1913 / 292 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 11 Dec 1913 18:00:01 GMT) scan diff

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spruÆsvolle Prcxis der Behörden hinweisen, kommen wir nicht weiter. Da müfseu feste und klare Grundsäye sein. Die geforderte Berleibung I i 9 g O der Nechtsfähigkeit würde weittragende Konsequenzen haben. Mir per- sönlich eint diese Frage nicht spr"chreif zu sein. Die Einwirkung der Rechtsfäh'gkeit auf den Arbeitswilligenshuß würde die Frage doch nit refllos lsfen, Solange das Streikpoitenstehen nit klar und deutlich als eine gegen die guten Sitten verstoßente widerreht!ide Aufforderung anerkannt wird, núgzen alle anderen Vorschläge nichts. Der Gedanke, der unserem Antrage ¿zu Grunde legt, gewinnt aud) in liberalen Kreisen immer mehr und weiter an Boden. National- liberale Vereine und Vertretungen haben fih dahin ausgesp:octen, daß der b-stehende Geseßeszustand verschärft werden muß. Die nationalliberale Partei hat ja eine Kommission mit der Bearbeitung der Frage beaustiagt. __ Der Abg. Bcssermann kat gi stern diesen Beschluß gegen Angriffe zu verteidigen gesuht. Wenn ich ibn richtig verstanden Fabe, hat er ihn auch gegen Angriffe von unferer Seite verteidigt. Das war niht nötig. Wir haben den Beschluß der nationaliiberalen Fraktion turchaus begrüßt, und wir werden dir Beschlüsse ter Kommission gern und ernsthaft prüfen. Wir baben es aber nicht für rihlig gefunden, unsererseits bestimmte Dinge zu formulieren. Wir machen uns die Forde1ung des ge- famten Mittelitandes zu eigen und glauben, daß ohne ein Verbot des Streikpestenftehens dem Uebel nicht voliständig abgeholfen werden kann. Wir haben auch nicht geglaubt, mit unserer erneuten An- regung erst hervortreten zu sollen, bis das Ergebnis der Kommission der nationalliberalen Partei vorlicgt. Unferer Meinung nach gebührt dite Initiative in diefer Frage der Regierung. Diese ist am ersten in der Lage, bestimwte Vorschläge zu machen. Die Regierung trägt ja auch die Verantwortung, und sie hat die Verpflichtung, in dieser Frage führend mit ihrer Initiative vorzugehen. Ohne Bekämpfung des fozialdemokratishen Terrorim!s8 kommen wir nicht zum Ziele. Geschteht hier nihts, so wird der Ausstieg unserer Arbeiter auf Jahre unterbrochen. Wenn die Regierung in dieser Sache die Führung übernimmt, die Initiative ergreist, so wird sie bei uns volles Ver- fiändnis, volle Mitarbeit finden.

Siaatsfeïretär des Reichsschaßzamts hn:

Meine Herren! Ich bitte, mir eine kurze Bemerkung pro domo au gestatten, nämlich zur Verteidigung der von dem Herrn Vorredner angefochtenen Aufstellung des Etats. Der Herr Vorredner bat na awei Nichtungen hin Vorwürfe erhoben. Er hat einmal gemeint, bei der Veranschlogung der Einnahmen näre nicht mit der sonst üblihen Vorsicht verfahren worden, und er hat namentlich darauf hingewiesen, daß man bei der Schäßung der Zölle nicht unter den Durchschnitt der vorhergehenden Jahre heruntergegangen fei, wie ties bisher regelmäßig gesckehen sei. Die leßtere Annahme is an sich nicht ganz nichtig. Der Anfaß in unserer Schäßung richtet sich nah den jeweiligen Um- ständen. Im Jahre 1912 z. B. ist der eingeseßte Bet1ag bößer als der Durchschnitt der vorhergehenden Jahre. Für das Jahr 1913 ist Tediglich wecen der eigenartigen Verhältnisse des Jahres 1911 und der Einwirkung dieser Verhältnisse auf die folgenden Xahre ein Betrag von 20 Millionen Mark in Abzug gebracht, für das Jahr 1914 noch ein Betrag von 18 Millionen Mark, also eine Summe in fast dersclben Höhe, obwohl es doch auf der Hand liegt, daß das Jahr 1911 auf die Durchschnittsberechnung um so weniger ein- wirkt, je weiter wir uns von diesem Jahre entfernen.

Der Herr Vorredner hat dann aber au einen Vorwurf erhoben, der bedeutsamer, well grundsäßliher Natur, ist. (Er hat es für unrichtig erklärt, für die fortlaufenden Ausgaben Beträge aus dem Wehrbeitrag in unsere Einnahmen einzustellen. Ih könnte bem Einwande etnfah damit begegnen, daß ih auf das Geseg verweise. Gegen die gescßliGen Vorschriften können wir nicht handeln. Aber ih glaube au, darlegen zu können, daß das Geseg das Ridthtige getroffen hat. Schon früher ist von mir wiederholt hervorgehoben worden, daß eine an fich fortlaufende Ausgabe in dem hier in Rede slekenden Sinne als einmaliz behandelt werten kann, twoenn fie nur vorübergehend in den fortlaufenden Einnahmen keine Deckung findet. Insofern find vir wohl bercchtigt, in den Jahren 1913——1916 denjenigen Teil der fortlaufenden Ausgaben als einmalig zu behanteln, für welchen von 1917 ab cine- besondere Steuer zur Deckung eiugeführt wird. J gehe aber noch wetter. Es ift das Eigertümliche einer Vermögens- zuwachósteuer, daß sie nit erstmalig als solche erhoben werden kann.

Um am Schlusse eines Veranlagungszeitraums den Zuwachs zu einer Substanz feststellen und besteuern zu können, muß man zu Be- ginn dieses Zeitraums die Substanz felbst fesistellen und, um eine zuverlässige Feststellung zu sichern, besteuern. Eine Vermögens- zuwachësteuer muß also in der ernten Periode threr Erhebung eine Vermögenssteuer sein, und Wehrbeitrag und Zuwachssteuer hängen dementsprechend erg mit einander zusammen. Der Wekbrheitrag batte dabei zwei Funktionen zu erfüllen, er hatte cinmal die Mittel zu liefern für die einmaligen Ausgaben ter Hzereêvorlage, er batte dann aber au die erste Nate der Besißsteuer zu bilden. Wir find also durchaus auf dcm rickt'gen Wege, wenn wir den Ertrag, soweit er über die Summe der einmaligen Ausgaben hinauszeht, für die fort- laufenden Ausgaben der Jahre 1913 bis 1916 bestimmen.

