1914 / 32 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 06 Feb 1914 18:00:01 GMT) scan diff

richtigen Rechtsansicht die Entscheidung ergangen ist, gibi es dagegen die irn Gese vorgesehenen Rechtsmittel.

Der Fall, der si in Potsdam zugetragen haben foll, ist mir nicht bekannt. Nach dem Gesetz ist die Form der Ermahnung an den, der \chwören foll, dem Ermessen des Vorsißenden überlassen. Jch weiß in der Tat niht, wie der Vorsißende sih ausgedrückt hat. Daß etwa infolge dieses Ein;elfalles Aenderungen in der Prozeßordnung alsbald angeregt werden follten, wird der Herr Vorredner selber nicht an- nehmen. Daß die Frage des Zeugeneides bei der Erörterung einer Strafprozeßreform zur Sprach? kommen muß, ist im übrigen selbst- verständlich.

Und nun entlich darauf hat der Herr Vorredner befonderen Nachdruck gelect die Frage wegen des Einschreitens gegen gewisse Postkarten. Meine bisherigen Ausführungen in der Kommission sind von dem Herrn Berichterstatter ausführlih mitgeteilt worden. Einem Widerspruch bin ih, abgesehen von dem Herrn Vorredner, bisher nicht be- gegnet. Jh glaube: wir bewegen uns bei der ganzen Beurteilung der Sache auf falscher Grundlage, wenn wir den Ausführungen des Herrn Vorredners folgen. Nicht die Kunst, sondern der Mißbrauch der Kun t soll getroffen werdea. (Sehr richtig! rechts.) Die Kunstwerke bleiben immer Kunstwerke. Daß es aber für die Künstler eine Not- wendigkeit set, daß ihre Kunstwerke gerade in der Form, wte es häufig geshieht, verbreitet werden, das kann ich nit einsehen. (Sehr richtig !- rechts.) Es scheint mir, daß der Herr Vorredner meint, es solle überhaupt verhindert werden, solche Bilder zu vervielfältizen. Davon ist gar keine Rede. Wir können alle diese \{hönen Werke der Kunst als Photo- graphien oder in sonsugen Abbildungsförmen in jeder Kunstverlags- handlung, in jedem Geschäft kaufen; es steht nihts entgegen, daß sie dort feilgehalten werden. Aber sie brauchen doch nit in einer Zu- \sammenstellurg von Nuditäten auf Postkarten in langen Reihen sffentlih au8gehängt zu werden. (Widerspruch und Zuruf links.) Das ist eben das Enlscheidende: wenn eine ganze Reihe von Nuditäten in den Papterläden nebeneinander ausgehängt witd, dann macht es doch den Eindruck, als ob hierdurch besonders darauf aufme:ksam gemacht werden soll, daß es nackte Figuren sind. (Sehr richtig ! rechts und im Zentrum.)

Da die Sache großes Interesse erregt und verdient, habe ih mi näher nach dea Dingen erkundigt und allerhand Interefsantes erfahren, was die Behörde dur ihre Ermittlungen festgestelt hat. Meine Herren, diese Vertriebe der Postkarten sind in einzelnen Händen; die Karten werden in großen Auflagen her- gestellt und überall verbreitet. Namentlih werden fie, wie gesagt, in Läden, deren Besucher an Kunst dort nicht denken, in langen Reihen aufge- stellt, damit jedec, der hereintritt, fie sehen kann, und zwar merkwüxdiger- weise überwiegend Nuditäten, während andere Bilder, die doh au hohe Kunstwerke sind, nur in ganz kleiner Zahl erscheinen. (Sehr wahr! xechts.) Die Behörde hat deshalb Veranlassung genommen, einmal mit einem Unternehmer darüber zu \sprehen, wie es denn zu erklären fei, daß er gerade diese Sachen b:ächte, und da hat er offen erklärt: ja, bet den anderen Sachen verdiene ih nichts. (Hört, hört! und große Heiterkeit.)

Meine Herren, so geht es zu. Sie stellen fich auf den Stand- punkt des Künstle: 8, der meines Erachtens mit Unrecht wähnt, als solle sein herrlihes Kunstwerk nicht jedermann zur Bewunderung, zum Kunstgenuß frei vor Augen gestellt werden. Wir müssen die Dinge vom praktishen S‘andpunkt aus ansehen und uns sagen: wenn diese Bilder in solher Art verbreitet werden, so werden dadurch ganz andere Gefühle und Leidenschaften losgelöst als reiner Kunstgenuß. (Zustimmung rechts und im Zentrum.) Ich glaube nicht, daß die Behörden hier auf falschem Wege sind. Dabei kann ih natürlich nicht dafür einstehen, daß in einzelnen Fällen nit zu beit gegangen sein mag. Ih bin auch außer Stande, restlos für jede Begründung trgend eines Urteils einzutreten, da ih darauf keinerlei Eir. fluß habe. Wenn der Herr Vorredner meint, daß eine einzelne Entscheidung des Gerichts auf falscher rechtliher Auffassung beruhe, dann möge doch Revision eingelegt werden.

Daß der Postkartenvertrieb in der Weise, wie ih ihn gezeichnet habe, merklich in der Aknahme ist, is mir mitgeteilt. (Hört, hört !) Ich glaube nicht, daß das für das Volk im ganzen ein Unglück ist; ih glaube auch nit, daß dadurch die wahre Kunst ges{chädizt wird. (Zuslimmung rechis und im Zentrum.) Wenn hier auf eine Säule hingewiesen worden ist, die in etnem königlihen Park steht, fo ist ficher kein Staatsanwalt der Säule wegen eingeschritten, sondern nur, weil man sie in einer Weise auf Postkarten verbreitet hat, wie ih es vorhin geschildert habe. Ob das Gericht eine rihtige Entscheidung gefällt hat, darüber enthalte ih mich des Urteils, ih kenne die Ent- scheidung und die nähere Sachlage nicht.

