das seien ungefähr nur 1{% unserer gesammten Ausfuhr. Die Rechnung iff rihtig, aber für Tausende von Arbeitern bilden diese 45 Millionen die Grundlage ihrer Existenz. (Widerspru rechts.) — Ja, ih weiß in der That nit, wie man das bestreiten wil. Meine Argumentation geht dahin : der Landwirthschaft kann durch Kündigung des argentinischen Handelsvertrags ein Nußen nicht zugefügt werden, und da ist es doch ganz gerechtfertigt, die Kehrseite zu betrachten und die Frage auf- zuwerfen: # auf der einen Seite kein Nugen für die Landwirth- schaft zu erwarten steht, ist niht auf der anderen Seite ein Nachtheil für Andere zu befürchten? (Heiterkeit rechts; Sehr richtig! links.) Ich sage, die 45 Millionen Mark Ausfuhr nah Argentinien bilden doch für viele Arbeiter die Grundlage ihrer Existenz, und wenn Sie ihnen diesen Verdienst, . diese Arbeit nehmen, so wird es für sie ein sehr schwacher Troft sein, wenn der Herr Abg. Freiherr von Heyl ibnen darlegt, daß das ja nur 1# 9/9 unseres ganzen Exports nah dem
Auslande seien.
Meine Herren, ih |chließe damit meine Bemerkungen und kitte Sie, die Frage gründlih zu prüfen. Es is ein gewaltiger Schlag, den zu thun der Herr Abg. von Heyl Ihnen zumuthet; er soll nah seinen Intentionen den argentinischen Weizen treffen. Ich bitte, meine Herren, hüten Sie sich davor, daß dieser Schlag daneben geht, und sorgen Sie dafür, daß nicht dieser Schlag anstatt des argentinischen Weizens das trifft, was wir {hüten wollen und {hüten müssen : die nationale Arbeit. (Lebhafter Beifall links.)
Abg. Shumacher (Soz.): Die Zahlen des Abg. Freiherrn Heyl zu Herrnsheim über unferen Export nah Argentinien stimmen niht. Gerade er sollte doch mit den Verhältnissen der argentinischen Ausfuhr vertraut sein. Das gute rheinishe Leder wird nur aus argentinishen Häuten hergestellt. Was wollte die deutsche Armee ohne diese anfangen? Die rheinishe Schuhwaarenindustrie würde auf den Ausfterbe-Etat geseßt werden. Es handelt sich aber nicht nur um die argentinishen Häute, sondern auch um die argentinische Wolle, deren Vertheuerung die Textilindustrie erheblich “ schädigen würde. Wenn sich die une des Antrags auf die Unterbilanz unseres auêwärtigen Pen els berufen, so vergessen sie ganz, daß diese Unterbilanz eine Folge unserer Shußzöllnerei ist. Ein Zolkrieg mit Argentinien würde diese Unterbilanz nur noch erheblih vergrößern. Die Quebracoholz-Frage läßt sich in keiner Weije zu Gunsten des Antrags verwerthen. Das Quebrachoholz mat der Eichenrinde keine Konkurrenz; denn für den Fahmann ift es längst erwiesen, daß das Sohlleder, das mit Quebracho gegerbt ist, einen Vergleih mit dem mit Eichenrinde gegerbten nit aushalten kann. Ohne die überseeischen Gerbstoffe kann aber unsere Gerberindustrie nicht mehr existieren. Jh hoffe, daß wir den Be des Abg. Freiherrn Heyl zu Herrns- heim mit großer Mehrheit ablehnen im Interesse der deutshen In- dustrie und der deutschen Arbeiter. y i
Abg. Werner (Refpy.): Der Staatssekretär {loß mit dem Worte: Schuß der nationalen Arbeit! Seine ganze Rede aber galt nur den Interessen der Industrie. Hat die Arbeit der deutschen Landwirthschaft denn keinen Anspruch auf Shuß? Weil unsere Landwirthschaft niht mehr kaufkräftig ift, deshal gebt es unserer Industrie {lecht. An der Nothlage der Landwirthschaft aber find die miserablen Handelsverträge uld. (Vize-Präsident Freiherr von Buol rügt den Ausdruck „miserabel“ in Anwendung auf eine E des Deutschen Reichs, die unter Mitwirkung des Reichstags zu stande gekommen sei.) Welche Stellung die Linke zur Land- wirthschaft einnimmt, geht deutlich genug aus „der Bemerkung des Abg. Frese hervor : man müsse den argentinischen Handelsvertrag be- stehen lassen, damit die Besißer argentinisher Papiere in Deutschland niht geshädigt würden. Also dafür, daß unkluge Leute sih durch die Reklame der jüdishen Presse zum Ankauf von argentinischen Papieren verleiten ließen, soll die deutsche Landwirthschaft En! Meine sämmt- lichen E onbenoen sind für den Antrag des Abg. Freiherrn Heyl zu Herrnsheim, weil er die Interessen der deutshen Landwirthschaft wahrnimmt. Das Heil für die Landwirthschaft aber erwarten wir
allerdings nur von dem Antrage Kanißt. Unser Streben geht dabin,
nach Argentinien gesprochen; er fagte,
45 Millionen Mark, und
Abg. Dr. von Frege (d. tons.) : eine Revision unserer Handelsverträge anzubahnen. ¡Die erste Autorität in diesen Fragen, der Fürst Bismarck, hat erklärt, däß das System der Meistbegünstigungsverträge niht so angewandt worden sei, wie es bätte angewendet werden follen. Wir bedauern, daß uns bezüglich der leßten Tarifverträge der Weg der Revision abgeschnitten ist. Argen- tinien gegenüber haben wir aber die Möglichkeit, sofort eine Besser: stellung zu erlangen. Argentinien erhebt völlig willkürlihße Zölle, und es ist Deutschlands unwürdig, diesen Zustand andauern zu lassen. Brennender noch als die Frage der Stellung Deutschlands zu Argentinien, balte ich aber die Frage eines Zusammensh es der europäis\chen, Staaten zu einer Zollunien gegen Amerika. Desterreih-Ungarn und Rußland dürften in gleiher Weise, wie wir, üble Erfahrungen mit den amerikanischen Staaten gemaht haben, sodaß der Gedanke einer Zollunion bei diesen Ländern vielleiht jeßt {hon Anklang finden würde. Das Festhalten dieses Planes kann uns aber nicht hindern, uns durch den Antrag Heyl {on jeßt Argentinien T zu shüßen. Wenn ih bedenke, daß wir einem Staat wie Argentinien eine Art Prämie für die Einfuhr von Getreide zahlen in einer Zeit, wo unsere Landwirthschaft am Rande des Verderbens steht, so sage ih: bier ist nothwendig, sofort Remedur zu schaffen!
