1895 / 36 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 09 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

m T E Dee L T E E

G M DL I HIR L S Ai T Eg it U CAm I E ove S E B

Abg. von Kardorff (Rp.) steht auf dem Standpunkt des Grafen Mirbach und weist darauf hin, daß dasjenige formale Ver- sehen der Behörde, das zur Kassation der Wahl des Grafen von fie geführt habe, viel geringer gewesen sei, als das hier in Rede

ebende.

Die Wabl wird gegen die Stimmen des Zentrums, der Kon- servativen und der Reichspartei für ungültig erflärt.

Die Wahlen der Abg, von Chlapowski (Pole) (6. Posen) von Benda (nl.) (6. Magdeburg), Dr. Gört (fr. Vg.) (Lübe) und Rothbarth (nl.) (14. Hannover) werden gemäß den Anträgen der Kommission ohne Debatte für gültig erklärt.

Die Beschlußfassung über die Gültigkeit der Wahl des Abg. Böckel (b. k. Æ (5. Caffel) seßt das Haus aus, indem es be- schließt, den ichsfanzler um Anordnung verschiedener Beweis- erbebungen zu erfuchen. i 7

Zu dem Antrag der Wahblprüfungs-Kommission, die Wahl des Abg. Bantleon (nl.) 9 an für ungültig zu ecflären, liegt ein Antrag des Abg. Clemm - Ludwigshafen (nl.) vor: die Wahl für gültig zu erklären, oder im Falle der Ablehnung dieses Antrags die Beschlußfassung auszuseßen und um weitere Erhebungen wegen der Verhaftung zweier fozialdemokratischer Zettel- vertbeiler zu tuen :

Abg. Freiherr von Gültlingen (Np.) tritt für die Gültigkeit der Wabl ein, weil die Protestpunkte unerhebliher Natur seien. Der einzige erbheblihe Proteft -üße sich darauf, daß zwei i i E Zettelvertheiler während der Ausübung ihrer Thätigkeit zu Unrecht verhaftet worden seien und dadur eine Beeinflussung des Wahl- ergebnisses eingetreten scin könne. Die Strafbarkeit des einen Zettel- austrägers sei erwiesen, seine Verhaftung also gerehtfertigt gewesen. Der andere habe im Verdacht der Landstreicherei gestanden.

Abg. Brandenburg (Zentr.): Der Thatbestand ist bereits erörtert worden. Es handelt sich darum, ob die Verhaftung der Handwerksburschen dur die Gendarmerie zu der Zeit, als fie erfolgte, berehtigt war. Die Handwerksburschen waren aber zu dieser Zeit nicht ohne Beschäftigung, hätten also wegen Landstreicherei nit ver- haftet werden sollen. Der Gewählte hatte nur 8 Stimmen Ma- jorität. Ich möchte aus diesen Gründen bitten, dem Antrag der Wabhlkommission zuzustimmen.

g. Bassermann (nl.) meint, die Sozialdemokraten bätten selbst nit viel Gewicht auf den Wahlkreis gelegt, sonst hätten sie wobl bald andere Zettelträger gehabt. Die Verhafteten seien in der Folge rechtéfräftig wegen Landftreicherei verurtheilt worden, eine Kafsation der Wabl bedeute zugleich eine Kassation des Urtßbeils. Deshalb bitte er die Waßl als gültig anzuerkennen.

Abg. Auer (Soz.) erklärt, die Sozialdemokraten hätten wenig Interesse an der Wabl gehabt, da es sich um einen Kamvf zwischen Volképartei und Nationalliberalen gehandelt habe. Die Verhaftung der Handwerksburschen sei nit gerechtfertigt gewesen. Seine Partei- genoffen würden für den Antrag der Wahlkommission stimmen.

Abg. von Schöning (kons.): Ih möchte dazu rathen, die Wabl für gültig zu erklären; thun wir das nicht, so werden die Sozialdemokraten in Zukunft immer bestrafte Subjekte als Zettelver- theiler tenugen, nur um später die Wahl anfehten zu können.

Abg. Payer (südd. Volksp.): Wir haben bier nur die Rechts- lage zu berüdcksihtigen, und diese Prüfung muß uns zur Ungültigkeits- erflärung führen. Die Sozialdemokraten sind in der That in ihrer Agitation beschränkt worden. | x

Abg. Gröber (Zentr.) bestreitet ebenfalls, daß die Zettelver- theiler arbeits\{eu waren.

Abg. Clemm (nl.) zieht seinen Prinzipalantrag zurück und bittet um Annahme des Eventualantrags.

Abg. Dr. Enneccerus (nl.) tritt für den Eventualantrag Clemm ein. Wenigstens sei es nöthig, Erhebungen anzustellen, ehe durch Kaffation der Wabl ein gerichtliches Urtheil fassiert werde.

Aba. Gröber (Zentc.) weist darauf hin, daß die als Zeugen vernommenen Polizeibeamten nit vereidigt worden seien, da die Ver- muthung nabe lag, daß fie ihre Befugniffe überschritten hätten.

Der Antrag Clemm wird abgelehnt, vie Wahl des Abg. Bantleon wird für ungültig erklärt. /

Die Wablen der Abgg. Lüttich (fr. Vg.), von Puttkamer- Plauth (kons.) und von Schöning (kons.) werden für gültig erflärt.

Auf eine Anfrage des Abg. Singer (Soz.) erklärt der Präsident von Leveßow, daß am Montag die Etatsberathung mit den Etats des Reichstags, des Reichskanzlers und des Reichs8amts des Jnnern beginnen werde. G8 werde der Post- oder Militär-Etat folgen.

Schluß nah 6 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 15, Sißung vom Freitag, 8. Februar.