Gestern hat {on einer der Herren Redner erwähnt, wie merk- würdig es mit diesen Nuditäten zugehe. Wenn aus großen Samm- lungen zur Veröffentlihung auf Postkarten fast nur fogenannte Nuditäten herautgesuht werden, fo ist das voh so kennzeihnend wie möglich. Also ih möchte davor warnen, in diesem Vorgehen der Staats8anwalischazft ein Vorgehen gegen die Künstler zu schen. Ich bedaure es, wenn die Künstler fich dadur verletzt fühlen; aber ih möchte doch glauben, daß fie, wenn sie einmal diesem ganzen Gedanken- gange folgen und si klar maŸen, um was es sich handelt, ihre Ansicht modifizieren werden. Nichtig ist allerdings, daß bei uns au) Fehler gemaht worden sind, indem man mit Beschlagnahmen früher in einzelnen Fällen zu weit gegangen ist. (Zuruf.) An die Beschlag- nahme einzelner Kunstwerke denkt ja niemand (Heiterkeit); es handelt ih nur um eine bestimmte Art von Abbildungen. Daß die Bild- werke in den Museen, in den Kunsthandlungen in Abbildungen in angemessener Weise feilgehalten werden, das wird in keiner Weise gehindert. Ih möchte glauben, nach der eingehenden Erörterung muß jeder, der objektiv die Sache betcachtet, anerkennen, daß die Behörde lediglich so vorgeht, wie es die Sachlage gebietet. (Lebhafter Beifall rechts und im Zentrum.)

Abg. Dr. Sevyda (Pole): Die Ostmarkenzulage für die Justizbeamten in Posèn und Westpreußen wird mit den eigenartigen Verhältnissen dieser Gegenden 1n Verbindung gebraht, auch joll die Tätigkeit für sie dort s{chwerer sein als in anderen Gegenden des preußiscen Staates. Demgegenüber steht, daß die polnishe Be- völkerung, sobald Le nit Beamten Fühlung bekommt, viel zu wenig Selbstbewußtsein hat und diesen gegenüber nicht so auftritt, wie vie Bevölkerung in den Industriebezirken. Zieht man das in Betracht, dann müßten eigentlih die Beamten in diesen Gebieten das Zeha- fache der Ostmarkenzulage bekommen. Das ist eine Verleßung der ; Friasiung, die die Gleihberechtigung aller Staatsbürger vorsieht. Vielleicht kommt auch hiex einmal die Ginsicht, die der Reichstag schon gezeigt hat, ‘Die polnischen Referendäre werden nie in pol-

uischen Gegenden beschäftigt. Das mag ja für die Söhne vermögenket Eltern vom pekuniären Standpunkte nicht von allzu“ großer Be- deutung sein, wohl aber bei Söhnen nit vermögender Eltern. Ebenso geht es bei den Assessoren, die ähnlih den Neferendaren behandelt werden. Es ist nur merkwürdig, daß man nit auch bei Söhnen deutscher Eltern es für nüßlich hält daß sie einmal die Verhältnisse des Westens kennen lernen. Seit Jahren hat man feine polnischen Richter und Staatsanwälte mehr angestellt. Sehr geklagt wird auch über das Verhalten der Gerichte, die selbst wifsenschaftlihe Vereine für politis erklären, weil sie polnish sind. Cbenso geht man mit Haué\suchungen auf den geringsten Verdacht hin vor. Der Justiz- minister hat in einer Verfügung die Staatsanwälte in den dänischen Bezirken angewiesen, die dänische Presse mit besonderer Aufmerksamkeit zu überwachen. Wer in einem politi}chen Prozeß einmal angeklagt ift, wird auch verurteilt; es gelingt einem politischen Angeklagten in den seltensten Fällen, die Richter von seiner Unschuld zu. überzeugen. So bewirkt \c{on die bloße Vermehrung der Anklagen eine Ber- mehrung der Verurteilungen. Das is eine ungeseßlihe Beein- flussung der Rechtspflege. Ueber das Dolmetscherwesen hat uns der Minister im vorigen Jahre eine Umfrage bei den Gerichten ugesagt, und 1ch bitte um Auskunft über das Ergebnis. Als Dolmet|cher dürften feine Leute verwendet werden, die sih nit von klein auf deï polnishen Sprache bedient haben. Als Dolmetscher der französischen Sprache können auch nur folche Leute gebraucht werden, die die Umgangssprache des Volkes von klein auf tennen. Da der Richter- stand durch den staatlichen Boykott den Polen verschlossen ift, so bleibt uns nur der Rechtsanwalts\tand übrig. Der Antrag Varen- horst will nun ‘sogar noch eine Beschränkung des Anwaltstandes. (Vizepräsident Dr. von Krause bittet den Redner, auf solche Einzelheiten nit einzugehen, da sie bei Beratung des Antrages besprohen werden fönnen.) Dann will ih mich auf die Erklärung beschränken, daß meine Freunde eine Beschränkung des Anmwaltsstantes weder im Interesse des Anwaltsstandes noch in dem der Rechtspflege für angebracht ansehen,

Justizminister Dr. Beseler:

Auf die Anfrage des Herrn Vorredners, betreffend die Ausbildung der Dolmetscher, möchte ich erwidern: Um geeignete Dolmetscher in ausreihender Zahl zu gewinnen, follen mehr Schüler für tas Hoch- polnisGe in die Dolmetschershule eingestellt werden. Ferner sind, um Anrelz zum Eintritt zu geben, die Stipendiensäße erhöht worden. Endlich {weben Erwägungen wegen Anstellung eines zweiten Lehrers. Snzwischen hat der vorhandene Lehrer ein Reisestipendium erhalten, um in Galizien seine Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Ich glaube, daß damit den Wünschen des Herrn Abgeordneten in vieler Hinsicht entgegengekommen ift.

Dann möchte ich noch gegenüber der Ausführung des Herrn Abgeordneten wegen der dänischen Presse einige Worte sagen. Es ist den Richtern Unglaubliches vorgeworfen worden, und ih kann das nicht unbeantwortet hingehen kassen. Es waren Klagen gekommen, daß die dänische Presse in der Agitation gegen Deutschland immer weiter gehe, und zwar in einer Weise, die mit unseren Gesehen nicht im Einklang stände. Es ift selbstverständlih, daß wir das nicht dulden können (Séhr richtig! rechts), und es war, um solchen Erzeugnissen entgegenzutreten, einfah noiwendig, die Staats- anwaltschaft anzuweisen, daß sie die Preßerzeugnisse gründlih prüfen und da, wo Geseßesverlezungen voikommen, einschreiten solle, was ohnehin ihre geseßlihe Pflicht ist. Daraus entnimmt der Herr Ab- geordnete, ich hätte die Richter beeinflußt. Denen habe ih kein Wort gesagt, die Verfügung ist an sie nicht gerichtet und ihnen viel“ leicht garnicht bekannt. Ich möchte im Interesse unserer Nichter aber auch hervorheben, daß sie es dem Vorredner wenig danken werden wenn er annimmt, sie ließen sich durch die Anweisungen der Staats- anwälte in ihren Entscheidungen bestimmen. (Sehr richtig! rets.) Sie handeln einfa nach Pflicht und Gewissen und nicht nach den Anweisungen der Jüstizbehörden, fie sind nur von ihrem Gewissen und dem Necht abhängig. (Bravo! rechts.)

