1914 / 36 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Feb 1914 18:00:01 GMT) scan diff

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lien Versammlungen zulassen. In einem Kreise sind nicht wenfger als 2000 6 für die Kosten der Stallkontrolle eingezogen worden. Solche Abwehrmaßregeln muß unbedingt die Staatskasse bezahlen ; dann kann der Staat so viel Tierärzte abs{chicken, wie er will. Au die Kosten für die einzelnen Untersuhungen sind viel zu hoh, obwohl sie hon ermäßigt worden sind. Es ist für die Untersuhung elnes Tieres mehr bezahlt worden, als das Tier wert war; das ist im preußishen Abgeordnetenhause mitgeteilt worden. (Vizepräsident Dove: Das gehört in das preußische Abgeordnetenhaus und hat mit tam nichts zu tun.) Der Staat muß die Kosten ezahlen.

Abg. Vogt-Crailsheim (dkonf.): Ih glaube, selbst der Abg. Gothein wird nicht mehr einer Auremung der Grenzsperre das Wort reden. Auch ih bin dafür, daß die Mittel für die wissen- \haftlihe Erforshunz der Maul- und Klauenseuche erhöht werden, und bitte um Annahme unserer Resolution. Gegen eine Aufhebung der Quarantäne bin ih ebenfalls vom Standpunkt der Abwehr einer Seucheneinshleppung. Unsere Weingärtner haben {were Sorgen bezüglih der Neblausgefahr. Die Versuche zur Bekämpfung dkeser Gefahr sollten ernfilih fortgeseßt werden. Unsere Weingärtner sollten gegen die Einfuhr fremder Weine mehr ges{üßt werden. Die Weine müßten nicht nur analytish, sondern auch nach dem Geshmack auf Grund des Nahrungsmitteigesezes untersuht werden. Eine gefährlihe Konkurrenz für dic Weingärtner {ind die Malz- weine. Diese enthalten sehr wenig Malz, werden aber mit großen Mengen Zuckers versezt. Eine unlautere Konkurrenz sind au die Obstweine; ih trete in dieser Beziehung den Ausführungen des Abg. Thumann bei. Das Nahrungsmiitelgeseß sollte auch auf Futtermittel und Sämwereien ausgedehnt werden. Auf keinem Gebiete wird ein so großer Schwindel getrieben wie auf dem des Honigs. Wirklichen Bienenhönig bekommt man sehr wenig zu sehen, und die Imker werden dadurch geschädigt. Nur das ist Honig, was die Bienen draußen aus den Blüten sammeln. Es müßte ein Gesetz erlassen werden, daß als Hontg nur reiner Bienenhonig verkauft werden darf. __ Direktor im Neichsamt des Innern Dr. v. Jonquiòres: Eine Qu 4 des Nahrungsmittelgesetzes ist bereits eingeleitet. Der Bundes- rat -foll die Befugnis erhalten, Normativbestimmungen zu treffen über die Pia und Beschaffenheit der wichtigsten Nahrungs- mittel. Das Reichsgesundheiteamt hat bercits die Sache tn Angriff genommen und ein Kapitel setner Bearbeitung ist au der Honig.

Abg. Dr. Struwe (fortshr. Volksp.): Was der Abg. Jäkel Uber die Zustände in gewissen Zweigen der Textilindustrie vorgetragen hat, verdient jedenfalls die größte Beachtung und eventuell schleunige Nemedur. Die Resolutionen der bürgerlichen Parteien, betreffend die Regelung der Verhältnisse des Krankenpflegepersonals, ist durch den Kollegen van Calker schon fo warm empfohlen worden, daß sich eine weitere Begründung erübrigt. Die Bestrebungen, dem Kurpfuschertumzu Leibe zu gehen, haben auf der anderen Seite die Gründung eines Ver- bandes zur Folge gehabt, dessen Präsident als Arznei lediglich Olivenöl verwendet und zu jedem Preise, den er bekommen kann, verschreibt; 1e nabdem das Etikett lautet, is dieses Olivenöl ein Mittel gegen Wassersucht, gegen Rückgratshwindsucht usw., ja es- hilft nah den Anpreisungen, die er verbreitet, und die ich auf den Tisch des Hauses niedergelegt habe, aub wenn man die Krankheit gar nicht hat, sondern vielleicht nur die Neigung dazu. Dieser Verband hat si seltsamer- weise auch auf die Sympathie der Herren im Neichsgesundheitsant berufen. In jüngster Zeit hat sih die Kurpfuscherei immer weiter ausgebreitet; ih weise nur auf den Unfug des Gesundbetens hin. Für den Schuß des heimischen Viehs gegen Einschleppung von Seuchen aus dem Auslande haben wir volles Verständnis; aber das Reichs- gefundheitsamt wird selbst zugeben, daß es seine Ansichten über die Quarantäne gewechselt hat. Der Kollege Leube hat zum Ausgangs- punkt seiner Forderung die Auffassung gemacht, daß die Ernährung des Volkes und des Heeres in jeder Situation gesichert sein muß, und von diesem Standpunkte aus hat er seine Forderung erhoben. Der Abg. Poppe hat soeben geklagt, daß nah dem neuen Viehseuchengeseß Viebhandler und Gastwirte nie zu threm Recht kommen könnten; vor 9 und 6 Jahren aber hat die agrarische Mehrheit, die das Geseß an- genommen hat, jeden Versuch hier Grleichterung zu schaffen, vereitelt, und auch das Zentrum hat fast durhweg dafür gestimmt. Der heutige An- trag Frommer ist mit Argumenten begründet worden, die der Nedner fast durchweg der fortschrittlihen Volkspartei verdankt, die aber damals ven derselben Mehrheit zurückgewiesen wurden: selbst die Erforschung der Seuchen sollte micht zur Kompetenz des Reichstages gehören, fon- dern Landessache sein. Besondere Grenzdistrikte, wie sie jeßt der Abg. Frommer haben will, hat damals der Kollege Fegter vergeblich befürwortet. Wir freuen uns des, daß die Herren sich jeßt zu unseren Ansichten bekennen; wir können daran die Hoffnung knüpfen, daß eine Novelle zum Viehzeuchengeseß, die beanstandeten Bestimmungen andert, nunmehr mehr Aussicht haben möchte als bisher. Dasselbe gilt von den Abschlachtungen. Auch der Anschein sollte vermieden werden, daß dabei der Großgrundbesiß anders als der kleine be- handelt wird; auch hier müßte das Geseß entsprechend geändert werden, namentlih was das Zuchtvieh betrifft. Leider fordern die Kon- servativen niht die Sachverständigenkommission, die wir damals gefordert haben und auch heute wieder fordern müssen. Die würde zuerst eine Beruhigungskommission sein für die unmittelbar betroffenen Bauern und Züchter. Sodann aber würde sich die Mög- lichkeit bieten, Beschwerden anzubringen, ohne daß man an den Landrat oder an den Negierungspräsidenten zu gehen braucht, was sehr oft feine Unannehmlichkeiten hat. Zum erstenmal hat man heute auch ctwas von Anerkennung der Wissenschaft auf diesem Gebiete gehört. Das Reichsgesundheitsamt darf nicht dulden, daß die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuhe das Monopol einer, wenn auch noch so be- rühmten Gelehrtenschule wird.