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Jn der fortgeseßten Berathung des Etats der Eisen- bahn-Verwaltung (Einnahmen aus dem Personen- und Güterverkehr) nimmt nach dem Abg. Pleß (Zentr.) das Wort der

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich bin gestern zu meinem Bedauern verhindert gewesen, den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses beizuwohnen ; aber das, was ich aus den Berichten in den Zeitungen gelesen habe, veranlaßt mich doch, noch einige Bemerkungen zur Abwehr von An- griffen, welze ich von verschiedenen Seiten erfahren habe, in Be- ziehung auf das Verhalten der Finanzverwaltung gegenüber einer Tarifreform der Eisenbahnen zu mahen. Was ih gelesen hake, führte mi zu der Annahme, daß die Herren Redner die Sache o darge- ftellt haben, als wenn die Finanzverwaltung aus einer hôchs\t unweisen Sparsamkeit sih gegen alle Reformen in dem Eisenbahntarifwesen ftemtne und die allerzweckmäßigsten und nüßlihsten Vorschäge ihrer- seits eigensinniger Weise ablehne.

Meine Herren, ih babe bier {hon zu vershiedenen Malen aus- gesprochen, daß auch ich persönli die Reformbedürftigkeit unseres Personaltarifwefens und ebenso des Gütertarifwesens anerkenne. Fch babe das weiter {on früher hinzugefügt, daß für durchgreifende Grundreformen, wel@e mit einem mindestens großen Risiko an er- betlichen Einnahmeverluften verbunden sind, die gegenwärtige Zeit nicht gefommen sei; dabei bleibe ich fteben.

Meine Herren, Reformen sind auch in den leßten Jahren in nit unerbeblihem Maße durchgeführt auch solche, von denen anerfannt werden mußte und die Gefahr wenigstens bestand, daß sie die Ueber- \chüfe ter Gifcnbabn?en einigermaßen vermindern werden, die jedenfalls nit dazu angethan waren, sie zu vermehren. Aber große, durch- greifende Reformen, von denen man von vornherein sagen fann, fie müssen auf eine lange Reibe von Jahren hin die Uebershüsse der Einnahmen wesentlih vermindern, kann die Finanzverwaltung heute allerdings nicht verantworten.

Meine Herren, wir haben nur das eine oder das andere vor uns: entweder wirthschaften wir leihtsinniger Weise weiter darauf los mit Defizits, ohne uns irgend Gedanken über die Zukunft zu machen, ob das Defizit vermehrt oder vermindert wird, und wir decken die Defizits cinfach durch Anleihen; eine solche Finanzpolitik werde ih nie

führen, und ih hoffe niht, daß das hohe Haus mih dazu drängen wird. Wir haben ja die Erfahrung vor uns. Wodurch i} unser Defizit denn im wesentlichen entstanden? Wollen die Herren \ich erinnern, daß, als ich den erften Etat dem Hause vorlegte, wir aus dem vergangenen Jahre noch einen UebersGuß von über 100 Millionen herausre{neten, der auch wirklich bereit stand, nah den damaligen Gepflogenheiten auf Anleihen abgeschrieben zu werden. Und das ganze Haus, kann ich wobl sagen, war dieser Ueber- zeugung, und ih nehme in dieser Beziehung selbst die Ministerien nicht aus, daß wir uns in einer glänzenden Finanzlage befänden. Einer der besten Kenner unserer Finanzen, Herr Abg. Richter, stellte noch anheim, die Gewerbesteuer einfah zu \treihen; denn wir hätten ja 100 Millionen Ueberschuß, und er ftellte daneben Anträge, die auch von anderer Seite vielfah unterstüßt wurden, nach welhen wir aus der Einkommensteuer durch cine weitere De- pression einfach 16 Millionen preisgeben sollten alles auf den Ge- danken hin: wir sind ungeheuer reihe Leute, wir {ließen mit kolossalen Uebershüssen ab.

Ih habe mich, nachdem ich ins Amt eingetreten war, innerhalb sehr kurzer Zeit instruiert, daß diese Anschauung fehlsam sei. Jch habe damals {hon von den 102 Millionen Uebershüfsen des Jahres 1889/90 gesagt, man möge wohl bedenken, daß das eigentlich feine wirthshaftlihen Uebershüsse, sondern nur rechnung8mäßige seien, und im folgenden Jahre war das Defizit da. Und wodurch ift dieses Defizit nun entstanden? Darüber is do wohl allgemeines Einverständniß: dadur wesentli, abgesehen von den Operationen des Reichs, daß wir in viel zu hohem Maße um etwa 150 Millionen Einnahmen preisgegeben und Ausgaben gesteigert hatten dauernder Natur auf ganz unsichere Einnahmen hin. Soll dies System nun wieder neu beginnen? Das ist die Frage, die hier gestellt ift. Wenn wir fortgefahren wären mit dieser optimistisWen Anschauung, wie sie hier vertreten wird beispielsweise von Herrn Abg. Schmie- ding und Herrn Abg. von Eynern, daß wir eigentlich so reich wären, wir fönnten eine Milliarde à fonds perdu für nüßlihe Zwecke verwenden ja, wenn wir wieder in das alte System fielen oder damit fortgefahren wären, wenn nicht die bessere Einsicht gekommen wäre: wo ständen dann heute wohl unsere Finanzen? Dann hätten wir niht ein Defizit von 34 Millionen, sondern von 100 Millionen.

Reformen also, die unzweifelhaft sehr bedeutende Einnahmeaus- fälle bringen, wenigstens auf lange Zeit hin, kann man ‘nur dann verantworten, wenn man entweder überhaupt kein Gefühl von Ver- antwortlihkeit für die Zukunft unserer Finanzen kennt und sagt: wir wirthschaften mit steigenden Anleihen weiter, -— oder aber wenn man entschlossen ist, demgemäß die Steuern zu erhöhen.

Nun mölhte ih mal an dieses Haus die einfahe klare Frage stellen : hier ist eine durchgreifende Reform des Tarifwesens, namentli der Gütertarife worauf ich persönlich das größere Gewicht legen würde (fehr rihtig! rets), sie kostet 15 Millionen; wir haben aber hon ein Defizit von 34 Millionen; wir wissen noch garnicht, wie die Reihs-Finanzen sih gestalten werden, ob wir in Zukunft vor stärkeren Anforderungen des Reichs ges{üßt sein oder ob die An- forderungen des Reichs noch wachsen werden; unsere ganze finanzielle Zukunft is unklar und unsiher ich frage das Haus: wollt ihr diese Reform der Eisenbahntarife nehmen und zugleich den Ausfall mit den erforderlihen Steuerzuschlägen decken ? ich bin überzeugt, das Haus würde Nein sagen.

