1895 / 51 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 27 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

9 s R E E R E R

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse :

Meine Herren! Auf die allgemeinen Volkss{hulbes{werden des Herrn Abg. von Czarlinski brauche ih wohl niht weiter einzugehen. Was die körperliche Züchtigung in den Volkéschulen anlangt, fo bin ih mit dem Herrn Abgeordneten darin einverstanden, daß die Lebrer die besten sind, die der fkörperlihen Züchtigung niht be- dürfen; aber ebenso, hoffe ih, wird der Herr Ab- geordnete darin mit mir einverstanden sein, daß es Kinder giebt, die so ungezogen sind, daß ibnen die Ruthe gebührt. (Sehr rihtig!) Und, meine Herren, es steht {hon in der Bibel: wer seine Kinder lieb hat, der züchtiget sie. Jh wünsche durchaus keine

Veberschreitung des Züchtigungsrechts, im Gegentheil, wir \c{reiten

auf das strengste ein, wenn die Schranken des Züchtigungsrechts überschritten werden; aber mehr können wir nicht thun, und zuweilen is es sehr nüßlih, daß ein Kind auch einmal empfindlih gezühtigt wird, wenn es die Schranken der Sitte und Zucht überschreitet. (Sebr richtig! rets.) Meine Herren, darauf will ih noch aufmerksam machen: Ich ließe mir das noch gefallen, wenn diese Beschwerden durchgängig durch die Monarchie gingen; aber es ist doch auffallend, daß diese Beschwerden über diese körperlihe Züchtigung bauptfählich dann kommen, wenn einmal ein polnisches Kind von einem deutschen Lebrer einen Klaps bekommt. (Heiterkeit)

Dann bat mich der Herr Abg. von Czarlinski gefragt, warum die katholischen Lebrer denn nicht definitiv angestellt würden, wenigstens nit rasch genug. Darauf kann ich nur erwidern, weil sie die zweite Prüfung nicht s{neller machen; sobald sie die zweite Prüfung gemaht haben, werden sie fo gut angestellt, wie die evangelischen, da machen wir absolut keinen tonfessionellen Unterschied.

Was den Kreis-Schulinspektor in Mogilno anlangt, fo ift über den Vorgang, den der Herr Abg. von Czarlinski erwähnt hat, und der aub in der Presse besprohen worden ift, von mir Bericht er- fordert. Der Bericht ist noch nicht da, ih kann also darüber keine Auskunft geben. Mir {eint die Thatsahe, daß der Kreis-Schul- insrektor dem Lebrer gesagt baben foll, fein Vortrag, feine Lehre \ei piel zu katholis, in bohem Grade unwahrsceinlih; denn, meine Herren, wir mischen uns garnicht in die Frage ein, ob die Lebre zu katholis ist oder niht katbolish genug. Das ist Sache der katholischen Kirche, darauf zu halten, daß die fkatbolishen Lebrer auch katholischen Religiontunterricht ertbeilen.

Endlich sei einem Lebrer, sagt der Herr Abg. von Czarlinski, verweigert, die Kinder zur beiligen Messe zu fübren. Ja, meine Herren, der Vorgang ift mir nicht bekannt, und ih darf wobl im all- gzmeinen sagen: wenn derartige Dinge in der Provinzialverwaltung,

Q valtung vortommen, so muß doch nothwendig, ebe ih

nde und vor der Landesvertretung die Verantwortung

die Inftanzen hindurchgeaangen und an

lange eine Beschwerde darüber nit

inipekltion oder bei dec Regierung gefübrt und

n an mi gelangt ift, solange bin ich garnicht in der Lagè, irgend 28 darüber sagen zu

nau dasfelbe ift der Fall in dem anderen Falle, den der Herr

zat, wo ein Lebrer ih nah der Mei-

j gegen den Kreis-Swbulinspektor be-

ine Ordnungéstrafe von 10 Æ aufrecht erbalten

e darüber an mi nit gelangt, folglih

Ich Tann weder fagen, daß

1 die Sache an mih

für den Evangelishen. Jch miß- è feinen Fall, wo ich feiner vorkommen, wo das jule entfernt wird. (Bravo! im Zentrum.)

ersauf der Berathung nahm sodann noch Zentr.) das Wort. } Dr. Kügler: Den Vorwurf, als ob in e Bezirksregierungen in Bezug auf die Begründung en nit paritätisch verführen, muß ich zurückwcise e [iegen in Westpreußen eigentbümlih; weil die Mehr- Bevölkerung früber protestantis war, so waren au reist protestantisch und blieben es auch, als die Be- end fatholisch wurde. Es wurde für solche Fälle von rwaitung den Gemeinden nabe gelegt, eigene kon- zu gründen, wo aber die Gemeinde nicht leistungs8- ngs au der Unterrihtsverwaltung die Hände ge- en. Wo de }ch nach Gründung neuer konfessioneller Schulstellen gendwie erfülitar ist, wird er erfüllt und es wird dabei ohne Rüdsict aur die Konfession verfahren werden. Bestimmen Sie die Gemeinden, für die Errichtung kenfessioneller Schulen auch bei den fleinsten Mis- noritäten einzutreten, so werden Sie bei der Regierung stets Ent- gegeukommen finden, bciden Konfessionen wird dabei Gerechtigkeit widerfahren. i

Abg. Conrad-Pleß (Zentr.) befürwortet die größere Berük- sichtigung des Polnischen beim NReligionsunterriht volnischer Kinder in den Schulen Oberschlesiens.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ja, meine Herren, wenn ih könnte, fo wollte ich es {on deshalb gern thun, weil ih persönlich davon durchdrungen bin, daß die Wünsche des Herrn Abg. Conrad so wohlgemeint und fo gut deutschpatriotish find wie nur möglich. Aber ih bin überzeugt, daß der Herr Abgeordnete fich irrt über die Folgen, die jede Konzession an den polnishen Sprach: unterrit in Oberschlesien nothwendig für uns haben müßte. (Unrube bei den Polen.) Es ift eine Konzession heute weniger mögli als sie es je gewesen ift.