Abg. Dr. Barth (fr. Vg.): Die Agrarier verlangen \tets Maß- regeln zum Schuße der Landwirthschaft, aber sie haben bis jeßt noch feinen durchführbaren Gedanken geäußert. Eine europäische Zollunion gegen Amerika ist eine Utopie. Die Verweisung des Antrags Heyl an œine Kommission halte ih für völlig überflüssig, da unsere M abais: verbältnisse mit Argentinien und damit auch die Folgen des Antrags Hevl durchaus fklargestellt sind. Neue Aufs{lüfse darüber können in der Kommission niht gegeben werden. Wenn fo die Kommissions- berathung nihts nüßt, fo läßt sih doch nicht sagen, daß sie unshädlich sein würde; denn sie würde das ganze Land eine Zeit au in Page g lafsen und unsere Exportindustrie beunruhigen. Die Berufung auf die \{lechte Valuta Argentiniens ift hinfällig; gerade eine schlechte Valuta bindert den Aufschwung eines Landes, und unsere Industrie sollte eigentli ganz zufrieden damit sein, daß in Argentinien eine s{hlechte Valuta bestebt ; denn diese is der Hauptgrund für den großen Export unserer Industrie nah Argentinien. Die Befürchtung, daß wir eines Tages mit argentinischem Weizen vollständig übershwemmt werden könnten, entbehrt jeden Grundes. Jedenfalls würde aber, selbs wenn das Gegentheil der Fall wäre, der Antrag Heyl keinen Zweck haben; denn der argentinische Weizen, der gewachsen ist, kommt auch auf den Weltmarkt. Die einzige Folge der Ausführung des Antrags würde also eine Schâdi g unserer Industrie und eine künftlihe Ver- theuerung des wihtigftens Nahrungsmittels des Volks sein.
__Abg. Graf von Oriola (ub): Die Gründe, welche gegen unseren Antrag vorgebraht werden, find nit durchs{lagend. Graf Caprivi hat bei, Vorlegung des öfterreichif ndelsvertrags er- flärt, er werde dafür sorgen, daß von unserer Seite nihts gegeben würde, ohne daß eine vollwerthige Gegenleistung gewährt würde. Die neuen Handelsverträge haben aber das Gegentheil bewiesen, und wir sind genöthigt, die Schädigungen, welche uns dadur zu theil geworden find, auf anderem e zu mildern. Dieser Absicht entspringt unser wvorliegender ntrag. Die Nothwendigkeit desselben wird \chon allein durch die Thatsache bewiesen,
Argentinien ies: vollständig willkürlich feine Zölle festsezt. Argentinien | übt seine Landwirthschaft durch alle möglichen Jolle; der Zuckerzoll in Argentinien beträgt z. B. 100% vom h. Üad ba will n es E. eo ace ügen wir Es E
gegen den argentinis zen wollen? Vor einem _Zollkriege mit Argentinien braucht ra unsere Induftrie nicht zu
- Minister Dr. Miguel
: Argentinien hat viel zu großes Interesse an dem Abfaß rae Rohprodukte, als daß es ¡u Repressalien ent\{l würde. Die Behauptung von einer Gefahr der Ausdehnung des Weizenbodens in Argentinien ‘ist vom Staatssekretär herrn von Marschall nicht widerlegt worden. Im Rheinland wir vom argentinishen Weizen derart überschwemmt, daß unser eigenes Getreide unverkfäuflich is. Die Theorie vom Weltmarktpreis ist eine völlig irrige; sie wird nur benußt zur Irreleitung der öffent- lihen Meinung. Mi t unsere Ansichten sind eine Utopie, wohl aber der absolute Freihandel, wie der Abg. Dr. Barth \sih ihn denkt. Selbst wenn der Industrie aus der Aufhebung des Vertrags mit Argentinien ein Nachtheil erwüchse, würde ih dafür eintreten, sofern nur der Landwirthschaft ein Nußen entstéht. Der preußische Finanz
Yat, nachdem der russishe Handelsvertrag ab- geshlofsen war, selbft gesagt: bisher sei für die Industrie geforgt worden, die nächsten dreißi Jahre müßte einmal für .die Landwirthschaft gesorgt werden. bleibt die Stetigkeit, die der Staatssekretär Arc von Marschall als Folge des Abshlusses der Handelsverträge binstellt, wenn Argentinien alljährlich seine Finanzöôlle verändert? Die Grund- lage unserer Landwirthschaft ist und bleibt der Körnerbau. Ich sehe
° die jetzige Noth ver Landwirtbschaft als eine Noth der Gesammtheit
unseres Volkes an; jeßt {on is sie nicht mehr eine Noth der Bauern in den Dörfern, sie erstreckt sich {hon auf die kleinen Städte und wird sihch auch noch auf die großen Städte übertragen. Der Bauer ist die beste Stütze der heutigen Gesellschaftsordnung, ich hoffe, daß in den nähften Wochen noh etwas“ zu stande kommt, was dem deutshen Bauern und damit dem deutschen Volk zum Segen gereicht.
Abg. Ehni (südd. Volksp.): Meine politishen Freunde werden den Antrag ablehnen. Die Interessen unserer Wähler sind ohnehin {hon {wer genug durch den Zollkrieg mit Rußland geschädigt worden. Der Antrag erregt erneut Beunruhigung. Die Aufhebung des Ver- trags würde einen großen Theil des bisherigen Absaßzgebiets unserer úIndustrie vershließen und so unsere Industrie \hädigen.