Man muß dieser Frage ernstlich nachgehen. Ein Finanz-Minister kann nit die Aufgabe fich stellen, alle Wünsche zu befriedigen. (Sehr richtig! rechts.) Wenner das thut, so handelt er gewissenlos, namentli in der gegenwärtigen Lage. Eine Finanzpolitik kann nicht von heute auf morgen leben, niht einen momentanen ftarken Ueberschuß der Eisen- bahnen verwerthen, ohne die ganze berehenbare Zukunft sich vorzu- halten; fie muß die Gesammtbedürfnisse des Staats ins Auge fassen, fie kann nit bloß Wünsche einzelner Interessenten für bestimmte Zwecke in den Vordergrund stellen ; sie findet die allerdringendsten Bedürfnisse zu befriedigen auf allen Gebieten. Wie kann man nun einem Finanz- Mirister, der in einer solchen Lage \sich befindet, vorwerfen, daß er mit einer „Bauernfsparsamkeit“, wie man zu sagen pflegt, auf seinem Schatze sitzt, nihts herausgeben will und alle Reformen verhindert?! Niemand würde froher sein als ich, wenn solche Reformen dur{- geführt werden könnten. Aber die Herren wissen selbs wohl, wenn sie sih in ihren Busen greifen, woran es denn eigentli liegt, daß diese Reform und die Befriedigung nothwendiger und nüßlicher Be- dürfnisse auf anderen Gebieten mehr oder weniger ins Stocken ge- rathen mußten. Unsere dauernden Einnahmen reihen nicht aus für eine erheblihe Steigerung der Ausgaben oder für die Preisgabe von Einnahmen, die wir gegenwärtig besißen. So is die Lage, und daran kann niemand etwas ändern!

Meine Herren, so viele täushen \sich über unsete eigentliche Finanzlage dadurch, daß sie sagen: wir sind der reichste Staat, wir haben do eigentlich gar feine Schulden, unsere Eisenbahnen verzinsen und tilgen alle Schulden und liefern noch einen sehr bedeutenden Betrag in die Staatskasse ab. Ja, meine Herren, bestehen dean die Aus- gaben der Staatskasse nur in der Veczinsung von Schulden ? Woher kommt denn unser Defizit? Kommt das von nihts ? Die Beamten- gehalte, die Lehrergehalte, die sonstigen festliegenden Ausgaben, Meliorationen u. st#. w. u. \. w. sind das keine Verpflihtungen des Staats? Wie können Sie allein unsere Eisenbahnen vergleichen mit unserem Schuldenbestande? Nein, meine Herren, Sie müssen die Gesammteinnahmen mit den Gesammtausgaben des Staats vergleihen! Dann wissen Sie, wie unsere Finanzen stehen! Wir wollen ja hoffen und es if insofern nicht berechtigt, wenn der Herr Vorredner sagt: wir dürfen auf die Verhältnisse im Reih nicht hinweisen; gewiß, meine Herren, wir sind die Zahlungspflichtigen dem Reiche gegenüber und daher vollkommen

berehtigt, zu behaupten, daß tas Reih im gegenwärtigen Augenblick seine eigenen Bedürfnisse in allzuhohem Maße dur Stägerung der Meatrikularumlagen von den Einzelstaaten \sich befriedigen läßt und nicht genügend für die eigene Deckung der Ausgaben, die doch nun im Reih mal gemacht sind auf die Frage, ob sie kbâtten gemacht werden müssen, kommt es uun nit mehr an, sondern sie sind thatsählich gemacht; es handelt sich im Reih niht um die Deckung neuer Ausgaben, sondern um die Art der Deckung bereits beshlossener und vorhandener Ausgaben —, ‘da sind wir vollständig be- rechtigt, die Hoffnung auszusprehen, daß das Reih in dieser Beziehung eine andere Finanzpolitik durchführen möchte und durchführen könnte, als das in den leßten Jahren der Fall ist.

Einige der Herren haben hingewiesen auf das Garantiegeseg. Meine Stellung zu dem Garantiegeseß habe ih so oft ausgesprochen, daß ih darauf nit zurückfommen will. Wenn nun aber die Wüns der Herren jeßt befriedigt würden und in diesem Augenblick ein Garantiegeseß gemaht würde —, was würde das bedeuten? Dag würde bedeuten: daß wir in diesem Augenblick, um zu einer ganz soliden Verwaltung zu kommen, sehr bedeutende Rücklagen in irgend einer Form aus den Uebershüssen der Eisenbahnen zu machen hätten. Ob Sie einen Reservefonds machen, meine Herren, oder ob Sie eine stärkere obligatorishe Sguldentilgung einführen, oder ob Sie einen Erneuerungsfonds konstruieren immer

läuft es auf dasselbe hinaus: einen sehr erheblichen Betrag, der jeßt

zur DeckXung allgemeiner Staatsausgaben dient, zurückzustellen und dey allgemeinen Staatsausgaben zu entzichen. Was würde der Erfolz von der Sache sein? Daß unser Defizit in der allgemeinen Staatskasse um denselben Betrag stiege, und daß wir genöthigt wären, Anleihen zu mahén, um einen anderen Fonds wieder zu füllen, den wir ohne Anleihen heute gar- nicht füllen können. Das wäre doch die einfache Logik, und ih mödte wissen, wer mir das widerlegen kann.

Und noch mehr! Dieselben Herren, die auf durchgreifende Reformen in der Eisenbahnverwaltung drängen, dieselben Herren würden {ih ja felbst ins Gesicht schlagen; denn“ je höher das Staatsdefizit wird, desto schwieriger ist es ja, solhe Reformen durchzuführen. Ih verstehe also eigentlich niht, was das für eine Politik ist. Ih bin ganz der Ansicht, daß, wenn wir einigermaßen durch die gesammte Entwickelung der Dinge und dur die Mitwirkung des Reichs in besser fundierte Finanzverhältnifse kommen, es dann allerdings wünschenswerth ist, ein solches Garantie- geseß durhzuführen. Wir haben aber in dieser Richtung, was die Solidität der Eisenbahnverwaltung betrifft, \chon jeßt be- deutende wirksame Schritte gethan; die Herren brauchen bloß den Etat anzusehen, so werden sie finden, daß alle Ausgaben, die naturgemäß der laufenden Verwaltung zu gute kommen, in diesem Etat bereits der laufenden Verwaltung zur Last gelegt sind. Aber nun noh weiter zu gehen, in diesem Augenblick neue Garantiefonds zu bilden, unter welhem Namen auch immer, das würde heißen: das Defizit, das durch Anleihen zu decken ist, nur zu dem Zweck vergrößern, um neue Fonds zu kriegen. Das ist nach meiner Meinung eine Finanzpolitik, die auch nit gerehtfertigt wäre; man könnte dann vielleiht mit viel größerem Recht dem Finanz-Minister vorwerfen, daß er die Sache so konstruiert, um eine noch höhere Steuer heranziehen zu können.