Die Schlesier, die Oberschlesier, haben sih seit Jahrhunderten als Preußen angesehen, und sie baben ihren Schwerpunkt nah der deutschen Seite hin gelegt. Jett wird ihnen jeden Tag vorgeredet: Ihr seid nicht in erster Linie Preußen, Jhr seid in erster Linie Polen; Ihr gehört zu dem großen polnischen Nationalrei, das demnächst errichtet werden foll. und das doch nur aufgeri@tet tverden kann auf Kosten des

Beitandes des preußishen Staats und des Deutschen Reichs. Meine

ellen.

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Herren, jede Förderung des polnischen Unterrichts in der oberschlesischen

Volks\cule würde cine Förderung verwerflißer und gegen unseren Staat feindliher Agitation sein (sehr wahr!), und dazu können wir die Hand nicht bieten, unter feinen Umständen! (Bravo!)

Nun würde ih allerdings dennoch sagen: wenn ih überzeugt wäre, daß bier wirklih ein Shaden vorläge, daß die Kinder Schaden nehmen an ibrer religiösen Erziehung, an ihrer Seele, so wäre es nihtêdestoweniger die Pflist des preußishen Staats, zu erwägen :

wie kann man da belfen, und welhe Shußwehren kann man da noch einrihten ? Aber, meine Herren, fo liegt die Sache niht. Ih habe noch aus der neuesten Zeit beraus Urtheile von fatbolishen böberen Geistlichen, die die Schulen in Oberschlesien visitiert baben und mir bezeugt baben, sriftlich und amtlich bezeugt, daß sie die Kinder und zwar nicht bloß einzeln, sondern die Schulen im ganzen, im Religions- unterriht gut unterri{tet und mit vollem Verständniß für die reli- giösen Wahrheiten ausgerüstet gefunden haben. (Hört! hört! rets.) Nun, meine Herren, wenn ih diese amtlichen Bezeugungen babe von den Organen der fatholishen Kirche, dann kann ih unter den beutigen politishen Verbältnifsen unmöglich eine Aenderung diéser Ver- bâltnisfse eintreten lassen; dann sage ih: es bleibt so, wie es ist. Im übrigen hindern wir die Obershhlesier nicht, unter ih polnisch zu sprechen, soviel sie wollen, und ihre polnishe Sprache zu pflegen nach Herzenslust. Das mögen fie thun; aber die deutsche Schule kann nit dazu beitragen, diese national-polnishen Agitationen, die ja dem Herrn Abg. Conrad au bekannt sind, und die wir nicht untershäßzen dürfen, auf irgend eine Weise zu fördern. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, ih bin auch überzeugt: im großen und ganzen will das eigentlihe obershlesisWe Volk, wollen die Landgemeinden, die Landleute gar keine Aenderung auf diesem Gebiet. Die Haus- väter einer obers{lesfishen Gemeinde, deren Kinder eine 3 km ent- fernte Schule besuhen müssen, haben sh jeßt an mih gewendet mit der Bitte um Gründung einer eigenen Schule. Das sind Leute polnischer Zunge, und fie sagen: unsere Kinder, die auf dem Schul- weg ibre Unterbaltung meist in polnisher Sprache führen wogegen ih au garnihts babe —, vergessen auf dem langen Wege das ihnen mühsam von dem Lehrer ‘eingeprägte Deutsch. Das wollen die Eltern niht; die Eltern wünschen, daß ihre Kinder deutsch \prehen lernen, und zwar daß sie das Deutsche behberrshen lernen. Meine Herren, das fköônnen wir niht erreihen, wenn wir jeßt nah so vielen Jahren einer Praxis, die fh bewährt hat, den deutshen Religionsunterriht in einen polnishen ums wandeln wollten. Das würde seine Konsequenzen baben, das würde eine große politishe Maßnahme sein, und wir würden gerade das Gegentheil von dem erreihen, was auch der Herr Abg. Conrad erreichen will. Wir wollen, daß die Kinder ordentlich religiôs unter- rihtet werden. Wir haben uns aber auch überzeugt, daß fie das werden, und so lange dies der Fall ist, fönnen wir zu der Einführung der volnishen Sprache in den obers{lesischen Schulen die Hand nicht bieten. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Stephan (Zentr.): Nur die verkehrten Maßnahmen der Regierung haben die großpolnische Agitation in Oberschlesien groß- gezogen. Früher batten wir nur kleine polnishe Blätter, jeßt hat es die polnisde Presse in Oberschlesien zu großer Bedeutung gebracht. Die Haltung der Regierung dient nit zur Förderung des Religions- unterrihts in Oberschlesien. Eine Rüdcksprache mit einzelnen Geistlichen balte ih nit für genügend, hat sich der Minisier mit dem Fürstbischof von Breslau in Verbindung geseßt? Politishe Bedenken müßten binter dem religiösen Bedürfniß zurücktreten. Ein Schulkind von elf Jahren von volnishen Eltern kann dem deuts ertbeilten Religionéunterriht no% nicht folgen und auf der zweiten Stufe der Volks- schule, wohin Kinder in diesen Alter qgeböôren, wird der Religionsunterriht {on deuts{ch ertheilt. Auch auf den Lehrer- Seminarien wird Polnish nicht genügend gevflegt, ebenso stebt es auf den Gyrvmnasien. Infolgedessen verstehen weder Geist- lide noch Aerzte beim Eintritt in ihre Wirksamkeit die polnische Sprache in genügender Weise. In den Industriebezirken, in denen oft Vater und Mutter auf Arbeit geben, ist es nothwendig, daß die Schule, insbefondere die Muttersprache, die polnische, pflegt. Nament- lid im Hinblick auf die soziale Frage müfsen wir die Forderung stellen, daß der Religionéunterriht auf allen Stufen der Volkéshule in Oberschlesien volnisch ertheilt wird.

