltet fein, aber wo finden wir noch eine Berücksichtigung der wirthschaftlichen Interessen ? Nur dann tritt eine Tarifermäßigung ein, wenn es sich um eine Dn eorugy der Einnahmen handelt. Die hohen Eisenbahntarife in Oberschlesien haben “die dortige Eisenindustrie fast lahm gelegt. Man benußt selbst in Schlesien mehr auf dem Wasserwege bezogenes rheinishes und westfälishes Eisen, als solches aus den nahen ober- slesishen Werken. Die obershlesishe Kohle ist in ganz Nord- deutschland durch die englische verdrängt, weil sie die hohen Transport- kosten niht tragen fann und die Ausnahmetarise durchaus unzulänglich sind. Auch in Bezug auf den Bahnbau selbst ift Ober- [lesien vernahlässigt; man hemmt dort die Privatthätigkeit im Bahnbau, der man keine Konzessionen giebt, unter der Motivierung, daß der Staat selbst die Bahn bauen werde. Shließ- lid möchte ich den Herrn Minister bitten, mit den vatbahnen wo diese mit den Staatsbahnen zusammenhängen, eine Vereinbarung dahin zu treffen, daß für die Güter nur einmal die Erpeditions- gebühren erhoben werden. Möge der Herr Minifter darauf achten, daß Industrie und Landwirth\chaft fonfumfähig erhalten werden, damit sie die shweren Lasten agen fönnen, die uns auf Grund unserer geogravhishen Lage auferlegt sind zur Erhaltung des europäischen Friedens. Möge der rx Minister vor allem immer eingedenk sein, daß die Bahnen des Verkehrs wegen da find! ;

Abg. Sch mieding (nl.): Mit der Verstaatlihung der Eisen- bahnen hat der preußishe Staat ein geradezu glänzendes Geschäft gemacht. Die darin angelegtea sechs Milliarden verzinsen sich mit dem doppelten Betrage des landesüblihen Zinsfußes. So ist die Vermögenslage Preußens glänzend, niht so die Finanzlage. L Verhältniß zwishen Einnahmen und Ausgaben i gestört: seit

arbeiten wir mit Defizits. Wir baben nach den

e Lie anteocion «all ciazenomimen, Das Bex:

M ehr ege a ngenommen. s

hältniß des Reichs zu den Einzelstaaten hat sich stark geändert. Wäh-

rend vor fünf Jahren Preußen vom Reih noch 18 Millionen an

Yeberweisungen De 66 es jeßt 20 Milliotfen Mark Matrikular- en. a

b vird die Finanzreform im Reich eingeleitet. Li Preuen is e e E im Reich eingele

teuerreform zum Abschluß gebraht; ih bedauere urückweihen des Herrn Finanz-

gqtlich einer O e Eine rein- l idung zwishen den Einnahmen aus den Eisenbahnen und anderen Quellen des Staats is nöthig. In diesem Eisen- hahn-Etat wird mit 740 Miüionen Mebrübershuß gerehnet, wir jaben aber auf diesem Gebiete in einem Jahre auch hon 40 bis 50 Millionen Unterbilanz gehabt. Nicht nur die Landwirthschaft, auch die Industrie liegt darnieder; hon im Interesse der Roheisen- dustrie wäre eine bedeutende Tarifreform nöthig. Wohl ift samkeit angebraht, auf die Dauer aber kann ein Staat von der Bedeutung * lige nicht auf die Be- friedigung dringender Bedürfnisse verzihten. Eisenbak,nbauten in größerem Umfange sind deshalb {hon nöthig, um bei der jeßigen wirthschaftlihen Lage den Arbeitern, die sonst keine Beschäftigung finden können, Verdienst zuzuwenden. Wird das Verhältniß zum Reich nicht geregelt, so, glaube ih, werden wir unser Budget selbst- ständig aufítellen müfsen, nah alten preußishen Grundsäßen, sparsam aber mit Berücksichtigung aller legitimen Verhältnisse, selbs wenn

ein Defizit nicht zu vermeiden ift.

