1895 / 72 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 22 Mar 1895 18:00:01 GMT) scan diff

E E E,

S R E

ei a t E E r L R A rer i Lr See

Hauses gelangt. Das vierte Buch wurde im Oktober vorigen Jahres fertig gestellt und fam gleih nah Zusammentritt des Hauses hier zur Vertheilung. Die Bearbeitung des Erbrechts, dieses allerdings ja auh recht s\chwierigen Theils, nahm etwas längere Zeit in Anspruch, als wir im vorigen Jahre annahmen. Ich fkeue mich aber, jeßt sagen zu können, daß auh dieser Theil vor einigen Wochen vollendet worden is, und daß es aller Voraussicht nah“ möglih sein wird, nach nohmaliger Tepxtesrevision diesen Theil bald nach Ostern abzuschließen und, wenn die Herren hier wieder zusammentreten, ihnen zugänglich zu mah.

Damit sind die Aufgaben der Kommission für das Bürgerliche Geseybuch ihrer Hauptsahe nah beendigt. Es bleiben für sie noch zwei Aufgaben zu erledigen. Die eine besteht in einer noh- maligen Revision des ganzen Textes der nunmehr vorliegenden fünf Bücher, um Ungenauigkeiten auszuscheiden, Irrthümer zu beseitigen : Und die Redaktion des ganzen Werks in seinen verschiedenen Théilen in Einklang zu bringen. Für ein Werk, wie das Bürgerliche Geseßz- buch darstellt, bedarf es bei dieser Arbeit besonderer Vorsicht und Sorgfalt, und es is deshalb auch nicht zu verwundern, wenn die Arbeit voraus\ihtlich noch den Sommer in Anspruch nehmen wird. Ich kann aber darauf renen, daß dann, bei der, wie ih hier ausdrücklich zu meiner Freude hervorheben darf, unermüdlichen, hingebenden, bis an die Grenze des Möglichen gesteigerten Arbeitsleistung der Kommission jedenfalls auch nah dieser Rich- tung hin die Arbeiten vollendet sein, und daß wir im « Oktober das sahlich und formell fertige Werk der fünf Bücher des Bürgerlichen Geseßbuhs vor uns haben werden. Dann bleibt ‘für “die Kommission nur noch ihre leßte Aufgabe: die Fertigstellung des Einsührungsgesezes zu dem ganzen Geseßbuh. Auch diese Arbeit, meine Herren, ist keine einfahe. Es handelt sich darum: einmal, Vebergangsbestimmungen zu treffen für die Zeit der Veberführung aus den gegenwärtigen vershiedenartigen Landesredten in das neue Neichs- ret, zweitens um-die Umredigierung einer ganzen Reihe bestehender reihsrechtliher Bestimmungen, die von dem Inhalt des Bürgerlichen Geseßbuhs berührt werden, und endlich um die Feststellung der- jenigen Materien, in welchen dem Landesrecht vorbehalten bleiben

foll, eine selbständige und zum theil auch abweichende Regelung -

gegenüber dem Bürgerlichen Geseßbuh zu treffen. Jch hoffe, daß diese Aufgabe ebenfalls noch vor Schluß des laufenden Jahres wird zu Ende geführt werden können, daß also mit dem Schluß des Jahres au das Einführungsgeseß, sahlih und formell fertig gestellt, an den Bundesrath wird gelangen können. Damit ist dann die Arbeit der Kommission definitiv erledigt. i Nun gestatten Sie mir vielleicht im Anschluß hieran, und weil auch die Anfrage des Herrn Vorredners sih zum theil noch auf eine weitere Zukunft erstreckte, noch einige Bemerkungen zu machen über die Behandlung, die der so fertig gestellte Entwurf des Geseßbuchs beim Bundesrath wie auch hier im Reichstag zu erfahren baben wird. Wir werden uns ja allerdings, namentlich was den Rejchstag be- trifft, über diese Frage definitiv erst im nächsten Hexbst zu ver- ständigen haben; ih glaube aber do, daß es richtig ist, wenn ih die allgemeinen Gesichtspunkte {hon jeßt berühre, damit wir unter Beachtung der Methode, die wir verfolgen wollen, auch mit einiger Siterheit beurtheilen können, wann wir zu einem abshließenden Ergebniß unserer Arbeiten gelangen können. j j Nun, meine Herren, glaube ih, wird darüber: nit bloß, wie ich überzeugt bin, bei den verbündeten Regierungen, sondern, wie ich hoffe, au bei diesem hohen Hause Einverständniß bestehen, daß, wenn das Bürgerliche Geseßbuch mit seinen Tausenden von Paragraphen, aufgestellt auf Grund einer zwanzigjährigen Arbeit hervorragend sa- „verständiger Männer, die das Vertrauen der Praxis und der Wissen- schaft, und auch das Vertrauen der Regierung und des Reichstags für sih haben, an den Bundesrath und Reichstag kommt, es sich nicht darum handeln kann, das Werk nah Analogie anderer Gesetze in allen Einzelheiten zu prüfen. Würde das geschehen, so würde zweifellos das Werk mancherlei Aenderungen in seinen Einzelheiten erfahren, und es würde nothwendig werden, nahdem die Aenderungen vorgénommen worden sind, das Geseßbuch wiederum an eine juristisch - technische Kommission zu verweisen, auf daß diese den ganzen Text äbermals in Einklang bringe. Damit aber würden wir die Arbeit in das Aussichtslose verzögern; denn es wäre dann felbstverständlid eine nochmalige Vorlage an Bundesrath und Reichstag unvermeidlich. Deshalb, meine Herren, wenn wir zu einem praktischen Resultat kommen , und wir den Arbeiten der Kommission, die im Einverständ- niß zwischen Reichstag und Bundesrath eingeseßt worden ist, ihre

‘volle Würdigung zu theil werden lassen wollen, dann wird die

Behandlung des Geseßbuhes im Bundesrath wie im Reichstag eine mehr kurforische fein müssen, die sich im wesentlichen darauf be- schränkt, festzustellen, ob der wirthschaftlihe, politishe und soziale Inhalt des Geseßbuches im großen und ganzen die Zustimmung des deutschen Volkes beanspruhen darf. Daß es auch bei dieser Behand- lung mögli ift, der Prüfung des einen oder anderen Theiles vom politischen oder wirthschaftlihen Standpunkt aus eine besondere Bedeu- tung beizulegen und ihn einer etwas näheren Erörterung zu unterziehen, versteht sih von felbst; daß es aber im großen und ganzen si darum wird handeln müssen, daß Bundesrath und Reichstag das Gesegbuch, wie es liegt, annehmen oder ablehnen, darüber wird für denjenigen, der einen näheren Blick in das aunfangreihe und s{chwie- rige Geseßwerk gethan hat, ein Zweifel niht sein können. Darüber, meine Herren, können wir ur? nziht täuschen: wir bekommen das gemeinschaftlihe bürgerlihe Recht für Deutschland entweder bald oder wir bekommen es auf absehbare Zeit überhaupt nicht.

