1895 / 63 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 13 Mar 1895 18:00:01 GMT) scan diff

[afsen. Das if eine ganz genau aufgenommene Spezial- statistif, und ih möchte diese vershiedezen Berehnungen sie timmen auch nicht mit den cinzelnen Jahren überein 1891 sind fie anders als 1894 u. st. w. nicht anführen, aber es hat sich doch er- geben, daß die Summe des Ausfalls immer zwishen 3 und 5 Mill. Mark schwankt. Die leßte Berehnung hat 3480000 Æ ergeben. Die Summe ist aber verschieden, je nah den Zeiten, wo die Statistik aufgenommen wird und je nahdem viel Briefe zwishen 15 und 20 g kommen oder nicht. Das hängt von ganz besonderen Verhältnissen ab.

Der Herr Abg. Schmidt (Elberfeld) hatte sich an die österreichische Postverwaltung im vorigen Jahre gewendet, und hatte meinen Kollegen in Wien um Auskunft gebeten, wie groß in Oesterreich der Ausfall gewesen wäre. Es war eine ganz zweckmäßige Maß- regel, da konnte er am besten Auskunft erhalten, und es hat \sih da ergeben, daß die österreihische Verwaltung, als sie diese Maßregel vor 10 Jahren einführte, keine finanzielle und ftatistishe Rechenschaft Über die Tragweite dieser Maßregel gegeben hat. Denn er hat die Antwort von dem österreihishen General-Postmeister bekommen, daß allerdings eine genaue Zahl darüber niht gegeben werden könnte, aber doch ein ganz erbhebliher Ausfall mit dieser Maßregel herbei- geführt sei. Und das if natürlih mir von Wien an demselben Tage mitgetheilt, wo er die Antwort bekommen hat. Glauben Sie denn nun, Herr Abg. Bebel, Sie fißen ja auch in der Budgetkommission und haben seit Jahren die Finanz- entwicklung verfolgt der Reichstag kann das ja nit allein machen, das wissen Sie ja, staatsrechtlih, es gehört der Bundesrath mit dazu glauben Sie, daß in einem Augenblick, wo die Finanzlage so ift, daß man sie beinahe eine Finanzverlegenheit nennen könnte (Lachen bei den Sozialdemokraten), und wo namentlich auch in den einzelnen Staaten sehr über die Schwierigkeiten der Finanzlage geklagt wird, im Bundesrath sich ein einziges Mitglied finden würde, was dafür stimmen würde, diese 4 Millionen zum Fenster hinauszuwerfen und die 5 Millionen, die in Bezug auf die Telegraphengebühren angeregt worden sind, und die in Vorschlag gebrachten 2 Millionen, die durch die Verminderung des Portos für Stadtpostbriefe entstehen würden? Ja, das sind 11 Millionen. Glauben Sie, daß ein einziges Mitglied im Bundesrath dafür stimmen würde? Also wozu halten wir uns auf mit folchen Erörterungen wie heute und gestern, die absolut aussitslos find bei diefer Finanzlage ? Meinen guten Willen habe ih oft betont, ich glaube auch niht, daß Sie daran zweifeln, aber man muß doch auf eine größere und ftärkere Macht, wie die Finanzlage es do ift, auf die Finanzlage des Reichs Rücksicht neb- men. Die Debatte zieht sich nicht seit heute und gestern, sondern {on seit 5, 6 Jahren hin.

Nun hat der Herr Abgeordnete die Nachricht mitgetheilt, beim Welipostkongreß in Washington sfollte-ein Antrag eingebracht werden, das Gewicht des einfahen Briefes von 15 auf 20 g zu erböben, und daß nun, wie verleumderisher Weise hinzugeseßt ist, nur Deutschland fich sperre, zuzustimmen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Diese Notizen sind beide fals, es if uns darüber nichts zugegangen, wir würden das jedenfalls erfahren haben, und, wie ih die Stimmung kenne, fo ist keine Aussicht vorhanden, daß von irgend einer Seite der Vorschlag gemacht wird, noch weniger Aus\iht, daß er durhgebt, weil nah den Bestimmungen des Weltpostvereins Stimmenmehrheit erforderlich ift.

Nun komme ih auf den leßten Punkt, ih hoffe wenigstens, daß es der leßte sein wird, das ist die Stadtpost. Ja, ih glaube, der Herr Abgeordnete hat sih doch wohl nit vollkommen klar gemacht, mit welchen Schwierigkeiten der Dienst der Stadtpost hier verbunden ift. Wenn die Privatposten billiger bestellen, so is es nur, weil ihr Dienst viel \{lechter ist; sie bestellen vielleiht 3- bis 4 mal und die Stadtpost 12- bis 14mal. Sie macht einen ganz anderen Aufwand von Briefträgern, es kann überhaupt da von einem Vergleih nit die Rede sein. Nun kommen noch folgende Umstände in Betracht. Ich will Ihnen eine kleine Notiz geben: in Berlin, meine Herren, find täglih zu bestellen rund 500 000 Briefe, und zwar in 21 341 Häusern. Jch will bier gleich bemerken, daß die Briefzahl nicht abgenommen bat infolge der Privatpost, sondern im Gegentheil zu- genommen, natürlich steigt sie auch bei der Privatpost.

Unter diesen 500 000 Briefen sind Briefe mit mangelhaften Auf- schriften tägliG im Durchschnitt eingegangen 24 690 Stück. Diese Bestellung konnte also wegen fehlender Wobhnungsangabe nicht glei bei dem ersten Abtragungsgange erfolgen, weil Adreßbücher eingesehen werden müssen. Es find nur Briefe an hochgestellte Personen und bedeutende Firmen bei der erften Bestellung bestellt worden. Von diesen wurden 15 977 obne erbeblihe Verspätung den Empfängern zugeführt, da den betreffenden Sortierern die zutreffende Bestellpost- anstalt bekannt war. Bei den übrigen 8713 mußte die Ermittelung der Empfänger zunäGst durch Nachschlagen im Adreßbuh gefucht werden. Bei 2963 von diefen Briefen, die tägliche Zahl, fanden ih die Namen der Empfänger niht einmal im Adreßbuch: Durchsicht