Abg. Viere ck (freikons.): Die preußischen Richter erfüllen in den polnischen Lanteéteilen durhaus ihre Pflicht. Sie richten ohne Anseben der Perfon, ob fie Polen oder Deutsche vor sich haben. (Zwischenrufe bei ten Polen.) Wenn Sie daran zweifeln, so hat die ganze polnische Bepölkerung im Lande eine andere Meinung. Die polnische Bevölkerung hat heute noch Vertrauen zur preußischen Recht - \sprechung. Der Anmalteberuf fängt {hon an, überfüllt zu werden. Die Warnung, die im leyten Frühjahr hter ausgesprochen worden ist, kann nur dringend wiederholt werden, nament- lih ‘an dïzjenigen jungen Lute, die niht eigentlich einen Beruf zum Juisten in sih sühlen, fondern nur einen Brot- erwerb suhen. Wenn Juristen auch bereits die erste Prüfung bestanden, dann aber in der Praxis erfahren, daß sie nicht be- sond:rs für den Richterberuf geetgnet sind, so sollten sie einen folen Wink recht ernst nehmen, damit sie noch rechtzeitig in einen neuen Beruf eintreten können. Die Beschäftigung der Affessoren im Wirt- schaftsleben entspriht durhaus der allgemetnen Meinung. Was im einzelnen geleistet wird, können wir nit überschen. Wir bitten den Minister, die Erfahrungen darüber, wie diese Beschäftigung sich be- währt hat, uns vorzulegen. Die Affsessoren erreichen etn zu hohes Lebensalter, ehe sie etatsmäßig angestellt werden. Es liegt im Interesse der Justizverwaltung, dafür zu sorgen, daß die tüchtigen Kräfte nicht von anderen Ressorts abgezogen werden. Es wäre wirtlih angebracht, einen numerus clausus für die Gerihhteassessoren einzuführen. Man müßte dann freilich, damit nicht die Anwaltschaft überschwemmt wird, auch die Frage prüfen, ob nicht auch für die Anwaltschaft der numerus clausnus eingeführt werden muß. Es ist ein Uebelstand, daß Amtsrichter vielfa in vakante Landrichterstellen eingeseßt werden. Derartige Klagen find uns von verschiedenen Orten gekommen. Zu begrüßen ist es, daß die Neferendare mehr vom Schreibwerk entlastét werden sollen. Die kleinen ländlichen Amtsgerichtsbezirke müssen im Jateresse ‘der ländlihen Bevölkerung erhalten werden. Be- dürftige Pfleger und Vormünder müssen cine angemessene Ent- schädigung sür ihren Aufwänd erhalten. Die Einführung von offentlichen Taxämtern wäre im Interesse des Hypothekenwesens sehr erwünsht, und ih möchte anregen, daß diese verbunden würden mit den Katasterämtern. Es ist nicht richtig, daß es im Interesse des Anwaltsstandes liege, wenn Verfehlungen nit zur Sprache gebraht werden. Die Anwaltschaft ist eine Cin- rihtung des Staates und bedarf auch des Schußes gegen unlautere Elemente. Es liegt also durhaus im Interesse der Unwaltschaft, wenn Klarheit geshafen wird. Der Vertuieb von Neproduktionen von Kunstwerken kann unter Umständen zu einer sittlihen Gefahr werden. Durch die Art des Vertriebes, durch die ganze Aufmachung fann ein solWes Kunstwerk zu lüsternen Zwecken mißbraucht werden. Da ist es durchaus richtig, wenn dagegen einuesritten wird, damit vor allen Dingen die Jugend niht in Gefahr kommt. Der Minister hat es gestern ausgesprochen, daß der Vorsitzende des Gerichts in Gleiwiy im Falle Knittel seine Befugnisse überschritten hat. Wir néhmen an, daß es sich um einen Einzelfall handelt, und daß der Richterstand als solcher ohne Vorwurf bleibt. Der Redner wünscht schließlich die Errichtung einer neuen Nichterstelle bei dem Amtsge1icht in Schöneck.

Justizminister Dr, Besele r:

Auf einige Punkte, die der Herr Vorredner berührt hat, möchte ich fogleich Auskunft geben. Die große Anzahl der fonstigen An- regungen wird naätürlich geprüft werten; i kann dazu aber heute noch keine Stellutig néhmen.

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Die zweite Richterstelle kn Schdneck wird, wie id, nehme, im nächsten Sahre geschaffen werden können.

Es cntspriht meinen Wünschen durchaus, für die Amt anwälte den Natstitel zu erwirken; es {weben darübe , bereits Erörterungen. h

Das Gese wegen der Haftung von Mietsforderung, für Hypotheken usw. liegt meines Wissens bereits im Bundety Also auch in dieser Richtung is alles geschehen, um die Sade j Fluß zu bringen. Ich hoffe, daß sie zu einem Abs{hluß gelangt, d, auch der Herr Vorredner seine Zustimmung geben kann.

