1895 / 80 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Apr 1895 18:00:01 GMT) scan diff

8&6.

Der zur Zeit în Bödenhzim zur Erhebung gelang?/ade Köm üt".nal- zushlag E Saiten Gewerbesteuer kommt a s Vr,raus belast!ng des jezigen Gemeindebezirks Bockenheim auch ferner i der Weise zur Gr- bebung, daß derselbe bis zum 31. März 1900 in Höhe von 100% und in der Zeit vom 1. April 1900 bis 31. Märi 1906 mit. 50% erhoben wird. E : O Die zur Zeit in Bockenbeim bestehe aden Kommunalfteuerzusläge ¿ur staatlichen Grundsteuer werden als Vorausbelaftung des jegigen Gemeindebezirks Bockenheim bis zum 31. März 1930 in der bis- berigen She von 150°/9 und in den einzelnen Jahren vom 1. April 1930 bis zum 31. März 1935 in Höbe von 125, 100, 75, 50 und 95 9/o der staatlichen Veranlagungsbeträge weiter erboben. L

Gleiches gilt für die Gebäudefteuer mit der Nabgabe, daß bis zum 31. März 1935 Zuschläge von 70 °/a der staatlichen Veranlagungs-

räye erboben werden. j

e En und insoweit die staatliche Veranlagung diefer Realsteuern in Wegfall kommen sollte, sind bei der alsdann von den städtischen

DBékörden. zu bewirkenden Berechaung e PACRI as die bisher

. geltenden Veransagung&gründsäge finngemäß anzuwenden.

2505 Auf die in bis S Afenien Absägen festgeseßte Vorausbelastung des jetzigen Gemeindebezirks Bokenheim bleibt es odne Einfluß, ob und in welcher Höbe etwa demnächst allgemein in der erweiterten

- Stadtgemeinde befondere Nealsteuern oder Kommunalzus(läge von der

-:veranlagten Grund-, Gebände- und Gewerbesteuer erhoben werden.

Die Bestinrmengen über die Vorausbelastung der Gebäude- steuer beruhen auf der Vorausseßung, daß leßtere nach der neuen Veranlagung am 1. April 1895 einen Jahresertrag von §0000 # liefen wird. SInsoweit der Ertrag um mebr als 3000 # über oder unter diesem Ertrage bleibt, findet eine entsprechende Erböhung oder Grmäßigung der oben fest- gestellten Prozentsäße ftatt.

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a. Die in Bokenbeim vettéfenben Verbrauch8abgaben auf Mebl und Ba#waaren kommen mit dem Tage der Vereinigung in Wegfall.

H. Die Verbraucb8abgaben von Fleish und Schlachtvieh werden bis zum 31. März 1905 in bisheriger Höbe forterhoben. Sollte jedod das Boenbheimer Shlahthaus hon vorber außer Betrieb gesekt werden, kommen diese besonderen Verbrauch8abgaben ebenfalls in Wegfall.

Solange und insoweit diese Abgaben zur Erhebung gelangen, dürfen von den Bockenheimer Metzgern Schlachtgebühren nicht erhoben WeTrdeR.

c. Die Abgaben von Bier, Branntwein und Aepfelwein werden bis zum 31. März 1915 forterboben.

P

Die Frankfurter Bestimmungen über die Gemeinde-Einkommen- fiener treten am 1. April 1900 in Kraft; bis dahin gelten folgende Vorfébriften : L l

1) Die Veranlagung erfolgt während dieses Zeitraums unter Zugrundelegung des Staatssteuertarifs bezw. der in § 38 des Kommunalabgabengesezes vom 14. Juli 1893 festgestellten Steuer- sätze binsihtlih der Ginko mmenefklafsen von 420 bis 900 4

2) Der Zuschlag zu den vorerwähnten Steuerfäßen if während dieses Zeitraums in folcher Höbe zu bemessen, daß von dem jeßigen Gemeindebezirk Bockenbeim an Gemeinde-Ginkommensteuer jährlich der Vetrag von 130 000 4 abzüglid des Grtrags der nach § 95 in - Bo@énheim einzuführenden Mietbéfteuer einsließlih des Laternen- geldes aufgebracht wird. S ;

Die Summe von 130 009 A verringert ih ferner um diejenigen Einkommensteuerbeträge, welche für das Jahr vom 1. April 1895/96 der Stadt Frankfurt dadurch zufließen, daß infolge der Eingemein-

dung erstens das aus dem jeßigen Gemeindebezirk Bockenbeim Frank- furter Steuerpflichtigen erwa ch}]ende Ginkommen bei Veranlagung der- selben in Frankfurt nit mehr frei zu laffen is, oder zweitens die Gemeinde Botenbeim als zweite Wobnsitßzgemeinde der Stadt Frank- furt gegeuüber niht mehr Lem werden Tann.

Zu dem in Frankfurt jeweilig erhobenen Währschaft8geld tritt vom 1. April 19090 %§is zum 31. Mârz 1925 als Vorausbelaîtung des jeizigen Gemeindebezirks Bockenbeim ein Zus{blag von einem halben Prozent des währschaftspflichtigen S

§ 10.

Die Frarkfurter Bestimmungen über Wafssergeld und Kanali- fationsbeiträge bezw. Gebühren treten späteftens am 1. April 1935 in Kraft.

Bis dahin find das Botenbeimer Waßserwerk und die alsbald nach der Eingemeindung autzuführenden Kanalifationëanlagen als finanziell felbftändige Unternehmungen zu bebandeln.

Die für deren Benußung zu erbebenden Beiträge und Gebühren Find bis zum 31. März 1900 fo zu bemessen, daß sie sämmtliche Koften der Verwaltung und Unterhaltung ein!c{ließlih der Ausgaben für Verzinsung urd Tilgung des aufgewendeten Kapitals decken, und vom 1. April 1900 bis zum 31. März 1935 \o zu gestalten, daß fie nicht nur die gedachten Kosten decken, fondern noch einen Ueber|{uß von 1 Æ 59 4 pro Kopf der jeweiligen Bocktenheimer Bevölkerung rbringen (vergl. § 14).