Abg. Hilpert (b. k. F.) spriht sich für den Antrag aus, wobei er auf die Noth der Landwirthschaft hinweist. Der kleine Arbeitgeber sei jeßt in der Landwirthschast \\hlechter gestellt, als der Arbeiter selbft. ;
Abg. Graf von Arnim (d. kons.): Jh gebe zu, daß ih mich estern darin geirrt habe, daß ih gesagt habe, der Vertrag von 1857 fei zwischen Arzeutinión und Preußen -abgeschlossen; es war nicht Preußen, sondern der Zollverein. Aber der Zollverein hat fich mit gebundenen Händen Argentinien überliefert. Mit der Kündigung des Handelsvertrags soll nih# cin Vakuum geschaffen werden, sondern wir wollen nur freie on bekommen, um einen neuen Vertrag mit Ar- gentinien zu {ließen. Auch Frankreich hat eine surtaxe d’entrepôt auf argentinishe Wolle gelegt. Wir müssen dahin streben, einen autonomen Tarif, einen Kampftarif zu schaffen, um den überseeishen Ländern gegenüber auftreten zu können.
Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats - Minister Freiherr von Marschall:
Meine Herren! Der geehrte Herr Vorredner hat ebenso wie die- jenigen Herren, die heute nah mir für den Antrag des Herrn Abg. v. Heyl gesprochen haben, mit einer besonderen Sorgfalt die Dis- kussion der Frage vermieden, ob und auf welchem Wege denn eigentli durh die Kündigung des argentinischen Handelsvertrages für unsere Landwirthschaft ein Nußen entsteht (fehr richtig! links), und das ift doch eigentlich das punctum saliens der ganzen Diskussion. Ih habe mih nah meinen Kräften bemüht, darzulegen, daß nah mensch{licher Berechnung aus der Kündigung des argentinisch-deutschen Handels- vertrags Nußen für die Landwirthschaft nicht erwachsen würde. Die Herren \ind darauf niht eingegangen, sondern haben mir ledig- lich damit erwidert, daß sie die Behauptung aufstellten, die ih niemals bestritten habe, nämlih daß die deutshe Landwirthshaft Noth leidet, und daß der Getreidebau das Fundament eines blühenden deutschen Bauernstandes sei. Das gebe ih unbedingt zu. Der Herr Vorredner hat dann gegen den Saß polemisiert, den ih gar niht ausgesprochen habe, und den, meiner Ansicht nach, niemand aus\prach, nämli: unter allen Umständen keinen Zollfrieg. Ich glaube, die verbündeten Regierungen haben gezeigt, daß fie auch vor einem Zollkrieg niht zurücks{chrecken, wenn damit ein für das Gesammtwohl von Deutschland nüßlihes Resultat erreiht werden kann. Aber allerdings einen Zollkrieg ins Blaue hinein zu beginnen — (oh! rets. Sehr wahr! links.) — verzeihen Sie mir, wenn ih diesen AusdruX gebrauhe — so lange sich die Herren Antragsteller niht einmal die Mühe geben, den Beweis dafür anzutreten, daß von einem Zollkrieg mit Argentinien oder von einer Differenzierung des argentinischen Weizens irgend ein Nußen für die Landwirthschaft entsteht, so lange, glaube i, fann man mit Recht sagen : man will hier einen Zollkrieg ins Blaue hinein beginnen.
Der Herr Abg. Graf von Arnim hat dann darauf hingewiesen, daß bei den Kommissionsberathungen, die in Argentinien alljährlih stattfinden zur Feststellung des neuen Zolltarifs, die Vertreter der fremden Länder zugelafsen seien, daß dagegen unser früherer Gesandter in - Buenos - Aires* niemals von diesem Reht Gebrauch gemacht habe; das habe in Handelskreifen verstimmt. Die Thatsache ist rihtig; unrichtig ift aber der Schluß daraus, daß unser Vertreter nicht für die deutshen- Interessen thätig gewesen sei. Jh muß es unseren Vertretern überlassen, in welcher Form und auf welchen Wegen fie unsere Desiderien dort zur Geltung bringen. Herr Dr. Krauel hatte Kenntniß von den Wünschen unseres Exports und wußte sie in fo nachaltiger Weise zur Geltung zu bringen, daß sie zu einem erbeblihen Theil in dem betreffenden Zolltarif berücksichtigt find, insbesondere auch binsihtlich der Festsezung des Werths der betreffenden Gegenstände.
Der Herr Abg. Graf von Arnim hat dann zum Beweise dafür, daß wir gegen das deutshe Intereffe der Argentinishen Republik ohne jede Gegenleistung die Meistbegünstigung unserer Handelsverträge gewährt bätten, sich auf den Art. 3 unseres Vertrages berufen, welcher von Gegenleistungen \priht. Der Herr Abg. Graf von Arnim hat damit einen falschen Artikel zitiert; Art. 3 unseres Vertrages spricht überhaupt nicht von Ausfuhr und von Einfuhr; von dieser handelt lediglih Art. 4, dessen Eingang wörtlich lautet :
Es sollen auf die Einfuhr von Natur- und Gewerbserzeugnissen der Länder eines der vertragegnden Theile in die des anderen Theils keine höheren oder anderers Abgaben als diejenigen gelegt werden, welche von gleichartigen Natur- oder Gewerbserzeugnifsen anderer Länder gegenwärtig oder künftig zu entrihten find.
Von irgend einer Bedingung der Gegenleistung if hier nicht die Rede. Ih möchte auch sehr dringend davor warnen, den Begriff der Meistbegünstigung fo zu interpretieren, wie das in den Vereinigten Staaten unter der Herrschaft der Mac Kinley-Bili zu dem Zweck geschehen ift, um im Wege von sogenannten Reziprozitätsverträgen die europäishen Produkte von den nordamerikanischen Staaten aus- zushließen. (Bravo!)
