1895 / 77 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 28 Mar 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Massengüter sind in sehr wesentliher Beziehung ermäßigt worden. Meine Herren, diese Ermäßigungen haben si zumeist vollzogen in der Form der Staffeltarife. Schon der Spezialtarif III unseres Normal- Tarifshemas ist ein Staffeltarif, wenn auch ein si in sehr mäßigen Grenzen abstaffelnder. Dagegen find die Ausnahmetarife, unter deren Herrschaft mehr als 48 %/6 der gesammten Waaren befördert werden, fast ausnahmslos Staffeltarife. Meine Herren, cs ist daher einiger- maßen _befremdend, daß das Verlangen in dieser Petition sowohl wie in weiten Kreisen unseres Landes dahin geht, das jeßige Tarifsystem vollständig über den Haufen zu werfen und. statt dessen Für alle Güter ein gleihförmiges Staffeltarifsystem einzuführen. Es wird einer der- artigen Maßregel der große Vorzug nachgerühmt, daß dann auf alle Ausnahmetarife verzichtet, die ganze Vielgestaltigkeit der Tarife mit _ einem Schlage beseitigt Und die Möglihkeit geschaffen werden könne, nah allen Seiten gerechte und gleihmäßige Tarife für den Gütertransport einzuführen. Meine Herren, das flingt ja ganz {chôn und annehmbar; in Wirk- lihkeit wird es aber niht durchführbar sein, eine solche Maßregel ohne die allergrößten wirthschaftlichen Verschiebungen, und damit wirth- . schaftliche Nachtheile herbeizuführen. Wir würden die Bedingungen, unter denen die Landwirthschaft, die Industrie, der Handel heut zu Tage arbeitet, vollständig über den Haufen werfen und würden dem einen Vortheil, dem anderen Nachtheil, allen aber eine Aenderung ihrer Produktions- oder Absaßbedingungen zufügen. Daß eine Aende- rung des Tarifsystems nur mit der allergrößten Vorsicht in Erwägung genommen werden kann und in der Ausführung den allergrößten Schwierigkeiten begegnen müßte, bedarf meines Erachtens faum einer weiteren Ausführung. Meine Herren, es ist auch irrig, wenn man annimmt, daß man, wenn eine solhe Maßregel ausgeführt worden wäre, damit nun zu stabilen Zu- ständen käme, und noh irriger, wenn man solche als wünschenswerth hinstellen würde. Wenn heute ein derartiger allgemeiner Normaltarif eingeführt werden würde, würden wir morgen wieder dazu reiten, Ausnahmetarife zu bilden. Es würde uns Landwirthschaft, Industrie und Handel dazu zwingen, denn sie können ohne eine derartige Indi- vidualisierung des Tarifwesens unmöglich wirthshaften. Es kommt nur darauf an, ob die Grundlagen für derartige Ausnahme- tarife gerechtfertigt sind oder nicht. Der Herr Referent Graf Frankenberg hat darauf aufmerksam gemacht, daß bei der Einführung des Reformtarifs man fi gefreut habe, daß nun endlih die Zeit der Willkür, insbesondere die Zeit der Differentialtarife vershwunden wäre. Meine Herren, die Differential- tarife bestehen für die yreußishe Staats - Gisenbahnverwaltung son lange nicht mehr und haben wohl auch kaum jemals bestanden. Wir haben im ganzen Bereich der Eisenbahnverwaltung keinen einzigen Differentialtarif. Unter Differentialtarif verstand man jederzeit und versteht man auch heute einen solchen Tarif, der für weitere Entfer- nungen allgemein absolut niedrigere Frachten ergiebt, wie für nähere Entfernungen. Ein solcher Differentialtarif besteht nicht ; selbst der so vielfach angefohtene russishe Getreidetarif nach Königs- berg und Danzig is in diesem Sinne kein Differential- tarif, denn die Säße sind von jeder russishen Station aus abfolut höher, als von der von Königsberg und Danzig am- weitesten entfernt gelegenen Station des Inlandes. Ich werde mir gestatten, in der Beziehung noch einige Ziffern später anzuführen. Meine allgemeine Stellung zu dem Staffeltarif habe ih ja wiederholt die Ehre ge- habt, auch in diesem hohen Hause darzulegen. Ich stehe noch heute auf demselben Standpunkt, den ih seiner Zeit eingenommen habe und den der Herr Referent aus dem kurzen Resumé, das ich seiner Zeit im Abgeordnetenhause gegeben habe, näher yräzisiert hat. Jch halte noch heute das System der Staffeltarife für den Gütertransport für ein wirthscaftliG und finanziell rihtiges. Allein ih bin nicht der Meinung, daß man nur Staffeltarife nach gleicher Formel für alle Güter und alle Verkehrsbeziehungen einführen fann. Wohl aber bin ich der Meinung, daß man \ih da, wo eine Reform der Güter- tarife im einzelnen als nothwendig sich ergiebt und wenn man von einer Reform der Tarife \priht, so meint man natürlich immer eine Ermäßigung, eine Reform nah oben hat nie jemand ins Auge gefaßt, wenigstens im Lande niht —, in erster Linie die Frage vorzu- legen hat, ob diese Reform ih niht in der Form der Staffeltarife zu vollziehen hat. Nun bin ih ferner der Meinung, daß das System der Staffeltarife sich in der Regel insbesondere eignet für die Produkte und Hilfsstoffe der Landwirthschaft. (Sehr richtig!) Das ift nicht nur meine Auffassung, sondern auch die Auffassung der Staatsregierung, sie ist auch bei wiederholter Gelegenheit ausgesprochen und thatfächlih demgemäß auch verfahren worden. Der Getreidetarif vom 1. Sep- tember 1891 der viel angefohtene und leider am 1. September 1894 gefallene war ein Staffeltarif, und zwar ein wirksamer Staffeltarif, der es ermöglihte, auf weite Entfernungen das Getreide zu verfrahten. Auf die Gründe näher einzugehen, die seiner Zeit zur Aufhebung dieses Tarifs geführt haben, darf ih wohl verzichten ; sie find fo häufig erörtert worden, daß, glaube ih, wohl faum jemand im Lande darüber im Unklaren ift. “Die Nichtwiedereinführung von Staffeltarifen is zwar nah keiner Richtung hin verbindlich zugesagt worden und konnte auh niht zugesagt werden; dagegen würde es meines Erachtens doch den Vorausseßungen, unter denen seiner Zeit der Handelsvertrag mit Rußland abgeschlossen und au die Auf- bebung des Identitätsnahweises vom Reichstag genehmigt worden ift, nit entsprehen, wenn wir die Getreidestaffeltarife, wie fie am 1. Sep- tember 1891 eingeführt worden und am 1. August 1894 aufgehoben find, nunmehr wieder ins Leben rufen würden. Meine Herren, es ift vielfach angeregt worden, man möchte den sogenannten Ostbahn-Staffeltarif do au beseitigen; er habe feinen großen Nuyen für die östlichen Provinzen, und das hat ja für Ost- preußen Herr Graf Klinckowström heute bestätigt; er diene aber andererseits dazu, einmal den westlich von Berlin gelegenen Land- wirthen, also beispielêweise in der Mark Brandenburg, die Beschickung und die Konkurrenz auf dem Berliner Markt zu erschweren; er diene aber zweitens dazu und das ift als besonders fatal hervorgehoben worden —, den Berliner Markt und die Berliner Getreidebörfe all- mächtig zu machen für den Getreidehandel, und aus diesem Grunde möge man den Ostbahn-Getreidestaffeltarif beseitigen. Meine Herren, als seiner Zeit die Aufhebung des allgemeinen Getreidestaffeltarifs von 1891 im Landes-Eisenbahnrath befürwortet wurde, wurde von seiten der Landwirthe, namentlich der östlichen Gegenden gesagt: wenn das Opfer gebracht werden muß, dann seßen wir do als selbstvét}stänblih voraus, daß wir wenigstens unsere