Nun gehe ih aber noh weiter. Diejenigen Herren, die eine folche durligreifende Reform in unserem Tarifsystem, welche jedenfalls nur mit großen Nisiken verbunden ift, von mir verlangen, dieselben Herren protestie- ren in gleihem Athem dagegen, daß Zuschläge zu den direkten Staats- steuern gemaht werden. Da sagen sie: das wollen wir nit; ob das Reich etwas giebt, wissen wir niht, die Tarife müssen aber herab- geseßt werden, felbst auf das Nisiko hin, daß damit große Verluste verbunden sind. Diese Art Politik zu führen, bin ich meinerseits außer stande. (Bravo! rechts.)

Abg. von Ey nern (nl.): Wenn der Herr Finanz-Minister die Frage fo stelli : ob wir Tarifreformen mit neuen Steuern erkaufen möchten, so verneine ih selbstverständlich diese Frage. Wir wollen aber dur die Tarifreformen die Einnahmen nicht vermindern, sondern ver- mehren. Das läßt sich freilich nur durch eine umfassende Reform erzielen. Einen Beweis dafür, daß nicht“ alle Eisenbahnreformen eine Verminderung der Einnahmen herbei- führen, licfern die sogenannten D - Züge, deren Plaßkarten für den nächsten Etat eine Mehreinnahme von 1 300 000 Æ ein- bringen sollen. Auch die Bahnsteigkarten sollen 650 000 mehr er- geben. Die Frage der Tarifreform läßt sih nit einseitig nah den augenblicklihen preußishen Finanzverhältnissen entsheiden; wenn andere, benachbarte Länder auf dem Wege der Tarifreform vorgehen, wie Belgien und Frankreich, dann können wir niht zurückbleiben, ohne an Konkurrenzfähigkeit einzubüßen. Was meine vom Herrn . Finanz-Minister erwähnte Bemerkung betrifft: wir könnten eine Milliarde à fonds perdu zu wirtbfWatilidben Zwecken ausgeben, so babe ich damit nur sagen wollen, daß die Ausgaben für den Verkehr sih nicht nur verzinsen, sondern auch bald wieder ein- bringen lassen würden. Ein Land, dessen Bevölkerung jährlich um 15 9/0 zunimmt, kann sier sein, daß feine Ausgaben zur Erleichte- rung von Handel und Verkehr sich stets als rentabel erweisen werden.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Das Beispiel, weles der Herr Abg. von Eynern anführte, ist doch wohl einigermaßen gefährlih gewählt; denn wodur sind diese Mehreinnahmen entstanden? Nicht durch Herabsetzung, sondern durh Erhöhung des Tarifs. Dieser Zuschlag bei den D-Zügen ist wesentlih von der Finanzverwaltung angeregt, und die Eisenbahn- verwaltung hatte dabei Bedenken, daß die Benußung dieser Züge

dadur vermindert werden könnte. Es ift aber davon nichts ein--

getreten. Die Einnahme is entstanden durch den Zuschlag, der die Mehrkosten dieser Wagen einigermaßen decken sollte. Man sieht also, daß die Ansicht, daß unter allen Umständen Herabsetßzungen Einnahmevermehrungen herbeiführen, und daß Steigerungen der Tarife unter allen Umständen wesfentlichße Verminderungen herbeiführen, in diesem Fall jeßt nit zugetroffen hat. (Sehr gut!)

Meine Herren, wenn die Eisenbahn-Verwaltung mir Reformen vorlegt im Tarifwefen und einigermaßen klarmachen kann, daß sie die von dem Herrn Abg. von Eynern erhofften Wirkungen haben, nicht nach einer unübersehbaren Zeit, denn die kann überhaupt niemand berechnen, sondern nah einer überschbaren Zeit, so wird die Finanz- verwaltung solchen Reformen nit entgegentreten. Die Forderungen, die an mich in leßter Zeit gekommen sind, haben aber auf mich den Eindruck gemacht, daß die Petenten sih sehr wohl bewußt waren, daß dabei der Staat auf längere Zeit sehr bedeutende Einnahme- verlusfte erleiden wird, und da, sage ich, treten allerdings gegenwärtig die finanziellen Rücksihten des Staats in den Vordergrund; und seßt man sih darüber hinweg, dann muß ein Ersaß geschaffen werden durch Steuern anders geht es nicht —, oder wir bleiben ruhig im Defizit und kümmern uns nicht um die Zukunft der preußischen Finanzen. Das ist eine Alternative, aus der man garnicht heraus: kommt. Es giebt allerdings Neformen, die ich meinerseits lebhaft unterstüßt habe, z. B. die Weiterführung der Staffeltarife für Getreide über Berlin hinaus, die auch finanziell sehr nüßglih sind. Jch be- dauere noch heute, daß wir dieses Tarifsystem als eine wesentliche Grundlage unseres ganzen Tarifwesens niht in diesem Augenblick haben weiterführen fönnen. Es wäre vielleiht sehr erwünsht ge- wesen, wenn man gleich nah der Verstaatlichung der Eisenbahnen von vornherein ein Tarifwesen eingeführt hätte, welches nah dem einzig rihtigen Grundsaß verfahren wäre, die Tarife nah den Selbstkosten zu gestalten; aber jeßt auf einmal ein folches ganz neues System etn“

zuführen, würde allerdings eine solhe Verschiebung in den wirthschaft- lichen Verhältnifsen des ganzen Landes hervorrufen, daß man nah meiner Meinung nur sehr allmählih dazu übergehen kann, und ih meine, daß man aber allerdings dieses Ziel zu verfolgen hat. Nun bin ich aber \der Meinung, daß man durch ein solches System in allen Fällen Mehreinnahmen erzielt. Es giebt sehr viele Fälle, wo eine Herabseßung der Tarife auf be- stimmte Strecken, nah welchem System es au sei, keine Mehrein- mhmen hervorrufen kann, weil ganz einfa die Belastungs8massen beschränkt sind und si nit beliebig erweitern können. Diese Fragen fann man nit rein nah einem Prinzip, sondern muß sie nach meiner Meinung na der Belegenheit des einzelnen Falles behandeln.

