1895 / 38 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 12 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

gehendem Einfluß sein muß. Das Stempelgeseß vom Jahre 1822 tvar daher ausreichend, so lange das Verkehrsleben \ich in denselben einfachen und bescheidenen Bahnen weiter bewegte wie zur Zeit seiner Entstehung. Es vermohte aber niht mehr zu genügen gegenüber dem wirthshaftligen Aufshwung und der fort- shreitenden Entwickelung des ndels und des Verkehrs im Laufe der späteren Zeit und insbesondere der leßten Jahrzehnte. Die Geseßgebung ist zwar stets bemüht gewesen, die hervorgetretenen Mängel zu beseitigen; denn eine erheblite Anzahl einzelner Kabinets- ordres und Geseße hat die am meisten fühlbar gewordenen Lüen er- cânzt und die drückendsten Härten gemildert. Indessen eine durh- ur Abhilfe ist dadurch nicht erreiht wocden. Das geltende eht steht troß seiner häufigen Ergänzungen und Aenderungen den mannigfachen neugebildeten Verkehrs- und Gesellshaftsformen zum theil fremd gegenüber oder giebt in vielerlei Verkehrs- fällen bezüglih seiner Anwendbarkeit zu Zweifeln Anlaß, zu deren Klärung zahllose Entscheidungen der höchsten Verwaltungs- behörden und Gerichtshöfe ergangen find. Das für die Handhabung der \tempelsteuerlihen Vorschriften in Betracht kommende Material hat fich unter folchen Umständen in eine kaum noch übersehbare Menge zerstreut veröffentlihter Ginzelgeseßze und Einzelentscheidungen zersplittert. Es hat infolge dessen fowie durch den Um- stand, daß ganze Theile, wie die Erbschafisfteuer und die auf das Reich übertragenen Stempel (Spielkarten-, Wechsel, Börsenstempel) aus ihm entfernt worden sind, einen folhen Grad von Zusammenhanglosigkeit, Unübersichtlihkeit und Unklarheit erreicht, daß die Bonds der Bestimmungen selb\t für den Fahmann mit wierigkeiten verknüpft, für den Laien kaum noch möglich ist. Wesentlich diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß noch heute nit die Kenntniß des Stempelgeseßes in demjenigen Maße, wie man es bei feinem mehr denn fiebenzigjährigen Bestehen erwarten follte, in die Kreise der reren gedrungen ift und der _ Staatskasse die gebührenden Abgaben vielfah ohne böse Absicht vor- enthalten werden.

Das Interesse sowohl des Steuerfiskus als der Steuerpflichtigen erheisht deshalb des Dringendsten eine Reform der unter anderen Verhältnissen entstandenen und der heutigen Handels- und Verkchrs- entwickelung ¡um großen Theil niht mehr entsprehenden Geseßgebung.

Der gegenwärtige Zeitpunft, zu welhem auch der Entwurf eines preußishen Gerichtskostengeseßes, mit dem die stempelgescßlichen Bestimmungen in vielfachen Beziehungen \tehen, dem Landtag vorgelegt werden sell, ersheint zur FJnangriffnahme einer Neuordnung des gesammten Stempelwesens vorzugsweise geeignet. Das hier und da geäußerte Bedenken, daß mit dem Erlaß eines neuen Stempelgeseßes gewartet werden müsse, bis das in Bearbeitung befindlihe Bürgerlihe Geseßbuh für das Deutsche Reich in Kraft getreten fei, glaubt die Königliche Staats- regierung nit theilen zu können. Denn ebenso wie das Stempel- geseß vom Jahre 1822 sich den gegenwärtig bestehenden verschiedenen NRechts\ystemen hat anpassen lassen, wird auch das neue Stempelgesetz unter der Herrschaft eines einheitlihen Bürgerlichen Geseßbuhs be- stehen können. Das Stempelrecht wird von grundfäßlichen, in jedem Zivilreht wiederkehrenden Rechtsbegriffen beherrs{t, und die Ver- {hiedenheit des bürgerlihen Nets bedingt, wie es die täglihe Er- fahrung lehrt, nur in den seltensten Ausnahmefällen cine verschieden- artige Handhabung der stempelgefeßlihen Bestimmungen.

Der Entwurf erachtet es für seine Ae unter Festhaltung der bisherigen Grundlagen der preußishen Stempelgeseßgebung die zerstreut liegenden Geseße und Verordnungen einheitlih zusammen zu fassen und diejenigen Bestimmungen, welhe sich bis in die Gegen- wart hinein bewährt haben, unberührt zu lassen, andererseits aber veraltete und den Bedürfnissen des heutigen Verkehrs niht mehr ent- sprechende Bestimmungen auszusondern oder zu ändern, vorhandene Lücken zu ergänzen und erkannte Härten durch Herbeiführung einer gerechteren, inébesondere die weniger bemittelten Klassen der Bevölke- rung mehr berüdckfichtigenden Besteuerung zu mildern.

Von diesen efihtspunkten ausgehend, hält der Entwurf an dem Grundsatz des derzeitigen Stempelrehts fest, daß nur die über die Rechtsgeshäfte errichteten Urkunden besteuert werden follen, obwohl cigentlih als Gegenstand der Steuer das Rechtsgeschäft selbt erscheint. Die Rechtsgeschäfte, infoweit sie sich niht durch amtliche Thätigkeit oder unter amtliher Mitwirkung vollziehen, werden von der Steuer- vfliht nur selten erfaßt werden können, ohne daß die Geschäfts- abs{lüsse mit drückenden Ueberwahungsmaßnahmen belastet würden. Die Freiheit des geschäftlichen Verkehrs und die Nücksicht auf die Sicherung des Eingangs der Stempelsteuer erfordern es daher, an Stelle des für die Besteuerung nicht greifbaren Rechtsgeschäfts die e erkennbare Beurkundung deéselben als Objekt der Steuer aufzufassen.

Das- geltende Recht bringt nun das System der Urkunden- besteuerung in seiner vollen Strenge und ohne Nücksiht darauf, ob das beurfundete Geschäft hinterher auch ausgeführt wird, zur Durch- führung, und nicht mit Unrecht trifft es deshalb in dieser Hinsicht der Vorwurf allzu großer Härte. Ein org ‘i Sei 2 ati Verkehr, wie er den Gegenstand der Stempelabgaben bilden foll, vollzieht si thatsächlich nicht, wenn das Geschäft niht erfüllt wird, und die Stempelsteuer erscheint in folhen Fällen oft als eine von einem werthlosen Stück Papier erhobene Abgabe. Wie sehr dies von den Steuerpflihtigen empfunden wird, zeigen die immer wiederkehrenden alltäglihen Beschwerden über Versagung von Stempelerstattungen bei unterbliebener Geschäftsausführung. Der Gesetzentwurf hat daher im verordnet, daß der Stempel erstattet wird, wenn ein beurkundetes Geschäft nichtig ist oder dur gerichtliches Urtheil für ungültig erflärt wird, und daß der Finanz-Minister außerdem aus Billigkeitsgründen die Erstattung an- ordnen fann, wenn die Ausführung eines Geschäfts unterblieben ist. Durch diese den Ertrag aus der Stempelsteuer allerdings erheblih \chmälernde Anordnung wird eine Hauptursache der Klagen und Be- lenken die sih gegen das ftrenge Urkfundenprinzip des gegenwärtigen Gesetzes erheben, beseitigt werden.

