1913 / 298 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 18 Dec 1913 18:00:01 GMT) scan diff

Ministerium des Innern.

Bekanntmachung.

Jn Verfolg meiner Bekanntmachung vom 10. d. M. seße ih die Herren Mitglieder der beiden Häuser des Landtags der Ee ergebenst davon in Kenntnis, daß die Eröffnung

des auf den 8. Januar 1914 einberufenen Landtags an diesem Tage Mittags 12 Uhr im Weißen Saale des hiesigen Königlichen Schlosses erfolgen wird.

Zuvor wird Gottesdienst, um 11 Uhr im Dom für die evangelischen und um 111/25 Uhr in der St. Hedwigskirche für die katholischen Mitglieder, stattfinden.

Berlin, den 17. Dezember 1913.

Der Minister des Innern. von Dallwißt.

Ministerium der geistlihen und Unterrichts- angelegenheiten.

Dem Oberregierungsrat Loeff el in Königsberg i. Pr. ist die Stelle des Universitätsrichters bei der dortigen Universität nebenamtlich übertragen worden.

Nichtamlliches.

Deutsches Reich.

Preußen Berlin, 18. Dezember 1913.

Seine Majestät der Kaiser und König nahmen heute vormittag im Neuen Palais bei Potsdam die Vorträge des Chefs des Generalstabs der Armee, Generals der Jn- fanterie von Moltke und des Chefs des Militärkabinetts, Generals der Jnfanterie Freiherrn von Lyncker entgegen.

Der Aus\huß des Bundesrats für Handel und -Ver- kehr hielt heute eine Sißung.

e

Der Königlich italienische Botschafter Bollati ist nach Berlin zurückgekehrt und hat die Leitung der Botschaft wieder übernommen.

Der Chinesische Gesandte Dr. Yen hat Berlin verlassen. Während seiner Abwesenheit führt der Legationsrat Kinyer T. T. Wang die Geschäfte der Gesandtschaft.

Laut Meldung des „W. T. B.“ sind S. M. S. „See- adler“ am 16. Dezember in Zanzibar, S. M. S. „Nürn- berg“ am 5. Dezember in San Blas, S. M. S. „Leipzig“ am 17. Dezember in Jlo - Jlo (Philippinen), S. M. S. „Straßburg“ am 15. Dezember in Las Palmas, S. M. S. „Goeben“ mit dem Chef der Mittelmeerdivision am 17. De- zember in Adalia (Südküste Klein Asien) eingetroffen.

Wildpark bei Potsdam, 18. Dezember. Jhre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin find gestern mittag von München auf der Wildparkstation eingetroffen und haben sich ins Neue Palais begeben.

Bayern.

Die Kammer der Reichsräte hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, anstatt des zurückgetretenen Zweiten Präsidenten von Auer den Staatsminister a. D. Grafen von Crails- heim und zum Zweiten Sekretär an Stelle des verstorbenen Freiherrn von Frankenstein den Grafen von Stauffenberg gewählt und sodann den Etat des Königlichen Hauses einschließlich der. Erhöhung der permanenten Zivil- liste übereinstimmend mit der Kammer der Abgeordneten an- genommen.

Württemberg.

Der Staatssekretär des Auswärtigen von Jagow ist, wie „W. T. B.“ meldet, in der vergangenen Nacht aus München in Stuttgart eingetroffen. Heute vormittag machte der Staatssekretär dem Ministerpräsidenten Dr. von Weizsäcker einen Besuch und wird später von Seiner Majestät dem König in Audienz empfangen werden.

Meelenburg-Schwerin.

Der mecklenburgishe Landtag hat, wie „W. T. B.“ meldet, gegenüber dem sogenannten Fehmarn-Projekt (Bahn- und Fährverbindung von Hamburg über Fehmarn nach Kopenhagen) einen von der Kommission des Landtags vor- geschlagenen Antrag an die Regierung angenommen, daß die Stände bereit sind, die größten Opfer zu bringen, um die Linie Warnemünde—Gjedser zu erhalten und auszubauen und so die schnellste Verbindung mit dem Norden zu bieten.

Sachsen-Altenburg. Der Landtag hat gestern, wie „W. T. B.“ meldet, mit 17 gegen 15 Stimmen einen Geseßentwurf angenommen, nach dem vom Kohlenbergbau eine Abgabe von zweieinhalb Pfennig für die geförderte Tonne zu entrichten ist. Die Regierungsvorlage forderte ursprünglich fünf Pfennig.

Lippe.

Seine Majestät der König von Sachsen ist heute morgen, wie „W. T. B.“ aneldet, in Detmold eingetroffen und auf dem Bahnhof von Seiner Durchlaucht dem Fürsten empfangen worden. Nach Einnahme eines Frühstükks im Retidenzschlosse begaben sih die hohen Herren zur Jagd in den Teutoburger Wald. Die Abreise Seiner Majestät des Königs erfolgt heute abend.

Oefterreih-Ungarn. Der Kaiser Franz Joseph hat heute mittag den russischen Botschafter von S chebeka behufs Entgegennahme seines Be- glaubigungsschreibens in Antrittsandienz empfangen.

__— In der ungarischen Delegation beantwortete der Minister des Aeußern Graf Berchtold gestern eine Jnter- pellation des Oppositionellen Grafen Karolyi bezüglich einer gemeinsamen Aktion der Signatarmächte des Berliner Ver- trages hinsichtlih der Gleichberehtigung der Juden in Rumänien.

__ Nach dem Bericht des ,W. T. B.* erklärte Graf Berchto ld, in dieser Angelegenheit könnten nur sämtlihe Signatarmächte tm Einvernehmen mit Erfolg vorgehen. Er glaube nicht, daß ein solcher gemeinsamer Schritt zustande gebracht werden könnte. Er sei der Ansicht, daß Oesterreich. Unga!n troß seiner Sympathien für die religióse Gleihberehtigung fein Interesse habe, in dieser Angelegenheit die Initiative zu ergreifen. Er besige von einer direkten Initiative der englischen Regierung keine Kenntnis. Dte englische Negterung habe fih in dieser Frage uicht an Oestexreih-Un garn ge- wandt. Er bezweifle auch sehr, daß es den Israeliten Numäniens zum BVorteil gereihen könnte, wenn diese Frage international auf- aen und verhandelt würde, zumal die rumänishe Regierung diese Angelcgenbeit immer ausscließlich als eine innere Frage be- trachtet habe. y

Die Antwort des Ministers wurde mit überwiegender

Mehrheit zur Kenntnis genommen.