Der Herr Abg. von Eynern hat es so dargestellt, als wenn die heutige Finanzverwaltung die Entwikelung des Landes heute dadurch übermäßig einschränke, daß fie namentlich den Eisenbahnbau ins Stocken bringe. JIch habe meine Bemerkungen dagegen {on früher gemacht; ih bleibe dabei stehen, und die Vorlage, die an Sie ®?mmt, wird beweisen, daß es durhaus nicht die Absiht der Finanz- verwaltung ist, wie man bei Vorlegung des Gesetzes über Kleinbahnen argwöhnte, den Bau von Sekundär- bahnen auf Staatskosten gänzli in den Hintergrund treten zu lassen. Daß aber au ganz abgesehen davon wir den Bau der Sekundär- bahnen si naturgemäß im Lauf der Zeit vermindern lassen müssen, liegt do ganz klar auf der Hand. Die meisten als Sekundärbahnen einigermaßen rentablen Linien sind ausgebaut; es geht in dieser Beziehung ähnlich wie mit den großen Linien. Wir haben gewiß noch ein großes Bedürfniß der Verbesserung unseres Verkehrswesens auch durch Schienenwege; aber dieses Be- dürfniß wid \sich in den meisten Fällen am besten erfüllen lassen durch Herstellung von Kleinbahnen. Die Entwicklung des Kleinbahnwesens, die sih jeßt {hon zeigt, ersetzt die naturgemäße Verminderung des Baues von Sekundärbahnen schon gegenwärtig in sehr erheblihem Maße und überschreitet vielleiht {on die frühere Nadfrage nah Schienen für Sekundärbahnen. Wenn daneben aber allerdings eine Reihe von Sekundärbahnen aus den verschiedensten lotalen Gründen nah auszubauen sind, so wird man au seitens der Finanz-Verwaltung in dieser Beziehung durchaus kein Hinderniß entgegenseßen. Ï

Abg. Olzem (nl.) bittet, auf der Eifelbabn \chnellere Züge ein- zulegen, um den Verkehr von Köln nah dem Süden zu erleichtern.

Abg. Ehlers (fr. Vgg.): Der Herr Finanz-Minister hat die Tarifpolitik viel zu sehr mit der Finanzpolitik des Neichs in Ver- bindung gebracht; es sah so aus, als ob die Tarifreform Vorspann leisten sollte für neue Steuerprojekte. Fh würde es für fals haften, wenn die Eisenbahn-Verwaltung in dem Falle, daß einmal unbegrenzte Ueberweifungen vom Reich kämen, Güter- und Personentarife überhaupt aufheben und alles frei befördern würde. Die Eisenbahn ist ein gewerblihes Unternehmen und darf nicht als Wohlthätigkeitsanstalt betrachtet werden. Ich würde es für richtiger halten, wenn die Herren Minister fürchten, von einer Tarifreform anfangs Mindereinnahmen zu haben, eine An- leihe zu mahen. Was die befonderen Reformen im Personenverkehr betrifft, so möchte ih zu einer Beseitigung der ersten Klasse und der Aufhebung der S für die höheren EGisenbahnbeamten rathen, damit au diese Beamten einmal die Leiden und Freuden des reisenden Publikums kennen lernen könnten.

__ Abg. Bött-inger (nl.) dankt dem Minister für die Begünstigung

die bisher schon die großen internationalen Durhgangszüge erfahren haben, und bittet diese Begünstigung noch weiter auszudehnen, da be- sonders die Industrie intensiv arbeiten müsse und Zeit in den vielen Fällen, in denen ein persönliher Verkehr nothwendig sei, oft mehr be- deute als Kapital. Der Zuschlag zu den Schlafwagen betrage für die zweite Klasse 8 4, für die erste Klasse 10 A, in England für die erste Klasse nur 5 sh. Er wolle einer Herabseßung der Schlaf- tvagengebühren erster Klasse nicht das Wort reden, wohl aber einer Verminderung der Gebühren der zweiten Klasse. Die erste Klasse aufzuheben sei schon des taternationalen Verkehrs wegen niht möglich; in England habe man die zweite Klasse aufgehoben und die dritte verbessert. Das sei vielleicht auch bei unseren Bahnen möglich.

Abg. Broemel (fr. Vgg.): Niemand bestreitet, daß ein Theil der Einnahmen aus den Eisenbahnen zu allgemeinen Staatszwecken verwendet werden darf. Dagegen sollen die Staatsbahnen nicht als Gewerbe behandelt werden, fie müssen vor allem dem Verkehr dienen; eine Verbilligung der Tarife ist daher wohl an- gebraht. Die Tarifreformen sind für beschränkte Bezirke ver- langt worden, den finanziellen Punkt hat niemand aus dem Auge gelassen. Die Plaßkbartengebühr ist als Erhöhung des Fahrpreises niht anzusehen, da sie für besondere, \chnell fahrende Züge, die besonders gut ausgestattet sind, erhoben wird. Für eine Tarif- reform kommen diese Gebühren niht in Betraht. Eine Tarif- verbilligung hebt den Verkehr im allgemeinen und stärkt dadurch die Steuerkraft des Landes. Herr Ober-Negierungs-Nath Todt, der dem Gifenbahn-Direktionsbezirk Köln angehörte, hat cinen Versuh mit einer Tarifreform auf beschränktem Gebiet ebenfalls vorgeschlagen. Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten hat gesagt, wenn ein Versuch in einem Bezirk gemacht würde, würden ihn die anderen auh verlangen. Wenn der Versuhß gut auss{hlägt, wäre das kein Fehler; im anderen Fall könnte der Versuch rückgängig gemacht werden. Eine ehrliche Probe muß gemacht werden. Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten weist sie zurück, er glaubt also wobl, sie könne nur im großen gemaht werden. Dagegen spriht sich wieder g Finanz-Minister aus. Jch glauke, der Herr Minister der öffentli en Arbeiten wird als Verkehrs-Minister doch auf eine Tarifreform im fleineren Umfang eingehen. Sofort eine allgemeine Tarifreform zu fordern, würde die Tarifreform auf denkbare Zeiten ausschließen. Daß Reformen möglich find, beweist die Herabseßung der Gepäckfraht auf den füd- deutschen Bahnen fowie die Ausdehnung der Gültigkeit der Rükfahrtkarten. Auch in Bezug auf die Nükfahrtkarten wären noch weitere Reformen möglich. So müßte die verschiedene Gültigkeits- dauer von Berlin nah Provinzstationen _und umgekehrt aufgehoben werden. Die Aufhebung der vierten Klasse wäre wohl möglich; es d Staatsbahngebiete in Deutschland, in denen auch Verkehr von

