Vayern.
Seine Majestät der König von Spanien traf auf seiner Reise von Wien nach Paris gestern abend mit dem Orienterpreßzzug in München ein. Wie „W. T. B.“ meldet, hatten ih zu seiner Begrüßung während des viertelstündigen Aufenthalts im Hauptbahnhof Seine Majestät der König Ludwig und mehrere Prinzen und Prinzessinnen des König- lichen Hauses eingefunden.
Sachsen. __ Die Zweite Kammer verhandelte gestern, wie LW.TB“ meldet, in allgemeiner Vorberatung über den Gesetzentwurf, betreffend die Erhebung der Zuwachssteuer. Der Finanz- minister von Seydewiß begründete die Vorlage, die die vom Reiche seit dem 3. Juli 1913 niht mehr erhobene Hälfte der Zuwachssteuer nunmehr zugunsten des Staates verwenden will. Der Entwurf läßt für den Staat eine Einnahme von etwa 11/, Millionen Mark erhoffen. Nach längerer Debatte wurde die Vorlage an eine Kommission zur Weiterberatung verwiesen.
Baden.
Jhre Königliche-Hoheit die Großherzogin Luise, die Tochter weiland Seiner Majestät Kaiser Wilhelms [., vollendet heute ihr 75. Lebensjahr.
— Seine Majestät der Kaiser und König traf, wie ¿W. T. B.“ meldet, heute mittag auf dem mit Pflanzen und Fahnen in deutschen, preußischen und badischen Farben festlich
eschmüdckten Bahnhof in Baden-Baden ein. Zum Empfang batten sih Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden mit Gefolge, der preußische Gesandte in Karls- ruhe von Eisendecher sowie die Spißen der staatlichen und städtischen Behörden eingefunden.
,_— Die in dèr Thronrede angekündigte Den k\ch rift über die Einführung der Verhältniswahl bei den Wahlen zur Zweiten Kammer is den Landständen gestern zu- gegangen. Die Regierung kommt in der Denkschrift, wie „W. D. B.“ meldet, zu dem Schlusse, daß sie die gegen die Einführung der Verhältniswahl bei den Wahlen zur Zweiten Kammer bestehenden Bedenken zurzeit niht zu überwinden ver- möge und daher davon absehen müsse, den Ständen dahin- gehende Vorschläge zu machen.
— Nach dem durch den Finanzminister Dr. Rheinboldt
estern der Zweiten Kammer vorgelegten Staats voran chlag ür die Jahre 1914/15 {ließt der ordentliche Etat für diese beiden Jahre obiger Quelle zufolge in den Ausgaben mit jährlih 105 831 508 F (gegen 1912/13 mehr 5 443 435 M), in den Einnahmen mit jährlih 110713610 46 (gegen 1912/13 mehr 6942435 6), also mit einem Einnahmeübershuß von jährli 4882102 6 und für die beiden Jahre zusammen mit einem solchen von 9764204 46 (gegen 6705414 M in den Jahren 1912/13). Der Voranschlag der Eise nbahn- betriebs8verwaltung für 1914/15 {ließt in den Einnahmen mit jährlih 123 889 000 4, in den Ausgaben mit jährlich 90 276 200 6 sowie mit einem Einnahmeüberschuß von jährlich 33 612800 6, wozu der Anteil aus den Reineinnahmen der Rhein-Neckarbahn mit jährlih 855 800 46 tfommt, was zu- sammen 34468 600 M ergibt. Unter Berücksichtigung des Fehlbetrags bei der Bodenseedampfschiffahrt von 8000. 4 ergibt sich ein Neinbetrag in den Eisenbahngefällen von jährlich 34 460 600 6 gegenüber dem Voranschlag von 1912/13 mit 29 860 590 46, bedeutet also eine Vermehrung von 4 600 010 M oder 15 Prozent. Jm Etat des Großherzoglichen Hauses, der Justiz und des Auswärtigen wird für die Gesandtschaft in München wiederum der frühere Betrag von 22100 M gefordert und dazu erläuternd bemertt:
Die Gesandtschaft in München, die im Jahre 1908 mit Qu- {timmung der Landstände als eine auf Staatskosten zu unterhaltende Einrichtung gegründet wurde und für die in dem Staatshaushalts- gescß für 1912/13 die Mittel nur für das Jahr 1912 gewährt worden waren, wurde von Ablauf des Jahres 1912 an mit Rücksicht darauf, daß die Erhaltung der Gesandtschaft als im staatlihen Interesse ge- [egen ersien, von anderer Seite bestritten. Es soll nun den Land- ständen Gelegenheit gegeben werden, zu der Frage nochmals Stellung zu nehmen.
Der Finanzminister Dr. Rheinboldt führte in seiner Budgetrede aus:
Gs werde hoffentlich gelingen, die neueingeführte, 1917 erstmals zur Erhebung gelangende Reich8vermögenszuwachssteuer, die die Grenzen des bädischen Steuergebiets {on fehr \harf berühre, ohne grundsäßlihe Aenderung der Gestaltung der direkten Steuern durh- zuführen. Der Einfluß diefer Steuer auf die Ergibigkeit der badischen Einkommen- und Bermögenssteuer werde sich hoffentlih nicht allzu empfindlih fühlbar machen. Die Tilgung der für die Sicherung des Reichs und für Wahrung der Großmachtstellung unvermeid- lien einmaligen Ausgaben dur Einführung des Wehrbeitrags habe die vollste Zustimmung des Staatsministeriums gefunden, da im Interesse der Aufrechterhaltung der seit etnigen Jahren in der Wirt- \Mchaftsführung des Reiches zur Nichtshnur gemachten soliden Grund- säße diesem Weg gegenüber dem der Deckuig durh etne An- leihe der Vorzug zu geben wäre. Die einmütige Zustimmung dés Neich8tags „fei als eine große, des deutschen Volkes wür- dige Tat begrüßt worden und er sei überzeugt, daß Deutschland» relch genug sei, die einmalige Entziehung fo großer Mittel aus den der Nation zur Berfügung stehenden Betriebsfonds ohne wesentliche Schädigung seiner Erwerbskraft zu tragen. Von dem Wehtbeitrag würden für Baden nach feiner Sc{äßung etwa 35 Mil- lionen aufzubringen fein, die in den nächsten drei Fahren mit je 12 Millionen, also einem dem Gesamtbetrage der badishen Ver- mögenssteuer etwa gleihfommenden Betrag, zu zahlen seien. Diese Belastung werde aber nur von den stärkeren Schultern getraaen. Da der Wehrbeitrag als einmalige Ausgabe aus dem landesfteuerpflichtigen Einkommen nicht abziehbar fei, werde durch ihn der Grtrag der direkten badischen Steuern nihcht wesenilih berührt werden.