Abg. Dr. Liebknecht (Soz.): Es ist eine erfreulidie 7, sache, daß die Kriminalität der Jugend si verbessert hat. Nis nur die Zahl der Jugendlichen in den Gefängnissen ist zurüidgeganes was man auf manchen Seiten auf die Begnadigungen zurüdfüh möchte, sondern auch die Zahl der Verurteilungen Jugendligy Es ist ein Verdienst der Arbeiterbewegung, daß die Kriminal] in der Jugend zurüctgegangen ist; wo dies in einzelnen iu industriellen Gegenden nicht der Fall ist, liegt das in dem Zung 1 Ausländern mit geringerer Kultur. Die Kriminalität ist am grôf bei den Katholiken ich führe hier nur die offiztellen Zahlen y Statisuik an :* an zweiter Stelle steht die jüdishe Konfession und d dritter Stelle die evangelische. Scheidet man die gewerblidhen Vi gehen avs, so ist die Kriminalität der Juden die geringste. Günstiz noch als bei diésen drei großen Konfessionen ist die Kriminal bei den Konfessionelosen und den Angehörigen kleinerer religiüj Sekten. Vit diefen Angaben will ich weiter nihts darlegen, als die religiöse Stellung mit der Kriminalität gar nichts zu tun bi und s nicht die eine oder die andere Konfession berechtigt ist, f als besondere Hüterin der Moral und des Gesetzes htinzustel Die Klagen über die Weltfremdheit der Richter gelten ja beute v fa als obfolet. Es ist aber ein Ding der Unmöglichkeit, uns Richter als Univerfalgenies auszubilden. Die Richter Eönnen f nicht auf allen Gebieten die nötigen Kenntnisse aneignen. Neben Erziehung zur politishen Rüdlgratfesttakeit ist die Erzießung y Richter zur Achtung vor der Kompliziertheit unseres Lebens n wendtg. Die Richter müssen zu der Erkenntnis kommen, j sie niht über alles cin autoritatives Urteil abgeben fön und daß sie immer mehr auf das Urteil von Sachverständig angewiesen sind. Die Sachverständigen müssen inm Prog immer eine größere Rolle spielen. Gerädê auf ÿ Gebiete der Kunst i} es außerordentlich s{chwierig, ein zutreffen Urteil zu fällen. Hter hat ih befonders in ‘den akademishen«Krejsi ein Banausentum herautgebildet, Ein gefund empfindendes Y; kann das Nackte sehr wohl vertragen. Es gibt eine natüliche Fra an der Nacktheit. In der Sittlihkeitshezerei geht man sogar weit, die Anpreisung antikonzeptioneller Mittel für unzüchtig zu 4 klären. Eine Reform des Wiederaufnahmeverfahrens ist dringend 1 wendig, dics beweisen zahlreihe Fälle, insbesondere der Fall \ Witwe Hamm, die wegen Beihilfe zur Ermordung ihres (f gatten zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, Y Kiriminalkommissar von Treéckow, der früher Screibmashiy händler gewesen war und dem die allerbösesten Sachen nacgewk/ sind, ‘war die Hauptstüße ‘der Verurteilung der Witwe Han Der Nachfolger des von Tresckow hat zugegeben, daß er 1 vornherein die Kombinationen von Tresckows a!s Phantastereten q gesehen hat. Er hat aber keine Gelegenheit gehabt, seine Ansilht y Gericht zu äußern, weil er niht danach gefragt wurde. Es ist dauerlih, daß die Staat2anwaltichaft trei der vielen Indizten, | gegen die Auffassung des Kommissars von Treskow sprechen, die Vi Hamm nicht aus der Haft entlassen, sondern sie nur in Untersuchu haft geseßt hat. Es handelt „sih hier um eine große Ung-rechti, geradezu um einen Justizmord. Die Art, wie die Referendare jett aug wählt werden sollen, und die Grundsäße bei dec Anstellung der Asse öffnen der Verwaltungswillkür Tür und Tor. Da können mißlieh Glemente sehr bequem entfernt werden. Daß die Staaktsraisl lder “die” Gerechtigkeit gestellt “wird, * ergibt das" Beisyl des Generals von Pelet-Narbonne. Das ist das beste M spiel, wie man nah oben zu s{auen, nach derx Sonne schielen versieht. Ein solches Beispiel muß korrumpierend d unseren NRichterstand wirken. Vor einigea Jahren ist anger! worden, daß an Nichter keine Titel, Orden und Chrenzeihen b liehen werden follen. Ebenso ist zu fordern, daß die Rid von militäris{chen Einflüssen, von ihrer Stellung als Reser offiziere frei sein müssen. Die Nichter find heute jeder Weise abhängig von der Justizverwaltung und militäri)chen Beförderungen auch von der Militärvennvaltu

Den Anwalt kann man glücklicherweise wegen setner politischen 0

finnung nicht disziplinieren. Ein Konservaticer bat vor kurzem ges daß kein Sozialdemokcat in die freien Berufe Eingang finden dür Das fordert man auch für die Anwaltschaft. Das ist betrübend. Unsere Justiz seßt thren Stempel im Namen des Königs unter d krassesten Verwaltungswillkürakte. Und dann sagt man, diese Jul sei unpärtetish. Daß es bei uns eine Klassenjustiz gibt, bestreitet eigent! niemand mehr. Es gibt allerdings Nichter, die sih bemühen, obj kli sein. Jüngst hat ein katholischer Arbeiter gesagt : daß es Klafsenjustiz q diese Ueberzeugung gründet sich auf das allgemeine Volksbewoußl!sein. Vi! Urteil ist mir mehr wert, als der Ausspruch eines Universiätsdozenl Wir haben ein Recht, an der Justiz Kritik zu üben. Dieses Recht in der gegenwärtigen Zeit wohl niht mehr bestritten werden, nad die Kritik gerade auf der rechten Seite so ungemein lebendige, t könnte beinahe sagen, erpresserishe Formen angenommen hat. Dal hat namentli die „Post“ in der leßten pat unter Bezugnahme 1 den Unterstaatssekretär Köhler cin Beispiel gegeben. Cine solche fassung über die Pflichten eines Juristen und Staatsbeamten

noch kein Sezialdemokrat geäußert. Wenn fo etwas im V des Herin von Zedliß steht, dann müssen wir uns doch sagen: | muß do wissen, wie es gemaht wird, er muß doch wis daß folhe Dinge möglih sind. Auch das Neichéver eins wird willkürlih gegen die Atbeiterorganisationen ausgenußt. 2 Abg. Itschert sagte, das Beste an dem Knittelprozeß sei, daß ein Beweis ist für das Nichtvorhandensein einer Klassenjustiz. 4 weiß sebr wohl, welch ein reines Gemüt der Abg. Itichert hat | halb will ich die Gutgläuhigkeit setner Meinungéäußerung nid!

zweifeln. Aber wenn ein Sozialdemokrat diese Beleidigungen 1! gesprochen hätte, so würde er mindestens se{ch8 Monate Gefän erbalten baben. Der Prozeß Knittel ist das typishe B eines politis{en raus Ratibor-Gleiwiz, Zentrum-Natiß liberalismus. So beurteilt es auch das Zentrum. Ec ist ein & des Kampfes gegen das Zentrum und Polentum, ein Stü polilil Hakatismus. Ín Breslau hat éin Landgerichtsrat erklärt, " diejenigen, die den Schuß der fozialdemok:alischen Presse nacsus Sc{hweknehunde seien, und daß die Zuschauer bet der Beerdigung bekannten Sozialdemokratin Janhagel und arkeits\cheues Ot und Faulenzèr seien. Das ist ja beinahe so schön, wie die bela Schimpfkanonade tes Ministers von Dallwiy von den Ll Heudlen und Eidbrehern. Billigt der Justizminister derl Entgleisungen? Ist er bereit, dagegen einzuschreiten? Ich kit Jhnen noch eine ganze Reihe derartiger Dinge sagen. Die Brelli Justiz ist ja berühmt. Sie kennen vielleicht noch den Landge! direktor Unger aus dem Moabiter Krawallprozesse, der in der Rd

belehrung eine Definition der Notwehr dahin gab, daß jeder B

kerechtigt set, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abzuwebl auch in dem Falle, wenn er von Polizeibeamten verübt wird. hat dann gegen den Lantgerichtsdirektor Unger Front gemacht. i ist j-t niht mehr bei der Strafkammer. Der sozialdemokt! Redakteur Sollmann, der sich im Cölner Polizeiprozeß die Aufdeckung der Korruption ein arate. Verdienst d worben hat, wurde zu fünfhuvdert Mark Geldstrafe veri!