Studentenverzeichnisse, des Literaturkalenders, Befragung d2s Einwohner - Meldeamts war erforderlih. Endgültig unbestellbar waren 1711 Briefe, bei denen, ungeahtet aller Mühe, die Ermittelung der Empfänger nicht gelungen ift. Diese Briefe sind als unbeftellbar nah dem Aufgabeort zurückgesandt worden. In einem Falle, wo ich zugegen war, fand ich 400 Briefe mit der Auf- schrift: Herrn Richter in Berlin. (Große Heiterkeit.) Sie sehen also, meine Herren, daß die Leistungen der Stadtpostverwaltung ganz andere sind als die der Privatpostanstalten. Wir haben auch gar keinen Anlaß, gegen diesen Privatbetrieb Bedenken zu erbeben. Sie erleichtern wesentlih die Poft, indem sie fich hauptsählih beschäftigen mit der Beftellung von Sachen, die keine Eile haben: mit Druck- fachen, Refklamen, Annoncen mehr oder weniger zweifelhafter Art u. dgl. Meine Herren, ih verstehe den Herrn Abg. Bebel nit, daß er uns hier vorschlägt, wir sollten das Porto ermäßigen, um den Betrieb dieser Privatanfstalten zu ruinieren. Jst das die Art, wie Sie den Privat- erwerb gegenüber fisfalishen Unternehmungen in Schuß nehmen ? (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Sie haben auédrüdlih gesagt, daß, wenn das Porto hberuntergesetzt wird, die Post die jeßt durch die Privatanstalten besorgten Briefe an sih ziehen werde. Also darin finde ich doch feine Logik und Konsequenz gegenüber Fhrer fonstigen Auffaffung von Liberalität und Bureaukratismus.

Ich glaube, das sind wohl alle die Punkte, die der Herr Ab- geordnete berührt hat. Sellte ih doch einen vergessen haben, fo bin ih gern bereit, ihm noch Rete zu stehen. Er wird sich im ganzen überzeugt baben, daß die Differenzen zwishen uns nicht so greß find, wie fie ‘ißm ‘fckfenen, und daß wir in wesentlichen

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Punkten, wenn er uns nur noch einige Zeit übrig läßt man fann nit alles mit einem Male mahen —, in Bezug auf die Reformen, die er angeregt hat, in manhen noch zusammenkommen werden. Jedenfalls versprehe ih, daß wir die Sachen, die er im einzelnen angeregt hat, einer genauen Untersuhung unterziehen und darüber Rechenschaft ablegen wollen und auch sehen werden, worauf das Alles zurückführt; denn häufig find das ja shwere Entstellungen, die dabei unterlaufen.

Abg. Dr. Schult -Lupiy (Rp.): Gegenüber den Vorwürfen, daß in der Postverwaltung niht mehr derselbe Geist herrshe, wie früher, konftatiere ih, daß die Postverwaltung seit einém vollen Jahrzent in anerkfennenêwerther Weise bestrebt gewesen ist, den Verkehr immer mehr zu erweitern und zu erleihtern. Jch selbst habe vor vier Jahren einen Antrag auf Eciaiigung der Telegrammgebühren gestellt, welcher später seitens der Postverwaltung Annahme gefunden hat. Vor allem danke ih aber der Postverwaltung für ihr Be- streben, auch auf dem platten Lande den Postverkehr zu er- leihtern. Die verschiedenen Ausführungen des Abg. Dr. Schoen- lank haben bereits eine hinreichende Widerlegung gefunden. Nur auf einen Punkt mölhte ih noch zurückfommen. Ünter all? seinen unbe- gründeten Vorwürfen befand sich ein einziger positiver Vorschlag, nâmlich der, die Postagenturen speziell auf dem Lande mit Unter- beamten und lang gedienten Beamten zu beseßen. Das zeigt fo recht, welche unpraktishen Verschläge von jener Seite gemaht werden. Ich frage den Abg. Dr. Scoenlank: Auf welhe Weise ift diesen Unterbeamten damit, daß sie als Belohnung eine selbst- ständige Stellung auf dem Lande bekommen gedient? Jch glaube, der Beamte wird niht sehr lange Zeit sein Amt ver- rihten. Die Reichs-Postverwaltung hat bis jeßt nur Männern die Agenturen übertragen, die Vertrauen. verdienen und ihre Pflicht erfüllen können. Sie ist dabei stets in so außerordentli vorsichtiger und zweck- mäßiger Weisevorgegangen, daß dieLandbevölkerung, soweit ih unterrichtet bin, durhweg ¿lfrieden ist und von vornherein volles Vertrauen zu den Agenten gefaßt hat. Wenn man hier so viel leere Sätze vor- bringt, so will man nur Unzufriedenheit erregen. Aus meinem Wablkreis if mir eine Adresse von den Postbeamten in Oebisfelde zugegangen mit dem Ersuchen, sie bei Gelegen- heit zu benugen. In dieser Adresse heißt es. aus Anlaß der Angriffe, welZe sozialdemokratishe e: rige afi bei der Be- rathung des Poft-Etats gemaht haben: „Wir halten fest an der Treue zu Kaiser und Reich. Wenig Ehre würde uns die Gemeinschaft mit den Sozialdemokraten bringen. Wir haben für ihre verlorene Liebeswmühe feinen Dank.“ Tausende und Abertausende von Beamten ind sehr zufrieden. . Sie (zu den Sozialdemokraten) wollen uns dur Ihre Reden nur aufhalten, bis Juli oder August. Wir haben Ernsteres zu thun. Wir müssen das Brot aus dem Boden hafen. Wir Bauern stehen feft und werden länger stehen als Sie.

__ Abg. Schmidt- Elberfeld (fr. Volksp.): Der Staatssekretär hâlt eine Ermäßigung der Fernfprehgebühren zur Zeit wegen der all- gemeinen Finanzlage für unmögli, auch befürhtet er die Kosten für Neuanlagen. Cine Vermehrung des Verkehrs bedeutet doch aber immer eine Vermehrung der Einnahmen. Bei der Einführung der Aolarten hat man au eine Verminderung der Einnahmen aus dem Zriefverkehr befürhtet. Sie ist nicht eingetreten. Die Einführung eines Gesprächzählers wäre der allerschlimmste Rückschritt auf dem Gebiete des Fernsprechwefens. :

Telephonbesißer nur in eigenen Angelegenheiten das Telephon benußen dürfen, führt eine ganz unleidlihe und au unstatthafte Kontrole dur die Beamten herbei. Vielleicht könnte die Schärfe dieser Ver- fügung etwas ‘abgeschwäht werden. Ein Ausfall von 34 Millionen durch die Festseßung des Marximalgewichts der einfachen Briefe auf

20 Gramm steht feinesfalls zu erwarten, denn die Zahl der Briefe von 15 bis 20 Gramm ift eine außerordentli geringe.

Direktor im Reichspostamt Scheffler: Jeder neue Anschluß an das Telephonneß erfordert ganz erheblide Kosten, denn wir müssen kostspielige Einrichtungen aaschaffen, um den Anschluß an alle bereits bestehenden Kontakte zu ermöglihen. In allen größeren Staaten sind die Telegraphengebühren bedeutend böber als bei uns, eine Aus- nahme machen nur Holland und Dänemark; jedo stellt sih auch dort der Preis nit nennenswerth billiger, weil neben den Gebühren noch andere Leistungen verlangt werden.