Geheimer Ober-Finanz-Rath Lehnert: Der Herr Finanz- Minister konnte niht annehmen, daß bei Berathung des Eisenbahn- Etats die Besprechung auf die allgemeine Finanzlage zurückgeführt werden würde, die er füc erledigt halten konnte; fonst hätte er vielleiht seine Anwesenheit hier ermögliht. Auf die Reform des Eisenbahn- Garantiegeseßes wird, wie ih glaube, der err T im Laufe der Session zurückzukommen Gekegenheit haben. Ueber die Frage des Verhältnisses zwischen dem Reih und Preußen hier jeßt mih zu äußern, halte ich mih niht für berufen. Auf einen Widerspruch aber möchte ih den Herrn Vorredner aufm-rksam machen. Er sprah davon, daß Preußen unabhängig vom Reich feinen Etat werde aufstellen müssen nah den bewährten preußischen Grundsätzen, sparsam aber mit Berücksichtigung aller legitimen Bedürfnisse. Ab- gesehen davon, daß die Ansichten darüber, welhe Bedürfnisse legitim seien, sehr auseinandergehen können, möchte ih darauf hinweisen, daß eine dauernde Wirthschaft mit Defizits jedenfalls niht den bewährten alten preußischen Grundsätzen entspricht.

. Broemel (fr. Vgg.): In der Eisenbahnverwaltung hat sih die Politik, in Zeiten wirthschaftlihen Niedergangs Material zu beftellen, wenn es auch im Augenblick niht gebraucht wird, als falsch erwiesen. Auch der Herr Finanz-Minister hat die Theorie diefer Politik oft vertheidigt, sie in der Praxis aber nie befolgt. FIn- folge dieser Politik können wir jeßt feine Tarifreform vornehmen, weil dadurch die Zuscbüsse zur allgemeinen Staatsverwaltung zu stark reduziert würden. Und doch if eine Reform, namentlich der Personentarife, ein dringendes Bedürfniß. Aber der Herr Minister verhält sich diefer Frage gegenüber sehr resigniert. Es steht fest, daß die bestbesuchte Klafse der Eisenbahn, die vierte, au verhältnißmäßig das meiste ein- bringt, und doch wird diese Klasse im Verkehr vielfah vernahlässigt. Es wäre nothwendig, die Wagen der vierten Klasse zu vermehren, besser auszuftatten und auch in den snelleren Zügen einzustellen. Am besten wäre es allerdings, die 4. Kiasse ganz zu beseitigen und die Tarife derselben für die 3. O gelten zu lassen eine Maßregel, die \sich bereits im Londoner Vor- ortverkehr bewährt hat. Auch dur die bitherigen Herabsetzungen der Tarife hat sih niemals eine Verminderung, fondern \tets etne Vermehrung des Verkehrs herausgestellt. Wenn alle anderen Trans- portanstalten mit ihren Preisen zurückgehen, kann die Eisenbahn- verwaltung allein nicht auf ihren alten-Preisen stehen bleiben. Jch glaube, der Herr Minister is in seinem E auf unserer Seite; auch er würde gewiß lieber die Uebershüsse in seiner eigenen Verwaltung zum Vortheile des Landes verwerthen, als sie dem Finanz-Minister überlassen. Recht unangenehm hat das Sparsam- feitssystem in der eigenen Verwaltung auch bei der Regelung der Beamtengehälter gewirkt. Es muß Unzufriedenheit erregen, wenn die Beamten auf der einen Seite die hohen Uebershüsse, auf der anderen die unzulänglihen Gehälter sehen. Ja, es sind sogar manche Beamten- flafsen, wie z. B. die der Werkmeister, nah der Aufbesserung s{lechter weggekommen, da zwar das Höchstgehalt erhöht, aber das Minimal- gehalt erniedrigt worden ist. Bei der Verwaltungsreform sehen wir eine gewisse Ersparniß gegen früher. Der Herr Finanz-Minister scheint hier wieder einmal größeren Einfluß gehabt zu haben, als es nöthig ist. Die Privatbahnen sollen der Aufsicht der Direftions-Präsidenten unter- ftellt werden, in deren Bezirk sie liegen. Jch glaube, das Privat- fapital stände einer \taatlihen ag lin mit mehr Vertrauen gegen- über, die von einer unabhängigen Zentralstelle ausgeübt würde. Viel- leiht wäre es au mögli, seitens des Reichs eine wirksame un- abhängige Kontrole über die preußishen Staatsbahnen herzustellen. Unser wirthschaftliches Leben leidet darunter, daß eine solche nit ein- geführt ift.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Jh beabsichtige niht, auch meinerseits in die grundfäßlih2 Grörterung über die Frage des Eisenbahngarantiegesetze3 einzutreten, da der Herr Finanz-Minister selbst diese Frage ja wiederholt vor dem Hause bereits erörtert und der Kommissar des Herrn Finanz- Ministers beute eine diesbezüglihe Erklärung abgegeben hat. Ebenso glaube ih auch von einer grundsäßlihen Erörterung der Tariffrage bei der jeßigen Generaldebatte zunächst noch absehen zu dürfen.