(Fortsehung in dox Zweiten Beilage.)

(Fortseßung aus der Ersten Beilage.)

Das ist eine außerordentlih hohe Geldstrafe, die beweist, daß man

egen Sozialdemokraten besonders sharf vorgeht. Dem gegenüber- Fellen möchte ih die fünfzehnhundert Mark Geldstrafe, zu der Herr Eccius von der Firma Krupp verurteilt wurde. Der Satz „justitia fundamentum regnorum“ ift \{Gon längst in die Rumpelkammer geworfen. An die Stelle der Gerechtigkeit ist die Staatsraison getreten. Dies hat auch der Abg. Röchling ausgesprochen. Der Brandt-Prozeß ist im allgemeinen in anerkennenswerter Weise geführt worden. Aber als man Brandt fragte, ob er denn nun alles gesagt habe, erwiderte er: nein. In dem Augenbli, als es sich darum händelte, die allgemeinen Kennzeihnungen der Geshäftsgebräuche der Firma Krupp zu geben, waren die Türen immer ges{lossen. Es ist allerdings richtig, daß bei uns in Deutschland die Be- stechung von Beamten etne billige Sache ist. Brandt hat \ystematis{ch seine Opfer in die Fänge zu bekommen gesuht, um das Ansehen und den Glanz der Firma, der zeitweilig den Glanz der deutschen Kaiser- krone zu überstrahlen sckchien, zu heben. Das ist kein leichter Fall. Haben wir doch erlebt, daß irgendein Shußmann in Halle, der \ich von drei Studenten je 50 - geben ließ, damit er fie nit anzeigte, für diese 1,5046 nach dem Antrag des Staatsanwalts 9 Monate Gefängnis bekam. Ein Feldwebel bekam wegen Befreiungen von Kontrollversammlungen fech8 Monate Gefängnis. So schäßte man sonst die Beamten ein, heute ist die Ehre billiger geworden. Wer \priht heute ncch von Bestechungen? Man kann selbst Offizier bleiben, wenn man bestochen ist, Mit Brandt sind die Verbindungen auch nicht abgebrochen worden. Wenn Kindtaufe is, geht man noch immer hin zu Krupp und gratuliert und dergleichen. Lebhaft befremdet hat es, wie der Staatsanwalt zu einem der wesentlihsten Zeugen, die er brauchte, von Meten, der in vielen Beziehungen eine unerfreulihe Erscheinung ist, aber doch nit s{limmer, als viele Zeugen, mit denen die Justiz täglich arbeitet, eine geradezu einschüchternde Aeußerung gleih im Be- ginn des Prozesses . tat, so daß es nicht wunderbar gewesen wäre, wenn er überhaupt nicht mehr gewagt hätte, den Mund aufzutun. Das Urteil im Brandtprozeß befremdet vom Standpunkt der deutschen Beamtenehre, wie man sie früher einshäßte. Das Strafmaß findet vielleicht eine gewlsse Erklärung darin, daß man gemeint hat, Brandt set eben nur ein Werkzeug. Damit stimmt wieder niht überein, daß Herr Eccius, der eine Triebfeder der Sache war, nur eine Geldstrafe bekommen hat, wie wenn man einem Arbeiter etwa 50 „4 Strafe auferlegt. Er hat ja 100000 4 Gehalt. Das Gericht hat an- genommen, daß das ganze Direktorium um die Geschichte gewußt hat, und infol!gedessen hat man vielleiht die Schuld des einzelnen in dieser Massensuggestion von Geseßlosigkeiten nit als so {chlimm angesehen. Das ist um so schlimmer für die Firma Krupp. Aker wo find denn die übrigen Herren, die auf die Anklagevank gehörten, Dräger, Meten und die anderen, die nicht vereidigt sind wegen des Verdachts der Mittäter- schaft, deren Mittäterschaft {on erwiesen ist. Nehmen Sie um- gekehrt an, ein Mitglied des sozialdemokratishen Parteiverstandes hätte mit solden Mitteln im Kriegsminislerium gearbeitet, es wäre sofort eingesperrt worden. Wir haben solche Beweise des Scharfsinns in der Interpretation der Mittätershaft und der Anfstiftung, sobald es gegen die Arbeiterschaft geht, abr hier wirkte der Scharfsinn nah der entgegengesezten Nichtung; mit allerlei {charfen Interpretattonen tfommt man zu dem Ergebnis, . daß die Mitschuldigen, deren Schuld die Spaten von den Däthern pfeisen, die ihre Mitshuld eingestanden haben, ohne Schuld sind. Der Staatsanwalt felbst machte den Herren den Vorwurf, daß unter ihrer Amtsführung ein weiteres Opfer gefallen ist. Aber diese Leute werden nicht einmal angeklagt. Ge- wiß, das Gericht hat in Anbetrachßt der Umstände seine Sache ret gut gemaht. Uns kommt es nit darauf an, daß bestraft wird. Uns kommt es darauf an, daß die Feststellungen getroffen sind, und das ist über alle Erwartungen hinaus gelungen. Von der Haltung der bürgerlichen Presse kann man nur sagen: welch eine Wendung durch Gottbergs Fügung. (Vizepräsident Dr. P ors ch rügt den Aus- druck) Ich bestreite energisb, daß ih an irgend etwas anderes als von Gottberg gedacht habe. (Vizepräsident Dr. Por ch: Sie haben einen bekannten Saß in dieser Weise travestiert, das hat das ganze Haus so verstanden!) Ein platter Zynismus is die Unschuldsrede, die bon Krupp und Bohlen-Halbach vor kurzem gehalten hat. Ich habe keine Veranlassung, diesen Herrn weiter zu behandeln, man könnte aber aus dieser Rede entnehmen, daß er von alledem gewußt und alles gebilligt hat, daß er moralisch die Schuld doppelt und dreifach verivirkt hat. Selbst ein Tartüffdihter würde scheitern an dem Ver- such, die Heuchelei in der ganzen Presse in diesem Falle gebührend zu schildern. Es bleibt nur noch übrig, daß im Wiederaufnahme- verfahren Brandt freigesproßen würde. Was heute Forstner und Neuter recht ist, kann Brandt billig sein. Um der Auffassung die Spitze abzubrehen, als ob ih emseitig urteilte, weise ih auf einen neueren Fall einer großen Firma hin, der einen internationalen Aufruhr verursacht hat und noch verursacht. Die Staatsanwaltsch,jt hat in diesem Falle im Interesse der be- treffenden großen Firma die Hauptbelastungsdokumente forgfältig in Privatschränke eingeschlossen, und sogar dem Verteidiger wurden diese Papiere vorenthalten. Es handelt ih da um fivabace Handlungen des Inhabers der Firma, die im Inlande begangen sind. Anstatt aber gegen diese Leute zuzuareifen, hat die Staatéanwalts{aft Vertreter der Firma bei den Durchsuhungen als Helfer mit hinzvgezogen. Man versuchte, den Prozeß, den man nicht hinter verschlossenen Lüren verhandeln konnte, in der fiühen Morgenslunde in wenigen Minuten abzumachen, und der Staatsanwalt sagte, wäre nicht der Liebknecht da:wishen gekommen, so wäre {on alles vorbei. Divilgerschte sind der Klassenjustiz ebenso ausgeseßt wie die Schwur- gerichte. Schwurgerichte sind oft in demselben Maße Volksgerichte, wie wir eine Volkskammer sind. Der Fall Brandevburg hat das deutlih bewiesen. Leider steht dieser Fall nit vereinzelt, sondern man kann sagen: Hie Brandenburg alle Wege! Ih sch{kieße meine Ausführungen. Die Klassenjustiz ist kein leerer Wahn. Wir brauchen A Schuß für Streikbreher, sondern elnen Schuß vor Streik- ’rechern.