Im weiteren Verlauf der Sißung führte namens des Ministers des Aeußern der Sektionshef Graf Wi cken- burg aus:

Ein Aufgeben der status quo - Politik f\ofort zu Beginn des Kricges hätte weder den Interessen Oesterreiß-Ungarns noch der Auffassung seiner Verbündeten entsprochen. Es wäre cine Politik auf \chwankender Grundlage gewesen, direkte WVer- handlungèn mit den Balkanstaaten einzuleiten. “Das Aus- wärtige Amt glaubte sehr richtig gehandelt zu haben, als es nicht mit den Balkanstaaten, sondern mit den -Großmächten ver- handelte. Die großen internationalen Beziehungen seien noch viel wichtiger als das Verhältnis zu den Balkanstaaten. Das europäische Konzert habe bezüglih der Beziehungen der Großmächte untereinander große Erfolge erzielt. Die Wiederbesezvng des Sandschaks hätte Krieg bedeutet. Der Sandschak jei sicherlich das allerlezte Ziel, für das es fich lohnte, zur Groberungspolttik überzugehen. Die Beziehungen zu Deutschland hätten infolge der Nevisfionspolitik keine Nachteile erlitten, das sei allseitig anerkannt worden. Graf Wickenburg gedachte weiter der warmen dreibundfreundlihen Kundgebung des italienishen Ministers des Aeußern. Er {loß mit der Erklärung, daß die Monarchie in Kleinasien wihtige wirtshaftlihe Interessen besiße, und daß ihre Ziele dort austschließliz wirtschaftliher Natur selten, Wenn Desterreih-Ungarn dort geschlossene Türen finden würde, könnte es das nicht wortlos hinnehmen. Graf Andrassy erklärte, der Dreibund sei heute in fetner inneren Konstruktion noch fester als früher. Die dreibundfreundliße Kundgebung des italienischen Ministers Marchese di San Giuliano bedeute einen Erfolg der Politik des Grafen Bercbtold. Der Ministerpräsident Graf Tisza führte aus, Graf Andrassy erweise dem Lande und der Oeffentlichkeit einen großen Dienst dur die Feststellung, daß in den Fragen des Dreibunds, des Verhältntsses zu den Großmächten und in der Frage der Balkanpolitik zwischen den maßgebenden Faktoren Ungarns ohne Unterschied der Parteistellung Einigkeit bestehe.

__— Das österreichische Abgeordnetenhaus hat heute, obiger Quelle zufolge, in der Fassung der zweiten Lesung die Novelle zum Personalsteuergeseß in dritter Lesung angenommen.

Bei den vier Stichwahlen zum kroatischen Land- tag haben Regierung und Opposition je zwei Mandate erhalten.

Frankreich.

Der König von England und der Präsident Poin- caré haben nah einer Meldung der „Agence Havas“ Telegramme ausgetauscht, in denen sie sich dazu beglück- wünschen, daß die französisch-englische Freundschaft und die Jntimität der Beziehungen beider Länder durch den Besuch eines englischen Geschwaders in Toulon neuerlich Gelegenheit gefunden hätten, offenbar zu werden.

Die Deputiertenkammer hat gestern vormittag, wie „W. T. B.“ meldet, einen Geseßentwurf über die Schaffung eines militärishen Pulveringenieurkorps, eines Korps militärischer Pulvertechniker und von Beamtenstellen für die Pulververwaltung beschlossen.

Bor Der Senatsrommiion fr dié Ein- kommensteuer erklärte der Finanzminister Caillaux gestern, die Regierung werde vor dem Senat die Grundgedanken des von der Kammer angenommenen Entwurfs befürworten, der ih in wichtigen Punkten von dem Entwurf der Senats- fommission unterscheide. Die Kommission beschloß, alle früheren Resolutionen aufrehtzuerhalten und nächstens einen Bericht darüber verteilen zu laffen.

Belgien.

Die Ständige Kommission der Jnternationalen Zuerkonferenz ist gestern in Brüssel zu ihrer üblichen Tagung zusammengetreten. Wie „W. T. B.“ meldet, be- schäftigte sie fih mit den geseßgeberishen Bestimmungen der einzelnen Länder; im besonderen wurde das in Jtalien gültige Regime geprüft. Heute soll die Konferenz, da Jtalien nicht mehr der Union angehört, beschließen, ob die dortige Lage besondere Maßnahmen notwendig macht.

Die Deputiertenkammer hat in der gestrigen Sizung beschlossen, die Beratung über die Schulgeseßze Ende dieser Woche zu unterbrehen, um wichtige Etatstitel noch vor den Weihnachtsferien zu beraten. Erst nah Neujahr soll die Be- ratung der Schulgeseße fortgeseßt werden. ;

Serbien.

_Wie das Regierungsorgan „Samouprava“ meldet, hat der Minister für Volkswirtschaft behufs Hebung des Verkehrs bei dem Finanzminister die Herabsezung der Tarife für Waren und Personen auf der Hauptelsenbahnlinie Belgrad— Saloniki in Anregung gebracht.

Amerika.

__ Der amerikanische Generalpostmeister Burleson empfiehlt, wie „W. T. B.“ meldet, in seinem Jahresbericht die Ueber- O e Telegraphen- und Telephondienstes durch

en Staat.

Der Konteradmiral Fletcher hat das Staatsdeparte- ment in Washington davon in Kenntnis geseßt, daß die Be- richte über Mißhandlungen von Ausländern in Chihuahua unbegründet seien.

Einer Meldung des „Neutershen Bureaus“ zufolge ver- sammelte sih gestern früh in Mexiko eine große Menschen- menge mehrere Stunden vor der Eröffnung vor der Zentral- bant, um die Staatsbanknoten gegen bares Geld einzu- wechseln. Es war bekanntgemacht worden, daß die Zentral- bank nur die Hälfte der von einem jeden Besißzer vorgelegten Staatsbanknoten zurückäufen oi: Auf diese Weise sollie möglihst vielen Besißern fsolher Noten zu ihrem

Recht verholfen werden. Auh war der Nückkau

Noten davon abhängig, ob die Zentralbank eiae Depositen in barem Gelde der betreffenden Staatsbanken be- saß, um die vorgelegten Noten zu decken. Der Betrag der Staatsbanknoten hat durch die Ankunft neuer Flüchtlinge aus dem Norden des Landes zugenommen. Heute find wieder zahlreiche Flüchtlinge eingetroffen, die bemüht waren, ihr Papiergeld gegen bar einzutauschen. Jn den meisten Fällen sind die Noten unzweifelhaft gui, aber die Notenbanken sind nicht imstande gewesen, Silber zur Auffüllung ihrer De- positen zur Zentralbank zu senden, da sich die Pafketpostgesell- schaften weigern, das Nisiko des Transportes durch ein von den Aufständischen unsicher gemachtes Gebiet zu übernehmen.