In einer Beziehung kann ih dem Herrn Vorredner obne tweiteres beipflihten; wenn er dem Wunsche und der Ueberzcugung Ausdruck gab, daß ter Wehrbeitrag keine dauernde Einrichtung werdzn dürfe, Die Auffassung des Herrn Vorredners deckt sich in dieser Richtung durhaus mit ter Auffassung der verbündeten Megierungen. (Zurufe aus dem Zentrum: Zurzeit !) Wenn {ch dem gelegentlich Ausdruck gab, habe ih auch sonst zuweilen Widerspruch erfabren, indem dagegen eingewendet wurde, daß die Verhältnisse stärker seien als die Mensen und daß die jeßige Auffassung si ändern könne. Aber ih mache darauf aufmerksam, daß derselbe Reichstag, der den Wehrbeitrag beschloß, zugleih vagegen, daz er eine dauernde Ein- rihtung werde, einen fehr kräftigen Riegel vorgeschoben hat, indem er im Anschluß daran die Besibsteuer beschleß. Bei dem engen Zusammen- hang zwischen Wehrbeitrag und Vermögenszuwacs\teuer, den t vorhin s{on betonte, ist es gar nicht denkbar, daß vom Fahre 1917

ab diese beiden Abgaben nebeneinander erheben werden könnten, und das, Herr Graf v Westarp, ift vielleilt ein Bor:ug der Besitsteuer, der auch von Jhnen anerkannt werden wird. (Heiterkeit rets. Bravo!)

Abg. Dr. Wiemer (fortshr. Volksp.): Der Abg. Graf Westarp hat die Frage aufgeworfen, melde Auslegung der Beschluß vom 4. De- zember“ zu erfahren habe, und cine Neugier bekundet, wie die fort- chrittliche Volkêpartei sih zu ter Auêlegung stellen werde. Jch will eine Wißbegier soglei befriedigen. Wir weihen in der Beurteilung dieses Beschlusses ab von den Ausführungen der Nedner des Zentrums und der nationalliberalen Partei. Zunächst lassen Sie mich eins Be- merfung machen bem Ubg, Scheidamann gogenüber. hat ein Zu- sammenarbeiten mit dem Reichskanzler von jetzt ab für unmöglich er- tlärt. Der Reichskanzler hat gesagt: Jch habe meine Demission nicht eingereiht und werde sie auch nicht einreiben, Da müßte eigentl:ch

die Sozialdemokratie die Konsequenz ziehen und ihrerseits die Mit- arbeit einstellen, was noch törihter wäre als der Streik in der Nüstungskommission. Im übrigen hat auch sonst die Sozialdemo- kratie den Stat abgelehnt. Die Ablehnung des Etats wird der Neichs- kanzler nicht als einen gegen ihn besonders gerichteten Strafakt empfinden können wegen atel Haltung in der Zaberner Angelegen- heit. Auch darauf will ih hinweisen, weil der Abg. Scheidemann bemüht war, eine \harfe Grenzlinie zu ziehen zwischen der Auffassung der Sozialdemokratie. und der der bürgerlichen Paritien. Die Sozial- demokratie handelt selbst niht konsequent, wenn sie jeßt die Konsequenz verlangt, die der Abgeordnete Scheidemann gezogen hat. Bei der Poleninterpellation war auch eine Mehrheit gegen den Reichskanzler und seine Politik, und die Sozialdemokratie hat nicht gefordert, daß der Reichskanzler seine Demission einreicht, sondern im Gegenteil, sie hat kurz darauf die Mittel bewilligt zur Deckung der Militärvorlage. Dabei ift doch in der Polenpolitik keine Aenderung eingetreten, wäh- rend hier die Vorgänge nah dem 4. Dezember unverkennbar erkennen lassen, daß eine Aenderung der Haltung der Regierung eingetreten ist. Meine politishen Freunde können \sih ganz und gar nit der Auf- fassung anschließen, daß das Votum vom 4. Dezember nur die Auf- wallung des Augenblicks gewesen ist und ohne politishe Bedeutung var. Jch muß meinem Befremden darüber Ausdruck geben, daß gerade der Reichskanzler sih gestern bemüht hat, die politishe Bedeutung dieses Votums möglichst ‘herabzuseßen. Er hat eine überflüssige Stärke an Worten bekundet. Der Reichskanzler irrt si, wenn er glaubt, daß diesem Beschluß nur eine so harmlose Bedeutung beizumessen sei, daß der Reichstag lediglih eine Zählung der Stimmen habe vornehmen wollen, Er irrt sih auch in der Bewertung der Abänderung der Ge- schäftsordnung, die hier vor kurzem vorgenommen worden ist. Jch will noch bemerken, daß die Verhandlungen im Plenum, von denen der Heichéfanzler sprach, die politische Bedeutung der Aenderung der Ge- scäftsordnung nicht ershöpfend behandelt haben. Wir sind uns darüber nie im Zweifel gewesen, daß neben der Wirkung nah innen auch eine Wirkung nach außen dieser Aenderung beizulegen ist, und daß wir diese Wirkung gewollt haben. Graf Westarp hat mit einer gewissen Schadenfreude gesagt: wir haben recht gehabt, als wir erklärten, \o vird es kommen. Jch verhehle niht, wir haben gewollt, daß es so tommen soll. Jh mache auch keinen Hehl daraus, daß wir eine Ver- stärkung der Rechte des Parlaments gewollt haben, und daß wir uns freuen, wenn ein solcher weitgehender Einfluß des Parlaments herbei- geführt wird. Wir können nicht die Abneigung der Rechten gegen das parlamentarische Regime teilen, jedenfalls halten wir ein parla- mentarishes Regime noch für besser als einen Scheinkonstitutionalis- mus. Nach unserer heutigen Verfassung ist der Neichskanzler nicht ver- pflichtet, von seinem Amte zurüczutreten, wenn die Mehrheit des Meichstages ihm das Vertrauen versagt. Ob der Reichskanzler recht handelt, wenn er diese Folgerung nicht zicht, ist eine andere Frage. Furst Bülow hat sie gezogen, als die Erbschaftssteuervorlage abgelehnt worden 1st. Der MNeichskanzler hat uns über die Entwicklung der Dinge in Zabern nicht unterrihtet. Was wir gehört haben, haben wir der Presse entnehmen müssen. Der Reichskanzler hat es auch nicht für nötig gehalten, die Volksvertretung über die Verseßung des Megi- ments aus Zabern zu unterrichten. Die Verseßung des Regiments kann man als eine Strafe für Soldaten und Bürger auffassen. Hätte man rechtzeitig den Leutnant von Forstner und den Obersten von Reutter reftifiztert, dann wäre die ganze Verlegung nicht notwendig gewesen. s is mir von elsässisher Seite bestätigt worden, daß in Zabern sonst das Verhältnis zwischen Militär und Bürgern ein recht gutes gewesen ist. Jch nehme an, die Verlegung soll nur eine vorübergehende Maß- nahme sein, und man wird sih überlegen, daß die Zurückverlegung des Militärs der Förderung der Herstellung eines guten Einvernehmens nur dienlich sein kann. Ich hoffe auch, daß die jeßt vor Gericht ge- stellten, in Untersuchungshaft befindlißen Mannschaften eine milde Beurteilung erfahren werden. Graf Westarp hat die Zivilbehörden angegriffen, daß sie nit scharf und schneidig genug: vorgegangen sind. Gegen solche ungerechten Angriffe hat die Mehrheit des 4. Dezember die Zivilbehörde energisch in Schuß zu nehmen; dem Kreisdtrektor sprechen wir für sein Verhalten unsere besondere Anerkennung aus.