Die Auffassung, die der Herr Abg. Broemel geäußert hat, daß das Herz des Verkehrs-Ministers wobl in seinem Innern durchaus den Tarifermäßigungen geneigt sei, kann ih als richtig bezeihnen. Jch glaube vorausseßen zu dürfen, daß das ebenso bei dem Herrn Finanz- Minifter der Fall ist. Wenn wir der Frage der grundsäglichen Tarif- reform im Personen- und Güterverkehr in den leßten Jahren nicht näher getreten sind, fo sind die Gründe hierfür wiederholentlich {hon von dem Herrn Finanz-Minister und au von mir erörtert. Solange der preußische Staatshaushalt mit einem Defizit abschließt und keine Ausficht vorhanden ift, daß dieses Defizit in naheliegender Zeit definitiv beseitigt wird, würde es nah der Auffassung des Herrn Finanz- Ministers und au nach der meinigen doch ein sehr gewagtes.Unternehmen sein, mit einer umfassenden Reform der Güter- und Personentarife vorzugehen.

Dahingegen halte ih mi für verpflichtet, auf einzelne Aeußerungen der Herren Vorredner hier so kurz als möglich zurückzukommen.

Der Herr Abg. Gothein hat der Eisenbahnverwaltung zum Vorwurf gemacht, daß sie die Konkurrenz gegen die Wasserstraßen in einer ungerechtfertigten Weise aufnähme, daß sie den Wasser- straßen nicht den Verkehr göônne, der ihnen naturgemäß zufällt. Meine Herren, der Verkehr auf den Wasserstraßen ‘nimmt von Jahr zu Jahr außerordentlich zu. Die Eisenbahnverwaltung hat sh auh nit gesträubt, Umschlagsäße zu den Wasserstraßen überall dort einzurichten, wo für dieselben ein Verkehrsbedürfniß nachgewiesen werden fonnte. Ein Schmerzenskind hat der Herr Abg. Gothein, soweit ih ihn verstanden habe, zwar niht erwähnt, aber jedenfalls ift es im Hintergrunde für seine Erörterung mit maßgebend gew esen, das ist nämlich die an und für sich ganz geringfügige Erhöhung, welche die Umschlagtarife in Pöpelwit, einem Oderhafea bei Breslau, erlitten haben. Indessen kann ih auc hier mittheilen, daß troß dieser Er-

i inisters Hin- eform des Eisenbahn-Garantiegesetzes.

höhung der Ums(lagverkehr in Pöpelwiß ganz außerordentli zuge- nommen hat. Nos viel größer sind die Verkehrszunahmen in den großen Häfen fast aller unserer deutshen-Ströme; es hat der Verkehr auf dem Rbein, der Elbe, der Weser, der Oder und der Weichsel in ganz ungeahnten Dimensionen zugenommen.

