1895 / 46 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 21 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

S E E B 7 tal: L E A E Ey Ti

geradezu unrecht, daß diese neuen Positionen frei bleiben. Ich weiß nicht, ob ih mi da deutlih genug ausdrüde. Es sind eine solche Reihe von neuen Fällen hinzugekommen, die bisher dur die Steuergeseß- gebung garnicht ergriffen wurden, die aber naturgemäß und billiger- weise mit Stempeln belegt werden müssen, wie die bishcr bereits un- bestritten seit dem Jahre 1822 besteuerten Fälle, daß man dann in dieser Beziehung niht zu ängstlih zu sein braucht, wern man ih au sagt: es wird dadur eine mäßige Mehreinnahme dem Staate zufallen.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat an einen sehr charakte- ristisGen Vorfall erinnert, er sagte nämli, ih habe bei der ersten Berathung des Einkommensteuergeseßes den Mehrbetrag auf etwa 15 Millionen geschäßt. Das is vollkommen richtig. Ich habe die Mangelhaftigkeit unserer bisherigen Einkommensteuergeseßgebung noch untershäßt gehabt, in dem Grade habe ih fie nit für mangel- haft gehalten, wie sie sich nachher herausftellte. Insofern habe ich mich geirrt, aber wie hat das Haus sih geirrt! Ich erinnere an die ganzen Debatten, die hier geführt wurden, daß allgemein die UVeber- zeugung bestand, die Ginkommensteuer würde auch weiterhin über das erste Plus von 40 Millionen stetig in bedeutendem Steigen bleiben. Das werden die Herren, die damals hier waren, mir alle bezeugen. Fch habe damals {on gewarnt, und von den Abgeordneten war es allein, wenn ih mi recht erinnere, Herr von Eynern, der au diefen Standpunkt einnahm. Und was is eingetreten? Seit den leßten zwei Jahren is die Einkommensteuer fogar im Rückgang statt in’ er- heblihem Steigen! Ich glaube, wenn damals klar gewesen wäre, daß wir in den nächsten drei Jahren nah der ersten- Veranlagung eher einen Rüdckgang als ein Fortschreiten der Einkommensteuer haben würden, fo wären viele Bestimmungen in der damaligen Geseßgebung anders ausgefallen, wie sie auf Grund der damaligen irrigen Annahme ausgefallen sind. Ih möchte davor warnen, daß wir niht denselben Fehler hier bei dieser Stempelgeseßgebung machen. Wir werden in der Kommission soweit wie irgend mögli Rechnungen anstellen, man wird \sich allerdings die Sache etwas klarer machen können, aber niemand wird im stande sein, genau den Betrag zu ermitteln, den wir mehr haken werden an einzelnen Positionen und verlieren an anderen Positionen.

Meine Herren, im übrigen kann ich nur wiederholen, daß es ja eine Ueberhebung sein würde, wenn ich sagen wollte, bei fo viel einzelnen Tarifpositionen ist überall und absolut rihtig und berehtigt gegriffen. Ih habe anerkannt und wiederhole das, daß man über eine Reibe Tarifpositionen zweifélhaft sein fann, daß gute Gründe für und gute Gründe dagegen \prehen können, und daß ih daher in der Kommission mih bemühen werde, auf allen diesen Gebieten, \o- weit irgend thunlich, eine Einigung herbeizuführen. Ich weiß wohl, daß man solche Gesetzgebung nicht einfa vorlegen und verlangen kann, daß sie in allen einzelnen Theilen angenommen werde, und ih zweifle daber auch nit, daß wir etwas Gutes zu stande bringen, wenn das Haus überhaupt den guten Willen hat, diese s{chwierige Geseh- gebung zu stande zu bringen, wenn es sich zweitens selbst die Schranken seßt, daß eine Verminderung der Einnahmen nit eintreten darf wenn es endlih von der Ueberzeugung ausgeht, daß, was wir an berehtigten Stempeln mehr erheben, wir an anderen Steuern ersparen werden. (Sehr rihtig! rets.) Das ist die Lage unserer Finanzen. Jch glaube, in vielen Fällen wird es leichter getragen werden können, wenn mehr Einnahmen aufkommen aus einer folhen Stempelgesetzgebung, die nur in einzelnen Fällen drüdt, aber nit jährlihe, dauernde Lasten darstellt, als wenn man denselben Betrag forden muß durch Erhöhung der Einkommensteuer, welche in viel größerem Maße namentlich auf den Mittelstand fällt, als es diese Stempelgesetzgebung thun wird. (Bravo!)

Abg. Reicard (nl.): Das Geseß enthält fast auëshließlich Erschwerungen und Stempelerhöhungen, während die wenigen Er- mäßigungen belanglos find und durch die Wertbsteigerung, die dabei sofort eintritt, für den Fiskus eine finanzielle Cinbuße nit ein- bringen. Daß die Stempelerstattungen 5 9/o etragen sollen, kann ich unmöglich für rihtig balten; die Zahl von 44 Millionen Mark ift entschieden zu boch gegriffen. In Bezug auf die Grundstücks- spekulationen in den großen Städten theile ich zum theil die Ansichten des Finanz - Ministers und des Abg. Gamp. Aber ih bezweifle, daß der Immobiliarstempel da Ab- bilfe schaffen wird, denn in shwindelhaften Perioden läßt sfih der Spekulant durch einen etwas höheren Stempel von der Spekulation niht abschrecken. Ich meine auch, daß für die Ent- wickelung großer Städte das Grundstücksgeshäft nicht ganz zu ent- bebren ist; es ist auch nicht rihtig, daß die Grundstüdsspekulation die Wohnungen vectheuert. In einer ganzen Reibe von Positionen ift das Gesetz viel zu fisfalisch und vexatorish; es ist zweifellos, daß große Mebrerträge herauskommen werden. Für mich find von der größten Wichtigkeit die Stempel auf Gefellshaftsverträge und auf Kauf- und Lieferungsverträge. Die offenen Handels- geschäfte werden in ungerehter und überaus belästigender