Das Schlußwort erhält dann der
Abga. E eyl zu Herrnsheim (nul.): Die handels- politis. ophezeihungen des Staatssekretärs fich so wenig bewahrheitet, daß man auch beute in seine Ansichten rvenig Vertrauen
stimmen werden, ohne daß sie jeßt die
\ kann. Jh ihm das Recht, zu behaupten, eet einmal die Mühe gegeben habe, Beweis dafür daß die Kündigung des
würde. Wenn diefer Hande! so ift das eine Handelsp: klärungen des : daß nj in eine Politik der einseitigen ug ändnisse festgerannt ß, — Was die Verweisung des Antrags an eine Kommis, anlangt, fo bin ich von einer Anzahl meiner politifchen Frey, mit der Erklärung beauftragt worden, daß sie für die Ueberweisy, einzutreten. Es ist ibnen nur darum zu thun, zu einer Klärung diz" Frage zu gelangen. :
In namentlicher Abstimmung beschließt darauf das Haus nj
ju errnsheim und Genossen an eine Kommission 1 H zu überweisen.
146 Heren 78 Stimmen, den Antrag der Abgg. Freiherr Hey : Vor Schluß der Sißung um 53, Uhr.
Preußischer Landtag. Herrenhaus. 3. Sitzung vom Donnerstag, 14. März.
Der Sigzung wohnt der Minister der öffentlichen Arbeit,
E a e Präsident Freih Manteuffel
er Vize - Präsident Freiherr von Manteuffel wi
aan dem verstorbenen Zweiten Vize-Präsidenten o ürgermeister Bötticher einen Nachruf.
Verstorben sind außerdem die Mitglieder des Paus: Graf von Werthern-Beichlingen, Graf von der Schulen: burg-Wolfsburg, Dr. Grimm, Fürst zu Rheina- Wol: beck und von Körber-Körberode, zu deren Ehren sich dg Haus von den Pläßzen erhebt. /
Neu in das Haus berufen sind: Graf Anton z Stolberg-Wernigerode und A Seydlig.
Vom Minister der öffentlih-n Arbeiten Thielen ist Schreiben eingegangen, worin er im Jnteresse der Durchführun der neuen Eisenbahnorganisation um eine Beschleunigung dz Etatsberathung bittet.
Vize-Präsident Freiherr von Manteuffel ist der Meinux daß das Herrenhaus den Etat \tets so {nell erledigt habe, daß des Schreibens nicht bedurft bätte.
Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Wenn ih mir gestattet habe, an dieses bi Haus die Bitte um eine freundlihe Berücksichtigung der Nothlage richten, in welher sich die Staatseisenbahnverwaltung angesichts am 1. April dieses Jahres sich vollziehenden Neuorganisation befin so bin ‘ich mir darüber vollständig klar und bewußt gewesen, daß Ÿ Verzögerung der Etatsarbeiten in diesem Hause der ganzen Gepfloz heit des Hauses nicht entsprehen würde und auch nicht zu erwar ist; aber ih bitte gütigst bei der Beurtheilung dieser meiner Bit niht aus dem Auye zu lassen, daß sie in dem gleihen Maße m mit den gleihen Worten, der Parität beider Häuser entsprechend, ai an das Abgeordnetenhaus gerichtet war, und daß diese Bitte dd wohl in der Natur der Verhältnisse begründet und am Platze geweiz sein dürfte. (Sehr richtig !)
Meine Herren, ich muß noch in anderer Hinsichi um Ihre Nast bitten, wie ih das auch bereits bei der ersten Berührung mit de Eifenbahnkommission dieses hoben Hauses gethan habe — ih b die Eisenbahnkommission dieses hohen Hauses gebeten, diese men Erklärung den einzelnen Mitgliedern des Herrenhauses zugängli® z machen, — die Bitte um gütige Nachsicht, daß eben aus derselta Nothlage beraus der Minister der öffentlihen Arbeiten in dies Fahre veranlaßt worden ift, vor der definitiven und formellen F stellung des Etats bereits Maßregeln auszuführen, die auf diesem Ei fundiert find.
Meine Herren, ich glaube kaum einer weiteren Ausführung de jenigen Gründe zu bedürfen, welhe dazu die Staatsregierung væ anlaßt haben.
Die Neuorganisation der Staatseisenbahnverwaltung ift ein vollständige Umwälzung des bisher Bestehenden. Es werden sämt liche bisher bestandenen Direktionen in ihrem inneren und äußeren stand aufgelöst und verändert, es werden statt der bfsherigen 11 Dir tionen deren 20 eingerihtet, es werden die bisher bestehend 75 Betriebsämter aufgelöst, es werden etwa 500 neue Inspektion eingerichtet, es wird ferner — und es ergab sich das als dura nothwendig — die ganze innere Organisation der Verwaltung # Bezug auf das Kassen-, Rehnungs- und Wirthschaftswesen vollftändi umgeändert. Es werden vom 1. April ab in der Beziehung ganz n Formen und ganz neue materielle Bestimmungen in Kraft trei Das ließ \sich nicht über Naht machen; es war dazu eine gewi? Vorbereitungszeit nothwendig, es mußte in die Ausführung eingetr werden bereits eine gewisse Zeit vor dem 1. April und also au vor Festselung des Etats, selb wenn man mit Sicherheit bätt erwarten dürfen — was ja vielleiht jeßt zu hoffen if — daß der Etat vor dem 1. April d. J. verabschiedet werden wü Es würde au selbs in diesem Fall die Spanne Zeit viel zu fi gewesen sein, um alle diejenigen Maßregeln auszuführen, die- e mögliht haben würden, am 1. April ohne Reibung und ohne daß n irgend einer Richtun& hin in dem großen Rädergetriebe der Stac® eisenbahnverwaltung ein Rucken und Zucken \ih bemerkbar mat, !! Neuordnung dur{hzuführen.
Ih bitte daher, wie ih die gleihe Bitte seiner Zeit aud 2 das Abgeordnetenhaus gerichtet habe, auch diefes hohe Haus um Ne sicht, * daß hier etwas gesehen ist, was \sich mit den strengen f stitutionellen Regeln niht vereinigen läßt, was aber unter den d waltenden Umständen unvermeidlich war. (Bravo!) :
Der Bericht über die Ergebnisse des Betriebs der pre hen Staatseisenbahnen im Betriebsjahre 1893/94 wird durä
Kenntnißnahme für erledigt erklärt.