Der Herr Abg. Gothein hat dann zweitens darauf hinge- wiesen, wie wenig die Eisenbahnverwaltung darauf bedacht sei, die einheimische Industrie zu begünstigen, oder vielmehr wie wenig sie si \cheute, der einheimischen Industrie Schaden zuzufügen, wenn sie glaube, auf der anderen Seite dadurch finanzielle Vortheile erlangen zu können. Er bat ein Beispiel dafür angeführt, was meines Erachtens sehr 'un- glücklih gewählt is. Er hat geiagt, die Gisenbabnverwaltung bätte beabsichtigt, der \{lesis{chen Oelindustrie s{chädlihe Tarife einzuführen für Oelfrüchte von Stettin nach Sosnowice, um dadurch Mehr- einnahmen auf den Bahnen zu erzielen. Meine Herren, es wurde uns von den Interessenten ein dahin zielender Antrag vorgelegt und befür- wortet ; derselbe lag offenbar im Interesse der Stettiner Rhederei. Wir haben uns nit entziehen können, diefe Anträge dem wirthschaft- lichen Beirath zu unterbreiten, haben denselben aber nicht befürwortet (hört! bört !), und er ist abgelehnt. (Hört! höët !)

Dann hat der Herr Abg. Gothein gesagt das wundert mich, weil er aus seiner früheren amtlichen Thätigkeit das doch eigentli wissen müßte —, daß die Eisenbahnverwaltung die Erztarife für Slesien fo boch hielte und damit die \{lesis{e Industrie s{hädigte. Meine Herren, die Erztarife für Schlesien sind überhaupt die billigsten, die im Lande existieren (Zuruf links: S{hmalspurtarif!) die Schmalspurtarife sind neuerlich au heruntergeseßt worden; die Shmalspur kommt aber verhältnißmäßig weniger in Betracht, da sind nur ganz kurze Distanzen gefahren worden die Erztarife für die normalspurigen Linien in Schlesien sind aber die billigsten, die überbaupt bestehen. Für fremde Erze sind zu Gunsten der ober- \{lesishen Eisenindustrie die Säge bis auf 1,3 für das Tonnenkilo- meter heruntergeseßt.

Dann hat der Herr Abg. Gothein es als doch sehr wundersam und nachtheilig für die \{lesishe Eisenwalzwerkindustrie bezeichnet, daß, wenn die obershlesishen Bahnen Schienen haben wollen, es vor- komme, daß diese niht etwa von obershlesishen Werken bezogen würden, fondern von der Ruhr. Meine Herren, der Herr Abg. Got- hein weiß doch unzweifelhaft (Zuruf des Abg. Gothein: Habe ih nicht gesagt !) dann habe ih ihn mißverstanden —, daß die ganze Schienenproduktion in einem Syndikate steht. Der Eisenbahnver- waltung werden diejenigen Werke zugetheilt, von denen sie die Schienen zu entnehmen hat; dann fann es allerdings vorkommen mir ist zwar ein derartiger Fall niht bekannt —, daß auf einer ober- \chlesishen Strecke Schienen von der Ruhr gebraucht werden. Indessen würde damit eine Schädigung der oberschlesishen Eisenwalz- werkindustrie niht verbunden sein; denn die hat ja selber mit dafür gestimmt, daß es so gemacht wird. (Hört! hört!) (Abg. Got- heim: Habe ich garniht gesagt!) Dann habe ih Sie fals ver- standen. Aber es ist doch das Beispiel mit den Schienen, die von der Ruhr aus. nach Sthlesien transportiert werden, von Ihnen erwähnt worden. (Abg. Gothein: Ja wohl! Grubenschienen, Schmalspur- schienen!) Schmalspurschienen gehören, soviel ih weiß, mit zu dem Syndikat. (Abg. Gothein : Nein!) (Glocke des Präsidenten.)