Wenn von diesem Standpunkt aus an die Prüfung des Gesetz- buches von seiten der gesetzgebenden Faktoren gegangen wird, fo glaube ih, werden die verbündeten Regierungen, da sie bereits gegen- wärtig laufend die Arbeiten und die Ergebnisse der Kommissions- arbeiten verfolgen, und da sie durch Vermittlung des Reichs-Justiz- amts regelmäßig über ihre Wünsche und Ansichten gegenseitig unter- richtet werden, nah meiner Meinung in der Lage sein, im Laufe weniger Monate definitive Stellung zu dem Geseßeswerk zu nehmen. Wenn ih davon ausgehe, daß das Gesegbuh selbst im Laufe des Oktober an den Bundesrath gelangt, und daß das Ein- führungsgeses bis zum Schluß des Jahres, spätestens aber ¿u Anfang des nächsten Jahres dem Bundesrath vorgelegt wird, so wird, wie ich glaube, im Bundesrath die Möglichkeit bestehen, bis zum Februar nächsten Jahres das Gesey an den Reichstag zu bringen. Danah würde der Reichstag im Februar nächsten Jahres in die Möglichkeit versegt fein, seinerseits Stellung zu dem Werke

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zu nehmen. Ist auch dieses hohe Haus dann geneigt, von den gleihen Gesichtspunkten auszugehen, wie die verbündeten Regierungen dies meinéèr Hóffnung nah thun werden, auch seinerseits also in verhält- nißmäßig beschränkter Zeit die Prüfung des Gesezbuhs zu erledigen, dann wird der Reichstag in der nähsten Session nit auseinander gehen, ohne über das Geseßbuh definitiv Beschluß gefaßt zu haben. Meine Herren, ich glaube, daß, wenn in dieser Weise verfahren wird, damit eine Ueberstürzung in der Sache nicht verbunden is, und daß auch auf der anderen Seite in ganzen Fragen bei der gemeinsamen Regelung des bürgerlihen Rechts Faktoren vorliegen, die dringend darauf hinweisen, diesen Weg der Behandlung zu wählen. Jch möchte mir au nah dieser Richtung noch einige Worte erlauben, um das Haus in die Lage zu bringen, die Frage ershöpfend zu beurtheilen.

Mit dem Inhalt des Bürgerlichen Geseßbuhs is die Frage der einheitlihen Regelung unseres bürgerlihen Rehts noch keineswegs er- {öpft; denn der Inhalt des Bürgerlichen Geseßbuhs wird auf eine Reibe anderer Materien materieller und prozessualer Art übergreifen, die nothwendig auch ihre Regelung finden müssen, wenn wir nachher ein wahrhaft einheitlich gestaltetes Reht mit der Möglichkeit prak: tisher Handhabung haben wollen. Es werden uns also noch eine Anzahl anderer legislatorisher Aufgaben erwarten, die in unmittelbarem Anschluß an das Bürgerliche Geseßbuh auch dieses Haus beschäftigen müssen. Da, meine Herren, mache ih zunächst darauf aufmerksam, daß es nöthig sein wird, mit der einheitlichen Regelung der Eigen- thums- und Nußungsrechte an Grund und Boden auch ein einheitliches Recht zu schaffen für die Zwangsvollstreckung zur Geltendmachung dieser Rechte. Wir haben in dieser Beziehung bis jeßt nur einzelne Grundsäge in der, Zivilprozeßordnung. Sobald das Bürgerliche Geseybuch fertig ist, sind wir vor die Nothwendigkeit gestellt, die Zwangsvollstreckung in das Immobiliareigenthum einheitlich zu regeln. Die Arbeiten dafür sind vorbereitet, ein Geseßentwuxrf is in Auf- stellung begriffen. Wir hoffen, in der Lage zu sein, diesen Geseyz- entwurf bereits im Herbst dieses Jahres an den Bundesrath zu bringen, und ih halte es für mögli, daß er ebenfalls in der nächsten Session den Reichstag beschäftigen wird.

Zweitens, meine Herren, mit der einheitlichen Regelung des Hypo- thekenwesens, wie sie durch das Bürgerliche Gesezbuh vorgenommen werden soll, ist auch die Nothwendigkeit gegeben einer einheitlichen Regelung der Anlegung und Behandlung der Grundbücher. Wir bedürfen also einer deutshen Grundbuchordnung, ohne welche die Be- stimmungen des Geseßbuchs über das Hypothekarrecht niht zur praktishen Durchführung gelangen können. Auch nah dieser Richtung shweben die Vorarbeiten, und wir werden in der Lage sein, spätestens zu Anfang des nächsten Jahres einen darauf bezügliche Geseßentwurf an. den Bundesrath zu bringen; ih halte es wiederum nicht für aus- ges{lossen, daß die Grundbuhordnung zu denjenigen Entwürfen gehört, die noch die nächste Session dieses hohen Hauses beschäftigen können. o