Minister der geistilihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ih bin durch die Ausführungen des Herrn Vor- redners nicht überzeugt worden. Es ifff mir wohlbekannt, daß in Oberschlesien die Melodie, daß die Einführung des polnischen Sprach- unterrihts und Religionsunterrihts in die Schule dem deutschen Staate nichts schaden würde, in allen Tonarten gesungen wird. Aber ih kann nur bedauern, daß manche Deutsche in Oberschlesien nah dieser Melodie noch immer tanzen. (Sehr richtig! rechts.) Ich halte sie ni@t für richtig; es ift eine falshe, eine verlockende, eine ver- führerishe und trügerishe Weise, gegen die wir das oberschlesishe Volk \{üßen müssen. (Bravo! rets.)

Meine Herren, was würden wobl die obers{lesishen einfachen Leute denken, wenn die preußishe Staatsregierung nah einer dreißig- jährigen ganz fTonfequenten Sprachenpolitik in den obers{hlesischen Schulen jeßt mit einem Male fagen wollte: nein, diese ganzen dreißig Jahre haben wir fals gehandelt, jeßt müssen wir uns überzeugen, daß wir nah dem, was uns die nationalpolnishen Blätter fort: während vorsingen, tanzen müssen; wir müssen jeßt dem Polnischen einen breiteren Naum in dem ganzen obers{lesis{chen Volksleben ein- räumen. Das hieße doch die Leute mit Gewalt in die national- polnishe Agitation bineinbringen. (Sehr richtig! rechts.) Man braudt ja nur die Blätter zu lesen, die gerade von der Nachbarschaft von Oberschlesien, von Galizien aus, über unsere Grenze hinein- geworfen werden; man braucht nur zu sehen, wie die Sache dort ge- macht wird dann wird jemand, der es mit dem deutschen Staat gut meint, der helle Augen hat, und der richtig informiert i, ih nehme an, daß ih durch die Behörden richtig informiert bin diese Gedanken niht weiter verfolgen.

Davon schreckt mich auch nicht ab der Hinweis auf die Sozial- demokratie. Jch untershäße die Gefahren der Sozialdemokratie ganz gewiß niht; aber wenn ih mir den „Katölifk* ansehe und andere polnische Blätter, die dort sozialdemokratishe Wühblerei treiben, dann sehe ih die sozialdemokratishe Gefahr mehr auf der anderen Seite (sehr rihtig! rechts) und nicht in der Abschaffung des deutschen Religionsunterrichts. Der deutshe Religionsurter- riht hat sch im großen und ganzen bewährt. Das obershlesishe Volk kommt damit aus; der oberschlesische Klerus erkennt an, daß die Religion dort nicht zurück- geht, und unter diesen Umständen wäre es geradezu eine Handlung gegen den Bestand des preußishen und des deutshen Staats, wenn wir die großpolnishe Agitation, die den Oberschlesiern vorredet, fie seien Polen und keine Preußen, stärken wollten. Das thun wir nit. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. Dr. Sattler (nl.): Ih bin von Oberschlesien aus auf- gefordert worden, den Kampf um die deutshe Sprache nit immer dem Minister allein zu überlaffen. Nur deshalb sp ih zu dieier Polendebatte. Wenn der Abg. von Czarlinskfi meint, tie

Zurückaahme des Schulgesezes zeuge von geringem Interci e für das religióse Bedürfniß, so möhte ih hervorbeben,

dies fkeineêwegs der Fall den Shulbibliothek dae ie Auma De Ver midt jo, esoeata, eins uer verd. e mnanta mussen de , e : t Hebung des -fatbolishen Bolkssulwesens

1

einung zu bilden. i bin ih gern bereit, alle nöthigen Mittel zu bewilligen, ih halte aber die erhobenen Klagen für zu ebend. Den Abg. Conrad möchte ih darauf aufmerfsa:n maen, daß die Oberschlesier kein Hochpolnisch sprehen. Für die Kinder ist es glei, ob sie die abstrakten Begriffe, um die es sich beim Religionéunterriht handelt und von denen sie noch keine Ahnung hatten, hohpolnisch oder deuts lernen, da fie Hocpolnisch an und für sich nicht verstehen. Wenn der Religions- unterricht polnish ertheilt wird, wird auch die Einführung des polni- shen Sprachunterrichts verlangt werden. I freue mich, daß von seiten des Ministers diesen Forderungen entgegengetreten worden is. Seit Jahrhunderten, möchte ih sagen, ist die polnische Agitation thätig ge- wesen, dur das Geseg von 1886 ist fie niht J worden. Im Interesse des Deutschen Reichs, des preußishen Staats liegt es, daß alle Bewohner Deutsch, nicht aber Poluish oder Mähris) lernen. Wäre es nah unferem Willen gegangen, wären den Polen auch in Posen keine Konzessionen gemacht worden.

__ Abg; Dr. Porfch (Zentr.): Die Schärfe, mit der der Minister die Forderungen der Polen Oberschlesiens zurückgewiesen hat, hat mich mit Tebhaftem Bedauern erfüllt; die polnische Agitation wird dadurch, wie ich fürchte, neue Nahzung erhalten. Die ganze Agitation ist die Folge der verderbten Schulpolitik in Oberschlesien und wird bestehen bleiben, fo lange diese besteht. Der Abg. Sattler kennt die -obershlesishen Verhältnisse nicht, seine Schlüsse find fo falsch wie alle auf graue Theorie hin gefaßten Schlüsse. Eine wirklich un- parteiishe Enquête unter den Seelsorgern in Oberschlesien würde das Meinungsrefultat ergèhen, daß die bisherigen Maßregeln der Scul- verwaltung nicht heilsam sind. So wichtig das Erlernen des Deutschen ift, wichtiger ist der Religionsunterricht, der sih nur in der Muttersprache ertheilen läßt. Wenn das oberschlesische Volk Schaden erleidet an feiner religiösen Erziebung, fo ist damit der Sozialdemo- kratie ein großes Feld zur Eroberung geöffnet.