eise berangezogen. Es würde eine Offenlegung aller Verhältnisse in einer Weise eintreten, die im Lande die größte Beunruhigung hervorrufen muß; so weit darf der Deklarationszwang nicht auégedebnt werden. Dieje Position ist aber auch nit gerecht ; der einzelne Kaufmann, ter ein großes Geschäft hat, geht bei der Steuer leer aus, die fleinen Leute, die si zusammenthun, müfsen be- zahlen. Es geht doch au entschieden zu weit, daß ein Vater, ter seinen Sohn ia sein Geschäft aufnehmen will, dann zunächst 19/9 von seinem Geschäftsvermögen an den Fiéfus abführen muß. Bei den Kauf- und Lieferungéverträgen ift zunächst die Belästigung viel zu groß. Man fann nit genau übersehen, wie weit da das Gese zu gehen beabsichtigt. Es ift mir ganz unbegreiflid, wie die Finanzverwaltung bestreiten kann, daß uns eine große neue Steuerbewilligung zugemuthet wird; entweder fann die Finanzverwaltung die finanzielle Tragweite des Gesetzes nicht übersehen, oder sie will sie uns niht mittheilen. Gewiß erkenne ih die Ungunst unserer jeßigen Finanzlage an ; aber ift denn jeßt der Augenblick da, bloß auf die Vermuthung hin, daß der Reichstag uné im Stich läßt, dauernd neue Steuern in unabsehbarer Höke zu bewilligen? Wie ftehen wir da, wenn das Reich sih doch besinnt und die Tabackfteuer und die Finanzreform bewilligt! +Das wollen wir dcch erft abwarten ; läßt das Reich uns im Stich und weist uné der Finanz-Minister das Bedürfniß nah, dann werden wir selbstrerständlih das unsrige thun; dann werden wir prüfen, auf weihem Wege wir dem Staat die nöthigen Mittel schaffen, ob auf diesem Wege oder durch Konvertierung oder auf andere Weise. Jedenfalls müssen jezt die. bedenkliher. Positionen aus dem Geseg heraus, in erster Linie die Positionen „Gesellschaftsverträge“ und „Kauf- und Licferunséverträge“ ; hier ist der Stempel unannehmbar.

Ats. von Dallwigt (fons.) erkennt an, daß die jeßige Stempel- gesebgebung außerortentlih unflar sei, und daß eine einheitliche Regelung dieses Sebicics mit Freuten begrüßt werden müsse. Vor allem sei anzuerfenneza, taÿ an Stelle des Fixftempels der Werth- stempel eingeführt worden sei. Auf- der anderen Seite wür- den aber- durch die Vorlage einige Ershwerungen und Be- läftigungen für das Publifum entstehen. Das gelte z. B. von der Besteuerung der Auftionéprotokclie, namentlich aber von der Dekla- ration2pfliht bei Kauf- und Lieferungsverträgen. Der Stempel auf

bedeute eine Erschwerung niht nur des Handels, E pee arbreirthschaft. 5 hoffe, daß es in der Kommission deln e werde, ein für den Staat und Steuerzahler nüßlihes Werk zu en.

: entr.) fritisiert die Bestimmungen über die unt, Nb Lescranttmcits und hält die Béfitimgiag des Î 1, daß, wenn die Einigung über ein Vertragéverhältniß durch B lefwesel herbeigeführt worden, dieser dann stempelpflichtig sei, wenn die Absicht vorliege, durch ihn eine Beweisurkunde zu erseßen, für mangelhaft. Man müsse eine konkretere, präzisere Fassung finden. Für die Be- steuerung der Gesellshaften sei eine Herabseßung der Gebühren zu empfehlen.

Abga. von Eynern (nl.): Jch hatte nah dem, was früher über dieses Gesetz in die Oeffentlichkeit drang, geglaubt, diesem meine 53 s stimmung geben zu können. Aber als ih hörte, daß daraus Mehr- einnahmen für den Staat erzielt werden sollten, und als ich das Geseß eingehend prüfte, fand ih, daß es sih hier nicht um eine Stempelregulierung, sondern um eine neue Steuerquelle Handle. ZO glaube, daß eine Mehrbelastung von 24 Millionen nit zu ho gegriffen ist. Der Abg. Richter hat gestern in gewohnter liebenswürdiger Weise über die Kommerzien-Räthe gesprochen. Ist denn der Titel Geheimer Medizinal-Rath mehr werth? Er fragte, warum man nicht die Orden besteuere. Die freisinnige Partei hat tets gegen diese Auszeihnungen polemisiert, als aber einige ihrer

itglieder Orden erhielten, da sagten sie, diese Auszeichnungen seien einmal an die richtige Stelle gekommen. Jeder fege vor seiner Thür! Der Abg. Richter hat jeßt kein Recht, über die Ordensverleihungen zu spotten. Der Geseyentwurf wird eine starke Belastung des Verkehrs mit sih bringen. Die Auf- fassung über den Werth der Verträge wird in den einzelnen Fällen sehr vershiedenartig sein und zu den größten Mißhelligkeiten führen. Wenn dem Staatsrath der Antrag Kaniß vorgelegt wird, muß ihm au dieses Stempelgeseß vorgelegt werden. Der Stempel auf Kauf- und Lieferungsverträge is 25% hböher als der Börsenstempel. Nach dem Wortlaut des Geseßes müssen au alle Briefe eines Kauf- manns besteuert werden, in denen Waaren bestellt werden, da alle diese Briefe als Beweis für die Rechtssicherheit des Geschäfts anzu- sehen sind. Weiter soll im Falle der Unklarheit das Amtsgericht über die Stempelpfliht entscheiden. Selbst beim E kommen Versehen vor, und wie viel eher hier, wo das Verkaufsobjekt nach dem Werthe festgestellt werden foll; die kaufmännishen Werthe wechseln fast täglih. Das Gesetz kann ein Urgrund zu allem Konkurrenzneid werden. Die Belästigungen durch das Gefeß werden nicht dazu beitragen, die allgemeine Zufriedenheit zu erhöhen, Was die finanzielle Seite anbetrifft, so meine ih, wir können nicht neue Steuern auf Vorrath bewilligen. Erst müßten wir ab- warten, was der Reichstag für Beschlüsse faßt. Ich kann auch nicht glauben, daß eine Berehnung der Einnahmen aus dem Gesey un- möglich sei. Eine derartige Berehnung müßte die erste Forderung der Kommission sein. Dann erst können wir prüfen, ob dur das Gesetz die Stempelsteuergesezgebung in der That geregelt wird.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ih will bei der vorgerückten Zeit mich auf die Berichtigung einiger, aber wesentliher Irrthümer des Herrn Vor- redners beschränken.