Graf Westarp meinte: Himmeldonnerwetter, wenn ih da gewesen wäre! Mit seinem Himmeldonnerwetter hätte er den Elsässern ver- teufelt wenig imponiert. Graf Westarp rühmte die preußisch-deutsche Selbstverwaltung, die hohgehalten werden müsse; leider is aber die Selbstverwaltung gerade von der Seite stets Angriffen ausgeseßt, für die heuie Graf Westarp tas Wort geführt hat. Auch den Staats- sekretär Zorn von Bulah hat Graf Westarp angegriffen; vielleicht empfiehlt es sich, wenn der Staatssekretär wieder nach Berlin kommt, ihn zum Grafen Westarp 'n die Instruktions\stunde zu shicken. Der NReidstag bat alle. Veranlassung, auf die Entscheidung vom 4. De- zember mit Stolz und Genugtuung zu blicken. Die 293 Abgeordneten haben darin befunden wollen, daß fte Verleßung von Geseß und Necht nicht dulden wollen. Die 54 von der Minderheit vertreten sehr wich- ilge und wertyolle Teile der deuts{en Bevölkerung, meinte Graf Westarp, aber es gereiht diesen Teilen wahrlih niht zum Nuhme, h bei dem Beschluß abjseits gestellt zu haben. Graf Westarp sang ein lied auf die Militärs, die unter Verleßung von Geseßes- und Ber- assungsvorschriften vorgegangen sind, und selbstverständlih auch auf en Kriegsminister, Fleish von seinem Fleish. Wir können einen Unterschied zwischen militärisher und bürgerlicher Ghre nicht aner- kennen. Die Berufung auf Jhering beweist wenig, weiß man doch nicht, wie er geurteilt hätte, wenn er die Vorgänge von Zabern ge- fannt häite. Ein anderer angesehener lebender Staatsrechtslehrer, Anschüß, hat das Vorgehen des Militärs als rechtsverachtende Will- kür bezeichnet. Wir protestieren gegen die Art und Weise, wie hier ein Vertreter der Konservativen vorgekommene Geseßesverleßungen beschonigt und verteidigt hat. Graf Westarp will das Ansehen und die Würde des Meichstages verteidigen. Es wäre nicht wohlgetan, diesen Schuß gerade den Herren zu überlassen, die aus ihrer Abneigung gegen den Parlamentarismus nie ein Hehl gemacht haben, deren Vortführer von Wangenheim noch jüngst in Cöln dem Reichskanzler einen {weren Vorwurf daraus machte, daß er diese „Bude“ hier nicht längst ge- {lossen habe. Die Bürger von Zabern können jedenfalls die Üeber- zeugung haben, daß die Mehrheit des Deutschen Reichstages hinter thnen steht, wenn die Geseße verleßt werden und ihnen Unrecht ge- schieht. Unfer Vorgehen hat vieles gutgemaht, was vorher gefehlt worden ist, und es wird vor der Geschichte gut bestehen. Ob die Hal- tung der Konservativen einst so gut wird bestehen können, das ift eine andere Frage. Auffällig erscheint es mir, daß der Nedner der kon- fervativen Partei über die braunshweigishe Frage gar nichts gesagt hat; denn vorher war ja angekündigt worden, daß der Novembersturm des Jahres 1908 nur ein gelindes Säuseln sein würde gegenüber dem, was jeßt fommen würde. Gewiß hat der Bundesrat seine Haltung in der Frage geändert; aber wir halten Bundesratsbeshlüsse mcht für so unabänderlih. Wir wollen noch eine ganze Anzahl von Bundes- ratsbeschlüssen umstoßen. Freilich is der Umschwung beim Bundes- rat mehr auf dynastische Nücfsichten zurückzuführen; aber wir wollen anerkennen, daß die Erklärung des neuen Herzogs von Braunschweig genügt. Wenn die hannoverschen Welfen nah wie vor für die Wieder- aufrihtlung des Königreihs Hannover eintreten, so halten wir daran rest, daß das Königreich Hannover durch die Entscheidung des Krieges preußischer Besiß geworden ist. -Bedauerlich ist der Ausgang der Ver- sassungsaktion in Mecklenburg. Er beweist, daß die Stände entweder nicht 1mstande oder nicht gewillt sind, dem Lande eine wirkliche Ver- fassung zu geben. Die \chärfste Kritik an der Haltung der Stände haben die Großherzoge selbst in dem Landtagsab\chied ausgesprochen. Jeßt muß das Neich eingreifen. Der Bundesrat muß die Hand dazu bieten, daß die alie ständishe Oligarchie endlich beseitigt wird. Dén Darlegungen des Staatssekretärs des As fönnen

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wir tin der Hauptsache zustimmen. Er hat mit der Mahnung zur Sparsamkeit gescch{lossen. Dem stimmen wir zu; wir wünschten nur, daß der Bundesrat auch an diese Mahnungen denken möchte. Vielleicht ost ver Staatssekretär in den Zimmern des Kriegsministers und des Staatsselretärs# des RNeichsmarineamts diese Mahnungen dur einen Phonographen A wiederholen, Aus ven Worten des Staatssekre- lars klang freilih die Besorgnis heraus, daß ein Rückfall in die alte

Praxis kommen könnte. Bei der Beurteilung der Finanzlage hat der

Staatssekretär eine fehr klare Darstellung gegeben, der wir nur wenig hinzuzufügen haben. Besonders erfreulih war nir die Aussage, ex tebe den Ueberschüssen nicht so freundlih gegenüber, wie man glauben ollte. Vielleicht gelingt es ihm, seinen Kollegen im preußischen inanzministerium zu dieser Auffassung zu bekehren. Denn diesez reut ih immer der hohen Ueberschüsse, die der Pai Etat ah: wirft, und er wird in diesem Jahre voraussichtlich 400 Millionen in den Spartopf der Ueberschüsse abführen können. Auf übérrasente Mehreinnahmen aus Zöllen und Steuern haben wir ja nicht zuy rechnen. Einzelne Erörterungen hierüber gehören in die Kommission, Ich will zugeben, daß die Verwendung von Mitteln aus dem Wehr- beitrag zu dauernden Ausgaben zu großen Bedenken Anlaß gibt. IH ließe mich aber der Auffassung des Staats\ekretärs an, daß es gehen wird, wenn neue Aufgaben niht kommen. Mit der Aufbesserung dez Post- und Telegraphenbeamten sind meine politishen Freunde einver: standen. J bin auch damit einverstanden, daß auch der Altpensionáre gedacht wird, Wir werden den Schaßsekretär in den Bestrebungeg unterstüßen, alle Forderungen abwehren zu können, die leichten Verzens erhoben werden und die Reichskasse beeinträchtigen können, Wir müssen da aber auch verlangen, daß das Militärkabinett und dex Kriegsminister danah handeln. Wir haben seinerzeit die Wehrvor- lage bewilligt niht dem damaligen Kriegsminister oder seinem Na- folger zu Liebe, sondern weil die politische Lage sie notwendig machte. Jeßt müssen aber die Neformen durchgeführt werden, die der Deutsche Reichstag bei der Bewilligung verlangte. Der Kriegsminister ver- sprach in seiner ersten Nede, allen modernen Anregungen entsprechen zu wollen. Nach seiner Nede in der Zaberner Angelegenheit geben wir