rt zu Ort“ mit Gepästücken stattfindet. Hier fahren die Leute dritter Klasse, ein Raum für ihr Gepäck is ihnen zur Ver- fügung gestellt. Wenn die vierte Klasse an der Tarifreform theilnähme und ausreichend für Sißpläge gesorgt wäre, würde die Grhaltung der vierten Klasse wohl zu besprechen sein. Herrn Abg. Irmer möŸhte ih entgegnen, daß die billigen Vorortstarife zur Lösung der ano in Berlin beitragen, also eine soziale Bedeutung nach dieser ihtung haben. Die Staatébahn hat hier eine ernste fliht zu erfüllen.“ Sollte die Staatsbahn diefen Verkehr ausheben wollen, so müßte dem Privatbetrieb volle Frei- heit in der Verbindung der Vororte mit Berlin gegeben werden. Daß Berlin mit der Einführung der eleftrishen Bahnen jo znrückgeblieben ist, beruht zumeist darauf, daß der Berkehr mit en Vororten fast nur in den Händen eines Staatsbetriebs liegt. On feinem Standpunkt aus müßte Herr Dr. Irmer, um der Vagabondage zu steuern, eine Erhöhung der Tarife fordern. Jch bofse aber, daß wir dennoch eine Tarifreform erhalten und die isenbahnen wiedec mehr in das Interesse des Verkehrs werden ge- ellt werden,

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

é Meine Herren! Einzelne Ausführungen der Herren Vorredner nôtbigen mich zu einer kurzen Erwiderung. Ih möchte denselben zu- nast einige allgemeine Bemerkungen voraus\chicken,

So wenig, wie ih gestern anerkennen konnte, daß in der Ent- wickelung des Gütertarifsystems eine Stagnation seit geraumer Zeit eingetreten sei, kann ih dies au bezüglich des Per- sonenverkehrs anerkennen. Es ift eine Reihe durhgreifender, und wirthshaftlich bedeutungsvoller Reformen auch auf dem - Gebiet des Personenverkehrs vorgenommen worden. Es ift der Personen- verkehr in Bezug auf seine Regelmäßigkeit, Häufigkeit und die Sicher- heit der Beförderung erheblih verbessert.

In Bezug auf die Reform des Tarifwesens will ich nur zwei Punkte hervorheben. Erstens möchte ich mit einem Wort wieder verweisen auf den Berliner Vorortverkehr, der ja allerdings verschiedentlich beurtheilt is, indessen das kann gar feine Frage sein doch eine große Verkehrsreform für unsere Haupt- und Residenzstadt bedeutet. Zweitens aber möchte ih auf einen Punkt aufmerksam machen, der hier noch nit erwähnt ist, dessen Bedeutung für das wirth\chaftlihe Leben, insbesondere aber für den s{chwätheren Theil unseres Volkes sehr groß ift, das ist die Einrihtung der Arbeiterkartèn. Weder bezüglich des Vorortverkehrs, noh bezüglih der Beförderung der Arbeiter von und nah ihren Arbeits\tätten ist in irgend einem anderen Lande des Kon- tinents ähnliches geleistet, und das haben wir gematt innerhalb der Zeit der finanziellen Bedrängniß.

Es sind ferner au in Bezug auf die Beförderung beim Personenverkehr wesentlihe Verbesserungen in den leßten Jahren eingeführt worden. Ich habe mir bereits früher auszuführen gestattet, daß es für den Personenverkehr häufig weniger auf Tarifermäßigung ankommt, um wirthschaftlißhe Vortheile zu erzielen, als auf die Gewährung häufiger Reisegelegenheit. Wenn Sie das Reichs-Kursbuch in die Hand nehmen und vergleichen die Dichtigkeit unserer Verkehr8gelegenheit selbs auf den Nebenbahnen mit derjenigen in manchen Nachbarländern, beispielsweise in Oesterreich- Ungarn, fo müssen Sie erkennen, daß troß des Zonentarifs in Ungarn bei uns dur die Häufigkeit der Gelegenheit, sih von einem Ort zum andern zu bewegen, größere wirthschaftliße Vortheile erzielt worden sind.

Meine Herren, auch die Sicherheit des Personenverkehr ist ganz erheblich und mit sehr bedeutenden Kosten gefördert worden. Ich will nur erinnern an die jährlich in dem Etat sih vorfindenden ganz außere ordentlich hohen Beträge, die ausgegeben werden für die Durchführung zu- verläfsig und s{nellwirkender Bremsen, und ferner für die Weiterentwick- lung des Signalwefens beides Einrichtungen, die in erster Linie der Sicherheit und der Regelmäßigkeit des Personenverkehrs zu statten

kommen. I hakte darauf nur hinweisen wollen, um dem zu widersprechen,

daß cine Stagnation bezügli des Personenverkehrs zu verzeichnen ift.