Gine andere, in finanzieller Hinsicht ebenfalls nicht unerhebliche Milderung einer sich aus der ftrikten Anwendung der Urkunden- befteuerung ergebenden Härte enthält der § 10 des Entwurfs. Danach foll eine Trennung des Gntgelts bei Rechtsgeshäften über mehrere, verschiedenen Steuersäßen unterliegende Gegenstände noch innerhalb der für die Verwendung des Stempels gegebenen Fristen zulässig sein, während das jeßige Gefeß derartige Trennungen, wenn fie nicht in dem Vertrag felbst, also vor der unterschriftlihen Vollziehung des- selben, vorgenommen werden, unberüdsihtigt E Die Neuerung wird den Betheiligten vorzugêweife bei der Versteuerung von Werk- verdingungsverträgen und in den zahlreihen Fällen zu statten fommen, in denen bei Kaufgeschäften über Grundstücke nebst beweglichem ri: die Trennung des Gesammtpreises nach Grundstücks- und Beilaßwert ir der Kaufurkunde unterblieben ift.

Auch die Grundsäße des § 6 des Gesetzentwurfs über die Er- A des steuerpflihtigen Werths werden im Vergleih zur jezigen Gesezgebung Steuererleihterungen zur Folge haben. Auf die Lebenszeit eines oder mehrerer Menschen bestimmte Nußungen oder Leistungen find zur Zeit mit dem Zwölfeinhalbfahen des ein- jährigen Betrages zu kapitalisieren. Eine solhe Berehnung führt, wie son in den Motiven zum Erbschaftssteuergeseß hervorgehoben ift, zu Härten : dena es ift unbillig, wenn bei Verkäufen von Gütern unter Ausbedingung von Altentheilen, Renten u. \. w. oder beim Weiterverkauf eines {on vorher mit einem Altentheil kelasteten Guts, der Werth des von dem Käufer übernommenen Alten- theils, der Rente u. f. w. untershiedslos und ohne Rücksicht auf das Lebensalter der berechtigten Person stets auf das Zwölfeinhalbfache der E verans{chlagt wird. Der Entwurf {ließt sich deshalb an das Erbschaftsfteuergesey an, wonach für die äßzung des Werths von fol von der Lebensdauer eines oder mehrerer Menschen abhängenden Nutzungen oder Leistungen das schon erreichte Lebensalter der betreffenden Personen maßgebend ift.

Das Bestreben, eiue gerechtere Vertheilung der Stempelabgaben herbeizuführen, is weiter der Anlaß zur Beseitigung einiger dem jeßigen Recht angehörigen Bestimmungen gewejen, durch welche

aste über Gegenftände von geringerem Werth unverbältnißmäßig hoh belastet werden. Der gegenwärtig für gewisse Geschäfte (Zeisionen, unbenannte Verträge, Bollmachten u. \. w.) vorkommende feste Stempel von 1,50 4 hat niht überall Berechtigung; denn daß beispielsweise ein Vertrag über einen Werthgegenstand von 150 (A nicht ebenso hoch besteuert werden darf wie ein Vertrag über einen Gegen- stand im Werthe von 150 000 oder mehr, bedarf keiner weiteren Be- gründung. Feste Stempelabgaben werden in der Regel nur da am Plate sein, wo entweder der Werth des Gegenstandes ein uns{häßbarer ist, oder wo lediglih die Form die Erhebung des Stempels bedingt, wie bei Notariatsurkunden, Protokollen u. deres Wo diese Voraus- seßungen fehlen, da bewirkt der feste tempel eine unbillige Bevorzugung der bohwerthigen Geschäfte im Verhältniß zu den- jenigen niederer Werthe. Nach dem Entwurf follen daher in den geeigneten Fällen an die Stelle des festen Stempels von 1,50 46 mäßige Werthstempel oder angemessen abgestufte Stemrxel treten.

Aus der unsere Gesehgebung mehr und mehr beherrschenden Rük- sicht auf die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen und insbesondere die meistens bedürftige Lage der in Lohn und Dienst stehenden Per- sonen ist eine Reihe von Steuervergünstigungen hervorgegangen. Beispiel8weise sollen Verträge über rbeits- und Dienst- Teisiungen bis zu einem jährlihen Entgelt von 1500 M in Zukunft s\tempelfrei sein, die Stempelpflichtigkeit soll bei Mielhverträgen erst bei einem jährlihen Miethzins von mehr als 300 (4 beginnen, Zeugnisse für Arbeiter über Leistungen im Ge- werbebetriebe des Staats oder der Gemeinden, sowie Zeugnisse für bilfsbedürftige Personen zum Genusse von Woblthaten, Stiftungen u. f. wo. follen ftempelfrei ausgefertigt werden u. dergl.

Von wesentlicher und finanziell ins Gewicht fallender Bedeutung ist ferner die Beschränkung der Stempelpflichtigkeit der Ausfertigungen sowie des Begriffs der amtlichen Zeugnisse auf solce Urkunden, zu deren Ausftellung die Behörde oder der Beamte durch thr Amt be- rufen sind. ‘In der Begründung der betreffenden Tarifstellen ift bier- über das nähere gesagt (vergl. Nr. 6 und 48 der Erläuterungen zum Stempeltarife).

Endlich sind überhaupt niht wieder in den Tarif aufgenommen folgende Tarifstellen der gegenwärtigen Gesetzgebung :

Beilbriefe, Bestätigungen, Bürgerbriefe, Chartepartien, Engagements8-

protokolle, Erbpachtsverträge, Erbzinsverträge, Gutachten der Sach-

verständigen, Lehnbriefe Mafkleratteste, Majorennitätserklärungen,

Mortifikations\heine, Muthscheine, Rekognitionsprotokolle, Reso-

lutionen, Schiffömeßbriefe.

Die genannten Positionen find theils gegenstandëslos geworden, theils eignen sich die bezüglichen Schriftstücke nah der heutigen Ver- kehr8anshauung niht mehr zu Objekten der Besteuerung.