Bei Berehnuag ‘des Anlagekapitals der Bockenbeimer Kanali- fationsanlage darf für die Mitbenußung der Frankfurter Kanal- anlagen einschliezlib Klärbecken eine Vergütung nur in Anrechnung gebrarbt werden für die etwaigen, dur diete Mitbenußung von seiten Borenheims und infolge der Herftellung der Bockenbeimer Kanali- ‘fationéanlage nothwendig gewordenen Umbauten und Erweiterungen, und ztvar nur in dem Umfange, in welchem diese Umbauten oder Er- iweiterungen ledigli zufolge dieser Mitbenußung nothwendig geworden Find. Dagegen find bei Berehnung der Kanalisationsbeiträge und (Gebühren: die Mebrkosten, welhe durh diefe Mitbenußzung bei dem Wetriebe erwachsen, än Anrechnung zu bringen. ;

Zu den Anlagekosten gehören insbesondere auch diejenigen Pflasterungétoften, welche erforderli find, um das Straßenpflaster ân den fazalifierten Straßen wieder în einea den Verkehrsanforderungen eentspreheuden Zustand zu versezen. 5

Den Frankfurter Behörden steht es jedoch jederzeit frei, eine wSlfge GEidftellung des jeyigen Stadtbezizks Bokenheim in Bezug A Mga ations und Wafserwerksgebühren und Beiträge eintreten gu iLafsen.

__ Wenn amd insoweit in dex von den einzelnen Bockenbeimer Grund- agendümerr demnächst z1 [eiftenden Kanalisationsbeiträgen Tilgungs- quoter vom Anlagekapitä der Bockenkbeimer Kanalisationswerke ent- balten find, fo dürfen bei Bemefsung der naŒ& der Gleichstellung von deu cirselnen Srundeigentläüimern zu erhebenden Kanalisationsabgaben “die beraits getilgten Kostex der Bocenheimer Kanalijationsanlagen nit mt in Ansa gebracht werden.

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_Die Hauschrihtabfubr ift vom 1. April 1895 ab in Botcken- Heim auf gleihen Grundlagen zu handhaben wie in Frankfurt.

Der Aufward für Feuerwehr, Straßenreinigung und -Be- fprengung ift bis zum 31. Märi 1910 thunlich| auf der bisherigen Höhe zu erbalten. a

__ Falls dennoch Veranstaltungen zu treffen wären, welche einen äer den jeßigen Aufwand und eine der Bevölkerungszunahme ent- izrecende jährlihe Steigerung desselben binauëgeheaden Aufwand er- federn, bleibt den (tädtishen Behörden eine Anwendung der §Z 9 zxè 20 des AogmunatabaGenacienes anbeimgegeben.

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Auch in Bezug auf Neupflafterung und Unterhaltung bestehender Straßen foll bis zum 3L März 1910 der bisherige Umfang des aus tem Drdinarium bestrittenen Aufwandes nach dem Durchschnitt der Jahre 1890- bis 1893 im allgemeinen, vorbebaltlih einer der Zu- szahme der Bevölkerung entsprehenden Steigerung desselben, maß- gebend bleiben. „,

S § 13. : ai e E n L n ee ge vgs S bis zum - Apri 9 der jtaatlide Normal-Gtat geltend. Alsdann erfol Gleichstellung mit den Frankfurter Gehalten. Fo

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Die Gleichstellung der übrigen Lehrer und Lehrerinnen erfolgt allmählid, L der Weise, daß am 1. April 1898 20 000 4 zur Aufbesserung ibrer Gebalte zu verwenden find und am 1. April 1905 die zur Ausgleichung erforderlichen weiteren Gehaltserböhungen eintreten. s

S1

Falls dur irgend welche Umstände eine Grböhung der Ausgaben über den in den 88 11, 12 und 13 angegeÆnen Umfang binaus, oder ein theilweiser Wegfall der in den G 6, 7, 8 sesigelepien Voraus8s- belastung berbeigeführt werden sollte, sind die Frankfurter Behörden berechtigt, die Üebershüsse der Wafser- und Kanalwerke bis zum 31. März 1910 entsprehend zu steigern bis zum Höchstbetrage von 2 #4 pro Kopf der Bevölkerung und das Währschaftégeld bis zum

[eichen Zeitpunkie entsprehend, jedoch böchftens um ein weiteres albes Prozent, zu erböben.

Die in diesem Vertrage festgeseßte Vorausbelastung des dem- nächstigen Stadttheils Bokenheim ermäßigt fich für den Fall, daß im ganzen Stadtgebiet Frankfurt a. M. im Laufe des Jahres 1895/96 Waährschaftsgeld mit mehr als 14% oder Realsteuern über 100 %%o der Staatsrealsteuern zur Erhebung gelangen, bis zum Jahre 1900 um denjenigen Betrag, welcher infolge der diefe Grbebung anordnenden Bestimmangen und im ersten Jahre ihrer Satng, 20 Stadttheil Beckenheim an Währschaftsgeld über 14 °/9 und an Realfteuern über 1009/6 binaus zu erbeben it. Der Beschlußfassung der Frankfurter Behörden bleibt die Bestimmung darüber überlassen, an welcher der einzelnen Vorausbelastungen die nah dem vorstehenden Abfaß er- mittelte Summe zu kürzen ift.

8 15.

Das sämmtliche beweglihe und unbeweglihe Vermögen der Städte Frankfuri und Boenbeim wird bei der kommunalen Vereinigung zu einem einzigen Ganzen verschmoljen; die vereinigte Stadtgemeinde tritt mitbin in alle Vermögensrehte und Verbindlichkeiten der Stadt Bockenheim als RehtsnaWfolgerin ein. i f

Das Stiftungsvermögen wird hierdurch nicht berührt, muß viel- mebr den stiftungsmäßigen Zwecken nah wie vor erbalten bleiben.

Bezüglich der sogenannten öffentlichen milden Stiftungen der Stadt Frankfurt, auf welche sich die allgemeine Stiftungsordnung vom 5. Oktober 1875 bezieht, besteht Einverständniß beider Theile, daß dur die Eingemeindung eine Ausdehnung der Leistungen derselben auf den jeßigen Gemeindebezirk Bockenheim nicht bewirkt wird.

8 16.

Die Zakbl der Mitglieder der Stadtverordneten-Versammlung wird für s vergrößerten Stadtbezirk ftatutarisch zunähst auf 61 festgesetzt werden.