aber diese Hoffnung auf. Er scheint ein Jahrhundert zu spat auf die

Welt gekommen zu sein. Mit Genugtuung haben wir die Aeußerungen des Freiherrn von Hertling im bayerishen Landtage vernommen, wo- nach es die höchste Zeit sei, in den Rüstungen Ruhe eintreten zu lassen. Der Staatssekretär des englishen Marineamts hat wieder: holt den Gedanken eines Rüstungsfeierjahres propagiert. Wir ließen im Frühjahr in der Kommission keinen Zweifel, daß es {wer sein würde, ein solches Ziel zu erreiben. Es müßten denn ausreidende Garantien geschaffen werden. Wir meinten aber, man dürfe folde Anregungen nicht von vornherein ablehnen. Die „Kreuzzeitung“ ver- langte, die deutshe Regierung solle allen solchen Vorschlägen ein #0: fortiges Unannehmbar entgegenseßen. Damit wäre aber den deutschen Interessen niht gedient. Macht England annehmbare Vorschläge, dann wäre es ein s{werer politisher Fehler, wenn die deutsche Re- gierung ihnen ein glattes Nein entgegenbringt. Wir würden sogar eine internationale Verständigung auf diesem Gebiete begrüßen. Die Auffassung, daß der deutsche Imperialismus nur in einer recht be- scheidenen Form auftritt, teilen wir niht. Uns geben vielmehr gewisse Agitationen, wie sie z. B. vom Wehrverein geübt werden, zu großen Bedenken Anlaß. Die Regierung sollte deshalb ihr Augenmerk auf alle derartige Bewegungen richten, die sih unter Umständen zu einer großen Gefahr auswachsen können. So meinte der General Keim in Liegniß, daß die Agitation des Wehrvereins jeßt mehr als je nötig sei. Die militärische Lage Deutschlands sei jeßt ungünstiger als je. Er verlangte fogar, daß in solchen Fragen die Parteipolitik ausge\chaltet werden müsse. Er zitierte bei dieser Gelegenheit Schillers Ausspruch: „Seid ums{lungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt“ und meinte, die Folge dieser Millionenküsserei unserseits sei unsere un- günstige politishe und militärishe Lage. Diese Forderungen sind charakteristish für den Geist, der in manchen Köpfen \pukt, und es liegt darin eine Gefahr. Diesem Chauvinismus muß entgegengewirkt werden. In dem Jungdeutshlandbund werden auch alldeutshe chauvinistishe Tendenzen in unsere Jugend hineingetragen dur Zugendschriften, die unter dem Protektorat hoher Militärs erschienen S Wir wehren uns gegen eine folche Rebershäßung ruhmrediger leberschneidigkeit und Kraftmeierei und eine solche Üntershäßzung des Kulturfortschritts unseres Volkes. Ob das Hauptstück unserer Finanzen, der Wehrbeitrag, wirklih 1200 Millionen einbringen wird, ist mir bei der niedergehenden wirtschaftlihen- Konjunktur zweifelhaft, aber jedenfalls muß der deutsche Volkswohlstand vor einem neuer Aderlaß dieser Art bewahrt werden. Bedauerlich ist, daß nicht au der Besiß der toten Hand und die Steuerfähigkeit der Landesfürstea mit in das Geseß einbezogen sind. Wenn die große Inventur, die anfangs des neuen Jahres im Deutschen Neiche aufgenommen wird, hoffentlih unseren wirtschaftlihen Fortschritt zeigen wird, so wäre es wünschenswert, auch festzustellen, wie hoh der Anteil der Landes- fürsten daran sein wird. Der freikonservative Landtagsabgeordnete Vorster hat im Sommer zur Gründung eines Schußverbandes gegen die Besteuerung der besißenden Klassen aufgefordert; er vergißt, daß seit langen Jahren die besißlosen Klassen mit den indirekten Steuern belastet sind, für die die direkten Steuern einen Ausgleich bilden sollen. Gegen die Steuerreform von 1909 haben wir gestimmt, weil keine Besißsteuer darin war. Auf einer Versammlung des Bundes der Land- wirte hat unser früherer Kollege Dr. Hahn feinem Groll darüber Aus- dru gegeben, daß die Reichsregierung des Reichskanzlers von Beth- mann Hollweg doch die Parteien sehr \{chlecht behandelt habe, die diese einanzreform von 1909 gemacht hätten. Er meinte, der Neichskanzler hätte vor jedem Parlamentarier den Hut abnehmen müssen, der das Odium der Steuerbewilligung auf sih genommen habe, und er fügte Hinzu, weniger starke Charaktere unter den Abgeordneten würden |#1ch in Zukunft sagen: Um Gotteswillen, wir können doch nit das Odiunm der Steuerbewilligung auf uns nehmen, sonst werden wir nicht wieder gewählt. Bei der Finanzreform von 1913 haben die Freunde des Dr, Hahn es abgelehnt, das Odium der Steuerbewilligung auf si zu nehmen. Sie müssen also in die Kategorie der weniger starken Charaktere eingereiht werden, vor denen der Reichskanzler jeßt nicht mehr den Hut abzunehmen braucht. Neuerdings hat das Mitglied des Herrenhauses Graf von Kleist an die Bundesstaaten einen Appell ge- richtet, sie sollten es fih nicht weiter gefallen lassen, daß dec Yeichs- tag mit ihnen Fangball spiele. Es ist bezeichnend, daß er dies in Zu- sammenhang brachte mit dem Wahlreht zum Reichstage. Dies be- kundet von neuem die Abneigung der fonjervativen Partei gegen das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht. Die Behauptung, daß der preußische Geist durch unsere Steuergeseßgebung gefährdet sei, ist ein Ausfluß jenes engherzigen, kurzsichtigen, preußischen Partikularismus, den Fürst Bismark als den s{chlimmsten in Deutschland bezeichnet hat. Wir sind der Meinung, daß der Reichstag mit der Bewilligung diese! Steuer den Reichsgedanken gestärkt, dem preußischen Geist nit zu- widergehandelt hat. Was die wirtschaftliche Lage betrifft, fo befinden wir uns zweifellos in einer rückwärtsgehenden wirts{aftlihen Kon- junktur. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Maßregeln der Regierungsftellen zum Teil {uld daran sind. Jn erster Linte ist es die preußische Eisenbahnverwaltung, die mit ihren Bestellungen nicht recizeitig herausgekommen ist, darunter hat die deutshe Industrie zu leiden gehabt. Dazu kommt das beinahe krankhafte Hochhalten des Bankdiskonts. Wir bedauern lebhaft, daß die Neichsbankverwal- tung troß des enorm hohen Goldbestandes ih noch immer nicht hat entschließen können, mit einer Herabseßung des Bankdiskonts vorzu- gehen. Hoffentlich wird der Cen Havenstein, der jebt genesen ist, die Frage schneller in Fluß bringen. Unter dem hohen Bankdiskont hat namentlich das Baugewerbe schwer zu leiden. Was. den Schuß der Arbeitswilligen betrifft, so muß ih dem Abg. Grafen Westarp das Recht bestreiten, hier namens des Mittelstandes zu sprehen und eine Aonderung der Geseßgebung zu verlangen, Es gibt zahlreiche und weite Kreise, die von diesem konservativen Scharfmachertum nichts wissen wollen. Für die Liberalen ist es ja eine selbstverständliche Forderung, daß die Arbeitsfreiheit ausreichend ge\chüßt und etwaigen Ausschreitungen, Mißbräuchen des Koalitionsrehtes wirksam gegen getreten wird. Anderseits hat die Erfahrung ausreichend gelehrt, daß dazu eine Aenderung der geseßlichen Bestimmungen nicht erforderlich ist. Meine Freunde sind entschlossen, das Koalitionsrecht als eine Errungen- aft der liberalen Staatsauffassung mit Energie zu vezteidigen. Wenn nzuträglichkeiten vorgekommen sind, so sind mcht die arien en Bes stimmungen schuld daran, sondern die Handhabung dieser Bestimmungen.