Afcika.

Die Aufhebung der Militärverwaltung in der Provinz Schauja wird, wie „W. T. B.“ meldet, durch eine Verfügung des Generalresidenten - in Kürze angeordnet werden, Die Provinz wird fast gänzli unter Zioilverwaltung kommen, nachdem zunächst ein Provisorium geschaffen worden ist.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Die im Steinarbeiterverbande organisierten Bausteinarbeiter von Berlin und Umgebung beschlossen hiesigen Blättern "zufolge in etner am Dienstag abgehaltenen Versammlung, den am 1. März 1914 ablaufenden Tarifvertrag zu kündigen, - und beauftraaten eine Kommission, etnen neuen Tarif auszuarbeiten, der hauptsähl'ch fol- gendes vorsieht: Verkürzung der Arbeitszeit (bisher “9 Stunten), Lohnerhöhung (bisher 90 4 die Stunde), Abschaffung der Akkordarbeit und höheren Lohn für Aushilfsarbeiten.

Für nächstes Frühjahr steht eine Lohnbewegung im Cölner Schneidergewerbe bevor. Die christlihen und freien Gehtlfen- organisationen haben, wie die „Rh. Westf. Ztg.“ mitteilt, den Tatrif- vertrag zum 1. März 1914 gekündigt und einen neuen Tarifentwurf eingereiht, der Lohnerhöhungen vorsieht. Am Montag hat die Schneiderzwangsinnung beschlossen, unter ketnen Umständen einer Mehrforderung zuzustimmen, während die Vertreter der Gehilfenschaft erflären, auf thren Forderungen bestehen zu wollen.

In Troppau haben, wie „W. T. B." meldet, infolge des allgemeinen Ausstandes der Drucker alle Zeitungen ihr Erscheinen eingestellt (vgl. Nr. 297 d. Bl.).

(Weitere „Statistishe Nachrichten" \. i. d. Zweiten Beilage.)

Literatur.

Handbuch der Politik, herausgegeben von Dr. Paul Laband, Wirklilem Geheimen Nat, o. Professor d. N. an der Universität Straßburg, D. Dr. Adolf Wach, Wüklihem Geheimen Nat, o. Professor d. R. an dey Universität Leipzig, D. Dr. Adolf Wagner, Wirklichem Geheimen Rat, o. Professor der National- ökonomie an der Universität Berlin, Dr. Georg Jellinek +, Ge- heimem Hofrat, o. Professor d. R. an der Universität Heldelberg, Dr. Karl Lamprecht, Geheimem Hofrat, o. Professor der Geschichte an der Universität Leipzig, Dr. Franz von Liszt, Geheimem Justizrat, o. Professor d. N. an der Universität Berlin, Dr. Georg von Schanz, Geheimem Hofrat, o. Professor der National- öfonomie an der Universität Würzburg, und Dr. Fritz Berolzheimer, Vorsißendem der- Internationalen Ver- einigung für MNechts- und Wirtschaftsphilosophie in Berlin. Erster Band: Die Grundlagen der Politik, XVI und 430 Seiten. Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, XVI und 816 Seiten. Verlag von Dr. Walter Nothschild, Berlin-Wilmersdorf. Geh. 36, geb. 40 {. Das politische Verständnis in Deutschland steht niht mehr so tief, wie etwa noh vor etnem Menschenalter, ist aber bei weitem nicht so entwickelt, wie in Großbritannien, Frankrei, Italien, ja sogar Belgien. Dies liegt an dem Mangel der politish-geshichtlihen Bildung, die im 19. Jahr- hundert seit dem siegreihen Vorwärtsdringen der naturwifsen\aft- lichen überall zu furz gekommen ist. Nur das Gebiet der politischen Dekonomie errang sih eine wachsende Beachtung in einer immer breiter werdenden Schicht des Volkes. Aber in allen anderen Beziehungen ist es mit dem Wissen, dem Verständnis und der Bildung in politischen Dingen recht unerfreulich bestellt. Die Verfassung des Deutschen Reichs und der Einzelstaaten ist der breiten Schicht des Bürgertums fast gänzlih unbekannt. Selbst über die Grundzüge unserer Verfassungs- und Verwaltungsorganisation sind nur wenige unterrichtet, von dem finnvollen Ineinanderarbeiten des staatlichen Organismus, von den anderen s{wiertgen, aber unendlich wichtigen Problemen des Staats-, Verwaltungs- und Völkerrechts ganz zu s{chweigen. Von dem sonstigen öffentlihen Rehtszustand also soweit er nit auf verfassungsmäßtger Grundorganisation, sondern auf späteren Gesetzen beruht wird nur bei sogenannten aftuellen Fragen vorübergehend Kenntnis genommen, dann aber meist mit kläg- liher Oberflählichkeit und traurigen Jrrtümern. Auch die soziale Struktur des modernen Staatswesens ist den meisten Gebildeten ein Bub mit sieben Siegeln. Unbekanr.t ift, was der Staat fulturell bedeutet, was seine natürlichen und sittlichen Grundlagen in Geschichte und Gegenwart bildet, wie die Ursachen seines Ent1ehens und Untergehens beschaffen find, was zu feiner Nechtfertigung dient besonders gegenüber der Staatsfeindlihkeit des Fndividualtsmus und des Anarhismus, welche Staatszweccke heute, als Kulturergebnisse ge- dacht, zu verfolgen find. Eine uners{chöpflihe Reihe wihtiger Erkennt- nisse schließen die Probleme ein, die das „Staatsgebict", das „Staats- volk“ und die „Staatsgewalt* aufgibt, tot: Formeln für den- jenigen, der nur die Ausdrücke kennt, ein reiher Schaß quellenden Lebens für den, der ihren Inhalt und ihre Bedeutung für die Politik zu begreifen gelernt hat. Kurz, an Verständnis für die tieferen Zu- sammenhänge der geschichtlihen Entwicklung fehlt es so gut, wie an tieferer staatéwissenschaftlich-politischer Bildung. Hlerin kann nur eine gründlihere Beschäftigung mit den Grundlagen und Aufgaben der Politik Wandel schaffen, und dieser zu dienen, den Gebildeten zu eigenem Denken anzuregen und ihm den Weg zu relfer Eikenntnis frei zu machen, {s das hier angezeigte, aus der gemeinsamen Arbeit zahlreiher Gelehrten von Ruf, Juristen, G Philosophen, Historiker, Beamten der Justiz, der