Bis zu einer anderweiten Regelung nah § 25 des Gemeinde- verfassung2gesete3 vom 25. März 1867 wählt der jeßige Gemeinde- bezirk Bokenbeim als selbständiger Wahlbezirk die vier binzutretenden Mitglieder der Stadtverordneten-Versammlung, unter sinngemäßer Anwendung der eins{lägigen Bestimmungen des Gemeindeverfafjung8- gesetzes, alsbald nah Veröffentlichung dieses Statuts. /

Die neugewählten Mitglieder haben im Anschluß an die regel- mäßigen Grgänzung8wahlen, durch das Loos bestimmt, auszuscheiden. S 17

Der Bürgermeister Herr Dr. Hengsberger tritt als besoldeter Stadtrath in den Magistrat der Stadt Frankfurt a. M. mit der

Nafgabe ein, daß seine 12 jährige Wablperiode am 1. April 1895 be- ginnt, ibm aber vom 1. November 1902 an eine nicht pensionsfäbige, persönliche, feine Gebaltsbezüge auf 10 000 Æ ergänzende Zulage bis zum Ablauf der Wahlperiode gewährt wird und an Stelle der nah den Frankfurter Bestimmungen zu zahlenden Penfion sowie Wittwen- und Waisengeld die ihm von der Stadt Bockenheim zugesicherten Ansprüche auf Pension und Wittwen- und Waifengeld aufrecht erbalten bleiben.

Außerdem wird die Stadtverordneten - Versammlung binnen 4 Wochen na vollzogener Vereinigung einen Einwohner des Stadt- tbeils Bockenbeim als unbefoldeten Stadtrath wählen. Sollte derselbe im Laufe feiner se{chsjährigen Wahlperiode ausfceiden, hat eine Ersaßz- wabl für den Rest der Wablperiode stattzufinden.

Soweit erforderli, wird der Erlaß entsprebender statutarisher Bestimmungen rechtzeitig herbeigeführt werden.

8 18.

Die zur Zeit der Vereinigung im Dienft der Stadt Bocken- beim ftebenden Gemeindebeamten sowie die städtishen Lebrer geben von diesem Zeitpunkt an mit dem Gehalt bezw. Anspruch auf Penfion, sowie Wittwen- und Waisenversorgung, welche sie zur Zeit der Eingemeindung haben, in den Dienft der Stadt Fränk- furt über. Die Anwendung der Frankfurter Bestimmungen über Gehalte und Pensicnen, fowie Wittwen- und Waisenversorgung auf die im Dienst der Stadt Bockenbeim ftehenden Beamten und Lebrer bleibt der Beschlußfaffung der Behörden der Stadt Frankfurt vor- behalten. Bezüglich der Lehrer sind dabei jedoch die Bestimmungen des § 13 zu beachten.

8 19.

Die Gemeindebehörden der Stadt Bockenbeim ertbeilen die Zu- siherung, daß fie sich vor der Vereinigung aller Maßnahmen enthalten werden, welde geeignet sein würden, der Finanzlage der Stadt Frank- furt Nachtbeile zu bringen oder die Verbältnifse, auf Grund deren die vorstehenden vertragësmäßigen Verpflichtungen eingegangen find, zu verändern.

Frankfurt a. M., E E Bolenbein den 12. Februar 1895. Der Stadtrath.

Der Magistrat. L Sgl.) Adides. (Sal.) Dr. Hengsberger.

Varrentrap p.

BesGluf.

Der Bezirksaus\{uß zu Wie8baden bat auf Grund des § 4 des Gemeindeverfafsungëgeseßes vom 25. März 1867 die in dem Vertrage vom 12. Februar 1895 wegen Vereinigung der Stadt Bockenheim mit der Stadt Frankfuri a. M. enthaltenen ortsftatutarischen Be- stimmungen genehmigt.

Wiesbaden, den 26. Februar 1895,

U, 3) Der Baan ta zu Wiesbaden.

von Reichenau.

Deutscher Reichstag. 73. Sißung vom Sonnabend, 30. März. Ueber den Beginn der Sißzung is vorgeftern berichtet worden. Zut Fortsetzung der Berathung des Antrags der Abgg. Graf von Kaniß und Genossen wegen Ankaufs und Ver-

kaufs ausländishen Getreides nur für Rechnung des Reichs erhält das Wort der |

Abg. Graf von Gazlen (Zentr.): Der Antrag ift nur ein Aus-- fluß materialiftisher Weltanshauung , den wir um so mehr bedauern,

als er von einer Seite kommt, bei der man bisher“ gewohnt gewesen ist, nen chrifflih-sozialen Geist vertreten zu sehen. Das Prinzip des Antrags ift ein Tozialistishes, und es wird naturnothwendig fih in dieser Richtung weiter entwickeln. Daß der traurigen -Lage der Land- wirtbschaft abgebolfen wird, ift allerdings- dringend erforderlih. Ich beantrage die Ueberweifuag des Antrags an eine Kommission von 28 pag N y __ Avg. Dr. Barth (sr. Vag.): Die Gefährlihkeit des Antrags liegt nicht in der Möglid keit der Annahme im Hause oder bei den verbündeten Regierungen =- diese Möglichkeit dürfte ausgeschlossen sein —, sondern in seine” zgitg‘orishen Wirkung, und diese wird die

Berathung desselben in einer Kommission nur verftärken. Verweisen wir den Antrag gl eine Kommission, so wird er sicher wiederkommen. Gs -ift verständlich vom Standpunkt der Antragfieller, daß sie, nahdem die Grhöhung der Zölle durch die Handelsverträge S ge: macht ift, auf anderen Wegen zu dem von ihnen gewünschten Ziel zu gelangen traten, und, wenn die Regierung ihren Vorschlag für Ane erklärt, sagen: fo zeigt ibr einen Weg! gegenüber iebt es nihts Anderes, als klar auszusprechen, wie man zu dem Ziele

eht, das kein anderes ift, als die Fei eßung eines Mindestpreises für

einen bestimmten Artikel. Das ist der Sinn des Antrags, der im Grunde auf eine Kopfsteuer herauskommt. Ginen- wirklichen Gewinn von der Steigerung der Getreidepreise haben nit - jene 4 Millionen Personen, welhe der Reichskanzler be- rehnete, sondern nur die rund 25000 Betriebe mit mehr als 100 ha bewirthshafteter Grundflähe. Diese repräsen- tieren ungefähr den vierten Theil der gesammten landwirth- shaftlihen Anbaufläche und können niht als bejonders bedeutsamer aftor im aesammten wirtbschaftlihen Leben beträhtet werden. Nicht

die Landwirtbschaft als. solche ist notbleidend, sondern die Erund- besizer, und es wird uns zugemuthet, die übrige Bevölkerung um Hunderte von Millionen Mark ärmer zu machen, um diese Summe überzuleiten in die Tasche einer beschränkten Anzahl von Grund- besißern. Das Prinzip des Antrags ift ein sozialistishes, und wer Gegner des Sozialismus ift, muß ihn bekämpfen. i G Abg. Graf zu Limburg-Stirum (dkonf.): Wenn die Jans

des Abg. Grafen Galen die Auffassung desfelben über den Antrag theilte, so müßte sie geschloffen heute .shon dagegen stimmen. Der Vors(lag einer Kommission deutet also wohl darauf bin, daß jene Vorausseßung nicht zutrifft. Der Abg. Dr. Barth legt Verwahrung dagegen ein, daß zu Gunften eines Erwerb8zweiges die übrigen be- laftet werden. Aber wie find wir denn dazu gekommen, Millionen

für Kanäle und Wasferstraßen zu bewilligen, die haupt- \ählih den Anwohnern und dem Handel zu qute kommen? Das Argument, daß die fleinen landwirthschaftlichen