(Fortseßung in der Dritten Beilage.)

M 292.

(Fortseßung aus der Zweiten Beilage.)

Pir beionen erneut auch die Anerkennung der Rectsfähigkeit der Perufövereine. Wir wollen gleiches Necht für Arbeitgeber und Arbeit- emer. Selbstverständlich sind wir für folche Anträge, wie sie jeut pleder von - konservativer Seite angekündigt: werden, nicht zu haben. Wir lehnen sie glatt ab. Seibst der christlih-nattonale Mbeiterkongreß hat diese Forderung. abgelehnt, und auf der Bersammlung der Berliner Handwerker hat ih der Vorsigende der Berliner Handwerke1:kammer - entschieden gegen die Forderungen des Kartells/ der shaffenden Stände auêgesprohen. Ver Nedner des Zentrums Dr. Spahn ‘und: der- Abgeordnete Bassermann hahen erklärt, daß sie an der geltenden Zoll- und Handelspolitif festhalten. Mir verlanaen, daß das Erwerbeleben der deutshen Bevölkerung besser berüdfihtigt werde, als“ es jeßt der Fall ist. Es würde ein s{hwerer Fehler sein, wenn die Reichsregierung, dem Andrängen der fonservativen und agrarischen. Seite folgend, eineu Marximal- und Minimaltarif zur Vorbereitung der neuen Handelsverträge dem neuen Reichstage vorlegen wollte. Dadurh würde der Ansturm der Sonder- interessen neu wachgerufen werden, wie wir sie bei den früheren Ver- haadlungen über den Zolltarif erlebt haben, jener Sonderinterefsen, die Fürst Bülow in seinem Dennewitzer Trinkspruch zutreffend als denalten Fluch des deut|henLebens bezeichnet hat. Fürst Bülow hat einige Veröffentlichungen über deutsche Politik au8zug8weise erscheinen lassen. Heute möchte i einiges davon herausgreifen. Der frühere Neichs- faniler Fürst Bülow hat sih auch über die Bedeutung der Land- wirtschaît geäußert. Wenn er sagt, daß uns eine starke Land- wintshaft wirtschaftliÞ und vor allem national und sozial notwendig ist, so kann ich dieser Auffassung selbstverständlich auch ‘die volle Zu- stimmung meiner politischen Freunde aussprechen. Aber ich muß Wider- spruch erheben gegen eine andere Bemerkung. Er fagt, daß: die Politik seines Vorgängers die Umwandlung Deutschlands in einen reinen In- dustrie- und Handelsftaat begünstigt habe. Es hätte die Frage bestanden, ob die deutsche Landwirtschaft ihrem Schicksal überlassen werden folle. Graf Caprivi habe geglaubt, diesen leßteren Weg. wählen zu sollen. Meine politischen Freunde haben die Wirtschaftspolitik des Grafen Caprivi. unterstüßt und halten sich daher für verpflichtet, diese Politik in Schuß zu nehmen gegen eine falsche Unterstelung. Nichts ist falscher, als daß die Politik des Grafen Caprivt die deutsche Landwirtschaft ihrem Ende entgegengeführt habe. Jeßt, wo wir die Politik des Fürsten Bülow in ihren Wirkungen erkennen können, hat sogar der konservative Abg Hösch auf die grofße Gefahr hingewtesen, die aus der Entwicklung der Landwirt\chaft für diese Wirtschaftspolitik in fonseryvativem Sinne ——ONES steht. Er hat gesagt, wenn es uns nicht gelingt, den inneren deutschen Markt aus eigener Kraft zu versorgen, dann gehen wir dem Ende der Heimatpoliiik entgegen. Wir wollen darau mit- wirken, daß die viehzuhttreibende Landwirtschaft gestärkt wird, und daß es bierbei niht nur bei {chônen Worten bleibt. Dazu gebört die Bekämpfung des immer weiter um sich greifenden Fideilommißwesens, die Ansiedlung von kleineren und mittleren Bauern. In bezug auf unsere ‘auswärkige Politik möchte ih. der Genugtuung Lusdruck geben, daß man sich anschickt, in der Reform des diplo- matischen Dienstes endlich- etineù Schritt zu tun. Dieser besteht in der Anerkennung ‘des Grundfaßzes, daß der Zugang zur diplomatischen Laufbahn jedem ofen stehen solle, ohne Rüd- sit auf seine Vermögenslage, sofern er die Befähigung dazu hat. Aber die in den Etat“ hierfür eingestellte Summe genügt zur Durchführung diefes Grundsaßes nicht. Wir verlangen, daß der Kreis der Anwärter zur diplomatischen Laufbahn erweitert wird, und eine Beseitigung des erfkflusiven Charakters. dieser Laufbahn. Wir fordern au, daß endlich den NReibungen ein Ende gemacht wird, die immer wieder entstehen zwischen den diplomatischen und den Konsularbeamten. Kürzlich hat man - sogar einen Keonsular- beamten verleßt infolge von Reibungen dieser Art, weil - er si der Interessen der deutschen Industrie allzu lebhaft angenommen hat. Der Reichskanzler hat uns niht sehr viel Neues über die Vorgänge auf dem Gebiete der auswärtigen Politik mitgeteilt. Ih nehme an, daß er gewillt ist, in der Kommission etwas eingebendere Mitteilungen zu machen, umsomehr, als wir den Eindruck haben, daß der Reichäkarzler eine gründliche Aussprache nicht zu s{heuen haben wird. Wir erkennen an, sowett die in der Oeffentlichkeit bekannt gewordenen Vorgänge ein Urteil gestatten, daß ein ruhiges und besonnenes_ Urteil die Handlungen der deutschen Politik geleitet hat, und daß eine sichere Hand in den Maßnahmen zu erkennen ist, die deutscherfeits getroffen find Ich besch: änke mich jet auf die Erklärung, daß meine politischen. Freunde ihre Zustimmung aussprechen zu dem Ziel der deutichen aus- wärtigen Politif wie zu deu Maßnahmen des leßten Jahres. Jch habe die Hoffnung, daß unsere auswärtige Politik nicht beeinträchtigt werde durch impulsive Eingebungen, dur Verleihung von Orden, Titeln und Mar- \hallstäben. Dem Griechenkönig haben die Huldbeweise aus Berlin recht peinliche Stunden bereitet, Der Reichékanzler hat die erfreuliche Besse- rung unseres. Verhältnisses zu England und das vertrauensvolle Zu- fammenarbeiten mit England bei der Neuordnung der Verhältnisse auf dem Balkan bervorgehoben. Wir freuen uns dieser Besserung, die unsere Auffassung bestätigt, daß gute Beziehungen im Interesse beider Ratione«u liegen. Wir haben damit auch recht behalten mit unserer Auffassung bei der Marokkokrise, während damals der konservative Sprecher von Heydebrand zum Ausdruck brachte, daß ein freundschaftlides Verhältnis zu Eng- land unmöglich sei, und der deutsche Thronfolger von der Tribüne des Hauses herab diesen Autführungen Beifall zollte. Gin politisches Einvernehmen mit Gngland halte ih unbeschadet unserer wirtschaftlichen Interessen für möglih. Die deuts{e Beteiligung an der Weltausstellung in St. Franciéco dürfen wir nicht von der Haltung Englands abhängig machen. Die ablehnende Haltung der Reichsregierung war ein Fehler. Gestern sagte der Netchskanzler, er werde jedem Versuch, in die Rechte des Kaisers einzugretfen, seinen Widerstand entgegenseßen. Hoffentliß beschränkt er sein Negierungöprogramm sür die Zukunft niht nur auf diesen Vorsaß. Uls leitender und verantiwortliher Staatsmann muß er ebenso für die Nechte des Staates und für die Rechte des Volkes eintreten. Der Kanzler muß aber als preußisher Ministerpräsident sich auch der Wahlreform n Preußen erinnern, die der Träger der Krone seinerzeit feierli in Nd gestellt hat. Ebenso. ist es mit der veralteten Einteilung der Wahltrei)e in Preußen und im Neiche. Wenn der Kanzler den Kontakt zwischen der Militärgewalt und der Zivilgewalt wieder herstellen will, so wünschen wir thm Erfolg dazu. Es ist aber auch nötig, daß ein besserer Kontakt zwishen dem Reichskanzler und der Stelle her- gestellt wird, die über das Gehen und Kommen der Minister entscheidet. G8 ist gewiß kein erfreulicher Zustand, wenn in so ernster Zeit der Kanzler 30 Stunden seiner kotbaren Zeit dazu anwenden muß, um einen einstündiaen Vortrag in Donaueschingen zu halten. Hier ist Besserung am ape: Auch wir zweifeln niht an dem guten Willen der leitenden Stellen. Aber es fehlt oft am staatsmännishen Blick und der richtigen Würdigung der wahren Interessen des Volkes. Dem Au sind în dem Jubiläumejahre g' oße Opfer zugemutet worden. ver es {ließt es mit \{Gmerzliher Enttäushung ab. Der ange- rihtete Saden muß wieder gutgemaht und allen die Freudigkeit