Desgleichen der Bericht über die Bauausführungen ud Beschaffung der Eisenbahnverwaltung während des Zei vom 1. Oktober 1893 bis dahin 1894, und die übersi Darstellung des Ergebnisses der im Jahre 1894 stattg Verhandlungen des Landes-Eisenbahnraths. d
Uéber eine Petition des Vereins deutsher Spediteurt ® Leipzig, betreffend die von der Versammlung der - interefsenten in Bezug auf Staffeltarife für Eisenbahnen Wasserstraßen gefaßten Resolutionen, geht das Haus ? Tagesordnung uber.
Damit if die Tagesordnung erledigt.
Graf von Klinckowström: Es geht das Gerücht, daß diesmal wieder nur auf zwei oder drei Tage zusammengekommen Das ift im Interesse der Herren, die weither kommen, sehr
trilärt hatte, die Herren würden ihre
gs
E den Herrn Vize-Präsidenten bitten, den
, und 4h mie daß wir nur E it werden, T E bungsmaterial baben.
äsident Freiherr von Manteuffel: Wir werden noch und übermorgen Sißungen halten. Ih nehme an, daß_in e 3führungen des V ners fein Vorwurf gegen den Präsi- “Tiegen follte. Der Präsident hat jedenfalls geglaubt, daß die T ratbung im Abgeordnetenhause soweit gefördert sein würde, et auch hier die Etatsberathung stattfinden kônne. ift j all, und fo wird zu meinem Bedauern der Fall eintreten,
t e E 10—12 Tagen wieder zusammenkommen müssen.
Sqluß 3!/2 Uhr.
ats
Haus der Abgeordneten. 43. Sizung vom Donnerstag, 14. März.
Auf der Tagesordnung steht die dritte Berathung es Staatshaushalts-Etats. : j
Ueber den Beginn der Sißung ist bereits gestern berichtet orden. Wir tragen hier nur die nen ngen des Ministers
öffentlichen Arbeiten Thielen auf die Aeußerungen der bgg. «id (nl.) und Cahensly (Zentr.) im Worit- na).
Dem Abg. Lohmann erwiderte der
Minister dèr öffentlihen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Die Frage des Herrn Abg. Lohmann kann i dahin ntworten, daß die Verhandlungen noch niht zum Abschluß ge- amen sind. Ih möchte aber ganz kurz auf seine thatsächlichen „führungen noch Folgendes erwidern: Die Stellen der teh- hen Hilfsarbeiter und Vertreter bei den Inspektionen sind ; allgemeinen nicht für afkademisch gebildete Baumeister vor- chen, sondern in der Regel sollen damit Techniker mitt- er Ausbildung betraut werden — Techniker, die zunächst als zuingenieure arafterisiert wurden, später aber auf wiederholte deflamationen seitens der akademisch gebildeten tehnishen Kreise den tel „Technische Eisenbahnkontroleure“ erhalten haben. Die Hilfs- eiter bei den Direktionen sind wesentlich vorübergehend beschäftigte duumeister, die zu den bezüglichen -Arbeiten der Direktion im Laufe 1 Zeit herangezogen werden, um dieselben kennen zu lernen. Sie km in der Beziehung genau auf derselben Stufe wie die nicht témäßig angestellten Assessoren bei den Direktionen.
Auf die Beschwerde ‘des Abg. Cahensly über die Ueber-
ng der Lokomotivführer entgegnete der
Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Auf die Einzelheiten, die der Herr Abg. Cahensly prgetragen hat, kann ich nicht antworten, da mir natürliherweise der rbeité- und Dienstplan der Lokomotivführer im Betrieb8amt Wies- ¿den augenblicklich nicht gegenwärtig ist. Allein das kann ih ver- hern, daß im ganzen Bereich der Staats: Eisenbahnverwaltung die enstlihe Beschäftigung der Beamten nah bestimmten Regeln geordnet } Werden diese Regeln im Betriebs8amt Wiesbaden überschritten 2h Meinung des Herrn Abg. Cahbensly, so würde er, glaube i, viel fer im Interesse der Beamten handeln und namentlich viel forg-
jger die Disziplin der Beamten wahren, wenn er sich direkt an 1 Minister gewandt hätte, anstatt in dieser Art und Weise hier im hause die Verhältnisse der Beamten zur Sprache zu bringen. (Sehr tig! rets.)
Meine Herre, ih muß auch bestreiten, daß die nackten Zahlen, je der Herr Abg. Cahensly vorgebraht hat, irgend einen Beweis r die Ueberbürdung der Beamten bringen. Denn, meine Herren,
Herr Abg. Cahensly weiß zweifelsohne, daß in diesen hlen erheblide Ruhepaujen mit enthalten find, namentlih it enthalten find bei allem Rangier- und Betriebs8dienst und daß dur das eigentlihe Arbeitspensum der Lokomotivbeamten wesentli fduziert wird. Es wird von mir auf das strengste darauf gehalten, af die Betriebsbeamten keine Ueberbürdung erleiden. Bei jedem Infall, der überhaupt passiert, wird auf das genaueste- untersucht,
n der Beamte in Dienst getreten und wann das igzluck passiert is, und ob aus diesen beiden That- ben irgend ein Schluß auf Ueberbürdung gezogen werden fann. Bravo! rechts.) Wenn der Herr Abg. Cahensly angeführt hat, aj nach seiner Meinung die mannigfachen Betriebsunfälle wohl iht ohne Grund auf die Ueberbürdung der Beamten zurückzuführen ren, so kann ich ihn in dieser Beziehung vollftändig beruhigen. fs find allerdings einzelne Entgleisungen auf der betreffenden Strecke orgekommen ; die haben aber mit dem Betriebsdienst nichts zu thun, ndern sind auf Mängel in der Beschaffenheit des Oberbaues zurück- führen. Der Herr Abg. Cahensly kann fi versichert halten, daß teinerseits die strengste Aufsicht über den Betriebsdienst der Eisen- ahnbeamten auch in Zukunft gehandhabt werden wird. (Bravo! ets.)