_ Abg. Bech (fr. Volksp.): Die von mir vertretene Beschwerde

ist auch vom Abg. Dr. Paasche im preußischen Abgeordnetenhause zur

Sprache gebraht worden. Er hat darauf überhaupt keine Antwort

bekommen. Jedenfalls waren es niht wirthshaftlihe Gründe, die

un ega des Eisenbahnzugs führten, sondern lediglih finanzielle ründe.

Abg. Dr. Mülle r- Sagan (fr. Volksp.) tritt abermals für die Herabsezung der Telegraphengebühren ein.

_ Abg. Dr. F ôrster (Refp.) nimmt nochmals das Wort zu Be- shwerden über die Behandlung der Militäranwärter bei der Anstellung im Postdienst. L

. Der Titel: „Gehalt des Staatssekretärs wird be- willigt. Die von der Kommission beantragte Resolution be- üglih der Beschränkung des Postpacketverkehrs an Sonn- und Kelertagen wird angenommen.

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Die Sordernug von 20000 # für einen Unter- Staatssefretär beantragt die Budgetkommission zu streichen.

Die Abgg. von Leipziger, von Massow, Lieber und Reindl beantragen, die Forderung zu genehmigen, statt der geforderten drei Direktoren aber nur zwei Direftoren zu bewilligen.

Die Budgetkommission Resolution:

_ Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, bei Aufftellung des nächst jährigen Reichshaushalts-Etats für diejenigen Klassen von Beamten der E und Telegraphenverwaltung, welhe dur Einführung des Diexstalterssystems in ihren Gehaltéverhältnissen ge- shädigt werden, insbesondere für die Klaffen 23, 34 und 38 b die Gebaltsstufen so zu erhöhen, daß eine folhe Schädigung ver- mieden wird.

Ein Antrag des Abg. Singer geht dahîn, in diese Re- solution noch die Klasse 45 einzufügen. __ Abg. Hug (Zentr.): Namens meiner politishen Freunde kann ih erflären, daß wir dem Antrag der Abgg. von Leipziger und Gen. zustimmen. Wir erkennen das Bedürfniß der Schaffung eincs Unter- Staatssekretär-Postens unbedingt an. Seit dem Jahre 1892 haben \sih die Verhältnisse mit der Vermehrung der Geschäfte wesentlich vershoben. Weil wir die großen Verdienste des Staatssekretärs Dr. von Stephan rüdhaltlos anerkennen, halten wir uns für verpflichtet, ihm diese Anerkennung dadur zu beweisen, daß wir ihm die Geschäfte erleihtern. Was die von der Budgetkommission beantragte Resolution betrifft, so stimmen wir derselben gleichfalls zu, um eine Schädigung der Beamten hintanzu- halten, welche sonst mit der Einführung des Dienstaltersftufensystems verbunden sein würde.

Staatssekretär des Reichs - Shaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Jh wollte die Grundsäße über die Frage der Dienstaltersstufen ers erörtern bei Gelegenheit der Berathung der Drucksachen Nr. 206, Antrag Dr. Hammacher, und Nr. 207, Antrag von Kardorff. Da aber heute die Berathung bis zu den Titeln, auf welche diese Anträge \ih beziehen, niht mehr fortschreiten wird und ih in den nähsten Tagen durch andere dringende Dienstgeshäfte behindert bin, den Sißungen des Plenums beizuwohnen, so sehe ich mi gezwungen, schon heute über einzelne prinzipielle Fragen mi zu

beantragt ferner folgende

Die jüngst erlassene Verfügung, daß die.

L

äußern. Den Herren if erinnerlih, daß das System der Dien.r,..

stufen eingeführt ist auf Drängen des Reichötags selbft. Das bitheri,, System, wonach in den Etat Durhschnitts\äße eingestellt wurden, het