erwaltung und anderen Sachkundigen hervorgegangene „Handbuch der Politik“ vortrefflich geetgnet, in dem die politischen und wtrtschaft- lihen Kräfte unserer Zeit, ibre geshihtlihen Grundlagen und thre Aufgaben zu übersichtliher Darstellung gelangen und kritish unter- suht werden. Jn Band I, von dem die ersten, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, von Staat und Recht, die Staatstheorten, die Staatsformen, die staatlichen Herrschaftösformen, Zentralisation und Dezentraltsation der Verwaltung, die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland usw. behandelnden Lieferungen {hon früher im „N.- u. St.-A.“ besprohen wurden, is ein weiterer Abschnitt der Gesetzgebung gewidmet. Hier erörtert Professor Dr. Marx Fleish- mann (Königsberg) Wesen und Bedeutung des Gesehes, die Stellung des Nichters zu thm, Professor Dr. Paul Schoen (Göttingen) das Zustandekommen eines formellen Geseges im Reih und in den Einzel- staaten sowie die verschiedenen Arten und Erscheinungsformen der Verordnungen. Hieran {ließt sih ein Kapitel über die Nechtspsl-ge an, in dem Professor Dr. Stier-Somlo (Bonn) das Verhältnis von Justiz und Verwaltung, Geheimer Justizrat, Professor Dr. Gerhard Anscht (Berlin) die Verwaltungagerichtksbarkeit, Wirklicher Geheimer

Nat, Professor Dr, Wach (Leipzig) ‘das Thema «Volksrichter und

¡{ter*, Professor Dr. Mendelssohn-Bartholdy (Würzburg) die Berufe tepflege, Professor Dr.-Ernst Beling (Tübingen) die Straf- ® hiópflege im allgemeinen. und Professor Dr. Friedrih Oetker FHwurgetiht und Schöffengericht“ behandelt. Den ersten Band shueßt ein lehrreiher längerer Abschnitt über den Parlamentariömus

Zunächst verbreitet sich Professor Dr. Wilhelm von Blume Halle) über die Bedeutung und die Aufgaben ‘der Parlamente und liber die Parteibildung. Er zeigt, wie das Parlament, ein an den Geschäften _der zentralen Staatsleitung oder wenigstens an der Bildung des Staatswillens besbließend teilnehmender Ausschuß der Bücgerschaft, in England aus Einrichtungen des dualistischen eudalstaates niht ohne Kämpfe, aber doch in allmähliher Fort- und Umbildung sich entwickelt hat, auf dem europäishen Kontinent da- gegen ganz und gar Geshöpf zweckbewußten Willens der Nation, Rerwirklihung der „pa:lamentarischen Idee“ ist. Diese seyte in Tranfreih und den ihm nachfolgenden Staaten ein, als das ständische esen längst durch dite absolute Staatsgewalt überwunden war, und eie sich unter heftigen Ershütterungen und Umwälzungen durch. q überall, wo Parlamente geschaffen wurden, verknüpste sih mit hrer Begründung der Gedanke der „Repräsentation“. Durch die Mahlen, aus denen sie ganz oder wenigstens zum Teil hervor- gehen, bringt abér ‘nicht das „Volk“, d. h. die jeweils porhandene Menge ' der Staatsbürger, sondern dessen wahl- berechtigter Teil feinen Willen zum Ausdruck, und nur die Zusammensezung des Parlaments ist Ausdruck des Willens der gählerschaft, wie er sich in einem bestimmten Augenblick gestaltet hat. Es faun also kein „imperaiives Mandat“ mehr geben, wie es der landständische Abgeordnete hatte, der einen Verband, eine Gemeinde durch Wahrnehmung threr Interessen in der Ständeversammlung zu vertreten hatte. Jn der deutschen Verfassung bezeichnet die Gebunden- heit der Bundesratsbevollmächtigten an die Weisungen ihrer Re- gierung das förderative, die Entschlußfreiheit der Neich8tags- äbaeordneten, deren Unabhängigkeit von etwaigen Weisungen ihrer Mählerschaft das unitari]1che Wesen der Staatseinrihtung. Der Einfluß, den der parlamentarische Gedanke auf die Geschicke der Völker gehabt hat, die Rechtsform, in der er verwirkliht wurde, war vershieden je nah dem Boden, auf den er fiel. Während in einigen Staaten das Parlament zur Herrschaft gelangt ist, hat es \ich in anderen Staaten - mit einer besheidenen Rolle begnügen müssen, sodaß man die Staaten mit parlamentarischem . System in parlamentarisch regierte und monarchisch-konstitutionell regierte {heiden kann. „Aber nur eine Staatstheorie, die das Erbe der Doktrinäre des 18. Jahrhunderts sine beneficio inventarii an- getreten hat“, sagt von Blume, „kann vermeinen, in der einen oder der anderen Staatsform das „an sih richtige“ System erblicken zu müssen. Läßt \fich zugunsten des englischen Parlamentarismus an- fihren, daß er dem Dualismus des Beamtentums und des Bürger- tums în etner höheren Einheit auflöst, so ist auf der anderen’ Seite leicht zu schen, daß ein Parlament, das die Ernennung der Beamten enischeidend beeinflußt, weniger zu threr Kontrolle geeignet ist als ein Parlament, das nur Kontrollorgan ist.“ Das Parlament foll die gemeinsamen Interessen aller Staatsbürger zur Geltung, die einander entgegenstehenden zum Ausgleich bringen, und es soll die Bureau- fratie fkontrollieren, aber nicht lähmen. Der Verfasser be- aniwortet dann die Frage, ob das Parlament an Macht zu- oder ab- genommen habe, betrachtet die Gegengewichte desselben, das Verhältnis der Regierung und der Wählerschaft zu ihm und s{lteßlich die Ent- wlcksung der Parteibildung, die von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Parlaments i\t. Es wäre das Ideal eines Parlaments, wenn in ihm keine Parteien beständen, vielmehr die Gruppen für und gegen eine Meinung nur nah freier, wohlgegründeter Ueberzeugung von Fall zu Fall sich bjldeten. Aber es ist das Schicksal der Parla- mente, daß sie ohne Parteien nicht sein können, ja, daß eine erfolg- reie Parlamentstätigfeit überhaupt erst möglich ist, wenn das Partei- leben eine gewifse Stufe der Entwicklung erreicht hat. Dem Staate und dem Parlament gefährlih sind jedoh, wie von Blume zum Schluß betont, reine Interessenparteten und Parteten mit internationaler Organisation. Nach diesen allgemeinen Ausführungen gibt Professor Dr. Woifgang Michael (Freiburg i. B.) eine interessante Darstellung der Geschichte des Parlamentarismus in England seit der Regierung Heinrichs 11., des ersten Plantagenets, und der Entstehung der Magna Charta unter setnem Sohne Johann ohne Land im Jahre 1215. Unter Eduard I11., also im 14. Jahrhundert, wurde die Zweiteilung