Bei dem Etat der Ansiedelungs- Kommission nahm ah dem Abg. Dr. von Jazdzewski das Wort _ Abg. von Tiedemann-Bomst (fr. kons.): Es wird wohl lemand von mir erwarten, daß ich auf die Ausführungen des Vor- dners eingehend antworte; sie stehen zu tief, um von mir beachtet u werden. Der Abg. von Jazdzewski hat mir erst vor fünf Minuten Mittheilung gemacht, zu einer Zeit, wo er wußte, daß ih das Material iht herbeishaffen konnte, welhes ich zur Widerlegung brauchte, bgleih der Vorsißende dec polnischen sraltion, Abg. Motty, mir
eshwerden in der dritten
ésung vorbringen. Ist es ritterlih, wenn der Abg. von Jazdzewski ‘manden angreift, von dem er weiß, daß er seine Waffen nicht ti sih hat? Was die beiden von ihm angeführten Fälle betrifft, fo abe ih dieselben vorgetragen auf Grund von mir zugegangenen Be- ten, die die Unterschriften von mir als absolut zuverlässig bekannten 'rsônlichkeiten trugen, und der Umstand, daß ich in dem einen Falle Wueêdrüdlih auf meine Smmunität als Abgeordneter verzichtet habe, tigt wobl, daß ih vollkommen bona fide gehandelt habe. Es steht auptung gegen Behauptung. i i
Ubg. Dr. von Jazdzewski: Eine Behauptung ift so lange uhr, bis das Gegentheil nahgewiesen wird. Wenn hier Behauptung gen Behauptung steht, so ist mir doch “die Behauptung eines Chren- U O mehr werth als die der obsfuren Hintermänner des Abg. “n Wiedemann.
,_ Veim Etat des Ministeriums für Handel und 2twerbe bittet Abg. Dr. vonLieres und Wilkau (b. k. F.), der Stadt Reichen- ae die dort bestehende Webeschule nit zu große Lasten auf-
Mi : E . Berleps he für Handel und Gewerbe Freiherr von Meine Herren! Die Errichtung der Webeshule in Reichenbach
3 mir außerordentlih am Herzen. Dem Hertn Vorredner wird \ bekannt sein, daß die Regierung si die möglihste Mühe gegeben
z ,
hat, das zu erreichen. Wenn an die Stadt Reichenbach Forderungen geftellt oder wiederholt find, die ihr als zu hart erscheinen, so ift es geschehen, um dàs Zustandekommen der Schule zu sichern.
Ich erkenne an, daß es sich- um die Errichtung einer Anstalt handelt, die nicht aus\{ließlich im Interesse der Stadt Reichenbach liegt, sondern der ganzen Weberei der dortigen Gegend, auch dem Gulengebirge zu gute kommen soll. Ih bin deshalb nach Kräften bemüht, der Stadt Reichenbach die Lage zu erleihtern, und ih hoffe, daß die benahbarte und sonst betheiligte Industrie hilfreihe Hand [leisten wird.
__ Bei der Berathung des Etats der Justizverwaltung nimmt
__ Abg. Kelders (nl.) Gelegenheit, den Neubau eines Amtsgerichts in Solingen zu befürworten.
Justiz-Minister Schönstedt: .
Das Unzureichende der Geschäfts- und Gefängnißräume bei dem Amtsgericht zu Solingen wird, wie Sie aus den Bemerkungen des Herrn Abgeordneten entnommen haben, seitens der Justizverwaltung in vollem Maße anerkannt; es if ihr@æseits au alles gesehen, um diesen Uebelständen abzuhelfen. Sie haben gleihfalls aus den Be- merkungen des Herrn Vorredners entnehmen können, daß Pläne zu einem Neubau ausgearbeitet sind, und zwar folche, die, wie ih glaube, nach jeder Richtung befriedigen würden, wenn sie zur Ausführung gelangen. Daß im nächsten Etatsjahr noch nicht hat zur Ausführung geschritten werden können, liegt lediglih an der Finanzlage des Staats. Es ist der Neubau zum Etat angemeldet worden, aber die Mittel dazu haben nicht verfügbar gemaht werden können. Zum ‘Etat 1896/97 wird zweifellos wiederum der Neubau in Solingen seitens der Justiz- verwaltung angemeldet werden, und ih hoffe, daß es alsdann ge- lingen wird, die nothwendigen Mittel dafür zu finden.
Im übrigen werden sich ja die Uebelstände, die beim Amtsgericht in Solingen unbestritten bestehen, einigermaßen dadurch mildern, daß zum 1. April eine gewisse Entlastung des Amtsgerihts dadurch ein- tritt, daß das vom Amtsgeriht zu Solingen abzuzweigende Amts- geriht Ohligs ins Leben tritt.
Beim Etat des Ministeriums des Jnnern erklärt __ Abg. Freiherr von Zedlitz (fr. kons.): Jh bin von der Direk- tion des Deutschen Theaters in Berlin gebeten worden, eine Be- hauptung richtig zu stellen, die ih bei der zweiten Lesung des Etats über sozialdemokratishe Demonstrationen bei der Première der „Weber“ im Deutschen Theater und über die herverragende Rolle, welche die Abgg. Singer und Liebknecht im Parquet dabei gespielt hätten, gemaht habe. Jch hatte mich dabei auf einen Bericht geblie, der durch eine ganze Reihe von Zeitungen gegangen war.
ch habe mich nun davon überzeugt, daß in Zeitungen, wie die „Kreuzzeitung*, die „Vossishe Zeitung“, das „Fremdenblatt“ und die „Hamburger Nachrichten“ eine andere Darstellung gegeben war und daß nah diesen Berichten die Pläße bis zum zweiten Rang nicht von der Arbeiterbevölkerung, sondern von anderen Kreisen besetzt waren. Ich stelle das hiermit richtig. Gleichzeitig aber kann ich niht umhin, mein lebhaftes Bedauern darüber auszudrücken, daß Blätter wie der „Vorwärts“ und das „Volk“ ih berufen gefunden haben, die Meinung zu verbreiten, als habe der Minister den Versuch gemat, auf die Unabhängigkeit und Integrität des Ober-Verwaltungs- gerihts Einfluß zu üben.
Abg. Graf von Strachwiß (Zentr.) bittet den Minister, Sorge dafür zu tragen, daß die Bestimmungen über Tanzlustbarkeiten streng innegehalten werden, infonderheit au eine Deklaration über den Begriff der „geschlossenen Gefsellshaften®* zu geben. Die Sache sei fehr ernst und |chneide tief in das Volksleben ein.