Betriebe keinen Vortheil von dem Antrage haben würden, trifft niht zu. Wer die ländlichen Verhältnisse kennt, weiß, daß alle diese kleinen Leute Getreide verkaufen, wenn auch wenig. So thöriht find do diese Leute auch nicht, daß sie ihren Vortheil nicht selbst verständen. Der Abg. Dr. Barth unterscheidet zwischen der Nothlage der Land- wirtbschaft und der Grundbesißer. Aber wer arbeitet für die Land- wirtbschaft? Der Landwirth arbeitet, um zu leben. Die heutigen Grundbesißzer- auf der Scholle zu erhalten, ift ein wesentlihes Interesse der Allgemeinheit. Die gegenwärtige Regierung bat die traurige Lage übernommen, sie hat sie niht gemacht, und wir find weit davon entfernt, sie dafür verantwortlih zu machen. Wenn der Reichskanzler beute auch noch nicht auf den Gedanken des Antrags einzugehen entschlossen ist, so wird er sich vielleiht noch überzeugen, daß die entgegenstehenden Schwierigkeiten zu überwinden sind. Die Erscheinungen der leßten Zeit haben gezeigt, daß es in ganz Deutshland mit großer Begeisterung aufgenommen werden würde, wenn unsere Politik wieder einlenkte in die E von vor fünf Jahren. Wenn die Regierung sich weigert, eine

evision der Handelsverträge herbeizuführen, dann muß ein anderer Weg zur Abhilfe der Noth gesuhr werden. Der Antrag Kaniß wird ja beute {hon ernster behandelt als früber: im nähsten Jahre werden wir damit noch weiter fein. Die Kommissioneverhandlungen werden dazu beitragen, daß \sich etwas aus der Sache berausfckält, was ¡um Vortheil der Landwirthschaft Gestalt gewinnt.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats-Minister Freiherr von Marschall:

Meine Herren! Sie dürfen niht erwarten, daß ih mich durch die Ausführungen des Herrn Vorredners dazu verleiten lasse, wiederum die Gründe pro et contra unserer Handelspolitik darzulegen. Wenn ih nit irre, so befindet s{ der hohe Reichstag in dieser Beziehung in dem Zustande einer gewissen Sättigung, und mit Nüccksicht auf die gegenwärtige Geschäftslage wird man, glaube ih, defsen entrathen können, daß ih nohmals auf die Gründe eingebe, welche uns veranlaßt baben, die Handeltveriräge zu s{chließen.

Der Herr Verredner glaubte, bezüglih des Antrags Kanitz eine Wendung insofern konstatieren zu können, als derselbe gegenwärtig ernster genommen werde als früher. Ob dies bezüglich des boben Hauses zutrifft, kann ih nit beurtheilen. Bezüglich der verbündeten Regierungen jedoch kann ich sagen, daß wir von Anfang an den Antrag des Herrn Grafen Kani überaus ernft genommen haben, weik wir doch der Ansicht waren, daß damit in weiten Kreifen Hoffnungen erweckt werden , von denen es äußerst zweifelhaft ift, ob sie erfüflbar sind. Wie ernst gerade ih diese Frage genommen habe, ergiebt si daraus, daß ich vor bald zwei Jabren bei Berathung des rumänischen Handelêvertrages darauf bingewiesen habe, daß aus den Agitationen in landwirtbschaftlichen Kreisen gegen die Handelsvertragépolitik, aus den Argumenten, die man damals anwandte, si allmäblich der Ge- danke entwideln könnte und entwideln müßte, daß es die Aufgabe des Staates sei, für das Getreide einen gewissen Minimalpreis, zu garantieren. Bei dieser Stelle meiner Rede findet sich die Be- merkung „Widerspru rechis*. Jch habe damals mich verpflichtet geglaubt, jene Bemerkung etwas einzushränken und ju erklären, daß ih niemals glauben würde, daß in diesem hohen Hause irgend jemand auf diesen Gedanken verfallen könnte, daß es aber doch niht unmöglih sei, daß draußen bei der starken Agitation dieser Gedanke eines Minimalpreises für Getreide Naum gewinne, und da findet sfih wiederum „Widerspruch rechts*. Also, meine Herren, in dieser Beziehung \{heint au auf der reten Seite des Hauses eine gewisse Wendung eingetreten zu fein.

Der Herr Vorredner hat meine gestrige Bemerkung bezüglich der Unmöali@hkeit, mit den Vertragsmächten in Verhandlungen ein- ¡utreten, bemängelt. Meines Erachtens ift es in der That un- mögli, wenn wir nicht der Würde und dem Ansehen des Reichs etwas vergeben wollten, nunmehr auf der Basis, die die Herren wünschen, mit den Vertragêmächten wieder Verhandlungen anzt- knüpfeu. Wir haben nach langjährigen Verhandlungen und nah shweren parlamentarishen Kämpfen diese Handelsverträge ins Leben treten lassen; wenn wir nun in diesem Augenblick an unsere Ver- tragsmähte das Ansinnen stellen, sie sollten die Verträge wieder auflösen, fie sollten tabula rasa machen, so würde dieses Vorgehen das ist meine Ueberzeugung uns an einem Punkte treffen, an dem au -der mähtigste Staai empfindlich ist: wir würden das Vertrauen in die Kontinuität und Zuverläffigkeit unserer inter- nationalen Politik erschüttern. (Schr wahr!) Und ganz abgesehen von diesen etbishen Punkten, wir würden auch materielle Inter- effsen schädigen. Die bloße Kunde, daß wir mit den Vertrag8mäten in Verhandlungen über die Aufhebung unserer Verträge eingetreten find, würde weite Kreise unseres Erwerbslebens beunrubigen, würde uns die Vortbeile, die wir aus den Handeléverträgen gewonnen haben, rauben. (Widerspru rechts.) Und was die Zufriedenheit in landwirth- schaftlichen Kreisen betrifft, die wir dadur errciäen sollen, so ift das eben das große X, dessen Lösung der Herr Graf Kaniß gefunden haben will, das aber für andere Sterblihe immer noch eine unbekannte Größe bleibt, namentlih für die, welckche wissen, daß zwischen Er- wartungen und Erfüllung von Erwartungen ein weiter Weg ift.

