1895 / 37 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 11 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

V l D E N T I

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gegenüber und verhält sich au rücksihtlih der Totalverluste niht ungünstig gegenüber dem Durchschnitt aller Nationen.

Nun entstand für uns die Frage, ob man gegen den Widerspru der Regierungen, gegen den Widerspruch der Interefsentenkreife gegen- über einer Statistik, welhe die Bejahung der Bedürfnißfrage jeden- falls niht unterstüßte, gleihwohl die Anregung weiterverfolgen und nun auf dem Weg, ih will nit gerade sagen, des Zwanges, aber der Ueberredung versuchen sollte, die betreffenden Regierungen zu einer besseren Ueberzeugung zu bringen. Und da kam uns der Gedanke, daß das Ziel, das wir erreichen wollten, au auf einem anderen Wege si erreichen läßt, und zwar unter Zuhilfenahme der Selbstverwaltungsorgane und der Institute, die auf diesem Gebiet bereits thätig find. Gegenüber den Aus- führungen des Herrn Vorredners möchte ih daran erinnern, daß die See-Berufsgenofsenshaft auf dem Gebiet, auf dem sie bereits thätig ift, nämlih auf dem Gebiet der Unfallverhütung zu Gunsten der Seeleute, doch cine sehr erhebliche Autorität ist, und daß nichts weniger geeignet, als wie der Hinweis darauf, daß die See-Berufs- genossenshaft aus Interessenten besteht, um die Behauptung zu stüßen, daß, weil sie aus Interessenten besteht, nun auch von der See-Berufsgenofsenschaft eine wirksame Kon- trole über die Befolgung der Unfallverhütungsvorschriften nit erwartet werden Fönnte. Metne Herren, der Zwang, der darin liegt, daß die See-Berufsgenossenschaft das Recht hat, jedes Schiff oder jeden Rheder, welcher seine Schiffe nicht ausreichend mit den von ihr vorgeschriebenen MRettiungseinrihtungen versieht, zu einer höheren Prämie heranzuziehen, ist ein so wirksamer, daß er, glaube id, mehr

© werth ist, als die Autorität einer Aufsicht, die sich zwar darauf

erstreckt, ob bestimmte Vorschriften zur Zeit erfüllt sind, die aber der Natur der Sache nah ganz unmögli in der Lage ist, und noch dazu bei Schiffen, die die Erde umfahren, in jedem Augenblick zu kon- trolieren, ob nun auch die Vorschriften wirkli bis aufs leßte t erfüllt werden.

Also wir faßten die Absicht, das erstrebte Ziel mit Hilfe der See-Berufsgenossenschaft zu erreihen, und da sie allein nicht die Organe besißt, um eine ausreichende Kontrole autzuüben, ihr den Vorschlag zu machen, daß sie sich mit dem Germanischen Lloyd, dem deutshen Schiffsklassifikations-Jnstitut, in Verbindung scßt und mit ibm Tooperieren möchte.

Meine Herren, auch die Verhältnisse des Germanishen Lloyds find von dem Herrn Vorredner nicht rihtig geschildert worden, und i habe ersehen, daß er sich auch in Bezug? auf den Germanischen Lloyd in einem Irrthum befindet. Der Germanische Lloyd is ge- gründet als ein gemeinnüßiges, auf Gegenseitigkeit fundiertes Institut; er hatte mit außerordentlihen Schwierigkeiten zu kämpfen, um fih eine Praxis zu \chafen, weil die deutschen Rhederkreise in der Hauptsahe mit dem Bureau ,„Veritas*", das in Frankreich domiziliert, und mit dem Englischen Lloyd zu thun zu haben gewohnt warea. Der Germanische Lloyd ist später in eine Aktiengesellshaft umgewandelt worden; man hat aber bisher nit gehört, daß die Aktionäre von diesem Institut irgend welchen Vortheil gehabt hätten, und ich habe an der Hand der Bücher des Germanischen Lloyds die Ueberzeugung auszusprechen, daß weder für jeßt noh für eine lange Zukunft für die Aktionäre auf erhebliche finanzielle Gewinne zu rechnen ist. Der Germanische Lloyd ift aber ein Institut, welches der Unterstüßung der Regierung durhaus werth, und zwar einfach aus der Nücksiht, weil es für die deutshe Flotte niht an- gezeigt ersheint, daß sie ausschließlich von ausländischen, in der Hand von ‘Ausländern befindlißen Instituten klassifiziert werde. Die Klassifikation der Schiffe ist im Juteresse der Rhederei durchaus nöthig, und wenn der Herr Vorredner gemeint hat, daß auch ein folches Klasfsifikations-Institut keine ausreihende Gewähr für eine objektive und gewissenhafte Prüfung der Seetüchtiakeit der Schiffe gebe, so glaube i, es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Klafsifikations- Institut, welches in dieser Beziehung eine laxe Praxis ausüben wollte, alsbald das Vertrauen in allen Rhederkreisen verlieren würde. (Sehr riGtig!)) Von der Klassifikation hängt nicht allein die Versicherungs- prämie, sondern auh die Zuweifung der FraŸt ab; denn kein Ver- frahter würde einem Schiffe Fracht zuweisen, von dem er nicht sicher ift, daß die Klafse, die das Klassifikations-Justitut ihm ertheilt, auch wirklih nah Lage der Verhältnisse des Schiffs eine begründete und zutreffende ist; und ebenso würden die Versicherungsanstalten sich nie- mals mit Schiffen einlassen, oder doch eine viel höhere Prämie von denselben fordern, wenn sie die Wahrnehmung matten, daß es bei der Klassifizierung des Schiffs nicht ordnungsmäßig zugegangen ift.