Abg. Jäckel (Soz.): weist die Unterstellung des Abg. List

zurü, als habe er die Frage des Schiffchenküssens nit gründlich genug studiert. __ Abg. Kerschbaum (nl.): Nicht immer is es gelungen, die Maul- und Klauenseuche wirksam zurüfzudrängen. Auf dem Gebiete der Erforschung der Tierkrankheiten ist überhaupt noch viel zu arbeiten. Der mittlere und der fleine Bauernstand sind am meisten an dieser Frage interessiert. ‘Die deutsche Landwirtschaft steht dem Viehseuchen- eith von 1909 mit sehr gemishten Gefühlen gegenüber. Die lästige Seuchenplage erfordert ja scharfe, polizeilihe Maßregeln; aber anderer- seits sind in den vielen Paragraphen des Geseßes au viele Belästi- aungen für den mittleren und fleinen Landwirt enthalten. Auch in Bayern, speziell in meinem Wahlkreise, sind viele Klagen laut ge- worden, daß man mit der Abschlachtung nur bei den kleinen und mitt- leren Leuten, nicht aber bei den Großgrundbesißern vorgegangen ist. Die ganz kleinen Molkereibetricbe follten von den belästigenden Vor- \chriften des Geseßes tunlichst befreit werden. Auch der Grenzverkehr innerhalb der deutshen Bundesstaaten müßte erleichtert werden. Hier werden viele Scherereien in der Ausstellung von Gesundheitszeugnissen der Tiere gemacht. Bei Einbringung eines Vichseuchengeseßes müssen besonders für die kleinen Molkereien die gewünschten Erleichterungen geschaffen werden.

Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Polen angenommen.

Zur Geschäftsordnung bemerkt der

Abg. Spiegel (Soz.): Durh den Schluß der Debatte sind wir verhindert, auf die Angriffe des Abg. Meyer-Celle zu antworten. Wir werden deshalb später darauf zurückommen.

DieResolution van Calker betreffs der Regelung der Arbeits- und Rechtsverhältnisse des Krankenpflegepersonal3 wird einstinimig E dagegen der weitergehende An- trag der Sozialdemokraten gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. O werden einstimmig angenommen die R e \ 0- Ao en Albrecht (00 wegen ep gels Ger Rege- lung des Hebeammenwesens und Dr. Graf Posadowsky Wehner wegen internationalen BVerbotes der Nachtarbeit für Jugendliche bis zu 18 Jahren und die Nesolution Sromner wegen Erhöhung der Mittel zur Erforschung der

Maul- und Klauenseuche. Angenommen werden mit Mehrheit die

vom Abg. Behrens beantragtenRefolutionen1)wegen Anstellung einer Untersuchung über eventuelle Gesundheits- schädigung der im Weinbau beschäftigten Personen und 9) wegen Regelung der Arbeitszeit in der Binnenschiffahrt und Flößerei. E Schluß 714" Uhr. Nächste Sißung Mittwoch 1 Uhr (Fortseßung der Etatsberatung). S E

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 23. Sißung vom 10. Februar 1914, Vormittags 11 Uhr. (Berit von Wolffs Telegraphishem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Jnterpellation

der Abgeordneten Dr. Porsch und Genossen (Zentr.): ;

Ist die Königliche Staatsregierung in der Lage, Auskunft über den Unfall zu geben, welher am 4. Februar 1914 zwei Reichs- tagsakgeordneten auf dem Wege zutn E O L Ueberfahren von einem Automobil zugestoßen it? Welche Maßnahmen gedenkt die Königliche Staatsregierung zu ergreifen, um der zunehmenden Gefahr entgegenzuwirken, welhe dur den steigenden Verkehr, insbesondere durch Automobile für die Bevölkerung herbei-

geführt wird?

Nach der Begründung der Juterpellation durch den Abg. Freiherrn von Steinaecker-Trier (Zentrum), über die bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, nimmt zu deren Beantwortung das Wort der

Minister des Fnnern Dr. von Dallwiß:

Ich weiß mich mit allen Mitgliedern dieses hohen Hauses eins, wenn ich vor Beantwortung der Interpellation der Herren Abg. Porsch und Genossen namens der Staatsregierung dem aufrichtigen Bedauern und der herzlihen Anteilnahme Ausdruck gebe an dem {weren Unfall, der die Herren Neichstagsabgeordneten Hebel und Püz betroffen hat. (Bravo!) Zu meiner Freunde kann ich mitteilen, daß in dem Befinden des Herrn Abg. Pütz etne wesentliche Besserung eingetreten ist, während das Befinden des Herrn Abg. Hebel noch zu Besorgnissen Anlaß gibt. Möge, wie wir alle hoffen, au bei ihm bald die erwünschte Besserung fich einstellen. (Bravo !)