billigen Preisen nicht nur nah Berlin zu kommen, fondern gzu billigen Preisen auch unsere Ostseepläge .-aufzufuchen." Denn der Ostbahn- Staffeltarif gilt nah jeder Richtung und gilt nicht bloß für Berlin. Ih muß sagen, ih kann die Gründe niht wobl einsehen, die dafür sprechen follten, im Interesse - der Produzenten öftlih von Berlin diesen Getreidestaffeltarif zu beseitigen und dafür -den höheren :Normaltarif wieder einzuführen; es würde das unzweifelhaft für eine große Auzahl -von Produzenten immerhin nit unerheblihe Ershwerungen in dem Absay ihrer Pro- dukte sowohl auf dem Berliner Markt wie nah den: Seepläßen hervor- rufen. Indessen mag ja diese Frage noh einmal näher untersucht und erörtert werden. Wie gesagt, im Jahre 1894 hat man ih für Beibehaltung dieser Ostbahn-Staffeltarife fehr lebhaft ausgesprochen. Was nun den § 19 des russishen Handelsverträges bezw. die Zusaßbestimmungen zu § 123 anbetrifft, so möchte ih mich auf die staatsrechtlihe Deduktion des Herrn Grafen von Klinckowstrôm, die ih für unrichtig halte, nicht weiter einlassen. Die russischen Handelsverträge find von allen Faktoren der Reichsgeseßgebung genehmigt und dadurch für das ge- sammte Reich zum Geseß geworden eine Genehmigung seitens der einzelnen Bundesstaaten bezw. ihrer Landtage ist meines Erachtens damit überflüssig geworden. Meine Herren, der Zusaß zu dem S 19 ist nun vielfa in der Presse sowohl wie im Landtag und au im Reichstag angefochten worden. Dazu möchte ih zunächst bemerken, daß der § 19 nur den thatsählihen Zustand, wie er bereits bestand, fixiert. Es sind seit längerer Zeit die russishen Tarife für Königsberg und Danzig übernommen worden, genau so wie das in dem S 19 vorgesehen worden ist, es sind mit andern Worten unsere Seehäfen von seiten der russischen Eisenbahnverwaltung als russishe Häfen angesehen worden. Es war für unsere Ostsee- pläße von ‘der allergrößten Bedeutung mit Rücksicht auf die Konkurrenz von Liebau, welches sich von Jahr zu Jahr in seiner Leistungsfähigkeit und auc in seinen Leistungen selbst außerordentli gehoben hat, in dem Handelsvertrag eine bestimmte Zusicherung Ruß- lands zu erlangen. Das is durch den § 19 erfolgt. Der Zusatz zu 8 19 enthält nun allerdings etwas Neues, indem er die Durch- rechnung der russishen Tarife nicht mehr von der -See- ausfubr abhängig macht, \ondern die ermäßigten russischen Tarife au für Königsberg und Danzig Toko giebt. Es ist daraus die Befürchtung erwachsen, und sie hat ja im ersten Augenblick au Wahrscheinlichkeit für fich, daß nun das nach Königsberg gelangte russishe Getreide von dort aus rückwärts ins Land befördert würde, um dort mit der inländischen Produktion in Konkurrenz zu treten. Es hat Herr Graf von Klinckowström davon gesprochen, daß die Staats-Eisenbahnverwaltung bemüht gewesen wäre, diesen Befürchtungen dur Verwaltungsmaßregeln entgegenzutreten, und er hat offenbar da eine Maßregel im Auge gehabt, die darin besteht, daß diese russischen Tarife nur gewährt werden für solches Getreide, welches loko Königs- berg und Danzig au wirklich zur Ausladung kommt. Soll dieses Getreide nunmehr wieder ins Inland befördert werden, so hat es die aus der Verladung und Lagerung erwachsenden Spesen und bei Benußung des Schienenweges Expeditionsgebühr aufs neue zu bezahlen für den Transport von Königsberg bezw. Danzig nach der Empfangsstelle. Das genügt in weitaus den meisten Fällen, einen Nücktransport solchen russishen Getreides nah dem Inland un- mögli zu machen ; die Erfahrungen, die seit der Zeit gemacht wor- den sind, bestätigen das vollständig.