in den Ressorts, wo alljährlich eine große Anzahl Zugänge neuer Beamtenstellen eintreten, dem Ressorthef die große Annebmligkejt daß er über umfangreihe Gehaltsersparnisse verfügte und diese verwenden fonnte, um den bereits angestellten Beamten in snellerey Tempo Zulagen zu gewähren. Dieses System soll jeßt erseßzt durh* ein Sy“tem, wonah jeder Beamte ein bestimmtes Gehalts, quantum nah einer bestimmten Anzahl von Jahren erbält. Beschwerden, die gegen das Dienstalters\tufen-System geltend g find, gehen eigentlich darauf hinaus, das Benefizium des bisherigen Systems des shnelleren Aufrückens im Gehalt zu verbinden mit Benefizium des gegenwärtig einzuführenden Systems, welches dey Beamten einen Anspruch auf ein festes Gehaltéquantum na einer vorher bestimmten Reihe von Jahren sichert. Es ist nit ein un mittelbarer Schaden, den die Beamten, die si bei Ihnen besch [eiden , sondern ein lucrum cessans (sehr richtig !), das beißt, di: Beamten haben nur unter der Vorausseßung Schaden, daß in den einzelnen Refsorts, in denen ein besonders großer Stellenzug alljiährlih erfolgte, dieser Stellenzugang au fortgeseßt ein so großer bleiben würde und der Ressorthef infolge dessen über gleich große Ersparnifse an Gehältern wie bisher verfügen fönnte. Wenn die bei Ihnen vorstellig werdenden Beamtenkategorien auf der einen Seite die Benefizien des bisherigen Systems weiter genießen und auf der anderen Seite die Nechtésicherheit des jeßigen Systems sich erbalten wollen, so liegt darin ein Anspruch, der meines Erahtens niht zu realisieren ist. (Schr rihtig!)) Die Vortheile des alten Systems zu verbinden mit den Vortheilen des neuen Systemz ist eine contradictio in adjectó. (Sehr rihtig! rechts.) Nun ges stehe ih zu, daß es für einzelne Beamtenkategorien empfindlih sein mag, die günstigeren Aussichten, welche sie bisher hatten gegenüber dey Angestellten anderer Ressorts, die dur das jeßige System befr gestellt werden, in Zukunft zu verlieren. Darüber dürfen Sie s indeß nicht im Unklaren sein; wenn Jhre Resolutionen von dey verbündeten Regierungen angenommen werden, wenn einzelne Beamten, kategorien, die sih für besonders benaHtheiligt halten, durch die Er. höhung ihres Minimal- oder Marimalgehalts entschädigt werdez sollen, fo wird das wahrscheinlih den Anstoß geben zur Aufbefserunz der Beamtengebälter überhaupt. Denn jede Kategorie, die Sie auf. bessern, rückt ab von einer anderen parallelen Beamtenkategorie, di: niht beffer geftellt wird, und, wenn Sie eine Beamtenkategori aufbefsern, wird sih eine große Anzahl anderer, auf ihrem Gs haltsfaß verbleibender Kategorien durch das neue System bena: theiligt finden gegenüber jener einen Kategorie, die hierbei ein Aufbesserung erfährt. Ich glaube also, wenn man die Benatthei ligungen für bereits angestellte Beamte in dieser Form ausgleihen wollte, so würde man ganz allmählich gedrängt werden zu einz allgemeinen Aufbesserung der Beamtengehälter überhaupt von dex Stufen ab, wo diese Aufbesserung der Besoldungen seiner Zeit aufgehört hat. Wollte man allen diesen Wünschen Rechnung tragen, so müßte man eigentlih folgendes System anwenden: man müßte zu Gunsten der bisher angestellten Beamten fingieren, daß den Chefs der einzelnen Ressorts für Gehaltserhöhungen in Zukunft noh dieselben Ersparnisse wie vordem zur Verfügung ständen, und man müßte demgemäß jenen Beamten in denselben Zeiträumen wie bisher Zulagen gewähren; erst die neu anzufstellenden Beamten würden in das System der Dienstaltersstufen einrücken; man müßte also zwei Beamtenkategorien innerhalb derselben Beamten gemeinshaft schafffen, deren eine nah dem bisherigen System zu besolden, während die neu einzuftellenden Beamten dem System der Dienstaltersstufen zu unterwerfen wären. Meine Herren, daß dai ganz undurchführbar ist, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Ich möchte \{ließlich auf einen Gesichtspunkt zurücktommen, der für die verbündeten Regierungen von der größten Bedeutung ist Meine Herren, wenn Sie hier Resolutionen fassen, won2ch wir er wägen follen, ob wir nit einzeln: Beamtenkategorien, die sich besonder? geshädigt glauben, durch die Erhöhung des Marximal- oder Minimal- gehalts aufbefsern können, so werden wir jedenfalls diese Wünsche dei Rei(stags eingehend prüfen und uns fragen, ob wir jenen Wünsen nahkommen können, ohne andere Beamtenkategorien von gleicher geshäftliher Vorbildung und gleichen sachlichen Leistungen zu schädigen. Als sehr bedenklich müssen es aber die verbündeten Regierungen ar- fehen, wenn der Reichstag fecinerseits Beamtengehälter im Etat erhöht.

Einer der Herren Redner hat gestern dieses Verfahren als eir ungewöhnlihes bezeichnet; ich fann ikm darin nur vollfommer Recht geben. Dieses Verfahren wäre ungewöhnlih meines Erahtent nah den Grundsäßen, die der Reichëtag bisher befolgt hat, und die in anderen Parlamenten wohl meistens befolgt werden. (Sett richtig! rets.) Nah der Reichsverfassung sollen die Einnahmer und Ausgaben des Reichs alljährlich im voraus auf ein Jakr veranshlagt und durch ein Gesetz festgestellt werden. Auf den übrigen legislatorishen Gebieten ist der Reichstag wiederhclt nit nur über die geseßlihen Vorshläge der Regierung hinausgeganger, sondern er hat auch aus seiner eigenen Initiative Gesetzentwürfe beshlossen. Auf finanziellem Gebiete, auf dem Gebiete des Etats, ift dagegen bisher, soweit ih habe feststellen können, erst ein der artiger Fall vorgekommen.

Was heißt es, wenn der Reichstag seinerseits Gehälter selbft ständig erhöht? Zunähst müssen doch die verbündeten Regierunget die volle Verantwortung für die Gesammtheit der Verwaltung tragen namentlich auch auf finanziellem Gebiet. Der Herr Abg. Hug bat ganz zutreffend ausgeführt, daß au nur die verbündeten Regierungen in der Lage sind, die Gesammtkeit der Ansprüche der Beamiter- hierarhie rihtig abzuwägen , die Besoldung der einzelnen Beamter kategorien nah ihrer Vorbildung, nah ihren Leistungen korrekt seil* zustellen. Wenn Sie nun Ikhrerseits eine einzelne Beamtenkategor!t herausgreifen und sozusagen über den Kovf der verbündeten Regierung?® hinweg das Gehalt dieser Beamtenkategorie anders feststellen, 19 liegt do jedenfalls die eine Gefahr vor, daß sich dadur \wizdtr eine große Zabl anderer Beamten geschädigt fühlt, und daß die v bündeten Regierungen bierdurch gzradezu in die Zwangslage verse! werden, vielleiht wider ihr besseres Wissen, in einem nächsten Etat Vor {läge auf weitere Gehaltsverbesserungen zu machen, um die Parallelit? zwischen den besser gestellten Beamten und denen, denen eine Besserstellun? nicht zu theil geworden i, wieder herzustellen. Meine Herren, glaube aber, bisher war es stets Grundsaß, daß auf finanziellem Ee

Sale ungen

Alle die

E ishe Versammlungen niht hinausgehen über die

ingen -der Regierungen. (Sehr richtig! rechts.) Wo würden hinkommen, wenn Sie den entgegengeseßten Weg einschlagen ? ie heißt 8 wirklih: principiis obsta! Wenn -tie Beamten im erst wissen würden, daß der Reichétag den meines Er-

sehr bedenklihen Weg beschreitet, selbständig entgegen den Vorschlägen der verbündeten Regierungen die Gehälter von , und Unterbeamten zu erhöhen, so werden Sie mit Petitionen Gehaltsverbefsferungen von anderen Beamtenkategorien im nächsten Jahre überschwemmt werden, und, ih glaube, diese

anderen Beamtenkategorien würden \sich sehr unangenehm berührt

, wenn Sie das, was Sie für die Einen gethan haben, nit auch fúr die Anderen thäten. Ich glaube, Sie würden damit eine BVerantwortlihkeit übernehmen, meine Herren, die Ihnen in Ihrem eigenen Interesse niht erwüns{t sein kann.