Meine Herren, sofort nah Kenntnisnahme von demn Automobil- unfalle, von dem hier die Nede ist, habe ih einen Bericht des Polizei- präsidenten eingefordert. Aus diesem Bericht läßt fich ein ab- \chließendes Urteil über die Schuldfrage niht entnehmen. Es wird das Crgebni3 des bereits eingeleiteten Strafverfahrens abzuwarten sein. Dem Wunsche des Herrn Vorredners entsprechend, gestatte ih mir, Ihnen eine kurze Darstellung des Vorkommnisses auf Grund der mir vorliegenden Berichte zu geben. Ich bitte um die Erlaubnis, den Auszug aus den Berichten verlesen zu dürfen.

Am Morgen des 4. Februar, gegen 9 Uhr Morgens zu einer Zeit, in der die Straßen noch nicht zu sehr belebt zu sein pflegen —, passierten die beiden Reichstagsabgeordneten Hebel und Püút, beides ältere Herren, die Blücherstraße in der Nähe der Stelle, wo diese Straße von der Mittenwalderstraße und der Brachvogelstraße gekreuzt wird. Von Norden, aus der Brachvogel- straße, kreuzte die Straße ein Automobil. Etwa gleichzeitig kam von Osten, aus der Blücherstraße, ebenfalls ein solches. Der Führer dieses leßteren, aus der Blücherstraße kommenden Automobils cheint nun insofern cinen Fehler begangen zu haben, als er an der Straßenkreuzung nicht hielt, um dem von rechts, aus der Brachvogelstraße kommenden Wagen die Vorfahrt zu lassen. Er glaubte vielmehr an dem Wagen noch vorbeifahren zu können, wenn er sich hart an der linken Bordschwelle der Blücherstraße hielt und zwischen den auf der Mitte des Fahrdammes befind- lichen, im Gespräch vertiesten Abceordneten und dem (von thm aus gesehen) linken Trottoir der Blücherstraße hindurchfuhr. Dieser Entschluß wurde verhängnisvoll, zumal die Abgeordneten nit stehen blieben, sondern zurücktraten und dadurch tin die Fahrbahn der Kraftdroshke kamen. Sie wurden von dieser erfaßt und über- fahren,

Das weitere ist Ihnen bekannt. Blücherstraße kommenden Kraftdros{hke ein Verschulden trifft, ob er das vorgeschriebene Tempo gehalten und die vorgeschriebenen Signale abgegeben hat, muß, wie gesagt, die Untersuhung lehren, die mit tunli{ster Beschleunigung weiter geführt werden wird.

Ich kann weiter gegenüber dem Herrn Vorredner feststellen, daß es fich nicht um einen noch nicht eingestellten Wagen, \sondern um eine zum Verkehr bereits zugelafsene Autodrosch{ke gehandelt hat, und zweitens au niht um die Probefahrt eines Chauffeurs, sondern um die Fahrt eines geprüften Wagenführers.

Was den zwetten Teil der Interpellation anbetrifft, so ist im Sinne der Interpellation zu unterscheiden die Frage der zunehmenden Verkehrsgefährdung im allgemeinen von derjenigen, die speztell durch Kraftfahrzeuge herbeigeführt scin soll. Was die steigende Verklehrs- gefährdung im allgemeinen betrifft, so vermag ih eine solche nit an- zuerkennen. Nach einem mir dieser Tage zugegangenen Bericht des Polizeipräsidenten von Berlin, das ja typisch für diese Frage ist, ergibt si, daß in Berlin im Verglei zu anderen Welistädten, zu London und Paris, die Zahl der im Straßenverkehr durch Fahrzeuge aller Art entstandenen Unfälle verhältnismäßig gering ist. (Hört, hört !) Im Jahre 1912 sind auf 1 Million Etnwohner dur Fahrzeuge aller Art im Straßenverkehr verleßt worden: in Berlin 1570 Personen, in London 2765 und in Paris 7724 Personen (hört! hört !), also in Paris fünfmal soviel wie in Berlin. Von diesen Verleßten sind ge- tôtet worden auf eine Million Einwohner: in Berlin 56 Personen, in London 93 und in Paris 82 Personen. Hiernach glaube ih aller- dings, daß man, soweit die Berliner Verhältnisse in Frage kommen, nicht von einer Zunahme der Gefahr auf den Straßen wird reden können. Auch sprechen diese Zahlen, meines Erachtens, nit für dke von dem Herrn Vorredner gerühmte bessere Verkehrsaufsiht in London und Paris.

Was speziell die Gefährdung der Bevölkerung dur Kraftdroschkcn und die dagegen getroffenen ftaatliden Maßnahmen anlangt, fo ist dem hohen Hause bekannt, daß die Negelung des Kraftwagenverkehrs durh Reichsgeseß vom Jahre 1909 erfolgt ist. Dieses Reichsgeseß hat die Ausführungsbestimmungen in die Hand des Bundesrats gelegt, und der Bundesrat hat in der Verordnung vom Jahre 1910 so ein- gehende Beslimmungen über den Kraftwagenverkehr getroffen, daß für die Einzelstaaten kaum etwas Weiteres zu tun übrigbleibt, als pie Ausführung bieser Vorschristen zu inszenieren und zu überwachen: Die Vorschriften des Bundesrats betreffen die Beschaffenheit der

Ob den Führer der aus der

Fahrzeuge, ihre KennzeiGnung, die Anforderungen, die an die Führer zu stellen sind, die Geschwindigkeit der Fahrzeuge, die Vors 7 über thre Beleuhßtung und die Bestimmungen über die Be

der öffentlihen Wege und Pläße. Diese damals erlassenen Vor- schriften beruhten auf eingehende Verhandlungen mit allen Inters effsentenkreisen.