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Die Reden des Herrn Abg. Liebkneht bei den Ciatsberatungen haben in den leßten Fahren immer ähnli geklungen wie heute. (Sehr richtig!) Ich bin also keineswegs überrascht, daß er wieder in der Art, wie er es getan hat, gegen die Justizverwaltung, und nicht allein gegen sie, sondern gegen das meiste, was im Staate passiert, vorgegangen ist. Ih glaube, ich kann es dahin zusammen- fassen: In der Justizverwaltung is nach der Meinung des Herrn Abgeordneten alles \chlecht: es herrscht Korruption; Staalsraison geht über Gerechtigkeit; die Anstellungen weiden ganz partetisch in ein- seitiger Weise vorgenommen ; alles, was angeordnet ist, ist verfehlt, und immer nur tvi1d der eine Zweck damlt verfolgt, die Parteigenossen des Herrn Abgeordneten dadurch möglichst zu bedrängen und zu be- drücken. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ja, das ist Ihre Meinung. Meine Herren, ih bin aber, wie ih wohl nicht näher augeinanderzuseßèn brauche, in jeder Beziehung anderer Mei- nung. (Heiterkeit. Zurufe bet den Sozialdemokraten.)

: Zweite Beilage zum Deutshen Neichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Freitag, den 0, Februar

Was die Nichter anlangt, so liegt ein gewisses System darin, wenn gesagt wird, sie wollten zum größten Teil das Beste; aber sie könriten nicht anders, fie ständen unter einem Druck und müßten in einer Art vorgehen, wie es etgentlih ihrer Ueberzeugung und ihren Wünschen gar nicht entsprähe. Ob die Nichter das auch finden werden, ist mir zweifelhaft oder ih möhte vielmehr sagen: ih bin über- zeugt, sie wissen nicht nur ganz genau, daß sie thre Ansichten vertreten müssen, sie vertreten sie au und sie wissen auc, daß die Justizver- waltung gar nit daran denkt, auf sie irgendeinen Einfluß ausüben zu wollen. (Sehr richtig! rets.) Ich habe das oft genug gesagt und kann mi, glaube ih, mit diefer einen Versicherung hier begnügen.

Der Herr Abgeordnete hat des längeren über \{chwebende Prozesse gesprohen und sih auch über etn Verfahren, das in Elberfeld statt- gefunden hat, des längeren verbreitet. Ja, worauf ist das, was er gesagt hat, hinausgekommen? Das Gericht babe auf Grund der Ausfage eines Kriminalkommifsars ein falsches Urteil gesprochen, wie ein anderer Kommissar später deutlih bewiesen habe. Und wie ist es in Wahrheit gewesen? 6 Tage hat das Shwurgericht gesessen und hat nicht nur den Kommissar vernommcn, sondern alle die ver- schiedenen Zeugen, die überhaupt zu vernehmen waren. Das ganze Gericht ist an den Tatort gegangen, hat eine sehr genaue Unter- suchung des Tatbestandes vorgenommen, und gerade diese Besichtigung ist, wie mir gesagt worden ist, für die Entscheidung von großer Be- deutung gewesen. Was will es demgegenüber besagen, wenn ein Kommissar, der die Haupterkenntnisquellen : die mündliche Verhandlung und die Ortsbesichtigung nicht mitgemacht hat, nur auf Grund der Akten dagegen geschrieben hat ? (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Er kennt die Verhandlung nur aus den Akten (Widerspruch bei den Sozialdemokraten) und hat daraufhin sein Gutachten entworfen. (Zuruf des Abg. Dr. LUebknecht.)

Allem, was vorgebracht ift, um die Unschuld der Verurteilten darzutun, sind die Gerichtsbehörden bereits nachgegangen. Einmal ist bereits ein Wiederaufnahmeantrag abgelehnt worden. Augenblicklich {weben wieder Ermittelungen, um allen Seiten gerecht zu werden, damit nichts geschieht, was zum Unrecht gegen die Verurteilten aus- gehen möchte. Während deren Ergebnis noch ungewiß ist, stellt fi der Herr Abgeordnete hin und sagt: so ist es, ih habe es bewtesen. Er hat uns in Aussicht gestellt, daß er auf den Prozeß noch zurück- kommen will. Was das heißen soll, weiß ih eigentlih nicht. Wir bilden hier doch keinen Gerichtshof! Soll denn hier alles ohne die eigentlißen E: fenntnisquellen des Gerichts noch einmal nadgeprüft werden? Daß der Herr Abgeordnete darüber \priht, kann ih ihm natürliß nicht verwehren; aber mit welchem Erfolge soll das sein? Soll das, was er gesagt hat, gegenüber der langen Untersuhung des Gerichts feststehen? Das ist unmögli. Aber das wird sich ja finden.