Abg. Dr.Glattfelter (Zentr.) betont die Nothwendigkeit religiöser Erziebung in der Schule, die nur auf konfessioneller Grundlage mögli sei. Die Schule müsse sih an das kirchliche Leben anlehnen, und {on die Kinder müßten zu \trengem Kirchenbesuch angehalten werden. Leider seien immer noch 50 000 katholische Kinder ohne jeden Religions- unterricht ; er rihte also die dringende Bitte an den Minister, die Staatszushüfse zur Gründung neuer Schulstellen da, wo die Katholiken in der Minorität feien, reihlicer fließen zu laffen.

_ Abg. Schröder „Pele) wiederholt die hon in der vorhergehenden Sißung vorgebrahte Beschwerde, daß namentlih in Westpreußen im Verhältniß zur Zabl der polnischen Kinder zu wenig polnische Lehrer angestellt seien. Redner bittet gleihfalls um Gründung neuer Schulstellen.

Miristerial-Direktor Dr. Kügler erwähnt, daß allein in West- preußen in dem leßten Jahre 84 neue Lehrerstellen gegründet seien. Auch die zerstreuten kleinen Minoritäten follten so viel wie n.öglich zu ihrem Neligionsunterriht kommen. Daß 50 000 katholische Kinder ganz ohne Religion8unterriht seien, müsse auf einem Jcrthum berußen.

__ Abg. Freiberr von Zedliß und Neu kir (fr. konf.): Die bisherige Debatte hat gezeigt, daß, wenn Ungerechtigkeiten vorgekommen sind, es zu Ungunsten der evangelishen Schüler geschah. Die Aeuße- rungen über die Verhältnisse in Oberschlesien kann ih jedoch nicht unwidersprohen lassen. Jh bin geborener Sclesier, omme aber auch in genaue und ftändige Berührung mit Männeru, die nicht allein die nötbige Kenntniß über die dortigen Verhältnisse, sondern auch die Unbefangenheit besißen, die nothwendig zu einem richtigen Urtheil vorbanden fein muß. Man darf doch nicht immer einseitig die früheren Schulverhältnisse von vor 1872 mit den heutigen vergleichen, dann kommt man nit zu einer rechten Würdigung. Damals waren die Sthulverbältnisse keineëwegs günstige, und die Kenntniß der deutshen Sprahe war mangelhaft. Jeßt geht daë einstimmige Urtheil dabin, daß die jeßige Schuleinrihtung die Gewähr bietet, daß die Kinder dem Neligionsunterriht mit Verständniß folgæ Tönnen, und die religiösen Interessen nicht verlegt werden, wie ti Agitation der fkatholishen Bevölkerung vorreden möchte. will Ihnen einen Vorschlag machen: Hören Sie auf mit Jhren Ar- griffen auf den Schulunterriht und geben Sie zu, daß die Kenntniß des Deutschen nothwendig ist zu ihrem wirthschaftliden Fortkommez und einem gedeihlihen Zasammenleben, dann wird Friede und Ein- tracht einkehren. Die Regierung muß nothwendig fest und sicher und unbeirrt auf dem betretenen Wege fortschreiten und an ihren Mafß- regeln festhalten, wenn anders nit für den preußishen Staat ein schwerer Schaden entsteben foll. __. Abg. Bumiller (Zentr.) beschwert sih darüber, daß der Kreië- Sghulinspektor in den bohenzollernshen Landen eine Kontrole über den Religionéunterricht in den Volksschulen ausübe, und dem Bischof eine genügende Einwirkung und Kontrole über den Religion8unterrit ers{wert werde. :

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Die Angelegenheit, die der Herr Abg. Bumiller bier soeben zur Sprache gebracht bat, ift bisher auch ncch nicht mit einer Silbe jemals an das Kultus-Ministerium berangetreten. (Hört! hört!) Ich glaube deshalb, daß die Beschwerde, die der Herr Ab- geordnete ausgesprochen bat er syrach von s{önen Worten, die hier vom Negierungstish gefallen feien, denen aber die thatsählihen Verbältnisse nit entsprähen —, in ter That eine ungerechte ift. Meine Herren, wir haben an der Regierung in Hohenzollern einen fatholishen Regierungs- und Schulrath, der Geistlicher ist: ihm bâtte es doch wohl in erster Linie nabe gelegen, diese Verbältnifse zur Sprache zu bringen, wenn sie wirklich zum Bedruck gereihen. Wenn sie zum Bedruck gereichen, so werden fie, wenn sih die entsprehenden Organe an mich wenden, hier geprüft werden, und es wird nah Reckt und Gerechtigkeit darüber befunden werden. Aber so lange die Sade niht an mi berangebracht wird von den betbeiligten Kreisen, fo [ange bin ich nit in der Lage, hier zusagen zu können, taß ih, ohne das das geschieht, meinerseits die Jnitiative ergreifen follte, um Ein- rihtungen zu beseitigen, die bisher ohne jeden Anstand bestanden haben. (Bravo! rets.)

i Be Dasbah (Zentr.) bleibt dabei, daß die katholisen Minderbeiten in Bezug auf Gründung neuer Schulen nit genügend berücksihtigt würden, und führt eine Reihe von Beispielen an, dit seine Behauptung beweisen follen. | _ Ministerial-Direktor Dr. Kügl er erklärt, unmöglich auf alleEinzel- fälle eingehen zu fönnen, und betont nochmals, daß Ministerium wle untergeordnete Behörden pflichtmäßig mit gleihem Wohlwollen daë fatholishe und das evangelishe Schulwesen förderten. Man folle doch nicht immer einen Mißton in die Debatten bringen, indem mai von Imparität, die niht vorhanden sei, spreche.

Die weitere Berathung wird darauf vertagt.

Schluß 41/4 Uhr. #

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

7 S1.

Höhe der Schneedecke in Zentimetern am Montag, den 25. Februar 1895, um 7 Uhr Morgens.