Ich komme damit auf die Frage, ob der Germanische Lloyd überhaupt in der Lage ist, die Aufgabe, die ihm nach dem mit der See-Berufsgenofsenschaft geshlossenen Vertrage zugewiesen ist, auch wirklich zu erfüllen. Meine Herren, die Klassifikations-Institute haben in sämmtlichen Häfenplägen der Welt, wo Schiffbau betrieben wird, ibre sahverständigen Agenten, und dur diese sachverständigen Agenten überwachen sie von der Kiellegung ab den Schiffsbau, um die Gewähr

dafür zu haben, daß das Schiff fich durch seine Konstruktion, insbesondere dur die Beobachtung der von den Klassifikations-Anstalten erlassenen Bauvorschriften auch wirklich qualifiziert, in eine bestimmte Klasse eingefügt zu werden. Wenn demgegenüber unsere Erwägungen dahin gingen, daß es ein fostspieliges Unternehmen sein würde, von Reichs- wegen eine Baukontrole einzuführen, so bedarf es eigentli feiner Begründung hierfür. Denn, meine Herren, es würde nöthig sein, daß das Reich nicht bloß in den deutshen Häfen, sontern auch in allen ausländischen Häfen in derselben Weise, wie die Klassifikations-Institute seine Agenten und Kontroleure hâtte. Oder wie wollte man fonst die Sceetüchtigkeit derjenigen großen Dampfer, die auch für deutsche Rechnung noh vielfah auf ausländischen, insbesondere englischen Werften getaut werden, reidéseitig kontrolieren? Also, meine Herren, ih glaube, daz bei dem Wege, den wir uns vorgezeicnet baben, nicht allein die Gewähr für eine ausreichende Baufkfontrole vorhanden ift, sondern daß dieser Weg auch der praktischere und gegenüber der Stimmung in den betheiligten Kreisen allein gangbare ift. Was würde es uns helfen, mit einem Gesetz vorzutreten, welches eine Reichskontrole über den Schiffsbau einführt, wenn wir hon be- fürhten müssen und das ist nah den Aeußerungen der Bundes- Seestaaten außer Zweifel —, im Bundesrath damit nit durchzu- dringen! Und was würde es uns helfen, wenn gegenüber der Stim- mung, die ich Ihnen vorhin geschildert habe, das Geseg au wirklich an den Reichstag fäme und man uns darauf hinwiese, daß tasjenige, was wir erreihen wollen, sehr viel billiger zu haben sci, roenn man

und unter Benußung der bereits vorhandenen Organisation auf die Durdhführung der Schiffsbaukontrole Bedacht nimmt ?

“Aber, meine Herren, gleiGwohl ist das_niht das. leßte Wort, und mit gutem Vorbedaht hat der Herr Reichskanzler darauf hingewiesen, daß, wenn sih auf diesem Wege irgend welhe Mängel zeigen, dann die, verbündeten Regierungen sh nicht werden versagén fönnen, auf die Einführung einer Staatskontrole hinzuwirken. Warten wir daher ab, ob dieser Weg nit zum Ziele führt, und ih werde der erste sein, der, wenn das Ziel auf dem beschrittenen Wege uit erreicht werden follte, befürworten wird, daß wir auf dem anderen Wege vorangehen. Ich will übrigens dabei noh in Parenthese bemerken, daß, was die Kontrole über die Auswandererschiffe anlangt, wir {hon jeßt im Besig einer Staats- bezw. Reichskontrole uns befinden. Und auch die „Elbe“ ist vor ihrer Ausfahrt von dem Reichskommissar für das Auswanderungswesen auf ihre Seetüchtigkeit untersucht worden. Außerdem is die „Elbe“ worauf ich ausdrück- lih hinweise früher gelegentliÞh als Reichs - Postdampfer in der australishen Fahrt verwendet und vor dieser Verwendung an der Hand derjenigen Vorschriften geprüft worden, die wir in unseren Verträgen mit dem Norddeutschen Lloyd bezügli der Sicherheits- vorrihtungen getroffen haben; und diese Vorschriften sind ftrenger als diejenigen, die in England für die Passagierdampfer bestehen.

Ich babe hier einen Plan von dem verunglückten Schiff, und die Herren werden \ich daraus überzeugen, . daß das Schiff 7 Schotten gehabt hat. Bei der Prüfung sind die Schotten auf ihre Dichtigkeit untersuht wordea, und nah den bis jeßt gepflogenen Ver- nehmungen der allerdings sehr wenigen Ueberlebenden von der Be- saßung und den Passagieren der „Elbe“ is anzunehmen, daß das schnelle Sinken des Schiffes darauf zurückzuführen ist, daß eins von diesen 7 Schotten gleichzeitig mit der Verlegung der Backbord- wand des Schiffes durstoßen ist. Dadurch ift es gekommen, daß drei Kompartimente des Schiffes unter Wasser geseßt wurden : einmal das Kompartiment, in welches der Stoß der „Crathie" hineingegangen ist, dann das neben diesem Kompartiment liegende, durch das vorleßte. Schott davon getrenute Maschinen-Kompartiment und \{ließlich das Kom- pariiment des Kesselraums. Leßteres mußte si füllen, weil die Thür zwischen diesem Kompartiment und dem Maschinenraum während des Betriebs nicht ges{lossen gehalten werden konnte. Das Schiff mußte, als es in die australishe Fahrt eingestellt wurde, vertragsmäßig so kon- \truiert fein, daß es bei dem Volllaufen von zwei Kompartimenten noch s{wimmfähig blieb. Aber dieser Forderung liegt immer die Voraus- feßung zu Grunde, daß nit außergewöhnliche Verhältnisse einwirken. Besondere ungünstige Umstände machen immer einen andern Ausgang möglih. Das wird auch in den Erörterungen der britischen Kom- mission über die Schottenfrage anerkannt, insofern diese die Unversink- barkeit beim Volllaufen zweier Abtheilungen nur bei günstigen Witterungs8verhältnissen für erreihbar hält. Solche außergewöhnlichen Verhältnisse haben bcim Untergang der „Elbe*® aber in vollem Maße vorgelegen. Wäre gutes Wetter gewesen und hätte nah den Ladungsverhältnissen das Schiff nur bis 50 % feines Raumes volllaufen können, so würde unzweifelhaft die „Elbe“ s{hwimmfähig geblieben sein wenigstens für eine längere Dauer, als sie sich thatsählit auf dem Wasser gehalten hat. Die Umstände waren aber außergewöhnlih ungünstig, es war stürmische Witterung und \{chwerer Seegang, und das Schiff ist infolge der starken Schlagseite sehr bald gekentert, was es wahrscheinlich unter anderen Verhältnissen nicht gethan hätte.