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_ Ih habe gesagt, man muthe den verbündeten Regierungen zu, die Verträge, die wir eben in Kraft geseßt haben, wieder aufzuheben. Und so ift die Sachlage in ‘der That. Wenn in Verträgen wir un8 verpflichten zu einer gewiffen Leistung im Austaush einer Gegen- Teistung, und ih trete nun ein in Verhandlungen darüber, daß der Gegenkontrabent mir die gesammte Leistung, die ih ihm gemacht habe, wieder zurückgeben folle und noch etwas dazu, so ift das nicht eine Revision, sondern eine Aufhebung des Vertrages. Man kann doch Handelsverträge nur abschließen ¡u dem Zweck, um den Verkehr ¿wischen ¡wei Staaten zu erleihtern; die Verhandlungen aber, die Sie jetzt den verbündeten Regierungen zumutben wollen, verfolgen den entgegengeseßten Zweck: die Verkehrsbeziehungen, die si erfreulih entwidelt baben, wieder zu erschweren und zu lösen. Dazu werden die verbündeten Regierungen ihre Hand nicht bieten.

Der Herr Vorredner glaubte, über den Widerspru, den ich.

gestern konftatierte bezüglich der Auffassung der Handelsverträge vor zwéi Jahren und derjenigen, die geftern zu Tage trat, recht leiht- Ein weggebhen zu fönnen mit dem Hinweise darauf, daß die Herab- seßung der Getreidezölle eben damals als eine große Konzession an- gesehen wurde; jeßt habe sich nachträglich berausgeftellt, daß sie für jene Staaten eine sehr kleine Konzession war. Der Herr Ab- geordnete Graf Limburg-Stirum war es, der damals das geflügelte Wort zum besten gab von den „Subsidienverträgen“. Gr warf uns vor, wir hätten die Verhandlungen mit Oesterreih und den anderen Staaten fo ungeschickt geführt, daß das Resultat sei, daß wir diesen Staaten glei{ßfam Subsidien zablten. Also damit ift es jetzt nichts. Im Gegentheil, der Herr Graf. Kani hat mit einer unter politischen Freunden ungewöhnlihen Schärfe dieses Wort von den Subsidien vernichtet, indem er wörtlih gesagt bat, „daß die berechtigten Er- wartungen, die man in Defterreih-Ungarn und Rußland an diese

Verträge gestellt habe, vollständig getäuscht worden seien*. (Heiter- feit links, Widerspruch rechts.) Herr Graf Kaniß hat uns in einem gewissen vorwurfsvollen Tone gesagt: man muß

\solhe Verträge niht nah dem Wortlaut, sondern nach dem Sinne auêlegen. (Zurufe rechts. Glode des Präsidenten.)

Der Herr Abg. Graf von Mirbach behauptet, wir seien erft ret bereingefallezn. (Sehr rihtig! rechts.) Meines Erachtens fällt bei einem Vertrage entweder der Eine herein oder der Andere. (Zu- rufe rechts.) In diesem Falle sind sie Beide hineingefallen. Das widerspriht wiederum der Auffassung, die die Herren vor zwei Jahren gehabt baben. Damals war communis opinio auf der retten Seite, daß Deutf{land allein kereingefallen sei. (Heiterkeit links.) Uebrigens find das Verträge, bei denen kein Theil bereingefallen ift; es find NVerträge nah dem Prinzip do, ut des, und wenn wir die Dinge betraten, wie sie heute ohne die Verträge lägen, dann würde wohl die Gegnershaft gegen die Verträge weit geringer sein, ja, in weiten Kreisen unseres Erwerbslebens würde man dringend danach ver- langen, daß solde Verträge abgeshlofsen werden. (Sehr richtig! links. Bewegung rechts.)

Es ift ja außerordentlih leiht, an Thatsachen, die fich voll- zogen haben , cine sharfe Kritik. zu üben, und es if außerordent- li s{wer, den Nahweis zu liefern, wie sch die Dinge gestaltet Eätten, wenn diese Thatsachen niht eingetreten wären. Aber darüber fann doch niemand im Zweifel sein, der die ganze wirths{haftliche Bewegung in Europa und anderwärts ins Auge faßt, daß, wenn diese Handelsverträge nit ges{hlofsen worden wären, unsere Ausfuhr einen sebr großen Sthaden erlitten bätte, und daß wir heute von allen Seiten mit Klagen bestürmt würden über die fortwährenden Absperrungsmaßregeln aller anderen Staaten. Daß wir diesem Unheil gesteuert baben, daß wir an Stelle der fortwährenden Zollerböbungen anderer Staaten eine Stabilität unserer Auskands- zôflle erreiht baben, das ist der Vortheil unferer Handelsverträge, und ih bin der Ueberzeugung, daß gerade dieser Vortheil in immer weiteren Kreisen erkannt wird.

Nun noch einige Worte über den Antrag des Herrn Grafen Kaniß! Der geehrte Herr Vorredner hät es fich bezüglih der Frage der Durchführbarkeit recht leiht genaht; er hat der Re- gierung anhbeimgestellt, sie möge den Antrag Kaniß ret forgfältig prüfen; es werde sih ja ein gesunder Gedanke berauss{älen laffen. Das ist gerade der Punkt, den ih bezweifle. Ich bin der Ansicht und darin \stebe ih auf demfelben Boden wie der Abg, Graf von Galen, daß der Antrag prinzipiell undurchführbar ift. Lassen Sie mi das mit zwei Worten näher darlegen. Mir ist in der gestrigen Verhandlung überbaupt nit klar geworden, wie der Abg. Graf Kaniß die Durchführung seines Antrags si denkt, und au die Worte des Herrn Vorredners haben mir eine weitere Klarheit nit gebraht. Mir schien auf der rechten Seite ein gewisses S@wanken zu bestehen zwischen zwei Prinzipien. Der Herr Abg. Graf von Kaniß hat gestern die Sache so dargelegt, als ob der Privat- bandel in ausländischem Getreide, wie bisher, frei arbeiten könne, und daß man einfach an der Grenze für das eingeführte ausländishe Getreide eine gewisse Summe erhebe, entsprehend der Differenz zwischen dem MWeltmarktpreis und dem Normalpreis des Antrags Kani. Bereits gestern hat der Herr Abg. Dr. Paashe mit vollem Recht darauf aufmerksam gemacht, daß es einen Weltmarktpreis in diesem Sinne gar nit giebt. Einen Weltmarktpreis in der Form einer einbeit- lichen Zabl giebt es z. B. beim Weizen überbaupt nit, kann es über- haupt nit geben. Wenn Sie die Notierungen des Londoner Marktes betradten, so finden Sie vielleiht für zehn Sorten vou Weizen ganz verschiedene Notierungen; da kommen Unterschiede von zehn, zwanzig Schillings per Tonne vor. Wie das gemacht werden soll, wenn beispielsweise von der rufsishen Grenze so und so viel Tonnen Weizen bei uns eingeführt werden, was dann als Weltmarktpreis zu Grunde gelegt werden soll, das ift mir vollkommen unbegreiflich,