Drittens, meine Herren, sobald wir die Regelung des Hypotheken- wesens auf einem einheitlichen Fuße für ganz Deutschland festgestellt haben, tritt an uns die Pflicht heran, eine Aufgabe zur Erledigung zu bringen, die bereits wiederholt sowohl die verbündeten Regierungen wie auch den Reichstag beschäftigt hat, die wegen der großen materiellen Interessen, die damit verbunden sind, in der That dringlich ift, die aber bisher éine Regelung nicht hat finden. können, weil eine Unterlage in einem gemeinsamen Hhypothekenrecht fehlt. Diese Frage betrifft die Sicherstellung der Pfandbriefgläubiger, cine pfandrehtlihe Sicher- heit gegenüber den Bodenkreditanstalten. Das Interesse der Pfand- briefgläubiger gebietet es, diese Sicherheit zu schaffen, das Interesse der Bodenkreditanstalten gebietet es gleichfalls, niht minder das Interesse des Grundkredits selbs. Versuche nah dieser Richtung hin find, wie den älteren Mitgliedern dieses Hauses erinnerlih sein wir), bereits in den 79er und 80er Jahren gemacht worden; sie sind aber zum theil wenigstens daran gescheitert, daß uns ein gemeinschaft- liches Hypothekenrecht fehlte. Nun, meine Herren, die Vorarbeiten ou nach dieser. Nihtung hin sind im Gange, und wenn wir auch mit dieser s{wierigen Materie etwas länger beschäftigt sein werden, fo hoffe ich doch, daß ein Entwurf zur Sicherstellung der Rechte der Gläubiger gegenüber den“ Pfandbriefinstituten so früh wird fertig-

den Bundesrath wird gebraht werden können, und daß er in der zweitfolgenden Session, wenn er im Bundesrath Zustimmung findet, auch dieses Haus beschäftigen wicd.

Sodann, meine Herren, wird der Jnhalt des Bürgerlihen Ge- seßbuhs in einer größeren Anzahl von Punkten eine Revision unserer Zivilprozeßordnung nöthig machen und, abgesehen von den Punkten, in denen s{hon deshalb an eine Revision der ‘Prozeßordnung gegangen werden muß, haben die Erfahrungen der vergangenen Jahre und die vielfahen Anregungen, die uns zugegangen sind, den Anlaf gegeben, darüber hinaus einer Revision der Zivilprozeßordnung in dem Sinne einer praktis@eren Gestaltung ihrer Bestimmungen, ohne die Grundlage des Geseges zu verlassen, näher zu treten. Wir werden vorausfihtlichÞ in kurzer Zeit eine Kommission erfahrener Juristen berufen, welche die Ausgabe hat, die Punkte festzustellen, in denen die Bedürfnisse bes praktishen Prozesses auf eine Aenderung oder Ergän- zung des Gesetzes hinweisen. Die Aenderungen, die sich aus dem Inhalt des Bürgerlichen Geseßbuhs ergeben, und die Aenderungen, die eventuell aus diesen Berathungen hervorgehen werden, follen in einem Geseßentwurf zusammengefaßt werden, und. dieser Gesetzentwurf soll im Laufe des nächsten Jahres gleichfalls fertiggestellt werden, dann alsbald an den Bundesrath gelangen, und im Falle der Zustim- mung der Bundesregierungen in der übernähsten Session den Reichs- tag beschäftigen. :

Aber eine weitere große Aufgabe wird in der über- nähsten Session an den Reichstag noch herantreten, das ist eine revidierte Gestaltung unseres Handelsgeseybuhs. Meine Herren, es if ja natürlich, daß die Bestimutungen des Bürger- lihen Geseßbuchs au einen tiefen Einfluß ausüben werden auf den Inhalt unseres Handelsrehts ; ‘theils dieser Umstand, theils die Er- fahrungen, die wir mit unferm, jeßt {on über 30 Jahre alten Handelsgeseßbuch gemacht haben, ‘und dje Eniwicklung, welche die Formen des Handels und Verkehrs in dem legten Menschenalter erfahren haben, nöthigen dazu, das Handelsgeseßbuch einer Revision zu unterziehen. Die Arbeiten für die Revision

find seit längerer Zeit im Gange, sie haben unter der werkthätigen

Mithilfe hervorragender Praktiker des Reichsgerihts einen erfreulichen Fortgang genommen, und wir glauben sicher zu sein, roir in nicht

zu langer Zeit eine Kommission von praktischen Juristen und von

gestellt werden können, daß er im Laufe des nähsten Jahres an

Vertrauensmännern des Handelsstandes werden berufen können mit der Aufgabe, die Grundzüge der Revision zu prüfen. Auf Grund dieser Prüfung wird dann ein revidierter Entwurf an den Bundesrath ge- langen, und ih glaube annehmen zu dürfen, daß auch dieser Entwurf in der dur den Bundesrath genehmigten Gestalt in der übernächsten Session den Reichstag wird beschäftigen können.

Dann, meine Herren, bleiben noch immer einige Aufgaben zu er- ledigen, wenn das neue déutshe bürgerlihe Reht nah allen Rich- tungen hin seine erschöpfende Ausgestaltung erfahren soll. Wir haben noch die einheitlihe Regelung des Versicherungsrechts vor uns, da dies Rechtsgebiet aus dem Bürgerlichen Geseßbuch ausgeschieden worden ist. Es bedarf noch der einheitlihen Regelung des Verlagsrechts und im Anschluß daran einer Revision der gesammten Gesetzgebung über das Urheberrecht. Und endlich, méine bedarf es prozefsualer Bestimmungen für alle diejenigen Rechtsangelegenheiten, welhe im Bürgerlichen Geseßbuh behandelt worden find, welche aber in das Gebiet - der streitigen Gerichtsbarkeit nicht fallen, wie beispielsweise Regulierungen und Liquidationen im Erbschaftsreht, vor allem aber das Verfahren im Vormundsc(hafts- ret. Ein Theil dieser geseßgeberischen Arbeiten is ebenfalls bexeits in der Vorbereitung begriffen, und wir hoffen in der Lage zu sein, unter der Zustimmung der Regierungen der Bundesstaaten diese Ar- beiten so zu fördern, daß in der leßten Session der laufenden Legislaturperiode die Entwürfe an den Reichstag werden gebracht werden können. Hiernah würden Sie, meine Herren, im nächsten Jahre das Vürgerlihe Geseßbuh, ein Gese über die Zwangs- vollstrekung in das unbeweglihe Eigenthum und die Grundbuch- ordnung, in der übernächsten Session das Handelsgesezbuh, die Revision der Zivilprozeßordnung und ein Geseß über die pfand- rechtlihe Sicherstellung der Gläubiger gegenüber den Pfandbrief- instituten und endlich im dritten Jahre und in der leßten Session der Legislaturperiode Geseßentwürfe über das Urheberrecht, über das Verlagsreht sowie über das Verfahren in Sachen der nihtstreitigen Gerichtsbarkeit, soweit diese ihre Regelung im Bürgerlichen Geseßbuch finden, zu erwarten haben.