zur Mitwirkung am Staatewohl wiedergegeben werden, Das tut uns biltex not,

Dritte Beilage L zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

1913.

Berlin, Donnerstag, den 11. Dezember

PBreußisher Kriegsminister Generalleutnant von

Falkenhayn :

Meine Herren! Durch. einige Ausführungen über die Zaberner Angelegenheit bin auch ih gezwungen, noch einmal kurz darauf zurüdck- zukommen, da ich es für eine meiner vornehm}iten Pflichten erachte, hier Angehörige der Armee wie ich dem Herrn Abg. Wiemer gegenüber bemerken möchte, mit Ausnahme von mir felbst gegen Angriffe, die ih nach forgsamer Prüfung nicht für zutreffend halten kann, in Schuß zu nehmen.

Es ift dier vershiedentlich betont worden, die Zuspitung der Verhältniffe in Zabern fei dem Umstande zuzuschreiben, daß der be- treffende Offizier nicht {nell genug aus der Garnison entfernt und daß in der Sache seiner Bestrafung Geheimniskrämerei getrieben sei. (Sehr -richlig! links.)

Meine Herren, i halte beide Vorwürfe nit für rihtig,. Was die Versetzung anlangt, so ist es nüßlich, \sich immer wieder zu ver- gegenwärtigen, wie si denn die Dinge eigentlich abgespielt haben. Der Zeitungsartikel vom 6. November, in dem die Anschuldigungen gegen den Offizier enthalten waren, ist am 7. November dem Nes gimentstkfommandeur bekannt geworden, er hat den Offizier sofori gehört, zur Ne@enschaft gezogen, und es ist am 8. November in einer Zabe1iner Zeitung, am 9. und 10. November in großen Straßburger Zeitungen festgestellt worden, daß von einer beabsichtigten Beleidigung der elsäsfishen Bevölkerung gar ketne Nede sein könne. (Lebhafte Zwischenrufe links. Glodte des Präsidenten.)

Gleichzeitig find Vernehmungen der 75 oder mehr Rekruten, die in der Instruktionsstunde anwesend roaren, eingeleitet worden, denn nur durch deren Aussage konnte festgestellt werden, in welchem Um- fange Beleidigungen dieser Leute vorgekommen - waren. Aber ehe noch diese Vecnehmungen abgeschlossen waren und abgeschlossen sein konnten, febten die Straßenaufläufe und die Preßkampyagne mit- neuen Anschuldigungen gegen den Offizier ein, und daß nun von etner Ver- seßung keine Nede mehr sein konnte, ehe nicht ordnungs- und geseß- mäßig die Sachlage klargestellt war, das glaube ih hier im Hause hon ausreichend dargelegt zu haben. (Sehr richtig! rechts.)