._ Dann hat der Herr Abg. Gothein gesagt, daß, wenn die Ver- staatlihung nit eingetreten wäre, jedenfalls für Schlesien die Privat- bahnen în anderer Weise gesorgt haben würden. Meine Herren, es liegt mir ein Auszug aus dem Eisenbahnarchiv vom Jahre 1889 vor; darin ist ih bitte um Entschuldigung, daß ih einen kurzen Saß verlese folgende Ausführung enthalten :

In besonders beahtenswerthem Grade kam diese Maßregel nämlich der Ermäßigung der Tarife nah der Verstaatlißung

den Anwohnern der früheren \{lesishen Privatbahnen zu gute

(hört! hört! rechts), zwishen welchen leßteren direkte Tarife nur in

sehr geringem Umfange bestanden. So wurde in einer Konferenz

vom November 1882 festgestellt, daß im direkten Verkehr der Nechte-

Oder-Ufer-Bahn mit den anschließenden Privatbahnen zumeist die

volle Expeditionsgebühr von beiden betheiligten Bahnen, im Ver-

kehr mit Wilhelmsbcück und Kempen sogar von drei betheiligten

Bahnen erhoben wurde. Nach der Verstaatlihung betrug die Er-

mäßigung der Kohlenfraht bei Durhrehnung der Staatsbahntaren

von den Gruben an der NRechte-Oder-Ufer-Bahn nah einzelnen

Stationen der Oels-Gnefenec Bahn bis 309/69 (hört ! hört! rets),

nach der Posen-Kreuzburger Bahn fogar bis gegen 409/65 (hört ! hört!

rechts) z. B. für die Verkehrsrelation Beuthen-Antonin 49 gegen früher 81 4 für 100 kg. Also auch in der Beziehung ift die Verstaatlihung füc Schlesien eine wahre Wohlthat. (Sehr richtig! Hört! hört! rets.)

Es ist dann von dem Herrn Abg. Gothein ferner darauf auf-

merksam gemacht worden, daß ja manches für die Kleinbahnen

- geshehen sei, daß aber nach seiner Auffassung das Wesentlichste in

der Förderung der Kleinbahnen dadurch geschehen könne, daß die Staatseisenbahn-Verwaltung \ich bereit erklärte, grundsäßlich mit ihnen die Expeditionsgebühren zu theilen. Meine Herren, ih bin meiner- seits durhaus nicht dagegen, da, wo das Verkehrsbedürfniß es erfordert, und da, wo die Kleinbahnen bereit sind, entweder die Normaltaxen der Staatsbahnen anzunehmen oder aber wenigstens nicht fehr viel darüber hinauszugehen, auf cin Abkommen mit den Kleinbahnen ein- zugehen und ihnen die Hälfte der Expeditionsgebühr zu überlassen. Es ist das schon in einer ganzen Reihe von Fällen geshehen und wird in Zukunft weiter geschehen. Aber, meine Herren, ih halte mih nit für berechtigt, das Juteresse der Staatseisenbahn- Verwaltung und damit auch der Staatsfinanzen soweit zurückzustellen, dies auch dort, wo ih nur dem Unternehmer, aber nicht den Verkehrsinterefsenten die halbe Erpeditionsgebühr in die Tasche stecke, zu thun. (Sehr rihtig!) Das würde aber in einec sehr großen Zahl von Fällen absolut der Fall sein. Auf den kurzen Bahnen würde der Betriebs- unternehmer nit selten in der Lage sein, für die Grpeditionsgebühren, die er vom Staate geschenkt bekommt, den ganzen Betrieb zu“ führen, und dazu halte ich mih nicht für verpflihtet und auch nicht für berechtigt.

Der Herr Abg. Gothein hat dann weiter gefagt: ja, der Herr Minister mag ja von den besten Absichten beseelt sein ; aber es hapert doch vielfach noch, weil von den anderen Behörden bureaukratische Auffassungen und Maßregeln gehandhabt werden. Er hat sich auf ein Beispiel bezogen, das ich aber niht näher verstanden habe. Er sprach von einer Bahn in der Nähe von Kosel, es seien dort für den Hafenanshluß die Materialien transportiert worden, da-

gegen sei für eine Fabrik der Transport der Materialien zurückgewiesen worden. Jäà, meine Herren, das beruht auf den reichsgeseßlihen Be- stimmungen. Solange eine Bahn nicht polizeilih abgenommen ift, darf ih sie dem öffentlichen Verkehr niht übergeben. - (Sehr rihtig!