Fch möchte bemerken, daß diefe Auffaffung, daß nah parlamenta- rischen Grundsäßen auf finanziellem Gebiete niht über die Forderungen der Regierung hinauszugeben ist, auch in anderen Parlamenten sehr prägnanten Ausdruck gefunden hat. Sie werden mir zugeben, daß in der Konfliktszeit im Jahre 1863 das preußishe Abgeordnetenhaus

geneigt war, seine Rechte gegenüber der Regierung bis auf den J-Punkt festzuhalten und zu betonen; im Jahre 1863 aber hat die Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenbauses unter anderem folgenden Beschluß gefaßt:

Allgemeine Grundsätze, welche bei der Prüfung des Etats fortan nach Maßgabe der am 14. März 1853 aufgestellten festzuhalten.

4) Daß neue Ausgabeposten oder Erhöhungen \chon vorhandener, desgl. neue Einnahmeposten oder Mehreinnahmen niht unmittelbar in den Etat zu bringen, mithin die Staatsregierung nur durh ausgesprochene Resolutionen zur Aufnahme derselben in den nähstjährigen Etat zu veranlassen.

Daé, glaube ih, if der parlamentarisch korrefkte Standpunkt.

Und nun bitte ih endlih ncch eins zu bedenken. Jch glaube, es ift in der gegenwärtigen Zeit wichtiger denn je, daß die Regierung ihr Seamtenpe-rfonal vor allem in der Hand habe, daß das ein Organ i, auf das sie sfich in jedem Fall verlaffen kann. Aber, meine herren, wie müßte es zur Erschütterung des Vertrauens des Beamten- pfionals zu den vorgeseßten Behörden beitragen, wenn hier aus je Mitte des Reichstags heraus, entgegen dem Vorschlage der ver- lindetenNegierungen, eine einzelne Beamtenkategorie in ihren Gebältern verbessert wird! Die Beamten würden dann niht mebr in den Refsort- Chefs ihre natürlihen Vertreter finden, sondern würden diese Ver- ireter nur noch im Reicstag erblicken.

Ich glaube, meine Herren, wer auf monarchishem Standpunkt steht, kann niht begünstigen, daß \sich in unserm Beamtenthum eine solche Auffassung festseßt.

Jh kann deshalb nur dringend bitten, den Antrag Hammacher, Nr. 206 der Drukfachen, wenn er zur Berathung kommt, abzulehnen, sowie die Refolution Kardorff, Nr. 207, anzunehmen und uns ver- tzauensvoll zu überlafsen, ob wir Uebelständen, die im Dienst- alterésystem liegen, durch geeignete Vorschläge felbst abhelfen können. (Bravo! rets.)

Abg. S inger (Soz.): Nach den Aeußerungen des Staatssekretärs könnte es scheinen, als sei das Bestehen des Deutschen Reichs in Frage, wenn einzelne Beamtengebälter aufgebessert werden. Nachdem es in der Budgetkommission nicht gelungen war, die Beamten zu ent- schâdigen, die dur die Einführung der Dienstalters\tufen in ihrem Einkommen geschädigt wurden, bliev der Kommission kein anderer Weg, als der von ihr betretene. Ich erinnere daran, daß auch bei dem Geseß wegen Unterstüßung der Angehörigen der zum Militär- dienst Cingezogenen die verbündeten Regierungen bis zuleßt geneigt waren, die Forderung der Billigkeit zu verneinen, später aber doch ¡ustimmten.

Staatsfekretär des Reichs - Shaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Wenn der Herr Vorredner sagte, die verbündeten Regierungen sien hartnäckig, so kann ich nur versichern: es thut der Herr Vor- tedner den Negierungen bitteres Unreht. Jh kann ihm versichern, kaß wir omnem diligentiam prästiert baben, um den Resolutionen des Reichstags gerecht zu werden. Wir kamen aber \{chließlich an die Mauer dadurch, daß wir uns sagten, wenn wir den bisher günstiger gestellten Beamten diese Bencfizien weiter erhalten wollten, würden wir ganz offenbar Beamte anderer Ressorts, wo nicht solche zufällige lücklihe Umstände vorlagen, schädigen und in ihnen das Gefühl er- littenen Unrechts wahrufen. Der Herr Vorredner kann \ih versichert halten, daß, wenn der Reichstag uns die Mittel zur Verfügung stellen sollte, um allgemein mit einer Verbefserung der Beamtengehälter bon unten herauf weiter vorzugehen, wir das danfkbarst acceptieren würden.

Aber es handelt \sih hier niht um eine Gefährdung des Etats- geseßes, auch nit um die finanziell ganz unerhebliche Summe, um welhe die Landbriefträger in ihrem Minimaleinkommen verbessert würden, sondern um ein sehr wihtiges staatsrehtlihes Prinzip; ih hielt mich für verpflichtet, dies Prinzip namens der berbündeten Regierungen hier festzustellen. Jch bezog mi auf ein Präzedens in der Geschichte des Reichstags; es findet sich bei der Be- mesung der Gehälter der Reichsgerichts-Räthe. Damals wurde ein Antrag gestellt und angenommen, die Gehälter der Reichsgerichts-

be höher zu bemessen als im Etat vorgeschlagen. Dieser Antrag wurde aber erst angenommen, nachdem der Vertreter der verbündeten

gierungen erflärt hatte:

Eines aber, meine Herren, bin i autorisiert und angewiesen zu erklären, daß der Herr Reichskanzler für seine Person diefen Antrag boch willkommen heißt, und daß er, was an ihm liegt, bemüht sein wird, wenn er hier zur Annahme gelangt, ihm demnähhst auch unter den verbündeten Regierungen zur Annahme zu verhelfen.

Obgleich also der Herr Vertreter der verbündeten Regierungen eine

artig entgegenfommende Erklärung abgegeben hatte, hielt si doch

y Herr Referent der Budgetkommission n voller Anerkennung der

Richtigkeit des ftaatsrechtlihen Grundsagzes, den ih mir erlaubt habe, bier klarzulegen für verpflichtet, folgende Erklärung abzugeben :

Ih habe also meine Bitte zu wiederholen im Namen der Komnission, Ihre Stimmen dem Antrage niht zu entziehen, glaube aber zugleih im Namen der Majorität der Kommission zu sprechen, wenn ih sage, daß nah der Stimmung, welche si in der Kommission aussprach, die sämmtlihen Mitglieder

hrer Kommission darin einig waren, daß eine Viederholung eines Verfahrens, wie es bei dieser Gelegenheit beobachtet ist, niht wünschenswerth sei.

| kraft der Polen

Ich habe nur das ausgeführt, was bereits seitens eines Referenten der Budgetkommission des Reichstags in so unzweifelhafter Weise anerkannt ist. (Beifall rechts.)