Ich will zuerst eine Bemerkung voranschiken. Mit großer Ge- lafsenheit sagt der Herr Abg. von Eynecn, in keinem Lande der Welt wäre der Verkehr so kolofsal besteuert und beschwert wie in Preußen bezw. in Deutshland. Da möchte ih ihn bitten, einmal die französische, die italienische und selbst die österreichische Gesetzgebung sich anzusehen; da wird er eine ganz andere Ausbildung des Verkehrss\teuer- wesens, wie sie jemals in Preußen bestanden hat, und au neuerdings im Reiche eingeführt worden ist, leiht erkennen können.

Nun hat der Herr Abgeordnete ferner gemeint, es würden aus diesen wenigen Bestimmungen über den Fixstempel bei Auszeihnungen, Titelgewährungen u. #\. w. kolossale Summen herauskommen, Ich glaube, sie haben durtschnittlich bisher zwishen 20- bis 25 000 A aufgebracht. Diese „kolossale Summe“ berechnet Herr von Eynern dadur, daß er jeden Titel, der an einen Beamten gewährt wird und das sind natürlich die allerüber- wiegendsten Fälle hier unter das Stempelgeseß bringt, während das Geseß auédrücklich nur von Privatpersonen spriht in der be- stimmten Absicht, alle Titulaturen von Beamten auszusbließen. Auf diese Weise allerdings kann man kolossale Summen aus dem Gesetz herausrechnen. Es ist das ein charakteristisches Beispiel, woher die 25 Millionen Mehreinnahmen kommen, die der Herr Abg. von Eynern herausrehnet.

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, wern nach diesem Gesetz ein Vermiether eine Liste aufftellen muß, in welcher er seine Mieth- verträge nah Summen für das laufende Jahr angiebt und weiter nichts, so wäre das ein Eindringen in die intimsten Privatver- hältnisse des betreffenden Vermiethers. Auch das is charakteristisch für diese Art von Deduktion.

Aber die Sache kommt noch besser. Die Bestimmungen über die Bedeutung der Korrespondenz und über die Verpflichtung von Privat- personen, Auskunft zu ertheilen unter gewissen Vorausfeßnngen, hat der Herr Abgeordnete geschildert, als wenn daraus nun auch eine neue kolofsale Belästigung der ganzen Welt entstände und als wenn damit ein Zustand geschaffen würde, der alle Welt unzufrieden machen würde. Nun is das Ungkük für den Herrn Abg. von Eynern, daß das alles hon seit dem Jahre 1822 bestehendes Necht ist (Heiterkeit) ; hier wird also garniht das Geringste neu eingeführt. In Beziehung auf die Verpflichtung der Privatpersonen sagt das Gesey vom Jahre 1822 sogar, noch weitergehend, als wir hier vorgeschlagen haben :

Auch Privatpersonen können von den Stempelfiskalen aufge- fordert werden, sih über die gehörige Beobachtung der Stempel- geseße auszuweisen, wenn erheblihe Gründe vorhanden sind, diese Beobachtung zu bezweifeln.

(Hört, hört! rechts.) Wir gehen weiter, wir haben das absicht- li etwas vorsihtiger noch zu Gunsten des Steuerpflichtigen gefaßt. Wir haben gesagt: Wenn Thatsachen vorliegen, aus welchen derartige Verdachtsgründe erhellen. Das Gericht entscheidet über die Frage selbst sowohl nah dem Gese von 1822, als nach dem jeßt vorliegenden Geseß ; aber früher genügte es, wenn überhaupt gewisse allgemeine Verdachtsgründe vorhanden waren; jeßt müssen dem Gerichte Thatsahen nachgewiesen werden, aus welchen auf diesen Verdacht mit Reht fkonkludiert werden fkann. Wie kann also mit einem Male behauptet werden, es würde hier eine neue gewaltige Belästigung für das ganze Volk eingeführt ?

Was die Korrespondenz betrifft, so ift die Unterscheidung für jeden Juristen vollständig klar. Eine Korrespondenz, welche nichts weiter enthält als ein Uebereinkommen zwischen Entfernten, kann nit als ftempelpflihtige Urkunde angesehen werden. Wenn aber die Korrespondenz den Zweck hat, als Beweismittel zu dienen für irgend einen abgeschlossenen Vertrag, wenn sie also nicht die Uebereinstimmung selbs herbeiführt, sondern eine bereits vorhandene Uebereinstimmung beweisen soll, dann ist sie Urkunde, und das entspriht dem

heutigen Recht, zablreihen Entscheidungen des Reichsgerichts. Wie

will man also au hieraus eine solhe neue Belästigung konkludieren?

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat dann weiter si darüber beflagt, wie das auch von anderer Seite vorgekommen ift, daß eine gewisse Gegensäglihkeit bestände gegen Kapital und Kapita, Assoziation. Was mich persönli betrifft, so bin ih genau anderer Ansicht. Ich halte die Assoziation der Kapitalien für einen der größten wirthschaftlihen Fortschritte der Gegenwart, und ich würde nicht das geringste thun, um diese zu hintertreiben, habe aber auß

| ebensowenig Veranlassung, sie durhch Steuerexemption zu begünstigen,

Es i {on angedeutet worden, auch von einem anderen Redner, als wenn die Aktien- und sonstigen Gesellshaften in Preußen besonders benachtheiligt wären durch die Steuergeseze. Auch das ist unrihtig. Selbst Staaten wie Hamburg, Bremen, Lübeck, Sawsen ziehen die Aktiengesellshaften in weit stärkerem Maße zu den Steuern heran, und ebenso die übrigen Gesellshaften, als das in Preußen der Fall ist. Die Sache ist ja damals ausführlih bei Ge- legenheit des Einkommensteuergeseßes behandelt worden. Wir haben den Afktiengesellshaften das Recht gegeben, von ihrem Einkommen 3140/0 ihres gesammten Anlagekapitals abzuziehen. Welcher andere Staat in Deutschland hat das gethan ? In Hamburg, in den Hanse- städten müssen sie das gesammte Einkommen versteuern.