Minister des Jnnern von Köller:
Es ift rihtig, wie der Herr Abg. Graf Strahwißz bei Beginn seiner Rede bemerkte, daß ih nicht in der Lage war, bei der zweiten Lesung auf seine Anfrage zu antworten, weil ih im Augenblick im Hause niht anwesend war. Ich würde sonst dem Herrn Abg. Graf Strahwiy schon damals geantwortet haben und will, da er beute seine Frage wiederholt, versuhen, ob ich ihm eine Antwort geben kann, die ihn befriedigt.
So ganz leiht is die Frage, die Herr Abg. Graf Strahwitz gestellt hat, nicht zu beantworten. S0 e Wu daß, wie Herr Graf Strahwit geklagt hat, auf vem Lande und infonder- heit auf dem platten Lande vielerorten Unfug getrieben wird mit Tanzlustbarkeiten, die abgehalten werden. Ich gebe ferner zu, daß vielerorten das junge Volk verführt wird, seinen sauer erworbenen Lohn bei derartigen Vergnügungen, bei Tanzlustbarkeiten , bei Kneipereien u. \. w. wegzugeben, anstatt, was viel beffer wäre, davon einen erheblichen Theil zu sparen. (Sehr richtig!) Nun aber sagte Herr Graf Strachwiß, es wäre wünschenswerth, daß vom Ministerium aus in dieser Beziehung einheitlihe Gesichtspunkte aufgestellt würden, daß, wie ih ihn verstanden habe, man etwa von der Zentralinstanz aus sagen sollte: es darf nur so und so oft getanzt oder öffentlihe Tanz- musik gemacht werden. Ich glaube, daß in der Beziehung eine Zen- tralisation undurchführbar und unmöglich ist. Es giebt Gegenden — ganze Kreise und Provinzen —, wo das Volk nunmal leichter dazu neigt, fröbhlih zu sein, zu tanzen, auch ein Glas Wein dabci zu trinken, und es würde, glaube ih, nicht gerechtfertigt sein, ihm solch harmloses Vergnügen zu stören, alle Gegenden der Monarchie durch ein Ne- gulativ gleich zu behandeln und etwa den Grundsaß auszusprechen: es darf überall nur ein- oder zweimal wöcentlih in einer öffentlichen Kneipe getanzt werden. (Heiterkeit.) Ich glaube, daß es viel rihtiger ist, die Entscheidung der Frage, ob man Tanzvergnügungen häufiger oder seltener zulassen soll, zunähst in die Hand der Ortspolizeibehörden zu legen. Es sprehen gar zu viele örtliche Fragen und Sachen mit, und wo das der Fall ift, kann man nicht von oben her reglementieren, sondern muß den Lokalbehörden die Entscheidung überlafsen, ob die Tanzerlaubniß zu geben oder zu ver- sagen ist. Dabei will ich nit unterlassen, auszusprechen, daß es mir nicht wünschenswerth erscheint, wenn die Polizeibehörde durch zu häufige Erlaubnifse auf dem platten Lande die Tanzlustbarkeiten befördert, sondern daß ih es für rathsam halte, insonderheit dort, wo sih an solche Tanzlustbarkeiten {on unangenehme Ruhestörungen an- geschlossen haben, oder wo die jugendlihe Bevölkerung dazu neigt, Excesse zu begehen, öfter zu verbieten als zu erlauben.
Ferner handelt es sich um die Frage, was man unter öffentlichen Tanzlustbarkeiten zu verstehen hat. Herr Graf Strahwiß hat bei seiner vorigen Rede und auch heute wieder gefragt: was if eine ge- \{lossene Gesellschaft? Die Motive, weshalb er die Frage stellt, sind eben die, daß geshlofsene Gesellshaften polizeilihe Erlaubniß zur Veranstaltung von Tanzlustbarkeiten garnicht oder niht in dem Maße nöthig haben, wie andere Unternehmer. Es ift fehr s{wer, die Frage des Herrn Grafen zu beantworten. Zumeist aus einem formellen Grunde, weil nämlich zuleßt der Richter darüber zu entscei-
den hat, ob eine Gesellschaft als eine ges{chlofsene oder eine nit ges{lossene anzusehen ift, und ob demnach die von ihr veranstaltete Tanz- lustbarkeit eine öffentlihe oder eine iht öffentlihe war. Denn wenn ein Wirth eine Tanzlustbarkeit ohne polizeilihe Genebmigung ver- anstaltet, so wird gegen ihn eine polizeilihe Strafe festgSßt, und gegen diese Festseßung steht ihm rihterlihes Gehör ofen. Das Gericht wird also endgültig darüber zu entsheiden haben, ob im einzelnen Fall eine ôffentlihe Lanzluftbarkeit abgehalten wurde
“oder ob es eine geshlossene Gesellschaft war, welche sie veranstaltete,
und ob daran nur deren Mitglieder und eingeladene Gäste theilnahmen. Lichte? wird man sagen können, was nit unter einer ges{chlofsenen Gesellschaft zu verstehen sei. Zum Beispiel wenn ein Gast- wirth öffentlich anzeigt, daß bei ihm ein Tanzvergnügen stattfinde : man fann bei ihm bineingeßen ohne Entrée, es kann am Tanze theilnehmen, wer will; zur Bestreitung der Kosten wird vielleicht eine Kollekte erhoben oder der bekannte Tanzgroschen eingezogen — das sind alles ôffentlihe Lustbarkeiten. 0
Aber ih gehe noch weiter: auch wenn von einer ges{lofsenen Gesellschaft Entrée erhoben wird und sie die Anzahl der Theilnehmer durch nihts beshränkt, wenn jeder, der hinkommt und seine 20 § Entrée zahlt, sich betheiligen darf, so würde ich auch das für öffentlide Tanzlustbarkeiten halten. Auch dann, wenn ein Verein oder einige Privatleute, -die \ih- -zusammen- gethan haben, eine Tanzlustbarkeit ansezen und in den öffentlihen Blättern oder durch Bekanntmachung zur Theilnahme daran gegen Entrée einladen, so werden unter Umständen auch solche Tanz- vergnügen als öffentlihe gelten müssen. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß Tanzlustbarkeiten, welche nur besuht werden dürfen von eingeladenen Leuten, zu denen vielleiht niht einmal Billets ausgegeben werden, feine öffentlichen sind.