Das Automobilwesen war im Jahre 1909 noch nit alt und es ergibt \ich von selbst, daß erst praktische Erfahrungen gesammelt werden mußten, ob die damals erlassenen Vorschriften wirklich sah, gemäß seien. Nachdem die Vorschriften jeßt vier Jahre lang erprobt sind, kann ein Urteil über sie abgegeben werden, und ih nehme keinen Anstand, zu erklären, daß sie, bei aller Bewährung im allgemeinen in Einzelheiten Mängel aufweisen, die der bessernden Hand bedürfen. Aus solchen Erwägungen heraus haben denn au vor einiger Zeit der Herr Minister der “sfffentlichen Arbeiten und ih zy, sammen bei dem zuständigen Reichsamt den Antrag ges stellt, die Bundesratsvorschriften einer Revision zu unter: ziehen. Jh kann mitteilen, daß die Verhandlungen wegen dieser Revision bereits vor einigen Tagen in Angriff ge, nommen worden find. Es steht zu erwarten, daß hierbei au die einzelnen Fragen, die in diesem hohen Hause zur Sprache gekommen sind, einer Nachprüfung werden unterzogen werden, und daß, foweit das nötig sein wird, Besserungen eintreten. Das Material, das den Beratungen zugrunde liegt, ist nicht nur durch die Behörden ges sammelt worden. Auch die verschiedenen Automobilverbände, der Kaiserliche Automobilklub, der Mitteldeutsche Motorwagenverein, der Verein der Motorindustrielen und andere Interessenten Haben in dankenswerter Weise dazu beigetragen.

In diesem Zusammenhange noch ein Wort über die Schnellig- keitsvorschristen. Nach der bundesrätlißen Bekanntmachung soll ty geshlofsenen Ortschaften die Schnelligkeit 15 km nicht übersteigen. Ausnahmen können von der höheren Verwaltungsbehörde nachgelassen werden, und sie sind, wie der Herr Vorredner bereits erwähnt hat, für Berlin und einzelne größere Städte auf 25 km normiert. Diese Geschwindigkeit beruht niht etwa auf willkürliler Annahme, sondern es haben seinerzeit ausgiebige Proben und Versuche stattgefunden, um festzustellen, welhes die Schnelligkeit der vorzugêweise für den städtishen Personenverkehr in Betracht kommenden Fahrzeuge ist, um danach die Schnelligkeit zu ermitteln, die für Kraftwagen festzuseßen sein dürfte. Bei diesen VersuWßen hat #ch ergeben, daß eine ein- spännige Droshke im Berliner Stadtverkehr, also auf Asphalt und auf kurze Strecken, wie si? im s\tädtishen Verkehr zurückgelegt werden, im Stundendurchschnitt 22 km, eine Marstall, equipage 24 km und eine flott gefahrene Privatequipage 29 km zurücklegt. Wenn fomit für die Kraftwagen die Schnelligkeit auf 25 km festgesett ist, so glaube ih, daß das nit über ein angemessenes Maß hinausgeht, zumal natürlich in Großstädten wte Berlin der Verkehr eine größere Beschleunigung erfordert.

Wenn nun der Herr Vorredncr- in seinen Ausführungen hervor- gehoben Hat, daß gerade bei den Kraftdroschken die Zahl der Un- fälle so sehr viel größer sei als bei den Equipagen, so findet das eine natürliGe Erklärung darin, daß die Droschken den ganzen Tag und einen Teil der Naht in Bewegung sind, während die Privats- equipagen vielleicht 1 bis 2 Stunden am Tage in Aktion treten, mithin viel weniger Gelegenheit haben, Unheil anzurichten, als das bei den Kraftdroschken der Fall ist.

Entschieden widerspreßen muß ich der Annahme, daß nig&t in weitgehendem Maße eine Kontrolle ter Geschwindigkeit stattfinde. Wir haben überall in Berlin Doppelpatrouillen mit sogenannten Stoppuhren, welche die Kontrolle fortgeseßt bewirken ; 1913 find nicht weniger als 5000 Messungen vorgenommen worden. Das spricht doch wohl für eine dauernde und regelmäßige Kontrolle. Auch die An- zeigen wegen Uebertretung der bestehenden Vorschriften erfolgen in einer Zahl, daß viele Automobilbesißer gegen die Behörden den Vor- wurf shikanösen Vorgehens erhoben haben, selbstredend, wie ih auß- drüdlih feststelle, zu Unrecht.

Wenn der Herr Vorredner fi wetter darüber besGwert hat, daß die Strafen zu milde ausfallen und das Verfahren der Staatsanwalt- haft und der Gerichte zu langsam sei, so gehören diese Dinge zum Justizetat.

Was schließlich die Unfälle, die durh Kraftdros{ken gerade in Berlin herbeigeführt \scin sollen, betrifft, so hat der Herr Abg. Freiherr von Steinaecker einige Zahlen älteren Datums genannt. Ich kann Ihnen die allerneuesten Zahlen geben und bin zu meiner Freude in der Lage, feslstellen zu können, daß tatsähltich ein Rückgang der dur Kraft- droschken herbeigeführten Unfälle im Jahre 1913 gegenüber 1912 statt- „gefunden hat, obwohl si die Zahl der Kraftwagen erheblih vermehrt hat, und zwar von 7930 i. J. 1912 auf 9114 i. J. 1913. Die Zahl der tödlichen Unfälle, bei benen Kraftdroschken beteiligt waren, ist in derselben Zeit von 73 auf 49 zurückgegangen. Es ist mithin im leßten Jahre ein erfreuliher Nückgang etngetreten.

Meine Herren, auf alle Einzelheiten, die der Herr Vorredner an- geführt hat, kann ih nicht eingehen. Jch glaube aber nah den Mit- teilungen, die ih gemacht habe, fesistellen zu können, daß man von etner zunehmenden Gefährdung der Bevölkerung durch den Kraft- wagenverkehr nicht reden kann. Jedenfalls aber ist die K3nialiche Staatsregierung, wie Ste ja au daraus entnehmen können, baß fic eine Revision der Bestimmungen der Bundesratsbekanntmahung von 1910 in die Wege geleitet hat, bemüht, den Verkehr mit Kraftwagen in diejenigen Bahnen zu leiten, daß die Sicherheit, auf welche das Publikum berehtigten Anspruch hat, gewährleistet ist. (Bravo !)

Auf Antrag des Abg. Herold (Zentr.) findet eine Be- sprechung der Jnterpellation statt.