Es ist dann des ferneren hier gesagt worden, daß das, was nah- träglich in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ über die Be- strafung des Offiziers ‘und des Unteroffiziers wegen wörtliher Be- leidigung ihrer Untergebenen gestanden habe, auch in diesem hohen Hause bet der Verhandlung hätte gesagt werden können.

Meinz Herren, das |st ges{chehen (sehr richtig! rets), und zwar ist es durch mich geschehen. Sobald ih durch die Ausführungen des Herrn Abg. Fehrenba, ich muß sagen, zu meiner Ueberrafchung erfuhr, daß troß der ganz klaren Gesezesbestimmungen über diese Frage Zweifel bestanden, bin ich hier sofort aufgestanden und habe genau dasselbe gesagt, was jeßt in der offiztbsen Verlautbarung gesagt worden ift. (Widerspruh bei den Sozialdemokraten.) Mehr konnte ih nicht sagen, meine Herren, und kann ich beute nicht sagen; denn es widerspricht sowohl dem Wesen als auch dem Zwek der Disziplinargewalt, wenn man ihre Ausübung im einzelnen der öffentlihen Kritik prei8geben wollte. (Sehr richtig! rechts. Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Nicht einmal die direkten Vorgeseßten dürfen in die Ausübung cin“ greifen, es sei denn, daß es fch um Verstöße gegen geseßlihe Be- stimmungen oder um die Unterlassung der Abndung eines Vergehens handelt. Wollte man anders verfahren, so würde man denjenigen, die im Kriegsfall die Verantwortung in den höchsten Momenten der Gefahr allein tragen könven und fie daher im Frieden allein tragen müssen, diese aus der Hand winden und man würde damit den Grundstein unter- böhlen, auf dem unsere Armee ruht. (Heiterkeit und Zurufe von den Sozialdemokraten.) Wenn ih mi nit irre, meine Herren, fo ift auch bier im Hause {on bäufig, und zwar nicht bloß von dieser Bank, fondern auch von den Bänken im Saale aus betont worden, daß es unbedingt nötig sei, den zuständigen Disziplinarvorgeseßten die Befugnisse zu geben, die sie zur Erfüllung ihrer Disziplinargewalt brauchen, das i: Selbständigkeit und das ist: das nôtiîge Diensiansehen. Wie aber ein Disziplinar- vorgeseßzter sh selbständig fühlen soll und wie er sein Dienstansehen behalten foll, wenn er gewärtig sein muß, daß seine Disziplinar- maßregeln im einzelnen der Kritik der mit der Sachlage nicht ver- trauten Oeffenilichkeit ausgeseßt werden, das weiß ih nicht. (Sehr richtig! rets Zurufe von den Sozialdemokraten.) Meine Herren (zu den Sozialdemokraten), Sie stôren mih wirkli nicht, aber ich möchte doch bitten, daß Sie in mir den Vertreter der Armee sprechen lassen. (Heiterkeit und Zurufe von den Sozialdemokraten.) Mir persönli is die Unterbrehung ganz gleichgültig. (Bravo! rets Glode des Präsidenten.)

Metne Herren! Es is dann über die Verlegung der beiden Bataillone nah dem Truppenübungsplat gesprochen worden. Ich möchte den Untersuhungen darüber, für wen das nun eigentlich eine Strafe sein soll, wer dadur mehr geschädigt wird, ob die Garnison, die Offiziere, die Unteroffiziere oder die Mannschaften, nicht folgen: denn, meine Herren, es handelt sich um eine Maßregel, die, wie hier auch anerkannt ist, notwendig war, und wenn eine militäuis{Ge Maßregel notwendig ist, um Nuhe und Frieden zu sliften, so kann man \ich \ch{ließlich nicht lange bedenken, ob jemand dadur ge\{hädigt wird. So viel, meine Herren, über Zabern!

Es ist dann noch von dem Herrn Abg. Dr. Spahn auf den Fall Knittel eingegangen worden. Metne Hérren, der Herr Leutnant der Landwehr Knittel hat, fo viel ich weiß, Re- vision gegen das ibm ungünstige Urteil eingelegt, und ih möhte deswegen mit dem Herrn Zentrumsabgeordneten Dr. Sperlih, der dahingehende Ausführungen im April oder Mat gemacht hat, auf den Fall im einzelnea nit eingehen. Aber das cine kann-ich {hon beute erklären, daß ih in dieser Frage mit

stehe, der folgender ist: jedes Zurverantwortungziehen eines Offiziers

des Beurlaubtenstandes wegen politischer Betätigung innerhalb der

staatserhaltenden Parteien muß ausgeschlossen bleiben. Ein Offizier

allerdings, der si in antinattonalem oder antimonarchischem Sinne be-

tätigt, kann niht im Heere belassen werden. In einer monarhischen und

nationalen Armee sind solche Führer undenkbar. Da Herr Knittel noch heute

als Offizier des Beurlaubtenstandes der Armee angehört, traydem

wegen seines Verbaltens bei und nah den Landtagswahlen im Jahre

1908 die Untersuhung längst geführt und zum Abschluß gebracht ist,

dürfte das eine zweifellos feststehen: an den maßgebenden Stellen ist

dem Herrn Leutnant der Landwehr Knittel der Vorwurf antinationalen

oder antimonarhishen Verhaltens niht gemacht worden. (Bravo

rets.)

Abg. von Morawsk i (Pole) beginnt unter großer Unruhe und

Unaufmerksamkeit des Hauses mit einer Beschwerde darüber, daß eine

vor acht Tagen an den Reichskanzler gerichtete Anfrage wegen der Berhinderung einer polnischen Predigt vor polnischen *ärbeitern noch

immer niht beantroortet sei, obwohl das erforderliche Material binnen zwei Tagen hätte beschaffft werden können. Die Klagen des elsässishen Volkes über die jüngsten Vorgänge seien gewiß berechtigt und würden von den Polen voll gewürdigt; die Bevölkerung der polnischen Landestetile aber stehen feit 120 Jahren unter demselben, nein, unter einem hundertmal s{limmeren Willkür egiment der preußishen Bureaukratie. Im Elsaß habe ein Einzelfall folche allgemeine Aufregung in ganz Deutschland hervorgerufen; in den polnis{Wen Distrikten seten diese Einzelfälle System, aber darüber rege man sich im übrigen Deutschland kaum auf. Die Dominikanerkirhe in Posen fei die einzige, wo der G istlihe der polnischen Bevölkerung in ihrer Muttersprache Trost zusprechen dürfe, und in dieses Heiligtum habe die raube Hand der Staatsgewalt ein- gegriffen. Das Regierunassystem in den polnisc jen Landesteilen fet unmoralish. (Präsident Dr. Kaempf ruft den Redner wegen diejer Aeußerung zur Ordnun g.) Alles Gute und Schöne, die Lebe zur Muttersprache, zur Tradition, das werde bei den Polen gescholten und den Polen zum Verbrechen angerechnet. Die damit erzeugte Stimmung müsse die Volfsseele unweigerli) vergiften. Dosfnung darauf, daß die Zustände besser werden könnten, bestehe nicht.