Mitgetheilt vom Königlich preußishen Meteorologishen Institut. (Die Stationen sind na Flußgebieten geordnet.)

Oestlihe Küstenflüsse. Memel (Dange) 28, Tilfit (Memel) 34, Insterburg (Pregel) 35, Heilöberg (Pregel) 25, Königsberg i. Pr. (Pregel) 22. Weich} el.

Groß - Blandau (Bobr, Narew) 23, Czerwonken (Bobr, Narew) 44, Marggrabowa (Bobr, Narew) 36, Klaussen (Pisja) —, Neidenburg (Wkra) 20, Osterode (Drewenz) 16, Altstadt (Drewenz) 12, Thorn 12, Koniß (Brabe) 38, Bromberg (Brahe) 18, Berent (Ferse) 28, Marienburg (Nogat) 22.

Kleine Flüsse zwischen Weichsel und Oder.

Lauenburg i. P. (Leba) 26, Köslin (Mühlenbach) 30, Schivelbein (Nega) 26. M

eri

Leobschüß (Zinna) 31, Ratibor 21, Beutben (Klodnißz) 35, Oppeln 23, Habelschwerdt (Glatzer Neisse) 40, Brand (Glaßer Neisse) 106, Reinerz Glatzer Neisse) 77, Bs (Glaßer Neisse) 30, Griedsand (Glaßer

eisse) 75, Weigelsdorf (Glatzer Neisse) 25, Rosenberg (Stober) 39, Breslau 22, Liegniy (Kaßbach)* —, Fraustadt (Landgraben) 27, Grünberg 24, Krummhübel (Bober) 55, Wang (Bober) 98, Eich- berg (Bober) —, Schreiberhau (Bober) 55, Warmbrunn (Bober) 22, Bunzlau (Bober) 32, Görlitz (Lausiber Neisse) 27, Frankfurt 15, Ostrowo (Warthe) 10, Posen (Wartbe) 10, Tremessen (Warthe) —, Samter Warthe) 15, Paprotsch (Warthe) 14, Neustettin (Warthe) 32, BeetsicKüone (Warthe) 31, Landsberg (Warthe) 8, Stettin 11, Pammin (Ihna) 26, Prenzlau (Uecker) 19, Demmin (Peene) 28.

Kleine Flüsse zwischen Oder und Elbe.

Putbus 34, Nostock (Warnow) 30, Kirhdorf auf Poel 29, Sege- berg (Trave) 20, Lübeck (Trave) 16, Eutin (Schwentine) 18, Schleswig (Schlei) 11, Flensburg 13, Gramm (Fladsau) 11, Westerland auf Sylt 4, Wyk auf Föhr —, Husum 12, Meldorf 14.

Elbe. Torgau 29, Defsau (Mulde) 5, Rudolstadt (Saale) —, Jena Saale) 23, Stadtilm (Saale) 32, Dingelstädßt (Saale) 37, rfurt (Saale) 25, Sondershausen (Saale) 30, Nordhausen Saale) 19, Halle (Saale) 10, Klostermansfeld (Saale) 832, ernburg (Saale) 16, Quedlinburg (Saale) 8, Harzgerode (Saale) —, Magdeburg 1, Neustreliß (Havel) 23, Kottbus (Havel) 15, Dahme (Havel) 17, Berlin (Havel) 11, Blankenburg bei Berlin (Havel) 11,

pandau (Havel) 18, Heinersdorf, Kr. Teltow (Havel) 5, Potsdam Me 23, Brandenburg (Havel) 7, Kyrit (Havel) 12, Gardelegen (Aland) 19, Jeete (Aland) 18, Waren (Elde) 30, Marnitz (Elde) 28, Schwerin (Elde) 32, Uelzen (Ilmenau) —, Lüneburg (Ilmenau) 22, Neumünster (Stör) 10, Bremervörde (Oste) 12.

Weser.

Meiningen (Werra) 37, Liebenstein (Werra) —, Fulda (Fulda) 18, Schwarzenborn (Fulda) 50, Caffel (Fulda) 15, Üslar (Werre) 17, Herford (Werre) 15, Scharfenstein (Aller) 97, Ilsenburg (Aller) 45, Braunschweig (Aller) 14, Celle (Aller) 16, Göttingen (Aller) 16, Herzberg (Aüer) 28, Klausthal (Aller) 98, Seesen (Aller) 35, Hannover (Aller) —, Bremen 6, Oldenburg (Hunte) 0, Elsfleth 2.

Kleine Flüsse zwischen Weser und Ems.

Iever 1.

Ems.

Gütersloh (Dalke) 6, Münster i. W. 5, Lingen 0, Osnabrück (Haase) —, Löningen (Haase) 0, Aurich —, Emden 1. Rhein. Darmstadt 8, Coburg (Main) 33, Frankenheim (Main) 89, Frankfurt (Main) 1, Wiesbaden —, Geisenheim 0, Birkenfeld A 20, S({weinsberg (Lahn) 7, Rauschenberg Gen) 13, Mar- urg (Lahn) 15, Weilburg (Lahn) 5, Schneifel-Forsthaus (Mosel) —, Bitburg (Mosel) 4, von der Heydt-Grube (Mosel) 12, Trier (Mosel) 0, Neuwied 3, Siegen (Sieg) 25, Hachenburg PueD) 25; Köln 1, Krefeld 4, Arnsberg (Nuhr) 27, Brilon (Nuhr) 43, Lüdenscheid (Ruhr) 42, Alt - Astenberg (Nuhr) 92, Mülheim (Ruhr) 4, Kleve 6, Ellewiek (Yssel) —, Aächen (Maas) 16. Der Höhe von 1 ecm Schneedecke entisprachen: am 24. Februar 1895 in Czerwonken 29 6 R” Marggrabowa jed

Neidenburg 95. Altstadt 23

23. 21. 26. 24.

94. 94. 21. 23. 9. 24. 24. 2. 93.

24, 20.