Also, meine Herren, so beklagenswerth dieser Unfall ist, so sehr er unsere lebhafte und werkthätige Theilnahme herausfordert, und so dringend er auch von neuem darauf hinweist, daß alles gesehen muß, um das Leben und die Gesundheit unserer seefahrenden Bevölkerung und der Passagiere, die ihren Weg über den Ozean nehmen, sicher zu stellen, so glaube ih doch nit, daß er die Frage zur Neife gefördert hat, ob nit jeßt hon von Reichswegen eine Schiffskontrole einzu- führen ist. Ih habe nach den mir vorliegenden Aeußerungen die Meinung, daß wir auf dem Wege, den wir uns vorgezeihnet haben, au zum Ziel kommen, ohne unseren Schiffsbau in einen seiner Ent- wickelung vielleicht niht förderlihßen Zwang zu fesseln. Die unge- meine Entwickelung, welche unsere deutshe Handelsflotte, namentli unsere Dampferflotte, im leßten Jahrzehnt genommen, die Stellung, die sie im Weltverkehr errungen hat, rechtfertigt das Vertrauen, daß unser Schiffbau auf gesunder Grundlage beruht. Jch habe deshalb den Glauben, daß wir zur Einführung einer Reichékontrole dieses Schiffbaues einstweilen keine zwingende Veranlassung haben.

Deshalb, meine Herren, lassen Sie uns zunächst abwarten, was die Maßregeln, die die Regierung eingeleitet hat und deren Durh- führung sie ihre sorgsame Fürsorge zuwendet, für eine Wirkung haben werden. Bleibt die Wirkung hinter den berechtigten Erwartungen zurück, so wird man die Frage, ob. nicht von Reichswegen eine Sciffbaukontrole einzuführen sei, wieder aufnehmen können.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Ih bin dur die Erklärungen des Reichékanzlers völlig befriedigt, zumal ih aus seinen Autführungen die Beruhigung geschöpft habe, daß, sobald es fich herausstellt, daß der jeßt eingeshlagene Weg nicht zum Ziel führt, die Neichskontrole über den Bau der Seeschiffe eingeführt werden wird. Zu meinem Bedauern ist bei den bisherigen Erörterungen nur die eine Seite der Ae, die Auêrüstung der Schiffe, in Betracht gezogen worden. ichtiger nohch als diese erscheint mir die Frage des Seestraßenrehts. Was nüßen alle Vorschristen über das Verhalten zur See, wenn fo ein wilder Engländer dieselben zu Schanden matt! Eine internationale Regelung der Frage der Verschärfung dieser Vorschriften ist unbedingt geboten. Die Ansicht des Abg. Singer, daß sih die Kosten einer größeren Sicherung der Seeschiffe bezahlt machen würden dur den größeren Zufluß an Passagieren, kann ich auf Grund meinec Erfahrungen nicht theilen. Der Leichtsiun, mit welchem die Amerikaner wie die Eisenbahnen, fo auch die See befahren, ist mit Worten gar nicht zu ershöpfen. Meine politischen Freunde empfinden das Bedürfniß, durch mi einerseits der Theilnahme Ausdruck zu geben an dem Un- glück, welches so viele Angehörige unserer Natjon betroffen hat, andererseits aber auch dem Norddeutschen Lloyd, und zwar den Unter- nehmern wie der Mannschaft, ihre Anerkennung auszusprechen. Der Norddeutsche Lloyd kann nit u jenen Aktiengesellschaften geworfen werden, von welchen der Abg. Singer meinte, ihr t: p Ziel und Sireben sei der Gelderwerb. Es is unmögli, den orddeutshen Lloyd für das Unglü{ck verantwortlich zu machen, welches die „Elbe“ betroffen hat.

Staatssekretär des Janern, Staats - Minister Dr. von Boetticher:

Ich wollte an der Hand der Anregung, die der Herr Vorredner

gegeben hat, mir nur noch- eine Bemerkung über das Seestraßenreht

erlauben, die ih vorhin unterlassen habe, weil ich glaubte, sie sei

auf See, die aber leider niht immer beachtet werden; das

ja. au der vorliegende traurige Fall. Diese Vorschriften sind indessen als korrefturbedürftig erahtet worden, und es is deshalb eine inter, nationale Konserenz zu Washington abgehalten, auf welcher man über verbesserte Vorschriften für das Seestraßenreht verständigt hat. Diese Vorschriften haben leider noch nicht eingeführt werden können, und zwar deswegen nicht, weil eine der betheiligten Regierungen ih glaube, der Herr Reichskanzler hat sie {on genannt, - dje englishe— wegen Schwierigkeiten in Bezug auf die Durchführung einzelner Detailvorschriften Anstoß genommen hat, die Einführung mit dem ursprünglih in Auésiht genommenen Termin vorzunehmen. Nat dem gegenwärtigen Stand der Sache darf erwartet werden, daß hr Eintritt des nächsten Winters diese verbesserten Vorschriften aut boy sämmtlichen scefahrenden Mächten eingeführt sein werden.

Nun hat der Herr Vorredner mit Recht hervorgehoben, dah es sich nit - allein darum handle, gute Vorschriften zu erlassen, sondern auch die Durchführung dieser Vorschriften sicher zu tellen. In dieser Beziehung ist bei uns in Deutschland Verbesserung getroffen, Wir haben durch unser See-Unfallgeseß Bestimmungenen erlassen, welhe doch cine recht fräftige Gewähr dafür geben, daß die inter. nationalen Vorschriften über das Seestraßenrecht nun auch von unseren Kapitänen beachtet ‘werden. Das Gesetz schreibt ausdrücklih vor, daß bei allen See-Unfällen die Untersuhung dur das Seeamt sich darauf zu erstrecken hat, ob die Vorschriften gegen das Zusammenstoßen der Schiffe befolgt sind. Es ist für mich gar fein Zweifel, daß, wenn ein deutsher Kapitän die „Crathie*“ geführt hâtte, und wenn die „Crathie“ die „Elbe“ so angefahren hätte, wie das am 30. Januar geschehen ist, daß diesem Kapitän unzweifelhaft auf Grund unseres See-Unfallgeseßes das Patent als Schiffer entzogen worden wäre. (Hört! hört! und fehr richtig) Denn \{on jeßt ist es internationale Vorschrift, daß beim Kreuzen der Kurse von zwei Schiffen auf See dasjenige Dampf, \c{iff ausweihen muß, welches das andere an der Steuer: bordseite hat. Es besteht weiter die unzweifelhafte Vorschrift, daß dasjenige Schiff, welchem ausgewichen werden muß, seinen Kurs bej zubehalten hat, damit die Manöver des autweichepflihtigen Schiff niht gestört werden. Nah Lage der Dinge durfte dew gemäß die „Elbe“ garniht ausweichen, sie war vielmehr ver pflichtet, ihren Kurs beizubehalten, und ihrerseits abzuwarten, daß die „Crathie" aus dem Wege gehen würde. Das ist nicht gesehen, und damit ist so s{chwer gegen die Regeln tes inter- nationalen Seestraßenrechts verstoßen, daß, wie gesagt, in Deutshland nicht der leiseste Zweifel darüber auflommen würde, daß dem Kapitän das Schifferpatent entzogen würde.