Abg. von Gescher (kons.): Die Interpellation ist sehr wichtig und berechtigt zu eingehenden Verhandlungen. Jch darf mich als Automobilbesißer vorstellen und kann im wesentlichen den Aus- führungen des Abg. von Steinaecker beistt:nmen. Sie werden sid erinnern, daß mein früherer Fraktionsfreund Strosser Mißstände im Automodilfahren wiederholt energisch zur Sprache gebraht hat, Die öffentliche E ist in ganz außerordentlihem Maße dur den Ver- kebr in Anspru genommen. Dem steht aber die Pflicht gegenübcr, daß die Automobilfahrer bei ihren Fahrten die äußerste Vorjißt an- wenden und ein möglichst großer polizetliher Schuß eintritt. Dieser Schuy hat \sich im wesentlihen auf die Zurückhaltung des Tempos zu beschränken. Mir ist zweifelhaft, ob das Tempo von 25 km in Berlin tatsächlich immer eingehalten wird. Vor einigen Jahren konnte man den Nollendorfplay nicht ohne Lebensgefahr überschreiten. Wir haben das Vertrauen zur Regierung, daß sie die nötigen Maß- regeln ergreifen wird, um den aren Mißständen im Automobil- sabrwesen möglichst bald abzuhelfen.

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¿ (Fortseßung in dex Dritten Beilage.) 757 175

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(Fortsehung aus der Zweiten Beilage.)

Abg. J u st (nl.): Namens meiner Freunde habe ih unsere Teil- nahme aus-ufprechen für den bedauerlihen Unglücksfall der zwei ehr- würdigen Mitglieder der Zentruméfraktion. Wir hoffen, daß beiden Herren ret bald ihre Gesundheit wiedergegeben wird und sie in alter Frishe ihre Tätigkeit wieder aufnehmen können. Auf den hedauerlichen Unglücksfall gche ich im etnzelnen nit ein, weil die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen ist und eidlihe Zeugen- pernebmungen noch nicht stattgefunden haben, man also bier nur aaf Vermutungen angewiesen ist. Wo Verkehr ist, ist auch naturgemäß Verkehrsgefahr. Diese Verkehrsgefahr steigert {id, je dihter und ‘lebhafter der Verkebr ist. Es ist nit zu leugnen, daß der Automobilverkehr infolge der Staubentwicklung außerordentlihe UÜnbequemlichkeiten aufweist und immer wieder die Kritik herausfordert. Diese Unbequemlichkeiten treten naturgemäß in der Großstadt viel stärker hervor als anderswo, so stark, daß man sagen kann, der jeyige Berliner Verkehr hat durch das Automobilwesen einen volifommen anderen Charafter erhalten. Aber anderseits bieten uns die Automobile fo viele Vorteile, daß man auf sie nit ver- zihten kann. Man klagt über zu große Fahrges{hwindtigkeit der Automobile, aber man wünscht do, wenn mai in einem Automobil sit und es eilig hat, daß der Chauffeur möglichs \{nell fährt. Die hier vorgetragene Statistik über Automobilunglücksfälle hat nur relativen Wert. Es fehlt an einer Statistik, die die Unglücksfälle gegenüberstellt, die durch andere Fuhrwerke bervorgerufen werden. Die egierung hat fih von Anfang an bemüht, zu verhüten, daß durch das Automobilwesen die Verkehrssicherheit gefährdet wird. Anderseits bat sie auch nichts unternommen, was einer gesunden Ent- wickclung des Automobilverkehrs hinderlich fein könnte. Die Be- stimmungen über den Automobilverkehr sind erst erlassen worden, nahdem man fih_mit den interessierten Kreisen in Verbindung ge- set hatte. Die Schnelligkeitsbestimmungen sind geregelt worden an der Hand des praktishen Bedürfnisses. Unserer Verkehrspolizei nüssen wir an diefer Stelle Anerkennung zollen. Sie hat im wesentlichen zu einer Besserung der Verkehrsverhältnisse beigetragen. Die Verkehrsverhältnisse auf dem Potsdamer Play haben {ih wesentlich gebessert. Dafür können wir der Verkehrspolizei nur danken. Auch in der Ausbildung der Chauffeure hat sih eine Besserung gezeigt. Man wendet ihr jezt mehr Sorgfalt zu als früher. Das ist im Interesse der Verkehrs\icherheit nur zu begrüßen. Die Vorschriften über die Ausbildung der Chauffeure genügen volllommen. Wenn sie gewissenhaft gehandhabt werden, so kann man ein durchaus brauchbares Führerpersonal beran- bilden. UÜnbedingt notwendig ift es au, daß man von den Führern anderer Fuhrwerke einen geeigneten Befähigungsnahweis forderr. Für die Geschwindigkeit der Automobile kann man nicht so enge Grenzen seßen. Denn was in dem einen Falle gefahrlos ist, kann im anderen Falle gefahrvoll sein. Ein großes Verdienst um das Auto mobilwesen hat sich der Mitteleuropäishe Motorverein erworben, der weniger Wert auf sportlihe Ausnußzung des Automobils legt, als brauchbares Verkehrsmittel. veranîttaltet für

vielmehr auf dessen Verwertung als Dieser Vecein hat auch etn Preisaus\chreiben die Konstruktion eines Apparates, der die Geschwindigkeit des Automobils registriert und auch nach außen hin fkeunt- sh macht. Leider ist es nicht gelungen, einen Apparat zu fonstruieren, der all diesen Anforderungen gleichzeitig genügt. Auf Grund eines einzelnen Vorkommnisses dürfen allerdings nicht gleih einschränfende Bestimmungen erlassen werden. Hauptaufgabe der Staatsregierung muß es sein, neben der Zulassung nur einwand- freien Automobilmaterials dafür zu forgen, daß auch die Kraftwagen- führer möglihst einwandsfreie Persönlichketten sind. Jedenfalls darf nichts gesehen, was geeignet ist, die glänzende Entwicklung unserer Berkehrsmittel aufzuhalten.