Das System der Freiheit des Privathandels in ausländischem Getreide in Verbindung mit dem Antrag Kanitz if nihts Anderes als eine Zollerhöbung, und zwar nah dem System einer gleitenden Sfala, mit der Maßgabe, daß jeden Tag der Zuschlag zu dem ein- geführten Getteide wehselt. Ob dabei überhaupt ein reelles Geschäft mBalich ift, if mir außerordentli zweifelhaft. Alle die Gründe, welche seiner Zeit gegen die gleitende Skala hier im Hause im Jahre 1887 vom landwirths{haftlihen Gesichtspunkt aus geltend gemacht worden sind, beftehen in vollem Maße. Ich weiß nit, ob dem Herrn Grafen Kanitz bekannt ift, daß damals der Herr Abg. Delbrück einen Antrag geftellt hat auf Einführung einer gleitenden Skala, und daß da alle Vertreter der Landwirthschaft der Anficht waren, daß ein stets wechselnder Zoll unmögli, unpraktisch und für die Landwirth- schaft das Bedenklichste sei, was man überhaupt einführen könne. Der

Ansicht s{heint der Herr Abg. Graf von Kani nah seinen gestrigen Ausführungen selb zu sein, und trozdem empfiehlt er ein System, welches durchaus dasselbe ift, wie eine gleitende Skala. Es foll jeden Tag festgestellt werden der Weltmarktpreis, und nah Maßgabe des Weltmarktpreises soll der Zuschlag, der das ausländishe Getreide trifft, bemessen werden.

Auf einem anderen Standpunkt ftand gestern der Herr Abg. Freiherr von Hammerstein. Er sprach von einem Monopol; er schien der Ansicht zu sein, daß von ausländishem Getreide nur so viel bereingelafsen wird, als der inländische Bedarf erfordert. Dabei hört natürlich das Privatgeshäft völlig auf, und darüber muß man sich doch vollständig klar sein: wenn das Reich nur so viel an Getreide ber- einlafsen würde, als der inländishe Bedarf erbeis&t, so übernimmt dadur das Reich die gesammte Verantwortlichkeit für die ganze-Getreideversorgung Deutschlands (sehr richtig! links) bis in die kleinsten Kanäle hinein, und nicht nur nach Quanti- täten das ift die geringste Sorge —, nach Arten, nah Unterarten, nah den zahllosen Qualitäten je nach den Bedürfnissen unserer Müllerei, unserer Brauerei u. s. w. Die Ecntestatistik bat in dieser Beziehung gar keine Bedeutung; das hat ja auch der Herr Vor- redner zugegeben: die kommt zudem ein Jahr zu spät. Wie foll nun das Reich, oder sagen wir, das Reichs-Getreideamt, diesen Be- darf an den verschiedenen Quantitäten und Qualitäten feft- stellen? Auf die private Nachfrage kann man fich doch nicht verlaffen, denn da müßte erft der Beweis geliefert werden, daß die Nalhfrage zu effektiven Zwetten geschieht, niht etwa zu spekulativen.

Aber das is nicht die einzige Verantwortlichkeit, die das Reich übernimmt; es trifft dasselbe eine noh viel shwerere; das ift die, daß nun auch in Wahrheit das Getreide im Inland die Preis- höhe erreiht, die der Antrag des Herrn Grafen von Kaniß verspriht. Der Herr Abg. Graf Kaniß ftellt es als unanfehtbares Axiom dar, daß, wenn er auf ausländishes Getreide Zuschläge erhebt nach Maßgabe des Weltmarktpreises und seiner Normalsäße, dann obne weiteres das inländishe Getreide auf die Höbe der letzteren binaufsteige. Das ift mir außerordentlih zweifel- haft. Der geringste Irrthum des Reichs-Getreideamts, die Ein- führung von 500, von 5000 t zuviel wird sofort einen Theil des in- ländishen Getreides vollkommen unverkäuflih machen.

Und wie follen nun die Beamten des Reichs-Getreideamts alle die Funktionen ausüben, die jeßt Tausende, man kann sagen, Hundert- tansende von vershiedenen Personen mahen? Ich halte das für vollkommen unmögli.

Und endlih noch eine Verantwortung, und das ift nit die ge- ringste! Wenn ih mich auf dem Lande umshaue über die Aufs faffung, die man dort von dem Antrag Kanitz hat, so versteßt man darunter selbstverständlich niht nur, daß der Kurszettel bobe Preise aufweist, sondern daß der Landwirth auh zu diesem hohen Preise sein Getreide los wird; man verlangt mit anderen Worten, daß für das Getreide, wenn es zum Verkauf reif ist, auch ein Käufer kommt; und wenn der Käufer ausbleibt, dann wird man das Reich dafür verantweortlich machen, daß kein Käufer da ist. Davon, daß auf dem Kurszettel der B5rse das Getreide eine gewife Preishöbe hat, hat der Bauer gar keinen Nußcnz cr verlangt, daß auä jemand kommt, um ibm sein Getreide abzukaufen. Wenn dann în großer Menge Getreide unverkäuflih bleibt, dann, fürhte ih, wird der Enthusiasmus über den Antrag Kaniß sehr bald abgekühblt sein. (Sehr richtig! links.) Ï

Der Herr Abg. Graf von Galen hat ganz treffend gesagt: gerade in der beutigen \{wierigen Zeit muß man folhe Vorschläge, so bestehend sie sein mögen, auf das Ernsteste und Sorgfältigste prüfen. Ich schließe mich durchaus seiner Auffassung an und bin der Ansicht: je größer die Notblage der Landwirtkschaft, je gerechter die Unzufriedenbeit darüber, je intensiver die Erregung in land- wirtb\{aftlihen Kreisen in diesem Augenblick ist, um so ernster und sorgfältiger müfsen wir uns davor büten, Hoffnungen und Erwartungen zu erwecken, von denen es niht gewiß ist, ob wir sie befriedigen können. (Lebbafte Zustimmung links und aus der Mitte.)