Sodann haben wir die Aktiengesellshaften volkommen freigelassen von der Vermögenssteuer, während sie doch andererseits früher Grund- und Gebäudesteuer bezahlt haben. ODrittens haben wir die Gewerbe- steuer, die sie zu zahlen haben, den Kommunen überwiesen; der Staat - hat darauf vollständig verzichtet. Wie kann man da von einer besonderen Beshwerung und Belastung gerade dieser Gesellschasten reden! (Zuruf.) Das if von den verschiedensten Seiten , namentlich auch von dem Herrn Abg. Richter, in ausführlicher Darlegung der Staatsregierung zum Vorwurf gemacht.

Was die Besteuerung der Aktiengesellshaften und der sonstigen Gesellshaften in den Kommunen betrifft, so werden die Herren, die ja größtentheils hier noch anwesend sind, sih sehr wohl erinnern, daß diese scharfe Heranziehung in der Kommunalbesteuerung wesentli durch dies Haus und durch das Herrenhaus in das Gese gekommen ift, und nicht na den Vorschlägen der Regierung. Ja, die Beschwerden, die jeßt nah meiner Meinung mit Recht von einer Reihe von Handelskammern geführt werden gegen die Heranziehung der Gewerbtreibenden in den einzelnen Kommunen aus gewerblichem Einkommen in anderen Staaten, die ist entgegen dem Wunsch der Staatsregierung durch das Herrenhaus in das Gese hineingebraht. Wenn nun aber jemand heute ein Grundstück inferiert in eine Gesellschaft is da ein Uebergang von Eigenthum von einem auf den anderen vorhanden? Und nun erklären die Gerichte: ein Uebergang ist dann vorhanden, wenn dieser Uebergang mit baarem Geld vergütet wird, aber nit vorhanden, wenn dafür Aktien genommen werden so sage ih, das mag juristish zutreffend sein, aber wirthschaftlich und sozial niht. Ob jemand Aktien nimmt für ein Grundstück, welche er doch mit einem gewissen Werth bemißt, oder ob er dafür baar Geld bekommt, das ist fsteuerlich und wirthschaftlich nach meiner Meinung glei, und ih halte es nit für gereht, wenn in dieser Beziehung zu Gunsten dieser. Gesellschaften eine Exemption von der Steuer stattfindet. Jh glaube, weil ih vermeiden möchte, nochmals wieder auf das Einzelne einzugehen, daß die Kommission sih überzeugen wird, daß diese übertriebenen Vor- würfe gegen das Geseß do in keiner Weise begründet sind, und daß die meisten in der Spezialberathung der Kommission von selbst weg- fallen werden.

Abg. Humann (Zentr.) hält das vorliegende Geseß für das wichtigste der ganzen Session und klagt darüber, daß kein Material zur Beurtheilung der Tragweite der Vorlage beigebracht sei. Gegen eine Besteuerung der Zessionen, dur die der Grundstücks-Spekulation entgegengetreten werden folle, habe er nichts einzuwenden. Das Gese von 1822 müsse reformiert werden, eine Besserung werde aber durcl das vorliegende Geseß nicht geschaffen. Die Einnahmen aus der Stempel- steuer würden \sich mindestens um die Hälfte vermehren, die Steuer- kraft in Preußen sei aber bereits derart in Anspruch genommen, daß sie keine weitere Anspannung vertrage. Auch die so fegensreih wirken- den Raiffeisen’shen Kassen würden durch die geplanten Stempelabgaben {wer geshädigt werden. Das Stempelgeseß sei: einschneidender als die abgelehnte Quittungssteuer. In der Kommission müsse darauf

eachtet werden, jede Mehrbelastung der Mittelstände zu verhüten, Das beste sei, die Vorlage abzulehnen.

Abg. von Eynern (nl.) erwidert dem Finanz-Minister, er habe niht nur die Belastung der Verkehrsverhältnisse, sondern au vor- nehmlich der Erwerbsverhältnisse gemeint, die nirgends so hoch fei, als in Deutschland. Die gesammte kaufmännische Korrespondenz sei nihts Anderes als eine Bestätigung über Kauf oder Verkauf, sei also insgesammt s\tempelpflichtig. Sämtliche gewerblihen Verhältnisse müßten dem Stempelfiskal mitgetheilt werden, womit eine neue BVe- lästigung der Steuerzahler verbunden sei. Auch er sei für Ablehnung der Vorlage. :

Die Diskussion wird geschlossen. Die Vorlage wird einer besonderen Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.

Stluß 3/4 Uhr.

Nr. 8 der „Veröffentlihungen des Kaiserlihen Ge- fundheitsamts* vom 20. Februar hat folgenden Inhalt: Gesund- beitssstand und Gang der Volkskrankheiten (Cholera u. \. w.). Zeitweilige Maßregeln gegen Cholera 2c. Oeffentliches Gesundheité- wesen im Regierungsbezirk Arnsberg, 1889/91. Jahresbericht des Lübecker Medizinalkollegiums, 1893. Gesehgebung u. f. w. (Baden). Entschädigungen bei Seuchenverlusten. (Braunschweig L Maße analitishe Meßgeräthe in Apotheken. (Anhalt). Kreis-Thierärzkte- (Schweiz. Kanton Thurgau). Kunstbutterhandel. (Belgien). Ziéiorie, Kakao, Chokolade und Milh. (Rumänien). Ansteckende

ranfkheiten 2c. (Neu-Seeland). Oeffentlihe Gesundheitspflege. Gang der Thierseuchen in den Niederlanden, 4. Vierteljahr. D l in der Türkei. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierfeuchen. (Elsaß- Lothringen, Schweden). Rechtsprehung? Kriminalstatistik, 1891/2. (Landgericht Flensburg). Thierbeilmittel. Vermischtes : (Oester rei Infektionskrankheiten. (England). Nahrungsmittelfälshung: Woghentabelle über die Sterbefälle in deutshen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Aut- landes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutsher Großstädte. Desgl. in deutshen Stadt- und Landbezirken. Witterung.

M 46.

Königreich Preußen.