Weiter bat fi der Herr Abgeordnete darüber beschwert, daß ih einem feiner Herren Parteigenossen in s{hroffer Weise geantwortet hötte. Ja, meine Herren, ist denn der Herr Abgeordnete wirkli der Meinung, daß alle seine Aeußerungen und au die der Herren seiner Fraktion, die gegen die Regierung gerichtet werden, so sehr sanflmütig klingen? (Sehr richtig! rechts.) Was ich heute gehört habe, war alles viel, viel \{chärfer als das, was ich den Herren entgegnet habe. (Sehr gut! rechts.) Und da wollen Sie jeßt empfindlih sein? Das ist doch merkwürdig. (Zuruf des Abg. Dr. Liebkneht.) Ich spreche jeßt gar nit von den Richtern, sondern ven meiner Person.

Der Herr Abgeordnete hat dann des längeren von dem Prozeß gesprochen, bei dem die Firma Krupp in Essen beteiligt war; er hat gesagt: es set alles bewiesen, was behauptet worden sei. Wir wissen, wie er die Sahe dargestellt hat. Ich glaube, es ist auch das Wort gefallen, es sei ein Panama gewesen. Was ist denn bei dem Prozeß herausgekommen ? Im Verhältnis zu dem, was der Herr Abgeordnete behauptet hat, außerordentlichß wenig. (Unruhe und lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten.) Meine Herren, es kommt mir vor, als ob der Herr Abgeordnete die Empfindung hat, daß ihm die Felle fortgeschwommen wären, und er klagt jeßt hinterher. (Sehr richtig! rechts.)

Der Herr Abgeordnete fragte, cb ebenso wie gegen den Vor- sißenden in dem Prozeß gegen Knittel auch gegen andere Vorsigende vorgegangen sei, Ja, das habe ich getan. Gerade die beiden Herren, die er genannt hat, siad wegen thres Vorgehens ernfllichß vermahnt worden. Wenn er, wie es nach der Art seiner Frage schien, erwartete, ih müßte zugeben, daß nichts geschehen sei, so hat er sih getäuscht und vergeblih einen Angriff versucht.

Wenn der Herr Abgeordnete sagte, gegen einen Berliner Vor- sißenden habe eine Art Verfahren stattgefunden, so ist däs nicht wahr. Es ist keine Nede von einem Verfahren gewesen. (Heiterkeit)

Nun, meine Herren, noch eine S{hlußbemerkung. Der Herr Abgeordnete hat von den „Schimpfreden“ des Herrn Ministers von Dallwiß gesprohen. Der Minister wird wohl noch selbst Gelegen- heit nehmen, \sich dazu zu äußern; ih möchte die Bemerkung aber schon jeßt nicht unwidersprohen laffen. Es gehört do eine starke Veischiedenheit der Auffassung von Taktgefühl dazu, wenn man das sagt.

Noch schlimmer war meines Erachtens seine Aeußerung gegen den General von Narbonne. Dem hat er vorgeworfen, er habe aus Liebe- dienerei und um sih zum Avancement zu empfehlen, um Gunst gebuhlt und das habe er nun erreiht. (Abg. Dr. Liebknecht: Das habe ich nicht gesagt!) Der General von Narbonne ist Vorsitzender des Gerichts gewesen, er hat als Vorsißender des Gerichts seinem pflihtmäßigen Ermessen gemäß gesprochen und entschieden, und ihm derartiges vor- zuwerfen, verdient die allershärfste Zurückweisung. (Bravo! rechts.) Das muß ich hier tun, weil der General von Narbonne {ich hier niht verteidigen kann. (Unruhe und Zurufe von den Sozialdemo- kraten. Bravo! rets.)

Abg. Kloppenborg (Däne): Die Justiz muß das Vertrauen des Volkes haten, und das wird nur dadurch erreicht, daß allen Teilen

1914.

dieselbe gleichmäßige Behandlung zuteil wird. Die Verfassung ver- spricht, daß jeder Preuße vor dem Gericht gleich sein foll. Wir haben in meiner Heimat früher einmal viel mehr Vertrauen in die preußischen Gerichte geseßt als jeßt. Wir werden mit allen möglihen Mitteln befämpft. Die Angeklagten werden in Ordnungsstcafe genommen, wenn sie erklären, fie können si nit der deutshen Sprache bedienen. Wir werden uns aber mit aller Kraft wehren im Vertrauen auf unsere gerechte Sache.

Auf Antrag des Abg. Dr. Be ll - Essen (Zentr.) beschließt das Haus die Vertagung.

Persönlich bemerkt

Abg. Dr. Li ebknecht (Soz.): Der Minister hat versuht, meine Ausführungen über den Fall Krupp ein wenig ins Lächerliche zu ziehen. Ich erwidere darauf, daß die Bemühungen (Präsident Dr. Graf von Schwerin -Löwißz: Das ist niht persönlich !) . Ich stelle also fest, daß mir die Felle niht weggeschwommen sind, sondern daß mir noch welche zugeschwommen sind. Auch babe ih niht gesagt, der General von Pelet-Narbonne habe um die Gunst Seiner Majestät des Kaisers gebuhlt.

Um 41/4 Uhr wird die weitere Beratung des Justizetats auf Freitag, 11 Uhr, vertagt.

Statistik und Volkswirtschaft.

Die Gefängnisse der Justizverwaltung in Preußen und deren Insassen im Nehnungsjahre 1912/13.