Meine Herren, ih habe mir erlaubt, Jhnen ein Bild von Jhrer umfangreichen und bedeutungsvollen Thätigkeit: in der nächsten Session, soweit sich diese von der Reihs-Justizverwaltung voraussehen läßt, zu entwideln, um fklarzustellen, wie nothwendig es ist, . bereits im nächsten Jahre mit Ernst und Energie an die Erledigung der Auf- gabe heranzutreten, die mit der legislatorishen Behandlung des Bürgerlichen Gefeßbuchs* verbunden ist. Ich hoffe, daß Sie ia dem Sinne, wie ih es entwickelt habe, geneigt sein werden, Jhre Mit- wirkung bei dieser großen Aufgabe eintreten zu lassen; denn ih wiederhole es: Nach meiner Ueberzeugung werden die Arbeiten für ein einheitlihes bürgerlihes Recht in Deutschland in wenigen Jahren zum Abschluß gelangen oder wir werden dies große Ziel in absehbarer Zeit unseres Lebens überhaupt nicht erreichen.

Abg. von Strombeck (Zentr.) befürwortet einen von ihm ein- gebrachten und von einigen seiner Parteifreunde unterstüßten Antrag: die Regierung zu ersuchen, eine für das Gebiet des Deutschen Reichs gemeinjante Amtsstelle einzurichten, welcher /

1) von den zuständigen Behörden der Bundesstaaten hinsichtlich aufgefundener Leichname Unbekannter die zur Feststellung der Perfönlichkeit dieser Verstorbenen dienlichhen Mittheilungen gemat werden müssen, uxd welcher 2) hinsihtlih vermißter Personen, deren Ableben (sei es infolge von Krankheit oder Selbstmord, sei es in- folge eines Unglüdcksfalls oder Verbrechens) vermuthet wird, die zur Ermittlung des Verbleibs solcher Personen dienlichen Mittheilungen von den zuständigen Behörden in den geeigneten Fällen gemacht werden müssen und von Privatpersonen gemacht werden können.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.) spriht \ich für die Einführung der bedingten Verurtheilung aus. Nah den Erfahrungen anderer Staaten mit dieser Einrichtung sollte man nicht mehr zögern, ihr auch in Deutschland näher zu treten.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding:

Meine Herren! Ich glaube, ich brauche dem Herrn Vorredner wohl nicht erst zu versichern, daß die Frage der bedingten Verurtheilung, welche in einigen Nachbarländern bereits eine gesezgeberishe Lösung gefunden hat und welche bei uns nicht nur in der Theorie, sondern auch .in praktishen Kreisen lebhaft erörtert wird, auch in der Reichs- Justizverwaltung mit allem Ernste geprüft und verfolgt wird. Allerdings kann ih nit sagen, daß wir, was die Lösbarkeit dieser Frage betrifft, so fanguinish denken, wie in manchen juristishen Kreisen bei uns darüber gedaht wird. Es ist zweifellos, daß, wenn es gelingt, die bedingte Verurtheilung in einer praktisch brauchbaren Gestalt in das Leben einzuführen, für die moralishe Sicherung der Bestraften ein großer Gewinn erhofft werden darf, sondern ‘daß auch eine erhebliche Entlastung der Gefängnisse eintreten würde, was nah der Seite einer Erleichterung des Strafvollzugs, wie nah der finanziellen Seite hin ins Gewicht fällt. Aber, meine Herren, wenn in anderen Staaten, namentlih in Belgien, die Sache bis jeßt auf Grund der dort voll- zogenen geseßlihen Regulierung leidlih gegangen ist, so glaube ich, daß einmal die kurze Zeit, während der die einshlagende Gesetzgebung dort in Wirksamkeit sich befindet ih glaube, in Belgien ift es seit 1888 oder 1889 nit ausreiht, um ein abshließendes Urtheil über die Frage zu gewinnen, und daß auf der anderen Seite Deutsch- land in seiner weiten Ausdehnung doch so erheblich andere Ver- hältnisse darbietet, daß man nicht wird sagen können, daß Einrichtungen, die sich in einem kleineren Lande bewährt haben, ohne weiteres si für unsere weit größeren Verhältnisse bewähren würden.

Ich möchte auf einen Punkt dabei besonders aufmerksam machen, das ist die Frage der Kontrole der zwar verurtheilten, aber zunächst niht zum Strafvollzug gebrachten Personen. Ja, meine Herren, eine solche Kontrole ist z. B. in Belgien verhältnißmäßig leiht durchzu- führen; bei uns in Deutschland hat die Sache ein ganz anderes Ge- sicht. Wir haben allerdings die Strafregister mit ihren Vermerken über die bestraften Personen, um daraus eine Kontrole zu entnehmen; wir haben sie aber nur bezüglih der wegen Vergehens oder Verbrechen Bestraften, nicht abgesehen von einzelnen bestirnmten Ueber- tretungen für die Personen, welche bestraft sind wegen Uebertretungen, und wenn wir mit der bedingten Verurtheilung einen Anfang machen wollen, werden wir doch unter allen Umständen den Kreis der leichteren Strafthaten, also auch. der Uebertretungen, zunächst ‘in den Bereich des neuen Gesetzes ziehen müssen. Da liegt aber gerade die Schwierig- keit vor, die ih angedeutet habe. Jch sage das nicht, um eine weitere Verfolgung des Gedankens abzuwehren, dessen moralische, politische und finanzielle Bedeutung ih anerkenne; ‘ih sage es bloß, um zu

rehtfertigen, wenn die Reichs-Justizverwaltung zunächst noch ab-

Herren,

damit nicht nur, wenn ih so sagen soll,

wartend dem ganzen Problem gegenübersteht. Es is uns ja aller- dings gerade bezüglich dieser Frage in der Oeffentlichkeit {on der Vorwurf gemacht worden, als wenn unsere Verwaltung in Pedanteèrie und in Marasmus zu sehr versunken wäre, um zur An- erkennung neuer Ideen und zur Erwägung ihrer praktischen Gestaltung sih aufraffen zu können. Ih hoffe, meine Herren, nah dem, was ih die Ehre hatte vorhin mitzutheilen über die Aufgaben, die gegen- wärtig im Reichs-Justizamt auf geseßgeberisßem Gebiet der Lösung harren, werden Sie ein abwartendes Verhalten auf unserer Seite. milder beurtheilen, als dies von manchen anderen Seiten geschehen ift, und ih glaube, Sie werden geneigt sein, einigermaßen der Belastung des Reichs-Justizamts mit gesezgeberishen Arbeiten dringenderer Art Rechnung zu tragen. Wir können eben nit alle Fragen, die gerade auf sirafpolitishem Gebiete jeßt so zahlreich auftauchen, auf einmal in die Hand nehmen ; die Kräfte des Reihs-Justizamts sind das kann ih versichern bis aufs äußerste Maß angespannt.