Königliche Technishe Hochshule zu Aachen. Vorlesungen und Uebungen imSommer-Semester 1895-

Beginn der Immatrikulationen am 16. April, der Borlesungen am 22. April 1895.

Abtheilung für Architektur. Professoren: Datmert: Architektur der Renaissance; Entwerfen von Cisenbahn-Hoc)bauten; Neranfchkagen und Bauführung. Henrici: Bürgerliche Bäukün 1, und IT. Kurs; Einrichtung und Entwerfen öffentlicher Gebäude und Anstalten; Ornamentik; Freihandzeihnen. Reiff: Figuren- und Landschaffszcihnen und Aquarellmalen. Schupmann: Formen- lehre I. bis IV. Kurs. Schmid: Allgemeine Kunfstgeswichte; Aus- gewählte Gebiete der Knstgeshihte. Dozenten: Frenßen: De- taillieren von Gebäudetheilen I. und Il. Kurs; Formale Ausbildung der Ingenieuxbauten; Architektur größerer Gebäude. Krau f Bossieren und Modellieren. Privatdozent: Buchkremer: Kunst-

gewerbe (chriftlihe und Profankunst); Kunstgewerblihes Colloguium.

Abtheilung für Bauingenieurwesen. Professoren : Bräuler: Eisenbahnbau; Grundzüge des Cisenbahnbetriebs. Heinzerling: Höhere Baukonstruktionen mit mathematisher Be- gründung; Brückenbau I. und I1. Kurs; Geschichte des Brückenbaues. Inte: Baukonstruktion; Wasserbau T. und II1. Kurs. Mehrtens; Straßenbau; Baumaterialienlehre; Städtekanalisation ; Encyclopädie des Bauingenieurwesens. Werner: Prakiische Geometrie; Geodätishes Praktikum 1 und 11; Geographishe Orts- bestimmung ; Eisenbahn-Tracieren.

Abtheilung für Maschineningenieurwesen: Professoren Grotrian: EClektrotehnik 1 und, Il; Elektrotechnisches Praktikum.: Gutermuth: Maschinenbau; Maschinenkonstruieren. Herr - mann: Mechänishe Technologie 1. und IT. Kurs; Fabrikanlagen und Werkzeugmaschinen. Köch y: Lokomotivbau; Eisenbahnmaschinen- bau; Maschinen-Elemente; Grundzüge des Lokomotivbaues; Grund- züge des Eisenbahnwagenbaues. Lüders: Maschinenkunde (für Berg- und Hütteningenieure) I. und I[. Kurs. Pinzger: Theo- retishe Maschinenlehre; Kinematik; Maschinentechnische Mende, Dozent: von Jhering: Baumaschinen; Maschinenzeihnen; Klein- kraftmaschinen.

“_ Abtheilung für Bergbau und Hüttenkunde, : für Chemie und Elektrochemie. Professoren: Arzruni: Petro- raphie mit Demonstrationen ; Uebungen im Bestimmen der Mineralien;

nleitung zu selbständigen Arbeiten auf dem Gebiet der Krystallo- graphie Wineralogie und Petrographie. Claifen: Experimental- Chemie : Organischer Theil ; Organisches Praktikum; Anleitung zu selbständigen Arbeitcn auf dem Gebiet der organischen Chemie. Classen: Chemie der Metalle; Anorganisches Praktikum ; Aus- führung selbständiger wissenschaftliher Arbeiten ; Gerichtlihe Chemie. Dürre: Einleitung in die Hüttenkunde; Metallhüttenkunde ; Besondere Kapitel der Eisenhüttenkunde (CGisengießerei, Walzen- kalibrierung 2c.); Entwerfen von Hüttenanlagen ; Hüttenmännische un t; Löthrohrprobierkunst ; Anleitung zu metallurgischen

ersuhen. Holzapfel: Spezielle Geologie; Paläontologische Vebungen ; Elemente der Mineralogie und Geologie. Schulz: Bergbaukunde ; Entwerfen bergmännisher und Aufbereitungsanlagen ; Salinenkunde; Bergverwaltung. Stahlschmidt: Technische Chemie ; Entwerfen von chemishen Fabrikanlagen ; Chemisch-tehnisches Praktikum. Dozent: Fenner: Markscheiden und Feldmessen ; Mark\cheiderifche S R Uebungen im Markscheiden und Feldmessen. Wieler : Botanik.

Abtheilung für allgemeine Wissenschaften, ins- hfondere für Mathematik und Naturwissenschaften. Yrofessoren: van der Borght: National-Oikonomie 11; Geschichte der Nationalökonomie: Grundzüge der Finanzwissenschaft ; Baurecht. Jürgens: Höhere Mathematik 11 mit Uebungen ; Algebraische Analysis ; Mathematishes Seminar. von Mangoldt: Höhere Mathematik I mit Uebungen : Elemente der analytishen Geometrie, der Differential- und Integral-Nechnung mit Uebungen. Ritter: Mechanik T. und 11. Kurs. Schur: Darstellende Geometrie : Elemente der darstellenden Geometrie. Wülln er: Experimental- Physik ; Physik in mathematischer und experimenteller Behandlungs- weise. Ausgewählte Theile ; Uebungen im physikalischen Laboratorium : a. für Cleftrotehniker und Chemiker, b. für Physiker. Dozenten : Wiener: Experimental-Physik enc. Kurs; Grundzüge der physika- lischen Chemie. Storp: Gewerbehygiene; Gewerbehygientsche Gefeßgebung. Außerdem: Hasenclever: Kaufmännishe Buch- führung für Techniker. Müller : Die erste Hilfeleistung bei plög- E tollen, mit Uebungen. Lieven: Bakteriologis{hes

aktifkum.

Programme sind auf Ersuchen vom Sekretariat zu beztehen.

Deutscher NReics8tag. 42. Sißung vom Mittwoch, 20. Februar. 4 Ner den Beginn der Sißung ist gestern berichtet orden.