Abg. Nos enow (fortshr. Volksy.): Im Namen meiner politi- {en Freunde spreche ih den Wunsch aus, daß die beiden von dem bedauerlichen Unfall betroffenen Herren möglichst bald die Folgen überwinden mögen. Was ein solher Unfall bedeutet, habe ih selber vor zwei Jah1en auf dem Wege nah dem Parlament erfahren müssen. Wenn man solche Fälle aufrihtig bedauert, so muß man sih dohch gegenwärtig halten, daß es in dieser Be- ziehung immer so gewesen i\t. Früher hat man Verhandlungen ge- habt über die Gefahren der Torwagen, der Omnibusse, der Droschken, der Straßenbahnen; jeßt sind es die Automobile Jedes neue Verkehrsmittel hat neue Gefahren für das Publikum gebraht. Der große Wert der Automobile in wirtschaft- liher Beziehung darf niht verkannt werden. In Amerika fährt die Hausfrau im Automobil auf den Markt, wobei fie es selbst \teuert. Ebenso macht es der Arzt bei seiner Praxis. Wollte man in Berlin den Automobilverkehr ausschalten, fo würde ein Mehrfahes an Zahl der Droschken erforderlich sein, um die gleihe Zahl von Personen und Kilometern zu bewältigen. Gs ist schon vieles besser geworden, nachdem die Polizeiverwaltung Schutleute nah Paris und London geschickt hat, die dort gelernt haben, wie der Verkehr bewältigt werden kann. Die große Gefahr liegt beim Linkswenden. Da ist es oft niht zu ersehen, wte der Wagen fahren wird. In bezug auf sachvercständige Auskunft darf man sich allerdings niht auf den Kaisferlihen Automobilklub verlassen, der niht gerade sehr vorsihtig mit dem Publikum umgeht. Vielleicht läßt sih in Berlin gemeinsam mit den Vororten doch noch eine (Tbauffeurshule errihten, wenn der Minister darauf hinwirkt, daß der Widerstand der Vororte {windet. Es muß aber doch einmal darauf hingewiesen werden, daß Mitglleder des Königlichen Hauses in einem Tempo fahren, das eine Gefahr sür die Passanten bedeutet. Es ist nun einmal so, daß heute alles nah dem Hohen strebt. Wenn die Hohen und Allerhöchsten Herrschaften fo dahinrasen, dann ist es verständlih, wenn der gefürstete Bankier das auch einmal tisfieren will, und nah ihm tut es der kleinere Bankier, und so geht es weiter. Solche Beispiele dürfen von dieser Stelle aus nicht ge- geben werden, da müßte doch die Polizei in aller Chrfurht einmal ihre Macht zeigen und entsprehende Bestimmungen treffen. Lassen sich nicht Automobile konstruieren, deren Fahrgeshwindigkeit 25 km niht übersteigen kann? Hoffentlich trägt der bedauerlihe Anlaß Uer Besprechung dazu bei, daß den Mißständen bald abge- Holfen wird. j

Abg. Hofer (Soz.): Es ist notwendig, daß sich die Zahl der dur Automobile hervorgerufenen Unfälle vermindert. Die Ausbildung der Kraftwagenführer muß forgfältiger sein. Die Ausbildungszeit müßte mindestens 4 bis 5 Wochen betragen. Das Bedürfnis nah tüchtigen Chauffeuren ist so groß, daß zwei Berliner Automobtlwerke eigene Chaufeurshulen eingerihtet haben. Das hat dazu beigetragen, daß die Berliner Droschkenchauffeure besonders zuverlässige Leute sind. Das beweist au der Rückgang der Unfälle im Jahre 1913. Die Schuld an den Automobilunfällen liegt wie bei den Eisenbahn- unfällen häufig an der zu langen Arbeitszeit ; die Führer von Kraft- droshken haben häufig 16 Stunden zu arbeiten. Dadurch werden sie natürlich sehr leiht ermüdet, wodurch die Unfallgefahr besonders groß wird. Die Leute müssen aber so lange arbeiten, wetl fie nur einen Grundlohn von 1,50 4 haben und im übrigen auf Akkord arbeiten. In vielen Vororten werden die von Berlin kommenden Automobile unter\chiedslos8 zur Avzeige gebracht, gleihviel, ob sie mit der var- \{ristsmäßigen Geshwindigkeit gesahren sind oder niht. Lastwagen sollten stets zwei Begleiter haben,

Dritte Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Mittwoch, den 11. Februar

Abg. von Trampczynskt (Pole): Dieganze Materie i täußer s{chwierig. Kein Mensch wird auf den Setrinken kommen, S der ib glücksfälle im Automobilverkehr das Automobil abzuichaffen. Das Auto- mobil ist ein Verkehrsmittel, das für unser heutiges Wirtschaftsleben fast unentbehrlid ist. Allerdings sind au wir der Ansicht, daß die Aus- wüchse im Automobilverkehr auf das s{härfste zu bekämpfen find. Es sollte überhaupt eine Höchstgeshwindigkett von 30 km festgesetzt werden. In den inneren Stadtteilen sollle man nur eine Geschwindigkeit von 15 km zulassen. Das würde vollkommen genügen. Auch wünschen wir, daß Maßnahmen zur Verhütung der Staubplage getroffen werden.

Abg. Freiherr von Steinaecker (Zentr.): Daß die Pferde- droschken eine Geshwindigkeit von 15 s an e ti H Nun follen im Jahr 5000 Kontrollen über die Geschwindigkeit der Automobile in Berlin stattgefunden haben. Es kommen also 14 Kon- trollen auf den Tag. Das will mir bei dem außerordentlich gewaltigen Verkehr sehr wenig erscheinen. Jch bitte die Regierung, daß sle den Anregungen des Hauses gebührende Beachtung \{enkt und möglichst bald die geeigneten Maßnahmen trifft. y

Damit ist die Interpellation erledigt.

_ Das Haus set dann die Beratung des Etats des Mi- nisteriums des Junern und zwar die allgemeine Debatte beim Titel des Ministergehalts fort.

Minister des Junern Dr. von Dallwißt:

Ich habe es mir gestern versagen müssen, auf einige Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Seyda einzugehen, weil die Stunde bereits zu weit vorgerückt war.