Die weitere Berathung wird darauf vertagt. Schluß 5s Uhr. u

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 41. Sißung vom Dienstag, 12. März.

_ Ueber den Beginn der Sigzung ist gestern berihtet worden. Bei der ferneren Berathung des Etats der Ansiedelungs- kommission in Posen und Westpreußen, in Ver- bindung mit der Denkschrift über die Ausführung des Ansiedelungsgeseßes, fowie dem Antrage der Abgg. Dr. von Jazdzewsfi und Motty auf Aufhebung dieses Ge- sezes, nimmt nah dem Abg. Dr. von Jazdzewski das Wort

_ Abg. von Tiedemann - Bomst (fr. konf.): Was ih Ibnen vor- führen werde, wird genügen, um ibnen zu zeigen, auf welher Seite die objeftive Wabrheit liegt. Ich werde abwarten, ob der Abg. von Jazdzewski die Pflicht , unrichtige Behauptungen zurückzunehmen, bernach üben wird. Zunächst bestreite ich ganz allgemein, daß das Anseetnglgele wirtbschaftlih und finanziell \{chlechte olgen gehabt hat. Daraus, daß nur F der Ansiedler Katholiken ind, hat der Vorredner der Regierung einen Vorwurf gemacht. Ich habe {on neulich dargethan, wie die Katholiken unter dem Einfluß einer Fetten Geistlichkeit polonisiert werden. Meine Ziffern über das Verhältniß der Zahl der Deutschen und Polen und den Gottesdienst in der Erzdiözefe sind amtlich beglaubigt. Von polnischer Seite wird alles, was einen polnischen Namen -trägt, zu den Polen gerehnet. Die Erzdiözese Posen hält für 1000 Deutsche einen deutshen Gottesdienst alle drei Wochen für genügend. Jch halte es aufrecht, daß in einem deutshen Kirhspiel der Propst gesagt hat: in meinem Hause verstehe ih kein Deutsch! Ich bin gern bereit, in diesem Falle auf meine Abgeordneten-Immunität zu verzihten und mich verklagen zu lassen. Daß auf polnischen Festen in Hotels in Posen die Kaiserli&en Büsten verhängt worden sind, kann der Abg. von Jazdzewski nicht abstreiten. Es ist gesehen, damit sch von den Festtheilnehmern niemand daran vergreifen könne. fann dem Abg. von Jazdzewski mit Namen dienen. Bezüglich des Falles mit trn von Tweéki steht Behauptung gegen Behauptung. Er at die F zum Kampfe für das Vaterland auf- E r hat gesagt: Es ift leiter, für das Vater- and zu sterben, {wer für das Vaterland zu leben. Wenn man nit für das Vaterland kämpft, wie kann man da für das Vaterland sterben ? Die Mittheilung über die Bank Kemski war mir an dem Morgen, an dem ih fie vorbrahte, erst zugegangen; wenn mir da eine fleine Unrichtigkeit untergelaufen ist, fo ift das doch feine Kühnheit! Das sind die Waffen, mit denen wir kämpfen, und mit denen die Polen kämpfen.

Abg. Dr. von Jazdzewski: Wir verlangen nur gleiches Recht, das uns ungerechter Weise an der Hand des Ansiedelungsgeseßes nicht zu theil wird, durch das an Polen zu verkaufen verboten ist, während do die Polen avrch Steuern bezahlen. Nur die Deutschen empfangen Wohlthaten durch das Geseß. Die Erzdiözese Posen- Gnesen ift auch eine Behörde, und sie muß genauere Ziffern über die nationale Angehörigkeit der Katholiken haben als die \staatlihe Behörde, da sie jeder Nationalität im Bereiche der Kirchenlehre gerecht werden muß. Nun hat der Abg. von Tiedemann verschiedene seiner An- gen korrigiert. Für das Hotel zum Schwan hat er einen anderen

amen genannt. ie Nichtigkeit der neuen Angaben fann ich jeßt nit fontrolieren, weise aber darauf hin, daß ein Verbhängen der Büsten oder Bilder nur aus Vorsicht gesMehen sein soll, damit nihht irgend etwas Ungehöriges vorkomme. Bei der Versammlung, in der Herr von Tweski feine Rede hielt, waren zwei Gendarmen an- wesend. Es wäre nicht möglich gewesen, in ihrer Gegenwart eine derartige Rede zu halten, das wäre Staatsverrath gewesen, den die Gendarmen hätten zur Anzeige bringen müssen. Herr von Tweski war auch vorsichtig genug, gegenüber den Behauptungen des Abg. von Tiedemann sich von Theilnehmern an der Versammlung unter- \chriftlich beurkunden zu lassen, daß seine E nicht so ge- lautet, wie der Abg. von Tiedemann sie darstelle. Die Gewährs- männer des Abg. von Tiedemann können mir nicht impo- nieren. Die Anklage wegen Anbringung eines Schildes auf dem Bahnhofe zu Posen, das zu Mißdeutungen sfollte Anlaß geben können, hatte der Abg. von Tiedemann gegen die Bank Ziemski er- hoben, jeßt \priht er von einem Privatmann von Dembinski. Als ihn aber die Banf, gestützt auf den Bericht des „Berliner Tageblatts*“, aufgefordert batte, seine Anklage zurückzunehmen, schrieb er zurüdck, der Bericht sei unrichtig. Zurückgenommen aber kat er die Anklage niht. Wenn ein Pfarrer, der deutsh versteht, wirkli gesagt hat, in seinem Haufe verstebe er nur polnish, so wäre das unvernünftig. Man könnte aber auch aus einem derartigen Einzel- fall nicht auf die Allgemeinheit \{ließen. Ich möchte dabei auch darauf hinweisen, mit welcher Schroffheit die Polen von den Beamten behandelt werden, die oft genug erklären: „Hier wird nur deutsch ge- \sprochen“. Wir verlangen nichts weiter als gleihes Recht, und wenn fe Abg. von Tiedemann das auch will, müßte er für unseren Antrag timmen.