Schivelbein (Rega) tis

ang Ostrowo Ote) Samter Nudolstadt

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L Potsdam Brandenburg 7 warzenborn

Liebenstein Fulda Uslar

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(Weser)

Celle

Klausthal v.d.Heydt-Grube Neuwied

Brilon

(Rhein)

M Do Do BD BOED O D O0 O 009 V H ck M O

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Auf die Vereinigung mehrerer Personen zu einem Geschäfts- betrieb in der Absicht, eine Handelsgesellschaft zu bilden, obgleih der Geschäftsbetrieb kein Handelsgeschäft ist, findet, nah einem Urtheil des MeidgeriGA IV. Zivilsenats, vom 25. Of- tober 1894, das Handelsgeseßbuh keine Anwendung, vielmehr sind solche Gemeinfschaften nd den landesrechtlichen Bestimmungen zu beurtheilen. Insbesondere hat der die Geschäfte führende Gemein- schafter im Gebiet des Preußischen Allgemeinen Landrehts die in dem 13. und 17. Titel Th. T geregelte umfassende Pfliht zur Rechnungslegung seinen Mitgenossen _gegen- über. „Der Berufungsrihter nimmt an, daß die Vereinigung der Parteien nah den Bestimmungen des Allg. L. R. zu beurtheilen sei, und daß gemäß § 53 I 17 und §88 60, 61, 256 1 13 A. L.-R. eder Genosse von seinen für die Vereinigung übernommenen und ge- führten Ge äften dem Mitgenossen gegenüber Rehnung zu legen

Berlin, Mittwoch, den 27. Februar

verpflichtet sei. . . . Von der Revision wird nun bebauptet, daß der Streitfall insofern anders liege, als der Wille der Parteien darauf gerihtet gewesen sei, eine Handelsgesellschaft einzugeben, also auch nur die beschränkte Verpflichtung des Gesellschafters aus Art. 105 H.-G.-B. festzuseßen. AUein auch diefer Angriff geht fehl. Wie die von den Parteien eingegangene Vereinigung rechtlich aufzufassen sei, hat der Nichter zu prüfen und danach das entsprehende Gesetz anzu- wenden. Ein Handelsges{äft liegt niht vor, wie der Berufungs- richter mit Recht angenommen hat; is das Abkommen aber nach den Vorschriften des Landrechts zu beurtheilen, so kommen au dessen allgemeine Vorschriften, welhe für derartige Rechtsverhältnisse ge- geben find, zur Anwendung, und die Annahme des Berufungs- rihters, daß die umfassendere Pfliht zur Rechnungslegung nach den von ihm angegebenen Bestimmungen des 13. u. 17. Tit. Th. 1 A. L.-M. hier eintrete, ist woblbegründet.“ (119/94.)

Nach S 1090 T 11 des Preußishen Allgemeinen Landrechts findet, wenn eine außergerichtlich geschloffene Schenkung \hon durch die Uebergabe vollzogen worden, denno der Widerruf innerhalb fech8 Monaten nah der Uebergabe statt. Jn Bezug auf diese Bestimmung hat das Reichsgericht, 1V. Zivilsenat, durch Urtheil vom 1. November 1894 ausgesprochen, daß dieses Widerrufsreht falls man annimmt, daß es vererb lich sei (was das erwähnte Urtheil unentschieden läßt) nur sämmtlihen Erben gemeinschaft- lich zustehen würde. „Es könnte sich in erster Linie fragen, ob das in § 1090 a. a. O. vorgesehene Widerrufsrecht über- haupt als vererblich gelten darf. Einer Entscheidung dieser Frage bedarf es indeß nach Lage des jeßigen NRechtsfalls nit... In jedem Falle kann nur den Erben gemeinschaftlich die Befugniß zum Widerruf zugesprohen werden. Dem gegenüber erscheint der Hinweis des Berufungsgerichts auf den Rehhts\sat, daß der einzelne Erbe zu allen Maßregeln befugt sei, welche die Fest- tellung, Sicherstellung und Erhaltung des Nachlasses beträfen, nicht zutreffend, da es ih bei der vorliegenden Frage niht bloß um eine Schußmaßregel, \ondern um eine rechtsge{chäftlihe Erklärung betreffs der Substanz des Nachlasses handelt, dur die der Nachlaß eine mit dem Willen des Testators in Widerspruch stehende rechtlihe Ge- staltung erbalten soll.“ (125/94.)

Entscheidungen des Ober-Verwaltungs8gerichts.