Der Herr Abg. Seyda hat nicht Anstand genommen, Briefe hier zur Verlesung zu bringen, die auf Grund eines groben Vertrauens- bruhes in setne oder seiner Freunde Hand gelangt sind. Soweit ein derartiges Material Anspruch auf Authentizität erheben kann, habe ih den Eindruck gewonnen, daß die von ihm verlesenen Schriftstücke, welche auf außerdeutsche Dinge fi beziehen, im wesentlichen von der Beschaffung landwirtschaftliher Arbeiter handeln, und zwar hat der Ostmarkenverein seit dem Jahre 1903 im Interesse der heimischen Landwirtschaft die Beschaffurg ausländisher Saisonarbeiter in die Hand genommen und aus nationalen Gründen dabei ruthenis{en Arbeitern vor polnishen den Vorzug gegeben. Zu diesem Zweck ist er mit etnem ruthenishen Komitee in Verbindung getreten. Daß darin an ih irgend etwas Bedenkliches zu finden sei, wird kaum behauptet werden fönnen. (Abg. Korfanty: Behaupten wir auch nicht!) Es ist nun der Versu gemacht worden, das als besonders verwerflich hinzustellen, weil einige ruthenishe Fanatiker, Studenten, Meuchel- morde begangen haben, unter anderem den bekannten Meuchelmord, dur ‘den der damalige Statthalter Graf Potocki ums Leben ge- fommen ift. So verwerfliß und verdammenswert derartize Ver- brechen sind, so {eint es mir doch ein völlig ungerechtfertigtes Unter- fangen zu sein, die Sache so darzu{e"üen, als ob die Taten einzelner Fanatifker allen Ruthenen zur Last zu legen seten, als ob ferner das ruthenische Komitee aus Meuchelmördern bêstände oder mit thnen in Verbindung gestanden hätte. Was hat das \chließlich damit zu tun, daß der Ostmarkenverein mit einem ruthenischen Komitee zur Be- schaffung von Saisonarbeitern für die deutsche Landwirtschaft in Ver- bindung getreten ift ?

Meine Herren, wie sehr aber das Bestreben obgewaltet hat, aus diesen Beziehungen dem Osftmarkenverein künstllch einen Strick zu drehen, ergibt fich beispielsweise daraus, daß der Abg. Korfanty am 14. Januar in seiner Nede darauf hingewiesen hat, daß ein Mit- glied des ruthenishen Komitees feinerzeit an den Ostmarkenverein mit dem Verlangen herangetreten sei, ein Werk zu publizieren, welches die habsburgishe Polenpolitik in ungünstigem Sinne darstelle, und dessen Erscheinen deshalb in Oesterrei verboten sei. Er führte in dieser Beziehung aus:

Damals besorgte die Geschäfte des Ostmarkenvereins im Haupt- bureau der frühere preußische Gesandte ich glaube, in Weimar oder in Anhalt hat seine Karriere geendet Herr von Naschdau. Diesem Herrn von Naschdau war die Sache do etwas zu gewagt; er Tonnte sih mit dieser Forderung niht recht identifizieren und hieß nun den Generalsekretär des Ostma1kenvereins an diesen Hanicki s{retben, daß er, Naschdau, verreist sei troßdem er ganz gemütlich in Berlin saß und deshalb den Brief nicht beant- worten könne. Hanicki wird ungeduldig, schreibt nah einigen Wochen zum zweiten Male an den Generalsekretär des Ostmarkenvereins und erinnert nochmals an die Drucklegung der Broschüre. Bei dieser Gelegenheit teilt er mit, daß gegen den Verfasser dleser Broschüre in Oesterreich bereits das Hochverratsverfahren \{chwebe.

Nun hätte man annehwen sollen, daß dann die weitere Mitteilung frommen würde, daß eine Antwort seitens des Herrn von Naschhdau an Herrn Hanicki doch noch eingegangen sei. Davon ist aber nichts gesagî. Jch kann daher nur annehmen, daß dieser Brief des Herrn Hanicki niht beantwortet oder ablehnend beantwortet worden ist. Aber der Herr Korfanty fährt troßdem fort:

Meine Herren, der Ostmarkenverein begünstigt also eine Aktion, die in Oesterreich, in dem Ihnen befreundeten Staate, \etitens der dortigen Gerichte und höchsten Behörden als Hochverrat qualifiziert wird.

Ih meine, aus diesem dialektischen Kunststück kann man entnehmen, welden Wert derartige Argumentationen haben.

An ich geht die Sache meinen Etat überhaupt nihts an; denn es honvelt fich um die Anwerbung landwirtshaftlißer Arbeiter (Widerspruch bei den Polen), die eventuell zu dem Etat des landwirtschaftlihen Ressorts gehören und dort zu behandeln gewesen wären.

Ich habe aber das Wort genommen, weil Herr Seyda noch einige Briefe mehr privaten Charakters des Herrn von Tiedemann zur Ver- lesung gebracht hat, in denen zunächst ungünstige Urteile über einige höhere Beamte enthalten waren. Ob Herr von Tiedemann diesem oder jenem höheren Beamten oder Staatsmann Sympathie oder Antipathie entgegenbringt, ist seine Sache; das wird er selbst zu ver- treten haben. Das geht mih nihts an. Wenn aber Herr Seyda aus der angeblichen Behauptung in einem dieser Briefe die S{luß- folgerung gezogen hat, daß die Anwendung des Ent-

eignungsgeseßes infolge eines Druckes des Herrn von Tiedemann oder des Ostmarkenvereins auf den Herrn Land- wirtschaftsminister erfolgt sei, so scheint er denn doch ganz außerordentli geringe Kenntnifse darüber zu haben, welche Praftifen, Methoden und Marimen bei der preußishen Staatsregierung obwalten. (Sehr richtig! rechts.) Weder der Herr Landwirtshaftsminister noch der Minister des Innern oder ein sonstiger Ressortminister sind in der Lage, auf Grund einseitiger Information über eine so \{chwer- wiegende Maßnahme zu beschließen, wie es die Anwendung des Ent- eignung8gesetes ist. Darüber beschließt auf Grund allseitiger Infor- mationen sowie genauer Prüfung und Würdigung der Gesamtlage und der einschlägigen Verhältnisse das Staatsministerium.