Bei der zweiten Berathung des von dem Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vg.) eingebrahten Gesehentwurf, betreffend die Volksvertretung in den Bundesstaaten, in Verbindung mit der zweiten Berathung des von den Abgg. Ancker und Genossen (fr. Volksp.) eingebrachten Geseßentwurfs, betreffend die Volksvertretung in den Bundes- staaten, und der zweiten Berathung des von den Abg. Auer und Genossen (Soz.) eingebrahten Geseßentwurfs, betref- fend die Volksvertretung in den Bundesstaaten und in Elsaß- Lothringen, nimmt zunächst das Wort der G age Bevollmächtigte zum Bundesrath ‘von Vergen:

Meine Herren! Gestatten Sie mir hier noch einige Worte-zur Erwiderung auf die Rede der Herren Abg. Pachnicke und Richter in der vorigen Berathung über diesen Gegenstand! Herr Pachnicke hat in seiner Rede am 13. d. M. sih darüber beklagt, daß ih seinen

ntrag so kurzer Hand zurückgewiesen habe; früher sei man entgegenkommender gewesen. Herr Pachnicke übersieht, daß dies ge- [ehen ist zu einer Zeit, die längst vorüber ist, und daß alles be- urtheilt werden muß nach der Zeit , in welcher es geschieht. G Dann bleibt Herr Pachnicke dabei, daß auch jezt noch 1200 auern in Mecklenburg existieren, obwohl der Herr Abg. Rettich unter Bezugnahme auf authentishe Quellen ihm nachgewiesen hat, daß 7000 Bauern in Medcklenburg existieren. (Zuruf links.) Alles l allem! (Zuruf links.) Ja, in der Ritterschaft existieren etwas Wer 1500. Also wenn Herr Pachnicke die überschüssigen 5800 Bauern nit felbst gelegt hat, so leben sie sämmtli noch.

zum Deutschen Reihs-An

Zweite Beilanze zeiger und Königlich Preußischen Staals-Anuzeiger.

Berlin, Donnerstag, den 21, Februar

Herr Pachnicke wirft mir ferner vor: s{chneidende Kritik des Bundésrathsbeschlusses vom Jahre 1875, der die Erwartung ausspricht, es werde der mc@cklenburgishen Regierung gelingen, ihre Verfassung zu reformieren. Ja, habe ih denn überhaupt die Frage erörtert, ob Mecklenburg seine Verfaffung ändern will, oder ‘nicht? Dann hat Herr Dr. Pachnike meine Rede überhaupt nit verstanden. Meine Rede richtete sih gegen die Worte des Herrn Dr. Pachnicke: Meine Herren, verschaffen Sie doch dem Lande Mecklenburg eine Verfassung! Ich habe nicht gesagt, wir wollen diese Verfassung nit ändern, sondern ih babe gesagt, Siekönnen sie nicht ändern, und ih habe Jhnen dann böflih anheimgegeben, die Hand davon zu lassen. Nun glaubt Herr Abg. Nichter aus meiner Rede vom 5. d. M. zu entnehmen, daß ih als Vertrauensmann der mecklenburgischen Bevölkerung gesprochen habe. Meine Herren, ih habe hier gesprohen als Vertreter der medcklenburgishen Regierung; damit ist allemal gemeint die Regierung von Medcklenburg-Schwerin und die Regierung von Mecklenburg- Streliß. Jh glaube mich nicht zu irren, wenn ih annehme, daß der weitaus größte Theil des mecklenbuxgishen Volkes hinter seiner Re- gierung steht und niht hinter Herrn Richter, und wenn ih in diesem Glauben in meiner ersten Nede einmal gesagt habe: überlassen Sie es den Mecklenburgern, ihre Verfassung zu ändern, wenn sie es für nothwendig erkennen, fo werde ih mich deswegen mit meiner Ne- gierung abzufinden haben. Die Mecklenburger, glaube ich, haben mir diese Art der Vertretung und die Jnanspruhnahme ihres Ver- trauens für dieses Mal verziehen ; denn ih habe zahlreiche Kundgebungen aus Mecklenburg bekommen, die dies zu bestätigen scheinen.

Der Herr Abg. Richter hat dann in seiner Rede vom 13. d. M. Ihnen eine hiftorishe Darstellung aus Mecklenburg gegeben, seinen Geschichts\chreiber aber niht genannt. Ich glaube seine Quelle zu kennen. Wenn ich mich darin nicht irre, so ist sie niht unberühmt ; unbestritten aber ist, daß sie ziemli viel Unwahres über Mecklenburg verbreitet hat. Das hat denn auch der Abg. Richter herausgefunden und es nah seinem Geschmack verwerthet. Herr Nichter sagte u. a. : „In Wahrheit beruht dieser Erbvergleih auf Gewaltthätigkeit und Be- stehung; von Tradition und Urwüchsigkeit gar keine Rede." Meine Herren, das ist nicht die Wahrkeit; das ist, um einen Ausdruck des Herrn Abg. Richter hier zu gebrauchen, brutale Vergewaltigung der mecklenburgishen Geschichte. Der Erbvergleih is durch eine ver- einigte Kommission der Nitter- und Landschaft in friedliher Form ausgearbeitet. Jn demselben wurde wesentlich uraltes Herkommen fodifiziert. Auch die Darstellung über den Landtag von 1748 ift falsch, es handelte sh dabei gar nicht um cinen Verfassungs- streit, sondern um cinen Steuermodus. Die Angaben über den Freienwalder Schiedsspruh hat Herr Abg. Rettich bereits zutreffend richtiggestellt, und ih glaube, einige andere Widerlegungen hat Herr von Buchka noch auf dem Herzen ; ich will ihm darin nit vorgreifen. Aber mag dem sein, wie ihmfwolle ih habe hier das, was vor 100 und 200 Jahren in Mecklenburg passiert is, nicht zu verthei- digen. Ich vertrete die Gegenwart und habe Ihnen den Standpunkt der gegenwärtigen Regierung in Mecktlenburg klar und offen dargelegt. Sie haben nihts vorgebracht, was mich veranlassen könnte, etwas daran zu ändern. Herr Richter suchte Ihnen historisch nachzuweisen, daß Mecklenburg sih an die Hilfe des Reichs son gewöhnt haben müsse. Darauf erwidere ih: weder Mecklenburg noch irgend ein Bundes\taat des Deutschen Reichs wird fsih jemals daran ge- wöhnen, daß das Reich geseßwidrig verfährt. (Sehr wahr! rets.) Das thut das Reich, wenn es seine Kompetenz überschreitet, oder wenn es seine Kompetenz erweitert, ohne ein Recht dazu zu haben.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Das Reich hat unzweifelhaft das Recht, seine Kompetenz auf geseßlihem Wege zu erweitern. Das hat nicht einmal der Abg. von Buchka bestritten. Im übrigen steht es dem mecklenburgishen Bevollmächtigten {lecht an, die mecklenburgi- schen Verhältnisse gegen das Reich au8zuspielen. Die Mehrheit der mecklenburgishen Bevölkerung steht in der vorliegenden Frage niht hinter der mecklenburgishen Regierung, sondern hinter den Verfehtern der gegenwärtigen Anträge, wie eine Volks- versammlung in MNRostock erst in den leßten Tagen ge- zeigt hat. Die Darstellung, welhe ih von der mecklen- burgischen Verfafsungsgeschichte gegeben habe, habe ih aus dem Werk des konservativen Historikers von Hirschfeld ges{chöpft, und der Abg. Nettich hatte Unreht, wenn er bei der ersten Lesung meine Darstellung bemängelte. Was die Auslassungen des Abg. Nauck über das Ver- hältniß zwishen Volk und Fürsten in Me lenburg-Strelißz betrifft, so finde ich es etwas unvorsichtig, dieses Verhältniß zu rühmen. Kein Land weist einen so großen Prozentsaß von Auswanderern auf, œie Mecklenburg. Man hat von gegne- riser Seite auch bemerkt, wir sollten uns statt um die mecklen- burgishe Verfassung mehr um die Reichsfinanzen kümmern, da- mit Mecklenburg nit so stark zu Beiträgen für das Neich heran- gezogen werde. Wie es- mit den Finanzen Mecklenburgs bestellt ift, ergiebt sich aus dem Gothaer Kalender, der bei Mecklenburg kurz be- merkt : Zuverlässiges über die Finanzen nicht zu erfahren. Der Abg. von Frege hat bei der vorigen Berathung eine Lobrede zu Gunsten des Fürsten Bismarck gehalten und dem Monarchen seinen Dank für die Änschrift ausgesprochen, welhe den Bismarckthurm bei Göttingen zieren soll. Mir wird es wohl erlaubt sein, wenn ih dem Monarchen meinen Dank dafür ausspreche, daß er im Jahre 1890 mit der ganzen Kanzlerautokratie ein Ende gemacht hat.