Abg. von Tiedemann- Labischin (fr. kons.): Gegenüber den Zahlen der beiden Konsistorien kann ich aus meiner Erfahrung sagen, daß die amtlihen Zahlen mit der größten Genauigkeit aufgestellt sind. Von polnischer Seite werden die Ziffern mit a Geschicklichkeit in polnishem Sinne aufgestellt. Wenn man behauptet, daß es ein Unrecht sei, daß die Polen von den Wohlthaten des Ansiedelungsgesezes ausgeschlossen seien, so haben eine ganze An- zahl polnisher Großgrundbefizer die Ansiedelungskommission _als leßten Rettungganker betrahtet. Ein polnischer Großgrundbesißer hielt in einer Versammlung eine heftige Rede gegen das An- siedelungsgeseß und forderte auf, mit Gut und Blut dagegen zu kämpfen und an demselben Tag noch bot er sein Gut der Ansiedelungs- kommission an. Die Hauptaufgabe der Kommission ist es doch, deutsche Bauern anzusfiedeln. Das Vordringen des Polenthums befördert die deutsche Auswanderung; der Pole hat ein viel stärkeres Heimaths- gefühl, dem deutshen Bauern wird die Wirthschaft leiht zu eng, und er wandert aus. Der polnische Bauer verdrängt langsam, aber siher den deutschen, und jener wird darin noch unterstüßt durch die Generalfommission in Bromberg, welche 1893 unter 822 Rentengütern 524 polnishe Rentengüter geschaffen hat. Wir haben also allen Grund, der Ansiedelungskommission für ihre Thätigkeit zu danken, nur mißbillige ih cs, daß die Kommission in manchen Fällen zu kleine Parzellen geshaffen hat und daß sie fast nur polnische Rittergüter und zu wenig polnishe Bauerngüter an- gekauft hat. Vielleiht wäre eine Aenderung des Gesetzes dahin an- gebraht, daß auch deutshe Güter angekauft werden Tönnten. Auf den Domänen sollte eine organifierte Arbeitererziehung stattfinden. Die Interessen des Gutsherrn und der Arbeiter müssen wieder gemeinsam sein. Alle Versuhe von Privatmännern, wieder im Osten einen seßbaften Arbeiterstand zu alen, werden scheitern, der Privat- mann hat nit die Mittel zur Anlegung von Arbeiterrentengütern. Der Staat allein fann wirksam eine folche Arbeiterorganisation schaffen, er kann auf feinen großen Domänen einen Versuch mit der Ansiedelung von Arbeitern machen. Die Ansiedelungskommission follte einen Theil der Ansiedelungsgüter als Domänen behandeln und an geeignete Pächter verpahten zum Zweck der Ansiedelung von Arbeitern. Das würde auch zur Stärkung des Deutschthums beitragen.

Abg. NRidckert (fr. Vgg.): Die Ueberzeugung, daß das Gesetz eine Begünstigung der Polen in sih \{ließe, gewinnt von Jahr zu Jahr an Umfang. Viele deutshe Gutsbesißer wünschen, sie wären A um ihre Güter zu gutem Preise los zu werden. Die Widerstands- wird dur die der Anfiedelungskom-

nkäufe

ringen Zahl der Ansiedler niht verdrängt werden.

mission nur gestärkt. Es kommt bei diesem Geseg immer ein nationaler Furor zum Vorschein, und doch wäre es für die Deutschen in den Ostprovinzen besser, wenn sie kaltes Blut in dieser Frage behielten, mebr Energie zeigten und \sich mebr auf cigene als auf die Hilfe der Regierung verliefien. Erfreulich ist es mir, daß zu dieser Ueberzeugung auch der frühere Fraftionsgenofse des Ses von Tiedemann, Professor Delbrück, gekommen ist, und daß selbst konservative Blätter die Unwirksamkeit des Gesezes zugeben. Der Vorredner will ja selbst einer Aenderung- des Gesetzes zustimmen dabin, daß auch von Deutschen angekauft werden foll. ch halte ihn dabei fest: in dem Augenblicke, wo wir dem Geseg eine andere Ueberschrift geben, auch von Deutschen kaufen und das Geseg auf den ganzen Staat ausdehnen, wird es segensreih wirken und mit dieser Aenderung bis in die Reihen der Konservativen hinein Anklang finden. Man sollte glauben, daß, da die Pelen dur das Gese finanziell gefräftigt werden, ihre Fraftionsgenossen hier im Haufe damit einverstanden sein würden, und es ist um so mehr anzuerkennen, daß fie aus ideellen Rücksichten dagegen find. j

Geheimer Ober - Finanz - Rath Freiherr von Rheinbaben : Man sagt, die Deutschen sähen mit Neid auf die polnishen Guts- besißer, die zu guten Preisen ihre Güter los würden. E die Po en Vortheile vom Gese, so würden sie nit so lebhaft dagegen ein. Den polnischen Gutsbesitzern, denen ihr Gut abgekauft ist, wird es nit gestattet, sh in der Provinz wieder anzusiedeln, auch waren bis zum 1. April 1894 von den 46898 000 A, die für die Ankäufe ausgegeben waren, nur 11 Mil- lionen an Verkäufer und ihre Angehörigen gezahlt, der Rest wurde zur Ablösung der Schulden verwandt oder- bypothekaris{ch ein- getragen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es ja gar nicht direkt ausgeschlossen, auch aus deutscher Hand zu kaufen. In neuerer Zeit ift es hauptsählich der Kommission darauf „angekommen, die An- fiedelungen zu arrondieren, um sie stark und kräftig zu machen. Wenn man das Gesetz auf den ganzen Staat ausdehnte, so würde man den politischen Charakter abstreifen und den großen politishen Zweck des Gefeßes beeinträchtigen.

Abg. von Kröcher (konf.) erklärt fich namens seiner Partei entschieden gegen die Aufhebung des Geseßes.

Abg. Im Walle (Zentr.): Jch halte das Gesetz für eines der \{limmsten Ausnahmegeseye, da es eine große Zahl der Staats- bürger davon ausschließt, fich mit Unterstüßung des Staats anzu- siedeln. Der beabsichtigte Ziveck des Gesetzes ist, wie auch Professor Delbrück zugiebt, nicht erreiht. Er meint, daß die Deutschen die Polen keineêwegs zu fürchten hätten, daß aber durch das Gesetz die nationalen Gegensäte unnöthig verschärft würden. Gerade der Land- wirthschaft würde man einen wesentlihen Dienst leisten, wenn man das Geseh verallgemeinerte oder die noch vorhandenen Hilfsquellen aus dem Geseß im Interesse der gesammten deutschen Landwirthschaft verwendete.