Nun habe ich noch eine Bemerkung gegenüber der Behauptung des Herrn Abg. Singer, daß der Seemann so ganz \{ubßlos gegen- über dem Rheder dastehe, namentli gar kein Mittel habe, zu verhindern, daß das Schiff überladen werde, und da- dur einer größeren Seegefahr ausgeseßt sei. So liegt die Sache doch niht. Nach § 47 unserer Seemannsordnung kann jeder Seemann, der für ein Schiff angebeuert ist, welhes nah feiner Meinung überladen ift, Beschwerde beim Scemannsamt führen, und eine Unterfuhung desfelben veranlassen. Das Seemannsamt ist dan verpflichtet, einer begründeten Beschwerde abzuhelfen. Jh kann ak mittheilen und das ist auch ein Zeugniß für das Pflichtbewußtsen unserer RNhedereien auf diesem Gebiet daß während des mehr als zwanzigjährigen Bestehens dieses Geseßzes nur 27 Beschwerden von Seeleuten eingegangen sind, und von diesen 27 Beschwerden \ich in Summa nur 9 als begründet herausgestellt haben. Also der Seemann ist niht rechtlos, dem Seemann wird sein Recht, wean er si an die geseßmäßig zur Untersuchung seiner Beshwerden berufene Stelle wendet.

Abg. Freiherr von Manteuffel (kons.): Schärfere Bestim- mungen für den internationalen Seeverkehr find dringend wünschens- werth. Es ist do wunderbar, daß die Regierung derjenigen Nation sich dagegen fträubt, deren Blätter die tapfere Mannschaft unseres Schiffes shmähen, das durch die Schuld eines ihrer Schiffe gesunken ist. Es muß darauf gesehen werden, daß die rüdsichtslosen, die „wilden' Engländer, wie der Abg. Lieber sie nennt, die internationalen Vor schriften auch beachten ; sonst sind wir, als die Chrlichen, der leidende Theil. Vielleicht läßt ih in ciner internationalen Vereinbarung auch daî festseßen, daß Schiffe na einer Kollision sich länger ‘an Ort un! Stelle aufhalten müssen, als im vorliegenden Falle die „Crathi:“ Alles das schließt aber die Forderung nicht aus, daß die Schiffe |

ebaut werden, daß sie einer Gefahr möglichst begegnen können, er Abg. Jebsen meinte, es sei niht angezeigt, den ganzen Schiffe park von Neichsivegen zu beaufsichtigen. Das wollen wir ja gar nicht. Wir wollen nur, daß der Schiffbau beaufsichtigt wird. Offene Schotten sind immer eine große Gefahr für das Schiff. Wenn man sagt, daß auf offener See oder im Kanal das Sinken der Schiffe überhaupt nit verhindert werden kann, fo ist das ja richtig; wohl aber kann man das rasche Sinken verhindern und da- durch Menschenleben retten. Mit der Statistik über die Unglüdt- fälle der Schiffe ist wegen der Verschiedenheit der Klafsifikation in den verschiedenen Ländern nicht viel anzufangen. Der Abg. Jebsen leugnete das Bedürfniß einer Aufsicht von Reichswegen. Mit Unredht! Der Bau der Schiffe is gegenwärtig völlig unbeaufsichtig?. Kontroliert wird das Schiff nur vor * der Ausreise in Bezug auf seine Ausrüstung. Ich bringe der _See-Berufs- genofsenshaft volles Vertrauen entgegen; aber sie kann ja nicht die Kontrole so übernehmen, wie es nöthig wäre. Dazu kommt, daß der Germanische Lloyd heute noch nicht dem Britischen Lloyd ebenbürtig gegenübersteht; vas kann uns doc) niht dahin führen, das Abkommen der Seeunfall - Berufsgenossenschaft mit dem Ger manischen Lloyd für genügend zu erachten. Ueberdies giebt es ja sehr viele Schiffe, die gacniht klassifiziert sind. Zu erwägen wäre ferner behufs Verhütung von Unfällen die Ausrüstung des Schiffs mit einem besonderen Doppelboden außer den Schotten, ferner mit doppelten Maschinen und Schrauben. Sodann müßte der Ueberlaftung der Offiziere und Mannschaften mit Arbeit vorgebeugt werden. Eine größere Sicherheit wäre auch zu_ erzielen durch eine eringe Herabseßung der Geschwindigkeit der Schiffe. Der Abg, Lieder hat zu der Regierung das Vertrauen, daf fie eine Reiché-

kontrole einführen wird, wenn die Erfahrungen ihre Nothwendigkeit herausstellen. Möge nicht erst ein neues Unglück die Ursache sein, dit zu einer Reichskontrole führt ! Í /

Abg. Möller (nl.): Die Pflichterfüllung der Besaßung der „Elbe“ is über jeden Zweifel erhaben; die Schuld an dem Ungll: trifft allein das englishe Schiff. Die Zahlen, die der Staatê- sekretär über die Verluste der deutshen Rhederei angeführt hat,

perdienen doch eine hohe Beachtung. Unsere Schiffe werde! solider gebaut als bei allen anderen Nationen; na dem Urtoeil des Germanishen Lloyd sind die deutschen Schiffe diejenigen, die am besten übers Meer fahren. Auch L deuischen Rheder muß ih gegenüber den agitatorischen Angriffen d Abg. Singer in Schuß nehmen und ihnen das Zeugniß ausstellett, daß sie von ten Nhedern keiner anderen Nation übertroffen werdén-

durch die Erklärungen des Herrn Reichskanzlers schon vollständig

im Wege der Selbstverwaltung, die dem Zuge der Zeit entspricht,

erledigt.