Der Finanzminister {loß seinen finanziellen Ueberblick mit dem Wunsche, daß "die Vorschläge des Ministeriums und die Beschlüsse der Stände die Wohlfahrt des geliebten badischen Vaterlandes fördern möchten.
Meetlenburg-Schwerin.
Wie „W. T. B.“ meldet, war im mecklenburgischen Landtage durh den Standesbeschluß der Bürger- meister in den leßten Jahren jährlich die Summe abge- [lehnt worden, die die Schweriner Regierung für die Großherzogliche Renterei als Zuschuß zu den Kosten des Landesregiments verlangte. Diese Ablehnung erfolgte in der ‘Absicht, die Regierung zur Verfassungsoktroyierung zu veranlassen. Für das Budget für 1914/15 hatte die Ne- gierung einen Zuschuß von 1300 000 16 gefordert. Die Land- tagsfkommission zu dieser Position {lug nun vor, anstatt dieser Zuschußleistung für die Zukunft jährlih mehrere Ausgabe- I ten der Großherzoglichen Renterei auf die Landessteuer- asse zu übernehmen, und zwar die Matrikularbeiträge an das Reich und die Bestreitung der Kosten für die beiden Landes-
irrenanstalten, was ungefähr die Summe von 1500000 /( ausmacht. Nach lebhaftem Widerspruch mehrerer Bürger- meister und nach einer Sonderberatung der Bürgermeister unter fih stimmten diese im Plenum mit der Ritterschaft ab. Die Abstimmung ergab Annahme des Kommissions- vorschlags.
Oesterreich-Ungarn.
Das G65jährige Negierungsjubiläum des Kaisers Franz Joseph ist im ganzen Lande dur Gottesdienste und sonstige fesilihe Veranstaltungen unter großer Beteiligung be- gangen worden.
— Der Aus\chuß für Aeußeres der Oester- reihishen Delegation hielt gestern nachmittag eine Sißung ab, in welcher der Berichterstatter Marquis Bacquehem den Beriht über den Voranschlag des Ministeriums des Aeußern unterbreitete.
Wie „W. T. B.“ meldet, entwirft der Bericht einen historischen Rückblick über den Verlauf der Greignisse auf dem Balkan und ge- denkt in besonders nachdrücklier Weife der Haltung des Deutschen Neichs, das durch den Letter seiner auswärtigen Politik in ernster Stunde Europa keinen Zweifel darüber gelassen habe, daß das Deutsche Reich entschlossen sei, feine Bündntstreue bis zum Aeußeren zu erfüllen. Gbenso habe die Erneuerung des Dreibundvertrages gerade in diefer Zeit nit verfehlt, einen tiefen Eindruck zu machen. Der Bericht faßt die Ergebnisse der Debatte in folgendem zusammen: Der Aus\chuß ift in seiner übèrwiegenden Mehrheit der Ueberzéugung, daß die Schaffung eines selbständigen Albaniens den großen Interessen ODesterreih-Üngarns am besten entfpriht. Er billigt es ferner voll- kommen, daß die Revisiongabsichten gleih wie von den übrigen Mächten auch von Desterreih - Ungarn fallen gelassen wurden. Bon vielen Seiten wurde es beklagt, daß eine selbstlose Politik, die auf jede Ausbreitung verzichtet und nux auf die Wahrung dex Interessen Oesterreich-Ungarns an der Adria bedacht ist, mit großen Opfern verbunden gewesen sei. Einmütig war aber die lebhafte Befriedigung darüber, daß der Monarchie der Friede erhalten blieb. Der Aus\huß seßt voraus, daß in Éritischen SZeiren, um beun- rvhigenden Gerüchten rechtzettig zu begegnen, stets für eine rilige Information der Oeffentlichkeit Sorge gétragen werde. Der Aus- \{chuß empfiehlt bezügli der Handelsverträge mit den Balkanstaaten die Schaffung einer Grundlage, die der Industrie BDesterreih-Ungarns die Möglichkeit bietet, mit Erfolg in den vorausfichtlich harten Kon- furrenzkampf einzutreten und so die Schäden wettzumachen, die sie durch die lange Krise erlitten hat.