Ehe ich -die Ziffern hierfür gebe, möhte ih mir gestatten, die Konstruktion dieser russischen Tarife den Herren mitzutheilen. Es kommen hier allerdings nicht bloß die Staats- eisenbahnstrecken, sondern auch zwei Privatbahnstrecken in Betracht, die in diesen Verkehren von sehr erhebliher Bedeutung sind: die Strecke Marienburg—Mlawka und die Ostpreußishe Süd- bahn. Die deutshen Antheile der Staatsbahnstree Wir- ballen Königsberg betragen für Wilna Königsberg (325 km.) = 3,81 4 für das Tounenkilometer, das ift genau der deutsche Saß des Ostbahn-Staffeltarifs pro Tonnenkilometer, also bei einer Ent- fernung von 325 Kilometern findet eine Ermäßigung des deutschen Antheils nicht statt. Minsk, 508 Kilometer, hat einen Saß von 3,22 H gegen den Inlandssaß von 3,8 4; Homel (708 Kilometer) hat einen Saß von 2,28 H pro Tonnenkilometer gegen 3,80 4, und so geht es weiter, sodaß Orenburg bei einer Entfernung von 2754 Kilometern, was ungefähr wohl die weiteste Entfernung, die hier in Betracht kommt, ist, auf 2,01 #4 pro Tonnenkilometer herabgeht. Es geht daraus hervor, daß die vielfahen Behauptungen, es wären weit geringere Säße eingerehnet, z. B. 1,1 s, irrig sind. Es ift aber auc ferner klar, daß die Wirkungen diefer Tarife doch nit so ungemein einsneidend sein können, wie das vielfa behauptet worden ist.

Hiermit stehen die wirklihen Transportziffern auch im Ein- klang. Es is befürhtet worden, daß das russishe Getreide theils ungemahlen, theils aber auch, von den großen Mühlen in Königsberg und Danzig zu Mehl vermahlen, ins Inland wieder hineinkommen könnte, und daß ferner auch der Konsum dieser großen Mübßlen an ausländischem Getreide zunehmen würde. Meine Herren, es ergeben \ich folgende Ziffern. Der Bezug an in-

land in den Königsberger Mühlen gestiegen, der Bezug an auslän- dishem Roggen gefallen; es ist also gerade das Gegentheil von der ausgesprochenen Befürchtung eingetreten. Es ist gestiegen der Bezug an inländishem Roggen von 22700 t im Jahre 1892 auf 30000 t in 1894; der Bezug von ausländishem Roggen ist von 10700 t in 1892 und von 14100 t im Jahre 1893 auf 10 000 in 1894 gefallen. Der Mehlabsaß der Königsberger Mühlen nah dem Inland ist gefallen, nah dem Ausland gestiegen. Der Absatz geht fast aus\s{hließlich nach der Provinz. Er war im Fahre 1891 3700 t, in 1894 1900 t. Der Absay nah Deutschland zur See hat auch früher stets stattgefunden und durfte nah den bestehenden Vereinbarungen mit den rufsishen Bahnen au stattfinden, der Tarif bezog sih ebensowohl auf das Getreide, welches nah dem Ausland über See ausgeführt wurde, als auf das, welches nah dem Inland über See ausgeführt wurde, der Ahsaß der Mühlen 1891 per See nach dem - Inland betrug 15 600 t- 1893 = 22 800 t, 1894 = 16 609 t. Dagegen war der Absay nah dem Ausland 1891 12000 und im Jahre 1894 21600, f also hier sehr erheblich gestiegen. Was die Mühlen in Danzig betrifft, fo is die Produktion dieser Mühlen 1894 gegen die heiden

Getreide

ländishem Roggen ift seit Abs{chluß des Handelsvertrages mit Nuß -

der Provinz ist in ‘den leyten vier Jahren ungefähr glei geblieben ; er betrug in jedem Jahre rund ‘22 000 t; dieser ging im wesentlihen nah Pommern:-- Der Mehlabsay über See ift gestiegen von 60009

auf 73 000 im Jahre 1894. - Was nun den Getreide-Eingang und „Ausgang in Königsberg und Danzig betrifft, fo war derselbe fol,

gender: Im Jahre 1893 find in Königsberg Spgggngen bo: Snland 140000 t, 1894 vom Inland 135 000 t; vo Ausland sind eingegangen 1893 187 000 t, 1894 313000 t. Der Ausgang hat betragen nach dem Inland 1893 28 700, - 1894 39 100, also hier sind 11 000 mehr ins Inland gekommen. “Ich omme. auf diese Zahl noch zurüs, - Nach dem Auslande sind ausgeführt 257 000 © im Jahre 1893 und 376 000 & im Jahre 1894, also ein sehr erheblihes Anwathsen der Ausfuhr nah dem Auslande.

Was nun die Einführung verzollten Getreides nah dem Inland - anbetrifft, so ist das in der Hauptsache Gerste und zwar Futtergerste. Rußland hat im Jahre 1894 eine fo ergiebige Ernte an gering- werthiger Gerste gehabt, daß es fie zu außerordentlich billigen Preisen über die Grenze geworfen hat, und die Landwirthe in den Ostprovinzen haben sie gern als Futter genommen. Darin besteht die

1 Hauptzunahme. Dann is aber auch ein Theil diefer Zunahme auf

das inländishe Getreide zu nehmen, welches auf Grund..des Einfuhr- scheins ins Ausland gekommen ist; diese Menge betrug für Königs- berg 19 000 t. Für die Getreidezufuhr nach Danzig stehen die Ver- gleihsziffern von 1891 bis 1894 zur Verfügung, die noch zutreffender das Verhältniß beleuchten. Es is die Zufuhr vom Ausland gewesen 1891 = 124 000 t, 1892 = 47 000 t, 1893 = 117 000 t und 1894 = 115 000 t; dagegen vom Inlande 1891 88 000 t, 1892 = 64 000 t, 1893 = 71000 t, 1894 = 77000 t. Es hat si also die Zufuhr nach Danzig von inländishem Getreide von 1894 gegen 1891 verdoppelt. Die Zufuhr ‘von rufsishem hat sich, wenn auch nur - eine Kleinigkeit, er- mäßigt. In Speisegetreide namentli is die Zufuhr von Ruß- land -erheblich geringer gewesen, dagegen hat sie ziemlih erheblih zu- genommen in-Kleie. Die See-Ausfuhr hat betragen von Danzig in allen Gattungen 1891 rund 100 000 t, im Jahre 1894 98 000 t; sie ist also im Gegensay zu Königsberg nicht gestiegen, fondern hat no eine Kleinigkeit abgenommen.