Die große Mebrzahl unserer Bremer und Hamburger Nheder ist sd ¡ threr hohen Pflicht und ihrer großen Verantwortlichkeit voll bewußt

Wir haben bereits internationale Vorschriften über dea Verkehr J

« Hinsichtlih der Klafsifikation der Schiffe sind jeßt die SŒwieria- n ies beseitigt, ‘die ‘einer internationalen Regelung ddes. i Frags

und einem Zusammenschluß wenigstens aller größeren Rhevereien Emen: ¡Die Erhöhung der Prämien um 4, 5, 6 Prozent für Rheder, die den Vorschriften betreffs rihtiger Beladung und See- tüchtigkeit ihrer Säiffe niht genügen, follte auch für Herrn Singer beweisfkräftig dafür fein, daß die See-Berufsgenossenschaft:- ih nicht von fapitalistishen Interessen leiten läßt. Eine Reichékontrole würde nur eine unnöthige Vertheuerung herbeiführen, ohne größere Sicher- heitsgarantien zu geben.

Abg. Rik ert (fr. Vg.) erklärt beim Etat des Neihs8amts des Innern auf die Frage zurückommen zu wollen. Für jeßt fei er durch die Aus- ührungen des Reichskanzlers und des Staatssekretärs befriedigt. Den

eamten des Norddeutschen Lloyd zolle auch er volle Anerkennung.

Abg. Bebel (Soz.) verzichtet für jeßt auf das Wort, bebält fich aber vor, ebenfalls bei dem Etat des Reichsamts des Innern auf die Verbandlung zurückzukommen.

Abg. Freiherr von Stumm-Halberg (Np.): Die vollste An- erkennung ist den Mannschaften der „Elbe“ {hon ausgesprochen worden. Wenn man fagt, daß Unglücksfälle nicht zu verhindern seien, so be- streite ih das do in gewissem Maße. Wenn die „Elbe“ statt der fieben, zwanzig Schotten gehabt hätte, so wäre der Fall vielleicht anders verlaufen. Von einer regelmäßigen Ueberwachung der Schiffe ist nicht die Rede. Wir wollen nur den Bau der Schiffe überwacht wissen. Jch halte die Unternehmer zwar für einen gewissenhaften Stand, aber ih möchte doch nicht zu sehr Nücksicht auf ihr Portemonnaie nehmen. Ich selbst bin Vorsißender einer Berufsgenossenschaft ; ich weiß aber fehr genau, daß die geseßlihen Vorschriften nicht genügen, alle Unglückefälle zu verhüten. Wenn das Reich Borschriften für den Bau von Schiffen macht und den Bau beaufsichtigen lassen will, darf auf nihts Anderes Rücksicht genommen werden; - denn es handelt ih hier um etne zu wichtige Angelegenheit. ch möchte hoffen und wünschen, daß die Regierung bald zu einer Entscheidung in dieser Sache komme. Sollten die Verhandlungen mit der Beru)sgenossens{haft und dem Germanischen Lloyd nit zum gewünschten Ende führen und die Re- gierung dann niht auf unseren Wunsch zurückemmwmen, so behalte ih mir vor, im nächsten Jahre felbst einen formellen Antrag zu stellen.

„Abg. Hahn (b.k. F.) weist darauf hin, daß die Führer der großen Schiffe sih niht mehr um alle Einzelheiten fümmern könnten, dies bleibe den Schiffsoffizieren überlassen. Leider jeien die Offiziere zum theil pekuniär noch nit angemessen gestellt.

iermit ist die Jnterpellation erledigt. | hne Debatte wird der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Konsulatskosten, in erster und zweiter Lesung an- genommen.

Schluß 51/2 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 16. Sißung vom Sonnabend, 9. Februar.

Ueber den Beginn der Sizung is in der Sonnabend- Nummer d. Bl. berichtet worden.

In der fortgeseßten Berathung des Etats der Eisen- bahn-Verwaltung (Einnahmen aus dem Güter- verkehr) nimmt nah dem Abg. Dr. Beumer (nl.) das Wort der

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Der Herr Vorredner ist zroar {hon so freundlih gewesen, nicht nur mir meine Erwiderung auf seine Ausführungen in den Mund zu legen, sondern auch sie glei {chon zu beantworten. Das enthebt mich aber doch ait der Verpflichtung, auf einzelne Gründe näher einzugehen, die meines Erachtens durchs{chlagend sind, um das Verhalten der Reichseisenbahnen zu rechtfertigen. Ih möchte

aber zunächst darauf aufmerksam machen, daß die ganze Ängelegenheit,

die hier von dem Herrn Vorredner berührt ist, vollständig außerhalb des Rahmens der preußischen Staatseisenbahnverwaltung liegt; die preußische Staatseisenbahnverwaltung ist nit mit einem einzigen Kilometer an der Angelegenheit betheiligt.

, Meine Herren, es is richtig, daß derartige Tarife aufgestellt worden sind zum Export von lothringischen und luxemburgischen Minetten über Antwerpen nach England. - Die Ermäßigung für diese Tarife hat aber die belgische Staatsbahnverwaltung beziehungsweise die Prinz Heinrich - Bahn getragen. Die Neichs- Eifenbahnverwaltung hat für Erze überhaupt Ermäßigungen bis jeßt nur gegeben nah der Ruhr und nah der Saar, an denen sie streng genommen fein eigenes Interesse hatte und die deswegen bei mir als Chef der Reichs-Eisenbahnverwaltung zunächst Bedenken hervorgerufen haben.