Abg. von Buchka (kons.): Für die Art und Weise, wie der Abg. Richter den mecklenburgishen Bundesstaat und die mecklen- burgishe Regierung herabgewürdigt hat, fehlt mir die parlamentarische Bezeichnung. Ih will den von dem Vorredner angeshlagenen Ton nicht fortseßen. Eine Bestreitung der Kompetenz des Reichs ist weder mir oil meinen politischen Freunden jemals eingefallen. Der Nest patriarchalishen Regiments, der noch in Mecklenburg besteht, hat sich gut bewährt, wenn ich auh_ zugebe, daß die Geseßgebungsmaschine etwas langsam arbeitet, So s{chlimm wie der Abg. Pachnicke es dargestellt hat, sind die Serte in Mecklen- burg keineswegs, und es liegt niht im mindesten die Nothwendigkeit vor, von NReichswegen bier einzugreifen. Den historischen Bemerkungen des Abg. Nichter gegenüber muß ih konstatieren, daß im Jahre 1849 das Recht auf Seiten der mecklenburgishen Stände war. Von ‘einem Rechtsbruch kann demnach bei dem Feeienwalder Schiedsspruch keine Nede sein. Ich bestreite dem Abg. Richter, daß die Mehrheit der Bevölkerung bezw. der Wähler in Mecklenburg für den M nicke oder ben Antrag Ancker ist. Die fozia demokratishen Wähler sind sier nicht für diese Anträge zu zählen; denn die 2 estrebungen der Sozialdemokraten gehen in einer ganz anderen Richtung, als auf

1895.

die Einführung einés konstitutionellen Regierungésystems. Die Auf- rechnung der Parteistärke will aber überhaupt nit viel besagen an- gesihts einer Entwickelung, die uns mehr und mehr zum alten Ständewesen zurücführt. :

Ne Dr. Pahnicke (fr. Vg.): Den. Zweifeln gegenüber, daß die Mehrheit der nmecklenburgishen Bevölkerung hinter den Antrag- stellern stehe, will f gin aue eine Zuschrift verweisen, die mir aus bäuerlichen Kreisen Mecklenburgs geworden ist. Darin wird kurz und gut erklärt, daß ein medcklenburgischer Konservativer weit {limmer sei, als 100 Sozialdemokraten. Durch die Versammlung in Rostock, welche si am Montag für meinen Antrag erklärte, ging ein Zug von wahrem Enthufiasmus. Die Berechtigung des Reichs zum Einschreiten hat der Abg. von Buchka anerkannt. Thatsächlich hat \ih der Bundes- rath 1875 {hon im Sinne meines Antrags ausgesprohen. Wenn der Antrag heute mit. Hilfe des Zentrums abgelehnt wird, so bin ih sicher, daß sih in Meklenburg felbst eine Bewegung zu Gunsten der Einführung einer Verfassung im Sinne meines Antrags entwickeln wird, der die mecklenburgishe Ritterschaft auf die Dauer nicht wird widerstehen können.

Abg. Graf von Bernstorff-Uelzen (b. k. F.): Ih muß die Kompetenz des Reichs im Sinne des Antrags Pachnike bestreiten ; ih betrahte es als ein Reht Mecklenburgs, seine Verfassung selbst zu bestimmen. So gane also die Kompetenz des Neichs niht erweitert ist, werde ih gegen den Antrag Pachnicke stimmen. Wenn die mecklen- burgishe Rehtspartei hiér ins Spiel gebraht worden ist, . so möchte ih, da ih derselben nahe stehe, erklären, daß wir den Rechtsboden, wie er vor 1866 bestand, als die allein geeignete Basis, für eine je dethlihe Entwickelung Deutschlands halten. Das Lob des Par mentarismus, welches die Befürworter der gegenwärtigen Anträge gesungen haben, ist recht durchsichtig. Nirgendwo herrscht eine größere politische Korruption, als in Varsamentarith regierten Staaten.