Meine Herren, es dürfte daraus hervorgehen, daß wenigstens bis jeßt was die Zukunft bringen mag, darüber können wir alle ein zutreffendes Urtheil, glaube ich, heute noch nicht abgeben der Artikel 19 des russischen Handelsvertrags sammt seinem Anhängsel nicht die verderblichen Wirkungen ausgeübt hat, die man ihm naÿ- esagt. f, “Meine Herren, es ist von dem Referenten Herrn Grafen

Frankenberg gesagt worden, daß die Aufhebung der Staffeltarife

ih möchte das noch nahholen in mancher Beziehung einen ganz

außerordentlich nachtheiligen Einfluß gehabt hätte. Für gewisse

Relationen gebe ih das bereitwilligst zu. Es ist der Verkehr des

Getreides auf die Entfernung über 200 km wieder auf den Saß

zurückgegangen, der vor der Einführung der Staffeltarife bestanden

hat, daß nämli etwa 10 % der Getreidetrans8portmenge sich über

900 km bewegten, während er unter der Herrschaft des Staffel-

tarifs bis über 18 % gestiegen war. Meine Herren,

aber so ganz rein und zweifelsohne aus solchen Ziffern den Beweis

“für irgend eine der Behauptungen zu ziehen, ist außerordentlih

\{chwer. Denn es spielen eine ganze Reihe von anderen Momenten

noch mit, insonderheit aber mat si in sehr erheblihem Maße der

Einfluß der Ernte geltend, und dem Einfluß der Ernte ist es

beispielsweise zuzuschreiben, daß, wie Graf Frankenberg aus-

führte, die Schlesier niht in der Lage gewesen sind, im

vorigen Jahre ihre Gerste als Braugerste loszuwerden, denn die Gerstenernte is in aller Welt außerordentli stark gewesen. Am meisten haben das die mährischen Gerstenbauer beklagt. Also es läßt sich nicht mit Bestimmtheit behaupten, daß diese oder jene Erscheinungen lediglih - auf die und die Tarifmaßregeln zurückzuführen sind; sondern es spielen in allen diesen wirthshaftlihen Dingen andere Momente mit, die erst herausgeshält werden müssen, ehe man zu einem reinen Resultate fommt.

Meine Herren, ich wende mich nunmehr zu dem zweiten Theil der Petition, die dies hohe Haus heute beschäftigt und die dahin gek, die Viehtarife, welche zur Zeit für Berlin vom Osten her bestehen, auf das ganze Staatseisenbahnney guszudehnen. Diese Petition it von Slesien gestellt worden, obwohl die Provinz Schlesien in Bezug auf die Viehtarife am günstigsten gestellt ist, weil Sqlesien au er- mäßigte Tarife nah Sachsen hat un weil seiner Zeit zur Beseitigung eines gewissen Nothstandes auch ermäßigte Tarife gegeben sind von Breélau nah Oberschlesien. Der Nothstand ging vorüber. An die Aufhebung der Tarife wollte man niht gern gehen, weil dies für die Land- wirthschaft von nachtheiligen Folgen gewesen wäre. Also diefe Tarife bestehen zur Zeit noh. Ich habe das in Klammern anführen wollen, daß jedenfalls die Sclesfier in Bezug auf die Viehtarife beser gestellt sind, wie irgend ein anderer. Aber im allgemeinen fann ich der Petition bezüglich dieses Punktes eine gewe Berechtigung nicht absprehen. Ih muß anerkennen, daß das Aufhören der Staffeltarife in Berlin Mißstände im Gefolge gebabt hat, auch abgesehen von tarifarishen Mißständen, jedenfalls aber wesentlih dazu beigetragen hat, Berlin zum Monopolplaß des Fleisch- und Viehhandels für ein großes Gebiet unseres Landes zu machen (Sehr richtig !), in größerem Maße, als das vielleiht für das all- gemeine Interesse zuträglich ist. Es knüpfen fich daran auch veterinare Bedenken. Es wird vielfah behauptet, daß der Berliner Viehmarkt der Herd aller Seuchen sei, und ist derselbe ja auch wiederholentlih aus diesem Grunde gesperrt worden, was dann jedesmal in den Absaß- verbältnissen derjenigen, "die auf die Lieferungen nah dem Berliner NViehmarkt angewiesen sind, die allergrößten Unzuträglichkeiten hervor gerufen hat. E

Meine Herren, die Staatseisenbahn-Verwaltung ist bereit, dielen Theil der Petition, also die ErstreŒung der Viehtarife für das ganze Staatseisenbahnnetz, in Erwägung zu ziehen und eine dementsprechende Vorlage demnächst an den Landes-Eisenbahnrath gelangen zu laffen.

Damit wäre, wie ich glaukte, dasjenige beantwortet, welches seiten? des Herrn Referenten sowohl wie auch des Herrn Grafen Klinckow- \tróm hier angeregt und ausgesührt worden ift.

&ch erfülle nur eine Pflicht, wenn ih dem Herrn Referenten {ließlich noch meinen Dank aussprehe für die freundlihe Beurthei- lung der Maßregeln, die seitens der Staatseisenhahn-Verwaltuns

=

alten Ostbahn-Stafféltarife behalten dürfen, die uns ermöglichen, zu

Vorjahre vergrößert von 48 500 auf 58500 t. Der Mehlabfaß in

bezüglih Ermäßigung der Düngertarife ergriffen worden sind.