Meine Herren, diese Bedenken liegen erstens auf dem fihanziellen Gebiete. Die Reichseisenbahnen sind genöthigt, für kurze Distanzen zu verhältnißmäßig wenig lohnenden Tarifen zu fahren. Die Neichs- eisenbahnen haben si aber an den Ermäßigungen, die die preußischen Staatseisenbahnen. für Ruhr und Saar und hauptsählich für die Ruhr gewährt haben, betheiligt, um den einheimischen Minette-Berg- bau zu fördern, um der Noheifenindustrie in jenen Bezirken es zu er- möglichen, ihre Produktion verbilligen zu können. i

Meine Herren, die Reichseisenbahnen batten aber auch nach einer anderen Richtung hin noch gerechtfertigte Bedenken. Bekanntlich be- steht innerhalb des Gebiets der Reichseisenbahnen in Lothringen und in Luxemburg eine sehr erhebliche und an Bedeutung wachsende Rokb- eiscnindustrie, deren Interessen die Neichseisenbahnen in erster Linie zu vertreten haben, deren Vertretung auch insbesondere von der [uremburgishen Regierung mit aller Bestimmtheit und mit Recht erwartet wird. Denn bei der Uebertragung des Betriebs auf die luremburgishen Bahnen hat die luxemburgische Regierung es zur Bedingung gemacht, daß alle Ermäßigungen, die etwa gewährt würden auf den lothringishen Bahnen, auch den luxemburgishen Bahnen zu gute kommen. Ein Ausgleich ist durch Ermäßigung der Koksfrahten gewährt. Es ann meines Erachtens aber andererseits den Reichseisenvahnen durhaus kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn sie fih an den Exporttarifen für Produkte des luxemburgishen und des lothringischen Bergbaues betheiligen, und zwar, soviel mir bekannt, nur dur Anstoß ihrer Tarife bezw. dur Uebernahme von Konkurrenzsäßen der Prinz Heinrih-Bahn. Meine Herren, Ermäßigungen, die etwa gewährt werden können auf seiten der Reichseisenbahnen, würden verhältnißmäßig au nicht groß sein, da die Entfernungen von den Minecttegruben bis zur belgischen Grenze nur kurze sind. Der Tarif ift, soviel wir bekannt, noch nit eingeführt; es wird vielmehr noch darüber verhandelt.

Meine Herren, der Herr Vorredner hat dann ferner außgefübrt, daß. diefes Verhalten der Reichéeisenbahnen, der Prinz Heinrih-Bahn und der belgishen Staatsbahn dahin führen müßte, die Produktion des Roheisens an der Ruhr ungünstiger der Konkurrenz gegenüber zu stellen. Ich habe in -dem-längeren. Vortrage des Herrn Vorredners eine Bemerkung vermißt, daß die preußihe Staatsbahnverwaltung fehr erheblich ermäßigte Erztarife für die Ruhr bereits eingeführt hat ; ih habe

ferner vergebens darauf gewartet, was dem Herrn Vorredner - jeden- falls nicht unbekannt war, daß auch in neuester Zeit noch -Verhand- lungen {weben über fernere Ermäßigungen der Erztarife: nah Luxem- burg und Lothringen. (Zuruf.) Dann babe ih also Recht gehabt.

Ich bin au der Meinung, daß es Pflicht der Staats-Fisenbahn- verwaltung ift, an ihrem. Theil dafür zu sorgen, daß die Produktions- bedingungen - unserer einheimischen Eisenindustrie sih nicht - ihren ausländishen Konkurrenten gegenüber erheblih vershlechtern. Allein, meine Herren, die gedrüdte Lage, in der ih zur Zeit die Roheisen- produktion befindet, bezieht sich niht allein auf unsere einheimische, sondern ist in allen Eisen produzierenden Ländern vorhanden. Wenn Sie die belgischen und englischen Berichte lesen über die Lage, in der sih dort die Roheisenindustrie befindet, so werden. Sie, glaube ich, kein rosigeres Bild erhalten, als uns heute durch den Herrn Vorredner vorgeführt ift. Î

Meine Herren, es ist au vielfach darauf hingewiesen worden, daß unsere Tarife für \olhe Rohprodukte, die die Noheisenindustrie konsumiert, erheblih Höher seien, als die Tarife unserer konkurrierenden Nachbarn. Jh habe hier vorliegen eine Zusammenstellung der Tarif- säße für Roheisen und Eisenerze in Belgien ; daraus ergiebt sich zunächst, daß, was die Tarife für Eisenerze nah den Hochofenstationen betrifft, allerdings eine wesentliche Differenz zu Gunsten Belgiens be- steht; dagegen sind die Säge für Koks und Roheisen bei uns niedriger, wodurch in vielen Fällen ein Ausgleich sich herausstellt.

Wie gesagt, {weben zur Zeit die Verhandlungen, ob es mögli sein wird, die Tarife für den Bezug lothringisher und luxemburger Minette weiter zu verbilligen. Die Schwierigkeiten, die ih vorhin erwähnt habe bezüglich der Betheiligung der Reichseisenbahnen an diesen Ermäßigungen, sind natürlich, je weiter die Ermäßigungen gehen, desto {ärfer hervortretend. Ich hoffe aber, daß es gelingen wird, die Schwierigkeiten in nit zu ferner Zeit zu überwinden.