— Der Marineaus\schuß der Ungarischen De- legation hat in seiner gestrigen Sizung das Marine- budget angenommen. Ueber den Verlauf der Debatte berichtet „W. T. B.“, wie folgt:
In einem Exposé erklärte der Kommandant der Marine, Admiral Haus, das Budget halte sich in dem Rahmen des seinerzeit von den Delegationen festgestellten Programms. Der unumgängliß notwendige Ersaß der Monarch - Division set mit Rücksicht auf die wirtschaftli%e Lage und andere un- aufs{iebbare Anforderungen auf bessere Zeiten verschoben worden. Gs fei auch dringend notwendig, die mit der Bergrößerung der Flotte zusammenhängenden, immer dringliheren Bedürfnisse zu deden, wenn nit die Instandhaltung und Swhlagfertigkeit der Flotte Schaden leiden solle. Sein Programm gehe nicht über daëfjentge felnes Vorgängers Grafen Montecucco!i hinaus, wonach die Flotte durch allmählihe Ersaßbauten auf der gegenwärtigen Höhe erhalten werde, namlich: 16 Schlachtschiffe, 12 Kreuzer, 24 Torpedofahrzeuge, 72 Torpedoboote, 12 Untecseeboote, 8 Monitore und einige Traiîin- \hiffe. In Erörterung des Budgets stellte der Marinekommandant fest, daß die bereits in Dienst gestellten neuen Schlacht\chiffe
„Biribus Unitis“ und „Tegetthoff* durchaus gelungene Neukon-
siruïttonen und eine wesentliche Verstärkung der Flotte darstellen. Bon den Schwesterschiffen werde der „Prinz Eugen“ im Frühjähr die Uebernahme-probefahrten machen und der „Szent Istyan“ Mitte Januar vom Stapel laufen. So bedauerlich der dur die leßte Balkankrisis veranlaßte bedeutende Nüstungskredit und die dur die Einberufung und monatelange Zurülbehaltuna von ungefähr 10000 Mearinereservisten verursachten Schädigungen feien, so überaus wertboll und befriedigend seien die hierbei für den Dienst gewonnenen Erfahrungen. Seit 47 Jahren et zum ersten Male die ganze operative Flotte in Dienst ge» stellt und großenteiïs mit Reservisten benannt worden. Die Indienst- stellungen hätten fih überaus rasch vollzogen. Das Berhalten und die Kriegsbrauchbarkeit der Reservisten set größtenteils sehr gut, sodaß er die Ueberzeugung gewonnen habe, daß Oesterreih-Ungarn an den Reservisten ein sehr tüchtiges, der aktiven Mannschaft fast ganz gleihwertiges Material befiße. Der Geist des Offizierkorys sei vor- ¿üglich, sodaß die Flotte jeder Möglichkeit mit großer Nuhe ent- gégenseben fönne. Aber so vortreflich aud die Marine in moralischen Qualitäten set, könne doch der Erfolg nicht verbürgt werden, wenn nicht auch das Flottenmaterial auf der Höhe der Situation erhalten bleibe. Der Delegierte Chorin bezeichnete das Martnebudget gegenüber dem italienishen mit Rücksicht auf den geringeren Seehandel, die geringere Küstenlänge und den Mangel an Kolonien als beträhtlih. Das natürliche Schwergewit des Schußes der Monarchie liege in der Landarmee. Wenn die Marineleitung sh bei der Entwicklung der Flotte davon [eiten lasse, daß Oesterreich-Ungarn in die Lage kommen fönnte, einen Verbündeten zu unterstüßen, fo sei darauf hinzuweisen, daß Bündnisse nur solche Opfer von Desterreih-Ungarn fordern tönnten, die auch den Interessen der Monarchie und niht ausschließliÞh den- jenigen der Verbündeten dienen. Der Ministerpräsident Graf Tisza bemerkte, das Flottenprogramm sei unter dem- Ein- druck der' auswärtigen Lage um ein Fahr abgekürzt worden. Eine Großmacht könne ihre militärishe ünd Marinecrganijation nicht augen- blicklichen politishen Ansprüchen anpassen. Oesterreih-Ungarn könne nit darauf verzihten, im Adriatishen und im Mittelmeer als be- deutender Faktor aufzutreten. Es sei das arößte Mißverständnts, an- zunehmen, daß Oesterreich-Ungarn der &lotte gewissermaßen gegen Italien bedürfe. Die Flotte sei der Monarchie kostbar und doppelt wertvoll im heutigen Bündnis, weil fie sie in die Lage verseße, das Bündnis für Italien wertvoller zu machen. Oesterreich verstärke setne Flotte niht gegen Italien, fondecrn- im Gegenteil, um Italien kost- bare Dienste erweiten zu können.
Frankreich.
__ Die Deputiertenkammer hat gestern vormittag den Artikel 2 des Anleiheentwurfs angenommen, nah dem jährlih 75 Millionen für den Rückkauf der unkündbaren Nenten in das Budget eingestellt werden sollen. Darauf beriet die Kammer über die vorgeschlagenen Privilegien, insbesondere die Steuerfréiheit der neuen Rente.
DDIe! 0 D berichtet. verteidigte der Abg. Jules Noche etnen Zuúfaßantrag, der jede Cinbehaltung, Besteuerung und Ver- ringerung der Zinsen der neuen Anlethe verbietet, die nicht durch Kon- vertierung erfolgt. Die neue Rente folle dieselbe Abgabenfrétiheit ge- nießen, wie die bestehende Staatsrente. Die französische Rente fei niemals mit einer Steuer belegt worden, selbst nit in den kritischsten Zeiten der französishen Geschichte. Es handle si hier um eine Frage der Gerechtigkeit und des wohlverstandenen. Interesses. Der Abg. Theodore Reinach, dessen Auésührungen besonders von Caillaux mit großem Belfall bégrüßt wurden, entwickelte im einzelnen etnen Antrag, nah dem die neue Rente niemals mit einer höheren Coupon- fteuer belegt werden dürfte als die sonstigen bewéglihen Werte in Frankrei, aber von jeder Steuer dieser Art zehn Jahre von threr Emission ab befreit bleiben sollte,
In der Nâäs gésizung der Kammer bekämpfte Cailla ux den Vorshläck der Steuerfreiheit der Iiente und führte aus, daß man damit eine Bestimmung des gegenwärtig dem Senat vorliegenden Gin- kommensteuergesegentwurfs hin ällig machen würde. Gine solche Steuer- freiheit würde aller parlamentarishen und finanziellen Tradition widersprehen. Keine Körper|chaft und kein Negime könnten unbe- {ränkt eine Kategorie von Steverpflihtigen und eine Klasse von Werten von der Steuer befreien. Darauf ergriff der Finanzminister Dumont das Wort und zählte zunächst alle Staa‘ea auf, die seit 50 Jahren Anleihen emitttert und in den Obligationen ihre Steuer- freiheit zugesagt hätten. Der Vertrag zwischen den Reateninhabern und dem franzöfischen Staate werde eingehalten werden; so sei die Mente für die Inhaber wie eine Banknote, die noch Zinsen bringe. Eine Besteuerung des Coupons wäre eine Auffordërung an andere Länder, dasselbe zu tun; die Si ung dieses Abends sei also entscheidend für die Nenteninhaber. Ünter lebhaften Unterbrehungen von der äußersten Linken erklärte der Minister, die Entscheidung der Kammer gehe ebensowohl die alten wie die neuen MNententitres an und werde für den Zinsfuß ‘der Anleihe von Wichtigkeit sein. Er ‘ werde jedenfalls die Verantwortlichkeit für die Anleihe nit übernehmen, wenn ihre Steuerfreiheit nicht kliyp und flar aus- gesprochen fei. Der Sparer müsse wissen, was man ihm verkaufe. Der Abg. Malvy fkritisierte ausführlichß die Ausführungen des Finanzministers und verteidigte die Steuerpfliht der NRentencoupons. Der Abg. Jaurès gab ähnliche Erklärungen ab, wie Caillaux. Der Abg. Delpiîerre vectetdigte etnen Zusatzantrag, dèr verlangt, daß in dem Text der Coupons dte Aufrechterhaltung der gegenwärtig be- stehenden Vorrechte der Rentencoupons ausgesprohen werden foll. Der Ministerpräsident Barthou führte aus, daß die Negiérung niemals einen Zweifel daran gehabt habe; „daß --die neuen Titres dieselben Vorrechte genießen müßten, die den andern Staats- renten zustünden, und nahm den Zusaßantrag Delpierre an mit der ausdrücklihen Grtlärung, daß die Zinsen der neuen Reutentitres alle fiskalishen und zivilrechtlihen Immunitäten genteßen foilten, die den bisherigen Staatsrenten zustünden. Nach Absicht der Negterung solle der Nentencoupon jeßt und zukünftig von der allgémeinen Etnkommensteuer fret bleiben, der andere bewegliche Werte unteclägen; dtese Entlastung der Renten würde vielen kleinen Yenteninhabern zugute kommen ; die Steuerfreiheit der Rente sei unentbehrlih. Der Mtnisterpräsident ließ über die Bedeutung seines persönlichen Eintretens keinen Zweifel und betonte wiederholt die Nüßlichkeit der Steuerfreiheit der Mente : mit cinem lebhaften Appell an die Kammer {tellte er die Ver - trauensfrage unter lebhaftem Beifall auf der Rechten und im Zentrum.