‘von Graß bittet besonders im Interesse der östlichen Land-

Ante uts Cas der billigen Viehtarife überBerlin: hinaus. -

Ober-Bürgermeister B \icke spricht für Einführung der Staffel - „tarife. Die Seestädte sollten mit ‘dem Nußen Mcieden: sein ‘der ihnen ‘gus dem k sen Handelsvertrag erwachse. “Dem Westen könnten als Ersaß für die Bewilligung der Stäffeltarife! Kanäle bewilligt werden; ‘auhfônne der Zukerrübenindufstrie, die von den Staffeltarifen keinen Vortheil babe, dure Heräbfezung - der Steuer - auf minderwerthigen ¡Quer gen werden. 3 Graf von Klinckowström spriht -die Hoffnung aus, daß ‘Tariferleihterungen baldmöglichst erfolgen werden. | Die Petition wird der Regierung zur Erwägung über- wiesen. Schluß 5 Uhr.

Haus der Abgeordneten. 50. Sißung vom Mittwoch, 27. März.

Ueber den Beginn der Sizung ist gestern berihtet worden.

Bei der dritten Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die Erweiterung und Vervollständigung desStaais- eisenbahnneßes und die Betheiligung des Staats an dem Bau von Kleinbahnen, nimmt nah dem Abg. de Witt (Zentr.) das Wort der

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen: Meine Herren! Die “Eisenbahnverbindung Köln—Cassel hat dieses hohe Haus in früheren Jahren wiederholt beschäftigt, und die Staatsregierung hat“ihre?Añsicht stets dähin ausgesprochen, daß das Projekt Köln—Cassel an sich diejenigen wirthshaftlihen Vortheile nicht bôte, die man davon erwartet, daß aber andererseits der Ausbau dieser Strecke ganz außerordentlich tzhnische Schwierigkeiten und hohe finanzielle Opfer erfordern, und doch nur crreiht würde, daß die Ver- bindung zwischen Köln und Kassel über die neue Straße um einige Kilometer länger würde und über viel höhere Berge führen müßte als die gegenwärtige Verbindung. Nun hat der Herr Vorredner angeregt, dann wenigstens inner- halb diefes ursprünglichen Projekts die Linie Bergisch - Gladbbah— Wipperfürth zur Ausführung zu bringen, und hat dabei hervorge- hoben, daß ein Comité bereits in dieser Beziehung technische Vorarbeiten hätte ausführen lassen, die ein sehr günstiges Resultat ergeben hätten. Diese Vorarbeiten sind mir nicht bekannt, wohl aber ist mir die Gegend sehr genau bekannt, und aus dieser örtlihen Bekanntschaft, die ih vielfach zu Wagen und zu Fuß habe erneuern dürfen, habe ih einige gerechte Zweifel, ob die Bahn wirklich mit geringen Kosten und geringen Schwierigkeiten auszuführen ist. Ih möchte aber dem be- treffenden Lokalcomité anheimgeben, mir durch Einsendung des Pro- jefts eine bessere Ueberzeugung beizubringen. __ Abg. Dr. Sattler (nl.): Die Vorlage isst allerdings etwas reihliher ausgefallen, als in den beiden Vorjahren. Es ift aber erade in Zeiten wirthshaftliher Depression im Interesse von ndustrie und Landwirthschaft geboten, durch reihlihen Bau von Nebenbahnen zur wirthshaftlihen Hebung beizutragen. Unsere FaoE steht meiner Ansiht nach dem nicht entgegen, da es sich ei Eisenbahnbauten um Kapitalanlagen handelt, die \chließlich das werbende Vermögen des Staats vermehren.

Ohne weitere Debatte wird der ganze Gesehentwurf angenommen, ebenso die Resolution der Kommission.

Es folgt die zweite ne des Gesetzentwurfs, betreffend die Verwaltung des Pfarr-Wittwen- und Waisenfonds und die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Geistlichen der evangelisch - luthe- rishen Kirche der Long Hannover, der evan- E Kirche der Provinz Shleswig- Holstein, der evangelishen Kirchengemeinschaften des Konsistorialbezirks Cassel, der evangelischen Kirche des Konsistorialbezirks Wiesbaden und der evangelisch -reformierten Kirhe der Proinz Hannover.

__ Abg. von Pappenheim (konf.) mat darauf aufmerksam, daß die Einführung des Gefeßes verschiedene Härten für ältere Geistliche im Bezirk Cassel mit ih führe, die der Beiträge für die bisherigen Eo ionéfassen verlustig gingen. Er hoffe, die Regierung werde diesen

eistlichen den Uebergang wohlwollend erleichtern.

Regierungs-Rath Schwarzkopf sagt dies Ministers zu.

Abg. Dr. Rudolphi (Zentr.) beklagt es, daß aus dem Pensionsfonds auch zwangsweise aus ihrem Amt entfernte evangelishe Geistliche

ensionen erhielten, und verlangt für den Emeritenfonds für die

atholishen Geistkichen einen dem zu dem Reliktenfonds der evangeli-

{hen Geistlihen beigesteuerten Staatszushuß entsprehenden Zuschuß seitens der Staatsregierung.

Neglèn6uas Nath Schwarzkopf erklärt: seitens der Gerichte werde den zwangsweise amtsentseßzten evangelischen Geistlichen oft ein Theil der Pension zugesprochen, der aus den zur Ver- fügung stehenden Fonds entnommen werden müsse. Der katholische Emeritenfonds empfange einen höheren Zuschuß als der evangelische NReliktenfonds. i i :

Ohne weitere Debatte wird der Gesegentwurf in zweiter Berathung angenommen.