Die Verwaltung des preußischen Gefängniswesens untersteht be- kanntlich zum Teil dem Ministerium des Innern, zum Teil dem Justizministerium, und jede der beiden Verwaltungen veröffentlicht auch gesonderte Jahresstatistiken über die ihr unterstellten An!talten. Zum Nessort der Verwaltung des Innern gehören die sämtlichen zur Vollsireckung von Zuchthausstrafen bestimmten 30 Strafanstalten, ferner 23 größere Gefängnisse zur Aufnahwe von Gefängnis-, Haft- und Untersuhung8sgefangenen, vornehmlich aber zur Voll- stredung der Gefängnisstrafen von längerer Dauer und in dem früher französisch-rechtlihen Teil der Nheinprovinz 45 [kleine, sogenannte Kantongefängnisse (mit einer Belegungsfähigkeit von nur 3 bis 48 Köpfen), welche die amtsgerihtlihen Untersuhungs- sowte dicjenigen Haft- und Gefängnisgefangenen, deren Strafdauer 14 Tage nit übersteigt, aufnehmen. Dem Justizministerium unterstehen ille übrigen Gefängnisse Preußens. Ihre Zahl betrug am 31. März 1913 1065. Von ihnen waren 909 zur Unterbringung von weniger als 50 und nur 21 zur Aufnahme von 300 und mehr Gefangenen eingerichtet. Die größte Belegungsfähigkeit haben das Strafgefängnis in Berlin- Tegel mit 1628, das Untersuhungsgefängni2 in Berlin-Moabit mit 1460 und. das Strafgefängnis in Plöyensee mit 1383 Köpfen.

Die Zahl der in den Anstalien der Verwaltung des Innern untergebrachten Gefangenen bildet, so bedeutend sie immerhin tft, nur einen fleinen Teil der Bevölkerung der vreußischen Strafanstalten und Gefängnisse; der weitaus größte Teil befindet h in den Gefängnissen der Iustizverwaltung, über die vor kurzem die Statistik für das Rechnungsjahr vom 1. April 1912 bts 31. März 1913 erschienen ift. Nach diesem Tabellenwerk betrug der täglihe Durchschnitts- bestand derdem Justizministeriumunterstellten Gefängnisseeinsließlich der Untersuchung8-, Polizei- (Transport-), Haft- und Zivilhaftgefangenen im Berichtsjahre 30 868 (im Vorjahre 30 166) Gefängnisgefangene, yon denen 8291 (7913) oder 26,86 (26,23) 9% UntersuGungsgefangene waren, während in den Anstalten der Verwaltung des Innern im Tagesdurh'chntiit desselben Jahres 11254 (11115) Zuchthaus- und 10 673 (10268) Gefängnis-, insgesamt 21927 (21 383) Ge- fangene, darunter nur 1400 (1346) oder 6,38 (6,30) 9% Unter- svhungêegefangene, untergebraht waren. Dle Strafanstalten und Gefängnisse beider Verwaltungen hatten demnach zu- sammen im Rechnungsjahr 1912/13 einen täglißen Dur(schnitts- bestand von 52795 (i. Borj. 51 549) Gefangenen. Nach dem end- gültigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 belief sich die Bevölkerunasziffer Preuß-ns auf 40165219 Einwohner. Legt man diese Zahl zugrunde, so entfallen auf 100 000 Einwohner 131,44 (t. Voij. 128 34), die sich in Zuchthäusern oder Gefängnissen befanden. Bet dem Vergleich mit den entsprehenden Zahlen für das Vorjahr zeigt der täglihe Durchschnittsbestand in den Gefäng- nissen der Justizverwaltung eine Zunahme um 702, der Fagesdurh|chnitt in den Zuchthäusern etne Erhöhung um 139 und in den übrigen dem Ministerium des Innern unter- stehenden Anstalten eine solhe um 405, der dur(schnittlide Gesamt- bestand an Gefangenen der Strafanstalten und Gefängnisse betder Verwaltunaen eine Zunahme um 1246 Personen.

Die Zahl der im Laufe des Recbnungsjahres 1912/13 ein- gelieferten und die Gesamtzahl der Gefangenen, die im Berichts- jahre in den Gefängnissen der Justizverwaltung unter- zubringen waren auf die allein si die folgenden Angaben beziehen, da die Statistik der dem *Ministertum des Innern unterstehenden Strafanstalten und Gefängnisse für das Rechnungsjahr 1912/13 bet Ntederschrift dieses Artikels noch nicht vorlag —, sind ein wenig kleiner als die entsprechenden Zahlen für das Vorjahr: der Jahres- zugang betrug 401 447 aegen 401 659 im Vorjahre, die Gesamt- zahl 426 159 gegen 427 573 (ohne die Pollzeigefangenen, die- hler und im folgenden außer Betracht bleiben können). In den Jabren 1909 bis 1911 hatten die betden Zahlen eine weit erheblidßere Verminderung erfahren, wie sie allerdings im Laufe der leßten 20 Jabre {Gon mehr- mals vorgekommen ist. Der Höchststand der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde im Nechnungéjahre 1992/93 mit einer Gesamtzahl von 522 267 tnhaftierten Personen erreicht und noch im Jahre 1894/95 mit 520 587 Gefangenen annähernd behauptet. Dann fand ein allmähliGer Nückgang bis zum Rechnungsjahre 1899/1900 statt, in dem die Gesamtzahl der in den Gefängnissen der Justtz- verwaltung untergebrahten Gefangenen 435 603 betrug und damit um 86 664 unter dem Maximum lag. Jn dem Krisenjahre 1901/02 erfuhr sie wieder eine gewaltige Steigerung, bis auf 4826096, um dann abermals zu sinken und im Rechnungsjahre 1906/07 mit 425 132 den tiefîten Stand zu erreichen. Während der beiden folgenden Jahre ungünstigerer Arbettsgelegenbeit stieg die Gefangenenzahl von neuem bis auf 476 667. Seitdem ist sie wteder in der Abnahme begriffen : sie ging im Rechnungsjabre 1909/10 um 17238 auf 459 429, 1910/11 um 21 333 auf 438096, 1911/12 um 10523 auf 427 573, im legten Berichtsjahre 1912/13 aber nur um 1414 auf 426 159 zurü; in den leßten vier Jahren hat eine Vermin- derung um inêgesamv 50508 stattgefunden. Bemerkenswert ist, daß die Zahl der weiblichen Dersonen unter den Gefangenen seit dem Jahre 1892/93 fast ununterbrochen gesunken ist; in jenem Jahre betrug sie noch 115 207, im Nechnungsjahre 1907/08 aber nur 62 127, also 53080 weniger, und nach einer kleinen Zunahme în den beiden folgenden Jahren berechnete fie fch für 1910/11 auf 63815, für 1911/12 auf 63346; im leßten Berichtsjahre 1912/13 indessen stieg fie um 1213 auf 64559. Am arößten ers{heint der Nütfgang bei den weiblihen Personen, die Gefängnisstrafe verbüßten;: deren Zahl verminderte sich fast stetig von 59477 im Jahre 1892/93

auf 23272 im Jihre 1911/12 und 21439 im Jähre 1912/13. Es hängt dies mit der. {hon dur die Kriminalstatistik nahgewiesenen