Die Abstimmung fand unter äußerster Aufregung statt. Es wurde ordnungsgemäß zur Stimmenzählung geschritten, die eine vorübergehende Aufhebung der Sißzung ‘veranlaßte. Als die Sizung wieder eröffnet wurde, verkündigte Deschanel unter tiefer Stille, daß der Abänderungsvorschlag Delpierre mit 290 gegen 265 Stimmen abgelehnt worden fei. Das Abstimmungsresultat wurde von der ganzen . Linken mit stürmishem Beifall aufgenommen. Die Sozialisten riefen: Nieder mit dem Dreijahresgesez! Die oppo- sitionelle Mehrheit der Kammer seßt sich folgender- maßen zusammen: Ein #Mitglied der Rechten, ein Progressist, ein Mitglied der republikanischen Union, 9 Mitglieder - der demokratischen Linken, 58 der radikalen Linken, 118 sozialistisce Radikale, ‘25 sozialistische Republikaner, 68 unifizierte Sozialisten, 9 Unabhängige. Die Minderheit besteht aus 18 Mitgliedern der Rechten, 33 der Action liberale, 42 Progressisten, 31 Mit gliedern der republikanischen Union, 62 Mitgliedern der demo- Fratishen Linken, 36 der radikalen Linken, 20 sozialistischen Radikalen, 4 sozialistishen Republikanern, 19 Unabhängigen. 15 ‘Deputierte hatten sih dec Stimme enthalten, abwesend
r
waren 27.
— Das Ministerium hat infolge der Ablehnung des Antrags Delpierre seine Demission gegeben. Der PBrüä- sident Poincaré hat die Demission des Kabinetts angenommen
N
und die Minister mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragt.
Nußlaud.
Die Neichsduma hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit 130 gegen 119 Stimmen bei fünf Stimmenthaltungen die Regierungsvorlage abgelehnt, die eine Erhöhung der Besteuerung von Jmmobilien in Städten vorsah.
Portugal.
Zum Präsidenten des Senats wurde gestern, wie „W. T. B.“ meldet, Braamcamp Freire wiedergewählt. Zum _Prä- sidenten der Kammer wurde in stürmish bewegter Sißung Azevedo Continho gewählt. Nach der Wahl des Präsidenten verlas der Ministerpräsident Affonso Costa einen Verwal- tungsbericht. Machado Santos brachte eine Juterpellation über Nepressivmaßnahmen der Regierung gegen die Presse ein. Nach Schluß der Sißung veranstaltete die vor dem Parlaments- gebäude angesammelte Menge Kundgebungen für Costa und gegen Machado Santos, der sih unter polizeilihem Schuße nach seiner Wohnung begeben mußte.
Griechenland,
Der König Konstantin empfing gestern eine Ab ord- nung der Kammer und sagte, wie „W. T. B.“ meldet, in Beantwortung der Ansprache des Führers der Abordnung u. a. :
Das Vaterland ist groß geworden. Es ist nun an der Zeit, es durch gemeinsame Arbeit auf fester Grundlage zu entwickeln. Seine Kinder sind zu allen Anstrengungen und zu allen Opfern bereit. Wir sind ein einig Volk, \sprehen ein und dieselbe Sprache und verehren ein und denselben Gott. Wir haben nur den einen Wunsch, als groß gewordenes Volk zu leben und, was wir erworben haben, zu bewahren. Wir werden leben und das nationale Erbgut bewahren.
Rumänien.
Das rumänishe Grünbuch über die leßte Balkan- frise enthält eine größere Anzahl von österreichish-ungarischen, auf die Politik Oesterreih:Ungarns bezüglichen Akten und Ge- sandtenberichten sowie Berichte des Ministerpräsidenten Majoresco an den König. “Wie „W. T. B.“ meldet, geht aus diesen Papieren hervor, daß die Politik Oesterreih-Ungarns während der ganzen Krise ernstlich bemüht war, zur Erfüllung der rumänishen Wünsche beizutragen und das rumänishe Vor- gehen im leßten Stadium der Krise nicht zu hindern. Das Gleiche gilt für die Verhandlungen in St. Petersburg. Jn einer Depesche des Grafen Berchtold an Baron Haymerle ‘im De- zember 1912 heißt es, daß sich der Minister die Feststellung der Lage auf dem Balkan ohne eine vorherige Erfüllung der rumänischen Wünsche nicht denken könne. Vor der Ahtretung von Turtukaja und Baltschik teilte der österreichish-ungarische Gesandte dem Ministerpräsidenten Majoresco - eine Depesche des Kaisers Franz Joseph an den König Ferdinand sowie eine Depesche des Grafen Berchtold anden österreichishen Gesandten in Sofia mit, aus denen hervorgeht, daß Oesterreich die #0: fortige Abtretung des fraglichen Gebietes in Sofia dringend angeraten und Bulgarien die ernstesten Vorwürfe gemacht hat,
l daß es die Ratschläge Oesterreich-Ungarns nicht befolge.