Wenn ih nun auf die Einzelheiten eingehe, so hat zunä Herr Abg. Olzem von neuem tinen Wunsch hier zur Sprachhe gebracht, nämlich den einer Schnellzugsverbindung zwischen Köln und den RNeichslanden durch die Eifel. Er hat feiner früheren Begründung einen neuen Grund binzugefügt, der ja au eine gewisse Berechtigung hat: daß nämli dur die Ab- kürzung mittels der neuen Linie Saargemünd—Mommenhbeim die filometrishe Entfernung \sich zu Gunsten der Eifelbahnlinie erheblih gebessert habe. Meine Herren, es ist nur zu bedauern, daß die Eifel- kilometer nicht dur die Ebene, fondern Berg auf und Berg ab gehen, daß daher die sogenannte virtuelle, das heißt die für den Be- trieb maßgebende Länge der Eifellinie si erheblich ungünstiger stellt. Aber davon abgesehen, meine Herren, zur Einführung eines neuen Schnellzuges kann man ein Verkehrsbedürfniß nit erkennen. Es würde sih daher im wesentlihen nur darum handeln, einen der vorhandenen Schnellzüge über die Eifelbahn zu legen. Das würde aber mit Rücksicht auf die {wer wiegenden Verkehrsbedürfnisse des dicht angebauten Rheinthals geradezu unmöglih sein. Ih kann daher uicht in Aussicht stellen, daß in nächster Zeit dem Wunsche des Herrn Abg. Olzem gewillfahrt werden wird.

Der Herr Abg. Ehlers is dann auf die Reform der Perfonentarife und zu gleiher Zeit auf die Reform der Beförderung des Personenverkehrs näher eingegangen und hat sih dahin refümiert, daß er seinerseits dringend befürwortet, nicht die 1V. Klasse aufzuheben, sondern die I. Klasse aufzuheben. Meine Herren, tarifarisch ist das vollständig dasselbe ; die Herren verwechseln häufig die tarifarishe Seite der Frage und die Frage der Beförderung. Ich kann in drei Klassen fahren und dabei die gegenwärtige Ausstattung der 1. Klasse und auch die gegenwärtige Aus- stattung der IV. Klasse beibehalten, je nachdem das für zweckmäßig erahtet wird. Jh möchte hervorheben, daß auch nach dem ursprünglihen Projekt, welches mein Herr Amtsvorgänger sfeiner- zeit dem wirthschafilichen Beirath vorgelegt hat, Vorsorge getroffen worden war, wodur für die kurzen Entfernungen, die lokalen Bedürf- nisse, durch Einstellung von Wagen mit der Einrichtung der vierten Klasse Gelegenheit geboten wird, ihr Gepäck wie bisher frei mit si zu führen.

Herr Ehlers hat ferner darauf hingewiesen, daß es zweckmäßig fein möchte, wenn die vorhandenen Freikarten für die Eisenbahn- beamten aufgehoben würden; er hat, wenn ih recht gehört habe, si dafür ausgesprohen, daß die Herren Reichstags-Abgeordneten oder die Mitglieder des Herrenhauses auch bezahlen möchten. (Widerspruch) Dann habe ich ihn mißverstanden; beides Leßtere wäre mir nicht unsympathish gewesen. (Heiterkeit.) Was nun die Aufhebung der Freikarten für die Eisenbahnbeamten betrifft, so ist dieselbe wieder- holentlich in Erwägung genommen worden. Finanziell würde es für die Eisenbahnbeamten einen Gewinn, für die Staatskasse einen, wenn auch niht erhebliGen Ausfall bedeuten; aber es hat neben den auch meines Erachtens nicht geringen Vor- theilen, die der Herr Abg. Ehlers hervorgehoben hat, und die im wesentlihen darin gipfeln, daß der Eisenbahnbeamte Gelegenheit erhält, auch alles dasjenige am eigenen Leibe zu erproben, was der betreffende Reisende durhzumachen hat: s\ich seine Fahrkarte nimmt, sein Gepäck besorgt u. s. w. Aber, meine Herren, ein großer Theil der Reisen, die die Eisenbahnbeamten ausführen müssen, kann unmögli in der gewöhnlichen Beförderungsweise vor sich gehen; nicht zu ihrer Bequemlichkeit, sondern aus sehr wichtigen dienstlihen Nüd- sichten müssen sih die Beamten zu ihren Revisionszwecken häufig auch besonderer Wagen bedienen, die es ihnen möglich machen, vom Zuge aus einen Theil der Revision auszuführen. Aber es is auH nah meiner Ansicht dringend wünschenswerth, daß die Herren Beamten sich häufig in die Lage eines Reisenden verseßen. Es läßt sih das aber auch erreihen, ohne daß man gerade seine Fahrkarte bezahlt. Ferner ift allerdings aus anderen aber mindestens ebenso wihtigen

Gründen die allgemeine Maßregel getroffen, daß diejenigen Herren, welhe mit der Revision der Strecke in erster Linie betraut sind, innerhalb gewisser Perioden diese Revision von der Lokomotive aus vornehmen, weil fie von diesem Standpunkt aus viel mehr in der Lage find, die Strecke mit Sicherheit beobachten zu können, als vom be- quemen Sitze eines Wagens I. Klasse.

Es ist au aus gewissen disziplinarishen Rücksihten bedenklich, daß die Beamten innerhalb derjenigen Strecken, deren Aufficht ihnen übertragen ist, \sich unter das Publikum seten. Unserem großen Beamten-Korps gegenüber bedarf es aus disziplinarishen Nücksichten einer gewissen Hervorhebung ihrer Vorgesezten. Alle diese Be- denken haben es bisher der Verwaltung nahegelegt, den bisherigen Zustand zu erhalten.

Ih komme nun auf die Ausführungen des Herrn Abg. Böttinger, die zunähst den Wuns enthielten, die Schlafwagengesellshaft in Zukunft in höherem Maße in den shnellfahrenden internationalen Zügen zuzulassen, als das bisher der Fall gewesen ift. Herr Abg. Vöttinger hat hen mitgetheilt, daß in der Beziehung - bereits ein Fortschritt zu registrieren sei. Es stellt beispielsweise in den großen internationalen Zügen Ostende—Köln—Wien die Swhlafwagengesell- schaft bereits die Wagen, und es ift die Beförderung der Shlaf- wagen auch auf den internationalen Linien Calais—Köln, Ostende —Köln, Ostende—Straßburg—Basel u. \. w. zugelassen worden. Es is richtig, daß über die Herstellung eines neuen internationalen Luxus- zuges zwischen Paris bezw. London—Köln—Berlin—St. Petersburg verhandelt worden ist. Die Verhandlungen haben aker bisher zum Abschluß noch nit geführt, aus. zwei Gründen: einmal der Kosten halber und zweitens, weil es bis iegt nit mögli geworden ist, Fahrplan- zeiten zu konstruieren, die unseren Interessen entsprechen.