Das Haus geht sodann zur Berathung des Antrags der Abgg. Ring (konf) undGenossen, betreffend die Sperrung des städtishen Vieh- und Shlahthofs in Berlin, über. Der Antrag geht dahin:

__ Die Regierung zu ersuchen, mit möglidster Beschleunigung diejenigen administrativen und geseßlihen Maßregeln zu ergreifen, welhe nothwendig find, um die dur die wiederholten Sperrungen des Berliner städtishen Vieh- und Scchlachthofs der einheimishen Landwirthschaft und dem Vich- handel ee {weren Schäden für die Zukunft zu beseitigen.

ur Begründung des Antrags erhält das Wort der

__ Abg. Ring (konf.): Der Berliner Vieh- und Schlathof hat für die deutshe Landwirthschaft und den deutschen Viehhandel eine ganz hervorragende Bedeutung. Der Werth des im Jahre 1893/94 dort umgeseßten Viehes betrug 1314 Millionen Mark. Er ist der größte Export- Viehmarkt Deutschlands, und seine Sperrung bringt jedes Mal nit nur den Viehhändlern, sondern auch der Landwirth- schaft großen Schaden. Derartige Sperrungen treten aber häufig auf, so im Jahre 1894 sechsmal an insgesammt 128 Tagen. Hervor- en werden diese Sperrungen durch die Seuchengefahr, welhe wegen der ungenügenden Trennung des Viehhofs vom Schlachthof eintritt. Nah dem Seuchengeseß is die Schließung durhaus unanfechtbar. Schon im Jahre 1888 erklärte

Berliner Stadtverordneten, daß die Seitdem sind diese Verhältnisse aber Verkehrs, die Auch die An-

im Namen des

eine Magistratsvorlage an die erhältnisse ungenügend seien. t i noch ungünstiger geworden durch die Steigerung des seit 1888 rund 400 000 Stück Schlachtvieh beträgt. Au fammlung des Düngers und seine Abfuhr birgt eine Steigerung der euchengefahr in sh. Dieser stets feuchenverdähhtige Dünger wird

Jahre 1894 um 400000 „G geädigt worden, da mit dem Dünger die Viehseuchen eingeshleppt wurden, Eine räumliche rennung von Sglaht- und

weit ins Land und im

hinaus geführt, ist der Wandsbecker

Kreis dadurch

eingehen will, so wird ‘von der Regierung - entweder eine Zwangs- J ierung, ‘oder eine: Konzéssionsentziehung vorzunehmen fein. : Mag man dann die Konzession auf die Landwirthschaftskammer für Branden- burg übertragen, fie wird das gute Geschäft gern übernehmen. Die Verseuhung_ geschteht meist in den Sammelstallungen der Händler, und es wäre nöthig, den "Depattements-Thierärzten zwei ‘oder drei Thierärzte zu attachieren, ‘die keine -Privatpraxis : haben dürften, Fondern lediglich den Seuchen nahforshen „müßten. Auch den Kreis - Thierärzten müßte ‘jede Privatpraxis verboten werden; wenn dies auch Geld kostet, so’ steht das niht im Verhältniß

zu der Shädigung der Landwirthschaft durch die. Seuchen. Diese

Schädigung hat von 1870 ‘bis 1890 17- Millionen Mark, von da ab bis heute ewiß das Doppelte betragen. _ Schlimmer: aber noch, wie auf dem Berliner Viehhof geht es auf dem Rummelsburger Vieh- matfkt her, der auch von dem Berliner Viehhofsdirektor aufs \{ärfste verurtheilt wird, weil man den Handel in diesem unkontrolierbaren Viertel für am gefährlihsten hält. Troßdem [eint die f onga Regierung diesen Rummelsburger Winkel für ein Muster zu halten. Die Schädigungen, die namentliG auf dem Schweine- matkt durch den Rummelsburger Markt den kleinen Leuten zugefügt werden, sind eigentli erst durch die' Schweineversicherung ans Tages- licht gekommen. Ganze Schweineherden, die von Rummelsburg aus ins Land getrieben sind, waren nah kurzer Zeit vernihtet. Es- ist ein Unding, daß der Berliner Markt dem Polizei-Präsidium, der Rummels- burger, dicht dabei Ee, der Potsdamer Regierungsbehörde unter- stellt ist. Beide Märkte müssen unter einer Aufsichtsbehörde vereinigt oder, wie es jeßt auch der Berliner Magistrat wünscht, der Nummels8- burger Markt ganz aufgehoben werden.

stei Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hamme r- Un: Meine Herren! Zunächst möchte ih meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß diese bezüglih der Gesundheit unserer Vieh- bestände hohbedeutsame Frage hier im hohen Hause zur Sprache ge- kommen ist. J kann auch ferner anerkennen, daß im wesentlichen alle diejenigen thatsächlihen Darlegungen bis auf wenige, die der Herr Vorredner gegeben hat, als zutreffend anzuerkennen sind. (Hört, hört! rechts.) Mir \{eint aber die Formulierung ‘des Antrags mit der Begründung nicht vollständig übereinzustimmen. Jch will diese Behauptung sofort begründen. Der Antrag lautet : Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, mit möglichster Beschleunigung diejenigen administrativen und geseßlichen Maßregeln zu ergreifen, welche nothwendig sind, u. st. w. Der Herr Antragsteller hat allerdings von administrativen Maßregeln ge- sprochen; aber darüber, wie die gesezlihen Maßregeln gedacht sind, welche den Mißständen auf dem Berliner Schlaht- und Markt-Viehhof abhelfen sollen, darüber fehlt eine Erläuterung. Ich hebe dies schon hervor, da es mir erwünscht ersheint, daß im Laufe der Debatte diejenigen gesetz- lien Maßregeln, welche das hohe Haus bei der Staatsregierung zu beantragen wünscht, Élargelegt werden. Weshalb ich das wünsche, werde ih später weiter begründen.

Sodann habe ih hervorzuheben, daß mir die Nichtung des An- trags mit den Darlegungen nit vollständig übereinzustimmen s{heint. Der Antrag richtet \sih wesentlich gegen die Sperrmaßregeln. Ich werde im Laufe des weiteren Vortrags darlegen, daß leider nah meiner Ansicht, die vielleiht eine Berichtigung im hohen Hause er- fahren wird, zur Zeit die Sperrmaßregeln das einzige Mittel find, mit welchem mit Erfolg gegen die Mißstände einzuschreiten ist. Nun wird in der Begründung ausdrücklich gesagt : „der einheimischen Landwirthschaft so nachtheiligen Sperr maßregeln". Auch das muß ich berihtigen. Die Sperrmaßregeln sind das einzige gegenwärtig bestehende Mittel, um gegen die Weiterverbreitung der Viehfeuchen im Interesse der Land- wirthschaft vorzugehen. Nun wird hier der Antrag gestellt, die Miß- stände der Sperrung, also die Sperrung, zu beseitigen. Die Sperr- maßregeln find aber, wie ih {on sagte, das einzige Mittel, welches wir, und zwar im Interesse der Landwirthschaft, anwenden können, um die veterinären Schäden und Gefahren, welche vom Schlacht- viehhof in Berlin ausgehen, zu bekämpfen. Ich möchte also dem Herrn Antragsteller anheimgeben, im Interesse der Sache dem Antrag eine andere Faffung auf der Grundlage, die ih dargelegt habe, zu geben.