Ueber den zwischen Bukarest und Sofia im Januar ge- pflogenen Meinungsaustausch bringt das Grünbuch folgende Dokumente: Am 10. Januar läßt Geshow Majoresco wissen, daß Bulgarien den dringenden Wunsch habe, mit Rumänien eine Konvention auf breitester Grundlage zu \chließen. Tags darauf verständigt Majoresco den rumänischen Ge- sandten in Sofia, daß Rumänien geneigt fei, Bulgarien viele Vorteile zu bieten, und daß die Türkei die Hilfe Rumäniens verlange, dieses jedoh vorziehe, Bulgarien zu helfen, nur müsse man sich rasch entschließen. Als die Verhandlungen in London nicht vom Fleck rückten, erhält der rumänische Gesandte die Weisung, zu erklären, ‘daß Rumänien die Verschleppung niht mehr dulde und die rumänischen Forderungen als Maximum das Gebiet Turtukaja—Dobritsch— Baltschik, als Minimum das Gebiet Silistria—Baltschik ohne Dobritsch aufstellten. Als bekannt wurde, daß Rumänien mit dem Ergebnis der Londoner Konferenz nicht zufrieden Fei, meldete der rumänische Gesandte in St. Petersburg, daß ihm der Minister des' Aeußern gesagt habe : wenn Numänien auf den vorstehenden Bedingungen beharre und ‘angreife, würde die faïser- liche Regierung angesichts der GäruNg nicht Herr der Lage sein. Der Minister des Aeußern betonte die shweren unmittel- baren Folgen einer solhen Möglichkeit, _die Rumänien fich áweimal überlegen solle. Als dem russischen Minister des Aeußern das Minimum der rumänischen Forderung mitgeteilt wurde, sagte er, wenn Rumänien Baltschik wolle, bedeute es Krieg, da die Bulgaren niemals auf diesen Ort verzichten würden. Ueber die Haltung der Mächte nah der St. Petersburger Kon- ferenz saate der russishe Minister des Aeußern dem rumä- nishen Gesandten, daß England und Frankreih gegen Rumäniens Wünsche seien, während die Haltung Rußlands noch unbestimmt sei. Angesichts. des bevorstehenden zweiten Krieges stellte der russische Minister des Aeußern dem rumänischen (Gesandten gegenüber fest, daß es nicht das erste Mal sei, daß die rumänischen und die russischen Jnteressen identisch seien und daß beide den Frieden herstellen müßten. _Als der ru- mänishe Vormarsch andauerte, verlangte der russische Gesandte Einstellung des Vormarsches, was Majoresco ablehnte; zu- gleih betonte Majoresco, daß die rumänischen Forderungen unabhängig von der militärischen Aktion die gleichen seien, wie bei deren Beginn. Das leßte Aktenstück ist ein Telegramm des rumänischen Gesandten in St. Petersburg, worin er auf Grund einer Jnformation dem Minister des Aeußern mitteilt, daß Nußland nicht mehr auf der Kawallafrage bestehe.
Amerika.
Der Präsident Wilson verlas gestern im Kongreß eine Botschaft, in der er laut Bericht des „W. T. B.“ sagte:
Unser Land i, wte ich dankbar sagen kann, mit der ganzen übrigen Welt in Frieden. Mit jeder Dekade zeigen sich die Nationen bereitwilliger, fi durch feierliße Verträge zu Methoden zu ver- pflichten, welche Frieden, Offenheit und Entgegenkommen zum Ziel Haben. Die Vereinigten Staaten haben bisher bei Verhandlungen diefer Art immer an der Spitze gestanden. Sie werden, wie ih ernstlih hoffe und glaube, einen neuen Beweis dafür geben, daß sie aufrihtig für die Sache der internationalen Freundschaft eintreten, indem fie mehrere Schtedsgerih!sverträge, die dem Senat zur Er- neuerung vorliegen, ratifizieren. Darüber hinaus hat das Staalts- departement im Prinzip die Zustimmung von nit weniger als 31 Nationen, die vier Fünftel der Bevölkerung der Welt reprä- fentieren, zur Verhandlung über Verträge gewonnen, unter welchen alle Meinungsverschiedenheiten über Fragen der Interessen oder der Politik, die dur die Diplomatie auf gewöhnlichem Wege nicht gelöst werden können, vor ein von den Parteien gewähltes Tribunal gebracht werden sollen, das sie öffentlih bespreben und über sie Be- rit erstatten wird, bevor eine der Parteien fih über ihr weiteres Borg-hen \{lüssig macht. Für die Entscheidung der Meinungs- perschiedenheiten zwischben den Vereinigten Staaten und anderen Nationen ist nur ein Maßstab möglich, der si aus zwet Grundsäßen ergibt: Unsere eigene Ehre und die Verpflichtungen, die wir hinsicht- lich des Friedens in der Welt haben.
Der Präsident wandte si dann der mexikanischen Frage zu, wobei er ausführte: Es könne keine sichere Aussicht für den Frieden tn Amerika geben, bis der General Huerta seine angemaßte Autorität in Mexiko aufgegeben habe und bis man {ih überall darüber klar geworden sei, daß die Vereinigten Staaten derartige angeblihe Negierungen weder billigen noch mit thnen verhandeln werden. Der Präsident ging dann auf die Umstände ein, unter denen Huerta zur Macht gelangte, und erklärte, die gegen- wärtigen Zustände in Mexiko ließen es zweifelhaft erscheinen, ob die fundamentalen Rechte der Mexikaner und der in Mexiko wohnenden Angehörigen anderer Staaten mit Erfolg gesihert werden könnten, Diese Zustände bedrohten, falls sie lange andauerten, die allgemeinen Interessen des Friedens, der Ordnung und eines exträglihen Daseins in den Ländern, dle unmittelbar füdlih der Vereinigten Staaten liegen. Der Präsident fuhr dann sort: „Die vollständige Isolterung Huertas schreitet immer mehr fort. Mit jedem Tage nehmen seine Macht und sein Ansehen ein wenig ab. Der Zusammenbruch is nicht fern. Wir werden, wie ich glaube, niht gezwungen sein, ‘ unsere Politik des wachsamen Abwartens zu ändern, und dann, wenn das Ende kommt, können wir hoffen, die verfassungsmäßige Ordnung in Mexiko durch das Zusammenarbeiten und die Gnergie solher Fübrer des mexikanishen Volkes wiederher- gestellt zu sehen, die die Fretheit ihres Volkes über ihren eigenen Ehrgeiz stellen.“
Der Präsident trat dann kurz, aber eindringlih für die Reform des Bank- und Umlaufmittelsystems ein und sagte, das Land warte mit Ungeduld auf die Neform, die es als eine Grundlage für sein ganzes Geschäftsleben betrahte und die es für notwendig halte, um den Kredit von künstlihen und willkürlichen Beschränkungen zu befreien. Jn dieser Verbindung werde die \{chwebende Umlaufsmittel- bill den Farmern des Landes einen großen Dienst erweisen, indem fie sie mit anderen Geschäftsleuten gleihstelle. Im Anschluß hieran führte der Präsident aus, daß die Farmer bei der Erlangung von Kredit mit besonderen Nachteilen zu kämpfen hätten, und daß Amerika in dieser Beziehung hinter vielen anderen großen Ländern der modernen Welt zurückstehe. Wilson wies hierbei auf das System des landwirtschaft- lichen Kredits hin, das fih in Europa entwickelt hat. Sodann wandte si der Präsident dem Großgeschäft zu und erklärte, daß zwar die Bildung von Privatmonopolen wirksämer verhindert werden müßte, daß man aber wohl darin übereinstimmen werde, daß Sherman- Antitrustgeseß in Feiner jeßigen Fassung mit feinen strittigen Punkten bestehen zu lassen, daß man aber fo viel als mögli den Umfang dieser strittigen Punkte dur weitere und genauere Gefeggebung- ver- mindern müsse. Der Präsident lehnte es jedoch ab, hierauf jegt näher pet und behielt fi diesen Gegenstand für cine spätere Bot-
äft vor.