Das den Geseßentwurf überall beherrshende Bestreben, die in der Verwaltungspraxis hervorgetretenen Härten zu beseitigen, wird naturgemäß auf den künftigen Gesammtertrag der Stentpélitéins von niht unwesentlichem Einfluß sein. Es läßt fich annehmen, daß allein die Bestimmungen wegen der Stempelerstatitungen die Einnahmen alljäßhrlich um annähernd 1} Millionen Mark kürzen werden.

Da eine Verringerung des Aufkommens an Stempelsteuer bei der gegenwärtigen Finanzlage vermieden werden mußte, so ergab ih die unbedingte Nothwendigkeit, einerseits die jeßigen Steuer- säge der für die finanzielle Wirkung des Gesetzes hauptsähl:ch in Betracht koramenden Tarifstellen namentlich den für Gruad- stücksveräußerungen bestehenden, im Vergleih mit anderen deutschen und außerdeutschen Staaten ohnehin niedrig bemessenen einprozentigen Werthstempel in der bisherigen Höhe aufrecht zu erhalten, anderer- seits aber auf die Erlangung eines angemessenen Ersaßtes für den zu erwartenden beträchtlichen Ausfall an Stempelsteuer Bedacht zu nehmen.

Die wichtigsten Vorschläge für die Beschaffung diefes Ersatzes sollen bier eine nähere Erläuterung finden.

Wie der Gruntsaß der Besteuerung der Urkunden auf der einen Seite drückende Härten für die Steuerpflichtigen Hervorgerufen hat, so ist er auf der anderen Seite zu Ungunsten der Staats- kasse der Grund von unberehtigten Lücken im fiskalishen Be- steuerungsrechte geworden. Dem wirthschaftlihen Verkehr is es im Laufe der Zeit gelungen, unter Ausnußung unzuläng- lier Geseßesbestimmungen für die Beurkundung gewisser Geschäfte Formen zu finden, die von der Steuerpflichtigkeit nicht oder doch nicht in ausreiendem Maße erfaßt werden, glei- wohl aber zu dem]elben wirthschaftlihen Ergebniß führen wie andere vom Geseß mit hohen Werthstempelabgaben belegte Verkehrsakte. Nach dieser Richtung hin hat sich vor allem der insbesondere auf dem Gebiet der Spekulation mit städtishen Grundstücken auftretende Mißstand, daß die im Wege der Zession erfolgende Ueberlassung der Rechte aus Grundstückskaufverträgen und des Rechts auf Auflassung nicht als Kaufvertrag versteuert werden kann, in besonderem Grade fühlbar gemacht. Die Grundftücks\fpekulanten haben es in der Hand, durch eine nur mit 1,50 4A \tempel- pflihtige Zession ihrer Auflassungsansprüche denselben wirthschaftlichen Grfolg zu erreichen, als wenn fie einen eigentlich doch beabsichtigten und eine unverbhältnißmäßig höhere Steuer erfordernden Weiter- verkauf über das gekaufte Grundstück geschlossen hätten. Zu einer folhen Begünstigung ift ein Anlaß um so weniger vorhanden, als der Grundstücksfpekulant die Grundstücke zumeist für niedrigere Preise er- wirbt und seine Auflafsungsansprüchhe zu höheren Preisen weiterver- äußert. In folhen Fällen erhält der Steuerfiëkus den Werthstempel nur von dem ersten geringeren Preise, während die weiteren Preise nit einmal in den jenen erften Preis übersteigenden Beträgen zur Besteuerung herangezogen werden könnten.

Dieser Mißstand - begünstigt obendrein eine nachtheilige Speku- lation mit namentlih \tädtishen Grundstücken und trägt wesentli zu einer spekulativen Werthsteigerung der von der einen in die andere Hand wandernden Grundstücke bei. Derselbe ermöglicht aber außerdem, daß die Betheiligten je nah dem Wege, den sie zu ihren Geschäfts- zielen infolge ihrer geringeren oder größeren Geschäftskenntniß wählen, verschiedenartig besteuert werden. Es is die Folge einer allzu engen Anlehnung des bisherigen Tarifs an formale juristischWe Begriffe. Wo eine fole Anlchnung, wie in den bezeihneten Fällen, Willkürlichkeiten und Unbilligkeiten nah fih zieht, da ersheint es erforderlich, den wirthshaftlihen Zweck, welher durch den Geschäftsabschluß erreicht werden foll, in den Vordergrund zu stellen und den Stempeltarif unter Loëslösung von den Normen des bürgerlichen Rechts mehr dem thatfählihen Umsay, insbesondere den thatsählich stattgefundenen Eigenthumsbewegungen anzupafsen. Auf diesen Erwägungen beruht die in der Tarifstelle „Abtretung von Nechten“ enthaltene Bestimmung, daß Beurkundungen von Uebertragungen der Rehte des Erwerbers aus Veräußerungsgeschäften über unbeweglihe Sachen und diesen gleihgeahtete Rechte oder über beweglihe Sachen in Betreff der Stempelpsliht wie Beurkundungen von Veräußerungen dieser Sachen behandelt, also an Stekle des Stempels von 1,50 mit dem Werth- stempel von Eins bezw. einem Drittel v. H. belegt werden sollen.

Aus Gründen ähnlicher Art ist der Vorschlag des Entwurfs her- vorgegangen, die auf Erwerb gerichteten Gesellschaftsverträ e ange- messenen Wertbstempeln und zum theil den für Sachperäußerungen vorgeschriebenen Werthftempeln zu unterwerfen, zumal diese Verträge wegen der regelmäßig vorhandenen Anhäufung größerer, zu produktiven oder spekulativen Zwecken dienender Kapitalien und threr bedeutenden Vermögensumsäge eine höhere Besteuerung wohl ertragen können.

Gesfellshäftsverträge bedürfen gegenwärtig zum größten Theil nur des allgemeinen Vertragsftempels von 1,50 4, weil für die Gründunz von Gesellshaften ein besonderer Werthftempel in dem jeßigen G niht vorgesehen i, und das Einbringen von nit in eld bestehendem Vermögen in eine Gesellschaft gegen Gntgelt in der Regel die zivilrechtlihen Merkmale eines Kaufs oder einer ingabe an Zahlungsstatt niht enthält (Entscheidungèn des Reichsgerichts in Z.-S. Bd. 2 S. 303), auch die entgeltlihe Ueberlaffung der Rechte am Gesellshaftsvermögen seitens der Gefellshafter an andere unter den Begriff von Kaufverträgen niht gebraht werden kann (Entscheidungen des Reich8gerihts in Z.-S. Bd. 25 S. 252). Dem wirthschaftlichen Zweck nah handelt es sich auch bei Verträgen der beiden zuleßt erwähnten Arten um die Ueber- tragung beweglicher und unbewegliher Sachen, und erscheint es des-

halb gerechtfertigt, auf diese Urkunden die für Sahveräußerun verträge verordneten Stempelabgaben zur Anwendung zu bringen, anderen Fall würde eine unberechtigte Bevorzugung gerade der gr Kapitalansammlungen vorliegen.