Nun, meine Herren, gehe ich zunächst auf die thatsählihen Ver- hältnisse ein. Die Königliche Staatsregierung is zweifellos über folgenden Punkt: für den Schlaht- und Viehhof in Berlin sind folgende Maßregeln nach Ansicht der Staatsregierung unentbehrlich, wenn die Gefahren, die mit dieser Einrichtung für die Landwirthschaft verbunden sind, beseitigt werden sollen: 1) die Vermehrung der Stallungen und Schlachträume auf dem Schlachtviehhof und Seuchenhof bezw. Errichtung von Ställen und Schlachthäusern für Schweine auf einem vom Viehhof getrennten Terrain, damit gleich nah Schluß jeden Markttags der Viehhof von allem Vieh geräumt werden kann ; 2) Verbreiterung der Ausladerampen auf dem Viehhof, damit die an- kommenden Viehtranéporte gleich bei der Ankunft besser, als es jeßt der Fall ist, auf ihren Gesundheitszustand untersucht werden können ; 3) ist die Unschädlihmachung des Düngers, und zwar durch Anlage neuer Dungstätten, Desinfektion des Düngers, unentbehrlich. Diese Forderungen entsprehen auch denjenigen des Herrn Antrag- stellers; 4) Herstellung von Anlagen, welhe es ermög- lihen, daß die Viehzüge nur bei Tageszeit zur Entladung kommen, damit noch bei Tage sofort die Untersuchung auf den Gesund- heitszustand eintreten kann.

Meine Herren, über alle diese Maßnahmen das hat der Herr Vorredner zutreffend dargelegt wird \{chon seit Jahren mit dem Magistrat, dem Rechtêträger des Schlahthofs und Viehhofs, verhandelt, und zwar durch dasjenige Organ, dem in der Stadt Berlin die Auf- sicht über diesen Marktverkehr und Viehhof zusteht, durch den Polizei- Präfidenten, unter oberer Leitung des landwirthschaftlihen Ministe- riums. Der Magistrat hat, wie das ja auch in dem Vortrage dargelegt ist, anerkannt, daß seine Einrichtungen diesen Anforderungen nicht entspreen. Wenn troßdem keine Abhilfe erfolgt ist, so trägt vielleiht nicht die Schuld der Magistrat, sondern anscheinend, da zweifellos diese Einrichtungen der Stadtverwaltung recht erhebliche Kosten verurfachen, die Stadtvertretung, welche die Mittel bewilligen muß. (Heiterkeit rechts.)

Meine Herren, nun kommt in Frage: welhe Mittel stehen der Staatsregierung bezw. ihren Organen zur Verfügung, um von der Stadtverwaltung dasjenige zu erzwingen, was man diesseits für noth- wendig erachtet ?

In dem Antrage sind zunächst allgemein geseßlihe Maßregeln er- wähnt. Die Staatsregierung hat sich klar zu machen versucht, ob und welche geseßlichen Maßregeln zu ergreifen sind. Es kämen wohl nur Be- stimmungen, welhe die Gewerbeordnung ändern, in Frage. Nach der Gewerbeordnung wird der Stadt Berlin die Konzession zur

Viehhof ist durchaus nothwendig. Wenn der Magistrat darauf nicht

werden können. Die Gewerbeordnung enthält aber “Bestimmungen nicht, auf Grund deren man anordnen könnte, die Herftellung ‘be- stimmter “Einrichtungen ausjuführen. Das einzige, was man ‘sih denken könnte, wäre, daß man allgemein geseßlich der Staatsregierung die Befugniß giebt, bei Ertheilung von Konzessionen zur Abhaltung von Schlacht- und Viehmärkten diejenigen ‘baulihen und fonstigen Maßnahmen auszuführen, wéle- sie im öffentlichen Interesse für er- forderlich hält. “Solche geseßlihen Bestimmungen gehören dem Ge- biet der Gewerbeordnung an, liegen also auf dem Gebiet der Reichs- gesetzgebung.

Für den Schlachthof, meine Herren, ist ebenfalls eine- Konzession erforderlich. Die Konzéssion beruht auf dem Schlachthausgeseß, und wenn Sie das Gesey näher ansehen, so enthält auh dies keine geseulihe Vorschriften, auf Grund ‘deren derartige An- forderungen an die Stadtgemeinde gerihtet werden “könnten. Nun giebt der Herr Vorredner Zwangsetatisierung anheim. Der Herr Vorredner scheint der Meinung zu sein, daß es möglich wäre, seitens der staatlichen Behörden anzuordnen, welhe baulihen Verkehrs- und anderen * Einrihtungen auf dem Schlaht- und Markt-Viehhof erforderlich sind, um die veterinären “Gefahren zu verhüten. So habe ich den Herrn Vorredner verstanden. Nun soll, falls der Magistrat oder die Stadtvertretung. in betimmt vorgeschriebener Frist diese Anordnungert niht ausführt, der Weg der Zwangsetatisierung betreten werden. Das bedeutet also: auf Kosten der Stadtgemeinde, von der die Mittel eingezogen werden, hat die Staatsregierung dur ihre Organe die erforderlichen baulichen und Verkehrseinrihtungen aus- führen zu lassen. Leider hat diese Deduktion eine sehr wesent- liche Lücke. Zwanggsetatisieren kann man nur da, wo eine geseßliche Verpflichtung vorliegt, und ih habe Ihnen eben {hon dargelegt, daß die Staatsregierung der Meinung ist, daß eine solche geseßliche Be- stimmung, welche der Stadt auferlegt, die für ihren Marktverkehr hier auf dem Viehhof bezw. für den Betrieb auf dem Schlahthof nöthigen baulichen und sonstigen Verkehrseinrihtungen zu treffen, z. Z. nicht existiert. Damit fällt also die Möglichkeit für die Staatsregierung fort, im Wege der Zwangsetatisierung gegen die Stadtgemeinde vorzugehen.