Meine Herren, gestatten Sie mir noch ein Wort zur Resolution des Herrn Abg. von Strombeck. Jh glaube, der Herr Abgeordnete wird" mir zugeben, daß die Aufgabe, die .in dieser Resolution gestellt ist, œigentlih niht auf dem Gebiet der Justizpflege liegt, sondern daß es si, streng genommen, um eine polizeilihe Vorkehrung handelt. Nun sind in der Reichsverwaltung Wahrnehmungen des In- halts, wie sie von dem Herrn Abgeordneten hier vorgetragen worden find, bisher nicht gemacht worden. Es find auch von keiner Seite Anregungen gegeben worden, Einrihtungen der von ihm vor- geschlagenen Art zu treffen. Ob sich diese Einrichtungen fo billig und so einfa würden gestalten lassen, wie er annimmt, lasse ih zunächst dahingestellt. Jch glaube aber, ih kann die Zusicherung geben, daß wix innerhalb der Reichsverwaltung die Frage in eine nähere Erwä- gung nehmen wollen, und ich bin auch überzeugt, daß im Fall der Annahme der Resolution die verbündeten Regierungen bereit sein würden, sofern in der That das praktishe Bedürfniß auf eine Lösung

‘von Reichswegen hinweisen sollte, diese Lösung herbeizuführen, obwohl

fie an und für ih in das Gebiet der Neihskompetenz niht hinein- gehört.

Abg. Groeber (Zentr.): Die Zentrumspartei hat seit Jahren bereits Wünsche betreffs der Abänderung der Konkursordnung hier vorgebracht. Leider ist ein Gesehentwurf, den wir im vorigen Jahre eingebracht haben, niht zur Erledigung gebraht. Unsere Bemühungen haben aber doch zur Folge gehabt, s die verbündeten Regierungen der FKonkursstatistik größere ufmerésamkeit zu- gewendet haben. Wir halten diese Statistik für außer- ordentli wichtig, da sie als Grundlage für die Abänderung der Konkursordnung dienen muß. Für sehr wünschenswerth erachten wir es, daß die \tatistischen Erhebungen auf die Feststellung der Zahl der rückfälligen Konkurse ausgedehnt werden. Bevor aber eine Ent|chei- dung über die nöthigen Abänderungen der Konkursordnung gefällt wird, . sollte man nicht bloß die Justizbehörden, sondern auch die kaufmännishen Organisationen zu Rathe ziehen. Eine zweite Ange- legenheit, die ich zur Sprache bringen möchte, betrifft den Gesetzentwurf über die Bekämpfung des unlauteren Wett- bewerbs, Ich möchte an den Staatssekretär die Anfrage rihten, ob der veröffentlihte Gesetzentwurf, welcher diese Angelegenheit betrifft, noch in dieser Session den Reichstag beschäftigen wird. Die juristischen Kreise \reilih haben vielfa jede Nothwendigkeit eines solhen Geseß- entwurfs bestritten, aber in gewerblichen Kreisen ist man durhweg der Ansicht, daß die Regelung dieser Angelegenheit dringend er- forderlich ift. s

Skaatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding:

Was die Konkursstatistik betrifft, so ist der Bundesrath, als er, wesentlih in Anlehnung an die Resolution des Hauses vom vorigen Jahre, {fich vahin {lü}sfig machte, eine folhe Statistik in Zukunft zu erheben, nicht ohne Bedenken gewesen. Er zweifelte, ob von einer folhen Statistik in der That der 'praktishe Erfolg zu erwarten sei, den fich die Mehrheit des Reichstags bei ihrem Beschluß davon- ver- sprach. Andererseits konnte auch nicht außer Betraht bleiben, daß damit eine Belastung der Gerichte verbunden ist, die bei der gegenwärtig vielfah \chon vorhandenen Geschäftsüberhäufung Bedenken in s{ trägt. Aber um dem Wunsch des Reichstags ent- gegenzukommen, beshloß der Bundesrath die Erhebung der Statistik, welde au in der beschlossenen Beschränkung einen ziemlich großen Umfang einnehmen wird. Wenn darin einige Punkte weggelassen find, die die Resolution des Reichstags enthielt und der Herr Vor- redner jeßt vermißt, so hat das seinen Grund darin, daß die Gerichte nihcht mehr als nöthig belastet werden sollten, und daß wir wünschten, die Erhebungen auf \olche Punkte zu beschränken, von denen man mit einiger Sicherheit annehmen kann, das Er- gébniß werde nüßglich für die Würdigung der praktischen Handhabung des Geseßes und seiner Abänderungsbedürftigkeit sein.

Jch möchte den Herrn Vorredner also bitten, vorläufig die Er- fahrungen, - die wir mit dieser Statistik machen, abzuwarten. Eine Erweiterung in dem von ihm gewünschten Sinne bedauere ih, ihm zur Zeit. nicht in Ausficht stellen zu können. Ih glaube, er wird mir selbst zugeben, daß es für die praktishe Behandlung der Sache auch nicht richtig sein kann, wenn man nach Jahresfrist in den an die Gerichte ergau- genen Weisungen bereits wieder eine Aenderung eintreten lassen wollte; Wie gesagt: lassen Sie uns einmal erst einige Jahre abwarten und über das Ergebniß dieser Statistik ein Urtheil gewinnen, dann werden wir uns über die Frage ja wiederum \prehen können.