Abg. Singer (Soz.): Nicht wegen, sondern troß des Parlamen- tarismus hérrsht in manchen Staaten Korruption. Sorge man dafür, daß das Volk seine wahre Vertretung durch die Wahlen findet, so wird es bald besser werden. Jeßt dient der Parlamentarismus viel- fa der Vertretung von Interessen bestimmter Gruppen. Die Be- rechtigung des Reichs zu einer Einwirkung auf Mecklenburg im Sinne der vorliegenden Anträge ist unbestreitbar. Unser Antrag geht weiter als die beiden anderen. Obwohl wir mit dem Antrage des Abg. Pachnicke niht einverstanden find, werden wir, falls unser An- trag abgelehnt wird, für ihn stimmen. Wir thun dies nur, um den Gedanken zu E daß jeder Einzelstaat eine Volksvertretung haben müsse. Freilich muß diese Vertretung aus dem allgemeinen gleichen geheimen Wahlreht hervorgehen, das auf diejenigen ausge- dehnt werden müßte, die das 20. Lebensjahr beendet haben. Wenn die jungen Leute bei uns zum Kanonenfutter gut sind, so müssen sie auch an der Geseßzgebung theil nehmen dürfen. it dem Wahlrecht der Frau haben andere Staaten {hon gute Erfahrungen gemacht. Die ganze Haltung des Parlaments is eine bessere, wenn aud Frauen in ihm vertreten find.

Abg. Winterer (Els.-Lothr.): Im Namen meiner politischen Freunde muß ich erklären, daß der Landesaus\{chuß in Elsaß-Lothringen durchaus niht so machtlos ist, wie es hier dargestellt wurde. Mit dem Wahlmodus bin ih durchaus nicht einverstanden ; aber wir find gegen jede Einmischung in unsere internen Angelegenheiten und wollen auh feine Berormundung seitens des Reichs in anderen Staaten. Wir werden darum gegen alle Anträge, namentlih gegen den Antrag Auer stimmen.

Mecklenburgisher Gesandter von Oerßen: Ich halte mich für verpflichtet, gegen die empörenden, allem Anstandsgefühl hohnsprechen- den Aeußerungen des Abg. Richter, und von linker Seite gegen . (Großer Lirm links; wiederholte Rufe: Zur Ordnung! Erneuter L Lärm, in welhem die weiteren Ausführungen des Redners völlig verloren gehen.)

Präsident von s aaf Ich habe mein lebhaftes Bedauern darüber auszusprehen, daß seitens eines Mitgliedes des Bundesraths Aeußerungen gefallen find, die mit der Ordnung des Hauses nicht in Einklang zu bringen sind.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Dem „Abg. Singer gegenüber konstatiere ih, daß ih vor aht Tagen erklärt habe, ih wolle auf die Frage des Frauenstimmrechts in den Einzelstaaten nicht eingehen, weil der Reichstag nicht dafür zuständig is. Wenn die Sozialdemokraten es anders wollen, so mögen fie den Antrag einbringen, das Frauen- stimmreht im Reich einzuführen. Im übrigen muß ih bei meinen früheren Aeußerungen über die Kompetenz stehen bleiben, fo lange nicht der § 4 der Verfassung geändert wird.

Bei der Abstimmung wird der Antrag Auer u. Gen. gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der Antrag An cker u. Gen. gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der frei- sinnigen Volkspartei und eines Theils der freisinnigen Ver- einigung, der Antrag Pachnicke gegen die Stimmen der Nationalliberalen, der beiden freisinnigen Fraktionen und der Sozialdemokraten abgelehnt.

Das Haus geht sodann zur Berathung des folgenden, von den Abgg. Hitze u. Gen. (Zentr.) eingebrachten Antrags über :

Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersuhen, Erhebungen darüber zu veranstalten : 1) wie die Be- schränkung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen 137 der Reichs- Gewerbeordnung) in wirthschaftlicher, gesundheitliher und sittlicher Beziehung gewirkt hat; 2) welche Erfahrungen speziell bezüglich des Verhältnisses von Arbeitszeit und Arbeitsleistung gemacht {ind ; 3) wie weit die Beschränkung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen auf die der Arbeiter zurückgewirkt hat ; 4) in wie weit nah den ge- machten Erfahrungen eine generelle oder spezielle Beschränkung der Arbeitszeit auch für die Arbeiter nothwendig erscheint und welche Beschränkung ; 5) wie die Beschäftigung verheiratheter Arbeiterinnen auf Gesundheit und Familienleben einwirkt; in wie weit die Vor- {rift der Gewährung einer 1èéstündigen Mittagspause für Arbeiterinnen, welhe ein Hauswesen zu besorgen haben 137 Abs. 4 der Gewerbeordnung), jenen thatsächlid) zu gute kommt; welche weiteren geseßlihen Beschränkungen bezüglich der Beschäftigung verheiratheter Frauen möglih und nothwendig erscheinen.

Abg. e tan t (Zentr.): Im Arbeitershußgeseß von 1890 haben wir weitgehende Beschränkungen für die Beschäftigung von Arbeiterinnen eingeführt ; namentli gilt dies von der Festseßung einer hygienischen Marximalarbeitszeit. Einige Parteien, namentlich die freisinnige Au vertreten heute noch den Standpunkt, daß eine Regelung der Arbeitszeit für die erwahsenen Arbeiter nicht nöthig sei. Wir be- zwecken aber mit unserem Antrag, festzustellen, ob nah den ge- machten Erfahrungen eine Beschränkung der Arbeitszeit auch für die Arbeiter nothwendig erscheint. Wir wünschen mer Erhebungen darüber, welhe weiteren geseßlichen Beschränkungen ür die Beschäftigung von verheiratheten Arbeiterinnen wünschens- werth seien. Daß nicht alles auf einmal gemaht werden kann, ift selbstverständlih. Es müßte aber ein frisherer Hauh durch die Maß- nahmen der Regierung gehen. Sie muß nicht allein die Aufsichts- beamten hören, }ondern au Arbeiter. Der Tendenz unferes Antrags, dem Arbeiter ein geordnetes Familienleben zu ermöglichen, werden

wohl alle zustimmen.