1 rechts.) Jch kann wohl meine eigenen Materialien transportieren, ih

gehe fogar schon ein Stückchen weiter, wenn ih auch die Materialien der Hafenbauvcrwaltung mittransportiere; aber durh die Zulassung des öffentlihen Verkehrs vor der Abnahme würde ich mich persönli verantwortlich machen, und dazu habe ih feine Lust.

Ich komme nun auf die Ausführungen des Herrn Abg. Broemel. Der Herr Abg. Broemel hat meine Aeußerung, die ih über den gegenwärtigen Zustand unserer Perfonentarife hier im Hause gemacht habe, wiederholt. Ich nehme gar keinen Anstand, hier zu erklären, daß ih au beute noch auf demselben Standpunkt stehe. Jch habe das niemals bestritten, ih habe nur immer gesagt: zu meinem eigenen lebhaften Bedauern bin ich nicht in der Lage, zur Zeit eine durchgreifende Reform aus- führen zu können. Er hat fodann auÿ eine Reihe von Vorschlägen gemaht, wie wohl nah seiner Auffassung demnächst, wenn die Reform ins Leben treten sollte, vorgegangen werden fönnte. Jh bin Herrn Abg. Broemel hierfür aufrichtig dankbar, und die Vorschläge werden jedenfalls mit in Erwägung gezogen werden ; ih möchte ihn nur darauf aufmerksam machen, daß der Vorschlag, der au von ihm angeführt worden ist, die vierte Klasse bei einer Tarifreform zu beseitigen, in dem Entwurfe {hon mitenthalten war, den mein Herr Amtsvorgänger seiner Zeit den Bezirks-Eisenbahnräthen vorgelegt hat. Zu meinem Bedauern, und ih muß auch sagen, zu meiner Verwunderung hat dieser Vorschlag bei den Bezirks-Eisenbahnräthen keine Gnade gefunden. Wir haben die mannigfachsten Bedenken, die vierte Klasse als solche zu beseitigen Hören müssen, und zwar. niht etwa Bedenken, die daraus hergeleitet wurden, daß man beabsihtigt hätte, die vierte Klasse künftig theurer zu stellen das war nit beabsichtigt —, sondern diese Be- denken bezogen fich auf ganz andere Momente. Im wesentlichen darauf, daß die Beseitigung der vierten Klasse, wel&e also die dritte Klasse zh der niedrigsten gemaht haben würde, jedenfalls für einen großen Theil derjenigen Leute, die jegt die vierte Klasse benußten, eine wesentlihe Ershwerung mit \ih bringen würde, weil sie dann nicht mehr in der Lage sein würden, ihr Handwerkszeug, ihre Marktkörbe und alles, was sie bei sih haben, in dem Wagen frei mitfübren zu können, sondern dann naturgemäß einer Regelung unterworfen werden müßten, die für die dritte Klasse maßgebend ist und sein muß.

Aus diesen und noh aus einer ganzen Neihe anderer Gründe, bei denen vielleiht auch mitgesprochen haben wird ih lasse das dahin- gestellt; zum Ausdruck ist dies niht gekommen —, daß aus der vierten Klafse manhmal recht unbequeme Gäste in die dritte Klasse kämen und aus der dritten Klasse in die zweite u. \. w., also eine Verschiebung stattfinden würde, die manchem niht gepaßt hätte. Auf mich würde das feinen Einfluß ausüben.