Was die Konkursordnung betrifft, so habe ih vorhin zu meinem Bedauern zu erwähnen vergessen, daß das Bürgerliche Geseßbuh au auf den Inhalt der Konkursordnung eine Rückwirkung üben wird. Es wird unvermeidlich sein, entweder im Rahmen des Einführungs- geseßes zu dem Bürgerlichen Geseßbuh oder aber in einem besonderen Gesetze diejenigen Aenderungen zusammenzufassen, die aus dem Inhalt des Bürgerlichen Geseßbuches sich ergeben. s

Bei dieser Gelegenheit werden natürlich dann auch diejenigen Fragen ihre Erledigung finden, die in dem vorjährigen Antrag des Zentrums berührt worden find. Wenn die Verhandlungen der Kom- mission im vorigen Jahre auh einen Abschluß nicht gefunden haben,

so hat die Reichs-Justizverwaltung aus den Verhandlungen doch einen Anlaß genommen, an die Bundesregierungen das Ersuchen zu richten, darüber Ermittelungen anzustellen, ¿ob und in welchen Punkten nah den Erfahrungen der Praxis eine Abänderung der Konkursordnung sich als nothweadig ergeben habe. Das Resultat dieser Ermittelungen liegt dem Reichs-Justizamt noch nit vor, und der Herr Vorredner wird das au erklärlih finden, wenn ih ihm in Erwiderung seiner weiteren Frage fage, daß bei diesen Erhebungen nicht bloß Gerichtsbehörden, fondern au in großem Umfang Organe des Handelsstandes gehört werden. In einzelnen Staaten wenigstens, vor allen in Preußen, sind dahin gerihtete Anordnungen erlassen, und es ist vorauszusehen, daß uns aus der Verarbeitung des ih ergebenden Materials eine recht umfangreiche

Aufgabe erwachsen wird. Vorläufig können wir über das voraus\sihtlihe Er- gebniß der Ermittelungen ein Urtheil noch nit fällen, und ich muß also auch in diesem Punkt den Herrn Vorredner bitten, einige Geduld zu üben. Er wird ja, wenn aus Anlaß des Bürgerlihen Gesehz-

bus die Revision der Konkursordnung hier im Haufe legislatorisch

zur Sprache kommt, ein Mittel der Kontrole haben, ob in der That auch die Wünsche, die das Zentrum im vorigen Jahre geäußert hat, ihre Würdigung bei den angestellten Erhebungen finden.

Was den Geseßentwurf über den unlauteren Wettbewerb betrifft, so ist es, glaube ih, dem hohen Hause bekannt, daß ein solher Geseß- entwurf vor einiger Zeit bereits veröffentliht wurde; an diese Ver- öffentlihung haben si so umfassende Kritiken geknüpft, daß es bis jeßt nicht mögli gewesen ist, den definitiven Abs{chluß der gesetgebe- rischen Arbeit bis zur Vorlage an den Bundesrath zu gewinnen. Die Arbeit wird aber, wie ich dem Herrn Vorredner versichern kann, ernsthaft gefördert, und ih glaube auch die Zusicherung hinzu- fügen zu dürfen, daß in kurzer Zeit die Sache so weit reif sein wird, daß der Gesetzentwurf an den Bundesrath wird gebracht werden Tönnen. Ob er dann noch iy dieser Session auh an das hohe Haus gelangen wird, hängt von der Behandlung der Sache im Bundesrath ab, über die ih mir in diesem Augenblick eine Aeußerung noch nicht gestatte.

Abg. Be ckh (fr. Volksp.): Die Aufgaben, die der Staats- sekretär dem Reichstag in Aussicht gestellt hat, find so groß, daß ih es für sehr zweifelhaft halte, daß die gegenwärtige Legislaturperiode zu threr vollen Erledigung ausreichen wird. Die Frage der bedingten Verurtheilung verlangt aber vor allem erledigt zu werden. Schon der Juristentag von 1890 hat si für diese Einrichtung ausgesprochen, und ih wünschte, daß wir recht bald ihre Einführung beschließen möchten. 8

ita, Dr. Enneccerus (nl.): Ih bin dem Staatssekretär für seine Angaben über die Fertigstellung des Bürgerlihen Geseßbuchs dankbar; diese Angaben konnten uns niht ershrecken, da wir von Anfang an wußten, daß diesez Geseßbuh naturgemäß auch eine ganze De anderer Geseye zur Folge haben würde. Diese übersichtliche

arstellung des weiten Arbeisfeldes muß in der That sowohl den Bundes- rath wie den Reihstag veranlassen, sih bei der Durhberathung dieser anzen Materie einer großen Selbstbeshränkung zu befleißigen. Gin Ver- bieBeK dieser Geseßgebung auf Jahre hinaus und damit eine Ver- zôgerung der Einheit des deutshen Rehts wäre ein größeres Uebel, als wenn dem Gesey noch kleine Fehler anhaften bleiben, die man

träglich beseitigen kann. N E Lon Soli ch (d. kons.) befürwortet eine Vereinfahung der

ormulare der Standesbeamten und damit eine Verringerung der chreibarbeit und des Aktenmaterials auf den Standesämtern, sowie eine einheitlihe Gestaltung diefer Formulare über das ganze Reich.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding:

Meine Herren! Ich habe im vorigen Jahre auf den entsprechen- den Vortrag des Herrn Abg. von Salish eine wohlwollende Prü- fung seiner Desiderien versprochen, und diese Zusage ist auch gehalten worden. Wir haben aus Anlaß von Verhandlungen, die damals unter den Bundesregierungen über verschiedene Abänderungen in den Einrichtungen der Standesämter {chwebten, auch Gelegenheit gehabt, die Wünsche des Hercn Abgeordneten in Erwägung zu nehmen. Jch habe damals nicht den Eindruck gewonnen, daß bei den Bundesregie- rungen das Bedürfniß anerkannt werde, nah den Richtungen hin, die von Herrn von Salish bezeihnet worden sind, einheitlihe Bestim- mungen für das Reih zu treffen, und die Herren werden verstehen, daß, wenn die Reichs-Justizverwaltung von vornherein dem Eindruck begegnet, daß bei den maßgebenden Landesverwaltungen ein solhes Bedürfniß niht anerkannt wird, -sie ihrerseits es au ab- lehnen muß, die Initiative dahin zu ergreifen, daß Vorschriften der Art erlassen werden.