Mit Bezug auf das Wahlsyst em trat der Präsident dafür ein, daß die Nomtnierung von Präsidentschaftskandidaten durch Primär- wahlen im ganzen erfolgen sollte, doch wollte er die Parteikonvente nit aufgeben, die das Ergebnis ratifiziecen und das politis? Pro- gramm aufstellen sollten Die Mitglieder der Parteikonvente follten jedoch nit einzig für diesen Zweck gewählte Delegierte sein, sondern Kandidaten für. den Xongreß und den Senat, Mitglieder der Nattonal- Tomitees und die P C Ran Daten felbst, damit das politische Programm von Leuten aufgestellt werde, die dem Volke für feine Ausführung verantworiltich fia würden. :
Weiterhin ging der Präsident auf das Verhältnis der Ver- tinigten Staaten zu Portorico, Hawai und den Philip-
pfnen ein und erklärte, diese Territorien könnten nit als einfache Besitzungen betrachtet werden. Sie könnten - niht länger in eigen- nüßtziger Weise autgebeutet werden, sondern müßten im Interesse der Völker verwaltet werden, die in ihnen leben. Hinsichtlich der Philip- pinen riet der Präsident dem Kongreß besonders, stets im Auge zu behalten, daß fie schließlich einmal unabhängig werden sollten.
Der Präsident trat s{ließlich dafür ein, daß die Regierung in Alaska eine Bahn baue und fie selbst in Verwalturig nehme, um die wirts{chaftlihen Quellen des Landes zu ershließen. In Verbin- dung mit der Tätigkeit des Bergamts erklärte ber Präsident, daß die Erhaltung mens{lichen Lebens und mens{liher Tatkraft noch mehr im Interesse der Nation liege als die Bewahrung der materiellen Hilfsquellen vor Verschwendung. Zuleßt empfahl der Präsident den Grlaß eines Haftpflihtgefeßes für Arbeitgeber zum Schube der Eisen- bahnangestellten und trat dafür ein, daß der Kongreß fich damit befasse, den hst unsficheren und ungerehten Zuständen abzuhelfen, die gegenwärtig bei der Beschäftigung von Matrosen bestehen.
Asien.
Nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegraphen- Agentur“ haben türkishe Truppen aus Wan, darunter Artillerie und Jnfanterie, die dem Kurdenscheih Taga gehörende Dorfschaft Katuna überfallen. Die kleine Abteilung des Scheichs würde vernichtet und sein Bruder gefangen genommen. Vierzig Kurden wurden getötet.
Koloniales.
Vom Bau der deutschostafrikanischen Mittellandbahn.
Nach einer telegraphishen Meldung an die Ostafrikanishe Eisen- bahngesellschaft hat die Gleis\piße der Tanganjikabahn am 1. November Kilometer 371 hinter Tabora erreiht. Im Oktober wurden 27,2 km Gleis vorgestreckt. Bis zum Tanganjikasee sind noh 32 km zu leisten. Die Vorstreckarbeiten sind zur Zeit ein- gestellt, wetl die Erd- und Felsarbetiten auf der Neststrecke, die größere Schwierigkeiten bietet als die vorhergehende Strecke, noch nicht genügend weit vorgeschritten waren. Die Verzögerung wird einige Wohen dauern.
Parlamentarische Nachrichten.
— Auf der Tagesordnung der heutigen (181.) Sißung des Reichstags, welher der Reichskanzler Dr. von Beth- mann Hollweg, der Staatssekretär des Jnnern Dr. Del- brüdck, der Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke, der Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lisco, der Staats- setretär des Reichskolonialamts Dr. Solf und der Kriegs- minister, Generalleutnant von Falkenhayn beiwohnten, standen die folgenden Fnterpellationen, betreffend die Vorgänge in Zabern.
1) Interpellation Nöfer u. Gen. (forts{chr. Volksp.) : Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft zu geben über die dur die Presse bekannt gewordenen Aeußerungen eines Offiziers in Zabern und die dadur veranlaßten weiteren Vorgänge ?
2) Interpellation Albrecht u. Gen. (Soz.): Was gedenkt der Herr Reichskanzler gegenüber dem Verhalten tes Leutnants in der Garnifon Zabern zu tun, der die elsaß-lothringische Bevölkerung {wer beleidigt und ferner Aeußerungen getan hat, die geeignet find, unsere Beziehungen zu Frankrei zu beeinträchtigen ?
3) Interpellation Delsor u. Gen. (Els.): Was gedenkt der Herr Reichskanzler zu tun, um die elsaß-lothringishen Soldaten und die Bevölkerung Elsaß-Lothringens vor Beleidigungen zu schützen, wie sie sih ein Offizier des Infanterieregiments Nr. 99 in Zabern ihnen gegenüber hat zu {Gulden tommen laffen? Hâlt der Herr Reichs- tanzler die Strafe, die über diesen Offizier verhängt worden ift, für eine Sühne, die geeignet ist, der Wiederholung solcher Fälle vor- zubeugen ?