Eine weitere Mehreinnahme is aus der Eisbemit von Stempel- abgaben zu erwarten, die ihre Berehtigung in einer besonderen Fn, anspruchnahme staatli Amtsthätigkeit finden. Das Stempe eh vom Jahre 1822 enthielt neben den Abgaben für den beurfunkel Geschäftsverkehr auch gebührenartige Stempelansäße für die Thätig; keit der Justiz- und Verwaltungsbehörden. Hierin war durch die Gerichtskosten-Gesezgebung des Jahres 1851 insofern eine Aenderung eingetreten, als bei der streitigen Gerichtsbarkeit und einem Theil dex freiwilligen Gerichtsbarkeit Gerichtskosten - Paushquanta eingeführt wurden, welhe die Stempelabgaben mit umfaßten , sodaß diese als solde in Wegfall kamen. Die Stempelabgaben für Akte der Verwaltungsbehörden, nämlich für Ausfertigungen, Atteste, Bestallungen, Konzessionen u. dergl., blieben dagegen bestehen und gingen auch in die Stempeltarife für die im Fahre 1866 neu erworbenen Gebietstheile der Monarchie über. Ihre Zahl wurde aber in dem Gesetz, betreffend die Aufhebung bezw. Ermäßigun gewisser Stempelabgaben, vom 26. März 1873 (Geseß-Samml. S, 131 durch Ausscheidung der den kleinen Verkehr am meisten belästigenden Stempel für Gesuche, Beschwerden, Protokolle u. f. w. noch einmal vermindert, sodaß die gebührenartigen Stempel in den jeßigen Tarifen nur von untergeordneter Natur find und in den geringfügigen Beträgen von 0,50 #4 bis 1,50 erhoben werden. Der Gntwurf beabfichtigt, den Kreis dieser Abgaben zu erweitern. Er geht dabei von der Auffassungaus, daß es eine in der ausgleichenden Gerechtigkeit begründete, in der neueren Gefetgébung, insbesondere im Kommunalabgabengeseßz vom 14. Juli 1893 wieder mehr zur Geltung gekommene Forderung ist, daß derjenige, welcher die Thätigkeit der Behörden für seine Privatinteressen in einem besonderen Grade und vor allen übrigen Staatsbürgern in Anspruch nimmt oder besondere Vor- theile aus der Thätigkeit der Behörden erhält, auch zur Ent- rihtung einer besonderen Abgabe angehalten wird. Die Erhebung von Abgaben dieser Art ist um so gerechtfertigter, als die aus den behördlihen Akten und Ausfertigungen vielfah für den Einzelnen entstehenden großen und dauernden Vermögensvortheile von anderen Steuern nicht ergriffen werden. Aus diesen Erwägungsgründen sind in der Tarifstelle „Erlaubnißertheilungen*“ für eine Anzahl von Genehmigungen der Behörden in gewerbepolizeilihen Angelegenheiten manne Stempelabgaben vorgeschrieben worden, für deren Bemessun; die Nücksicht sowohl auf das von den Behörden aufzuwendende Mas der Mühewaltung als auch auf die Bedeutung der den Betheiligten aus den Genehmigungen entstehenden Vortheile maßgebend gewesen ift.

Insoweit dur die Bestimmungen des Kommunalabgabengeseßzes den Gemeinden die Erhebung von Gebühren der hier in Betracht kommenden Art überwiesen ist, sollen indessen neue staatlihe Gebühren nicht eingeführt werden. Es sind deshalb Gebühren für die Erthei- lung von baupolizeilihen Genehmigungen und Aron derselben nicht in Ansatz gebraht, auch für die Genehmigungen zur Abhaltung von Lustbarkeiten, Musikaufführungen, Singspielen u. \. w. ledigli die bisherigen geringen Steuersäße von 0,50 46 bis 1,50 4 beibehalten,

Gndlih will der Entwurf die Besteuerung der Versicherungs verträge anderweitig ordnen. Das gegenwärtige Gefeß besteuert Ver- sicherungen (Assekuranzpolicen) nah der Prämie mit è vom Hundert und läßt, da alle Schriftstücke, welhe einen Werth von weniger als 150 A haben, einer Stempelabgabe nit unterliegen, auch Versiche- rungépolicen bei einer Prämie von weniger als 150 (4 stempelfrei. Da außerdem Lebensversicherungspolicen nur insoweit stempelpflichtig sind, als die alljährlich zu zahlende Prämie 150 4 oder mehr beträgt, so ift zur Zeit der weitaus größte Theil aller Policen jeder Besteuerung ent- zogen. Das Versicherungswesen hat in den leßten Jahrzehnten auh in Deutschland einen großen Aufshwung genommen, und es muß gewiß verhütet werden, die höchst wohlthätige weitere Ausdehnung desselben durch eine zu hohe steuerlihe Belastung zu hemmen oder wesentlih einzushcänken. Andererseits wird aber auch nit behauptet werden können, daß die in die Form der Versicherung gekleideten Vermögens- umsäte einen Anspruch auf volle Steuerfreiheit hätten. Es ist dabei niht außer Betracht zu lassen, daß in der Regel das Versicherungs-

eschäft ein recht einträglihes Gewerbe ist ‘und aus privatwirth- schaftlichen Gesichtspunkten betrieben wird, sodaß auch aus diesem Grunde es nicht berechtigt sein würde, die Umsäße dieser Art vor anderen übermäßig zu begünstigen. Zudem erfaßt die auf Versiche- rungen gelegte Abgabe in der E die besser situierten Klassen und