Abg. von Vollmar (Soz.): Es befteht kein Zweifel, daß die Landwirtbschaft sich in einer Notblage befindet und daß sich cine land- wirthschaftliche Krisis vorbereitet, welche die größte Aufmerksamkeit verdient und von der größten Bedeutung für die ökonomischen und politishen Verhältnisse Deutsblands werden wird. Die Ursachen [iegen nicht lediglih im Preisfall. Während man sonft behauptete, daf das Ausland die Zölle trage, is jezt im Landwirtb\chafts- rath die Preiésteigeruns unumwunden als Zweck der Zölle bezeihnet ‘worden. Früher begnügte man sich mit einem Zoll von fünf Mark; was Sie jeßt verlangen, bedeutet einen Zoll von zehn Mark; Ihr Zweck ijt die s{nellslte rücksihts- loseste Steigerung der Getreidepreise. Sie haben das ¿irte Wort von dem Brotwucher hbinnehmen müfsen. Und wem . kommt die Auswucherung der Bevölkerung zu gute? Die Herren geben si ja als Vertreter der Bauerninterefsen aus; aber den Nutzen von solhen Anträgen hat nicht der kleine Grund- besiz; in dieser Beziehung hat der Reichskanzler noch viel zu günstig gerechnet. Der Gewinnende is das Junkertbum, dasselbe, welhes politis ch dem Absolutismus und Zäâsa- rismus zujubelt. (Ruf recht3: Nein!) Im Herrenhause hat Graf Mirbah ofen zum Verfafsungsbruch aufgefordert, ohne daß einer der anwesenden Minister si für verpflihtet gehalten hat, ihm entgegenzutreten. Wenn Ihr Wille niht geschieht, droben Sie mit der Sozialdemokratie. Die „Kreuz-Zeitung“ ist doch schon fo weit gegangen, zu sagen, der sozialistishe Staat wäre immer noch besser, als der gegenwärtige jüdisch-bureauftratishe Staat; und \{ließlich sei es das beste, daß man in den Zukunftsstaat hineinwachse. Nuñ nos ein Wort über die sozialistische Tendenz, die der Antrag haben soll. Es ift darin ein Sozialismus von der Sorte, wie sie jener Franzose bezeichnete, der meinte: Le socialisme c’est l’argent des autres. Auf Um-

wegen führt der Antrag allerdings zum Sozialiémus. Wird einmal der rats aufgestellt, daß der Staat die Verpflichtung habe, den Bes eines bestimmten Produkts zu sichern, fo frage ih: wo wollen ie aufhören ? Der Verstaatlihung des Getreidehandels wird die der landwirtbschaftlichen N folgen. Und diese Entwickelung wird bei der Landwirthschaft nicht still stehen.

Abg. Hol b (Rp.): Ich bin ursprüglih kein Freund des Antrages gera: erft die Ueberzeugung, daß unbedingt etwas ges{hehen muß, at mi dazu geführt, ibm beizutreten. Auch der Vorredner hat an- erkannt, daß eine Agrarkrise besteht. Wir können mit dem Auslande, das unter günstigen Bedingungen grobe Mengen von Getreide pro- duziert, nit auf gleiher Basis konkurrieren; das heißt die deutsche Landwirtbschaft ausbungern. Ich habe schon gegen den österreichischen Handelêvertrag gesprohen und geftimmt, den i für den verbängniß- vollften Febler der Politik der lezten Jahre halte. Der Staat darf die Notblage eines fo wichtigen Gewerbes niht unberüdcksihtigt laffen; es kann fih nur fragen, ob der Nothftand ein vorübergehender oder ein dauernder ift. Der Landwirth kann r wobl ein Jahr in seinen Wirtbschaftsaufwendungen einshränken, aber er kann es nit dauernd, ohne daß der Grund und Boden selber verarmt. Der traurige

Zustand kann nur ein dauernder sein, weil die Ursachen dauernde

sind. Sie liegen darin, daß tas Ausland billiger produziert und das Produkt billiger nach den Hauptplätzen des Inlandes trarisportiert als wir. Da¡u kommen die Valutadifferenzen. Unsere Verträge haben nicht den Staaten genüßt, mit denen wir sie abgeschlossen baben, sondern den meistbegünitigten überseeishen Ländern. Die Revision diefer Meistbegünstigungéverträge halte ih für das wichtigste, und ih habe deshalb deu Antrag des Abg. Freiherrn Heyl von Herrnsheim mit Freuden begrüßt. Ih bätte gewünscht, daß der Staatérath auch auf die Nothwendigkeit einer sorgfältigen Absperrung gegen die Vieheinfubr zur Verhütung der Ansteckungsgefahr hinge- wiesen bätte. Jch- bin, wie gefagt, ursprünglih kein Freund des Antrags Kaniß gewesen, aber man nenne doch ein anderes Mittel, unter den obwaltenden Verbältnifsen den Preis zu heben; und das ift ner laeleh, roenn die deutshe Landwirthschaft nicht zu Grunde gehen joll.

Abg. Dr. von Komierowsfki (Pole) erklärt fich für den Antrag.

Die Diskussion wird darauf gesblofen.

Abg. Liebermann von Sonnenberg (Refp.) konstatiert, daß seine Partei durch den Schluß der Debatte verhindert worden fei, ihr Zustimmung zum Antrage auszusprechen.

bg. Dr. Vaasde (nl.) giebt für eine Anzabl seiner politischen Freunde die Erklärung ab, daß dieselben dem Grundgedanken des ntrags Kaniß sympvatbish gegenüberstehen und die Hoffnung hegen, daß in der Kommission eine annehmbare Gestaltung dieses Gedankens ermöglicht werde.