Die Jnterpellanten sollen der Reihe nah das Wort er- halten.
(Schluß des Blattes.)
Statistik und Volkswirtschaft.
Durcchschnittsgewichte der während des Jahres 1911 in Preußen geschlachtetea Tiere.
Die für das Jahr 1906 durch amtlihe Erhebungen ermittelten Durschnitts\{hlahtgewihte der in den öffentlichen Schlachthäufern geshlachteten Tiere, die den Fleishverb:auchsberechnungen des Kaiser- lihen Gesundheitsamts bisher zugrunde gelegen haben, find in der Oeffentlichkeit vershiedentlih Gegenstand der Kritik gewesen, und ihre Richtigkeit ist mehrfah in Zweifel gezogen worden. Mit Nüc- sicht hierauf erschien es zweckmäyßig, das im Jahre 1906 gewonnene Zahlenmaterial einer Nachprüfung zu unterziehen, und zu diesem Zwedcke sind im Jahre 1911 weitere Ermittlungen über das Gewicht der Schlachttiere angestellt worden. Sie haben zunächst nur in Preußen stattgefunden, sind aber nicht nur, wie im Jahre 1906, auf die Slhlachtgewichte der in den öffentlichen Schlachthäusern ge- schlacteten Liere erstreckt worden, sondern auh auf die Schlacht gewichte- der außerhalb diefer S{lachthäuser ges{lachteten Tiere aus- gedehnt worden; ferner find die Gewichte der lediglich zum Haus- gebrauche geshlachteten, nur der Trichinenschau unterworfenen Schweine mitberücksihtigt worden. 5
Bei den Ermittlungen ist, wie im Fahre 1906, daran festgehalten, daß die Gewichtszahlen durch Wägungen ermittelt wurden; von einer Schäßung von Gewichten ist grundsäßlih abgeschen worden. Die Erhébungen der Gewichtszahlen innerhalb der öffentlihen Schlacht- häuser haben in derselben Weise stattgefunden wie im Jahre 1906. Außerhalb der öffentlißen Schlathäuser sind mit den Erhebungen die mit der Fleis{beschau betrauten Personen, namentlich die Tierärzte, in einigen Bezirken auch besonders zuverlässige nicht tierärztliche Be- \hauer, beauftragt worden. Die Ermittlungen haben fich natur- gemäß ebenso wie in den öffentlihen Schlacßthöfen niht auf das Gewicht sämtlicher geshlachteter Tiere erstrecken können, immerhin find die Erhebungen do fo umfangreih gewesen, daß {ih auf dem gewonnenen Materiale brauhbare Berechnungen der Durchschnitts- |\chlachtgewihte aufbauen lassen.
li vollständiger als das aus dem Jahre 1906 war, konnte es auch in volkommenerer Weise bearbeitet werden als jenes. ï
Es wurde genau geprüft, auf welhen Teil der insgesamt ge- \{lahteten Tiere die einzelnen ermitielten Gewidkte bezogen werden dürfen. Hierbei wurde von den Regierungsbezirken, für welche die Schlachtungszahlen bekannt sind, ausgegangen und zunächst für diese Bezirke der Fleischvorrat berechnet. Es darf angenommen werden, daß die Qualität der Schlachttiere in einem solhen Bezirk im großen und ganzen einbeitlih ist. Innerhalb eines Regierungsbezirks be- stehen jedo einzelne beachtenswerte Versiedenheiten. Dementsprechend wurden die in den Erhebungsgebieten ‘ermittelten Gewichte gruppiert und dana als Unterlage für die Berehnungen benußt. Zunächst wurde der Fleischborrat aus jedem großen Schlahthoforte des Ne- gierurgöbezirkes gesondert berechnet, während die sich aus den mittelgroßen und den kleinen Schlachthoforten sowie die sh aus den
besGaupflichtigen Shlaßtungen in den übrigen Ortschaften eines Ne-
Da das für das Jahr 1911 eingegangene Zahlenmaterial wesent-
gierungsbeztrkes ergebenden Fleishmengen — und zwar ne für G — für ‘den Regierungsbezirk summarisch ermittelt worden find. Danach ist der Fleishvorrat für jeden Regierungsbezirk und für Preußen er- mittelt und aus ihm sowie der Zahl der Schlachtungen das Durch- \hnitts\{chlachtgewiht für jede Tierart berehnet worden. Das Durch- schnittsgewiht der zum eigenen Hausgebrauche geschlahteten Schweine wurde gleichfalls aus den für die einzelnen Regierungsbezirke ermittelten Fleischvorräten berechnet. : Bei Gegenüberstellung der auf diese Weise erzielten Ergebnisse mit den Ermittlungen im Jahre 1906 ergibt si folgendes Bild:
1911 1906 Dur@schnitts\{chlachtgewiht in ke
Dur{-
b. C. 24 a außerhalb der |der zum Haus-| \{nitts- öfentiid sl öffentlichen aebrauch \{lact- Schl bt | S(hlachthäuser ge- | geshlachteten bâuse 4 schlachteten, der und auf gewicht L Fleis{chbeschau Trichinen in kg
Abg ait unterworfenen | untersudten
Ttere | Schweine
99
| Ochsen... } 316,09 297,60 | 33 Bullen . „ .} 299,86 274,43 | 306 Se, 4 243 230,38 | 245 Jungrinder .| 172,67 166,46 175 U s 43,28 35,32 40 Schweine . . 91,01 87,52 : 90 Schafe . ., 22,46 — | 22 San 16,30 —— | 15