nicht selten anjebhnlihe, vorzugsweise dem Luxus dienende Vermögens-

werthe, welche sih jeder anderen Besteuerung entziehen, weil fie ihrem Besiger keine materiellen Erträge, sondern nur einen nah Geld nit {häßbaren Genuß gewähren. Daß das Versicherung8geschäft in der That mäßige Steuern sehr wohl tragen kann, zeigt das Beispiel anderer Staaten, wie ¡Bayern, Bremen, Hamburg, Lübe, Sachsen, Frankreih, Oesterreihß u. w. Die Steuer darf nur feine so wesentlize Vertheuerung der Versicherung herbeiführen, daß dadurch die Neigung zum Versichern beein- trähtigt und eine ungenügende Versicherung oder gar die Unter- lassung der Versiherung zur Regel wird, Diesen Gesichtspunkten trägt der Geseventwarf bei der von ihm in Aussicht genommenen Versteuerung der Versicherungsverträge Rehnung. Der Standpunkt des jegigen Geseßes, welches die Besteuerung nah der Prämie be- mißt und alle Policen, wenn die Prämie den Vetrag von 150 A nicht erreicht, steuerfrei läßt, entbehrf* der inneren Berechtigung. Der Gegenstand der Versicherung bemißt sich naturgemäß niht na der dem Versiberer zu zahlenden Prämie, ohen nah der dadurch erworbenen Forderung des VWVersicherungsnehmers auf die f\tatutmäßig bestimmte Entshädigung. Daß diese Forde rung eine bedingte ist, kann nicht in Betracht kommen, weil \stempelre{chtlich E Verträge überhaupt wie unbedingte zu be- handeln sind. Der Werth des Gegenstandes wird \sich mithin bei Versicherungen immer nah dem Betrage der versiherten Summe und niht nah der Prämie bestimmen, gleichviel, ob die Prämie oder die Versicherungssumme den Maßstab für die Besteuerung bildet. Es liegt daher fein Grund vor, Policen, bei denen die Prämie weniger als 150 M beträgt, von der Besteuerung ganz auszuschließen. Die im Entwurf durhweg na einem Steuersaß von F v. Ÿ: der O e bemessenen Stempel, welhe sich im Durchschnitt ei Feuerversiherungen auf ®/10 H, bei Hagelversicherungen aus 5 A, bei Viehversicherungen auf 14 4, bei Lebensversiche- rungen auf 18 F vom Tausend der versiherten Summe für ein Jaÿr berechnen, sind so SORORN niedrig, daß sic für den Einzelnen eine kaum fühlbare Auflage bilden und wesentlich hinter denjenigen Sätzen zurücbléiben, welche andere deutsche Staaten erheben, wie dies bei der Begründung der Tarifftelle „Versicherungé- verträge“ näher dargelegt ist.

Welche Erträge die in Vorstehendem erörterten, in fd bere- tigten und eine gleichmäßige Vertheilung der Stempelabgaben überall anstrebenden Vorschriften ergeben werden, läßt fih mangels des er- forderlihen statistishen Materials nicht feststellen; die Königliche Staatsregierung glaubt jedo, daß der ge! e der eintretenden Gr- leihterungen und Befreiungen entstehende Ausfall DeEung finden und die Einnahme aus der Stempelsteuer, welche einshließlich der als Gerichtskosten verrechneten Stempel betragen hat:

im Rechnungsjahr 1891/92 . . 33751358 M, Í Ï 1892/93 33523 368...

i ü 1893/94 . . 31933486 , Z eine Verringerun nicht erfahren wird. Sollte diese Erwartung über troffen und das Aufkommen aus der neuen Stempelsteuer eine Stei- gerung erfahren, so kann dieselbe nur eine mibige sein, und wird das Gesammtaufkommen in allen Fällen sehr erheblich hinter den in fast Les Staaten aus der Stempelsteuer erzielten Erträgnifsen zurückbleiben. q

Die für die Höhe der Einnahme wesentlichsten Säße, namentlich dec Immobiliarstempel, sind unverändert geblieben, und die vor eslagend Ergänzungen und Erhöhungen werden bei näherer Betrachtung -n! als übermäßig drückend und den Verkehr belästigend oder gar hemmen sih darstellen.

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

A2 38,

Berlin, Dienstag, den 12. Februar

1895.

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Deutscher Reichstag. 34. Sizung vom Montag, 11. Februar.

Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Bei der Fortsezung der Debatte über den Etat des Reichstags nimmt nah dem Abg. Richter das Wort der

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. von Boetticher: ;

Die Bemerkungen des Herrn Abg. Nichter geben mir zu einer furzen Erwiderung Veranlassung. Vorher will ich aber keinen Zweifel darüber lassen, daß auch ih, und mit mir, wie ih glaube, sämmtliwe Mitglieder des Bundesraths es mit großer Freude be- grüßen würden, wenn es sich ermöglichen ließe, dem Ecsten Be- amten des Reichstags eine Wohnung in dem Hause einzurichten. Wenn dies nicht während des Baues geschehen ift, so liegt das daran, daß bei Feststellung des Bauplans in der Liste der Anforderungen, die in Bezug auf das Raumbedürfniß der Reichstag zu stellen hatte, eine Wohnung für den Direktor nicht in Aussiht ge- nommen, daß der Bauplan also ohne Rücksicht auf dieses Wohnungs- bedürfniß aufgestellt war, und daß, als in einer späteren Periode von diesem Bedürfniß die Rede war, man die Zeit für zu vor- geschritten ansah, um auf dasselbe noch während des Baues Rücksicht zu nehmen.

Es ift aber unleugbar, daß es für die Geschäfte des Reichstags und des Bundesraths von großer Bedeutung ist, wenn der Direktor im Hause eine Wohnung hat, und ih freue mi, daß die angestellte Untersuhung nah der Mittheilung des Herrn Referenten das Ergebniß geliefert hat, daß die Herstellung einer solchen Wohnung möglich ist.

Was nun die Bemerkungen des Herrn Abg. Richter über das Kondominium anlangt, so kann ich ihn darüber beruhigen, daß der Bundesrath ein Kondominium an diesem Hause niht in Anspruch nimmt. (Hört, hört! links.) Er erkennt an, daß das Hausrecht in diesem Hause der Präsident, und zwar im Namen des Reichstags, zu üben hat. Aber der Herr Abg. Richter wird mir au das Zugeständniß machen, daß der Bundesrath berechtigt ist, diejenigen Räume, welche bauplanmäßig und nah den zwishen den Vertretern des Reichstags und des Bundesraths getroffenen Verabredungen für ihn ausgewiesen sind, auch aus\{ließlich für sfich in Anspruch zu nehmen, so also, daß niht eines Tages das Hausrecht des Herrn Präsidenten soweit geht, den Bundesrath zu exmittieren. ‘(Heiterkeit.) Das würde der Herr Abg. Richter auch wahrscheinlich felber niht wünschen; denn fonst würde er uns die Möglichkeit be- nehmen, mit ihm zu diskutieren. Also ih glaube, wir stellen das gegenseitige Verhältniß dahin fest: der Reichstag und sein Präsident haben das Hausrecht zu üben und der Bundesrath hat die Verfügung über diejenigen Räume, welche ihm bauplanmäßig und verabredeter- maßen überwiesen sind. Sollte sich das Bedürfniß herausstellen, für den Bundesrath erweiterte Räume in Anspruch zu nehmen, fo bin ih außer Zweifel, daß wie alle sheinbaren denn eigentliche Differenzen sind bisher nie vorgekommen Meinungsverschiedenheiten, bisher erledigt sind, fie auch in Zukunft sich werden erledigen lassen. Uebrigens bin ich auch der Meinun4z, daß, wenn man das Gebäude weiter „Reichstagsgebäude“ nennt, der Mangel eines Kondominiums dadurch \chon ausreihend gekennzeihnet ist. Db der Volksmund das Gebäude „NReich8haus“ nennen wird, das, glaube ih, kann uns ziemlich falt lassen.