Der Herr Abg. Broemel hat dann einen Gedanken wieder an- geregt, den er soviel ich mich erinnere auch bereits früber {on auêëgesprohen hat: Warum man denn niht wenigstens auf einem be- shränkten Gebiete mit derartigen Versuchen vorgehen wolle; das fönnte doch unmöglih von solcher weittragenden Bedeutung sein, daß der Herr Finanz-Minister sih dagegen sträuben würde, und man könnte ja dann sehen, ob mit einem derartigen System wirklich finanzielle Ausfälle verbunden wären, bezw. welche anderen Bedenken sich daraus ergäben. Meine Herren, theoretisch klingt das ganz gut und wirkli verführerish, aber in der Praxis sieht die Sache doch ganz anders aus. Erstens muß ih bemerken, daß nach meinen Erfahrungen im Tarifwesen derartige Versuhe wohl einzuführen, aber niht leiht wieder zu beseitigen find (sehr ritig ! rechts), und wenn wir das ein- führten in irgend einem Theil nehmen wir an, in einem dec öst- lichen Bezirke, den wahrscheinlih der Herr Abg. Broemel im Auge hatte, und der vielleiht für derartige Versuche am geeignetsten ift, fagen wir mal in den neuen Bezirken Bromberg oder Danzig —, so würde für die Eisenbahnverwaltung sowohl wie für den Herrn Finanz- Minister die Sache präjudiziell entshieden sein; wir wären vollständig gezwungen, das System oder ein ähnlihes ebenso billiges in dem ganzen übrigen Bezirk ebenfalls einzuführen; denn die Ermäßigungen, die ja doch unzweifelhaft von dem Herrn Abg. Broemel beabsichtigt sind, würden die anderen Bezirke nicht ruben lassen, bis auch für sie dieselben Wohlthaten zur Erscheinung kämen. Aber auch tariftechnish würde ein solher Versu zu Unzuträglichkeiten der allershärfsten Art führen. Ich will aber darauf niht weiter eingehen.

Der Herr Abg. Broèzmel hat dann gesagt: Jhr habt ja den Ver- such gemaht mit dem Vorortsverkehr und habt daraus ersehen, was sih erreihen Läßt dur eine vernünftige Ermäßigung der Personen- tarife. Meine Herren, ich bin garnicht zweifelhaft darüber gewesen, daß wir mit der Einführung der Vorortsverkehre nah einer gewissen Uebergangéperiode Mehr-Einnahmen erzielen würden. Der Herr Abg. Broemel hat diese Mehr-Einnahmen beziffert. Wieviel davon reine Einnahme is}, ist aber sehr shwer festzustellen; jedenfalls wird ein erheblicher Theil davon aufgehoben durch die Mehrkosten, die dabei doeh auch in Betracht zu ziehen sind.

Dann aber, meine Herren, muß ich bestreiien, daß das Beispiel der Vorortsverkehre irgend welhen Schluß zuläßt auf eine allgemeine Tarifreform auf ähnlicher Grundlage; es läßt bloß den Schluß zu, daß man dieses System demnächst auch vielleicht auf andere große Städte, die ähnliche Verhältnisse aufweisen, anwenden kann, es läßt aber keinen Schluß ziehen auf die allgemeine Einführung im ganzen Lande.

Der Abg. Broemel hat ferner die Gütertarife erörtert und die Meinung ausgesprochen, daß eine jahrelange Stagnation in den Güter- tarifen eingetreten sei. Meine Herren, in dieser Allgemeinheit kann ih das nicht zugeben. Wir haben, wie der Herr Abg. Broemel das auch selbst hervorgehoben hat, eine ganze Reihe von wichtigen Er- mäßigungen und Verbesserungen unseres Gütertarifsystems eingeführt : wir haben für die Düngemittel, Kartoffeln, Rüben u. f. w. cinen be- fonderen sehr ermäßigten Rohstofftarif eingeführt; wir haben sogar aus dén Düngemittelu noch manche herausgehoben und be'onders be- rücksihtigt; wir haben Ausnahmetarife in sehr großcr Zahl bergestellt für Kohlen, für Erze, für Vieh, ‘Getreide und Baumwolle, über- seeishe Erporttarife u. \. w., eine Stagnation ist also niht ein- getreten.

Meine Herren, ih würde allerdings meinerseits auch mit dem Herrn Abg. Broemel dringend wünschen, daß wir in dieser Be- ziehurtg mehr thun könnten; aber, meine Herren, wie ist das möglich angesihts der heutigen Finanzlage? Helfen Sie an Ihrem Theil, und auch Sie, Herr Abg. Broemel, daß diese Finanzlage sich baldigst