„, Abg. Graf von Kaniß (fons.): Die von dem Abg. Beumer er- wähnten internationalen Tarifmaßregeln sind zweifellos zu bedauern ; es fragt sich nur, was die preußische Staatsbahnverwaltung dagegen thun kann. Cine geeignete Maßregel würde vielleicht die sein, daß auf den preußifhen Staatsbahnen der Exporttarif für Ruhrkohlen und Koks nah Belgien erhöht würde. Dem Herrn Finanz-Minister sage ih Dank, daß er sh gestern unumwunden im Prinzip für eine durgreifende Reform unseres Gütertauifs ausgesprohen hat. Er hat dabei auh eingehend von den Staffeltarifen gesprochen, denen ih vor allen anderen Tarifen den Vorzug gebe. Wenn er aber die egens- wärtige Zeit nit für geeignet hält, eine Tarifreform vorzunehmen, wenn er auf die ungünstige Finanzlage und die Verschiebungen durh die Reform hinweist und deshalb den Wunsch ausspricht, daß wir erst bessere Zeiten abwarten mögen, so bedeutet das einen Aufshub ad calendas Graecas. Wann follen wir denn eine Besserung erwarten ? Verschiebungen ergeben sih aus jeder großen wirthschaftlichen eis regel, Verschiebungen ergeben fih aber au aus der heutigen Ungleich- heit der Larifsäße. Eine Tarifreform dürfte sih niht auf die Einführung von Staffeltarifen beshränken, sondern müßte auch eine genügende Güterklassififation einführen. Wir haben jeßt nur vier Klassen in unferem Tarifsystem, „die natürlih nicht ausreichend sind, um alle die unzähligen verschiedenen Transpertwaaren gerecht zu tarifieren. Dadurch sind die vielen Ausuahmetarife entstanden, worunter wir \hwer leiden. Die Disparität, die zur Zeit der Privatbahnen herrshte, und die {hon der Minister von Maybach zu beseitigen versprach, ist noch heute vorhanden. An die Stelle der Differential- tarise ist ein „ganzes Heer von Ausnahmetarifen getreten. Wir können niht mit einem Schlage die Reform einführen; wir wollen allmählich vorgehen, um die Staatsfinanzen niht zu sehr in Mit- [leidenfchaft zu ziehen. _Es wird sih alles so mali lassen, daß die Einnahmen der Eisenbahnverwaltung dieselben - bleiben, vielleicht ih noch erhöhen. Wenn die Staffeltarife volkswirthschaftlih das Nichtige sind, dann haben sie au auf die Finanzen einen gün|tigen Einfluß. Die Wiedereinführung eines Staffeltarifs wird dem Westen und Süden Deutschlands nicht den Schaden bringen, den man früher befürhtete. Nicht das Getreide aus Osten kommt jegt in Betraht, sfondern das überseeishe aus Argentinien. Wenn im Westen theilweise über die Aufhebung - des Identitätsnachweises geklagt wird, \o liegt das daran, daß das russische Getreide nah dem Handelsvertrag auf unsere Staatsbahnen zu den Tarifen übernommen werden muß, die die russishe Regierung vor- freibt. Dadurh wird das russishe Getreide im Lande verbreitet, das im Lande gebaute Getreide aus dem Lande hinausgedrängt. Jch möchte den Herrn Eisenbahn- Minister bitten, wenn es in seiner Macht steht, recht bald dahin zu wirken, daß die Disparität zwischen der Behandlung des russishen und des deutshen Getreides aufgehoben wird; das russishe Getreide wird nad Häfen wle Königsberg zu 14 HZ befördert, während wir für unser Getreide 43 4 bezahlen müssen. Die fortwährenden Klagen unserer östlihen Landwirthe ließen ih vielleicht zum Schweigen bringen, wenn- unser deutshes Getreide auf den Strecken, um die es sich hierbei handelt, zu demselben Tarif befördert würde, wie das russishe. Ih möchte im allgemeinen um eine Tarifreform auf der Grundlage der Staffeltarife bitten, wenn auch dieser Schritt nicht plößlich, sondern uur sehr allmählih geschehen kann. Jch halte ihn aber für wihtig im Interesse unserer Finanzen, wie zur Hebung des Volkswohls.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Der Abg. Graf Kaniß hat meine Aeußerungen woÿl nit ganz richtig aufgefaßt. Jch habe mich dabin ausgesprochen das will ich zuerst mittheilen —, daß ich auf die Reform der Gütertarife weit größeres Gewicht lege, wie auf die der Personal- tarife, und in der gegenwärtigen Finanzlage keinerlei Möglichkeit er- blicke, einen wesentlihen Einnahmeverlust an den Personentarifen zu erleiden. Wenn also zu einer Neform geschritten werden soll in dieser Beziehung bin ih mit Herrn Dr. Beumer durchaus einver- standen —, so muß diese Neform sich nah meiner Auffassung zuerst und vor allem auf die Gütertarife erstrecken.

Zweitens habe ih meine persönliche Meinung dahin ausgesprochen, daß als Grundlage unseres ganzen Tarifwesens, namentlih im Hin- blick auf die Lage Preußens, langgestreckt von Osten nah Westen: Vebershuß-Provinzen in ländlichen Produkten im Osten, Bedarf im Westen; Ueberschuß im Westen an Industrieprodukten, Bedarf im Osten —, sich vorzugsweise für uns als Grundlage unseres ganzen Tarifwesens der Staffeltarif empfiehlt.

Ich habe aber sodann hinzugefügt und zu meiner Freude sehe ich, daß der Herr Graf Kaniß in dieser Beziehungmit mir übereinstimmt —, daß eine plögliche radikale Dur(führung eines solchen Grundsatzes allerdings derartige Verschiebungen in historisch gewordenen Verhält- nissen* herbeiführen würde, daß man dazu nicht rathen kann, daß man vielmehr vorsichtig und allmähliß Schritt für Schritt in dieser Be- ziehung bin ih ganz und gar einverstanden das Ziel, welches ih bezeihnet habe, zu erreihen suchen muß. Wenn ih hervorgehoben habe, daß Reformen im Tarifwesen, welche unzweifelhaft auf eine lange Dauer von Jahren sehr bedeutende Verminderungen unserer Eisenbahnübers{hüsse herbeiführen, in der gegenwärtigen Lage undurchführbar sind und nit angerathen werden

weitige Mittel als Ersaß für diesen Einnahmeverlust zu geben bleibe ih natürlich bei dieser Auffaffung stehen.

Ich bin aber keineswegs der Meinung, daß jede Tarifherabseßzung oder jede Reforin eines Tarifs nothwendig zu ‘einem bedeutenden Ein- nahmeverlust führen“ ‘müsse. (Hört, hört!) Das is niemals meine Meinung gewesen und beishielsweise, wenn ih mi überzeuge, daß durch die Tarifherabsezung ein bedeutender neuer Verkehr auf eine Linie gezogen wird, \o kann sehr wohl die Vergrößerung des

bis zu einem gewissen Grade kompensieren. Genau so steht die Sache mit den Staffeltarifen. Finanziell ist diese Form der Ermäßigung des Tarifwesens verhältnißmäßig die günstigste. Wir haben erlebt, daß, als wir die Staffeltarife für Getreide noch besaßen, die soge- nannten Nothstandstarife über Berlin nah dem Westen hin, kein finanzieller Verlust entstanden is vielmehr eine finanzielle Mehr- einnahme und wahrscheinlich auch ein finanzieller Mehrnettoübershuß.

Ich stehe also durchaus nit auf dem Standpunkt, daß jede Veränderung des Tarifwesens, jede Reform in gegenwärtiger Zeit unbedingt abgelehnt werden muß ; das wird mir aber der Herr Graf Kanit ‘andererseits zugeben, daß wir viel freier uns in der Beziehung auf die Reform des Tarifwesens bewegen. -Fönnen, wenn im übrigen unsere finanziellen Zustände sich gebessert hätten. Man kann jedenfalls mehr ‘riskieren; man geht mit leichterem Herzen an die Sache heran, darüber kann kein Zweifel sein.