Wir, meine Herren, sind nicht geneigt, reglementarische Vor- \chriftèn in einer die Landesverwaltungsstellen zur Gleihmachung nöthigenden Weise zu treffen, wenn niht wenigstens von einem großen Theil der Bundesregierungen das Betürfniß nah einer Ueberein- stimmung der Vorschriften anerkannt wird. Ih möchte dem Herrn Vorredner die Erwägung anheimgeben, ob er niht im Sinne seiner Wünsche praktischer handelt, wenn er zunächst seine Landesregierung, also die Königlich preußishe Regierung, davon überzeugt, daß in der That hier ein Bedürfniß vorhanden ist, die Einrichtungen - einheitlih zu gestalten. Sobald es ihm an der Hand seiner praktishen Er- fahrungen, die uns ja irn Reichs - Justizamt niht zur Ver- fügung stehen, gelungen ift, die preußishé Regierung von dem Bedürfniß derartiger Anordnungen zu überzeugen, . wird es leichter sein, au für das Reich übereinstimmende Vorschriften herbeizuführen. Solange aber cin so wichtiger Faktor wie die preußische Regierung der Meinung bleibt, daß es nicht erforderlich ift, mit übereinstimmen- den Vorschriften vorzugehen, so lange hat die Reichs-Justizverwaltung auch keine Veranlassung, mit Vorschrifien im Sinne des Herrn Vor- redners zu kommen.

Abg, Spahn (Zentr.): Um die Berathung des Bürgerlichen Geseßbuhs zu beschleunigen, wird es sich empfehlen, alle religiösen Materièén aus dem eseßbuch fortzulassen. Sodann wäre es wünschenswerth, daß uns über die Verhandlungen ünd Beschlüsse des Bundesraths über den Entwurf ein ausführliher Bericht zuginge, der die Berathung im Reichstag sehr erleihtern würde. Bezüglich der bedingten Verurtheilung möchte ih bitten, uns die Resultate der his- herigen Erfahrungen in anderen Staaten zugänglih zu machen.

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding:

Auf die Anregung des Herrn Vorredners bin ih sehr gern bereit, hiermit die Zusage zu ertheilen, daß dem Reichstage in ‘der nächsten Session eine Denkschrift eingereiht werden soll, welhe in übersicht- licher Form die Erfahrungen mittheilt, die in unseren Nachbarländern mit der bedingten Verurtheilung bis dahin gemacht sind.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Der Bundesrath hat es leider ab- gelehnt, eine Statistik darüber zu erheben, in welhem Umfange die einzelnen Religionsbekenntnisse an den Konkursen betheiligt sind. Wenn es auch bekannt ist, daß die Anhänger der suvi en Religion zu den Konkursen und * Bankerotten ein größeres Kontingent stellen als unsere Mitbürger F pollGen _ und rotestantishen Glaubens, so wissen wir doch nicht, in welchem Maße das der Fall ist. Aus der Kriminalstatistik wissen wir, daß die Juden in erheblich höherem Grade Betrug und Bankerott begeben, als die Christen. Es liegt mir fern, gegen die jüdishen Mit Mer hier einen Vorwurf zu erheben; ich wünshe nur, daß wir völlige Klarheit darüber bekommen, in welhem Maße sie an det Konkursen betheiligt find. j :

Die vom Abg. von Strombeck beantragte Nesolution wird angenommen. d E 0 ichs-Justiz

Das Haus genehmigt dann den Etat des Ne1tchS- - amts ei En und geht demnächst über zum Etat des Reichs-Eisenbahnamts.

Auf eine Anfrage des Abg. Dr. Hammacher (nl.) er- widert der -

Bevollmächtigte zum Bundesrath, Präsident des Reichs - Eisen- bahnamts Dr. Schulz: Das internationale Uebereinkommen auf der Berner Konferenz hat sich_ leider für die Ausfuhr deutscher: Güter nah. Rußland in mancher viel nit als günstig erwiesen ; es ift aber zu hoffen, daß auf der nächsten Konferenz die berehtigten deutschen Wünsche au von anderer Seite kräftige Unterstüßung erfahren und zur E gelangen werden.

Abg. Stelle (Soz.): Artikel 45 der Reichsverfassung besagt, daß das Eisenbahntarifwesen möglichst einheitlih gestellt werden, und daß die Tarife selbst möglichst niedrige E sollen. Statt dessen sind bei den Perfonentarifen verschiedentli rhöhungen eingetreten. ir stehen bezüglich ier Tarife auf einem Standpunkt, auf dem andere Länder vor 20 Jahren standen. Mit den Gütertarifen steht es “t

Der Artikel 45 der Reichsverfassung verlangt, da Entfernungen die Gütertarife entsprehend ollen. Jetzt wird das in der Weise

hano abt, daß einzelne Waarengruppen bevorzugt, andere enahtheiligt werden. Von einer Einheitlichkeit der Tarife 'ist so wenig die Rede, daß man sih in den Tarifbestimmungen überhaupt ma! mehr zurehtfindet. Ein sehr wunder Punkt in unserem Eisen- bahnwesen ist die Ueberbürdung der Beamten. Eine Arbeitszeit von 80 Stunden in der Woche ist bei ihnen keine Seltenheit. Eine be- sondere Erwähnung verdient dabei die Uéberbürdung der Zugführer, denen Hunderte von Menschenleben anvertraut sind. Die zahlreichen Sm fAlle sind nicht in leßter Linie auf diese Ueberbürdúüng zurückzuführen. Bevollmächtigter zum Bundesrath, Präsident des Reichs-Eisen- bahnamts Dr. Schulz: Nach der Rede des Abg. Stolle hat es fast den Anschein, als wäre es mit dem deutschen Eisenbahnwesen recht {limm bestellt. Jch kann ihm darin aber nit folgen. Wir befinden uns im Gegentheil in einer recht erfreulihen Entwicklung. Der Vor- redner hat au gefragt, warum der Artikel 45 der Leid verlan noch nicht in Wirksamkeit geseßt sei, welcher einheitlihe und mögli f e Tarife forderte. Das Reich kann nicht dazu übergehen, die Tarife festzuseßen. Das liegt in der Verfassung begründet. Ein solches Vorgthen des Neihs würde einen {weren Eingriff in die Finanzen und die Finanzgebahrung der Einzelstaaten bedeuten. Bei den Gütertarifen ist übrigens eine Einheitlichkeit hon in weitgehendem Maße vor- handen. Ueberall werden die Güter gleich fklassifiziert. Daß nicht überall gleihe Einheitssäße bestehen, ist richtig. Auf der Mehrzahl der Eisenbahnen gilt aber ein übereinstimmender Einheitssaß. Wenn ih vorhin davon sprach, daß unser Eisenbahnwesen n in einer ene Fortentwidelung befinde, fo kann ih das mit Zahlen belegen. Wir haben in den leßten 13 Jahren die Gütertarife im allgemeinen um 159% vermindert. Dabei haben sich die Einnahmen aus dem Güter- verkehr um 259/00 gehoben. Der Vorredner hat auch die Dienstdauer der Eisenbahnbeamten und Angestellten als jedes ver- nünftige Maß überschreitend hingestelt. Darauf will ih nur be- merken, daß uns in dieser Beziehung seit mehreren Jahren keine Be- schwerden zugegangen find. Wenn der Vorredner mit dieser angeb- lichen Ueberbürdung der Eisenbahnbeamten und Angestellten die Zahl der CEisenbahnunfälle in Verbindung gebraht hat, so kann ih in dieser bg feststellen, daß wir besser ceftellt find als die meisten anderen änder. Die Zahl der Unfälle hat fih bei uns in den legten Jahren bedeutend vermindert. Im vorigen Jahre kam auf 19 Millionen Achskilometer ein Unfall, während im Jahre 1881/82 {hon auf 8 Millionen Achskilometer ein Unfall traf. Das zeugt do dafür, daß es niht s{limmer geworden ist.