© des Parlaments in Oberhaus oder Haus der Lords und Unterhaus oder

Haus der Gemeinen zur festen Regel. Zusammenseßung und Wirkungs- Freis des Parlaments haben im Laufe der folgenden Jahrhunderte weit weniger gewechselt als seine tatsählihe Macht. Gering war seine Bedeutung in der Epoche der Tudors; im 16. Jahrhundert war die Monarchie und nicht das Parlament der führende Faktor im Staatsleben. Auf das Zettalter Elisabeths folgten der Verfall der Monarchie unter den Stuarts und die Revolution des 17. Jahr- hunderts. Sett der Erhebung Wilhelms von Oranien auf den eng- lischen Thron, deren Bedingung war, daß er 1689 der „Bill of Rights“, der Erklärung der Rechte, seine Zustimmung * erteilte, herrschte in Gngland das fonstitutionelle Königtum. Die Autorität des Parlaments wurde in weitem Umfange aufgerichtet, fein Recht der Gesetzgebung feierlich anerkannt, sein Recht der Steuerbewilligung sihergestelt; ohne Zustimmung des Parlaments darf seitdem in Friedenszeiten ketne stehende Armee unterhalten werden. Auf der Grundlage der „Erklärung der Nechte" ist allmählich auch das par- lamentarishe Sysiem, die reine Parlamentsherrshaft erwahsen. Nach der Thronbesteigung des Hauses Hannover erhtelt das Kabinett, eine von der Verfassung niht vorgesehene Behörde, eine selbständige Mittelstellung zwishen dem König und dem Parlament, vom ersteren abhängig, aber leßterem verantwortlih, Den Vorsiß im Kabinett \lhite nicht mehr der König, sondern der Premtierminister. 1756 wurde mit dem älteren William Pitt der erste Premierminister vom Mrlament dem Könige aufgezwungen. Mit seiner Erhebung war das Prinzip des reinen Parlamentarismus zum Siege gelangt. Dtejenige Vartet, die im Unterhause die Mehrheit hat, gibt alle Entscheidungen im Hause, insbesondere aber beseßt siealle politischzn Aemter, bildet alfo allein die Regierung, d. h. mit völligem Ausshchluß der Gegenpartei. In der Zusammenseßung des Unterhau)es hat si seit dem Anfang des 19, Fahrhunderts vieles geändert, worauf der Verfasser ebenfalls näher eingeht. Er {ließt seine Schilderung mit einer kurzen Erörterung der Parlamentsbill des Jahres 1911, die dem Oberhause nit nur alles Recht in Flnanziragen abschnitt, sondern ihm für jeglihe Gesey- gebung nur noch ein aufshiebendes Veto beließ. Professor Dr. Adal- bert Wahl (Tübingen) gibt dann eine Darstellung der mit der Revo- lution von 1789 beginnenden Geschihte des Parlamentarismus in Frankrei, für dessen Einführung die beiden tbeoretisch schon {wer zu pereintgenden Ideen der Gewaltenteilung (Monteëquieu) und der Volks\ouveränität (Rousseau) maßgebend waren. Die Experimente, die mit jener Revolution in Frankreih einseßten, wurden erst unter der dritten Republik dur einigermaßen befestigte Zustände abgelöst. Die Reihe der geschichtlichen Darstellungen {ließt mit einer folchen über die Geschihte des Parlamentarismus in Deutschland aus der Feder von Professor Dr. Theobald Ziegler (Straßburg). Auch dessen Uusführungen find außerordentlich interessant und lehrreih. Er be- rihtet von Bismarcks Politik und Kämpfen und von dem Sinken des Niveaus der NReichstagsverhandlungen in den leßten zwanzig Jahren, infolge déssen auch des Interesses des Volkes an diesen Verhandlungen und des Glaubens an den Parlamentariszus überhaupt und {lteßt mit dem bangen Hinweis auf die Zukunftsfrage, od Preußen der konservative Staat, der er ist, bleiben oder ob auch er liberalisiert und demokratisiert werden soll. Professor Dr. Mendelsfohn- Bartholdy (Würzburg) behandelt dann die wichtige Frage „Ein- oder Zweikamrmersystem 2" Er entscheidet ih für das Zweikammersystem und erörtert - näher die Bedeutung und natürlihe Aufgabe der ersten Kammern. Eine weitere Abhandlung des Ab- \{hnittes über den Parlamentarismus, die den grotelae Dr. Hermann Rehm E zum . Verfasser hat, ist dem Wahlrecht gewidmet. Die Arten, die rechtliche Natur, der Zweck und die Verschiédenheit desfelben, das theoretisch befte Wahlrech|, das nah Rehm einc Verbindung von allgemeinem Wahlreht mit Mehr-