Ein außerhalb Preußens wohnender, eine Besoldung oder Pension aus der preußischen Staatskasse beziehender und ledig- lih davon gemäß § 2 des Einkommensteuergeseßes der Staats-Ein- kommensteuer unterliegender Steuerpflichtiger darf, nah einer Entscheidung des Ober-Verwaltungsgerichts, V. Senats, vom 13. Iuni 1894, von dieser Besoldung die mit derselben in keinem Zu- sammenhang stehenden Ausgaben (Schuldenzinsen, Renten, Lebensversiherungs - Prämien 2c.) bei Berechnung des steuerpflich- tigen Einkommens nicht in Abzug bringen, selbs wenn er neben der Besoldung oder der Pension sons kein Ein- kommen hat. Der in einem deutshen Bundesstaat, außer- halb Preußens, wohnende B bezieht aus der preußischen I eine Besoldung. Dieser beanspruhte Besteuerung von seiner Besoldung unter Hinzurehnung eines unerheblichen Betrages von Kapitalzinsen, mit der Behauptung, daß er sonst kein Einkommen habe, jedoch nah Abrechnung von dem erwähnten Einkommen: 750 M Renten, die er seiner Schwiegermutter und einer seiner Schwestern zu zahlen verpflichtet sei, sowie 532 4 Lebensversicherungsprämien. Die Berufungefrmmisfion lehnte aber die beanspruhte Abrehnung der MNenten- und Prämienbeträge von dem Einkommen aus der Besoldung ab, und der Beschwerde des Zensiten wurde yom Ober-Ver- waltungsgeriht der Erfolg versagt, indem es begründend ausführte: „Es kommt zunä(hst niht darauf an, s der Zensit sein gesammtes Einkommen deklariert hat, sondern darauf, daß er gemäß § 2 des E E Sa, der Einkommen- steuer nur mit der von der preußischen Staatskasse gezablten Besol- dung unterliegt, weil die allgemeine in § 1 a. a. O. geregelte Steuerpflicht ihn als einen niht in Preußen, sondern in einem anderen Bundesstaat wohnenden preußischen Staatéangehörigen gemäß Nr. 1a desselben § 1 nicht treffen kann. Sodann ist entscheidend, daß § 2 a. a. D. die auf bestimmte Einkommensbezüge aus inländischen Quellen beschränkte Besteuerung zum Gegenstand hat und im Gegen- say zu §1 a. a. O. steht. Während hier von unbeschränkt steuerpflihtigen Personen die Rede ist, d. i. von Personen, deren Besteuerung unter Zusammenfassung der vollen Steuerkraft zu bemessen is, handelt es sch dort um beschränkt .steuer- pflihtige Personen, für die nur vereinzelte Steuerquellen den Besteuerungsgrund und Maßstab abgeben. Kennt aber § 2 nur Besteuerung nach einzelnen Quellen, die losgelöst sind von der ge- fammten persönlihen Steuerkraft und Leistungsfähigkeit, so entspricht es dem Wesen einer solchen Besteuerung, daß nur die sahlich damit verbundenen bezw. die darauf haftenden Ausgaben abgeseßt werden dürfen, um das Neineinkommen aus dieser für \ich zu betrahtenden Ouelle darzustellen. Für ein mehreres findet sih kein Naum, und eine Untersuchung darüber ist ausgeschlofsen, ob und wie der Steuerpflichtige persönli ch noch andere Ausgaben zu decken hat, mögen darunter auch solhe Ausgaben sich befinden, die zu Gunsten der unbeschränkt Steuerpflichtigen für abzugsfähig von ihrem Gesammteinkommen im Gesetz erklärt find. Etwas dem Widersprechendes findet sih auch nit im § 9 des Einkommensteuergeseßes ausgedrückt.“ (V. 15/94.)

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs- Maßregeln.

Todesfälle an Pocken im Jahre-1893 im Deutschen Neich und im Auslande.

Die Zahl der im Laufe des Jahres 1893 im Deutshen Neich zur amtlichen Kenntniß gelangten Pockêntodesfälle betrug 156 gegen 108 im Jahre 1892; sie war also um 48 höher als im Vorjahre und um 25 höher als die Durchschnittsziffer der seit Beginn der amtlihen Erhebungen über Pokentodesfälle abgelaufenen 8 Jahre. Es starben nämlich an Pocken im Deutschen Reiche

1886: 197 | 1889. U [1892-108

1887: 168 | 18904 58.|-.1893: 156

1888: 112 | 1891: 49 zusammen 1048, mithin im Mittel jährlih 131. Auf je eine Million Einwohner kamen Todesfälle an Pocken im Jahre 1893: 3,07, im Vorjahre 2,15, im achtjährigen Durchschnitt 2,68. :

Die 156 Pockentodesfälle des Jahres 1893 vertheilen sich nach den Angaben des Kaiserlichen Gesundheitsamts Medizinalstatistishe Mittheilungen, IT. Band, 2. Heft, S. 205 ff. auf 81 Ortschaften, von denen 71 in Preußen, 2 in Bayern, 4 im Königreih Sachsen, je 1 in Württemberg, Reuß j. L, Bremen und Hamburg gelegen find. R es au im Berichtsjahre nur ausnahmsweise zu einer größeren Verbreitung in einem Orte kam, geht daraus hervor, daß aus 56 Gemeinden nur je 1, aus 11 Gemeinden je 2, aus 4 Ge- meinden je 3 und nur aus 10 Gemeinden mehr als je 3 Poen- todesfälle gemeldet worden sind. Diese leßteren Gemeinden

1895.

waren Sorau und Gera mit je 4, Danzig, Liegniß, Königs- bütte i. Dbershlefien und Frankfurt a. M. mit je 5, Ragnit mit 8, Borutin (Kr. Ratibor) mit - 9, Tichau (Kreis Pleß) mit 10 und Petrowiy (in demselben Kreise) mit 11 Todesfällen. Nicht weniger als 105 Pockentodesfälle etwa zwei Drittel der Gesammtzahl sind in den Grenzbezirken des Reichs vorgekommen, d. b. in Ver- waltungsbezirken nahe der Grenze und in Seehandelspläßen, wie ck» anzig, Bremerhaven und Hamburg. Für das eigentlihe Binnen- land bleiben 51 Fälle. Auch von diesen beruhte die Mehrzahl auf Einschleppung durch Arbeiter, welche entweder geraden Wegs aus Ruß- land u. \. w. oder aus den Ostprovinzen kamen.

Ueber das Lebensalter der an Pocken verstorbenen Personen entnehmen wir unserer Quelle folgende Angaben : Von den 156 Pocken- todesfällen kamen 72 auf Kinder des 1. und 2. Lebensjahres, d. i. auf eine Altersklasse, von welher im- Deutschen Reich ein erheblicher Theil noch niht geimpft zu sein pflegt. Bei 8 Kindern war aus- drücklih dängegeben, daß eine Impfung noch nicht stattgefunden hatte: 2 Kinder waren im Inkubationsstadium der Poenerkrankung, also zu spät geimpft worden; 1 Kind im Alter von 9 Monaten war geimpft, aber es ist niht flargestellt, ob die Impfung rechtzeitig erfolgt ist. Bei 61 Kindern fehlte eine Angabe über den Impfzustand. Von den 18 im 3. bis 10. Lebensjahre gestorbenen Kindern waren 2 darunter ein Kind eines rufsishen Auswanderers in Hamburg ungeimpft ; der Impfzustand déx übrigen 16 ist nicht angegeben worden. Im 11. bis 20. Lebensjahre starben 2 Schulkinder von 13 Jahren, über deren Impfzustand nichts mitgetheilt worden is; ferner ein aus Böhmen zugereister' 18jähriger Graveurlehrling. 12 Perfonen \tarben im Alter von über 20—30 Jahren, 51 im Aiter von 30 Jahren und darüber. Unter den leßtgenannten älteren Personen waren mehrere in Webe- reien 1nd Spinnereien beschäftigt, ferner eine Lumpensortiererin, eine Krankenwärterin, ein Büffetdiener im Hauptbahnhofe zu Frankfurt a. M., eine Telegraphenbotenfrau und ein Pfandhauspacker ebenda kurz mehrere Personen, die infolge der Art ihrer Beschäftigung einer größeren Ansteckungsgefahr ausgeseßt sind als sonstige Erwerbsthätige.