Abg. Freiherr von Gamp-Massaunen (Np): Der Etat ist aufgebaut auf der soliden Grundlage, die durch die Finanz- reform von 1909 geschaffen' ist. Die Tilgung der Anleihen ist sichergestellt, und wir seben dem angenehmen Zeitpunkte ent- gegen, wo die unwirtschaftlihe Pumpwirtschast beseitigt ist. Hoffentlich tritt dieser erfreulihe Zustand auh-in den Bundesstaaten und in den Gemeinden bald ein. Zweifellos ist ein Abflauen unserer wirtschaftlihen Verhältnisse eingetreten. Dies ist aber nicht auf die zurüdckhaltung in der Bestellung von Wagen und Schienen bei dec preußischen Eisenbahnverwaltung zurücckzufuhren. Am schwersten liegt die Textilindustrie danieder. Die Kohlenpretse werden erheblih heruntergeben. Damit wird auch ein Herabgehen der Azrbeiterlöhne verbunden sein. Der Arbeiter muß si sagen, daß er nur dann einen hohen Lohn bekommen fann, wenn die Produkte einen entsprechend hohen Preis haben. Eine fo!che Herabfegung wäre ja sebr bedauerlich. Man mußsih aber vergegen- wärtig{n daz im Werte dir Kohlen 60 bis 65/6 Arbeiterlöhne steten. Wit ganz besonderer Befciedigung haben wix die Erklärung des Schaßsekreiärs entgegengenommen, daß für die Altpensionäre gesorgt werden foll, und zwar nicht auf dem Wege der Unterstützung, fondern dur Gesep. Eine Aenderung des Besoldungsgeseßes haben wir stets für etne Selbstverständlichkeit gehalten. Wenn die Postassistenten eine Auf- besserung erhalten, dann haben auch die Cisenbahnasfistenten einen Anspruch darauf. Besonderer Dank gebührt dem Neichs[|haßamt dafür, daß es die Ostmarkenzulage wieder in den Etat eingestelt hat. Ich boffe bestimmt, daß auch andere Par- teien sich allmählih überzeugen werden, welche schreiendz Un- aerehtigkeit darin liegt, daß die Poitbeamten, weil fie Reichsbeamte sind, \{chlechter gestellt find, als beispielsweise die Eisenbahnbeamten. Unterstüßen möchte ich den Wunsch ter Postbeamten, daß ihnen Erziehungsbeihilfen gewährt werden. Es lâge im Interesse der Beamten, wenn die Minimalgehälter erhöht und die Marimalgebälter entsprehend verkürzt werden. Nicht nur die rüc{äufige Kursbewegung ist etne internationale Krankheit, auch die Verteuerung des Geldes hat einen internationalèn Charafter. Während England, Frankreich und Deutschland Ersparnisse machen und die eigentlichen Bankiers der Welt find, sind fast alle anderen Staaten genötigt, erhebliße Geldmitteï zur Verbesserung ibrer Berkehrseinrihtungen, ihrer elektrishen Anlagen usw. zu verwenden.

Wenn diese Länder niht genügende Geldersparnisse machen, fo müsse

sie fih an die anderen Länder wenden, ünd das ist der Grund der internationalen Kredit- und Geldnot. Daß diese Ver- teuerung {wer auf dem ganzen Wirtschaftéleben der Nationen lastet, darüber fann fein Zweifel bestehen. Zu diefer Geldnot haben unsere Banken wesentli beigetragen. Deutschland hat in den leyten zehn Jahren an ausländischen Papieren an die Börsen eingeführt 14 200 000 000 4. Daß dadurch eine erhebliche Verminderung des inländischen zur Ver- fügung \tehenden Kapitals eingetreten ist, ift Tlar. Die Landwirtschaft verwendet ihre Ersparnisse ganz überwiegend zur Verbesserung ihrer Güter, ibrer Viehbestände, für Meloriationen usw. Die Industrie muß, um konkurrenzfähig zu bleiben, immer wieder neue Maschinen anschaffen. Die Zunahme der Bevölkerung erfordert erhebliche Summen für die Erhaltung dieser Bevölkerung, für Wohnungen usw. Heute steben 4 prozentige K 2 , ebenso 4prozentige Pfand- briefe; man muß alfo tür e Ovpothbeken heute 43 9/6 gegen nur 3 9/0 früher geben. für eine ungeheure Belastung des Grundbesitzes! Wir haben für 50 Milliarden Hypotheken ; diese 14 9% mehr betragen also 750 Millionen Mark, die der Grundbesig mehr zahlen muß! Beim städtischen Grundbesiß stehen wir geradezu vor einer Katastrophe, aber keine Behörde regt ih darüber auf oder prüft gar, auf welchem Wege eine jolche Kalamität zu beseitigen wäre. Wenn ein fo sparsamer Herr wie der Oberbürgermeister von Berlin sich eine ganze Million vom Herzen reißt, um eine Hypothekenbank zu unter- stüßen, jo muß es hon sehr weit gekommen sein. Dieser Zustand am Hypothekènmarkt beeinträchtigt die ganze „wirtschaftliche Ent- wicklung Deutschlands. Während Deutschland ein ganzes Jahr lang einen Bankdiskont von 60/9 hatte, war er gleichzeitig in Frankreich nur 32, in England nur 4F 9/0. Wie belastet man damit die Industrie und das Handwerk! Der kleine Handwerker muß alles in allem bis zu 89% an wohlhabende Leute zahlen, um Geld zu erhalten. Nach dem Ausweis vom 22. November betrugen die Anlagen der Reichsbank in Wechseln zu Lombarddarlehen 800 Millionen, in Franfreih war gleich- zeitig die Ziffer 1390 Millionen, also 70 bis 8009/0 mehr. Erwägt man, daß in Frankceih der Grundbesiß gar niht in dem Umfange Kapital braucht wie bei uns, so läßt sich ermessen, wie vorteil- hast dort der Gewerbetreibende Deutschland gegenüber dasteht.» Jch bin der Ansicht, daß das eine schr ernste Frage ist, viel ernster als Zabern. Der Reichskanzler muß sich mit dieser Frage unter allen Umständen beschäftigen. Es wird eine Entrüstung dur das ganze Volk gehen, wenn wir auf diesem Gebiete nichis tun. Die ‘Frage muß prinzipiell gelöst werden. Jh bitte den Neichskanzlèr, zu

meinen beiden Herren Amtsvorgängern auf dem gleichen Standpunkte

diesem Zwecke eine Enguetekommission einzuseßzen. Die Zulassung voz