Nun hat der Herr Abg. Nichter von der Wirksamkeit der Reihs- tag8baukommission gesprohen und die Meinung vertreten, daß mit der Fertigstellung des Gebäudes in der Hauptsache die Reichstags- baukommission ihr Geschäft beendet habe und daß jeßt die Bestim- mung über das, was in baulicher Hinsicht in dem Reichstagsgebäude noch vorzunehmen ist, aus\{ließlich dem Reichstag resp. seinem Vor- stand anheimstehe. Ich bin bereits durch eine Notiz in der Presse darauf aufmerksam geworden, daß Zweifel darüber bestehen, ob die NReichstagsbaukommission niht ihre Geschäfte mit der Uebergabe des Hauses an den Reichstag einzustellen hätte, und ih habe diese Frage, indem ich selber gar nicht, wie ih mich damals ausgedrückt habe, futterneidisch bin und als Vorsißender der Reichstagsbaukom- mission keine Arbeit in Anspruch nehme, die andere Leute ebenso gut machen könnten, in der Reichstagsbaukommission zur Sprache gebracht, und da hat man allerdings einmüthig gesagt, es sei noch nit an der Zeit, die Thätigkeit der Reich8tagsbaukommission einzustellen ; sie werde vielmehr nah wie vor noch ihren Beirath und ihre Berathungen eintreten lassen müssen. Und, meine Herren, es spricht au eine ganze Reihe sachliher Momente dafür: einmal sind, so lange die Rechnung über den Bau noch nicht gelegt ift, auch in Bezug auf die Aufstellung und Legung der Rechnung eine ganze Reihe von Fragen zu erledigen, welhe zweckmäßig in derjenigen Hand gelassen werden, die während des Baues die Leitung gehabt bat; sodann aber glaube ih, daß auh der Reichstag selber wünschen muß, bei den noch für die Vervollständigung der Deko- ration des Gebäudes auftretenden Fragen, also der Aus\{chmückung der Säle u. st w.,, ih des fachverständigen Beiraths der Parlaments-Baukommission zu bedienen. Ih würde es nicht für zweckmäßig halten, wenn der Reichstag alle diese Fragen im Plenum entscheiden wollte; sie lassen sich viel besser in einem engeren Kreise behandeln; und daß der Reichstag mit seiner Auffassung über diese Fragen zu kurz kommen sollte, dafür spricht die Zusammenseßung der Reichstagskommission do gerade niht. Es sind sieben Mitglieder aus dem Reichstag und nur fünf vom Bundes- rath, also sind die bundesräthlihen Mitglieder, sofern nur die Herren Reichstagsabgeordneten praostanda prästieren und recht pünktlich ersheinen, unter allen Umständen in der Minorität. Daß ein Präjudizieren des Reichstags durch die Beschlüsse der Reichstagsbau- kommission eintreten könnte, ist auch niht anzunehmen; denn, meine Herren, sobald es si um die Aufwendung von Mitteln handelt, muß ganz nothwendigerweise die Beschlußfassung des Reichstags eintreten, und bei dieser Beshlußfassung wird auch der Reichstag in der Lage sein, zu prüfen, ob das, was für das geforderte Geld hergestellt werden foll, au seinen Wünschen und Anschauungen entspricht.

hat, es sei viel rihtiger, die Kosten der Dekoration des Reichstags- gebäudes, soweit sie in dem Etat des Reichsamts des Innern figurieren, fünftig ‘dort fallen zu lassen und auf den Etat des Neichs- tags zu bringen, so glaube ih, daß er bei näherer Betrachtung selbst von dieser Anschauung zurückommen wird. Meine Herren, auch da ist es keineswegs das Bestreben gewesen, für die Neichs- verwaltung irgend etwas an sih zu ziehen, was der Reichstag allein machen könnte; sondern es ift die Erwägung maßgebend gewesen, einmal, daß das Reichsamt des Innern die sachverständigen Organe für die Vorbereitung dieser Dinge hat, die dem Reichstag nicht beiwohnen, und ferner ih nehme gar keinen Anstand das aus- zusprechen —, daß das Verfahren bei Aufstellung des Etats des Reichs- tags sowohl der Finanzverwaltung wie dem Bundesrath in gewisser Weise präjudiziert, so daß für die Finanzverwaltung und den Bundes- rath der Wunsch bestehen muß, vor der Einstellung der Summen für diese Zwecke, die sich doch unter Umständen auf eine recht achtbare Höhe belaufen können, gehört zu werden. Der Herr Präsident des Reichstags i} bereitwilligst darauf eingegangen, und aus der Auf- stellung des Etats entnehme ih au, daß der Seniorenkonvent, oder wer fonst von Neichstagsmitgliedern darüber gehört ist, ih dieser Auffassung angeschlossen hat. Es läßt sich niht erwarten, daß auch dur diese Etatbehandlung irgendwie den Wünschen des Reichstags in Bezug auf die Ausshmückung seines Heims präjudiziert werden könnte. Jch bin deshalb der Meinung, daß es den Vorzug verdient, bei dem einmal eingeschlagenen Verfahren zu bleiben.

Was nun die Akustik anlangt, so glaube ich für meine Person die Bemerkung gemacht zu haben, daß in diesem Saale die Akustik besser ist als im alten; das {ließt natürlich nicht aus, daß man an gewissen Stellen, vielleiht also auch auf der Journalistentribüne, {lechter hört, als das im alten Gebäude der Fall war. Jch theile den Wunsch des Herrn Abg. Richter, daß man nah Beendigung der gegenwärtigen Session in eine Unterhandlung darüber eintreten möge, welche Mängel sih in dem Hause herausgestellt haben, und wie man den Kinderkrankheiten, die ja nothwendigerweise mit jedem Neubau verbunden sind, abhelfen kann, und ich will, sofern mir Herr Abg. Richter gestattet, die Reichstagsbaukommission noch weiter zu leiten, gern dazu beitragen, daß allen feinen Wünschen möglichs| Rechnung getragen wird.

Abg. NRidckert (fr. Vg.) dankt dem Staatssekretär für seine Erklärung, daß ein Kondominium des Bundesraths im Neichstags- gebäude nicht stattfinde. Damit dürften alle Zweifel und Besorgnisse beseitigt sein. Eine Besserung in Bezug auf die Journalistentribüne sei dringend zu wünschen.