_Von den Gestorbenen gehörten 95 dem männlichen und 61 dem weiblihen Geshlecht an; unter den im Alter bis zu 30 Jahren Verstorbenen war etwa der dritte Theil, von den über 30 Jahre alten mehr als die Hälfte weiblihen Geschlechts.

Der Zeit nah entfielen 1893

auf den Poken- auf den

Monat Monat

Juli August September Oktober November i 19 Dezember mithin auf die erste Jahreshälfte 118, auf die zweite 38.

Aus außerdeutschen europäishen Staaten lagen über die Zahl der Pockentodesfälle im Jahre 1893 Mittheilungen für ver- schiedene Städtegruppen vor, welhe in nahstchender Uebersicht zur Vergleichung herangezogen wurden. Es kamen im Deutschen Reiche, wie oben angegeben, auf 100000 Einwohner 0,31 Pockentodesfälle

vor; dagegen A L auf 100000 Einwohner in 241 Städten 2c. des Deutschen Reichs 0,30 53 ° Oesterreichs 29 « Ungarns 15 größeren Städten 2c. der Schweiz 2,29 70 Städten Belgiens und 8 Vororten von Brüssel 47,42 108 größeren Städten i raa Pi ¿ 38 Ÿ G nglands 7,09 den 69 Provinzialhauptorten Italiens. .... 4,47. Hiernach sind in allen Städtegruppen des Auslandes verhältniß- mäßig weit mehr Pockentodesfälle vorgekommen als in denjenigen des Dattschen Reichs. Nimmt man die Verhältnißzahl der leßteren (0,30 auf 100 000 Einwohner) als Einheit an, so entfiel auf die Städte Ungarns etwa die 4fache, der Schweiz die 8 fache, Italiens die 15 fache, Englands die 24 fache, Frankreichs die 34 fahe, Oesterreichs die 57 fache, Belgiens die 158 fache Zahl der Pockentodesfälle. Aus einzelnen Großstädten Europas liegen ferner folgende Angaben für das Jahr 1893 vor: Es starben an Poen L Personen auf 100000 Personen auf 100 000 überhaupt Einwohner * überhaupt Einwohner Bordeaux 74 30,8 | Marseille 80 19,7 Brüssel | Moskau 120 15,9 ohne Vororte 13 ,1 [Odessa 89 28,2 Brüssel mit Paris 256 10,6 Vororten 19 9 F ta 126 39,0 Genua T1 ¡D FXTe 203 128,0 London 206 / | Venedig 63 38,8 Krakau 161 208, | Warschau 455 90,8 Madrid 274 56,8 | Wien 36 2,5 Demgegenüber starben zu derselben Zeit innerhalb des Deutschen Reichs an den Poen: in Danzig :- 5 4,1 Düsseldorf 1 0,6 Frankfurt a.M. 5 2,6 In allen anderen. deutschen Groß- und Mittelstädten mit 50 000 u e Einwohnern ist im Berichtsjahr niemand an den Poten gestorben.

| in | Leipzig 1 0,3 Hamburg 3 0,5

Handel und Gewerbe,

Täglihe Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlefien. An der Ruhr sind am 26. d. M. gestellt 11 272, niht rechtzeitig gestellt -Teine Wagen. In Oberschlesien sind am 25. d. M. gestellt 4727, nit reht- zeitig gestellt keine Wagen.

Liquidationskurse der Berliner Börse für Ende

N 1895. 3909/4 Deutsche Reichs-Anleihe 98,25, 39/6 Preuß. onsols 98,50, Oesterreichishe Kredit-Aktien 239,50, Lombarden 43,25, Magen, 158,50, Berliner Handelsgesellshaft 151,25, Darmstädter ank-Aktien Mark-St. 150,00, Deutsche. BankzAktien 176,50, Diss konto-Kommandit-Antheile 201,00, Dresdner Bank 156,50, National- bank jr Deutschland 127,50, Russishe Bank für auswärtigen Hande 121775, MWiener- Bank - Verein 150,00, Aachen- Ga 74,50, Dortmund - Gronau 136,50, Lübeck - Büchener 149,50, ainz - Ludwigshafener 117,25, Marienburg-Mlawka 74,50, N reuilce Südbahn 82,50, Werrabahn 73,50, Böhmische Nordbahn 199,00, Buschtehrader 255,75, Kanada Pacific 43,90, Gotthardbahn 181,25, Jtalienishe Meridional 123,50, do. Mittelmeer 93,50, Jura #Simplon (konv. Schwz. W.) 82,00, Oesterr. Nordwestbahn 125,00, do. Elbethal 134,50, do. Lokal bahn 104,50, Prince Henri 100,00, Schweizer Zentralbahn 133,590, do. Nordostbahn 133,75, do: Union 99,290, Warschau- Wiener 257,00, Egyptishe Anleihe 4% unifiz. 104,50, Italienishe 50/9 Rente 87,75, Mexikaner 60/6 Anleibe 79,50, do. v. 1890 79,50, Oesterr. 1860er Loose 156,75, Russische 4 9/6 Konsols 104,00, do. 80er Anl. 102,75, do. 4% Staatsrente 66,80,