Gin Vergleih der für das Jahr 1911 und das Jahr 1906 ermittelten Gewihte in Swlahthöfen geshlahteter Tiere äßt folgendes erkennen: Bei Kälbern, Shweinen, Schafen und Ziegen hat sih ein unerbeblich höheres Gewicht herausgestellt, sodaß die früher ermittelten Gewichte für diese Viehgattungen durch die neuen Grmittelungen als bestätigt gelten können. Für Bullen, Kühe und Jungrinder |sst ein nicht rx wesentlich niedrigeres Durchschnittsgewticht berechnet worden. Das Gewicht der Ochf en war im Jahre 1911 beträchtlich niedriger als im Jahre 1906. Die festgestellten Abnahmen sind aber wohl nit darauf zurückzuführen, daß die 1906 ermittelten Gewichts- zahlen zu hoh gewesen wären; fie erklären ih vielmehr ¿wanglos daraus, daß im Jahre 1911 einmal wegen der damaligen ungünstigen Futterverhältnisse, sodann aber auch wegen des Herrshens der Maul- und Klauenseude von den Landwirten sehr viel Vieh in noch nit schlahtreifem Zustand abgestofen und zur Schlachtung gebracht worden ist, sodaß in dieser Hinsicht. das Jahr 1911 als ein normales Jahr nicht angesehen werden kann. Die Zusammenstellung ergibt ferner, daß das Gewicht der außerhalb der öffentlichen Schlacht- häuser geshlahteten Tiere — abgesehen von den Hausfchlachtungen bei Schweinen — im allgemeinen niedriger ist als das Schlacht- gewiht der innerhalb der öffentliben Schlachtbäuser Es Tiere. Da angenommen werden muß, daß es fch hier i niht um eine Besonderheit des Jahres 1911 handelt, so sind in die bts- herigen Fleishvorratsberehnungen, die das Kaiserliche Gesundheitsamt aufgestellt hat, für die vorgenannten Schlahtungen anscheinend zu hohe Durdhschnittêgewichte eingeseßt worden. Immerhin können aber die auf den Zahlen des Jahres 1906 aufgebauten Fleishvorrats- und Fleihverbrauhsberehnungen in ihrem Endergebnis nicht als unrichtig bezetchnet werden, denn das Mindergewicht der außerhalb der öffent- lihen Schlachthäuser ges{hlahteten Tiere wird dur das Mehr- gewicht der bei den Hausschlahtungen geschlahteten Schweine wieder autgeglichen. Die s{chon früher ausgesprochene Ansicht, daß die zum eigenen Hausgebrauche ges{chlachteten Schweine s{chwerer \eien als die in den öffentlihen Verkehr gebrahten, ist durch die Er- bebungen des Jahres 1911 bestätigt worden; es hat fich ergeben, daß das Durchschnitts\hlahtgewiht der hausge|chlachteten Schweine um 12,8 kg höôber ist als das im Jahre 1906 für Schweine in Preußen ermittelte Durschnittsslachtgewiht. In welchem Umfang diefe Feststellung auf die Berehnung des Fleischverbrouchs von_ Einfluß sein muß, erhellt daraus, daß nahezu 30 9% sämtliher Shweine- [{chlachtungen auf Hauss{lachtungen entfallen. :
_ Wenn der fich aus den S{hlachtungen in Preußen ergebende Fleischvorrat für das Jahr 1911 berechnet wird, ‘einmal unter Zu- grundelegung der neu ermittelten DurWschnittsgewichte und fodaun unter Einstellung der preußischen Gewichte für das Jahr 1906, so ergibt sich nach den Dur(hschnittsgewichten für 1911 auf den Kopf der Bebölkerung in Preußen ein um etwa 0,5 kg höherer Fleishvorrat als nach den Gewichten für 1906.
Da die im Jahre 1911 gewonnenen Zahlen fch nur auf Preußen beziehen, und da überdies das Jahr 1911 bei seinen besonderen Ver- hältnissen niht als normal bezeihnet werden kann, werden die vor- stehend mitgeteilten Dur(schnitts\{chlachtgewichte Fleishverbrau&8- berechnungen nit ohne weiteres zugrunde gelegt werden können. Es erscheint daher erwünsht, daß möglichst bald eine Wiederholung der in Preußen vorgenommenen Erhebungen unter Ausdehnung auf das ganze Reichsgebiet vorgenommen wird. Hierüber find Verhandlungen eingelettet.
Zur Arbeiterbewegung.
Zur Lohnbewegung im Berliner Brauereigewerbe be- ritet die „Vos. Ztg.“, daß eine stark besuhte Verjammlung des hiesigen Bierbrauergesellen-Vereins sich mit dem am 1. April nächsien Jahres ablaufenden Tarifvertrage beschäftigte und einstimmig folgende Entschließung faßte: „Die Ver- sammlung beschließt na eingehendem Referat des WBundes- vorsißenden E. Siegert und reger Diskussion die Kündigung des be- stehenden Tarifvertrages der Ringbrauereien. Sie beauftragt die ge- wählte-Kommission, einen ‘den Verhältnissen geeigneten neuen Ent- wurf auszuarbeiten und dem Vercin der Brauereien von Berlin in Kürze dann dur die Organisaticnsleitung zuzustellen." Der Verein, der dem Verbande der Deutshen Gewerkvereine als Ortôvercin an- ges{hlossen ist, tritt mit der Annahme der Entschließung in die Lohn- bewegung ein. 7
In Indianapolis, wo die Fuhrleute aus\tändig find, kam es gestern „W. T. B.“ zufolge zu Aus\chreitungen. Die Polizei feuerte auf die Menge; ein Neger wurde getötet und vier Personen
verwundet. Wohlfahrtspflege.
Der Leiter des Kinderkrüppelheims in Angerburg, Superintendent Braun, bittet um Unterstüßung der Anstält, die in ihren Häufern 400 verkrüppelte Kinder aus allen Teilen Deutschlands ohne NRücksicht auf Heimat und Religion unentgeltlih verpflegt und orthopädish behandelt. Die Einrichtung einer neuen Krüppelklinik ist notwendig geworden, auch erhoffen die Pfleglinge und 8350 alte Krüppel eine Weihnachtsfreude.
Kunst und Wiffenschaft.
Die Gesellschaft für Erdkunde in Berlin hält eine all. gemeine Sizung am 6. d. M., Abends 7 Uhr, im großen Saal des AUrchitektenhauses (Wilhelmstraße 92). Der Kapitän J. P. Koch - Kopenhagen (als Gast) wird über die dänishe Durhquerung Nord-
rönlands 1912—1913 und der Privatdozent Dr. A. Wegener-Mo Burg i. H. (als Gast) über die vorläufigen wissenschaftlichen Erg der Kochschen Expedition (mit Äthtbilvern) sprechen.
Fagd.
Freitag, den 5. Dezember, findet Königlick jagd statt. Stelldichein: Mittags 12 uß der Seeburger Plaßgrenze auf dem König