Zur Zeit {weben hier ein paar Sachen, die der richterlichen Entscheidung unterbreitet worden sind; es muß abgewartet werden, wie die Gerichte entsheiden. Nach Ansicht der hiesigen Polizei- behörden haben öffentlihe Tanzlustbarkeiten stattgefunden, und der Wirth is infolgedessen bestraft worden. Der Wirth behauptet dagegen, es habe nur der hereingedurft, der sein Entrée gezahlt und vorher persönlich aufgefordert sei, dort theilzunehmen. Aus solchen Fällen wollen Sie sehen, daß die An- sichten der Polizeibehörden und der Gerichte leiht divergieren können. Wird der von der Polizei bestrafte Gastwirth von dem Gericht ver- urtheilt, fo find Polizeibehörde und Gericht einer Ansicht und damit würde ein Grundsatz festgestellt sein.
Zunächst wird die Frage, was eine geschlossene Gesellshaft sei, der Entscheidung der Polizeibehörde vorbehalten bleiben müssen, und im Laufe der Zeit wird sich vielleiht durch rihteclihe Entscheidung ein? feste Praxis in dieser Frage herausbilden.
Ich will niht unterlassen, zum Schlusse novch einmal zu be- merken, daß ih übertriebene öffentlihe Tanzereien in öffentlichen Lokalen für kein Glüdck halte und daß ih es freudig begrüße, wenn die Polizeibehörden sich bemühen, auf Ordnung in dieser Beziehung zu halten, ohne daß fie die berehtigten und harmlosen Vergnügungen der Bevölkerung stören.
Abg. Graf von Strachhwiß (Zentr.): Die Bauern be- {weren sih hauptsächlih darüber, daß in einem Kreise das Tanzen erlaubt ist, in anderen nicht. In der Frage, was eine geschlossene Gesellschaft sei, hat die Breslauer Ober-Staatsanwaltschaft 1886 eine recht bemerken8werthe Entscheidung gegeben. Manche Arbeiter ver- tanzen allein auf öffentlihen Tauzpläten in einer Nacht 5 bis 10 M, wenn jeder Tanz einen Groschen kostet. Der Minister muß diese Frage mit Ernst im Auge behalten.
Minister des Jnnern von Köller:
Meine Herren! Ich glaube, ih habe durch meine Ausführungen vorhin bewiesen, daß ih die Sache sehr ernt nehme. Jch bin dem Herrn Abg. Grafen Strachwitz dankbar, wenn er mich noch einmal daran er- innert, sie wiederholt ernstzu nehmen. J habe aber deutli ausgesprochen, daß ich die Sache ernst nehme, und daß ih es für ein Unglück halte, wenn unser junges Volk, anstatt sih etwas zu sparen, jeden Sonntag und vielleiht die Wochentage auch noch einmal zu ösffenilihen Tanz- belustigungen geht, wo es sein Geld verthut. Es ift eine sehr traurige Wahrheit, die der Herr Graf Strahwiß ausgesprochen hat, daß niht selten die jungen Leute — Burschen und Mädchen — wenn sie SonnaLends ihren Lohn bekommen haben, hin- gehen -und den Lohn zum großen Theil, wenn auch nicht, wie der Herr Graf Strachwitz sagt, mehr als ihren Lohn — das würde ihnen sehr {wer werden — für fsolche Vergnügungen vergeuden.
Meine Herren, der Herr Graf Strahwiß führte dann weiter aus, es sei niht richtig, wenn ih behauptet hätte, daß die Frage: was ist eine geschlossene Gesellshaft, doch zunächst die Polizeibehörde des Orts zu entscheiden habe. Ich muß diese Aeußerung troßdem voll- ständig aufreht erhalten. Meine Herren, wie kommt die Frage zur Kognition? Ein Gastwirth, will ih sagen, seßt ein Tanzvergnügen an, mit der Angabe, es handele sch um eine geschlossene Gesellshaft. Nun kann ih doch nicht von den Orts-Polizei- behörden verlangen, daß fie eine folhe Aeußerung des Gastwirths als eine unumstößlihe Wahrheit betrahten. Jh muß vielmehr der Orts-Polizeibehörde das Necht zugestehen, selbständig zu untersuchen und je nah Befund der Umstände zu sagen: wenn du Gastwirth auch zehnmal behauptest, es sei eine geschlossene Gesellschaft, so behaupte ih das Gegentheil. Infolge dessen inhibiere ih dieses niht polizeilich genehmigte Tanzvergnügen, wenn ih es noch fann, oder wenn es {hon stattgefunden hat, so bestrafe ih dich, weil du ohne Erlaubniß ein öffentlihes Tanzvergnügen abgehalten hast. Von vornherein hat und vermag nur die Orts-Polizeibehörde zu entscheiden, ob das veranstaltete oder demnächst stattfindende Tanz- vergnügen ein öffentliches oder kein öffentliches ist.
Nun entscheidet ja, wie Herr Graf Strachwit richtig sagt, die Orts-Polizeibehörde darüber nicht endgültig; denn wenn ich als Gast- wirth mit dem Strafmandat nicht zufrieden bin, dann habe ich das Recht, richterlihes Gehör nachzusuchen, und das Gericht hat endgültig darüber zu entscheiden, ob das Tanzvergnügen ein öffentlihes, der polizeilihen Anmeldung unterliegendes war, oder ob es sich im Kreise der geschlossenen Gesellschaft hielt, und ob deshalb die Strafe aufgehoben werden muß. Diese nach- trägliche rihterliße Entscheidung über die polizeilihe Strafe schließt aber keineswegs den Grundsaß aus, daß an erster Stelle die Polizei- behörde allein zu entscheiden hat und entscheiden muß, was eine ge-
lofsene Gesellschaft und was eine öffentlihe Tanzlustbarkeit ist. s E Gu Sitadoig berief sih auf ein Erkenntniß des Ober-
Verwaltungsgerihts, in dem die Frage klar gelegt sei. Gewiß,