__ Abg. Singer (Soz.) macht den Vorschlag, den Journalisten die Mitteltribüne anzuweisen. Mit der Einrichtung einer Wohnung für den Direktor des Reichstags im Hause selbst. ist er einverstanden, wünscht aber, daß au für die unteren Beamten mehr gesorgt werde. Die Weitläufigkeit des Hauses mache eine Personalvermehrung nöthig. Der Dienst der Hausbeamten sei außerordentlih \{chwer. Cs müßte auch eine vierwöchentlihe Kündigung eingeführt werden, ebenso seien Krankenkassen wünschenswerth. Daß die Kellner in den Restaurations- räumen des Reichstags kein festes Gehalt bezögen, sondern auf Trink- gelder angewiesen seien, sei dieses vornehmen Hauses unwürdig.

__ Abg. Pachnicke (fr. Vg.) verlangt ein Generalregister über die Ls Verhandlungen der Reichstagsbaukommission.

Abg. Freiherr von Mänteuffel (kons.): Ih möchte einen Vorfall zur Sprache bringe der mir mehr geeignet scheint, das Interesse des Haufes in Anspruch zu nehmen, als die von dem Abg. Singer zuleßt berührten e Am 7. d. M. habe ih vom Fret- herrn von der Gröben-Arnstein einen Brief erhalten, den ih dem Abg. von Plöß zur Durchsicht gab. Dieser hat den Brief im Wasch- lokal liegen lassen. Als nach ungefähr zehn Minuten der Abg. von Plöß hineilte, um den Brief zu holen, fand er ihn nicht. Es wurde Anzeige beim Bureau - Direktor erstattet; die Nachforshungen haben aber zu keinem Ergebniß ge- führt. Gestern oder vorgestern ershien nun in einer sozial- demokratischen Zeitung dieser Brief. Ich muß meinem Erstaunen und meiner Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß der Brief, nachdem er hier verschwunden war, sofort in der Redaktion jener Zei- tung abgegeben und ohne weiteres abgedruckt worden ist. Jch theile diesen Vorfall mit, um die Herren Kollegen zu warnen ; ih glaube, daß eine Warnung nah dieser Richtung dringend geboten ist. Jch für meine Person behalte mir vor, \strafrechtlich gegen diesen Dieb- stahl vorzugehen, der in diesem, wie der Abg. Singer sagte, „vor- nehmen“ Hause vorgekommen ift. Vielleiht wird der Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“, der Abg. Dr. Schönlank, mir behilflih sein, den Thäter ausfindig zu mah

Abg. Dr. Schönlank (Soz.): Es ift rihtig, daß ein Brief des Herrn von der Gröben in der „Leipziger Volkszeitung“ während meiner Abwesenheit veröffentliht worden ist. Dieser Brief ist in Kopie in einer sehr schönen Handschrift an die Redaktion gekommen. Die Redaktion hat sih aus dem Inhalt überzeugt, daß der Brief eht sei, daß er ferner keine persönlichen . oder privaten Mittheilungen enthalte, und sie war der Ansicht, daß es sih um ein politishes Akteustück von der höchsten Bedeutung handele; denn der Brief läßt einen Blick in die Wahlmache hinter den Kulifsen thun, und darum war die Veröffent- [iung nothwendig. Woher der Brief kam, wußte die Redaktion niht. Der „Vorwärts“ hat in letzter Zeit öfter derartige Sachen bein vielleiht wissen die Herren drüben hierüber etwas

aheres. :

Abg. Freiherr von Manteuffel (kons.): Jh lege auf das allerentshiedenste Verwahrung dagegen ein, als ob die Rechte Näheres über die anonymen Briefe wisse, welche der „Vorwärts“ veröffentlicht. Wir haben nicht die Gepflogenheit, uns mit der Partei des Abg. Schönlank in eine Verbindung zu fehen, die zu den allershimpflichsten gehört. Es wäre mir lieb, wenn der Abg. Schönlank mir die Kopie des Briefes zugehen ließe; vielleiht läßt sich aus der Handschrift ermitteln, wer den Brief gestohlen" hat. Es gehört übrigens eine eradezu glänzende Deduktionsgabe dazu, daß man sich aus der Ab- {Phrift eines Briefes von dessen Echtheit hat überzeugen können.

bg. Dr. Schö n lank (Soz.): Nicht aus der Kopie, sondern aus dem Inhalt des Briefes hat die Redaktion die Ueberzeugung eschöpft, daß ein solhes Schreiben nur eht sein könne. Ich wieder- bole, daß ih keine A, hatte, woher der Brief gekommen sei.

Abg. Freiherr von Manteuffel (kons.): Wenn mein Name auch niht in dem Briefe genannt war, so war do unzweifelhaft der Name des Herrn von der Gröben als Absender verzeichnet. Es war die Pflicht der Redaktion, ehe sie fih zum Abdruck entschloß, an Herrn von der Gröben die Frage zu richten: Ist der Brief von Jhnen? Das hätte ein anständiger Mensch gethan. Es handelt fih bei der ganzen Angelegenheit, bei der Warnung, die ih an meine Kollegen ge-

rihtet habe und bei der ganzen Kennzeihnung des Vorganges gar nicht

Wenn nun der Herr Vorredner die Meinung ausgesprochen |

um den Inhalt des Briefes, sondern nur um die Thatsache. Hätte in dem Briefe auch eine ganz gleihgültige Notiz gestanden, so wäre es auch Diebstahl gewesen.

Abg. Bebel (Soz.): Wäre der Brief von einem Reichstags- abgeordneten abgeshidt, so würden wir dies auf das entschiedenste ver- urtheilen. Wir würden es niemals gut heißen, daß irgend eine pri- vate Aeußerung, die zufällig zur Kenntniß eines Abgeordneten kommt, öffentlih verwerthet wird. Sie haben aber gehört, daß die Redaktion der „Leipziger Volkszeitung“ keine Ahnung ate, von wem die Zu- {rift komme. Sie war der Meinung, daß es \sich um ein ho- politishes Aktenstück handle. Unter diefer Vorausseßung würde kein konservatives oder fonstiges bürgerlihes Blatt Bedenken tragen, einen Brief, der ihm anonym mitgetheilt wäre, zu veröffentlichen.

Abg. Dr. Meyer - Halle (fr. Vg.) rügt, daß die Bibliotheks- beamten, die eine wissenschaftlihe Vorbildung haben müßten, im Q in eine Reihe mit den Hilfsarbeitern - und - Boten gestellt

erden. _ Abg. Werner (Reformp.) wünsht für die Bureaubilfsdiener höhere Gehälter. :

Zu dem Titel, welcher die Freifahrkarten für die Reichs- tagsabgeordneten betrifft, liegt der von den Abgg. Ancker U. Gen. (Frs. Volksp.) eingebrahte Antrag vor :

den Bundesrath zu ersuchen, eine Abänderung der Reichsver- faffung, Art. 32, in dem Sinne herbeizuführen, das die Mitglieder

e MRStags aus Neichsmitteln Diäten und Reisekosten

erhalten.