Unter-Staatssekretär Meinecke: Mein Chef wird es bedauern, daß er der heutigen Diskussion niht beiwohnen kann, um fo mehr, als er nit hat erwarten können, daß si dieselbe wieder auf die all- gemeine Polenfrage ausdehnen würde. Die Aufhebung des Gesetzes wäre zur Zeit nur mögli, wenn man zu der Ansicht gekommen wäre, daß der Zweck des Gesetzes verwerflih sei. Das ist nit der Fall. Nah wie vor bält es die Regierung für ihre Pflicht, die Deutschen in den öôstlihen Provinzen gegen das Ueber- wuhern des Polenthums zu s{üßen. Für verwerflih kann das Gesetz von der Regierung niht erachtet werden. Daß der Zweck des Ge- seßes noh nicht erreicht ist, geht hon daraus hervo-, daß der Abg. von- Jazdzewski selbst gesagt hat, das Polenthum könne von der ge- Da würde man sich eher die Frage vorlegen müssen, ob man es nicht vershärfen sollte. Andererseits ist die Staatsregierung auch nicht der Ansicht, daß das Gesetz ganz nußzlo3s gewesen sei. Das Polenthum hat infolge des Gesetzes abgenommen, das Deutschthum hat gewonnen, da an Stelle einiger polnischer Großgrundbesizer eine ganze Anzahl deutsher Bauern getreten ist. Was die Abänderungsvorschläge betrifft, fo ist schon jeßt der Ankauf von Gütern aus deutsher Hand nicht absolut verboten, sondern nur im Hinblick auf den Zweck des Gesetzes beschränkt. Wenn ein deutsher Gutsbesißer sein Gut niht halten kann und es treten an seine Stelle eine Anzahl deutscher Kolonisten, so ist der Zweck des Gesegzes auch dabei erreiht. Auch durch Errichtung von Domänen würde der Zweck des Gesetzes erreiht werden, wenn der Domänen- pâchter verpflichtet würde, nur deutshe Arbeiter zu halten. :

Abg. Seer (nl.): Die Einrichtung der Ansiedelungskommission hat, wie andere Einrichtungen au, ihre Kinderkrankheiten zu bestehen

ehabt. Jch freue mich, daß diese nunmehr überstanden sind und die Perbältnifse allmählich besser werden. Ich hätte noch den Wunsch, pas Leute, welche eigenes Kapital besißen, dahin unterstüßt würden, daß sie in den Stand geseßt würden, die Restkaufgelder in Renten zu verwandeln.

Wenn der Abg. Nickert für das Gefeß einzutreten ge- willt ift, sofern auch deutsche Besißungen gekauft würden, möchte ih ihn doch darauf aufmerksam machen, daß dies thatsächlih jeßt schon

der Fall ift.

Abg. von Czarlinski (Pole): Jch habe mih heute davon überzeugt, daß \sih der Sturm der Leidenschaften noch nicht gelegt hat. Wenn das Gesetz günstige Erfolge gehabt hat, warum wird da keine Erweiterung beantragt ? Die dentsGèn Blätter haben ja {hon den Vorschlag gemacht, den Ansiedelungsfonds um 100 Millionen Mark zu erhöhen. Ein Regierungs-Kommissar hat gesagt, bei Ankäufen von Gütern aus polnischer B müsse dafür Sorge getragen werden, daß die Vorbesißer keinen Vortheil von dem Verkauf hätten. Das zeigt, daß man die Polen niht gewinnen, ausrotten will. Man muß sich wvergegenwärtigen, wie alles gekommen ift. Ueber Naht fil man über uns Polen her, man nahm uns alles, und jeßt geht man sogar an unsere Sprache und unsere Seele. Jetzt verlangt man noch von den Polen, die ein stark ausgeprägtes Nationalgefühl besißen, sie sollen einen dreifachen an- geborenen Patriotismus haben: einen preußishen Patriotismus, einen Patriotismus nach rechts, nach Rußland, und einen öster- reien Patriotismus. Wir verlangen nur Gleichberehtigung. Will der Abg. von Tiedemann-Bomst dasselbe, so wäre es am besten, Aufhebung des Ansiedelungsgeseßes. Das Polenthum foll unterdrückt werden, mit einem anderen Wort könnte man sagen, alle Polen müssen aufgehängt werden. Es handelt sich darum, ob man die Polen für existenzberehtigt erklären will oder nicht. Der Abg. von Tiedemann-Labischin hat hervorgehoben, die polnischen Bauern hätten unter preußischer Herr- haft Fortschritte gemaht. Das ist natürli, es handelt fich um einen Zettraum von hundert Jahren, und Sie wissen ja niht, was aus den polnischen Bauern in derselben Zeit unter polnischer Herr- schaft geworden wäre. Daß aber der dp von Tiedemann- Labischin gesagt hat, es müsse den polnishen Bauern zu Leibe gegangen werden, weil sie sich zu kräftig entwidelten, das werden sie sih merken. Sie werden sih fragen, was die Regierung denn . eigentlich will. Fürst Bismarck selbst hat die jeßige An- wendung des Gesetzes eine fehlerhafte genannt; er war der Ansicht, es hätten Domänen eingerihtet werden sollen. Der Abg. von Tiedemann- Labischin wies auf einen polnischen Gutsbesißer hin, der am Tage eine polnisch-patriotishe Rede gehalten und am Abend sein Gut der Kommission zum Kauf angeboten habe. Wir treten niemals für die ein, die nicht arbeiten wollen, wir achten be- sonders unsere Brüder hoh, die, von ihren Gütern in Rußland verdrängt, sich durch ihrer Hände Arbeit ernähren müssen. Erwähnen us ih dabei, daß ih hier den Brief einer deutschen Gutsbesigerin habe, die der Ansicdelungskommission ihr Gut wieder- holt zum Kauf angeboten hat, und zwar auf besonderen Rath des

inanz-Ministers, der den Ankauf des Guts für das beste Mittel er- lärte, es los zu werden. Auf mi haben die heutigen Verhand- [ungen wieder den Eindruck gemacht, als ob die Herren sih nit überzeugen lassen wollten. ir bleiben auf unserem Standpunkt stehen und erwarten auch hier im Abgeordnetenhause eine Wandlung, wie sie im Reichstage bereits eingetreten ist, wo der Abg. Paasche im Namen eines großen Theils der Nationalliberalen sich gegen jedes Auénahmegeseß erklärt hat.

sondern

er ftimmte für