Abg. Szmula (Zentr.): Man fährt in Deutschland auf der Eisenbahn weit besser als in den meisten anderen Ländern, und was Ausstattung der Eisenbahnwagen, Sicherheit des Betriebs u. \. w. betrifft, so werden wir darin von keinem anderen Lande übertroffen.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vg.): Im Tarifwesen is in leßter P zwar schon manches geschehen, aber noch lange nicht genug. Es

errsht jeßt eine gewisse Stagnation. Jenseits der Grenzen regt ih ein ganz anderer Eifer; das Ausland hat viel stärker reformiert und keine üblen Folgen zu verzeihnen. Der Widerstand gegen die Tarifreform ist weniger bei den Fahmännern im Eisenbahnressort zu suchen, als im Kastanienwäldchen zu Berlin. Die aug der Waaren durch Verbilligung der FraGtsäge würde auch eine Vermehrung des Kot- sums b erbeifübren: Vielleicht könnte man mit den elsoh-Lolhringisthen Eisenbahnen zuerst den Versu einer durhgreifenden Reform machen.

Abg. Gamp (Rp.): Jh weiß nicht, warum der Abg. Dr.

Aavniee als Vertreter eines mecklenburgishen Wahlkreises das

xperiment einer Reform nicht für die mecklenburgishen Bahnen vor- \{chlägt. Wir jedenfalls danken für Experimente, die wir auf unsere Kosten machen müssen. Daß der Abg. Stolle gerade über die Eisen- bahnübershüsse abfällig eurtheilt hat, wundert mih. Lediglih durch die Uebershüsse der preußishen Bahnen war es mögli, die lafsen- steuer für Minderbemittelte bis zu 900 (4 aufzuheben.

Der Etat des Reichs-Eisenbahnamts wird ge- nehmigt, worauf das Haus um 5/4 Uhr Vertagung beschließt.

\{limmer. bei größeren ermäßigt werden

Statistik und Volks3wirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Hier in Berlin hat, wie der „Vorwärts“ mittheilt, die Mehr- zahl der Korbmacher in der Werkstatt von F. Shügner wegen Lohnkürzung die Arbeit niedergelegt. é

Aus Zürich wird dem Berner „Bund“ berihtet: Der Schreinermeisterverein hat beshlofsen, die Vorschläge der Ar- beiter wegen des Minimallohns und der neunstündigen Arbeitszeit ab- zulehnen und die Arbeiter auf den legtjährigen Be G aufmerksam zu machen, daß Theilausstände mit der allgemeinen Kündigung der Gehilfen beantwortet werden.

Aus Lüttich wird der „Köln. Ztg.“ E daß der Berg - arbeiteraus\tanb (vgl. Nr. 62 d. B sih auf drei weitere Zechen E hat. Wie das „D. B. H.* berichtet, dur{chzog gestern ein Trupp ausständiger Kohlenarbeiter aus Herstal die Straßen von Lüttich. Im sozialistishen Volkshause fand eine Ver- fammlung statt, in der der allgemeine Ausstand bes wurde. Die Gendarmerie is von Lütti nach Herstal und Ans beordert worden, wo die Ausständigen eine besonders drohende s ange- Aan haben. fat A e Mag E E

um Gemeinde-Wahlgeseß, auch eine - Lohner ,

Stellen find die Ausstän igen bereits durch andere Arbeiter erseßt orden.

e Aus Amsterdam wurde der „Voss. Zig." unter dem 20. d. M. eshrieben: Hunderte von Diamantarbeitern, die hier ihre rijtenz niht mehr fanden, haben sfich im Laufe des leßten Jahres in

Amerika, hauptsählich in New-York, niedergelassen ; der Qua dahin dauerte ununterbrohen fort, bis ein eben gefaßter Vat uf der Bundesregierung auch diefen Weg versperrt hat. Nach diesem Beschluß gehört die Diamantschleiferei nicht unter diejenigen neuen Industriezweige, welhe die Einfuhr von Arbeitern unter ontraft S Es befinden S aber in diesem Ae mehr als 100 Diamantschleifer nah Amerika unter- wegs. Wie nun „W. T. B.“ aus New-York meldet, wurden gestern 125 an Bord des „Majestic“- angekommene Diamantschleifer angehalten, da vermuthet wird, daß fie Unter festem Arbeitskontrakt einwandern.

Aus Lens wird der „Köln. Ztg." berichtet : Der nationale Landes- Kongreß der französischen Bergleute beschloß, einen Antrag, den Arbeitern fremder Nationalität das Stimmreht für Er- nennung von Vertretern der Belegschaften zu gewäbcen, nicht in Erwägung zu nehmen. Wie ferner „W. T. B.“ meldet, hat der Kongreß den Vorschlag angenommen, wonach der Arbeitstag in den Bergwerken eins{hließlich der Ein- und Ausfahrt auf 8 Stunden

fellgese t und {were Strafen für Betriebsleiter bestimmt werden, welche Arbeiter zu einer Mehrarbeit nöthigen.