Abg. Nichter (fr. Volksp.) begründet die Nothwendigkeit der Gewährung von Diäten und Reisekosten, die namentlih für die süd- deutschen Abgeordneten geboten sei, mit einem Hinweis auf die mangel- hafte Frequenz des Reichstags. Er hoffe, daß der Bundesrath dem Verlangen der Mehrheit des Reichstags nachgeben werde.

2 Abg. von Holleuffer (kon}.): Sowohl im Lande wie im Hause ist, gaube ih, überwiegend die Ansicht vertreten, daß der Bewilligung von Diäten {were Bedenken entgegenstehen. Viele tüchtige Männer werden freilich L ßt vom Parlament ferngehalten, weil sie die Kosten des Aufenthalts in Berlin nicht bestreiten können. Die Sozialdemokraten haben gegen die Diätenlosigkeit Vorkehrung getroffen, sie werden also weniger dadur betroffen. Aber wir fürchten, daß durch Einführung von Diäten \ih eine neue Klasse von Parlamentariern aufthun würde, die Erwerbsparlamentarier. Wir lehnen nicht grundsäßlih die Forderung der Einführung von Diäten ab, verlangen aber, daß als Korrelat die Bestimmung eingeführt werde, daß nur ein Angehöriger eines Wahl- kreises Abgeordneter desselben werden kann. Gegen die \{lechte Be- seßung des Hauses würde am besten eine andere Eintheilung der Ge- schäfte in der Weise helfen, daß nah den ersten Lesungen zunächst nur Kommissionsberathungen stattfinden und dann die zweiten Lesungen.

_ Abg. Werner (Reformp.) spricht sich für die Gewährung von Diäten aus, damit Leute in den Reichstag kämen, welche die Verhält- nisse des Mittelstandes kennten.

Abg. Kröber (südd. Volksp.) erklärt, in ganz Süddeutschland verlange man, daß den Abgeordneten Diäten gewährt würden.

Abg. Dr. Lieber L ep bemerkt, die vorliegende Resolution verlange nur, daß die Regierung einen Geseßentrourf über die Ge- währung von Diäten einbringe. Die Zeche für die Diätenlosigkeit bezahlten die Mittelstände, denen es an geeigneten Vertretern fehle.

Abg. Richter (fr. Volksp.) spricht fich gegen den Vorschlag des Abg. von Holleuffer aus. Die parlamentarishe Intelligenz sei nicht nah Maßgabe der Quadratmeilen der einzelnen Wahlkreise vertheilt. Erwerbsparlamentarier gebe es vielleiht unter den Beamten, die sich ui ihre parlamentarishe Thätigkeit in den Vordergrund zu drängen uchten.

_ Abg. Dr. Förster (Reformp.) {ließt sich der Forderung von Diäten an.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (dkons.): Die Frage ist eine hopolitishe. Wenn Sie (zur Linken) die Frage der Diäten an- schneiden, so schneiden Sie damit die ganze Frage des Wahlrechts an. Wenn der Abg. Richter fh gegen den Vorschlag des Abg. von Holleuffer erklärt, daß die Abgeordneten Eingesessene thres Wahlkreises fein sollen, fo ist das erklärlih; denn dann würde es für Herrn Richter und feine Freunde {werlich noch Wahlkreise geben.

Die beantragte Resolution wird darauf gegen die Stimmen der Deutschkonservativen, der Reichspartei und einiger National- liberalen angenommen. Der Rest des Etats des Reichstags wird ohne Debatte R

_Es folgt der Etat für den Reichskanzler und die Reichskanzlei. î

Abg. Siegle (nl.) fragt, was von Reichswegen auf die Be- {werden der deutschen Ansiedler in Syrien und Palästina bisher ge- schehen fei. Seit 1868 seien solche Kolonisten dort vorhanden, die Reichsregierung habe ihnen später das freie Niederlassungsreht von der Türkei erwirkt; die Grundlage dieser Ansiedelung sei ihr Besißreht an dem erworbenen Grund und Boden. Dieses hätten die türkishen Unterbehörden neuerdings zu ignorieren an- gefangen, sie wollten die ,„Vakufs", SFreibriefe für die Ländereien, nicht anerkennen und es hätten bereits gewaltsame Vertreibungen stattgefunden. Seit einer Reihe von Jahren werde einfah das Land als Regierungsland requiriert. Der türkishe Ministerrath habe sih zwar mit der Sache hon beshäftigt und auh eine Kommission zur Prüfung der Besitz- titel eingeseßt, die Kolonisten wünschten aber - dringend, daß von seiten der deutshen Reichsregierung den Arbeiten " dieser Kommission die größte Aufmerksamkeit gewidmet werde.

Staatssekretär des Auswärtigen, Staats-Minister Freiherr von Marschall: :

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß die Lage der deutshen Kolonisten in Palästina in der leßten Zeit die öffentliße Aufmerksamkeit in Deutsch- land auf sih gezogen hat, und ih kann nur bestätigen, daß es auch mir erwünscht is, daß diese Frage hier im Reichstag zur Sprache komme. In der That verdienen unsere Kolonisten in Jaffa nicht nur die Fürsorge der Regierung, sondern auch das Interesse des Reichstags. Es sind brave, arbeitsame, christliche Männer, welche ihre deutsche Nationalität bewahrt haben, welhe ihre Wehrpflicht erfüllen, zu welhem Zwecke alljährlich ein deutsches Kriegs\chif die syrishe Küste anläuft, um dort die nothwendigen Untersuchungen vor- zunehmen. Jch erkenne auch an, daß die Lage der deutschen Kolo- nisten in mancher Beziehung eine {chwierige ist; nur muß ich von meiner Seite darauf aufmerksam machen, daß uns eben eine Grenze für unsere Einwirkung gezogen ist durch die internationalen Verträge, die wir mit der Türkei abgeschlossen haben, und die bezüglih der Streitigkeiten um Grundeigenthum an sih eine diplomatische Ver-

wendung ausschließen.

Die Angelegenheit, die der Herr Vorredner berührt, führt uns in eine sehr s{chwierige und verwickelte Materie, nämlich in das türkische Grundeigenthumsreht, welhes sich zusammenseßt aus einer Vermengung von Satzungen religiöser Art, außerdem aus Gewohn-

heitsrecht und Großherrlihen Erlassen. Hier kommt es wesentlih