stimmreht und Wahlzwang is („Die Menschen sind für den Staat nicht gleih viel wert, daher ist ungleihes Wahlreht - auch gereht. Selbst die Sozialdemokratie kennt ungleihes Stimmreht; auf ihren Delegiertentagen wird nach der Beitragshöhe abgestimmt“), ferner das Frauenstimmrecht, allgemeines und beshränktes, gleiches und un- aleibes Wahlreht, dann die Wahlrechtssysteme, die im Dexrtschen Reich, in Preußen, den anderen deutschen Einzelstaaten und iniAus- land eingeführt sind, werden bier in objektiver Darstellung erörtert. Im Anschluß daran behandelt Rehm noch das Wahlverfahren, ins- besoadere die Mehrheitswahlen, die Abstimmungs- und Verteilungs- systeme der Verhältais- und Listenwahl. So gibt der Abschnitt über den Parlamentarismus in avsprehender Form Aufklärung über alle wichtigeren Probleme des Volksvertretungswesens und des Wablrehts. Von Band 11, der den Aufgaben der Politik gewidmet ist, wurde ebenfalls die erste Lieferung, dié namentlich über die öffentlihen Abgaben, Steuer- und Währungs- fragen einen flaren Ueberblick gewährt, {on früher besprochen. Es folgt dann zunächst ein umfangreiher Abschnitt über „Gemeinwirt- \chaft*, in dem Geheimer Oberfinanzrat Dr. Otto Schroarz (B. rlin) die öffentlichen Kredite, insbesondere das staatliche, fommunale Kredit- wesen und die Kredite sonstiger öffentlicher Körperschaften, sodann den Kurs der deutschen Neichs- und Staatsanleihen, die Ursachen seines Rückganges und die vorgeshlagenen Maßregeln zur Abhilfe behandelt, Professor Dr. Bernhard Harms (Kiel) in einer Abhandlung über Weltwirtschaft und Weltwirtschaftspolitik der Frage näher tritt, in welhem Maße die deutshe Volkäwirtschaft in die Weltwirtschaft ver- knüpft ist, und welche Folgerungzen sch- hieraus für die deutshe Wirt- \chatt8politik" ergeben, Geheimer Ministerialrat Dr. Stegemann 7 (Schwerin) in das Etsenbahnwesen, die Finanz-, Verkehrs- und Tarif- politik einführt , Professor Dr.-Ing. Blum (Hannover) die Bedeutung der norddeutschen Wasserstraßen würdigt und den Wettbewerb zwischen Eisenbahnen und Wasserstraßen erörtert. Dberbaurat, Professor Nehbock (Karlsruhe) auf die jüddeutshen Schiffahrtspläne einueht. Jn dem folgenden Abschnitt werden nach einer Darlegung der geschichtlichen Grund- lagen der deutschen Wirtschaftspolitik (von Professor Dr. Karl Johannes Fuchs, Tübingen) die verschiedenen Arten der Einzelwirtschaft be- handelt: die Bedeutung der Landwirtschaft im Wirtschaftéleben der Nation und die staatlihen Mittel zu threr Förderung (von Wirk- lichem Geheimen Rat Dr. Hugo Thiel, Berlin), die industriellen Nebengewerbe der Landwirtschaft, die ländliche Wohlfahrtspflege, ländliche Arbeiterfrage und innere Kolonisation, der Handel und die Seeschiffahrt, die privaten Gesellschaftsformen des Handels, das Bank- und Börsenwesen, die Industrie, die Konzentration in der Montan- industrie, die Clettrizitätskonzerne und die Geseggebungspolitik gegen- über Kartellen und Trusts (von Professor Dr. Nobert Liefmann, Freiburg i. B.). Daran {ließen fch Abhandlungen über das Arbeitershußrecht, die Arbeitnehmer- und die Arbeit- geberorganisation, über Streik, Aussperrung und Boyfkott und über den Larifvertrag an. Cin weiterer Abschnitt über soziale Fragen behandelt den gesellschaftlihen Aufbau des deutschen Volkes, die höheren, studierten Berufe, die Mittelstandspolitik, die Frauenfrage, die foziale Versicherung, die Wohnungsfrage sowie die Prävention und Repression gegenüber Schädlingen der Gemeinschaft (Sicherheits-, Sittlichkeits-, Gesundheitspolizei, Strafrehtsreform und Armenpolitik). In dem Abschnitt über das Schulwesen und die Kunstpflege sind wertvolle Abhandlungen der Volkss{hule (vou Dber- studienrat, Stadtshulrat Dr. Kerschensteiner, München), den höheren Schulen (von Wirklichem Geheimen Oberregierungsrat Dr. Matthias, Berlin), dem gewerblichen und technischen Schulwesen, den Hochschul- fragen (von Professor Dr. Ziegler, Straßburg), der Bedeutung der akademischen Semtnarien für die Geisteswissenshaften (von Wirklichem Geheimen Rat, Professor Dr. Wundt, Letpzig), der Weiterbildung der technischen Hochschulen (von Professor Dr. - Ing. Blum, Hannover), den Handelehohschulen, der Neform des NRechts- unterrichts und WVorbildung des Juristenstandes (von Wirk. lichem Geheimen Rat Dr. Wach, Leipzig), der Kunsterziehung und Kunstpfl. ge (von Dr. Jessen, Direktor am Köntglichen Kunst- gewerbemuseum in Berlin), dem Heimatshuß und der Denkmalpflege gewidmet. Den Uebergang zu der vielumstrittenen äußeren Politik bilden die Probleme unserer Grenzlande (Elsaß-Lothringen, Ost- marken) und Kolonien, die im vorleßten Kapitel erörtert werden. Der leute Abschnitt endlich behandelt die politischen Ziele der Mächte in der Gegenwart; in ihm sind niht weniger als siebzehn Beiträge über die Hauptmomente der inneren und der auswärtigen Politik der vershiedenen Staaten, über die wirtshaftlichen und sozialen Tendenzen der Völker, über thre Frtetens- und Kriegsbündnisse und thre Machtziele vereinigt. Geheimer Justizrat, Professor Dr. Philipp Zorn (Bonn), der das Werk mit einer Abhandlung über die Politik als Staatskunst eröffnet hat, \chließt es auch mit einer Studie über „Friedens- und Kriegsbündnisse, die inter- nationale Schiedsgerichtsbarkeit und die Zdee des ewigen Friedens“ und endet mit den Worten Felix Dahns: „Das höchste Gut des Mannes i} sein Volk, das höchste Gut des Volkes ist sein Staat“. Es ift ein ungeheures Gebiet, das in dem „Handbuch der Politik“ mit hinreichender Ausführlihkfeit behandelt wird; alle wichtigeren Fragen, die Gegenstand der politischen Erörternng der Gegenwart find, erfahren hier eine leidenshafttlose wissenschaftlihe Beurteilung. Man kann daher nur wünschen, daß das Werk möglichst vielen ein Führer setn möge, die in Fragen der Politik redlihen und unbeein- flußten Aufs{chluß fordern, um ihr Verständnis für Staat und Ge- ellschaft zu vertiefen. : :