Wenn der Herr Graf Kanitz der Meinung ist, daß ih mit einer folhen Aeußerung die Reform ad calendas Graecas verschiebe, \o stehe ih doch nit auf diesem Standpunkt, weil ih der Ueberzeugung bin, daß noch keineswegs eine Neform, eine Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs auésihtslos is weil ih vielmehr der Ueber- zeugung bin, daß nah und nach das ganze deutsche Volk die Ueber- zeugung durchdringen wird, daß eine folche Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs unerläßlich ist in unseren heutigen Tagen. (Bravo!)

Abg. von Detten (Zentr.) bittet, die Tarife für Holztrans- porte aus dem Sauerlande zu ermäßigen, weil sih sonst das Sauer- land mit seinen reichen Holzschäßen an der Lieferung des Bedarfs des westfälischen Industriebezirks nicht betheiligen könne.

Abg. Dr. Lotichius (nl.) empfiehlt eine Herabsetzung der Tarife

für Eisenerze, die von Luxemburg und Elsaß-Lothringen über Ober- Lahnstein nah dem Niederrhein bestimmt find.

, Abg. Ring (kons.) giebt dem Wunsche Ausdruck, die Eisenbahn- ftations-Vorstände möhten die Wagenbesteller benachrichtigen, ob die gewünschten Wagen wirkli gestellt werden können, Ferner bringt der Redner einen Telephonanshluß der Güterstationen in Anregung und beklagt, daß die Wagenbesteller, wenn ihnen größere Wagen, als gewünscht, gestellt werden, die höheren Frachten zahlen müssen. Habe ¿. B. ein Landwirth 600 Zentner Rüben zu transportieren und bestelle er sih dazu drei Wagen, fo müsse er, falls ihm Wagen zu 15 t gestellt werden, für 900 Zentner Transportkosten bezahlen.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat drei Petita vorgebracht : das erste Petitum bezieht ih auf die Wagengestellung für die Rüben- transporte. In dieser Beziehung kann ih nur die Zusage ertheilen, daß, für den Fall es nicht möglich sein sollte, die Wagen rechtzeitig zu gestellen, der Besteller thunlichst benachrihtigt werden o Gs E aber bet pen nicht immer sicher vorauszu- sehenden Wechselfällen des Betriebs niht mögli, umgekehrt eine absolute Zusage für die Gestellung zu ertheilen. Ich gebe zu, daß die Verladung der Rüben si nit immer nach den Wünschen und dem Bedürfniß der Besteller richtet; das liegt aber hauptsählih daran, daß die ganze Rübenverladung si in einer folchen Zeit vollzieht, die überhaupt als Sturm- und Drangperiode bei uns gilt, und daß während dieser Zeit auh häufig ÜUnregelmäßigkeiten vorkommen, troß aller Jnstruktionen und Revisionen. Aber der Herr Abg. Ring mag si versichert halten, daß das, was ih auch bereits in der Budgetkommission ausgeführt habe, au wirklich gehandhabt werden wird: daß die Dispositionen unter thunli{ster Be- rücksichtigung der individuellen Verhältnisse und Bedürfnisse der Land- wirthschaft getroffen werden follen. Generell ist das nit zu machen, sondern es ift nur fo zu helfen, daß man die besonderen Verhältnisse, unter denen die Verladung auf der und der Station, von dem und dem Gut aus sih vollzieht, berücksihtigt. Wenn das geschieht, wird hoffentlih der Herr Abg. Ning auch;zim nächsten Jahre Veranlassung nehmen, mir feinen Dank auszusprechen.

Der zweite Punkt betrifft die Fernsprechanshlüsse. Es ist die Verfügung dahin getroffen, daß überall da, wo sich ein Ver- kehrsbedürfniß herausstellt, ein Anschluß von der Güterervedition an das allgemeine Fernspreherneß hergestellt werden foll: allein, meine Herren, das Fostet 100 A jährli, und das ist hon ein Betrag, womit wir rechnen müssen, und wir können daber das Bedürfniß dann noch niht anerkennen, wenn Ein Verkehrs- interessent sih für einen ‘derartigen Fernsprehans{chluß interefsiert, son- dern wir sind immer davon ausgegangen : es müssen \sich mehrere finden. Wenn also der Herr Abg. Ring eine Genossenschaft in der Richtung bilden will, so wird er jedenfalls bei uns Entgegenkommen finden.

Der dritte Punkt betrifft die Verfügung, die nit allein für den Nübenverkehr, sondern allgemein gegeben worden ift,“ daß mit der Erhöhung der Ladefähigkeit der Wagen auf 12} und auf 15 t in den- jenigen Tarifen, welche ermäßigte Ausnahmesäße gewähren, auch die volle Ladefähigkeit der Frachtberechnung zu Grunde gelegt werden soll. Von dieser Verfügung können wir allgemein nit abgehen. (Hört! hört! rechts.) Es würden all die Vortheile, die für den Verkehr wie für den Betrieb aus dieser Maßregel \ich ergeben haben und die uns namentlich seitens der Verkehrsinteressenten seit langen Jahren immer vorgehalten worden find, mit dem Anspruch, endlich dazu überzugehen, die Ladefähigkeit zu erhöhen, damit rück- gängig gemacht werden; allein ih habe mi bereits in der Budget- kommission bereit erklärt, Anordnungen dahin zu treffen, daß den Verladern am Tage vorher, soweit es irgend möglich ift, die Lade- fähigkeit der einzelnen Wagen mitgetheilt wird; damit wird auh das Hauptbedenken beseitigt sein. Es wird dann der Verlader sih mit seinen Gespannen nach der Ladefähigkeit der Wagen richten können. Meine Herren, ich möchte die Gelegenheit benußten, noch ganz kurz eine statistishe Notiz dem Herrn Abg. Detten entgegenzuhalten, der gésagt hat: die großen Holzbestände des Sauerlandes und Westfalens betheiligen \sih in ganz ungenügender Weise an dem Kon s sum von Grubenhölzern im niederrheinish-westfälishen Revier, und man mußte es erleben, daß der größere Theil dieser Grubenhölzer aus Schweden oder font woher lommt. Meine Herren, das Ruhr-

können, wenn man nit gleidzeitig entschlofsen ist, dem Staat ander-

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revier hat aus der Provinz Westfalen im Jahre 1893 dem [eßte

Massenverkehrs den Verlust an den Tarifsäßen wenigstens