Sodann, meine Herren, ist von dem Herrn Vorredner erwähnt : warum man der Stadtgemeinde die Konzessionen nicht sowohl für den Schlachthof, wie für den Marktverkehr entzieht. Meine Herren, ih glaube, das hâlt der Herr Vorredner selbst kaum für möglich. Vergegenwärtigen Sie sih, daß einer Stadt von 2 Millionen Ein- wohnern der Markt- und Schlachthausverkehr entzogen werden foll, ohne daß fofort, wo das geschieht, die nothwendigen anderen Einrich- tungen ins Leben treten; das hält die Königlihe Staatsregierung für unausführbar.

Nun, meine Herren, i} gesagt, die Landwirthschaftskammer für die Provinz Brandenburg würde wahrscheinlich bereitwilligst darauf eingehen, solche Einrihtungen hier in der Stadt zu treffen. Jh will diese Möglichkeit zugeben. Die Landwirthschaftskammer wird aber erst in 3 bis 4 Jahren die umfangreichen baulihen und Verkehrsein- richtungen herstellen, den Grund und Boden, welcher mit den Bahngeleisen in Verbindung gebracht werden muß, erwerben können. Die Frage, ob man das kann, bejaht die Königliche Staatsregierung ; sie glaubt aber, daß thatsächlih so erheblihe Schwierigkeiten in der Sache liegen, daß auch dieser Weg nicht gangbar ijt.

Ja, meine Herren, dann bleibt von den Mitteln, die wir an- wenden können, lediglih die Sperrung übrig, die ausgeführt wird das hat der Herr Vorredner, glaube ih, auch {hon angeführt auf Grund der §§ 53—56 des Reichs-Viehseuhengeseßes. Von dieser Maß- nahme hat die Staatsregierung bis jeßt in ausgiebigster Weise Gebrauch gemacht. Der Herr Vorredner hat Ihnen das ja dargelegt. Im leßten Jahre hat die Sperrung 127, in dem Vorjahre, wenn ih uit irre, je 40 bis 50 Tage bestanden. Das ist das einzige Mittel, welches der Staatsregierung zu Gebote steht, um eine Pression auf den Magistrat auszuüben. Jch bin der Meinung, daß allmählih die Stadt- verwaltung auch zu der Ansicht gekommen ist, daß sie in rasherem Tempo in diesen Sachen vorgehen muß, als das geschehen ist, weil sie das hat der Herr Vorredner auch ausgeführt bei ihren Berathungen, wenigstens der Magistrat, zu der Ansicht gelangt ift, daß im allgemeinen öffentlihen Interesse die Stadt verpflichtet ift, \folhe Einrichtungen zu treffen, und daß, wenn sie das niht thut, ein allgemeiner Unwille gegen die Stadtverwaltung eintreten würde, welchen zu vermeiden geboten ersheint. (Bewegung rechts.) Nun muß ich leider anerkennen, daß die bisherige Pression allerdings zu einem Er- gebniß nicht geführt hat. Jm Jahre 1893 hat die Stadtverwaltung Pläne für die in Frage stehenden Erweiterungsbauten vorgelegt. Mit dem Polizei-Präsidenten ist über diese Pläne verhandelt, die indessen für ungenügend befunden wurden. Dann hat allerdings die Stadtverwal- tung ein volles Jahr darüber hingehen lassen, ehe sie wieder mit neuen Plänen hervortrat. (Hört, hört! rechts.) Aber es scheint, daß, wenn man auf dem allein gangbaren Wege weiter vorgeht, jeßt die Stadt- verwaltung gewillt ist, den staatlihen Forderungen zu genügen. Die Staatsregierung wird indessen dankbar sein, wenn Sie ihr gangbare Mittel zeigen, mit denen die Stadtverwaltung zu zwingen ist, sofort den staatlichen Anforderungen zu genügen.

Ich habe im Eingange meines Vortrags darauf hingewiesen, daß der Vortrag des Herrn Vorredners eingehend und vollständig, auh in hohem Grade interessant war. Jh erkenne nochmals an, daß seine thatsächlihen Darlegungen zutreffend und berechtigt sind; nur bezüglich der geseßlichen Mittel enthält derselbe bis jeßt eine Lüde.

Seitens der Staatsregierung ist ferner die Frage erwogen, ob es zu- lässig und möglich sei, durch Ordnungsstrafen die Stadtverwaltung zu zwingen. (Heiterkeit.)

Meine Herren, solhe Maßnahmen werden wenig Erfolg haben! In der Grenze, in welher Ordnungsstrafe zulässig, die man allerdings wiederholt anwenden könnte, wird damit wenig zu erreichen sein. Meine Herren, das wäre ein Schlag ins Wasser. Mit solhen Maß- nahmen wird man gegen die Kommune niht vorgehen können. Auf der anderen Seite erspart sie dadur, daß sie solche Einrichtungen nicht ausführt, jährlih etwa M 40 000 an Zinsen, eine Verwendung von mindestens einer Million Mark.

Meine Herrén, dann sind cine Reihe anderer Dinge von dem Herrn Vorredner berührt worden. Er hat ausgesprochen, daß er es für dringend nothwendig halte, daß der Landwirthschaft, sowohl bei dem Verkehr an der Produktenbörse, als auch bei dem Markt- verkehr, eine größere Einwirkung eingeräumt werde. Das Gese über die Landwirthschaftskammern nimmt dies bezüglih des

Abhaltung des Markt- und Viehhofs ertheilt und auch entzogen

Marktverkehrs, soviel ih mich erinnere, bereits in Aussicht. Meine