Von Heinrich von Sybels Werk „Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm Il." hat der Verlag von R, Oldenbourg in München und Beilin eine dritte Auflage der Volksausgab e veranstaltet. Auf die hohe wissenschaftliche Bedeutung der eingehenden siebenbähndigen Darstellung jenes bedeutsamen Ge- \{hichtsabschntttes durch H. Sybel hinzuweisen, erübrigt fih. Das Werk wurde als erste auf bisher vershlossenen amtlichen Quellen be- ruhende Geschihte der Reichsgründung mit großem Interesse auf- genommen und hat seither in der modernen Geschichts\{hreibung einen Ghrenplay behauptet. Der in ihm behandelte Stoff und die glänzende, scharfe Darstellungsweise Sybels hat dem Werk eine Verbreitung auch weit über die Kreise der Fachmänner hinaus gesichert. Die erste Auflage einer Volksausgabe er|chien im Jahre 1901. Der Verlag hat auf ihre Ausstattung alle Sorgfalt verwendet. Die vor- liegende dritte siebenbändige Auflage kostet in Leinen gebunden 25 4. Snhaltlih stimmt sie mit der seit einigen Jahren vergriffenen Groß- okftavautgabe überein, auch deren ausführlihes Sachregister ist thr betgegeben. Den erhöhten Ansprüchen der Bücherfreunde auf äußere Ausstattung Rechnung tragend, hat der Verlog zugleiß von dem Werk eine Liebhaberausgabe hergestellt, die auf besonders feinem Papter gedruckt und in Leder gebunden 32 # kostet.

Kapitän Scott, Letzte Fahrt, Verlag von F. A. Brock- haus in Leipzig, 1913, 2 Bände, geb. 20 4. Unter der gesamten Polarliteratur gehört das Werk von Scott zu den interessantesten und packendsten Erscheinungen, die jemals aufgetauht sind, zum min- desten der erste Band, der die Tagebuchaufzeihnungen des unglücklichen Forschers enthält. Wohl selten |priht ein Buch so unmittelbar per- sönlich zum Leser wie dieses! Freilich diese packende persönliche Wir- kung seines Werkes hat der Verfasser mit dem Leben bezahlen müssen wohl möglich, daß seine Aufzeihnungen nicht soans Herz griffen, wenn fie ein Glücklicherer niedergeshrieben hätte so aber wird kein Leser ih der \chicksals\{chweren Tragik entziehen können, die erst kaum merkbar, bald aber immer drohender über den Een \{chwebt, bis sie sh in den leßten Seiten zu zermalmender Wucht erhebt. Das ist gerade das Ershütternde an diesem Buch, daß es einen wilden Kampf von Menschen tüchtigsten Schlages gegen ein übermächtiges Schicksal schildert, gegen eine Natur, die fich fast von Beginn der. Expedition an aller ihrer furchtbaren Machtmittel bediente, um ih den Schleier ihres Gehetmnisses niht entreißen zu lassen wohl gelang thr das diesen Fühnen Menschen gegenüber nicht, aber sie rähte sich an ihnen und vernichtete sie, man kann sagen im leßten Augenblicke; denn nur 20 km vom rettenden Nahrungsmitteldepot entfernt gingen Scott und seine Gefährten an Hunger und Kälte zugrunde, Die Natur-

gewalten, die uns hier entgegentreten, haben etwas unheimli Perfön- liches, und die autzogen, mit ihnen zu kämpfen, waren si dessen bald genug bewußt und besaßen dennoch den Mut und die Krast, den Kampf aufzunehmen und auch dann noch fortzulepon, als ibnen jede Hoffnung auf Rettung geshwunden war. Die Expedition Scotts ist eine der am besten ausgerüfteten gewesen, die jemals S find; ihr Führer war ein genauer Kenner der Antarktis, mehrere seiner 5 gleiter waren es auch daß sie so elend zugrunde gehen mußte, dafür trifft niemanden ein Vorwurf. In Scotts Tagebuch, das den ersten Band des Werkes füllt, lesen wir so ziemlih von Anfang an von foriwährenden Widerwärtigkeiten, die sich den Forschern in den Weg stellten, von Kältegraden und Stürmen, die früheren Reisenden in diesen Gegenden, zum mindesten in solcher Dauer, noch niemals begegnet waren Scott hatte eben von Anfang an fein Glück! Und dieser Mangel an Glück stimmt ihn bald traurig; wie leite Wehmut flingt es oft aus seinen Darstellungen heraus, ein Vorgefühl dessen, was ihm bevorstand. Troßdem wagt er den furchtbaren Marsch nah dem Pol, er erreiht sein Ziel auch und muß finden, daß ihm die Palme des Sieges {hon von einem Glück- lieren, dem Norweger Amundsen, der einen Monat vor ihm an den Pol gelangte, entrissen war. S8 ist geradezu rührend zu lesen, wie diese Enttäushung die tapferen Vänner erst ganz niederdrücken will und wie sie dann doch wieder Mut fassen im Bewußtsein treu erfüllter Pflicht, die sie selbst übernahmen. Denken läßt es sich wobl, daß dieser moralishe Niederbruh, wenn auch Scott selbst davon nihts wissen will, die Widerstands- fraft der Expedittonsteilnehmer lähmte und ihren Untergang beshleunigte. Die Schilderung dieses Unterganges müß man im Buch selbst nachlesen, ein kurzes Referat kann den tieftragishen Eindruck dieser einfahen Erzählung niemals ver- mitteln: die Selbstaufopferung des Rittmeisters Oates, um seine Gefährten zu retten, die heroische Tapferkeit, mit der Scott sein Tage- buch führt, bis ihm der Tod unmittelbar vor Augen steht, und wie er die Blätter noch vor dem Unwetter an seinem erstarrenden Körper \{chütt, damit sie später au fiher gefunden werden, das find Heldentaten, die in der Geschichte für alle Zeit einen Ehrenvlaß behalten werden. Der zweite Band liest fih dagegen niht eben viel anders als die Berichte anderer, glücklichérer Expeditionen auh. Er hat verschiedene Verfasser, Leiter von kleineren Ieilerpeditionen, die meist während Scotts Reise nah dem Südpol unternommen wurden. Wohl ift auch dieser Band an Abenteuern reich, aber ihm fehlt die Tragik, wenn au nicht die Größe; denn Proben von fast über- menschlicher Auédauer und Tapferkeit mußten auch die Männer, die an diesen Reisen teilnahmen, mehrfach ablegen. Im Gegensaß zu Scotts Tagebuch sind die Berichte des zweiten Bandes nicht immer gleich anshaulich und lebendig geschrieben, doch beben ih die von Taylor, Wilson leßterer mit Scott verunglückt und Priestley bssonders vorteilhaft heraus. Einen besonderen Dank ver- dient \ch{ließlich noch der Verlag, der die beiden Bände fo glänzend ausgestattet hat, daß die ganze neuere Polarliteratur kaum ein zweites so hervorragend ausgestattetes Werk aufweisen dürfte. Allerdings wurde dem Verlag seine Tätigkeit hierin dadurch wesentli erleichtert, daß die Scottsche Expedition in Ponting einen Photographen und in Wilson einen Maler allererster Qualität besaß.