Herr Abg. Seyda hat einen Brief vorgelesen, nach dem Herr von Tiedemann geschrieben haben foll : Herr von Schorlemer habe ihm mitgeteilt, daß das Enteignungsgeseß angewendet werden würde. Was daraus gefolgert werden fann, daß diese Anwendung eine Folge des Ein- flusses des Herrn von Tiedemann sein soll, ist mir nit verständlich. Die Gründe, welche seinerzeit, voc anderthalb Jahren, zur Anwendung des Enteignungsgesetzes geführt haben, habe ih im Herbst des Jahres 1912 Hier eingehend dargelegt. Zum Teil beruht es auc darauf, daß der Terrorismus, der seitens der Polen ihren Landsleuten, den polnischen Besigern, gegenüber ausgeübt wurde, ihnen die Möglichkeit raubte, ihre Güter, wenn fie es wollten, an Deutsche zu veräußern. Sollten die Verhältnisse ch in Zukunft nohmals in ähnlicher Weise zuspigen, wie es damals gewesen ist, so würde das kann ich Ihnen sagen auch die preußishe Staatsregierung von {hren geseßlihen Ezteignungsbefugnissen wieder Gebrauch machen (hört! hört! und Rufe: Unerhört! bei den Polen !), gleihviel, was Herr von Tiedemann einerseits und die Herren Seyda und Korfanty andererseits darüber denken und dazu sagen. (Bravo! rechts Abg. Korfanty: Pfui!)

Der Abg. Dr. Pachnicke hat fch gestern über einzelne Gegenstände auêgelassen, die meinen Etat betreffen. Er hat si darüber besck wert, daß angebli seitens der Polizeibehörden in unangemessener Weise eine Kontrolle der Polizeistunde bei Berliner Gastwirten \tatt- finde. Ich kann Herrn Abg. Dr. Pachnicke mitteilen, daß auf Grund einer Cingabe des Berliner Gastwirispereins, die im Februar vorigen Jahres an mich gelangt war, am 9. April 1913 an sämtlichs MNegierungspräsidenten und den htesigen Polizeipräsidenten folgender Grlaß ergangen ift:

Ich ersuche, die Beamten der Polizeiverwaltungen darauf hin- zuweisen, daß es unter allen Umständen unzulässig ist, wenn sie selbst oder durch Dritte, sei es gegen Entgelt oder ohne Entgelt, Personen zur Begehung strafbarer Handlungen zu veranlassen suchen, um dadur einen bestehenden Verdacht bestätigt zu era halten. Beamte, die hiergegen verstoßen, sind zur Verantwortung zu ziehen. 7

Ich glaube, daß diese Auskunft dem Herrn Abg. Dr. Paghnicke genügen wird. :

Dann hat Herr Abg. Dr. Pachnicke noch einmal den Fall Jagow zur Sprache gebraht und \ich darüber beschwert, daß ich bet diesem Anlaß über innerdienstlihe Vorkommnisse keine Auskunft erteilt habe. Meine Herren, ich bin fehr weit dem Wunsche des Herrn Abg. Dr. Wiemer entgegengekommen, indem ih meine Stellungnahme zur Veröffentlihung damals klipp und klar dargelegt habe. Aber ob und in welher Weise ein Refsorthef über private Meinungsäußerungen mit etnem ihm unterstellten Beamten ih aus- einanderseßen will, das ift allein seine Sache und entzieht sh voll- kommen der Einwirkung des Parlaments. (Sehr rihtig! und Bravo! rets.)

Meltne Herren, diesen Grundsaß hat Fürst Bülow 1909 sehr prägnant in diesem Hause zum Ausdruck gebracht mit den Worten :

Solange ich die Verantwortung für die Staats- und Reichs- geshäfte trage, lehne ih jede Mitwirkung und jede Einwtrkung Dritter auf das Verhältnis zwischen dem Vorgeseßten und seinen Beamten mit Entschiedenheit ab. Ueber den Beamten hat unter Wahrung der Nechtsgarantie nur der Vorgeseßte zu entscheiden; ob er ihm seine Zufriedenheit oder seine Unzufriedenheit zu erkennen geben will, ift lediglih seine Sache. Hier sind. Legislative und CGrekutive streng zu s{eiden.

Selbst in rein parlamentarisch regierten Ländern

fuhr Fürst Bülow fort ih habe lange in folhen gelebt wird kein pflihtbewußter Minister sih das Recht streitig machen lassen, allein über seine Beamten zu entscheiden.

Meine Herren, das ist ja au ein Gebot der praktisGen Not- wendigkeit; denn wenn jedes kleine, innerdienstlihe Vorkommnis hier in voller Oeffentlichkeit erörtert werden müßte, würde ja die Autorität eines jeden Vorgeseßten (lebhaftes Sehr richtig!) untergraben werden, und es würde auh geradezu die moralishe Selbständigkeit der Beamten untergraben werden, wenn sie befürhten müßten, daß die Beurteilung ihres dienstlichen Verbaltens niht abhängig set von sah- lihen Momenten, sondern von vorübergehenden Strömungen in den Parlamenten. (Bravo! und Sehr richtig! rechts.)

Abg. Adolf Hoffmann (Soz.): Jh kann ausnahmsweise mit dem Abg. von Kardorff in einer Forderung übereinstimmen, das ist die frühere Einberufung des Landtags. Die Scharfmacherrede des Abg. von Kardorff scheint nur ein neuer Aufguß seiner früheren Neden zu sein. Zum Schluß mußte natürlih wieder die Bekämpfung der Sozialdemokratie mit allen Mitteln kommen. Es ist merk= würdig, daß die Herren einmal wieder am Ende ihres Lateins an= gekommen find: fie wollen wieder Ausnahmegeseßze. Der LUebeston gegen die Nationallibe:alen war geradezu rührend. Wenn die Nationalliberalen darauf hineinfallen, kann es uns recht sein. Im übrigen kam man fich wie auf einem Sportplaß vor, in dem der Reichskanzler wte ein Ball zwischen den Herren Kardorff und Lobmann hin und her flog. Jeder fing den Ball auf, aber wollte ihn niht behalten. Der Abg. von Heydebrand stand am Eingange des Platzes und s{munzelte. Wenn der Abg. Lohmann meinte, wir bekämpften die Perfonen, jo ist das grundfalsch. Wir greifen nur die

„Sache an. Wir haben auch keinen Haß gegen die Kirche, sondern wir kämpfen gegen den Mißbrauch, der mit der Religion getrieben

wird, Wir fordêrnu nach unserem Prozramm die Erklärung dex