Bezüglich der besseren Anschlüsse für die Linie Vowinkel—Steele bin ih gern bereit, nähere Erörterungen eintreten zu lassen.

Daß der Zuschlag für die Schlafwagen zu hoh ist, kann ih nicht anerkennen, namentlih niht, daß das Verhältniß des Zuschlags für die I. und T1. Klasse ein unrihtiges ist. Es muß dabei in Be- traht gezogen werden, daß der Mann, der das Billet IL. Klasse bezahlt, ja ohnehin sehr viel weniger zahlt als für die I. Klasse, daß er eigentlich aber fast dieselben Bequemlihkeiten genießt wie der in der I. Klasse.

Ob das System, das éinzelne englishe Bahnen eingeführt haben, nur noch zwei Klassen zu befördern, richtig ist, das ist, wie der Herr Abg. Böttinger besser weiß als ich, au in England eine sehr be- strittene Frage.

Der Herr Abg. Broemel hat für seinen Vorschlag: eine Reform des Personentarifs wel{he, hat Herr Abg. Broemel nicht gefagt innerhalb einer gewissen geographischen Begrenzung einzuführen, ih auf das Gutachten des Herrn Ober-Regierungs-Raths Todt von der recht8rheinischen Direktion berufen. Meine Herren, bei aller An- erkenvung der Erfahrungen des Herrn Ober-Regierungs-Raths Todt muß ih doch nach wie vor bei meiner Ansicht bleiben, daß ein solher Versuch einerseits sehr bedenklich, andererseits auch nichi beweis- kräftig ist. Wenn wir den Versu, wie ih gestern mir erlaubte zu sagen, etwa im Regierungsbezirk Bromberg oder Danzig machen, fo find die Erfahrungen, die wir dort machen, abfolut nit beweiskräftig für etwaige Versuhe in der Provinz Sachsen oder in der Rhein- provinz. Die Verhältnisse sind absolut vershieden. Wenn ih russischer Verkehrs-Minister wäre, würde ih mich wahrscheinli dafür interessieren, mit fallenden Tarifen die Personenverkehre auszustatten es find eben ganz andere Verhältnisse, die in Rußland, in Ungarn und die bei uns obwalten. Wir haben eine verhältnißmäßig dichte Bevölkerung, der das Reisen hon längst Lebensbedürfniß geworden, der gegenüber das System niht die erwartete Wirkung ausüben wird. Meine Herren, ih verweise Sie darauf, daß selbst in Oesterrei der Zonen- tarif nit den erwarteten Ecfolg gehabt hat, weil auch Oesterreich bereits viel dichter besiedelt ist, als das in Ungarn der Fall ist.

Ferner hat der Herr Abg. Broemel auch ausgeführt, daß die preußische Staats-Eisenbahnverwaltung seiner Ansicht nah mit Unrecht si dem Fort- {ritt niht angeschlossen habe, welchen die süddeutschen Verwaltungen dur Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Rükfahrtskarten gemacht haben. Meine Herren, ih habe bereits im vorigen Jahre wenn ih nit irre, au bei der zweiten Lesung des Eisenbahn-Etats darauf aufmerksam gemacht, daß die Erfahrungen, die man mit der Verlängerung der Rükfahrtskarten in Württemberg gemacht hat, nit gerade ermuthigend sind. Mir liegt eine Zusammen- stellung über “die Ausnußzung der Nükfahrtskarten auf den Neichs- babnen vor, die nah mehr als einer Richtung hin sehr interessant und lehrrei ift.

Vom 1. Oktober 1893 bis zum 30. September 1894 find die Rückfahrtskarten innerhalb der Reichseisenbahnen zu 92,2 9% innerhalb drei Tagen ausgenußt worden, über drei Tage nur mit 7,8 9%. Es ist niht weiter die Statistik verfolgt, wie viele bis zu zehn Tagen ausgenußt worden sind; es fann dies aber nur ein ganz vershwindender Bruchtheil sein. Wo liegt da nun das Bedürfniß der Ausdehnung der Rückfahrts- karten? Es ist gar niht zu erkennen. Dabei kommt noh in Betracht, daß ?für die weiten Entfernungen unsere Berechnungsweise der Gültigkeit günstiger ist. Der finanzielle Effekt ist ebenso wenig ermuthigend. Die Einnahmen für sämmtliche Fahr- karten haben betragen Zin den Reichslanden 1893: 5 184 000 M, sind heruntergegangen 1894 auf 5 170 000 M, davon entfallen auf Rüfahrtskarten 2643000 A 1893 und 2 892 000 Æ 1894, Hier ist also ein, wenn au geringer, Mehr- ertrag der Nükfahrtskarten zu verzeihnen. Es hat also eine Ver- schiebung zwischen einfahen und Rückfahrtskarten stattgefunden, aber der Gefammteffekt ist Minus und hätte naturgemäß nach der Ent- wickelung ein Plus sein müssen.

Wenn daneben noch die Bedenken erwogen werden, die ih mir erlaubt habe seinerzeit auszuführen, und deren wesentlichstes darin besteht, daß, je längec die Rückfahrtékarte in ibrer Gültig- keit gestellt wird, desto größer der Anreiz beim Publikum sowohl als beim Beamtenpersonal zum Mißbrauch wird. Ich habe mich daher nicht entschließen können, mich dem Vorgehen der süddeutshen Bahnen anzuschließen. Als Chef der Reichs-Eisen- bahnverwaltung war ih in einer Zwangslage. Es hätte zu den größten Inkonvenienzen und] Konkurrenz-Verschiebungen Veranlassung gegeben, wenn ih mi für die Reihs-Eisenbahnen dem süddeutschen System nicht angeschlossen hätte.

Meine Herren, drittens ist?die Normierung der Gepäkfraht vom Abg. Broemel angeführt worden, um den Beweis zu liefern,