Der private Forshungsreisende Rudolf Kmunke, der vor einigen Jahren bereits eine Forshungsreise nah Ostgrönland aus- geführt hatte, hat neuerdings eine ebenfalls wissenschaftlichen Zwedten dienende Reise dur Zentral- und Ostafrika gemacht, deren Ergebnisse er in einem bei Dietriß Reimer (Ernst Vohsen) in Berlin er- schienenen Buch „Quer durch Uganda®* niedergelegt hat. Die Reise führte vom Viktoria Nyanza bis zum Mittellauf des Nil und dabei durch die von Europäern bisher kaum betretenen Gebiete der Nagua- Tobur- und Acholistämme, die in Uganda vom Salisburysee bis gegen Nimule ihre Sie haben. Neben den geographischen und ethnologishen Ergebnissen der Expedition, die in dem Buche be- {rieben und mit Karten belegt werden, dürfte besonders die Schil- derung der Besteigung des 4480 m hohen Elyon den Leser inter- essieren. Die Darstellungsweise Kmunkes ist anshaulih und lebendig und wird durch 4 farbige und 65 s{chwarze Tafeln mit Nahbtldungen von Originalaufnahmen sowie dur weitere 21 Textbilder ‘unterstüßt. Der Verlag hat das Buch, das gebunden 16 4 kostet, schr ge\chmackvoll ausgestattet. 2

In der von dem Professor Dr. Bastian Schmidt (im Verlag von B. G. Teubner) herausgegebenen Naturwissen\chaftlihen Schüler- bibliothek ist ein neuer Band: Dr. Alfred Berg ,„,Geographishes Wanderbucch“. erschtenen. (Geb. 4.46.) Die mit 193 Abbildungen versehene Schrift will reifere jugendlihe Wanderer Wandervögel und Pfadfinder dazu anleiten, die durd&streiften Gegenden geo- graphisch zu durhforshen und zu verstehen. Ein folches Durch- forschen und Durchmessen des Geländes ist unbeshadet des ästhetischen Genusses der frohen Wanderfahrt unstreitig von großer Bedeutung. Es lehrt den jungen Wanderer erst recht die Einheit des Landshafts- bildes erfassen, \{chärft sein Auge für ihre Eigentümlichkeiten und legt den Grund für spätere wissenschaftliche oder praktische Arbeit. Der Stoff ist ja an sich fehr interessant, und der Verfasser hat es ver- standen, auch das Theoretish-Mathematische, das zu ihm gehört, überall mit der Praxis zu verbinden und anshaulich darzustellen. Dankenswert ist es au, daß er dem jugendlihen Leser überall An- weisungen gibt, sih die nötigen Beobachtunas- und Vermessungshilfs- mittel mit geringen Kosten selbst anzufertigen. Das erste Kapitel der Schrift hondelt vom Messen im Gelände und leitet zugleich zu Uebungen im Schäten ein; im zweiten werden die Wegeaufnahmen, die Landes- vermessung und die Höhenaufnahmen erläutert; etn weiteres macht mit der Kunst des Kartenlesens vertraut und behandelt das Mefßtischblatt, die Generalstabskarte und das Kro- fieren. Weiter werden die Formen des Signalwesens be sprochen, die wichtigsten meteorologishen Erscheinungen und hydro- grapbhis{hen Untersuhung8methoden aufgeführt und Anleitungen zur Beobachtung der Pflanzen- und Tierwelt geboten. Den Beschluß bilden kurze geograph!\che Studien über den Menschen und seine tehnischen Werke, unter besonderer Hervorhebung der Eisenbahnen und der Binnenschiffahrt. Dem Wandern der Jugend wird ja in Deutschland wieder etn erfreuliches, stetig wah|endes Interesse ent- gegengebracht: Den jungen Wanderern wird die vorliegende Schrift zur Vorbereitung für ihre Fahrten und auf diesen selbst treffliche Dienste leisten.

Das zweite Dezemberheft der von Ed. Lankens hera"sge- gebenen illustrierten Zei!s{rift für Naturkunde „Deutsche Alpen- zeitung“ hat folgenden Inhalt: Jörg, der Reimer. (1). Von Carl Zangerle. Laurins Rofengarten im Winter. on Friedri Wünsche. Winterlied. Gediht von J. G. von Salis-Seewis, 1786. Das Inntaler Bauernhaus und seine Möbel. (1.) Von Dr. Karl von Nadinger. Fahrt ins Gebirge. Gedicht von Gottfried Kölwel. Asche. Von Ludwig Finckh. Parabel. Von Hermann Amonshauser. Vom Lebenskünstler des Waldes. Von Fri Druckseis. Ueber das Pfyffershe Relief in Luzern. Von Ernst Viktor Tobler. Mitteilungen der „Deutschen Alpenzeitung*. Mitteilungen des Münchener Fremdenverkehrêvereins. Kunstblätter: Nosengartenspiße vom Seekofel. Von F. Wünsche. Schneeblüten. Von Ulb. Steiner, St. Moriß. Alpacher Truhe aus dem Jahre 1750. Winternaht. Von Ad. Holzer.

Kunst und Wissenschaft.

Das Wort Weihnachten ist der dritte Fall der Mehrzahl von dem Worte Weihnaht. Der Gebrauch der Mehrzahl hat, wie der Professor Dr Tesch in der Sprachecke des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins ausführt, seinen Grund in der alten kirhlihen Sitte, die 12 heilige Nähte, und zwar vom 25. Dezember bis: zum 6. Ja- nuar, dem Feste der heiligen drei Könige, zählte und fe diu wîhe nahto nannte. Ein Rest des alten Ansehens dieser Nächte hat noch jeßt im Volksglauben erhalten. Denn viele Leute meinen, si alles erfüllt, was man in ihnen träumt, und daß das Wetter, wie es sich in diesem Zeitraum zeigt, so auch während des ganzen

Jahres vorwiegend bleibt. Daß man auch die Tage Weihnachten

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