Das Schlußwort zu dem Antrage erhält der

Abg. v. Kardorff (Np.): Auf die Einzelheiten des Antrags Kani will ih niht näher E. Nur eines mötte ih den ge- machten Ginwendungen gegenüber hervorheben, nämli daß die S@Mhwierigkeit für die Negierung, die Durchschnittspreise für das an- ¡ukaufende Getreide festzustellen, keineswegs fo groß ift, wie fie hin- geftellt wird. Man hat von uns den Nachweis der praktischen Ausführbarkeit des Antrags Kaniß verlangt. Derselbe ist hon dadurch gegeben, daß der Beweis der Unausführ- barkeit nit erbradt ist. Was die Beziehung des Antrags Kaniß zu den Handeléverträgeri betrifft, so is die Möglich- keit, hier einen gangbaren Weg zu finden, von faft allen Seiten zugegeben worden. In einem Punkte möchte ich mein Be- dauern aussprehen, nämlich darüber, daß am Bundesratbstish be- treffs des Schutzes der Landwirthschaft nicht mehr die gleichen An- sichten berrshen, welhe Fürst Bismark stets vertreten hat. Ein Interesse daran, dem Antrag entgegenzuwirken, haben eigentlih nur die Sozialdemokraten und diejenigen Leute, die sch lediglich mit dem Kuponabschneiden beschäftigen. Am Bundesrathstish scheint aber immer noch nit das volle Verständuiß für die Noth der Landwirth- haft vorhanden zu sein, und namentlich nicht für die Stimmung der Millionen Landwirthe. (Zuruf links: Agi- tation !) Bei Leuten, die niht wifsen, ob fie nicht morgen hon Haus und Hof verlassen müssen, bedarf es keiner Agitation. Zwei große Mittel giebt es zur Hilfe für die Land- wirtbschaft. Ich gestehe, daß ih mich dem Antrage Kaniß nur mit einem gewissen Zögern angeschloffen habe. Ich habe es aber gethan, weil die Regierung das andere Mittel, welches vielleicht noch schneller ¡u einer Besserung der Lage der Landwirthschaft führen würde: die anderweitige Regelung der Währung, ablehnt. Der Staat bat die Verantwortung zu übernehmen für die Millionen seiner Angebörigen und dafür zu forgen, daß sie nicht verkümmern und zu Grunde geben. Wenn das anders nit zu verhindern ist, als daß abgeshlofsene Ver- träge revidiert werden, dann muß dieses Mittel ergriffen werden. Den anderen Weg balte ih immer noch für besser und leiter gangbar. Gines von den beiden großen Mitteln aber muß die Regierung ergreifen; denn die kleinen Mittel reihen niht aus, um die deutsche Landwirthschaft zu retten, zumal es zweifelhaft ist, ob alle die vor- ges{lagenen kleinen Maßregeln eine Mehrheit im Reichstage finden werden. Verschiedene Herren zwar, welhe der Landwirtbscaft ihr volles Interesse entgegenbringen, find euts&losfen, gegen diefe kleinen Mittel, auch wenn fie sie an und für sih für nüßlich balten, zu stimmen, bevor niht etwas Durhareifendes zur Hebung der Getreide» preise gesheben ift. Ich hoffe, daß in der Kommission ein Beschluß zu ftande fommt, der dem Vaterlande ¡um Heil gereiht und unsere Landwirthschaft vor dem Untergang bewahrt.

__ Mit großer Mehrheit beschließt das Haus, den Antrag einer Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen.

_ Präsident Freiherr von Buol bcraumt die nächste Sißzung auf Dienstag, 23. April, 2 Uhr an (Tagesordnung : Zolltarif- novelle) und spriht den Wunsch aus, daß nach den Osterferien die Abgeordneten sih alle wieder gesund und mit frischer Arbeitsfraft cinfinden möchten.

Schluß der Sitzung 5!/z Uhr.

Prenßischer Laudtag. Herrenhaus. 9. Sizung vom Sonnabend, 30. März.

Ucber den Beginn der Sigzung ist vorgestern berichtet worden.

Die Beraihung des Staatshaushalts-Etats wird sodann bei dem Etat des Ministeriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten fortgeseßt.

Ober-Bürgermeister Bender führt Beshwerde darüber, daß durh einen Minister-Grlaß die Schulauffichtsrehte der s\tädtishen Schul- deputationen eingeshränkt worden seien. Gerade die Einrichtung der Schuldeputationen habe bewirkt, daß die großen Städte zu großen Opfern für Schul¡wecke bereit gewesen seien. Anträge der Schul- deputationen auf Mehrauëgaben fänden jeßt niht mehr das Entgegen- kommen, wie noch vor fünf Jahren. Die Institution der Schul- deputationen, die sh 80 Jahre lang bewährt habe, müsse eher ge-

. stärkt als geshwädt werden.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Wenn ih aus der Rede des Herrn Ober-Bürger- meisters Bender das Prinzipielle berausshâle, so braue ih mich nit auf alle die geshihtlihen Einzelheiten einzulassen, mit denen er seine Nede verbrämt bat. Der prinzipielle Gegensaß, der in dieser Nede zum Ausdruck gekommen ist, ift der, daß die Unterrichtsverwaltung an der Instruktion von 1811 nicht nur nichts ändern, sondern durchaus daran festhalten will, daß fie auch weit davon entfernt ist, und ih persönlich bin davon weit entfernt, irgendwie in die Schulverwaltung der Städte einzugreifen. Aber ich Habe die Verpflichtung, nah den- jenigen Bestimmungen und Gesetzen, die jeßt gelten, solange ich nicht in der Lage bin, Ihnen ein verftändiges allgemeines Volksshulgesetz vorzulegen, was mein größter Wunsh wäre, (Bravo!) meine Ver- waltung zu führen, und das thue ich. (Bravo!) Die Städte baben aber zum großen Tbeil den dringenden Wunsch, dem Staate die Schul- aufsiht aus der Hand zu winden (sehr richtig!) und sich allein zum Herrn des äußeren und inneren Schulwesens zu mahen. Das darf ih nit dulden, und das werde ich nicht dulden, solange ich Kultus- Minister bin; îm Gegentheil, ich werde die Hand darüber halten. Ic darf es nicht hun; ich würde pflihtwidrig haudeln, wenn ih diesen Wunsch der Stadt Breslau erfüllte. Breslau hatte ge- wünscht, gewisse Disciplinarbefugnifse zu erhalten und in der Schuldeputation ¡n hausen; das war unpraktish. Iudessen darüber bätte fi reden lafsen. Im übrigen haben die städtischen Stwuldeputationen sehr große Verdienste; fie sind nöthige und nüß-

lihe Behörden, und ich weiß sehr wohl, was wir ihnen ¡u danken

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